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Yeshayahu Ben-Aharon zeigt in den vorliegenden Vorträgen auf, dass die Michael-Bewegung auf der Suche nach kreativen, mutigen und enthusiastischen Seelen ist, um eine starke Gemeinschaft zu fördern, die sich von einem Jahrzehnt zum nächsten als ein lebendiger Organismus entwickelt. Auf der Grundlage der kontinuierlichen Wiederauferstehung der Anthroposophie ist diese Gemeinschaft bestrebt, die Begegnung und Kommunikation mit der Schule von Michael und Christus in der ätherischen Welt in einer Form zu gestalten, die der Zeit angemessen ist und von ihr verlangt wird. Die Niederschriften dieser Vorträge fassen die Erfahrungen des Autors mit der Anthroposophie in den letzten 42 Jahren im Lichte der gegenwärtigen Mitteilungen aus der geistigen Welt zusammen. Sie sind das Ergebnis zeitgemäßer spiritueller Forschung und individueller gelebter Erfahrung.
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Seitenzahl: 821
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Yeshayahu Ben-Aharon
Eine esoterische Studie
Titel der Originalausgabe: The Twilight and Resurrection of Humanity – The History of the Michaelic Movement since the Death of Rudolf Steiner – An Esoteric StudyFirst published 2020 by Temple Lodge Publishing Ltd., Hillside House, The Square, Forest Row, RH18 5ES England© Yeshayahu Ben-Aharon 2020
Ins Deutsche übertragen von Ulrich Morgenthaler
ISBN: 978-3-949064-08-1
2. Auflage 2021
© der deutschen Ausgabe by Yeshayahu Ben-Aharon 2021
© des Titelbildes by Sylvia Waiblinger
Ereignis Verlag
Fürstenrieder Str. 97, 80686 München
www.ereignisverlag.de
Umschlaggestaltung: Sylvia Waiblinger
Vorwort zur deutschen Übersetzung
Einleitung
Vorwort
Die Amfortas-Parzival-Dualität und ihre Heilung
Persönlich-unpersönliche Beobachtungen der Biografie
Erster Vortrag, 12. Februar 2019
Die Geburt des dualen »Ich« mit 21 Jahren und seine Folgen
Drei Entwicklungsstadien der Wunde von Amfortas in meinen 20er- bis 40er-Jahren
Die grundlegende Amfortas-Parzival-Dualität
Die drei Mondknoten und der vollständige karmische Sturm
Ein Phönix erhebt sich aus der Asche
Aus dem neuen geistigen Gespräch zwischen den Generationen
Aus dem Leben von Goethe und Alanus
Die Geheimnisse des neuen Ätherleibes und des Lebensgeistes
Menschendämmerung und Auferstehung der Menschheit
Zweiter Vortrag, 13. Februar 2019
Die germanische Wunde von Amfortas
Das Karma Mitteleuropas
Die Rolle von Widar bei der Heilung der Menschheit im 21. Jahrhundert
Der geistige Kampf am Ende des 20. Jahrhunderts
Eine symptomatische anthroposophische Episode aus der Gegenwart
Die Menschheit im Grab der Zivilisation im 21. Jahrhundert
Auf der ahrimanischen Seite: Singularität und Ahrimanische Unsterblichkeit
Auf der luziferischen Seite: Astrale Unsterblichkeit
Die endgültige ahrimanisch-luziferische Verschmelzung
Die Auferstehung der Anthroposophie im 21. Jahrhundert: Die Anthroposophie muss auf völlig neuen Fundamenten wieder aufgebaut werden
Die ungeschriebene Geschichte der Michael-Bewegung nach dem Tod Rudolf Steiners
Die Auferstehung des esoterischen Jugendimpulses im 21. Jahrhundert
Die Inkarnation der ätherischen irdisch-menschlichen Sonne im 21. Jahrhundert
Die Schule der neuen Kraft der Liebe
Ita Wegman und der erste Lichtstrahl vom Sonnenaufgang der irdisch-menschlichen Sonne
Die universelle Sprache Michaels und das Wesen Rudolf Steiners
Dritter Vortrag, 14. Februar 2019
Die universelle Umkehrung der Anthroposophie und die positive Mission des Egoismus
Das Wesen Rudolf Steiners
Das Geheimnis des Ätherleibes Rudolf Steiners und seine nachtodliche Entwicklung von 1925 bis heute
Ein neuer Lebensbeginn für Rudolf Steiner auf der Weihnachtstagung 1924: Die Welten-Zeitenwende damals und heute
