Meeresrauschen im Herzen - Sontje Beermann - E-Book
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Meeresrauschen im Herzen E-Book

Sontje Beermann

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Beschreibung

Zwei Frauen, zwei Schicksale und drei Wochen am Meer   Carina soll nach dem Tod ihrer Tante deren Nachlass in ihrem Heimatort auf Rügen regeln. Dabei hatte sie niemals vor, dorthin zurückzukehren. Einer der Gründe dafür ist ihre erste unerwiderte Liebe von damals, Lars – und ausgerechnet er ist der Immobilienmakler, der sich um den Verkauf des Hauses ihrer Tante kümmern soll. Monikas Kinder sind aus dem Haus, ihre Ehe gleicht einer WG und nun ist auch noch ihr Job in Gefahr. Um wieder neue Kraft zu tanken und den nötigen Abstand zu finden, reist sie zur Mutterkur nach Juist. Als sie im Ort den kauzigen Thies kennenlernt, der sich nach einem schweren Schicksalsschlag von der Außenwelt zurückgezogen hat, wird ihr klar, dass sie nicht nur sich selbst helfen möchte. Als Monika die fünfzehn Jahre jüngere Carina in einem Bahnhofscafé kennenlernt, ist sie ihr sofort sympathisch. Die beiden Frauen beschließen, während ihrer Inselzeit in Kontakt zu bleiben. Denn schließlich kann es nicht schaden, eine Freundin an der Seite zu haben, wenn man schwere Entscheidungen treffen muss …

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Seitenzahl: 365

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Meeresrauschen im Herzen

Die Autorin

Sontje Beermann ist Personalleiterin und lebt mit ihrer Familie im Herzen des Ruhrgebiets. Das Schreiben ist seit Teenagerzeiten ihre größte Leidenschaft. Ihre facettenreichen, romantischen Geschichten würzt sie am liebsten mit Humor, Musik und ab und zu einer Prise aufregendem Prickeln. Die Autorin schreibt und veröffentlicht seit 2016 erfolgreich Romane, die ans Herz und unter die Haut gehen, weil sie an die großen Gefühle und Chancen im Leben glaubt.

Das Buch

Zwei Frauen, zwei Schicksale und drei Wochen am Meer

Carina soll nach dem Tod ihrer Tante deren Nachlass in ihrem Heimatort auf Rügen regeln. Dabei hatte sie niemals vor, dorthin zurückzukehren. Einer der Gründe dafür ist ihre erste unerwiderte Liebe von damals, Lars – und ausgerechnet er ist der Immobilienmakler, der sich um den Verkauf des Hauses ihrer Tante kümmern soll.

Monikas Kinder sind aus dem Haus, ihre Ehe gleicht einer WG und nun ist auch noch ihr Job in Gefahr. Um wieder neue Kraft zu tanken und den nötigen Abstand zu finden, reist sie zur Mutterkur nach Juist. Als sie im Ort den kauzigen Thies kennenlernt, der sich nach einem schweren Schicksalsschlag von der Außenwelt zurückgezogen hat, wird ihr klar, dass sie nicht nur sich selbst helfen möchte.

Als Monika die fünfzehn Jahre jüngere Carina in einem Bahnhofscafé kennenlernt, ist sie ihr sofort sympathisch. Die beiden Frauen beschließen, während ihrer Inselzeit in Kontakt zu bleiben. Denn schließlich kann es nicht schaden, eine Freundin an der Seite zu haben, wenn man schwere Entscheidungen treffen muss …

Sontje Beermann

Meeresrauschen im Herzen

Ein Küstenroman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinMärz 2019 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-412-1

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

1. Monika

2. Carina

3. Monika

4. Carina

5. Carina

6. Monika

7. Carina

8. Monika

9. Carina

10. Monika

11. Carina

12. Monika

13. Carina

14. Monika

15. Carina

16. Monika

17. Carina

18. Monika

19. Carina

20. Monika

21. Carina

22. Monika

23. Carina

24. Monika

25. Monika

26. Monika

27. Carina

28. Monika

29. Carina

30. Monika

31. Carina

32. Monika

33. Carina

34. Monika

Danksagung

Leseprobe: Dünenrauschen

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Cover

Titelseite

Inhalt

1. Monika

Für alle Frauen, die sich entscheiden müssen.

1. Monika

Am Tor blieb sie stehen, drehte sich um und warf noch einen letzten Blick auf ihr Zuhause. Das schmutzig weiße Satteldachhaus wirkte verlassen, aber nicht erst seit heute. Oft herrschte Totenstille, seitdem die Kinder in ihr eigenes Leben gezogen waren. War es da verwunderlich, dass sie froh war, dem für drei Wochen entfliehen zu können?

Monika rollte ihren Koffer auf den Gehsteig hinaus, zog die Metallgittertür hinter sich zu und schloss ab. Einen Moment lang starrte sie das Automatiktor der Einfahrt an und überlegte, ob Klaus die letzte Nacht ausnahmsweise zu Hause verbracht hatte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ob seine Betthälfte benutzt ausgesehen hatte.

Sie blinzelte und riss sich aus der vertrauten Lethargie, sie durfte ihren Zug nicht verpassen. Ihre Finger umklammerten den Griff des Trolleys, und sie schob das monströse Ding neben sich her zur Bushaltestelle.

Im Bus setzte sie sich auf einen der Klappsitze, um den Koffer zwischen ihren Beinen fixieren zu können, und lehnte den Kopf gegen die Scheibe.

Hatte sie alle Fenster kontrolliert? Ja.

Alle Elektrogeräte ausgeschaltet? Ja.

Waren ausreichend Lebensmittel im Haus? Ja, ein paar Tage würde Klaus damit auskommen.

Die Wäschekörbe waren leer, die Schränke voll.

Na ja, bis auf ihren. Sie hatte bestimmt zu viele Kleidungsstücke eingepackt, aber sie fuhr das erste Mal nach Juist und hatte schlecht einschätzen können, was sie wirklich brauchte. Hinzu kam, dass dieser Spätsommer zwar noch sehr warm war, aber innerhalb von drei Wochen konnte sich das schnell ändern.

Kaum hatte Monika das Bahnhofsgebäude betreten, meldete sich ihr Handy mit einer Mail der Deutschen Bahn. Aufgrund einer technischen Störung in Altona würde der Zug mit einer Verspätung von mindestens dreißig Minuten eingesetzt werden.

Na toll! Sie seufzte und steckte das Smartphone zurück an seinen Platz in ihrer Handtasche. In diesem Fall konnte sie Kaffee und Brötchen auch in Ruhe im Bäckereicafé genießen, anstatt das Frühstück mitzunehmen.

Mit Tablett und Koffer steuerte sie auf den vorletzten freien Tisch zu, nahm Platz und legte die Handtasche neben sich auf die Bank.

»Entschuldigung, ist hier noch frei?«

Sie sah auf, fand die Frau, die sie angesprochen hatte, auf den ersten Blick sympathisch und nickte.

