Strandglück und bittersüße Träume - Sontje Beermann - E-Book
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Strandglück und bittersüße Träume E-Book

Sontje Beermann

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Beschreibung

Manchmal braucht man eine zweite Chance, weil die erste zu früh kam.

Romy Wilken lebt an der malerischen Ostseeküste, liebt ihren Job und ihre Familie. Aber ihr geht es wie vielen Frauen in ihrem Alter - ihre Tochter nabelt sich langsam ab und ihr Mann ist nur noch ein übellauniger Mitbewohner. Nach einem Streit fährt sie in ihren Heimatort Boltenhagen, um zur Ruhe zu kommen, über ihr Leben nachzudenken. Und trifft überraschend auf ihre erste große Liebe.

Niklas "Nick" Kossyk ist damals ohne ersichtlichen Grund aus ihrem Leben verschwunden, hat ihr das Herz gebrochen und ihre Zukunft verändert. Nun steht er vor ihr, reifer aber noch genauso wild und unwiderstehlich wie damals. Erneut stellt er ihre Welt auf den Kopf, lässt ihr Herz heftig klopfen, und in seiner Nähe spürt sie, wie damals, diese Sehnsucht nach mehr.

Doch dann wirbeln einige Turbulenzen ihr Leben durcheinander und Romy muss sich entscheiden, was sie wirklich will.

Ein emotionaler Ostseeroman über zweite Chancen, Entscheidungen, Mut und die wahre Liebe.

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Buchtipp – Regen in meinem Herzen
Danksagung
Alle Informationen über Katie McLane findest du hier:
Meine Veröffentlichungen als Katie McLane

 

 

Strandglück und bittersüße Träume

 

Von Sontje Beermann

 

 

 

 

 

Buchbeschreibung:

Manchmal braucht man eine zweite Chance, weil die erste zu früh kam.

 

Romy Wilken lebt an der malerischen Ostseeküste, liebt ihren Job und ihre Familie. Aber ihr geht es wie vielen Frauen in ihrem Alter - ihre Tochter nabelt sich langsam ab und ihr Mann ist nur noch ein übellauniger Mitbewohner.

Nach einem Streit fährt sie in ihren Heimatort Boltenhagen, um zur Ruhe zu kommen, über ihr Leben nachzudenken. Und trifft überraschend auf ihre erste große Liebe.

Niklas Kossyk ist damals ohne ersichtlichen Grund aus ihrem Leben verschwunden, hat ihr das Herz gebrochen und ihre Zukunft verändert. Nun steht er vor ihr, reifer aber noch genauso wild und unwiderstehlich wie damals. Erneut stellt er ihre Welt auf den Kopf, lässt ihr Herz heftig klopfen, und in seiner Nähe spürt sie, wie damals, diese Sehnsucht nach mehr.

Doch dann wirbeln einige Turbulenzen ihr Leben durcheinander und Romy muss sich entscheiden, was sie wirklich will.

 

 

 

 

 

Über die Autorin:

Sontje Beermann lebt mit ihrer Familie im Herzen des Ruhrgebiets.

Sie schreibt Romane, die ans Herz und unter die Haut gehen. Weil sie an große Gefühle und die Chancen im Leben glaubt.

Ihre romantischen Geschichten mit Happy End sind stark, leidenschaftlich und emotional, gewürzt mit einer guten Portion Humor. Und auch ein gewisses Knistern darf natürlich nicht fehlen.

 

 

 

 

 

 

Strandglück und bittersüße Träume

 

 

 

Von Sontje Beermann

 

 

 

Impressum:

1. Auflage, 2023

© Sontje Beermann – alle Rechte vorbehalten.

Cover: Dream Design – Cover and Art, Renee Rott

Lektorat: Franziska Schenker

 

Sontje Beermann / Katie McLane

c/o easy-Shop, K. Mothes

Schloßstr. 20

06869 Coswig

 

[email protected]

https://katie-mclane.de/Weitere-Romane/Sontje-Beermann/

 

 

Playlist

»The Day Before You Came« - ABBA

»Soll Das Etwa Alles sein?« – Luxuslärm

»Alles Brennt« – Johannes Oerding

»Our Last Summer« – ABBA

»Because You Loved Me« – Celine Dion

»Bis Zum Schluss« – Curse feat. Silbermond

»Kompass« – Udo Lindenberg

»Bilder Von Dir« – Laith Al-Deen

»Kiss From A Rose« – Seal

»Lost On You« – LP

»Wenn Du Lebst« – Johannes Oerding

 

Oder direkt bei Spotify hören:

https://open.spotify.com/playlist/1lylNCX1qO2HYxeFTqWW2U?si=e7ccfb86ae764bd7

 

Kapitel 1

Romy Wilken lehnte sich mit der Hüfte gegen die Arbeitsfläche, trank den letzten Schluck Kaffee und schaute aus dem Küchenfenster. Die Morgendämmerung tauchte die wenigen Wolken über der Siedlung in ein stimmungsvolles Lila-Rosa und die zeitlose ABBA-Ballade im Radio half ebenfalls, ihrem oft frustrierenden Alltag für einen Moment zu entfliehen.

Zwei Minuten, nur für sich. Selten genug.

Oben erklangen die Schritte ihres Ehemanns, pünktlich wie immer, und sie lief zur Kaffeemaschine. Schenkte ihm eine Tasse ein und stellte sie auf die übliche Stelle am Küchentisch, neben die Ostseezeitung. Dann füllte sie ihren eigenen Porzellanbecher noch einmal auf, nahm auf ihrem Stuhl Platz und sah erwartungsvoll zur offenen Tür.

»Guten Morgen!« Halbwegs munter betrat Hendrick die Küche.

»Morgen.« Erleichtert nahm sie sich eine Scheibe Knäckebrot aus dem Körbchen, öffnete die Schale mit selbstgemachtem Kräuterquark.

»Hat Sophia verschlafen?« Er hängte sein Jackett über die Stuhllehne, drückte die Krawatte gegen seinen kleinen Wohlstandsbauch und setzte sich.

»Eigentlich nicht.«

Wie aufs Stichwort trampelte ihre fünfzehnjährige Tochter die Stufen herab, warf den Rucksack im Flur neben die Tür und eilte zur Kaffeemaschine. »Morgeeen!«

Hendrick murmelte eine Erwiderung und schlug die Zeitung auf, Romy lächelte sie an.

»Morgen, Mäuschen. Bist du fit für die Bio-Klausur?«

»Und wie! Hast du die Milch schon warmgemacht?«

»Na, klar.«

»Du bist die Beste, danke.«

In ihrer Brust breitete sich ein warmes Gefühl aus, wenigstens ein Familienmitglied, das ihre Bemühungen zu schätzen wusste.

Sophia plumpste auf ihren Stuhl, trank einen Schluck Kaffee und rührte den kleingeschnittenen Apfel unter ihren Joghurt. Dabei plapperte sie munter über ihre Termine der Woche und jammerte, wie hoch ihr Lernpensum im zweiten Halbjahr war.

Ihr Vater schnaubte. »Na, na, beschwer dich mal nicht. Als ich in deinem Alter war –«

»Warst du im letzten Schuljahr und kurz vor der Ausbildung, ich weiß.« Sie verdrehte die Augen und schob sich einen Löffel Obstjoghurt in den Mund.

»Ganz genau. Und dieses Augenrollen kannst du dir sparen, sonst unterhalten wir uns heute Abend mal darüber, was du fälschlicherweise für selbstverständlich hältst.«

Romy bemerkte den verletzten Gesichtsausdruck ihrer Tochter, bevor sie den Kopf senkte und hinter dem Vorhang aus langem, dunkelblondem Haar verschwand.

»Hendrick, bitte, muss das schon am frühen Morgen sein?«

»Wenn ihr nicht bewusst ist, wie gut es ihr geht, ja.«

Statt einer Antwort atmete sie tief durch und aß den letzten Bissen Knäckebrot.

Wenn sie jetzt schwieg, hätte er es bis zum Abend vergessen und bessere Laune. Was das eigentliche Problem natürlich nicht aus der Welt schaffte.

Also beendeten sie das Frühstück in Stille, lasen, surften durch soziale Netzwerke oder beschäftigten sich mit anderweitigen Entertainment-Apps, bis es Zeit war, aufzubrechen.