Die anthroposophische Bewegung in der Gegenwart
Vierter Vortrag, 15. Februar 2019
Jüngerwerden in der Gemeinschaft der Schule für Geisteswissenschaft
Der gegenwärtige Stand unserer anthroposophischen Arbeit
Die Apokalypse des 20. Jahrhunderts und der aufziehende Sturm des 21. Jahrhunderts
Urbild und Realität der Freien Hochschule und der Bewegung für Geisteswissenschaft und die hundertjährige Wiederkehr der Weihnachtstagung
Der Kampf mit Ahriman und Luzifer um die »goldene karmische Schrift«
Die vorherrschende anthroposophische Verwirrung über die »Michael-Prophetie« als bedeutsames Symptom
Eingeweihte, Sterbliche und die neue Einweihung durch den Ätherischen Christus als Brücke zwischen ihnen
Die Äthergestalt lebt
Fünfter Vortrag, 17. Februar 2019
Zwei Einladungsschreiben zum Treffen der globalen Schule in Schweden
Der dreifache ätherische Herzschlag Michaels, der zwischen Ost, West, Nord und Süd strömt
Ganganda greida: die zirkulierende Kommunion des neuen Ätherleibes
Widar und die nordisch-germanischen Götter
Der umgekehrte Kultus
Die vereinte Kraft der beiden Mysterien von Golgatha
Mein Weg zu Widar und das Jüngerwerden der Menschheit
Die drei Gralsereignisse im 9., 20. und 21. Jahrhundert
»Lasset, ihr Geister, vom Osten befeuern, was durch den Westen sich formet« Ex oriente lux
Nachwort
Die Auferstehung des ätherischen Christus im 21. Jahrhundert
Weitere Arbeiten des Verfassers
Anmerkungen
Zu Beginn des Vorworts zur deutschen Übersetzung von »Die neue Erfahrung des Übersinnlichen: Das anthroposophische Erkenntnisdrama der Wiederkunft«, erschienen 1997, habe ich diesen Absatz geschrieben, der mir auch heute noch relevant erscheint:
»Es gehört zu der sicherlich ›unkonventionellen‹ Natur unserer Zeit, daß durch viel ›Menschlich-allzu Menschliches‹, das naturgemäß Teil unseres persönlichen und sozialen Lebens ist, auch ein neuer Aspekt, eine objektivere und reifere Seite der Menschennatur an die Oberfläche tritt. Dieser Aspekt zeigt sich zunehmend in der ganzen Welt und ist Zeichen dafür, daß eine Reihe von Lebens- und Schicksalsgängen gewöhnlicher Menschen auf das tiefste mit großen Welt- und Menschheitsrätseln verknüpft sein können. In meinem ersten Büchlein, das unter dem Titel »Das spirituelle Ereignis des 20. Jahrhunderts« veröffentlicht wurde, habe ich unter ernsthafter Berücksichtigung genau dieses Zeitzeichens auf einige dieser Rätsel hingewiesen. Denn ich war davon überzeugt – eine Überzeugung, die sich mittlerweile noch verstärkt hat –, daß auch in anthroposophischen Zusammenhängen – trotz oder gerade wegen des schwierigen Schicksals der anthroposophischen Bewegung in diesem Jahrhundert – die Zeit gekommen war, in der solche Schicksals- und Welträtsel innerlich erlebt und nach außen zum Ausdruck gebracht werden können.«
Als 1997 die deutsche Übersetzung von »Die Neue Erfahrung des Übersinnlichen« veröffentlicht wurde, fanden sich nur wenige Menschen, die bereit waren, sich deren Botschaft anzuhören. Aber seitdem wächst ihre Zahl stetig. Immer mehr Menschen bemühen sich heute darum, ihre Gedanken, Gefühle und Willensimpulse zu vertiefen und zu verstärken, um das zu empfangen, was Michael der Menschheit vermittelt. Aus diesem Grund fühlte ich, dass ich in den fünf Vorträgen, die in diesem Buch enthalten sind, das, was ich seit dem Ende des letzten Jahrhunderts erlebt habe, freier und direkter mitteilen kann. Und ich spürte, dass es zu Beginn des zweiten Jahrhunderts des gegenwärtigen Michaelszeitalters, in der Dunkelheit der Menschendämmerung, möglich wurde, über das Licht der neuen Michael-Offenbarung zu sprechen und die schöpferische Hoffnung, die es weckt, mit Menschen zu teilen, die ernsthaft nach ihm suchen.