Die lächelte und bedankte sich. Monika beobachtete, wie sie das Tablett abstellte, ihren eigenen Trolley hinter den freien Stuhl neben sich schob und ihr gegenüber Platz nahm. Sie sah Monika an, lächelte erneut.

Und Monika erwiderte das Lächeln. Einfach so.

Sie senkte den Blick und widmete sich ihrem Teller. Sie aß nicht mehr oft in Gesellschaft, und die blonde Frau schien nett zu sein. Außerdem … ab morgen würde sie dreimal täglich mit Fremden an einem Tisch sitzen.

Sie riss das Zuckertütchen auf, gab den Inhalt in ihren Kaffee und rührte um, dann sah sie kurz auf die Uhr. Es war noch immer Zeit.

Monikas Blick richtete sich ins Leere. Ihre Noch-Kollegen würden sich jetzt ebenfalls einen Kaffee machen, die Tasse mit zum Schreibtisch nehmen und sich ins System einloggen.

Sie kehrte zurück in die Realität und legte den Löffel auf den Unterteller. Nach einem Schluck vom Café Crema riss sie die Oberseite ihres Brötchens ab und verteilte Käse und Schinken neu.

Die Frau gegenüber lachte, leise, aber glockenhell. »Furchtbar, wie lieblos die zusammengeworfen werden, oder?«

Monika konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, zum zweiten Mal. »Ja, stimmt.«

Sie musterte die Fremde genauer. Sie war an die fünfzehn Jahre jünger, etwa Mitte dreißig. Ihre blassblauen Augen blitzten, die dunkelblonden Locken fielen ihr vorn bis über die Brust. Sie strich sie mit beiden Händen über die Schultern zurück, und ein fruchtiger Duft wehte Monika entgegen, ein Hauch von Blaubeeren. Das Bild von Hefeklößen mit heißen Heidelbeeren und Vanillesoße tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Jan hatte das früher so gerne gegessen …

Monika presste die Lippen zusammen und starrte auf ihre Hände.

Ihr Gegenüber hatte das Ciabatta-Brötchen mit Tomate und Mozzarella ebenfalls umgebaut, gab noch Salz und Pfeffer darauf. »Guten Appetit«, meinte die Fremde dann und biss voller Genuss hinein.

»Ebenso, danke!«

Eine Weile aßen die beiden Frauen schweigend, um sie herum summten die Gespräche der anderen Bäckereigäste in der Wandelhalle. Es war erst kurz nach sieben, aber wie an jedem Arbeitstag glich der Hamburger Hauptbahnhof um diese Zeit einem Ameisenhaufen. Eine Durchsage kündigte den Intercity aus Kiel an, der auf der kurzen Strecke bereits eine Verspätung von zehn Minuten eingefahren hatte.

»Dass die Bahn aber auch nichts auf die Reihe bekommt«, murmelte sie und schüttelte den Kopf.

»Ist das Ihr Zug?«

Monika sah auf. »Nein. Meiner hat mindestens eine halbe Stunde Verspätung, technische Probleme. Nur deswegen sitze ich hier.«

Die jüngere Frau legte ihr Frühstück beiseite, säuberte sich die Finger mit der Serviette und nickte zu dem riesigen gestreiften Koffer, der neben dem Tisch stand.

»Geht es in den Urlaub?«

Monika schüttelte den Kopf. »Zur Kur.«

Die Augen ihres Gegenübers weiteten sich. »Hoffentlich nichts Ernstes?«

Die Ältere zuckte die Schultern, und ehe sie sichs versah, erzählte sie der Fremden von ihrem Reiseziel. »Wie man’s nimmt. Mütterkur auf Juist. Ein grauenhaftes Wort.« Monika verzog das Gesicht.

Die andere lachte. »Stimmt! Ich habe bisher nur von Mutter-Kind-Kuren gehört, ich wusste gar nicht, dass man das auch als Mutter allein machen kann.«

»Doch, das sind dann die Kuren für Frauen, deren Kinder zu alt sind, um sie mitnehmen zu müssen.«

»Muss man denn dafür wirklich Mutter sein?«

»Na ja, es gibt bestimmt auch andere Arten von Kuren für Frauen, aber diese werden vom Müttergenesungswerk ausgerichtet und sind speziell auf die Bedürfnisse von Müttern ausgerichtet. Meine Ärztin meinte, das sei die ideale Form, um dem Alltag mit Job und Familie eine Weile zu entkommen. Ich soll mich drei Wochen nur um mich selbst kümmern, entspannen, wieder auftanken.«

»Für mich geht es auch auf eine Insel, aber leider nicht zur Entspannung.« Monikas Gegenüber schob sich das letzte Stück Brötchen in den Mund und kaute. »Meine Tante auf Rügen ist verstorben, und ich soll für meinen Vater den Nachlass regeln. Ich war seit zwanzig Jahren nicht mehr dort. Bin gespannt, was mich erwartet.«

Monikas erster Gedanke war, nicht darauf einzugehen, was die Frau erzählte, aber diese Frau hatte etwas so Frisches und Herzliches an sich, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte. »Hört sich fast nach einer Zeitreise an. Ich hoffe, sie fällt positiv für Sie aus.«

»Ich auch!« Sie verdrehte die Augen, trank ihren Cappuccino aus und hielt Monika dann ihre Hand hin. »Ich bin übrigens Carina Dietrich.«

Monika fühlte sich unerwartet wohl mit dieser Frau, also ließ sie sich darauf ein.

»Monika Fischer.« Sie schüttelten sich die Hand.

»Wollen wir Du sagen?«, schlug Carina vor. Monika nickte. »Ich hole mir noch einen Kaffee, kann ich dir etwas mitbringen?«

»Oh, na ja, dann nehme ich gerne noch einen Kaffee, nur mit Zucker.« Monika holte ihre Geldbörse hervor und öffnete das Kleingeldfach.

»Lass stecken, ich lade dich ein.« Carina stand auf, nahm ihre beiden Tabletts und stellte sie auf dem Weg zur Verkaufstheke in einen Abräumwagen.

Monika schob das Portemonnaie zurück in die Handtasche, als ihr Smartphone eine weitere E-Mail ankündigte. Ihr Zug fiel aus. Sie stöhnte und verzog das Gesicht. Nun musste sie den Zug zwei Stunden später nehmen und vorher zum Infopoint.

Carina kehrte zurück und stellte das Tablett in die Mitte des Tisches, sodass jede ihren Kaffee vor sich hatte. »Schlechte Nachrichten? Du schaust so grimmig.« Carina ließ sich auf ihren Stuhl sinken.

