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Fünf Frauen bei Windstärke zehn! Wie viel Wahrheit kann eine Freundschaft vertragen? Seit fast zehn Jahren haben sich die fünf Frauen nicht mehr gesehen, die zu Schulzeiten beste Freundinnen waren. Ein Brief weckt Erinnerungen an vergangene Zeiten. Spontan beschließen sie, ein paar entspannte Tage miteinander zu verbringen. Zu fünft treten sie eine Kreuzfahrt an, die ganz harmonisch beginnt. Alle sind glücklich, sich wiederzusehen, haben die kleinen Reibereien, die manchmal zwischen ihnen herrschten, über die Jahre vergessen. Täglich nimmt dann allerdings nicht nur die Windstärke zu, sondern auch die Spannungen zwischen den Freundinnen werden größer … bis schließlich bei Windstärke zehn einige Wahrheiten ans Tageslicht kommen, mit denen niemand gerechnet hätte.
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Inhaltsverzeichnis
Windstärke 1
Windstärke 2
Windstärke 3
Windstärke 4
Windstärke 5
Windstärke 6
Windstärke 7
Windstärke 8
Windstärke 9
Windstärke 10
Windstille
Tag eins
Familie Koller
Der Anruf
Impressum
Windstärke 10
von
Mimi J. Poppersen
Text Copyright © Mimi J. Poppersen
Coverfoto © Shutterstock
Cover Design: Mimi J. Poppersen
Lektorat: Media-Agentur Gaby Hoffmann
Alle Rechte vorbehalten
Mimi J. Poppersen auf Instagram
„There are some things you learn best in calm, and some in storm.“
Willa Carter
Zum Inhalt:
Fünf Frauen bei Windstärke zehn!
Wie viel Wahrheit kann eine Freundschaft vertragen?
Seit fast zehn Jahren haben sich die fünf Frauen nicht mehr gesehen, die zu Schulzeiten beste Freundinnen waren. Ein Brief weckt Erinnerungen an vergangene Zeiten. Spontan beschließen sie, ein paar entspannte Tage miteinander zu verbringen.
Zu fünft treten sie eine Kreuzfahrt an, die ganz harmonisch beginnt. Alle sind glücklich, sich wiederzusehen, haben die kleinen Reibereien, die manchmal zwischen ihnen herrschten, über die Jahre vergessen.
Täglich nimmt dann allerdings nicht nur die Windstärke zu, sondern auch die Spannungen zwischen den Freundinnen werden größer … bis schließlich bei Windstärke zehn einige Wahrheiten ans Tageslicht kommen, mit denen niemand gerechnet hätte.
Eine humorvolle Frauengeschichte über Freundschaft, Wahrheit und Liebe!
1–5 km/h. Schwacher Wind. Kleine, schuppenförmig aussehende Kräuselwellen ohne Schaumkämme.
„Unglaublich“, flüsterte Anna und blickte misstrauisch auf den ungeöffneten Briefumschlag, den sie gerade aus ihrem Briefkasten genommen hatte.
In geschwungenen Buchstaben stand Anna Schröder darauf, darunter ihre Adresse. An sich nichts Verwunderliches. Nur hatte Anna erst vor Kurzem ihren Mädchennamen wieder angenommen und wohnte nicht einmal seit einer Woche in dieser neuen Wohnung.
Als sie verheiratet war, hatte sie den klangvollen Namen Anna La Croix geführt und lebte in einer der schönsten Villen ganz Heidelbergs. Nun residierte eine andere mit ihrem Exmann Simon in diesem Palast direkt am Neckar mit Blick auf das Heidelberger Schloss. Natürlich war die Dame, die sich dort momentan mit ihrem Ex vergnügte, zwanzig Jahre jünger als sie.
Anna Schröder hingegen wohnte mittlerweile in einer kleinen Zweizimmerwohnung etwas außerhalb der Stadt. Dafür hatte sie viel Natur um sich herum, was sie sehr genoss. Bald wollte sie sich wieder eine Katze anschaffen, vielleicht sogar einen Hund. Oder beides? Etwas, das sie seit Kindheitstagen vermisste und nie hatte tun können wegen der starken Tierhaarallergie ihres Mannes.