Mit solchen Empfindungen der Hoffnung und einem Gefühl der Erfüllung möchte ich auch unseren Partnern, die den Ereignis Verlag gegründet haben, um meine Bücher Lesern der deutschen Sprache zugänglich zu machen, und Ulrich Morgenthaler für seine engagierte Übersetzungsarbeit meinen Dank aussprechen.
Yeshayahu Ben Aharon,
Advent 2020
Die in diesem Buch veröffentlichten Vorträge wurden auf dem jährlichen globalen Treffen der Schule für Geisteswissenschaft in Schweden im Februar 2019 gehalten. Ich habe einige Teile umgeschrieben und andere, die dazu gehören, hinzugefügt.
Der Stil des gesprochenen Wortes unterscheidet sich stark von dem des geschriebenen Wortes. Jeder Vortrag, wie auch ein ganzer Vortragszyklus, ist ein lebendiger Organismus, der sich in Raum und Zeit als ein reales Ereignis entwickelt, entsprechend den geistigen und physischen Gegebenheiten eines bestimmten Anlasses. Er geht von einem konzentrierten Gedankensaatgut aus und entwickelt sich organisch, über Wurzeln, Stängel, dehnt sich aus und zieht sich rhythmisch zusammen, indem er neue Variablen, Blätter und Zweige hinzufügt, bis er sich in höherer Konzentration in der Blütenknospe wieder zusammenzieht, von wo aus sie noch weiter blühen und sich ausdehnen kann und ihr eigentliches Wesen offenbart. Nun verlangt dieser Prozess, wie jeder lebendige Prozess, Wiederholungen und Variationen, die den zentralen Gegenstand vergeistigen, indem sie auf höheren und ausgedehnteren Kreisen des spiralförmigen Sprosses ein- und auslaufen. Dieser Rhythmus ist natürlich ein idealer Archetyp und kann nicht in jedem einzelnen Vortrag realisiert werden, sondern nur in dem Zyklus als Ganzes, und auch der Zyklus muss nur als ein Organ in dem sich über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich entfaltenden lebendigen Werk gesehen werden.
Deshalb musste ich bei der Vorbereitung dieser Vorträge für den Druck diese rhythmische und flexible, fließende Lebensform respektieren und habe meine Änderungen an ihren Stil angepasst. Da die fünf Vorträge ein lebendiges Ganzes in sich selbst bilden, werden wir, wenn wir jeden einzelnen lesen, den Sinn des Ganzen nicht begreifen. Dazu müssen wir zunächst alle fünf Vorträge miteinander verweben. Daher kann man vielleicht schon früher einige Dinge sagen, die nicht ihre unmittelbare lineare Fortsetzung und Entwicklung finden werden. Weitere rhythmische Erweiterungen und Zusammenziehungen und zusätzliche Spiralen werden notwendig sein, um neue Dinge aus scheinbar weit auseinander liegenden Bereichen hinzuzufügen. Und erst später werden wir feststellen, dass der Faden wieder aufgenommen wurde, aber jetzt, nachdem sich der übrige Organismus ausreichend entwickelt hat, kann er weitergeführt und zu einem gewissen Abschluss gebracht werden. Einige Dinge, die bereits erwähnt wurden, würden dann ihre relative Vollendung finden. Die Leser sollten diese Tatsache im Auge und im Herzen behalten, wenn sie dieses Buch besinnen und versuchen, seinen lebendigen Rhythmus und seine Entwicklung in ihren Gedanken und Gefühlen zu rekapitulieren und zu beleben.