»Mein Zug fällt ganz aus«, brummte Monika

»Ach, Mist! Dann ist auch deine Reservierung weg. Oder kannst du die auf den nächsten Zug übertragen?«

»Danach werde ich mich wohl gleich noch erkundigen müssen.«

»Bis wohin musst du denn?«

»In Bremen steige ich in den Regionalexpress nach Norddeich um. Wenn’s gar nicht anders geht, setze ich mich halt so lange in den Speisewagen.«

»Gute Idee!« Carina lachte und nahm ihre Tasse in beide Hände. Als sich ihr Handy meldete, setzte sie sie wieder ab und tippte auf dem Display herum. Dann lachte sie noch einmal auf. »Jetzt hat mein Zug auch dreißig Minuten Verspätung.«

Beide schimpften eine Weile über die Deutsche Bahn und deren ständige Verspätungen. Sie erzählten sich auch von negativen Erlebnissen mit der Bahn und kamen über das Reisen zum Thema Urlaub auf Inseln der Nord- und Ostsee. Jede von ihnen konnte Anekdoten und Erlebnisse, Tipps und Empfehlungen beisteuern.

Die Tassen waren längst leer, und Monika bot an, eine weitere Runde Heißgetränke zu besorgen. »Natürlich nur, wenn du noch Zeit hast.«

Carina sah auf die Uhr. »Ja, habe ich. Vielen Dank!«

Monika wartete in der Schlange und warf Carina schließlich einen Blick zu.

Sie wunderte sich sehr über sich selbst. Darüber, dass sie so viel und offen redete. Irgendetwas an ihrer neuen Bekanntschaft ließ eine fast vergessene Seite in ihr wieder aufleben. Früher war sie ein sehr kommunikativer Mensch gewesen, doch heute … Sie bemerkte, wie sehr ihr das gegenseitige Reden und Zuhören gefehlt hatte.

Als sie mit dem Tablett zurückkehrte, nahmen sie das Gespräch ohne Umschweife wieder auf.

»Warst du eigentlich schon mal auf einer solchen Kur?«, wollte Carina schließlich wissen.

Monika blinzelte und stellte ihre Tasse ab. »Ja, vor siebzehn Jahren, mit den Kindern. Aber nur für mich wird es wohl ganz anders werden.«

»Ich kann mich an eine ehemalige Kollegin erinnern, ein paar Jahre älter als ich, die war von ihrer Kur komplett begeistert und danach ein ganz anderer Mensch. Vielleicht war das ja auch so eine Kur nur für Mütter.«

Monika zuckte innerlich zusammen, verscheuchte die Erinnerung an das leere Haus. Sie zwang sich zu einem Lachen.

»Wird deine Familie dich in der Zeit besuchen?«

»Das glaube ich nicht. Mein Mann ist viel unterwegs, und meine beiden Kinder … sie sind schon groß und aus dem Haus.« Monika atmete tief durch und ließ die Worte gehen, die sie unbedingt aussprechen wollte. »Das hat mich etwas aus der Bahn geworfen. In all den Jahren mit Kindern, Arbeit und Haushalt habe ich mich irgendwie selbst aus den Augen verloren, deswegen fahre ich nach Juist.« Sie blickte auf ihren Teller hinab und strich sich über die linke Augenbraue.

»War bestimmt eine gewaltige Umstellung.«

Sie war dankbar für Carinas Mitgefühl und nickte. Trotzdem beschloss sie, das Thema von sich wegzulenken. »Bist du auch verheiratet?«

»Nein, seit einem Jahr geschieden und Single.«

»Kinder?«

Ein Schatten huschte über Carinas Gesicht, sie schüttelte den Kopf. »Ich kann keine bekommen.«

»Oh, das tut mir leid.« Monika spürte ehrliches Bedauern. Um keinen Preis wollte sie Julia und Jan missen.

Carina versuchte ein Lächeln. »Ich weiß es seit ein paar Jahren und habe mich damit arrangiert. Aber ich glaube, letztendlich ist meine Ehe daran zerbrochen.«

Monika griff nach der Hand der Jüngeren. »Dann war er nicht der Richtige für dich.«

»Hattest du denn das Glück, den Richtigen zu treffen?« Carina lächelte.

Monika zog ihre Hand zurück, nickte, nippte am Kaffee. Sie registrierte Carinas gerunzelte Stirn, ging aber nicht darauf ein. Stattdessen war sie froh, dass die Jüngere weiter von sich erzählte.

»Meine Eltern sind auch so ein Traumpaar, finde ich, die bringt nichts auseinander. Trotz allem, was sie durchgemacht haben, auch mit mir. Nach der Wende ging es mit der Region Stralsund wirtschaftlich bergab, und sie haben neue Jobs in Hamburg gefunden. Als wir von Rügen fortzogen, war ich fünfzehn, mitten in der Pubertät. Ich kann mich noch erinnern, dass ich in einer sehr unglücklichen Phase war, Liebeskummer und so weiter. Da fand ich den Umzug doppelt schlimm und habe es meine Eltern auch spüren lassen.«

»Und heute? Freust du dich auf deine alte Heimat?«

»Ganz ehrlich?«

Monika nickte.

»Ich habe Angst. Würde ich ins vollkommen Unbekannte fahren, wäre es nicht schlimm, aber so … Ich weiß nur, wie es vor zwanzig Jahren war, und nicht, was ich vorfinden werde. Hat sich viel verändert? Sind die Kindheitsfreunde noch da? Bin ich willkommen?« Carina zuckte die Schultern. »Es sind nur zehn Tage, aber ich hoffe, sie gehen schnell vorbei.«

Monika seufzte. »Mir geht es mit meiner Kur genauso. Es kommt mir vor, als ob mich eine andere Welt erwarten würde. Ich war noch nie allein im Urlaub und weiß nicht mal, ob ich mich freuen soll oder nicht. Oder ob die Zeit schnell vergehen soll.« Sie verzog das Gesicht, und beide mussten lachen.

»Ich hoffe, ich bin nicht zu aufdringlich, aber was hältst du davon, wenn wir in Kontakt bleiben und uns in ein paar Wochen wieder treffen? Ich finde dich so nett!« Carina strahlte sie an.

In Monikas Brust wurde es warm. »Das fände ich wunderbar.« Sie kramte ihr Smartphone hervor und bat Carina um Handynummer und E-Mail-Adresse.

»Darf ich ein Kontakt-Foto von dir machen?«

»Klar.« Die Jüngere lächelte in die Kamera, dann wechselten sie.

Schließlich sah Carina auf die Uhr. »Mist, ich muss los. Mein Zug geht in acht Minuten.« Sie schnappte sich ihre Tasse, brachte sie zum nächsten Abräumwagen und kam zurück. Sie beugte sich zu Monika hinab und drückte sie kurz. »Ich wünsche dir eine tolle Zeit, bis bald!« Carina packte den Griff ihres Trolleys und lief los.

Erst jetzt sah die Ältere ihre hübschen weiblichen Kurven, die durch die helle Jeans, die Bluse und die leichte Trench-Jacke hervorragend in Szene gesetzt wurden.

Monika lehnte sich zurück und sah an sich hinab. Ihr war inzwischen egal, was sie trug, Hauptsache, es war funktional. Jeans, Shirt, Pullover mussten reichen.

Es gab niemanden, für den sie sich hübsch machen konnte.