Sophia half ihrer Mutter beim Aufräumen, nur Hendricks halbvolle Kaffeetasse blieb stehen. Dann packten sie ihre Verpflegung ein und Romy stellte ihrem Mann die Brotdose auf den Tisch.

»Hier. Hab einen stressfreien Tag.«

»Danke, du auch.«

Sie verabschiedeten sich mit einem belanglosen Küsschen, Romy hob ihren gefüllten Einkaufskorb aus schwarzem, bunt gepunktetem Stoff von der Arbeitsfläche und folgte ihrer Tochter in den Flur. Dort streiften beide ihre Jacken über, Romy nahm Schlüssel und Handtasche. Zusammen verließen sie das Haus, stiegen in den kleineren Zweitwagen der Familie und fuhren Richtung Ortszentrum.

Da sie Sophias gedrückte Stimmung nur schlecht ertragen konnte, räusperte sie sich. »Triffst du dich diese Woche zum Lernen wieder mit Leonie?«

Ihre Tochter ließ das Smartphone sinken. »Ja. Und mit ein paar anderen.«

»Und wo?«

»Mal sehen.«

»Okay. Falls es bei uns sein soll, sag nur früh genug Bescheid, damit ich entsprechend Abendessen einplanen kann.«

»Geht klar.«

Wieder Schweigen.

»Sonst alles gut bei dir?«

»Ja.«

»Hm.«

»Was, hm?«

Romy zuckte mit den Schultern. »Ich mein ja nur. Sonst erzählst du mir immer so viel.«

»Ich habe gerade keinen Bock zu reden.«

Tja, das konnte sie verdammt gut verstehen.

Also hielt sie die Klappe und konzentrierte sich auf den Verkehr, der sich wie immer um diese Zeit vor der Wismarer Altstadt staute.

Wenige Minuten später fuhr sie durch den Kreisverkehr, bog auf die Dahlmannstraße ab und scherte kurz darauf in die Parkplatzeinfahrt des Gymnasiums ein, das ihre Tochter besuchte.

»Hab einen schönen Tag.« Sie beugte sich zu Sophia, die ihr ein Stückchen entgegenkam.

»Du auch, Mama.«

Ein Kuss aufs Haar, schon stieß ihre Tochter die Tür auf und sprang aus dem Wagen.

Zwei Sekunden sah Romy ihr nach, dann fädelte sie sich wieder in den Verkehr ein. Bog an der nächsten Kreuzung Richtung Süden ab und etwas später auf den Parkplatz des kleinen Einkaufszentrums, in dem sich unter anderem ihr Arbeitsplatz befand.

Mit Korb und Handtasche eilte sie zum Hauseingang, dessen Tür bereits angelehnt war, und die Treppen in die erste Etage hinauf. Dort betrat sie die gynäkologische Praxis, in der sie seit über zehn Jahren als medizinische Fachangestellte arbeitete, und marschierte direkt in den Pausenraum.

»Guten Morgen, zusammen!«

»Morgen, Romy!«, schallte es ihr vielstimmig entgegen.

Sie verteilte und erhielt Umarmungen, ging in den Umkleideraum gleich dahinter. Vor ihrem Schrank wechselte sie Jeans und Pullover gegen die Arbeitskleidung, weiße Hose und apfelgrüner Kasack mit Praxislogo. Band sich ihr schulterlanges Haar zu einem Zopf zusammen und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Noch eine schnelle Tasse Kaffee, dann konnte sie für ein paar Stunden in ihren Tätigkeiten aufgehen und den Alltag vergessen.

 

*

 

In bester Laune fuhr sie um halb drei nach Hause, kochte Kaffee und setzte sich mit einer Tasse auf die Terrasse.

Im Gegensatz zum Schmuddelwetter der letzten Woche schien endlich die Sonne und Romy hob ihr das Gesicht entgegen, schloss die Augen. Außer einigen Vogelstimmen und einem weit entfernten Treckerbrummen herrschte Stille in ihrem Wohngebiet am westlichen Stadtrand. Eine kurze Verschnaufpause, bevor die Kinder aus der Schule zurückkehrten, die sie jeden Tag genoss, vor allem nach einem belastenden Arbeitstag.

Zum Glück war dies heute nicht der Fall gewesen und sie fühlte sich so gut, dass sie beschloss, eine Runde stöckeln zu gehen.

Romy leerte ihre Tasse, stellte sie in die Spülmaschine und lief ins Bad hinauf. Dort schlüpfte sie in ihre Laufkleidung, an der Garderobe im Erdgeschoss in ihre Walking-Schuhe. Dann koppelte sie ihre Bluetooth-Ohrhörer mit dem Handy, startete ihre Playlist und verstaute es in der Tasche ihrer Laufjacke. Schnappte sich ihre Nordic-Walking-Stöcke, schloss die Haustür ab und machte sich auf den Weg.

Über Feldwege und am Straßenrand lief sie ihre übliche Strecke, rüber nach Hoben, ans Wasser und zurück. Begleitet von ihrer liebsten Motivationsmusik ließ sie den Gedanken freien Lauf, powerte sich aus und kam nach einer Stunde entspannt zu Hause an.

An der Garderobe verstaute sie die Stöcke und zog einen Hörer aus dem Ohr, schaute die Treppe hinauf. »Sophia?«

»Jaaa?«

»Hast du dir etwas zu essen gemacht?«

»Ja, den Rest Suppe von gestern.«

»Okay.«

Sie lief in die Küche und mit einer Wasserflasche hinaus auf die Terrasse. Jetzt brauchte sie erst einmal zwanzig Minuten zum Abkühlen. Danach stieg sie unter die Dusche, betrachtete sich vor dem Eincremen von allen Seiten im Spiegel und seufzte.

In gut zwei Monaten würde sie ihren 45. Geburtstag feiern und es wurde immer schwieriger, Gewicht zu verlieren. Egal, wie gesund sie kochte oder wie viel Sport sie trieb. Und von ihrem Traumgewicht Anfang zwanzig hatte sie sich auch längst verabschiedet.

Trotzdem sah sie mit ihren Kurven doch nicht schlecht aus, oder?

Am Ende zog sie Yogahose und Shirt an, föhnte sich das schon halb ergraute dunkelblonde Haar und lief in die Küche hinunter, um mit der Vorbereitung des Abendessens zu beginnen.

Am Radio schaltete sie auf Ostseewelle, lauschte Musik und News, während sie Paprika, Tomaten und Zucchini für das Ofengemüse schnippelte. Sie vermengte es mit Olivenöl, Salz und mediterranen Gewürzen, füllte alles in eine Gratinform und bedeckte sie mit Alufolie. Dann schnitt sie zwei übrig gebliebene Kartoffeln in Scheiben, würfelte Zwiebeln und Speck, weil Hendrick Bratkartoffeln liebte. Und gerade als sie die Hähnchenschnitzel vorbereitete, fuhr der Familienvan vor.

Lächelnd warf sie einen Blick zum Fenster, beobachtete ihren Mann beim Aussteigen. Sein rechteckiges Gesicht wirkte entspannt, prima.

Kaum fiel die Haustür hinter ihm ins Schloss, wandte sie den Kopf Richtung Flur.

»Hallo, Schatz!«

»Hallo.« Er kam zu ihr und gab ihr ein Küsschen. Fuhr sich durch das dunkle Haar, das an den Seiten langsam grau wurde. »Endlich Feierabend.«

»War viel zu tun?«

»Gehaltsabrechnung für einige Kunden und ein paar Termine mit steuerlicher Beratung, aber nichts Großartiges. Also recht entspannt.«

»Super. Willst du noch duschen? Essen ist in einer halben Stunde fertig.«

»Nein, ich ziehe mich nur um und setze mich dann mal zehn Minuten mit einem Bier auf die Terrasse.«

»Mach das, es ist herrlich draußen.«

Damit widmete sie sich wieder dem Abendessen, summte vor sich hin und rief Sophia früh genug zum Tischdecken herunter.

»Essen wir drüben?«

Romy warf ihrer Tochter ein Lächeln zu. »Ja, bitte. Und sag Papa Bescheid, in fünf Minuten ist Abendbrot fertig.«

»Okay.« Sophia nahm Besteck sowie Servietten und ging durch den offenen Türbogen in den Wohnbereich hinüber, wo gleich vornan der Esstisch stand.