Außerdem konnten diese Vorträge nur gehalten werden, weil ein lebendiges Gemeinschaftsereignis sich vollzog, in dessen Mitte sie stattfanden; und dieses Ereignis konnte sie in der richtigen Stimmung der Gemeinschaftsseele und des Gemeinschaftsherzens empfangen und pflegen. Diese Gemeinschaftserfahrung verwandelt jede einzelne Präsentation in einen Dialog, ja sogar in einen Multilog, denn der Redner und die Zuhörer teilen die gleiche Quelle der Inspiration. In einem sehr realen Sinn erlebe ich einen Vortrag als ein Gespräch einerseits mit meinen Zuhörern und andererseits mit den Wesen, die über uns leuchten und unsere Versammlung inspirieren. Und dieses intime spirituelle Gespräch findet als ein echtes Ereignis statt, das jedes Wort, jeden Satz und jede Wendung des Vortrags prägt.
Deshalb möchte ich meine tiefe Dankbarkeit gegenüber dem engagierten Seelenkreis zum Ausdruck bringen, der sich in Schweden versammelt hat, um die Schule für Geisteswissenschaft zu vertiefen und zu stärken. Möge ihr Enthusiasmus an Kraft gewinnen und mögen ihr Mut und ihre Hingabe weiterhin diesen Weg öffnen und erhellen!
Yeshayahu Ben-Aharon,
Weihnachten 2019
In den Karma-Vorträgen, die im Sommer und Herbst 1924 gehalten wurden, offenbarte Rudolf Steiner zum ersten Mal die Existenz der kosmischen Schule Michaels in der Sonnensphäre während des 15. bis zum 19. Jahrhundert und das Karma der Seelen, die an dieser Schule teilnahmen. Er sagte, dass nur eine der beiden vorherrschenden spirituellen Strömungen, die an der Michael-Schule teilnahmen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf die Erde kam. Der erste Strom, der herunterkam, war der aristotelische Strom, der von Rudolf Steiner selbst geleitet wurde. Der zweite Strom, den Rudolf Steiner den platonischen Strom nannte, blieb oben in der Schule Michaels in der ätherischen Welt. Aus seinen Worten geht klar hervor, dass die platonischen Seelen zwar in der ätherischen Welt blieben, aber sehr aktiv an der gesamten Entwicklung der Anthroposophie auch auf der Erde teilnahmen. Während der Karma-Vorträge sagte Rudolf Steiner bei mehreren Gelegenheiten, dass die inkarnierten und nicht-inkarnierten Seelen im vollen spirituellen Bewusstsein zusammenarbeiten, und wies darauf hin, dass sie auch in dem Moment zusammenarbeiten, in dem er diese bemerkenswerten Tatsachen zum ersten Mal mitteilt. Er sagt: »Jetzt wirken sie zusammen, ein neues spirituelles Zeitalter für die Erdenentwickelung intendierend.« (1) Er erklärte auch, warum diese Arbeitsteilung zwischen den beiden Strömen im 12. bis 13. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorgenommen wurde. Der Grund liegt in den unterschiedlichen geistigen Fähigkeiten der beiden Ströme. Die aristotelischen Seelen, angeführt von Rudolf Steiner, sind eher in der Lage, mit dem Denken in seiner irdischen Form zu arbeiten, und werden daher zuerst inkarnieren, um die neuen Kräfte der Bewusstseinsseele zu vergeistigen, die in der modernen Naturwissenschaft entwickelt wurden. Die platonischen Seelen besitzen hohe geistige Fähigkeiten, die ab dem Ende des 20. Jahrhunderts fruchtbar werden. In dem spirituelleren Leben am Ende des 20. Jahrhunderts und am Anfang des 21. Jahrhunderts, so wurde vereinbart, würden ihre angeborenen imaginativen Kräfte die von den Aristotelikern geschaffenen Kräfte des spiritualisierten Denkens aufnehmen und weiter vergeistigen, um der Anthroposophie einen mächtigen neuen geistigen Impuls zu geben, der zu Beginn des Jahrhunderts noch nicht möglich war.
Die beiden Gruppen der Michael-Schule waren sich also einig, dass die Aristoteliker zuerst inkarnieren und den harten Boden des Materialismus am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts brechen würden, um in der physischen Welt den Weg für die neue Geisteswissenschaft zu ebnen, denn die Geisteswissenschaft muss auf den modernen Kräften des Denkens beruhen; und wenn sie diese Aufgabe erfolgreich erfüllen, werden sie am Ende des Jahrhunderts rasch wieder inkarnieren und sich auf der Erde mit den inkarnierenden platonischen Seelen vereinen, um gemeinsam den größten spirituellen Impuls für die Menschheit im 21. Jahrhundert zu geben. Dies war der zu Beginn des 20. Jahrhunderts vereinbarte Michael-Plan. Bis jetzt war es jedoch noch nicht möglich, zu enthüllen, wie dieser Plan im Laufe des 20. Jahrhunderts geändert wurde.