2. Carina

Carina eilte zwischen zwei Modeläden hindurch, die Absätze ihrer Ankle Boots klackerten auf den Steinfliesen. Der IC stand bereits am Gleis, vor den Türen stauten sich Fahrgäste. Sie entschied sich für die Treppe, packte ihren Trolley und hetzte hinab.

Ihr reservierter Platz befand sich in einem Großraumwagen. Sie öffnete die Automatiktür, schob ihren Rollkoffer in den freien Raum zwischen Wand und erster Sitzreihe und seufzte. Der erste Teil der Reise war geschafft. »Darf ich?«, fragte sie.

Der junge Mann auf dem Gangplatz sah auf, aus seinen Ohrhörern plärrte Rap. Sie lächelte und deutete auf den freien Platz, er erhob sich.

»Vielen Dank!«

Sie ließ sich auf den Sitz fallen, stellte ihre Handtasche zwischen die Füße und hängte ihre Jacke auf. Der Zug fuhr an und aus dem Bahnhof, rumpelte über die Gleise Richtung Osten.

Carina lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster, an ihr zogen alte und neue Gebäude vorbei, gut in Schuss oder verwahrlost. Einige Minuten ließ sie sich treiben, dann zückte sie das Smartphone und checkte die eingegangenen Nachrichten.

Ihre Stellvertreterin auf der Arbeit brauchte bei einem Problem ihren Rat, ihre Freundin Janine wünschte ihr einen schönen Urlaub und ein paar nette Flirts, ihr Vater bat sie um einen baldigen Anruf. Carina schrieb die Antworten und holte anschließend ihren E-Reader aus der Handtasche. Sie las an der Stelle im Roman weiter, an der sie ihn bei der U-Bahn-Fahrt zum Bahnhof hatte abbrechen müssen.

Irgendwann erschien der Zugbegleiter und bat um die Fahrkarten. Sie schreckte aus dem Buch hoch und blinzelte den Mitarbeiter der Deutschen Bahn an. »Wie bitte?«

»Ihre Fahrkarte, bitte.« Der groß gewachsene Blonde lächelte.

»Oh ja, natürlich.« Sie legte den Reader vor sich auf das Tischchen, fummelte das Ticket nicht ohne Schwierigkeiten aus ihrer Handtasche hervor und reichte es ihm.

Sie nutzte die Pause, um etwas Wasser aus ihrer Flasche zu trinken und nach draußen zu sehen. Der Intercity rauschte zwischen Feldern, Wiesen und Wäldern hindurch, ab und zu huschten Dörfer oder einzelne Häuser vorbei. Eines davon war in einem seltsamen Beigeton getüncht und erinnerte mit den farblich abgesetzten Fenstern an einen Menschen mit ungesund blasser Gesichtsfarbe.

Genauer gesagt erinnerte es sie an Monika.

Carina kannte Juist von einem Kurzurlaub und hoffte, dass die Insel der älteren Frau helfen konnte, zu sich selbst und in ein besseres Leben zu finden. Sie hatte vollkommen erschöpft gewirkt. Und die braunen Augen so unglücklich, dass es ihr Herz berührte. Ob das mit ihrem Ehemann zu tun hatte, den sie kaum erwähnt hatte? Außerdem unterstrichen ihre langweilige Kleidung, der brave graublonde Haarzopf und die gebückte Haltung den Eindruck von Zurückhaltung und Vermeidung von Aufmerksamkeit.

Eigentlich hatte sie sich nur deswegen zu Monika an den Tisch gesetzt, weil sie sicher gewesen war, von ihr keine ungewollte Unterhaltung befürchten zu müssen. Dass sie dann selbst eine angezettelt hatte, wunderte sie noch immer. Irgendwie schien die Chemie zwischen ihnen zu stimmen, sonst hätte sie Monika gegenüber nicht so viel von sich erzählt. Oder lag es daran, dass Monika eine Außenstehende war und nichts mit ihrem Leben zu tun hatte? Egal. Wahrscheinlich war nur ihre Nervosität an allem schuld gewesen.

Monika war merklich aufgetaut, und sie selbst war in ihrer Gegenwart etwas zur Ruhe gekommen. Ein unerwartet nettes Frühstück, das ihre eigene Angespanntheit vorübergehend aufgelöst und sie abgelenkt hatte. Erstaunlich, wie schnell sie von einem Thema zum nächsten gewechselt waren. Sie mussten sich in vier Wochen unbedingt über ihre Reisen austauschen!

Carina schmunzelte, senkte den Kopf und vertiefte sich in den Roman.

Die Ansage des Zugbegleiters, dass sie in wenigen Minuten Schwerin erreichen würden, ließ sie hochschrecken. Sie starrte aus dem Fenster. Seitdem sie mit ihren Eltern nach Hamburg gezogen war, war sie nicht mehr im Osten gewesen. Und wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre sie auch heute nicht hier. Sie tat es nur ihrem Vater zuliebe.

Der Zug fuhr in den Schweriner Bahnhof ein, und Carina musterte die neuen, alten und renovierten Häuser rundherum. Es hatte sich einiges verändert.

Wie würde es erst in ihrem Geburtsort aussehen?

Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen.

Sie verscheuchte die Gedanken mit einem Kopfschütteln und konzentrierte sich wieder auf ihr Buch.

Knappe drei Stunden nach Abfahrt in Hamburg verlangsamte der Lokführer das Tempo und fuhr auf Stralsund zu, der Zugbegleiter machte seine Ansage. Carina packte ihre Sachen zusammen, zog sich an und trat auf den Gang hinaus. Der junge Mann neben ihr war bereits in Rostock ausgestiegen.

Sie holte ihren Koffer aus seinem Verschlag, rollte ihn zur Wagentür und blickte hinaus. Noch vor dem eigentlichen Stadtgebiet fuhr der Zug an einem riesigen Einkaufscenter vorbei, es folgten Schrebergärten und Vorstadthäuser, und schließlich rückte die Bebauung an die Gleise heran.

Carina konnte auch hier teilweise immense Veränderungen ausmachen. Das Bild der Stadt aus ihren Erinnerungen schob sich vor ihr geistiges Auge. Wie oft hatten sie und ihre Freundinnen sich samstags hier aufgehalten. Shoppen, Kino, abhängen. Oder sie waren nach der Schule gleich hiergeblieben. Bloß nicht zurück nach Hause.

Ihre Clique hatte aus vier Mädchen bestanden, Sandra, Katharina, ihrer besten Freundin Mandy und ihr selbst. Sie hatten fast jede freie Minute zusammen verbracht, doch wenige Wochen nach ihrem Umzug war der Kontakt eingeschlafen.

Carina seufzte innerlich. Hamburg war mit Altefähr nicht zu vergleichen, und es war ihr schwergefallen, in der Großstadt Kontakte zu knüpfen. An der Realschule war sie die Außenseiterin geblieben, die Ossi-Braut, die sich hinter ihren Büchern versteckte. Auch in den beiden Oberstufenjahren bis zum Fachabitur, für das sie noch einmal die Schule gewechselt hatte. Erst im Laufe der Ausbildung zur Hotelfachfrau hatte sich das geändert.