Sie selbst holte das Gemüse aus dem Ofen und die Schnitzel aus der Pfanne, richtete liebevoll die Teller an und trug sie zum Esstisch, auf dem eine Flasche Wasser und Gläser bereitstanden.

»Mmh, das sieht ja lecker aus.« Hendrick saß bereits auf seinem Stuhl am Kopfende und trank noch einen Schluck Bier aus der Flasche.

»Und schmeckt bestimmt auch so.« Sophia leckte sich über die Lippen.

»Das hoffe ich doch.« Romy stellte ihnen die Teller hin und nahm ebenfalls Platz. »Guten Appetit.«

»Guten Appetit.«

Beim Essen plauderten sie über alles Mögliche, und Romy genoss es, welch positive Atmosphäre sich entwickelte. Auch steigerte es ihre gute Stimmung, weshalb sie sich später auf der Couch mit ihrem Buch an ihren Mann kuschelte und seine Hand landete sogar auf ihrem Bein. Angeregt von einem sehr leidenschaftlichen Kapitel keimte schließlich eine Idee in ihrem Kopf auf.

Kurz nachdem Sophia sich ins Bett verabschiedet hatte, schalteten auch sie den Fernseher ab und gingen hoch ins Schlafzimmer. Nach der jeweiligen Abendroutine krochen sie unter die Decken und knipsten das Licht aus, machten es sich gemütlich und wünschten sich eine gute Nacht.

Einige Minuten lang lauschte Romy in die Dunkelheit.

Nein, von ihrer Tochter war nichts mehr zu hören.

Sie wandte den Kopf nach links und versuchte, Hendricks Kontur auszumachen. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, atmete aber noch nicht regelmäßig. Deshalb nahm sie allen Mut zusammen und tat es einfach.

Vorsichtig drehte sie sich auf die Seite und rutschte an ihn heran, unter seine Decke. Streichelte sein Rückgrat hinauf, über die Hüfte nach vorn. Sie küsste seinen Nacken, atmete seinen Duft ein.

Er grummelte unwillig.

Nun knabberte sie sanft an seinem Hals, ihre Hand glitt über seinen Schritt.

»Was soll das? Was machst du da?«

»Wonach fühlt es sich denn an?« Es klang frecher, als sie sich fühlte.

»Lass mich, ich will schlafen.« Ihr Mann schüttelte sie mit einer schroffen Bewegung ab.

Dass er sie abwies, war bereits einige Male vorgekommen, aber das ...

Fassungslos wich Romy in ihre Betthälfte zurück, drehte sich von ihm weg und zog die Decke um sich herum hoch. Ihr Herz raste, der Knoten in ihrem Magen brannte.

Mit leerem Blick starrte sie ins Halbdunkel und fragte sich, womit sie sein Verhalten verdient hatte.

Ihre Augen wurden von Tränen überflutet, nahmen ihr die Sicht, und nur mit Mühe konnte sie einen Seufzer unterdrücken.

Sie presste die Lider zusammen und stopfte sich eine Ecke der Bettdecke in den Mund, schaffte es aber kaum, den nächsten Schluchzer zu dämpfen.

Sie erstarrte vor Schreck, hielt die Luft an und lauschte.

Hatte er etwas gehört?

Nein, Hendrick reagierte nicht, atmete ruhig und gleichmäßig weiter.

Sie schluckte, verkrampfte, rang eine Weile mit sich.

Und verlor.

Eilig schlüpfte sie aus dem Bett und in ihre Pantoffel, lief in die Küche hinunter. Auf dem Weg nahm sie ihre übergroße Strickjacke von der Garderobe und zog sie über, raffte sie über dem Busen zusammen. Nachdem sie die Küchentür mit einem leisen Klicken hinter sich geschlossen hatte, schaltete sie die Lampe an der Dunstabzugshaube ein.

Ihr Blick glitt zum Kühlschrank.

Noch einmal kämpfte sie gegen den Drang an, wollte sich davon abhalten.

Aussichtslos.

Sie brauchte jetzt Trost.

Das Licht des Kühlschranks blendete sie für einen Moment, sie blinzelte. Dann sah sie die Schüssel mit dem Rest der selbstgemachten Mousse au Chocolat vom Vortag. Es war noch mehr als die Hälfte davon übrig.

Sie griff danach, nahm einen Esslöffel aus der Schublade und setzte sich an den Küchentisch. Mit einer beinahe feierlichen Geste lüftete sie die Frischhaltefolie, tauchte den Löffel in die herrlich luftige Masse und führte ihn samt Ladung in ihren Mund.

Romy schloss die Augen und genoss das seidige Gefühl im Mund, ließ sich die Mousse auf der Zunge zergehen.

Wie gut das tat!

Noch ein Löffel.

Sie seufzte zufrieden.

Ein weiterer Löffel, noch einer.

Immer schneller.

Bis es kein Genuss mehr war.

Und die Schüssel leer.

Sie legte den Löffel zur Seite und wischte mit dem Finger die letzten Spuren zusammen, schleckte ihn ab.

Erst jetzt erwachte sie aus diesem Schokoladenrausch, ließ die Hand sinken und schluckte.

Hatte sie das wirklich getan?

Hatte sie gerade die gesamte Mousse au Chocolat vertilgt?

Sie schluckte erneut und in ihr kroch Panik hoch, gepaart mit fiesen Gewissensbissen.

Was sollte sie morgen ihrem Mann erzählen, wenn er danach fragte? Es war doch sein Lieblingsdessert.

Romy biss sich auf die Lippe. Sie hätte das nicht tun, niemals die ganze Schüssel essen sollen. Hendrick würde sie nur wieder damit aufziehen.

Erneut quollen Tränen aus ihren Augen, das schlechte Gewissen wuchs zu fast körperlichen Schmerzen an. Und erst jetzt wurde ihr überdeutlich bewusst, dass die relativ neue Pyjamahose an den Oberschenkeln spannte und der Bund ihren Bauch schnürte.

Nein, das hätte sie auf keinen Fall tun dürfen.

Hektisch überlegte sie, wie sie es verheimlichen konnte.

Sollte sie die Folie wieder über die Schüssel ziehen und diese dann so im Kühlschrank verstecken? Oder lieber spülen und sich eine Ausrede überlegen? Die Schüssel auf den Boden werfen, damit sie erzählen konnte, sie sei ihr aus den Händen gerutscht?

Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf, aber sie wusste weder ein noch aus.

Doch schließlich keimte eine Idee auf.

Genau. Sie würde erzählen, die Mousse hätte bereits einen pelzigen Belag gehabt, vermutlich zu lange draußen gestanden. Ja, so würde sie es machen.

Erleichtert wischte sie sich die Tränen von den Wangen, zog die Nase hoch und räumte alles in die Spülmaschine. An der Tür warf sie noch einen Blick in die Runde.

Okay, nichts deutete auf ihre Nascherei hin.

Sie huschte in die Gästetoilette im Erdgeschoss, warf sich anschließend kaltes Wasser ins Gesicht, wich dem Spiegel aber aus.

Nach einem letzten Schnäuzen hängte sie die Jacke wieder an die Garderobe und schlich ins Schlafzimmer zurück.

Hendrick schnarchte, er würde sie also nicht hören. Gut.

Ihr Herz raste noch immer, während sie sich in ihre Decke einkuschelte. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, ruhig zu atmen. Bald schon schlug das Dessertkoma zu und sie driftete in den Schlaf, von einem einzigen Gedanken erfüllt.

Bitte, bitte, Hendrick durfte ihr unter keinen Umständen auf die Spur kommen.

 

Kapitel 2

»Romy!«

Genervt von Hendricks Gebrüll aus dem Obergeschoss verdrehte sie die Augen. »Ja?«

»Wo, zum Teufel, ist meine braune Krawatte?«

»Im Schrank, wo sie hingehört.«

»Nein, sonst würde ich dich ja nicht fragen.«

»Keine Ahnung.« Sie schloss die Brotdosen und legte ihre in den Korb.