Eine von vielen seiner Allergien …
Insofern ging es ihr noch nicht einmal schlecht. Sie genoss ihre neue Freiheit – meistens. Außerdem mochte sie ihr bescheidenes Leben momentan. Bis nicht geklärt war, wie viel ihr ehemaliger Gatte zu zahlen gewillt war oder eher zahlen musste, wollte sie sich nichts Größeres leisten. Die Gerichtsverhandlung sollte in drei Monaten sein.
An ihr neues Leben hatte sich Anna bereits gewöhnt. Die Jahre im Prunk und an der Öffentlichkeit waren ihr sowieso meist ein Graus gewesen, aber als Gattin eines berühmten Anwalts, der auch noch in der lokalen Politik aktiv war, hatte sie dies oft über sich ergehen lassen müssen. Ständig wurden sie zu irgendwelchen Wohltätigkeitsveranstaltungen eingeladen.
Nun wollte sie ihr Geld lieber für das Alter sparen. Ihr Plan war, sich in ein paar Jahren in die Toskana abzusetzen.
Erneut blickte sie auf den Brief in ihrer Hand. Wer nur wusste von diesen erst kürzlich geschehenen Veränderungen in ihrem Leben?
Langsam öffnete sie den Brief und begann zu lesen. Gleich darauf griff sie zum Telefonhörer.
* * *
Überrascht blickte Bianca Schwarz auf das Schreiben, das ihre Sekretärin ihr gerade überreicht hatte. Noch einmal überflog sie die Zeilen und schüttelte kaum merklich den Kopf. Wie doch die Zeit verging …
„Stimmt etwas nicht, Frau Schwarz?“, wollte ihre stets besorgte Mitarbeiterin sogleich wissen.
„Nein, alles bestens. Vielen Dank“, bestätigte Bianca schnell und schnappte sich ihren prall gefüllten Terminkalender. Zwar hatte sie in den letzten zwei Jahren, seit der Ankunft ihrer Tochter, ihre Tätigkeit um einiges heruntergefahren, aber sie war nach wie vor eine sehr gefragte Anwältin.
Bis vor etwa fünf Jahren hatte es außer ihrer steilen Karriere nicht viel in ihrem Leben gegeben. Kaum Freizeit genoss sie bis dahin und hatte teilweise auch die Wochenenden durchgearbeitet. Mit Anfang vierzig realisierte sie auf einmal, dass es noch etwas anderes im Leben geben musste. Über Familienplanung hatte sie bis dato gar nicht nachgedacht, ihr damaliger Lebenspartner noch weniger.
Damals war es wirklich, als hätte ihr eine höhere Macht im Schlaf etwas zugeflüstert. Eines Morgens wachte sie auf und wusste, dass sie Kinder haben wollte. Und das natürlich so schnell wie möglich. Denn dass einem mit über vierzig, obwohl man sich noch wie Mitte zwanzig fühlte, nicht mehr viel Zeit blieb, war ihr klar.
Diego, ihr damaliger Partner, hatte sie nur angeschaut, als hätte sie den Verstand verloren. Dass er nicht sofort einen Platz in der Psychiatrie für sie reservierte war alles, was an seiner Reaktion auf ihren Kinderwunsch fehlte.
Diego hatte leicht reden, er war fünf Jahre jünger als sie, ebenso strebsam, um nicht zu sagen karrieregeil, und noch dazu ein spanischer Macho. Die Vorstellung, dass Diego jemals eine Windel wechseln würde, brachte sie schon damals zum Lachen … oder zur Verzweiflung, je nachdem, in welcher Stimmung sie sich gerade befand. Denn die konnte von nun an sehr schwanken. Die ganzen Hormone, die sie in sich hineinstopfte, gaben ihren Gefühlen auf einer turbulenten Achterbahn freien Lauf.
Diego hatte sie von den Hilfsmitteln und Methoden, die sie anwandte, vorerst gar nichts erzählt. Erst schien ihm auch nicht aufzufallen, dass sie an ein paar Tagen im Monat fast täglich Sex mit ihm haben wollte, den Rest des Monats hingegen gar nicht. Bianca wusste, dass sie das Kind alleine großziehen konnte, alleine zeugen hingegen war schon schwieriger.