Der Intercity hielt auf dem äußeren Gleis des Hauptbahnhofs, und sie war überrascht, wie viele Fahrgäste mit ihr ausstiegen. Ihrem Aussehen und Gepäck nach zu urteilen, überwiegend Touristen. War Stralsund inzwischen so beliebt?

Sie rollte ihren Koffer ein Stück aus dem Weg, schloss die Augen und atmete tief die salzige Luft ein. Hier am Strelasund roch es vollkommen anders als an der Elbe, und der Geruch beschwor weitere Erinnerungen herauf. Keine Bilder oder Ereignisse, aber Gefühle. Carina drängte sie zurück, sie wollte jetzt nicht an die ersten fünfzehn Jahre ihres Lebens denken.

Nach einem Orientierungsblick ging sie hinüber zum Fahrstuhl, fuhr eine Etage tiefer und am Ende der Unterführung wieder hinauf. Es blieb ihr noch eine knappe halbe Stunde bis zur Abfahrt des Regionalexpress nach Rügen, also ging sie in die geschichtsträchtige Eingangshalle hinüber.

Beim Bäcker bestellte sie sich einen großen Cappuccino zum Mitnehmen und blieb einen Moment vor dem Reisezentrum stehen, unterhalb des Wandgemäldes der Hansestadt. Von dort aus hatte sie einen guten Blick auf den anderen Teil, der Stralsund und Rügen zeigte. Der Künstler hatte die Wandgemälde Mitte der Dreißigerjahre gemalt, vor dem Zweiten Weltkrieg, und sie konnte sich daran erinnern, dass sie in ihrer Kindheit keine Farbkraft besessen hatten. Sie mussten vor nicht allzu langer Zeit restauriert worden sein.

Überhaupt war der Bahnhof in einem viel besseren Zustand, und sie machte die schwere Messingtafel aus, die den Hauptbahnhof als »Bahnhof des Jahres 2016« auswies.

Carina schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich hatte sie erwartet gehabt, dass alles noch so aussah wie damals.

Sie schlenderte zu ihrem Gleis hinüber, trank den Cappuccino aus und warf den Becher in einen Mülleimer. Der Regionalexpress nach Binz startete hier und wartete bereits mit geöffneten Türen. Bis rüber nach Altefähr waren es nur zwei Haltepunkte und wenige Minuten, die Suche nach einem Sitzplatz wäre verschwendete Zeit gewesen, also blieb sie im Eingangsbereich an der Seite stehen. Kurze Zeit später schlossen sich die Türen, und die Bahn setzte sich in Bewegung.

Der Zug machte einen Bogen um den Süden der Stadt, hielt noch einmal am Rügendamm und fuhr dann über die Brücken und Dänholm nach Rügen.

Sie hatte die Seite des Zuges gewählt, von der aus sie auf der Brücke auf Altefähr schauen konnte. Sie sah den Hafen und das Strand-Freibad dahinter, konnte die Kirchturmspitze von St. Nikolai erahnen. Vereinzelt machte sie Häuser aus, insgesamt wirkte es grüner als damals.

Ihr Magen verkrampfte sich, Erinnerungen stürmten auf sie ein. Schwimmen im Freibad, Rumhängen am Hafen, Eis oder Fischbrötchen, Streifzüge durch den Wald. Die Bilder kamen immer schneller und hinterließen ein beklemmendes Gefühl in ihrer Brust.

Carina schluckte, schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch.

Verdammt, sie hatte von Anfang an gewusst, dass diese Reise keine gute Idee war.

Sie hatte niemals zurückkommen wollen.

Carina drückte dem Taxifahrer den Fahrpreis und ein kleines Trinkgeld in die Hand, bedankte sich und griff nach ihrem Koffer. Kaum zu glauben, dass es vom Bahnhof aus noch immer keine Busverbindung gab. Hätte sie das vorher gewusst, hätte sie gleich die Pendelfähre von Stralsund aus genommen. So wie in ihrer Kindheit.

Sie drehte sich zu dem Haus um, das ihre verstorbene Tante Hanne ihrem Vater vererbt hatte, musterte es von unten bis oben. Das Gesamtbild hatte sich nicht verändert, und es war in einem bemerkenswert guten Zustand.

Das einfache Stadthaus aus dem 19. Jahrhundert, wie man es oft in den ostdeutschen Hansestädten fand, bestand aus drei Etagen. Im Erdgeschoss befand sich das Wirtshaus, das Tante Hanne nach dem Tod ihres Mannes allein weitergeführt hatte, darüber lagen ihre Wohnung und eine Ferienwohnung direkt unter dem Flachdach. Die Fassade in hellem Gelb strahlte in der Sonne mit dem Weiß der Sprossenfenster um die Wette. Über der robusten Holztür zur Kneipe prangte das Namensschild »Zum Alten Fährmann«.

Carina trug den Koffer über den Schotterparkplatz zum Seiteneingang, über den man die Wohnungen erreichte, kramte den Schlüssel aus ihrer Handtasche und betrat den schmalen Hausflur. Die antiken Bodenfliesen waren erhalten geblieben, das hölzerne Treppenhaus im Originalstil erneuert worden. Alles wirkte sauber und gepflegt.

Sie musste über sich selbst schmunzeln, sie hatte tatsächlich eine halb verfallene Ruine oder zumindest ein heruntergewirtschaftetes Haus erwartet.

Sie entschied, sich zunächst in der Wirtschaft umzusehen, schloss die erste Tür auf der rechten Seite auf und betrat den Raum. Die Tische und der Tresen wirkten, als würden die Gäste jeden Moment zurückkehren. Sie erinnerte sich an so manchen Abend hier, es hatten sich immer einige Touristen unter die Stammgäste aus dem Dorf gemischt. Ihr Onkel hatte Bier gezapft, ihre Tante die Getränke und kleine Speisen serviert.

Carina schlenderte durch den Raum, fuhr mit den Fingern über die Holztische, die bereits einen dünnen Staubfilm angesetzt hatten. Dabei war ihre Tante gerade mal zwei Wochen unter der Erde. Hinter der L-förmigen Theke befand sich ein separater Raum für vielleicht zwanzig oder dreißig Personen, genug Platz für gesellige Familienfeiern ihrer eigenen überschaubaren Familie, als die Großeltern noch gelebt hatten.

In die Küche warf sie nur einen kurzen Blick, die moderne Einrichtung war schon ein paar Jährchen alt, aber gepflegt.

Sie seufzte und verließ die Kneipe. Hannes Wohnung im ersten Stock ließ sie aus, für die war sie noch nicht bereit, deshalb stieg sie direkt ins Dachgeschoss hinauf. Ihre Tante hatte die Ferienwohnung immer noch selbst verwaltet, nun würde Carina die nächsten Tage darin wohnen. Bis das Haus verkauft oder zumindest alles in die Wege geleitet war.