Wenige Sekunden später kam er die Treppe heruntergepoltert und in die Küche gestürmt. »Was heißt hier, keine Ahnung? Der Haushalt ist deine Aufgabe.«

Gereizt drehte sie sich zu ihm um und hob die Brauen. »Ja, und? Deswegen bin ich noch lange nicht das Kindermädchen für deine Krawatten. Musst du halt mal suchen. Oder ein andere nehmen.«

»Herrgott, du bist echt zu nichts nutze«, murmelte er und marschierte hinaus, die Treppen hinauf.

Seine Worte wirkten wie ein Schlag in die Magengrube, sie klammerte sich schockiert an die Arbeitsfläche.

Hatte er das gerade wirklich gesagt?

Da erklangen Sophias schnelle, leichte Schritte auf der Treppe und Romy kämpfte um Beherrschung.

»Morgen, Mama!« Sie betrat die Küche, blieb aber gleich wieder stehen und musterte Romy mit gerunzelter Stirn. »Alles okay bei dir?«

Sie blinzelte und zwang sich zu einem Lächeln. »Ja, natürlich. Deine Milch steht noch im Mikrowellenherd.«

»Danke.«

Schnell wandte sie sich ab, starrte aus dem zweiten Fenster hinaus auf die rückseitige Kante der Garage und leerte ihre Tasse. Als sie sich so weit wieder im Griff hatte, schenkte sie sich den dritten Kaffee ein und setzte sich zu Sophia an den Küchentisch. »Und? Gut geschlafen?«

Die schluckte den Bissen hinunter und zuckte mit den Schultern. »Geht so. Ich habe Ewigkeiten gebraucht, um einzuschlafen.«

Ihr wurde heiß.

Hatte ihre Tochter vielleicht etwas von ihrer nächtlichen Aktion mitbekommen?

»Das ist natürlich blöd.«

»Ja, total. Ich glaube, heute Abend gehe ich mal eher ins Bett.«

»Mh-hm.« Nervös nahm sich Romy eine Scheibe Vollkornbrot und bestrich sie mit Frischkäse.

Hendrick kehrte in die Küche zurück, nahm Platz und runzelte die Stirn. »Wo ist denn mein Kaffee?«

»Sorry.« Eilig stand sie auf, holte eine Tasse aus dem Schrank und füllte sie mit Kaffee. Stellte sie ihm hin und registrierte die braune Krawatte um seinen Hals.

»Bitte.«

Statt einer Antwort brummte er nur, griff nach der Zeitung und schlug sie auf.

In ihr kochte Ärger hoch und sie versuchte, ihn zu unterdrücken. Erfolglos.

»Du hast sie gefunden.«

Diesmal ignorierte er sie, was ihr einen Stich versetzte.

»Vielen Dank für das Gespräch.« Romy wandte sich ab, nahm wieder Platz.

»Ja, ich habe sie unter einem der gebügelten Hemden gefunden. Wo sie nicht hingehört.«

»Ach, und daran bin ich schuld, oder was?«

»Du räumst doch die gesamte Wäsche in den Schrank.«

»Ich kann das gern ändern, damit so ein Fauxpas auf keinen Fall noch einmal passiert.«

»Das ist Blödsinn.« Hendrick nahm seinen Kaffee, trank einen Schluck und senkte den Blick auf die Zeitung.

»Überhaupt nicht. Ich habe nämlich keine Lust mehr, immer an allem schuld zu sein.«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Doch, das tust du ständig.« Wütend biss sie von ihrem Brot ab und kaute.

»Du übertreibst. Wie immer.«

»Wie bitte? Ich übertreibe immer? Nur weil ich dir die Wahrheit ins Gesicht sage, die dir nicht passt? Ich bekoche dich, mache deine Wäsche und den Haushalt –«

»Das sind deine Aufgaben, ich kümmere mich um Haus und Garten.«

»Trage dir den Arsch hinterher, bediene dich von vorn bis hinten –«

»Hör auf, zu keifen!«

»Ich keife nicht.«

»Doch, das tust du.«

»Könntet ihr bitte aufhören zu streiten!«

Romy verstummte schuldbewusst, Hendrick funkelte Sophia an.

»Du halt dich da raus, du hast hier nichts zu melden.«

Da sprang sie auf, rannte aus der Küche und knallte die Tür hinter sich zu.

Romy sah ihr nach, kurz darauf fiel auch die Haustür unüberhörbar ins Schloss.

Ihr Mann schnaubte abschätzig. »Da hast du es, deine Erziehung.«

»Meine Erziehung? Du behandelst deine Tochter in letzter Zeit immer öfter genauso mies wie mich, das haben wir beide nicht verdient.«

»Anscheinend geht es euch beiden viel zu gut, in anderen Familien –«

»Andere Familien gehen mir am Arsch vorbei, Hendrick. Hier geht es um uns!«

Er hob eine Braue. »Wie ich bereits sagte – hör auf, zu keifen. Vorher rede ich überhaupt nicht mehr mit dir.«

Der Zorn kochte hoch, stieg ihr zu Kopf. Woraufhin sie aufsprang und den Stuhl zurückstieß. »Oh, super! Dann mach deinen Scheiß doch allein.«

Romy ging zur Arbeitsfläche, riss ihren Korb herunter und marschierte an ihm vorbei zur Tür. »Such dir doch eine andere Blöde, die alles richtig macht.«

Sie stürmte hinaus, warf die Tür hinter sich zu und hörte noch seine letzten Worte.

Mit zitternden Fingern zog sie Schuhe und Jacke an, schnappte sich Handtasche sowie Schlüssel und verließ das Haus. Sprang in den Wagen, lenkte ihn vom Grundstück und fuhr davon.

Hinter einigen Straßenecken parkte sie erst einmal zwischen zwei Bäumen am Straßenrand und ließ die Stirn gegen das Lenkrad sinken, das sie viel zu fest umklammerte.

Eine gefühlte Ewigkeit saß sie da, kämpfte gegen Schmerz und Panik an, hörte es wieder und wieder in ihrem Kopf.

Ja, vielleicht wäre das für alle das Beste.

Das hatte er doch nur aus dem Streit heraus gesagt, oder?

Das konnte er nicht ernst meinen.

Genau, nur wegen des Streits. Heute Abend würden sie sich vertragen und alles war wieder in Ordnung.

Hastig richtete sie sich auf und wischte sich über die ungeschminkten Augen, alles trocken. Warf einen Blick auf die Uhr und erschrak.

Verdammt, schon so spät!

Eilig lenkte sie den Wagen zurück auf die Straße und fuhr zur nächsten Hauptstraße, bog ab und sah gerade noch, wie der Schulbus voller Kinder von der Haltestelle abfuhr.

Sie folgte ihm und versuchte, Sophia darin zu entdecken. Gern hätte sie mit ihr gesprochen, bevor die Schule anfing, aber nun würden sie beide auf den letzten Drücker an ihrem Ziel ankommen. Mit schlechter Laune und ordentlich Wut im Bauch.

 

*

 

»Mensch, Romy, das gehört da nicht rein! Was ist denn los mit dir?«

»Tut mir leid.« Eilig korrigierte sie ihren Fehler und wollte sich abwenden, doch Claudia legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Alles okay bei dir?«

Nein.

Sie lächelte ihre ältere Kollegin gezwungen an. »Ja, klar. Ich war nur in Gedanken, sorry.«

Die runzelte zwar die Stirn, doch bevor sie etwas erwidern konnte, machte sich Romy aus dem Staub. Sie hatte noch viel zu tun und keine Lust auf ein Gespräch. Es ging ihr auch so schon schlecht genug.

Irgendwie schaffte sie es, die letzte halbe Stunde ihrer Arbeitszeit aufmerksam zu sein und ihre Aufgaben ordentlich zu erledigen. Dann zog sie sich um und verließ fluchtartig die Praxis, sprang in ihren Wagen und fuhr los.

Sogleich stürmten all die unwillkommenen Gedanken auf sie ein und wieder drehte sich alles in ihr, vor Sorgen und Schmerz.

Sie starrte durch die Frontscheibe auf die Straße, die Lippen aufeinandergepresst, und fragte sich immer wieder, was in den letzten Jahren mit ihnen passiert war.

Klar hatten sie bei Stress gelegentlich gestritten, aber inzwischen kam das viel zu oft vor. Und die Worte von heute Morgen ... das war ein neues Level.

Scheiße, wie hatte es nur so weit kommen können?

Wo war der Mann geblieben, der sich für ihr Innenleben interessierte?