Als Diego klar wurde, dass sie nur noch auf sein Erbgut scharf war, machte er die Biege. Nachdem Bianca von der Arbeit nach Hause kam, war er verschwunden. Ein kurzer Brief, in dem er ihr viel Glück wünschte. Das war’s. Seitdem hatte sie ihn nie wiedergesehen, er hatte sich nach acht Jahren Beziehung einfach in Luft aufgelöst.
Dass Diego weg war, fand Bianca noch nicht einmal so schlimm. Nur musste sie sich jetzt mit dem Kinderkriegen anders behelfen. Das tat sie auch.
All diese Strapazen behielt sie für sich, teilte ihre Sorgen weder mit ihrer Familie noch mit Freunden. Nicht einmal ihrer besten Freundin Anna erzählte sie davon.
„Eine Frau Anna Schröder ist für Sie am Apparat. Soll ich durchstellen?“, unterbrach die Sekretärin ihre Gedanken.
„Ja bitte“, antwortete Bianca und nahm sogleich den Telefonhörer in die Hand. Wie lange hatten sie nicht miteinander gesprochen?
Ihr war klar, dass Anna denselben Brief bekommen haben musste wie sie.
* * *
Mit zittrigen Fingern öffnete Clara Meister ihre Post. Diese hatte sie mit in die Klinik genommen. Die lange Zeit des Wartens konnte sie sich nun damit vertreiben, selbst die Werbesendungen las sie meist detailliert durch.
Sie war gespannt, welche Neuigkeiten sie heute erfahren würde. Dass es ihrem Mann gesundheitlich nicht gut ging, wusste sie schon lange. Doch wie schlecht es ihm diesmal ging, würde wieder eine Überraschung sein.
Immer war es eine neue Geschichte, die ihn in diese Klinik brachte, die jedes Mal auf seine verteufelte Krankheit zurückzuführen war, die ihn langsam ins Grab beförderte. Ihren Mann brachte die Krankheit unter die Erde und sie dermaßen zur Verzweiflung, dass wohl auch sie bald das Zeitliche segnen würde. Ein Blick in den Spiegel reichte ihr, um das zu beurteilen. Mittlerweile hatte sie jede Hoffnung aufgegeben, dass man jemals eine Heilung für ihn finden würde.
Geradezu lächerlich war, dass ihr Mann seine Krankheit nach außen immer noch zu verbergen versuchte. Dabei wussten die meisten doch Bescheid, dessen war sie sich sicher …
Gerade hatte Clara einen Brief geöffnet, der sie tatsächlich von ihrem Alltagsschicksal ablenken konnte. Urplötzlich war sie nicht mehr die Clara, die in dem trostlosen Wartesaal einer Berliner Klinik hockte, sondern die fröhliche, aufgeschlossene Clara von damals. Wie ein Film liefen glücklichere Zeiten vor ihrem geistigen Auge ab.
Zeiten, die lange her waren: ihre Schulzeiten. Sie sah sich und ihre vier guten Freundinnen vor sich, wie sie lachten und scherzten. Damals hatte sie noch keine Ahnung gehabt von den harten Zeiten, die kommen würden.
Beschämt realisierte sie, dass sie kaum wusste, was aus ihren Freundinnen in den letzten zehn Jahren geworden war, vielleicht sogar länger. Zu beschäftigt war sie mit ihrem eigenen Schicksal gewesen. Sie wusste, dass die meisten ihrer Freundinnen tolle Karrieren gemacht hatten, im Gegenteil zu ihr. Etwas, das sie im Nachhinein schwer bereute. Wahrscheinlich ein Grund mehr, warum sie sich bei ihnen kaum noch gemeldet hatte: Scham.
Mit einem Ruck stand Clara auf. Sie wollte nach Hause gehen und einige Telefonate tätigen. Heute würde sie nicht blöd hier herumsitzen und auf eine Nachricht vom Arzt warten.
„Sagen Sie meinem Mann, ich komme morgen wieder!“, erklärte sie einer Schwester bestimmt. Darauf verließ sie das Krankenhaus und sollte dies so schnell nicht wieder betreten.