Die Zweieinhalbzimmerwohnung überraschte sie mit Laminat, einer modernen und gemütlichen Möblierung und einem Balkon mit grandiosem Ausblick auf den Strelasund.

»Wow!«, murmelte Carina, öffnete die Sprossenflügeltüren und trat hinaus. Der Balkon lag nach hinten raus, rechts hatte sie freien Blick auf die Dorfkirche, links konnte sie im Hintergrund die Strelasundbrücke sehen. Vor ihr im schmalen Hinterhof wiegte sich die Eiche im Wind, über deren Äste sie schon als Kind in die Krone geklettert war. Ihr Onkel hatte eine Holzbank rund um den mächtigen Stamm gebaut.

Sie ließ den Blick über die Dächer schweifen und beschloss, eine Runde durchs Dorf zu drehen. Solange die Einheimischen noch bei der Arbeit waren und sie nicht auffiel.

Carina wanderte die sechs wichtigsten Straßen des Städtchens auf und ab und machte sich mit den neuen Begebenheiten vertraut. Hier das alte Gemeindehaus, in dem sie schon die Jugenddisco besucht hatte, dort der sanierte Kindergarten. Kaum ein Haus sah noch aus wie in ihrer Kindheit. Eines musste sie den Leuten lassen, sie hatten ihre Besitztümer gut behandelt. Das Dorf hatte sich gemacht, war hübsch anzusehen, und besonders der neu gestaltete Ortskern wirkte einladend. Es gab zwei kleine Hotels, außerdem waren die Ferienwohnungen wie Pilze aus dem Boden geschossen. Auch das Haus ihrer ehemals besten Freundin Mandy war zu zwei Ferienwohnungen umgebaut worden, wie der Informationskasten davor verriet.

Sie schluckte und sah an der Fassade empor, zu den Fenstern, hinter denen sich Mandys Zimmer befunden hatte. Die Frage nach ihrem Wegzug war somit geklärt.

Carina schlenderte zum ortsansässigen Supermarkt zurück und versorgte sich mit den wichtigsten Lebensmitteln für zwei Tage. Außer ihr befanden sich keine Kunden in dem überschaubaren Frischemarkt, und die Kassiererin, deren Gesicht ihr vage vertraut vorkam, erkannte sie nicht. Gut.

Mit einem Aufseufzen trat sie vor die Tür, sah sich um und eilte dann zu ihrer Bleibe hinüber. Eine Handvoll Menschen liefen durch die Straßen, aber es befand sich kein bekanntes Gesicht darunter. So wie erhofft.

Sie wusste, dass sie den Einheimischen nicht während ihres gesamten Aufenthalts aus dem Weg gehen konnte, aber je später man sie erkannte, desto besser.

Die Blicke und Bemerkungen in den Wochen vor ihrem Wegzug waren ihr immer noch im Gedächtnis.

3. Monika

»Herzlich willkommen an Bord der Frisia II zur Überfahrt nach Juist! Diese wird heute etwa eine Stunde und fünfzehn Minuten dauern, der Wind weht schwach aus östlicher Richtung. Bitte beachten Sie, dass dies keine Tagesfahrt ist, wir fahren heute nicht wieder zurück. Sie haben nun die letzte Chance, noch von Bord zu gehen.«

Monika zog sich eine graue Jerseymütze mit dem Hamburger Stadtwappen über den Kopf und den Reißverschluss bis zum Kinn hoch. Der Himmel war bedeckt und der Wind oben auf dem Panoramadeck ziemlich frisch, vermutlich war deshalb nicht einmal die Hälfte der Plätze besetzt.

Sie musterte die Passagiere, vor allem Familien mit Kleinkindern und viele Männer und Frauen im Rentenalter, als Paar oder Reisegemeinschaft unterwegs. Einzelne Frauen in ihrem Alter konnte sie an einer Hand abzählen. Sie bemühte sich, auf Kleinigkeiten wie Verhalten oder Gesichtsausdruck zu achten, aber ob sie sie später in der Kureinrichtung wiedersehen würde, konnte Monika beim besten Willen nicht einschätzen.

Also legte sie die Füße auf die freie Bank gegenüber und ließ den Blick über die Reling hinwegwandern. Über die graue Nordsee, die kurzen Wellen. Die Aussicht wirkte beruhigend, sie atmete mehrmals tief ein und aus. In ihr keimte der Wunsch, mit dem Festland auch ihren Alltag hinter sich lassen zu können.

Es war die richtige Entscheidung gewesen, schon einen Tag eher nach Norddeich zu kommen. Nicht nur wegen des gestrigen Zugausfalls, sondern auch, um den Übergang vom Alltagstrott zur Kurauszeit sanfter zu gestalten. Dabei hatte nicht nur die Kaffeerunde ihrer herzlichen Pensionswirtin geholfen, sondern auch der anschließende ausgiebige Spaziergang und die Pause an der Düne am städtischen Nordseestrand.

Sie hatte ihre Gedanken einfach aufs Meer hinaustreiben lassen, und sie waren zum Frühstück mit Carina zurückgekehrt, in die Vergangenheit geschwebt, in die Zeit, als sie in Carinas Alter gewesen war. Julia hatte die Grundschule besucht, Jan noch den Kindergarten. Sie war Hausfrau und Mutter gewesen, Klaus seit kurzer Zeit Teamleiter der Finanzbuchhaltung. Sie hatten das Haus gekauft, ein gutes Leben geführt. Ihre Welt war von Kinderlachen erfüllt gewesen, regelmäßigen Paarabenden, Wärme, Liebe.

Die Erinnerungen hatten ihr Tränen in die Augen getrieben. Was hätte sie dafür gegeben, in diese glückliche Zeit zurückkehren zu können? Denn all das war weniger geworden, schleichend.

Dort am Strand hatte sie versucht, diesen Sentimentalitäten Einhalt zu gebieten, das alles war vorbei. Stattdessen hatte sich das nächste verdammte Problem in den Vordergrund geschoben, die Arbeit. Oder besser gesagt, ihr bald nicht mehr vorhandener Job. Die Unternehmensleitung hatte beschlossen, die Standorte zu verschlanken und einige Bereiche in der Zentrale in Frankfurt zu bündeln. Der Vertriebsinnendienst Nord, ihre Abteilung, gehörte dazu. Mit fast fünfzig stand Monika nun vor der Herausforderung, sich bis zum nächsten Sommer einen neuen Arbeitsplatz suchen zu müssen. Über die Erfolgsaussichten gab sie sich keinerlei Illusionen hin.

Über die der Kur auch nicht. Die Therapeutin hatte ihr zwar explizit dazu geraten, aber sie glaubte nicht, dass nach den drei Wochen ein neuer Job vom Himmel fallen würde. Oder ein veränderter Ehemann. Klaus verbrachte inzwischen so viele Stunden und Nächte außerhalb des gemeinsamen Hauses, dass sie sich sicher war, dass er sie betrog. Sie wusste nur noch nicht, mit wem. Und auch nicht, ob sie so weitermachen konnte. Oder wollte.