Ich glaube, nachdem wir mehr als 40 Jahre auf der Erde gearbeitet haben, ist die Zeit reif, diesen Schleier zu lüften und aus unserer spirituellen Erfahrung heraus das unerzählte esoterische Michael-Drama von Anfang des letzten Jahrhunderts bis heute und seine Potenziale und Möglichkeiten für die nahe Zukunft zu beschreiben. Diese Geschichte ist der wahre spirituelle historische Werdegang des gesamten Michael-Stroms seit dem Tod Rudolf Steiners im Jahr 1925.
Die platonischen Seelen, die in der ätherischen Welt blieben und über die Rudolf Steiner so warm und begeistert sprach, nahmen in einem höchst erwachten geistigen Bewusstsein aktiv an der gesamten anthroposophischen Arbeit auf der Erde teil; dies umso mehr, als sie immer mehr vergeistigt wurde. Sie nahmen in den letzten sieben Lebensjahren Rudolf Steiners intensiv am großen Spiritualisierungsprozess der Anthroposophie teil; und ihre aktive Teilnahme wurde am intensivsten während des Brandes des ersten Goetheanums und der Weihnachtstagung, der Karma-Vorträge und den Esoterischen Stunden der Ersten Klasse. Während des völlig neuen Michael-Impulses, den Rudolf Steiner von Ende 1923 bis zu seinem Tod 1925 geben konnte, konnten sie sich auf der ätherischen Seite dieser mächtigen physischen anthroposophischen Ereignisse zu Hause fühlen; was sich auf der Erde abspielte, insbesondere seit der Weihnachtstagung, wurde als Beginn der eigentlichen Inkarnation der Michael-Schule erlebt, in der sie seit dem 15. Jahrhundert mit ihrem ganzen Sein lebten und wirkten.
Wir müssen auch verstehen, dass sie viel intensiver, direkter und bewusster als die inkarnierten Aristoteliker an diesen Michael-Ereignissen auf der Erde teilnehmen konnten, weil sie frei von den Hindernissen eines physischen Körpers und der Versuchung eines irdischen Egos waren. Daher konnten sie viel inniger empfänglich und offener sein, um das geistige Werk Rudolf Steiners zu empfangen, das für sie eins war mit dem Wesen und der Arbeit von Michael selbst in der Echtzeit dieser Ereignisse. (2)
Darüber hinaus ist es wichtig zu verstehen, dass es für diese Seelen keinen Bruch in der Fortsetzung der Michael-Schule vom 15. Jahrhundert bis zu ihrer ersten Inkarnation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab. Sie fuhren auch mit ununterbrochenem geistigem Bewusstsein fort, an der übersinnlichen Schule Michaels teilzunehmen, als diese 1879, während Michael sein neues irdisch-geistiges Amt antrat, von der Sonnensphäre, in der sie vom 15. bis zum 19. Jahrhundert stattfand, in die der Erde am nächsten liegende ätherische Welt hinabstieg. Sie blieben in seiner Schule in der ätherischen Welt, als Rudolf Steiner sich auf der Erde inkarnierte, und sie folgten ihm ganz innig und eng, unterstützten und inspirierten sein ganzes Leben und seine anthroposophische Arbeit bis zu seinem Tod 1925. Das bedeutet, dass sie seit dem 15. Jahrhundert bis heute kontinuierlich und bewusst mit Rudolf Steiner und der Michael-Schule zusammenarbeiten. Während auf der Erde die physische Inkarnation und Aktivität des wahren Michael-Stroms und der Michael-Schule mit Rudolf Steiners Tod endete, ging es in Michaels Strom und Schule in der ätherischen Welt ununterbrochen weiter. Aber für die Seelen, über die wir hier sprechen, hörte dieser Strom nie auf; sie waren dort in vollem geistigem Bewusstsein aktiv, während Rudolf Steiner sich auf der Erde inkarnierte, und sie setzten dies auch fort, als das irdische Zentrum der Schule nach seinem Tod mit Rudolf Steiner in die ätherische Welt zurückkehrte. Und sie waren dort im intensivsten geistigen Bewusstsein tätig, als ab Ende der 1920er-Jahre alle Michael-Kräfte mobilisiert wurden, um sich den kommenden Bedrohungen der Existenz der Menschheit und der Erde in den 1930er- und 1940er-Jahren zu stellen.