Was ein paar Zeilen doch auslösen konnten …
* * *
Wie so oft war es ein sonniger Tag in Los Angeles, als Daniela Bach den Brief aus ihrem Briefkasten fischte. Dieser war eine typische, reich verzierte amerikanische Mailbox, die vor einem imposanten Metalltor stand, hinter dem eine lange Auffahrt zu ihrem Anwesen führte.
Daniela wohnte wie viele Stars in Hollywood in Beverly Hills. Dabei war sie nicht wirklich eine Berühmtheit. Eine einzige Rolle in einer amerikanischen Serie hatte ihr vor gut zwanzig Jahren zu kurzzeitigem Ruhm verholfen, von dem sie noch heute zehrte. Dass sie nach wie vor den Lebensstil einer Filmdiva führte, verdankte sie dem Umstand, dass sich damals der Regisseur der Serie unsterblich in sie verliebt hatte. Steve Fox war bis heute ein angesehener, millionenschwerer Filmemacher. Gleich beim ersten Treffen hatte Steve ihr einen Heiratsantrag gemacht, wie man es sich in Hollywood vorstellte. Daniela hatte dem Antrag sofort zugestimmt, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen. Zum Entsetzen ihrer Eltern und vieler Freunde, die so viel Spontanität von ihr gar nicht gewohnt waren. Natürlich war ihnen mit dieser plötzlichen Hochzeit auch klar, dass Daniela so schnell nicht wieder nach Deutschland zurückkehren würde. Ein Umstand, den Daniela hingegen nie bereut hatte.
Mit ihrem Ehemann hatte sie definitiv einen guten Fang gemacht. Wahrscheinlich den besten von all ihren Freundinnen. Sie lebte ein Leben, wie es sich viele Menschen wünschten, konnte sich und ihren Kindern jeden Wunsch erfüllen.
So hatten ihre beiden vier- und achtjährigen Töchter auf einer Koppel bereits ihre eigenen Pferde stehen. Das war ganz normal in ihrem Leben.
Kurz seufzte sie und betrachtete noch einmal das Schreiben aus der Heimat. Wie froh sie war, heute nur diesen Brief vorgefunden zu haben und nicht wieder solch eine unangenehme Zuschrift, wie sie sie in den letzten Monaten immer öfter erreichte. Etwas, das ihr große Sorgen bereitete und woran sie so schnell wie möglich etwas ändern sollte. Nur was? Aber heute wollte sie sich nicht damit belasten, es raubte ihr schon genug Schlaf.
Sie beschloss, erst mit den Hunden Gassi zu gehen und dann in Ruhe bei einer Tasse Earl-Grey-Tee auf ihrer schönen Terrasse das Schreiben zu lesen. Obwohl sie bereits ahnte, um was es darin ging.
* * *
„Es ist also wieder soweit…“, sprach Eva Messner zu sich selbst und blickte auf das Schriftstück in ihrer Hand. Die Selbstgespräche hatte sie sich in letzter Zeit immer mehr angewöhnt. Schließlich war da niemand mehr, mit dem sie reden konnte. Nach ihrem Ehemann Konstantin hatte auch ihr dicker Kater Carlo das Zeitliche gesegnet und Eva war ganz allein. Einsam auf ihrem riesigen Gutshof in der Toskana.
Ich sollte mir wieder ein paar Tiere zulegen, dachte sie und blickte über die schmucke, hügelige Landschaft um sich herum. Schon immer war es ihr Traum gewesen, hier zu leben.
Sie dachte an ihre vier Freundinnen aus der Schulzeit, von denen sie wusste, dass sie alle dasselbe Schreiben bekommen haben mussten.
Bereits vor fünfzehn Jahren hatte sich Eva aus dieser Gruppe immer mehr zurückgezogen. Damals, als sie Konstantin geheiratet hatte, und es von ihren Freundinnen nichts außer Kritik gehagelt hatte. Mit Tadel hatte Eva noch nie gut umgehen können …
„Wir wollen dir doch nur helfen!“, hatte Anna zu jener Zeit etwa gesagt. Das nahm Eva ihnen nicht ab. Schon seinerzeit glaubte Eva, dass ihre Freundinnen nur neidisch waren. Alle außer Daniela vielleicht, denn ihr ging es ähnlich gut.