Dem sie immer alles hatte sagen können und der ihre Sorgen teilte?

Er war verschwunden und hatte einem herrischen Kerl Platz gemacht, der ihr die Schuld an allem gab. Alles andere ließ er nicht gelten.

War es da ein Wunder, dass sie regelrecht vereinsamte?

Die Tage zogen in ihrem Einheitsgrau an ihr vorbei, unterbrochen von den seltenen Mädelsabenden mit Simone. Meistens hockte sie abends vor dem Fernseher, strickte oder las. Am Wochenende oft allein, da Hendrick mit seinen Kumpels unterwegs war.

Außerdem traute sie sich kaum noch, ihre Meinung zu äußern. Und weinte manchmal heimlich, um ihm bloß keinen Angriffspunkt zu bieten.

Und ja, sie gab es zu, in den vergangenen Monaten hatte sie mehrfach über eine Trennung nachgedacht. Das war doch keine Ehe mehr!

An einer roten Ampel hielt Romy an, betätigte den Blinker. Blinzelte und wandte den Kopf nach links.

Moment mal!

Was machte sie denn an der Kreuzung beim Einkaufszentrum Gägelow?

Dann bemerkte sie den nach rechts blinkenden Pfeil hinter dem Lenkrad und damit ihre unterbewusste Absicht.

Sie war auf dem Weg nach Hause, nach Boltenhagen.

Sogleich breitete sich das warme Gefühl von Heimat und Geborgenheit in ihr aus, das mit jedem weiteren Kilometer die Hoffnung auf Trost und Klarheit schürte.

Sie fuhr über die Umgehungsstraße ins Ostseebad, vorbei an der weißen Wiek und durch Tarnewitz. Da die Geschwindigkeit hier auf 30 km/h begrenzt war und viel Verkehr herrschte, nutzte sie die Gelegenheit, die Umgebung rechts und links der Ostseeallee zu mustern.

Ein paar Veränderungen fielen ihr auf, wie die riesige Baustelle gleich hinter dem Bauhof mit Annahmestelle für Grünschnitt oder der neue Anbau an der Strandklinik. Auch war weiter Richtung Zentrum eine neue Ferienwohnanlage entstanden.

Himmel, wie lange war sie denn schon nicht mehr hier gewesen?

Ihre Eltern lebten am anderen Ende der Gemeinde, also sparte sie sich normalerweise das Gewusel im Ortskern und fuhr direkt über Klütz zu ihrem Haus. Ja, vermutlich lag es daran.

Ein Stück hinter dem Supermarkt entdeckte Romy ein paar freie Parkplätze, schaute sich in alle Richtungen um und wendete kurz entschlossen. Stellte den Wagen am Straßenrand ab, löste ein Parkticket und legte es sichtbar in die Frontscheibe. Dann schulterte sie ihre Handtasche und wechselte die Straßenseite, folgte einer Sackgasse bis zur Mittelpromenade und nahm einen Trampelpfad zwischen zwei Grundstücken bis zur Strandpromenade.

Dort lief sie die Treppen am Strandaufgang hoch und blieb nach ein paar Metern stehen, um zur Ostsee hinabzuschauen.

Da die Saison erst in ein paar Wochen beginnen würde, standen keine Strandkörbe hinter der Düne im Sand und das Häuschen, in der man sie mieten konnte, war noch geschlossen. Trotzdem waren einige Spaziergänger unterwegs, unten am Spülsaum, wo die blaugrüne See mit minimalen Schaumkronen heranrollte.

Eine ungewohnt sanfte Brise wehte ihr ein paar lose Haarsträhnen ins Gesicht und sie löste spontan ihren Zopf, um den Wind in ihrem Haar zu spüren. Schloss die Augen, atmete tief durch und genoss die lauwarmen Sonnenstrahlen in ihrem Rücken. Das Aroma von Salzwasser und Algen kitzelte sie in der Nase, während sie dem Wind in den Bäumen und Sträuchern rundherum lauschte, dem Meeresrauschen und ein paar Vögeln. Und wie immer wirkte es wie Balsam für ihre Seele.

Schließlich schlenderte sie zur Dünenpromenade und auf ihr entlang Richtung Seebrücke und Ortsmitte. Der Wind pustete ihr das Chaos aus dem Kopf und der Anblick von Düne, Strand und Ostsee taten das Übrige, um ihre Anspannung zu lindern.

Wie gut, dass ihr Unterbewusstsein mit dem vertraut war, was Verstand und Körper brauchten. Aber warum meldete es sich erst jetzt?

Seit zwei oder drei Jahren hatten sie keinen Sex mehr, das war irgendwann selten geworden und schließlich eingeschlafen. Auch Umarmungen waren vor vielen Monaten versiegt und morgens oder nachmittags gab es von Hendrick höchstens mal ein Küsschen zum Abschied oder zur Begrüßung. Inzwischen vermied sie meistens jede Nähe oder mögliche zufällige Berührungen. Weil es sich irgendwie falsch anfühlte und er in gewisser Weise auf Distanz blieb.

Und Ausnahmen wie gestern Abend ... lehrten sie, es dabei zu belassen.

Zumal sie es wirklich versucht hatte, doch alles, was glückliche Paare anders machten, war gescheitert, also hatte sie es aufgegeben. Die Hoffnung auf Sex, Kuscheln, körperliche Nähe, eine Umarmung, ein Streicheln, eine Berührung.

Stattdessen hatte sie sich ein paar Frustkilos angefuttert und ihr Mann nutzte regelmäßig die Gelegenheit, sie auf kränkende Art darauf hinzuweisen, dass ihm ihre rundlichen Hüften und die Speckröllchen am Bauch missfielen.

War es da ein Wunder, dass sie sich oft am liebsten verstecken, unsichtbar machen, verkriechen wollte? Oder vor der emotionalen Kühle flüchtete, die zu Hause oft herrschte? Wenn auch nur zur Arbeit oder einem Abendessen mit ihrer besten Freundin?

Ja, sie hatten sich definitiv mehr als auseinandergelebt.

Meistens quittierte sie lediglich, was er ihr von seinem Tag erzählte, kommentierte es selten. Genauso wenig, wie sie ihm anvertraute, was sie beschäftigte. Weil er es ignorierte und es am Ende immer auf dasselbe hinauslief. Sie konnte ihm nichts mehr recht machen. Wozu also die Mühe?

Die Frage war nur, wie lange sie noch so weitermachen wollte.

Oder konnte.

Durch eine Lücke zwischen den Bäumen schaute Romy zum Adventure Park hinüber, dem neuen Minigolfplatz zwischen Strand- und Mittelpromenade, auf dem einige Paare unterwegs waren.

Ein Schmunzeln stahl sich in ihre Mundwinkel.

An derselben Stelle hatte es schon vor der Wende einen Minigolfplatz gegeben, in der damals üblichen sozialistischen Qualität. Trotzdem hatten sich alle Kinder des Ortes sowie der Urlauber dort für ein paar Pfennige die Zeit vertrieben, wenn es am Strand zu langweilig oder das Wetter zu schlecht wurde.

Dahinter folgten ein Café- sowie ein Theatergarten, die beide zu einem Hotel gehörten, und anschließend ein Spielplatz. Auch der befand sich schon seit Jahrzehnten dort.

Genauso wie die Gebäude des Imbisses Zur Düne.

Romy blieb neben dem geschlossenen Strandkorbvermieterhäuschen an Aufgang 6 stehen, schob die Hände in die Jackentaschen und musterte die Gebäude nachdenklich, während der Wind ihr das Haar ins Gesicht blies.

Beide waren Bestandsbauten aus DDR-Zeiten und seitdem nur selten mit frischer Farbe versehen worden, schon als ihre Eltern noch die Inhaber gewesen waren.

Das wie Fachwerk anmutende Haus an der Strandpromenade, das inzwischen leer stand, hatte früher die Gaststätte mit Sitzplätzen und Tresen beherbergt. Dahinter lag eine große Freifläche mit lang gestrecktem Flachbau zum Kurpark hin, an dem man Imbissgerichte erwerben und mitnehmen oder sofort verzehren konnte.

Ursprünglich in erster Linie als Freiluftimbiss für die Strand- und Kurgäste gedacht, war nach der Wende eine regelrechte Partymeile daraus entstanden, im Volksmund »Ballermann« genannt, und inzwischen wegen Lärmbelästigung sowie Imageaufwertung wieder abgeschafft worden.