Carinas Bemerkung über ihre Kollegin war ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Eine Frau, die nach drei Wochen Kur als anderer Mensch zurückkehrte? Lächerlich! Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Wochen auf Juist eine gravierende Veränderung in ihrem Leben herbeiführen würden.

Klaus hatte sich bis jetzt nicht gemeldet, auch nicht nach ihrer Nachricht auf seiner Mobilbox nach dem gestrigen Abendessen. Sie war in ein Fischlokal eingekehrt, doch sie hatte es nicht genießen können. Eben wegen dieser Ungewissheit und der ständigen Grübeleien.

Nun schloss Monika die Augen und bemühte sich innezuhalten. Sie musste unbedingt raus aus diesem Gedankenkarussell, es machte sie wahnsinnig. Die beste Hilfe dabei war ein Hörbuch. Sie zog die Ohrhörer aus ihrer Handtasche, stöpselte sie ins Handy, startete die Onleihe-App und klinkte sich für eine Dreiviertelstunde aus der Realität aus.

Hinter der Ticketkontrolle im Hafenterminal warteten bereits zwei Mitarbeiterinnen der Kureinrichtung mit einem Willkommensbanner auf die neuen Kurfrauen. Allerdings mussten diese sich zuerst um ihre Koffer kümmern, sie aus den Gepäckcontainern holen und bei Bedarf bei einem Gepäckservice aufgeben, der sie dann mit dem Rad oder einem Pferdewagen zum Haus bringen würde. Monika nahm diese Möglichkeit dankend an, ihr Rücken murrte jedes Mal, wenn sie den Trolley auch nur geringfügig anheben musste.

Sobald das alles erledigt war, hießen sie die Damen der Einrichtung willkommen und machten sich auf den Weg. Die Kurfrauen dackelten brav hinter ihnen her.

Monika ging für sich allein und blendete das Geschnatter um sich herum aus. Stattdessen nahm sie lieber die Details der Insel in sich auf. Das Hinweisschild zum Boule-Platz gleich hinter dem Hafen, der erste Wagen mit einem hellbraunen Pferdegespann, eine Telefonzelle. Dann hatten sie auch schon die Kureinrichtung erreicht, an deren Eingang der Schriftzug »Die Insel« prangte. Es gab eine kurze Information, wo die Frauen ihr Gepäck abstellen konnten und dass es in einer halben Stunde Kaffee und Kuchen zur Begrüßung geben würde, danach die Zimmerschlüssel. So lange durften sie sich noch draußen aufhalten, den Ort erkunden oder tun, wonach auch immer ihnen der Sinn stand.

Monika entdeckte die beiden Sitzbänke auf dem Deich, direkt vor dem Haus, und stiefelte hinauf. Einige Frauen folgten ihr, genossen, wie sie, schweigend den Blick aufs Wattenmeer oder unterhielten sich. Sie wünschte, die anderen würden mal die Klappe halten und die Ruhe auskosten.

Beim Snack wurde es bereits gesellig. Monika setzte sich einfach als Letzte mit an einen Tisch, nannte höflich ihren Namen und widmete sich Kaffee und Kuchen.

Die Frauen tauschten Personalien aus, Namen, Wohnort, familiäre Gesamtlage und warum sie hier waren. Da sie sich nicht mit anderer Leute Problemen belasten und befassen wollte, hörte Monika binnen Kurzem nicht mehr hin. Hoffentlich konnten sie bald auf die Zimmer, sie brauchte dringend etwas Ruhe und Abstand von dem ganzen Trubel.

Nach etwa einer Stunde durften sie sich endlich in zwei Reihen vor der Rezeption aufstellen. Sie erhielten Zimmer- und Schließfachschlüssel, mussten den Empfang der Handtücher quittieren und wurden mit einer knappen Lagebeschreibung entlassen.

Monika bugsierte den Koffer zum Fahrstuhl, fuhr in die zweite Etage und betrat ihr Reich für die nächsten drei Wochen. Mit einem Aufatmen schloss sie die Tür hinter sich.

Als Erstes schob sie den Vorhang zur Seite und öffnete das Fenster. Die Luft war herrlich. Das Zimmer an sich war nicht sehr groß und neben Kleiderschrank und Einzelbett mit Tisch und Stuhl, Sessel und Beistelltisch möbliert. Der kleinformatige Fernseher stand auf einer schmalen Kommode.

Sie verstaute die Sachen im Kleiderschrank und im Bad und den leeren Koffer hinter der TV-Kommode. Dann zog sie die Schuhe aus, ließ sich rücklings aufs Bett fallen und schloss die Augen. Die Stille war eine Wohltat, ab und zu unterbrochen von Fahrradfahrern oder Hufgetrappel.

Bevor sie jedoch Gefahr laufen konnte einzuschlafen, rollte Monika sich vom Bett und setzte sich mit dem Handy ans Fenster. Sie versuchte ein weiteres Mal, ihren Ehemann zu erreichen. Diesmal schaltete sich die Mobilbox direkt ein.

Der altbekannte Ärger wallte in ihr auf, und sie schrieb ihm nur eine knappe Nachricht, dass sie nun auf Juist angekommen sei. Dann warf sie das Handy aufs Bett und starrte aus dem Fenster.

Im kleinen Speisesaal erwartete sie die erste Überraschung. Es gab eine feste Sitzordnung, die von der Lage der Zimmer abhing. Diejenigen, die von ihrem Fenster aus die Aussicht gen Süden auf das Wattenmeer genießen konnten, saßen im inneren Bereich. Die Bewohnerinnen der Zimmer mit Blick auf die Dünen auf der Nordseite erhielten Plätze an den Fenstern.

Damit konnte Monika leben, ihr war es einerlei. Nach der obligatorischen Identifikationsrunde kehrte sie mit Suppe und Salat vo Mini-Buffet zurück und wünschte ihren Tischnachbarinnen einen guten Appetit.

Monika hatte nie zu den Menschen gehört, die sich ohne Angst in unbekannte Situationen stürzten, also lauschte sie den zurückhaltenden Gesprächen um sich herum. Einige erzählten, sie seien bereits am Strand oder im Ort gewesen, andere berichteten von ihrer Anreise. Alle hielten sich mit tiefergehenden Informationen zurück, und sie fragte sich, ob sie hier vielleicht jemanden finden würde, dem es ging wie ihr. Die Mehrheit der Kurenden schien über vierzig zu sein, einige sogar über sechzig, nur wenige Mütter waren definitiv jünger.

Nach dem Essen stieg der Lärmpegel an, es wurde ihr zu viel. Monika wünschte den Tischnachbarinnen eine gute Nacht und verabschiedete sich. Auf dem Weg zu ihrem Zimmer überfiel sie ein Gefühl von Enge, sie musste dringend an die frische Luft. Also schnappte sie sich Jacke, Handy und Zimmerschlüssel und rannte die Treppen wieder hinunter.

Vor dem Gebäude orientierte sie sich, überlegte kurz und wandte sich nach Westen. Auf keinen Fall wollte sie noch durch den Ort flanieren, sie wollte weg, nur weg von anderen Menschen.