„Was willst du denn mit so einem alten Knacker?“, hörte sie Biancas Stimme. Aber Bianca wollte auch groß Karriere machen, ganz im Gegensatz zu ihr. Eva hatte ein paar Jahre als Krankenschwester gearbeitet, und das hatte ihr gereicht.
Zugegeben, sie war damals gerade dreiunddreißig und Konstantin bereits achtundsechzig Jahre alt gewesen. Ein Altersunterschied von fünfunddreißig Jahren war nicht von der Hand zu weisen.
„Du hast doch einen Ödipuskomplex“, hatte Clara ihr vorgeworfen, deren Mann immerhin auch zehn Jahre älter war als sie.
„Wenn, dann habe ich einen Elektrakomplex“, hatte Eva sie nur trocken korrigiert.
Wie dem auch sei, Eva hatte sich zurückgezogen. Sollten ihre Schulfreundinnen doch denken, was sie wollten! Schließlich hatte sie so alles erreicht, was sie wollte. Oder besser gesagt: Sie musste nichts mehr erreichen, weil Konstantin bereits alles hatte. Sogar Kinder, die Eva selbst nie haben wollte.
Da angelte sie sich doch lieber einen älteren Herrn mit erwachsenen Kindern. Zwar war Konstantin damals bereits schon Großvater, aber die Enkelkinder sah man schließlich nicht so oft, vor allem, wenn man weitab in der Toskana lebte. Für Eva war zu jener Zeit alles perfekt. Heute schwebte allerdings ein unangenehm dunkler Schatten über dem Gut in der Toskana, den hoffentlich nur sie selbst wahrnahm, aber dieser würde sich sicherlich auch bald verziehen. Nach wie vor ging es Eva hier fantastisch.
Dank Konstantin! Gott habe ihn selig!
* * *
Zügig machte die Ankunft des Briefes die Runde.
Anna hatte sogleich Bianca angerufen, die sie immer noch als ihre beste Freundin betrachtete. Kurz darauf erhielt Anna einen Anruf von Clara aus Berlin, die sich gar nicht gut anhörte. Danach telefonierten sich alle Freundinnen abwechselnd zusammen und besprachen, was sie von dem Schreiben halten sollten.
Trotz der teilweise weiten Entfernungen, die sie mittlerweile trennten und der langen Zeit, die verstrichen war, waren die Freundinnen sich gleich einig, wie sie auf den Brief reagieren wollten. Die fünf Frauen verstanden sich halt immer noch wie früher.
Ohne darüber nachzudenken, übernahm Anna nun die Planung. Ausgerechnet Anna, die von allen am wenigsten Organisationstalent besaß. Aber die neue Aufgabe konnte sie bestens ablenken. Außerdem war sie die einzige der Freundinnen, die noch am Ort des Geschehens lebte. Alle anderen waren früher oder später aus Heidelberg weggezogen, meist aus beruflichen oder familiären Gründen.
Anna wollte den Verfasser des Schreibens kontaktieren, denn sie hatte schon einen anderen Plan für die Frauengruppe.
6–11 km/h. Leichte Brise. Kleine Wellen, noch kurz, aber ausgeprägt. Kämme sehen glasig aus und brechen sich nicht.
„Das Alphabet kommt also nicht zu unserem Abiturtreffen“, bedauerte Andreas Schäfer halblaut. Seine Frau Karin schaute ihn über ihre Lesebrille hinweg an und legte die Stirn in Falten.
„Das Alphabet?“, erkundigte sie sich irritiert.
„Ja, so nannten wir früher immer die fünf Freundinnen Anna, Bianca, Clara, Daniela und Eva“, erklärte er lachend.
„Verstehe …“, bestätigte Karin und lächelte ihm zu. Sie fand es immer wieder rührend, mit welcher Hingabe ihr Ehemann solche Veranstaltungen organisierte. Als ehemaliger Stufensprecher ließ er es sich selbstverständlich nicht nehmen, immer die Abitreffen zu planen. Natürlich konnte sie ihm die Enttäuschung darüber ansehen, dass gleich fünf Personen abgesagt hatten.
„Haben sie dir kollektiv abgesagt?“, wollte sie verwundert wissen.