Vor allem muss man heute verstehen, dass diese Seelen auch die ersten menschlichen Seelen waren, die in den 1930er- und 1940er-Jahren durch die Michael-Schule bewusst die Offenbarung des neuen ätherischen Christus erfassen und daran teilnehmen konnten. Während ihre aristotelischen Partner auf der Erde – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – in der Dunkelheit, die die Menschheit überzog, die Spur Michaels verloren, arbeiteten sie während der weltbewegenden Ereignisse und Katastrophen, die die Existenz der Menschheit und der Erde bedrohten, bewusst und aktiv mit Michael und dem Christus zusammen. Dieses gewaltige Weltendrama wurde 1993 zum ersten Mal in meinem Buch beschrieben Das spirituelle Ereignis des 20. Jahrhunderts – eine Imagination: Die okkulte Bedeutung der zwölf Jahre von 1933 bis 1945 im Lichte der Geisteswissenschaft. Die bedeutendsten geistigen Ereignisse, die die Ziele der Anthroposophie am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts bestimmten, fanden in den 30er-, 40er- und 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der ätherischen Welt statt.
Wie wir im zweiten Vortrag weiter unten noch ausführlicher sehen werden, versammelte Michael nach der apokalyptischen Krise der 1930er- und 1940er-Jahre seine Scharen, die ihm in den großen Drangsalen auf der Erde und im Himmel treu blieben. Von Mitte der 1940er- bis Mitte der 1950er-Jahre fanden eine neue Konferenz und Konsultationen statt, bei denen es um die Zukunft der Menschheit ging und darum, wie der Michael-Strom wieder in die völlig veränderten Bedingungen der Erde und der Menschheit eingreifen könnte. Auf dieser Konferenz wurde ein neuer Michael-Plan entworfen und es wurde eine neue Vereinbarung zwischen den Führern der beiden Strömungen getroffen. Da der erste Michael-Plan nicht realisiert werden konnte, wäre eine neue geistige Arbeitsteilung zwischen ihnen notwendig. Statt der erhofften Inkarnation der beiden Ströme in ihrer Gesamtheit am Ende des Jahrhunderts auf der Erde würden sie wieder zwischen der geistigen Welt (jetzt der ätherischen Welt) und der Erde aufgeteilt und die irdischen Führungsrollen tauschen: Die kleine Gruppe aristotelischer Seelen, die Rudolf Steiner treu geblieben sind, wird zunächst in der ätherischen Welt bleiben, während eine kleine Gruppe von Platonikern in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts inkarnieren wird, um im Übergang zwischen dem 20. und 21. Jahrhundert voll aktiv zu werden.
Am Ende des 20. Jahrhunderts wird ihre zentrale Aufgabe darin bestehen – so wurde es vereinbart -, die alte Anthroposophie in ihren ätherischen Herzen zu neuem Leben zu erwecken. Dies wird ihnen gelingen, wenn sie auf der Erde den Weg zu der neuen Offenbarung des ätherischen Christus finden, die sie in den 1930er- und 1940er-Jahren in der ätherischen Welt so lebendig erlebt haben. Auf den Fundamenten dieser auferstandenen Anthroposophie, die durch die neuen Kräfte des ätherischen Christus zu neuem Leben erweckt wurde, wird ihre Aufgabe zu Beginn des 21. Jahrhunderts darin bestehen, die Grundlagen der Schule Michaels auf der Erde neu zu errichten. Diese Schulgemeinschaft wird ihrerseits die neuen Michael-Impulse empfangen können, die im zweiten und dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts auf die Erde zu fließen beginnen könnten. Die hier beschriebene neue Michael-Vereinbarung zielte auf diese Eventualität ab: dass, wenn der hundertste Jahrestag der Weihnachtstagung 2023–2024 stattfinden wird, es zum ersten Mal seit Rudolf Steiners Tod auf der Erde eine solche Michael-Gemeinschaft geben wird, die den neuen Michael-Impuls für die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts aufnehmen kann.