Monika versenkte die Hände in den Taschen und lief an verschiedenen Häusern mit Ferienwohnungen entlang, dann Ferienhäusern, einem Seeferienheim, Salzwiesen und Dünen. Dahinter begann die nächste Siedlung, Loog. Die Ferienhäuser reihten sich aneinander, mal älter, mal moderner, mal mit kleinem, mal mit größerem Garten. In einigen Küchen und Wohnzimmern brannte Licht, sodass sie einen Blick auf verschiedene Familienleben erhaschen konnte.

Ein tiefer Seufzer stieg in ihr auf. Die unbeschwerten Zeiten, als Julia und Jan noch nicht schulpflichtig gewesen waren, gehörten schon lange der Vergangenheit an. Ihre Familie hatte sich aufgelöst, angefangen mit Julias Auszug nach Berlin. Jan hatte die Abende kaum noch zu Hause verbracht, geschweige denn das Abendessen. Das hatten Klaus und sie allein zu sich genommen, die Gespräche versiegten ebenfalls, und irgendwann schwieg das Ehepaar sich nur noch an.

Monika blinzelte gegen den Wind an und zog den Kopf zwischen die Schultern. Sie wollte diese Gedanken nicht, sie war doch hier, um Abstand zu gewinnen. Sie hoffte inständig, dass die Kur etwas bei ihr bewirken konnte.

Die Hauptstraße machte einen Knick, geradeaus gab es noch einen leicht ansteigenden Fußweg, zwischen drei oder vier Ferienhäusern auf jeder Seite hindurch zu den Dünen. Sie ging weiter und entdeckte am Rand der Dünen eine alte Mauer, halb verdeckt von Buschwerk.

Monika setzte sich auf die Mauer, ließ die Beine baumeln und ihre Augen in die Dünen wandern. Neben Gras und niedrigen Büschen stachen die Hagebuttensträucher hervor und der leuchtend gelbe Sanddorn. Der Sonnenuntergang war nur noch eine Frage der Zeit, der Himmel verfärbte sich bereits. Zwischen den Häusern hindurch konnte sie an einer Stelle das Wattenmeer sehen, rundherum herrschte Stille.

Sie atmete langsam ein und aus, schloss die Augen und genoss den Frieden. Eine echte Oase der Ruhe hatte sie hier gefunden, und sie beschloss, sich dieses Plätzchen zu bewahren. Ein Fluchtpunkt, falls der Trubel in der Kureinrichtung ihr über den Kopf wachsen würde.

4. Carina

Carina hastete aus dem Bad ins Schlafzimmer zurück, ihr blieben noch knapp zehn Minuten bis zum Termin mit dem hiesigen Immobilienmakler. Und sie wusste, dass Roland Kreklau immer pünktlich war.

Sie schlüpfte in Jeansrock und Bluse und überprüfte im Schrankspiegel Haare, Mascara und Lipgloss. Kreklau musste ein paar Jahre älter sein als ihr Vater, wie er sich wohl gehalten hatte? Er war schon damals ein gut aussehender Mann gewesen, der mit seiner Präsenz alles überstrahlte, sobald er einen Raum oder eine Szene betrat. Ein eleganter Charmeur mit gewiefter Zunge.

Carina hielt inne, ihr Blick verlor sich in der Vergangenheit. Sein Sohn, Lars, hatte dieselbe Schule besucht, eine Klasse über ihr. Er war der süßeste Junge der Schule und von Altefähr gewesen, mit wunderschönen grünen Augen unter der dunkelblonden Haarmähne. Auch sie hatte als Teenagerin für ihn geschwärmt und nichts unversucht gelassen, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.

Bis zu jenem Samstag in der Jugenddisco.

Sie schüttelte den Kopf und vertrieb die Erinnerungen, das war abgehakt.

Im Flur schlüpfte sie in Ballerinas, stopfte sich den Schlüssel in die vordere Tasche und verließ die Wohnung. Sie hatte gerade den Fuß der Treppe erreicht, da ertönte die Türklingel.

Vor Schreck zuckte sie zusammen, kicherte und atmete tief durch. Öffnete die Tür.

»Guten Morgen, Herr Kreklau! Kommen Sie herein!«, rief sie und erstarrte im selben Moment.

Vor ihr stand nicht der erwartete Roland Kreklau.

Binnen einer Sekunde erfasste sie helle Lederschuhe, eine perfekt sitzende Jeans und ein hellblau schimmerndes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln an einem trainierten Körper. Und dunkelblondes Haar. Gleichzeitig drehte der Mann den Kopf in ihre Richtung, ein Dreitagebart und ein modern gestylter Haarschnitt wurden sichtbar. Und grüne Augen.

»Guten Morgen, Frau …« Er stutzte, das Lächeln wurde etwas schwächer. Seine Augen musterten ihr Gesicht, dann weiteten sie sich.

»Carina?« Seiner Stimme war das Erstaunen anzumerken, sein Blick glitt von unten nach oben über ihren Körper.

Sie straffte die Schultern, hob Augenbrauen und Kinn. Er hatte sie erkannt?

»Guten Morgen, Lars!« Carina bemühte sich um einen freundlichen Ton, konnte aber nicht verhindern, dass sie innerlich auf Abwehr umschaltete.

»Das gibt’s ja nicht! Mensch, hast du dich verändert!«

Er wusste, wie sie früher ausgesehen hatte? Natürlich, wie dumm von ihr, wegen ihres Aussehens hatte er ihr ja eine Abfuhr erteilt.

»Komm herein!« Sie zwang sich zu einem Lächeln und gab den Weg frei. Er betrat den Flur, und sie schloss die Tür.

»Lass dich drücken«, meinte er und zog sie in seine Arme.

Carina stieg ein Hauch von Apfel und Limone in die Nase, seine Nähe war ihr überdeutlich bewusst. Sie versteifte sich, da schob er sie von sich, hielt sie an den Schultern fest.

»Wahnsinn!« Er lachte. »Dich hätte ich am allerwenigsten erwartet. Eigentlich hatte ich einen Termin mit deinem Vater.«

»Der konnte nicht kommen, zu viel Arbeit. Aber ich hatte auch deinen Vater erwartet.«

Lars’ Lächeln verblasste, er ließ die Hände sinken. »Mein Vater musste sich vor zwei Jahren aus dem Geschäft zurückziehen. Er leidet an Parkinson.«

»Du meine Güte!« Sie schlug die Hand vor den Mund. »Tut mir leid, das wusste ich nicht.«

Er winkte ab. »Schon in Ordnung.«

»Wie geht es ihm denn?«

»Soweit ganz gut.« Sie sah, dass er die Lippen zusammenpresste, bevor er sich nach dem Eingang zur Kneipe umsah. Okay, er wollte also nicht darüber reden.

»Wollen wir mit der Wirtschaft anfangen?«

Lars sah sie an, und sie deutete zu der Tür hinüber. »Gerne.«

Carina schloss auf und ließ ihm den Vortritt.