Ihre Eltern schüttelten heute noch den Kopf darüber, was in den fast zehn Jahren nach ihrem Abschied dort passiert war. Mehr als die Hälfte ihres Lebens hatten sie den Betrieb geführt, besonders erfolgreich seit Anfang der Neunziger, und sie selbst war praktisch darin aufgewachsen. Heute jedoch war die Anlage das reinste Trauerspiel.

Von ihren Eltern wusste Romy, dass im Gemeinderat verschiedene Möglichkeiten diskutiert wurden, unter anderem Vollsanierung oder sogar Abriss und Neugestaltung. Aber es gab noch keine Entscheidung.

Oder?

Sie kniff die Augen zusammen und schirmte sie gegen die tiefstehende Sonne ab, um einen Blick ins Innere der ehemaligen Gaststätte zu werfen.

Rührte sich etwas da drin?

Kurz entschlossen lief Romy die Stufen hinunter, überquerte die Strandpromenade und hielt vor den gardinenlosen Sprossenfenstern an. Im Innern wirkte es verlassen, aber da links, neben dem Tresen, bewegte sich da nicht gerade die Hintertür?

Erneut kniff sie die Augen zusammen, aber nein, da war keinerlei Regung.

Okay, dann hatte sie sich wohl geirrt.

Mit einem Seufzer wandte sie sich ab und kehrte auf die Strandpromenade zurück. Folgte ihrem Bauchgefühl und ging um das Gebäude herum, am heruntergekommenen Anbau vorbei zur Freifläche. Dort blieb sie erstaunt stehen und ließ den Blick schweifen, das hier war wirklich ein Trauerspiel.

Der Großteil der früheren Betonfläche bestand nun aus Rasen, nur ein breiter, L-förmiger Streifen auf der Rückseite der ehemaligen Gaststätte bis hin zum Imbiss und daran entlang war geblieben. Darauf gruppierten sich Bierbankgarnituren unter einigen Schirmen, dazwischen stand ein Bierwagen und hinten vor dem Imbiss konnte sie Stehtische erkennen. Und schlecht besucht war es ebenfalls.

Das hier war nichts Halbes und nichts Ganzes, wo sollte das denn hinführen? Da war die Gemeinde vermutlich besser beraten, den Bereich komplett neu zu gestalten.

»Das gibts ja gar nicht! Romy? Bist du es wirklich?«

Irritiert von dem Ausruf wandte sie den Kopf nach rechts und erblickte einen Mann in schwarzgrauer Handwerkerkleidung, der auf sie zukam. Das braune Haar zerzaust, der Bart kurz und gepflegt. Sie runzelte die Stirn, irgendetwas an dem Gesicht kam ihr bekannt vor.

Die leicht knubbelige Nase? Die markant vorgewölbten Augenbrauen?

»Entschuldigen Sie, aber kennen wir uns?«

Da blieb er vor ihr stehen und lächelte, breitete die Arme aus. Seine himmelblauen Augen strahlten sie an. »Ich bin es, Nick.«

Sie riss Augen und Mund auf, ihr Herz raste los. »Oh, mein Gott!«

In der nächsten Sekunde fielen sie sich in die Arme, drückten einander und Romys Körper geriet in Aufruhr. Alles in ihr summte und kribbelte, in ihrem Magen flatterte es heftig und das Herz klopfte ihr wie wild bis in den Hals hinauf.

»Scheiße, du bist es«, murmelte er an ihrem Ohr und klang dabei so sehnsuchtsvoll, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. »Endlich.«

Sie presste die Lider zusammen und atmete seinen feurig-fruchtigen Duft ein, noch verlockender als damals. Registrierte die Kraft, die er ausstrahlte.

Und die warme Geborgenheit, die ohne Vorwarnung in ihr aufstieg. Genauso wie das vertraute Kribbeln im Bauch.

Verwirrt von dem riesigen Gefühlschaos in ihrem Innern löste sie sich von ihm, trat einen Schritt zurück und blinzelte. »Was tust du hier? Du bist doch nach Lübeck gegangen.«

Er lachte leise. »Das ist eine lange Geschichte. Außerdem haben wir uns gerade die Düne angesehen, um ein Angebot abgeben zu können.«

»Ein Angebot wofür?«

»Die Sanierung.« Nick drehte sich ein Stück zur Seite und rief einen Mann in Anzug und Wollmantel heran. »Darf ich vorstellen? Das ist Andreas Rump, der leitende Architekt. Herr Rump, das ist Romy Hain, die Tochter der früheren Betreiber der Düne.«

Sie schüttelten sich die Hand. »Inzwischen Romy Wilken. Nett, Sie kennenzulernen.«

»Gleichfalls.«

Nick schaute sie neugierig an. »Ähm, hast du ein paar Minuten? Ich muss nur noch kurz etwas mit Herrn Rump besprechen.«

»Ja, klar.« Schnell schob sie die Hände in die Jackentaschen. Auch um zu verbergen, wie nervös sie die Fingerspitzen aneinander rieb.

Doch der Architekt winkte ab. »Lassen Sie uns morgen telefonieren, Herr Kossyk, das Wichtigste haben wir ja bereits geklärt.«

»Wunderbar, dann melde ich mich gleich früh, wenn das in Ordnung ist.«

»Natürlich.« Sie verabschiedeten sich mit Handschlag, er nickte Romy zu. »Einen schönen Feierabend.«

»Danke, gleichfalls.« Sie lächelte.

Schon wandte er sich ab, schob die Mappe unter seinem Arm zurecht und marschierte in Richtung des Parkplatzes an der Sackgasse neben der Apotheke.

Nick strahlte sie an. »Wie wäre es mit einem Kaffee? Vorn in der Bäckerei?« Er wies mit dem Kinn in die entsprechende Richtung.

»Ja, gern.«

Seite an Seite gingen sie los, am Imbiss vorbei und zur Mittelpromenade.

»Wohnst du noch in Boltenhagen? Und wenn ja, warum sind wir uns nicht längst über den Weg gelaufen?«

Sie schmunzelte. »Nein, ich lebe in Wismar. Und dass ich heute ausgerechnet hier unterwegs bin, ist reiner Zufall.«

»Von wegen, das ist Schicksal! Wie lange ist es her? 25 Jahre?«

Sofort waren die Erinnerungen an jenen Sommer wieder da, brachen über sie herein und feuerten den Tumult in ihr zusätzlich an. »27.«

»Wahnsinn. Und du hast dich kaum verändert, schön wie eh und je.«

Hitze schoss in ihre Wangen und sie traute sich gar nicht, ihn anzusehen. »Ach, was, ich bitte dich!«

»Nein, ich meine das verdammt ernst.«

Verlegen presste sie die Lippen zusammen, wich zwei entgegenkommenden Fußgängern aus und folgte ihm zum Eingang der Bäckerei.

Nick hielt ihr die Tür auf, deutete auf einen freien Tisch am hintersten Fenster. »Setz dich schon mal. Trinkst du deinen Kaffee immer noch schwarz mit einem Löffel Zucker?«

»Ja, danke.«

»Okay.«

Romy lief hinüber, hängte ihre Handtasche über die Stuhllehne und die Jacke darüber. Setzte sich und ließ den Blick durch den Raum gleiten, während sie ihre Hände knetete.

Nein, hier war niemand, den sie kannte.

Hör auf damit, die Heimlichtuerei von damals ist vorbei!

Ihre Anspannung ließ ein Stück weit nach, ihre Schultern sackten herab.

Kurz darauf kam Nick mit einem kleinen Tablett herüber und ihr Herz raste von neuem los.

Weil ihr bewusst wurde, wie vertraut ihr sein Gang und seine Silhouette waren. Und wie viele Erinnerungen sie mit ihm verband.

Wortlos stellte er das Tablett mittig auf den Tisch, zog die Jacke aus und warf sie über die Stuhllehne. Darunter kam ein schlichter schwarzer Arbeitspullover zum Vorschein, der über seinen breiten Schultern spannte und die anderen Muskeln kaum verbergen konnte. Außerdem lugten an seiner rechten Halsseite die Ausläufer eines Tattoos hervor.