„Nein. Eine nach der anderen. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass sie sich darüber abgesprochen haben“, erklärte Andreas, als habe er mit so etwas schon gerechnet.
„Na ja, da lassen sie sich allerdings einen wirklich schönen Tag in Heidelberg entgehen. Dreißigjähriges Abi, das ist doch was! Das Programm werde ich ihnen trotzdem zuschicken“, beschloss er und klappte seinen Laptop zu, an dem er die letzten Stunden verbracht hatte.
„Ja, mach das. Vielleicht ändern sie ihre Meinung“, bestätigte Karin sanft und umarmte ihn liebevoll. Sie wusste, was sie an ihrem Ehemann hatte, mit dem sie nun schon seit fast zwanzig Jahren verheiratet war. Inständig hoffte sie, dass die Feier ein Erfolg werden würde.
* * *
Auch Anna saß an ihrem Laptop und plante ein Treffen. Allerdings nicht ein läppisches Abiturtreffen in Heidelberg, sondern eine Zusammenkunft ihrer Freundinnen, die groß gefeiert werden sollte.
Immer wieder hatte sie mit Bianca gechattet, um Details zu besprechen. Mit Daniela musste sie ebenfalls öfter Rücksprache halten, da sie die weiteste Anreise aus den USA hatte. Die anderen beiden Frauen hatten gesagt, dass ihnen alles recht sei.
In Einem waren sich die Damen einig: Sie wollten sich so schnell wie möglich treffen. Fast war es, als hätte das Schreiben ihnen klargemacht, wie viel Zeit verstrichen war. Noch etwas hatte ihnen der Brief verdeutlicht, nämlich, dass sie alle ihre Freundschaft etwas schleifen gelassen hatten. Natürlich hatte man zwischendurch mal kurz miteinander telefoniert oder eine Karte zum Geburtstag geschickt, aber gesehen hatten sich die meisten wirklich seit zehn Jahren nicht mehr, seit dem letzten großen Abiturtreffen. Kein Wunder, bei den Entfernungen.
Das wollten sie jetzt ändern und Anna hatte gerade das traumhafte Ergebnis ihrer Planung auf dem Bildschirm vor sich: Bereits übernächste Woche sollte es losgehen. Eine Kreuzfahrt. Durch das Mittelmeer cruisen, wie es sich viele von ihnen schon immer gewünscht hatten!
12–19 km/h. Schwache Brise. Kämme beginnen, sich zu brechen. Schaum überwiegend glasig, ganz vereinzelt können kleine weiße Schaumköpfe auftreten.
Heute war es also so weit. An diesem Tag würden sich die fünf Freundinnen wiedersehen.
Bereits gestern waren Anna und Bianca in dem Hotel direkt am Hafen von Savona eingetroffen. Die beiden Frauen hatten davor zwei schöne gemeinsame Tage in München verbracht und waren gleich wieder vertraut miteinander gewesen.
Anna lernte ebenfalls Biancas zweijährige Tochter Zoe kennen. Für Anna war es völlig neu, ihre Freundin und Karrierefrau in dieser Rolle zu sehen. Überraschend gut bewältigte sie die Doppelfunktion von Mama und Anwältin. Insgeheim bewunderte Anna ihre Schulkameradin dafür. Schon immer war sie um einiges tougher und zielstrebiger gewesen als sie selbst.
Zwar lebte auch Bianca nun schon seit einiger Zeit ohne Mann, aber offensichtlich geschah dies aus freien Stücken. Im Moment konnte sich Anna gar keinen Mann an Biancas Seite vorstellen, es war schlichtweg kein Platz für einen Partner in ihrem Leben, so komisch sich das anhörte. Es sei denn, dieser wäre als Hausmann zufrieden. Wenn sie Bianca Glauben schenken konnte, wollten starke Männer in der Beziehung immer mit ihr konkurrieren und darauf hatte sie keine Lust mehr.
Anna nahm ihr dies ab, schließlich kannte sie Bianca schon einige Jahre und es passte ins Bild. Sie selbst war leider immer der schwächere Part in einer Beziehung gewesen, hatte sich stets viel gefallen lassen. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn sie Kinder bekommen hätte, aber dazu war es nun sowieso zu spät.