Eilig wandte sie den Blick ab und ergriff eine Tasse, während er ihr gegenüber Platz nahm. Stellte sie vor sich ab, riss das Papiertütchen auf und gab den Zucker hinein.

Im Gegensatz zu ihr sah er fantastisch aus, dabei war er einige Jahre älter als sie, vermutlich bereits über fünfzig.

»Mann, ich kann es immer noch nicht fassen.« Er lachte leise, schüttelte den Kopf und nippte an seinem Kaffee.

»Ich auch nicht. Aber jetzt erzähl endlich, wo du dich all die Jahre herumgetrieben hast.«

»Oh, na ja, ich bin wie geplant nach Lübeck gegangen. Habe hier und da gejobbt, meine Liebe zu Holz entdeckt und eine Ausbildung zum Tischler gemacht. Danach war ich ein paar Jahre auf der Walz und in ganz Europa unterwegs, aber die Liebe zu Norddeutschland hat mich nicht losgelassen. Also habe ich mich in Hamburg niedergelassen. Vor einigen Jahren wollte ich mich verändern und habe dann angefangen, mich nach einer Tischlerei umzusehen, die ich übernehmen kann. In Klütz bin ich schließlich fündig geworden und seit fast zwei Jahren lebe ich nun hier.«

Romy lächelte schief. »Ausgerechnet in Klütz?«

»Da ist nur die Werkstatt, mein Häuschen steht in Redewisch.«

»Okay, aber was hat dich wieder hierher verschlagen? Die Gegend ist vollkommen anders als Hamburg oder Lübeck.«

»Das mag schon sein, aber immerhin habe ich eine verdammt schöne Zeit in Boltenhagen verbracht.« Ein vielsagendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, das eine neue Hitzewelle in ihr auslöste.

War er wirklich aus Nostalgie zurückgekehrt?

Wegen jenes Sommers?

Ihretwegen?

Das bildest du dir nur ein!

Eine Erinnerung blitzte vor ihrem inneren Auge auf, versetzte ihr einen schmerzhaften Stich.

Doch Romy schob sie beiseite und räusperte sich. »Ich nehme an, deine Familie lebt auch hier. Hast du Kinder?«

»Nein, keine Kinder, keine Freundin. Und ich bin seit ein paar Jahren geschieden, das ging nur drei Jahre gut.«

»Das tut mir leid.«

Nick zuckte mit den Schultern. »Ist nun einmal so. Und bei dir? Hast du Kinder?«

Sofort zog ein Lächeln ihre Mundwinkel in die Höhe. »Mh-hm. Sophia ist 15. Und verheiratet bin ich seit fast 17 Jahren.«

»Wow, Glückwunsch.«

Statt eines Danks nickte sie nur und trank von ihrem Kaffee. Wenn sie an Hendrick dachte, fühlte es sich gerade mehr nach Qual als nach Glück an.

»Und was machst du so beruflich?«

»Medizinische Fachangestellte in einer gynäkologischen Praxis.«

»Nicht das, was du dir erträumt hattest, oder?«

Ihre Stimmung sank. »Nein.«

»Du wolltest Ärztin werden.«

»Das hat sich leider schnell erledigt.«

Und jener Sommer war schuld daran. Oder besser gesagt, das Ende.

»Hm, blöd, tut mir leid.«

»Schon okay, ich habe das Beste daraus gemacht.« Sie winkte ab, ignorierte das Ziehen in ihrem Magen und zwang sich zu einem Lächeln.

»Hauptsache, du bist glücklich.«

»Oh, ja, das bin ich. Ich liebe meinen Job und das Team ist super.«

»Ich meinte eigentlich dein Leben.«

Romy sah auf und direkt in seine Augen, wollte die Frage bejahen.

Doch irgendetwas in seinen himmelblauen Iriden hinderte sie daran, diese Lüge auszusprechen.

Weswegen sie den Blick senkte und beide Hände um ihre Tasse legte. »Und du willst dich also an der Sanierung der Düne beteiligen, ja?«

»Erst einmal ist es nur ein Angebot. Ob wirklich ich den Job bekomme oder was überhaupt mit dem Objekt passiert, steht noch in den Sternen. Vielleicht reißen sie es auch ab.«

»Ja, meine Eltern haben da mal etwas erwähnt.«

»Wie geht es ihnen?«

Ein seltsamer Unterton in seiner Stimme veranlasste sie, Nick anzusehen.

Bis gerade war dieser harte Zug um seinen Mund noch nicht dagewesen, oder?

»Oh, so weit gut. Sie genießen das Rentnerleben.«

»Besuchst du sie oft?«

»Vielleicht einmal im Monat. Sophia übernachtet manchmal dort.«

»Hast du ein Foto von ihr?«

»Oh, ja, klar.« Sie drehte sich zur Seite und angelte in ihrer Handtasche nach dem Smartphone. Entsperrte das Display, suchte ein aktuelles Foto heraus und hielt es ihm hin.

Sogleich wurden seine Züge weich und als er sie ansah, war etwas in seinen Augen, das sie nicht zu deuten wusste.

»Sie sieht aus wie du damals.«

»Ja, das ...« Sie räusperte sich. »... sagen alte Bekannte auch immer.«

Das Klingeln eines Telefons schnitt durch den Augenblick und sie blinzelte erschreckt.

»Sorry, das ist meins.« Nickt griff in seine Gesäßtasche, zog das Handy hervor und schaute aufs Display. »Einer meiner Mitarbeiter.«

Mit entschuldigendem Gesichtsausdruck nahm er das Gespräch an. »Hey, Torben. Was gibts? Nein, wir sind gerade fertig, ich komme gleich rüber. Ja, bis gleich.«

Er legte auf und steckte es weg. »Tut mir leid, ich muss los und meinen Kollegen aufsammeln. Auch wenn mir das gerade absolut nicht in den Kram passt.« Eilig trank er seinen Kaffee aus.

»Kein Problem. War schön, dich getroffen zu haben.«

Unvermittelt hielt er inne, musterte sie. »Fand ich auch. Vielleicht ... hast du ja Lust, das bei Gelegenheit zu wiederholen? Oder mal ein Bier trinken zu gehen?«

Ihr Herz hämmerte los.

»Natürlich nur, wenn dein Mann nichts dagegen hat.«

»Ich weiß nicht ...«

Er wandte sich seiner Jacke zu, öffnete die Klappe der Brusttasche und zog etwas heraus. Legte ein Kärtchen vor sich auf den Tisch, griff an sein Bein und holte einen Kugelschreiber hervor, mit dem er eine Nummer auf das dicke Papier kritzelte. Dann drehte er es um, schob es ihr hin und sie schaute auf eine Visitenkarte hinab.

Tischlerei Niklas Kossyk.

»Ich habe dir hinten meine Privatnummer aufgeschrieben. Melde dich einfach, wenn dir danach ist. Ich würde mich wirklich sehr freuen.«

So wie damals.

Dann stand er auf, streifte die Jacke über, und sie hob den Blick, verwirrt von ihren eigenen Gefühlen.

Unvermittelt trat er neben den Tisch und beugte sich zu ihr, küsste sie auf die Wange und murmelte: »Bis bald.«

Dann drehte er sich um, verließ die Bäckerei und ließ sie vollkommen aufgewühlt zurück.

 

Kapitel 3

»Sophia?« Romy trocknete ihre Hände am Geschirrtuch ab und lauschte die Treppe hinauf.

»Ja?«

»Kommst du bitte und deckst den Tisch?«

»Ja-haa.«

Als Nächstes lief sie ins Wohnzimmer, wo Hendrick auf der Couch saß. Die Füße auf dem niedrigen Tisch, daneben eine Flasche Bier. Konzentriert sah er auf sein Handy.

»In fünf Minuten ist das Essen fertig.«

»Mh-hm.«

Sie kehrte in die Küche zurück, stellte drei Teller bereit und atmete genervt tief durch. Seit dem Streit vor zwei Tagen herrschte wieder diese Kühle und er versuchte nicht einmal, etwas daran zu ändern.

Hatte er schon vergessen, was passiert war?

War er sich keiner Schuld bewusst?

Oder war es ihm egal?

Sophia betrat die Küche. »Mmh, das riecht super, was gibt es denn heute?«

»Hähnchengeschnetzeltes mit Spätzle und Gurkensalat.«

»Lecker.« Sie holte Besteck und Servietten aus den Schubladen, ging ins Esszimmer hinüber.

Kurz sah Romy ihr nach.

Wenigstens hatte sie sich vorgestern noch mit ihrer Tochter aussprechen können, wegen des Streits, und dabei waren einige Tränen gekullert. Sie fühlte sich von ihrem Vater ungerecht und respektlos behandelt, was Romy sehr gut verstehen konnte. Aber sie hatte keine Idee, wie sie es ändern konnte. Vielleicht ergab sich am Wochenende die Gelegenheit für ein Gespräch mit Hendrick, so durfte es auf keinen Fall weitergehen.

Deswegen fragte sie Sophia nach ihrem Tag in der Schule aus, dann ihren Mann nach seinem Arbeitstag. Wie immer kam aus seiner Richtung kein Interesse, aber ihre Tochter wandte sich ihr schließlich zu.

»Und wie war es bei dir in der Praxis?«

Sie lächelte dankbar. »So weit ganz gut, aber die eine Patientin war wieder da, die sich so sehr ein Kind wünscht, erinnerst du dich?«

Sophia nickte.

»Selbst die dritte künstliche Befruchtung war erfolglos und sie ist deswegen total fertig mit der Welt. Man sieht ihrem Mann an, wie sehr auch er darunter leidet, aber für seine Frau reißt er sich merklich zusammen und versucht, ihr Kraft zu geben. Die beiden tun mir echt leid.«

»Können sie denn kein Kind adoptieren?«

»Doch, natürlich. Das ziehen sie nun ernsthaft in Erwägung.«

»Ja, manchmal ist das Schicksal schon verdammt grausam, nicht wahr?«

Überrascht schaute sie Hendrick an, irritiert von dem Unterton seiner Worte und dem seltsamen Ausdruck in seinen Augen. »Wie meinst du das?«

»Ach, nur so.«

Romy runzelte die Stirn, beließ es aber dabei und lenkte das Gespräch lieber auf Allgemeines.

»Wo ist eigentlich der Rest Schokoladenmousse?« Er wischte sich mit der Serviette den Mund ab, legte sie unter das Besteck auf dem leeren Teller.

»Schlecht geworden. Ich musste sie wegwerfen.«

»Du hättest sie längst auftischen können. Oder mir eine Dose voll mit ins Büro geben sollen.«

Den Blick stoisch auf ihren Teller gerichtet hob sie eine Portion Spätzle zum Mund. »Der Pelz war schon am nächsten Tag drauf.«

»Welch eine Verschwendung.«

Sein herablassender Ton versetzte ihr einen Stich, doch auch darauf ging sie nicht ein und aß stattdessen zu Ende.

Nach dem Essen verzog Hendrick sich direkt ins Wohnzimmer und da Sophia noch so viele Hausaufgaben zu erledigen hatte, räumte sie die Küche mal wieder allein auf. Ein Umstand, der ihr zunehmend auf die Nerven ging, denn so langsam fühlte sie sich wie ein Hausmädchen.

Du hast dich kaum verändert, schön wie eh und je.

Die Erinnerung an Nicks Worte jagte ihr einen Schauer über den Rücken und sie biss sich auf die Lippe, hielt inne und schaute zum hinteren Fenster hinaus.

Es war Ewigkeiten her, dass Hendrick ihr ein Kompliment gemacht hatte. Und jetzt kam Nick daher und tat es einfach so.

Ihre Gedanken glitten 27 Jahre in die Vergangenheit, zu ihrem jüngeren Ich und dem geheimnisvollen, dunklen und wilden jungen Mann, der eines Tages auf dem Partyplatz bei der Düne aufgetaucht war. Dem verschlossenen Typen mit dem sexy Lächeln, der nicht viele Worte machte, aber jedes einzelne ehrlich meinte.

Ob das immer noch so war?

Oder hatte er gelernt, den Frauen das zu erzählen, was sie hören wollten, um sich bei ihnen einzuschmeicheln?

Missmutig kehrte sie ins Heute zurück, wischte die Arbeitsfläche ab und schaute sich noch einmal um. Dann löschte sie das Licht und ging über den Essbereich ins Wohnzimmer hinüber, unschlüssig, was sie heute Abend mit sich anfangen sollte.

Die Ansicht ihres auf der Couch ausgestreckten und schnarchenden Mannes nahm ihr die Entscheidung ab.

Romy seufzte, schlich hinaus und zur Treppe, sie würde sich im Schlafzimmer in ihren Sessel setzen und lesen.

Oben angekommen fiel ihr Blick auf die Dachbodenluke, sie stutzte. Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf umher, doch bald schälte sich eine Idee heraus und sie folgte ihr.

Mithilfe der Hakenstange zog sie die Klappe mit der Holzleiter herunter und fuhr sie aus, schaltete oben das Licht ein und stieg hinauf.

Auf dem Dachboden angekommen inspizierte sie Regale und Kartons, las die Beschriftungen und fand fast am Ende das, was sie suchte. Sie zog den Karton aus dem Fach, stellte ihn auf den Boden und ließ sich im Schneidersitz davor nieder. Wenigstens war es hier oben warm und trocken und der Boden mit einem dicken Teppich ausgelegt.

Knibbelnd löste sie eine Ecke des Klebebandes, riss es schließlich ganz herunter und klappte den Karton auf.

Tatsächlich, da waren sie, all ihre Tagebücher.

Jedes hatte einen anderen Einband und von hübschem Stoff bis zu simpler Pappe war alles dabei.

Sie nahm eines nach dem anderen heraus, öffnete es und kontrollierte die Zeitangaben auf der jeweils ersten Seite. Doch als sie die Chinakladde entdeckte, schwarz mit roten Ecken und Rücken, wusste sie sofort, dass dies ihr Tagebuch jenes Sommers war.

Mit zitternden Händen hob sie es aus dem Karton, schlug die Beine zum Schneidersitz unter und klappte es auf. Blätterte durch die Einträge von Ende Mai bis Anfang Juni, fand schließlich jenen Sonntagmorgen nach dem Samstag, mit dem es begonnen hatte.

 

*

 

Sonntag, 2. Juni 1996

Gestern Abend war beim Ballermann mal wieder so viel los, dass ich dort helfen musste, sobald Gabi allein mit den Gästen in der Gaststätte klarkam. Ich hasse es da draußen, zwischen all den Besoffenen, aber seitdem ich volljährig bin, habe ich leider keine Ausrede mehr. Und da mein Vater sich mehr auf mich und meine Arbeitseinstellung verlässt als auf die anderen Angestellten, muss ich immer ran, wo es brennt.

Echt, ich finde diese Typen ekelhaft. Und die wenigen Frauen, die dabei sind, sind auch nicht besser. Das gleiche niedrige Niveau, bäh! Da tröstet es auch nicht, dass ich jedes Mal gutes Trinkgeld bekomme. Ach, Scheiße, ich hätte mir einen anderen Job als Studentin suchen sollen als kellnern. Oder lieber in den Wismarer Kneipen. Obwohl – nee, dann hätte ich jede Nacht mit dem Auto nach Boltenhagen zurückfahren müssen. Auch Mist.

Na ja, egal. Eigentlich wollte ich von etwas anderem erzählen. Etwas Aufregendem.

Da ist ein Kerl, der ist mir neulich schon aufgefallen. Und gestern stand er die ganze Zeit über an einem Tisch gleich neben dem vorderen Getränkewagen. Sah irgendwie abgewrackt aus, alte Lederjacke und zerschlissene Jeans. Aber echt gut. Braune, wilde Haare, bisschen Knubbelnase. Und ein total geheimnisvoller Blick. Wie ein Typ aus den Romanen, die ich so gern lese.

Ich konnte gar nicht aufhören, ihn zu beobachten. Einmal hat er mich sogar angesehen, mit einem Lächeln, dass es ganz kribbelig wurde, in meinem Bauch. Und dann war er plötzlich weg.

Ob ich ihn wohl wiedersehe?

 

Ein Lächeln schlich sich auf Romys Gesicht, verbunden mit einem wehmütigen Ziehen in ihrer Brust. Diese ersten Blicke und das Kribbeln, das würde sie vermutlich niemals vergessen.

---ENDE DER LESEPROBE---