Mit anderen Worten, die Hauptaufgabe der platonischen Seelen in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts wird es sein, den Impuls der Weihnachtstagung wieder aufleben zu lassen und ihren gemeinschaftsbildenden Samen in die freien ätherischen Herzen im 21. Jahrhundert zu pflanzen. Sie müssen in der Lage sein – so wurde es auf der Michael-Konferenz in der ätherischen Welt vereinbart – in ihren ätherischen Herzen die geistige Kraft des Michael-Stroms in unserer Zeit, die Rudolf Steiner in den Karma-Vorträgen beschrieben hat, wahr zu machen, während sie sich physisch auf der Erde verkörpern:
Mehr als irgendein anderer Kampf ist dieser Kampf [zwischen Michael und Ahriman] in das menschliche Herz gelegt. Da drinnen ist er verankert, verankert seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Entscheidend muß dasjenige werden, was Menschenherzen mit dieser Michael-Angelegenheit der Welt im Laufe des 20. Jahrhunderts tun. Und im Laufe dieses 20. Jahrhunderts, wenn das erste Jahrhundert nach dem Ende des Kali Yuga verflossen sein wird, wird die Menschheit entweder am Grabe aller Zivilisation stehen oder am Anfange desjenigen Zeitalters, wo in den Seelen der Menschen, die in ihrem Herzen Intelligenz mit Spiritualität verbinden, der Michael-Kampf zugunsten des Michael-Impulses ausgefochten wird. (3)
Deshalb suchen sie heute, im Jahr 2019, nach solchen Seelen, die mutig und begeistert danach streben, die Michael-Flamme in ihren ätherischen Herzen so weit zu entzünden, dass sie in der ätherischen Welt, in deren Zentrum die neue Offenbarung des ätherischen Christus steht, leben, wahrnehmen, denken, handeln und sich zu Hause fühlen werden. Solche Seelen müssen vor der Mitte des Jahrhunderts gefunden und angemessen gefördert werden.
Was ist der wesentlichste Antrieb, den man heute in den ätherischen Herzen dieser Seelen wahrnimmt? Was beflügelt ihren Willen und ihren Enthusiasmus und veranlasst sie, sich mit allen Kräften ihres Wesens um die Verwirklichung dieses Michael-Rufs zu bemühen? Wenn wir heute nach der Antwort auf diese Frage suchen, werden wir sie in der völlig neuen Erfahrung der menschlichen Gemeinschaft finden, die für inkarnierte menschliche Seelen auf der Erde nie zuvor möglich war.
Für diese Seelen wird die ätherische Gemeinschaft nicht zu einem vorgestellten, theoretischen Ideal, sondern zu einem existenziellen Bedürfnis und einer Leidenschaft. Solche Seelen erleben es als die größte Leidenschaft, die Anthroposophie als das Wesen zu erleben, das zum ätherischen Christus in der realen ätherischen Welt führt. Sie suchen nur diese Art von Anthroposophie, die ganz mit einem tatsächlichen Fluss des wirklichen universellen Lebens verbunden ist, eine Anthroposophie, die die lebendige Quelle einer praktisch schöpferischen, erhebenden, herausfordernden und sich gegenseitig befähigenden Gemeinschaft ist; und für sie ist diese Leidenschaft so intensiv und existenziell wie Hunger, Durst und Atem für unser physisches Leben. Sie spüren auf elementarste Weise, dass sie, um alle Aspekte ihres Lebens zu beleben, zu verbessern und zu erheben, nicht aufhören werden zu suchen, bis sie eine so schöpferische ätherische Gemeinschaft gefunden haben, in der der Kern der Anthroposophie ständig ätherisiert und alle ihre Zweige ständig erneuert werden.
Die in diesem Buch veröffentlichten Vorträge wurden gehalten, um diese Erfahrung in möglichst vielen ätherischen menschlichen Herzen zu erwecken, heute und morgen.
Die Gemeinschaftsbildung ist die neue Kunst der Zukunft, die dem neuen Michael-Strom das größte Anliegen ist. Nur in dieser lebendigen Atmosphäre kann sich die neue Michael-Offenbarung ausdrücken, denn die neuen ätherischen Kräfte werden stark gespürt und mit ihnen wird gearbeitet; der neue Ätherleib des Michael-Stroms, über den in diesen Vorträgen viel gesprochen wird, wird Wirklichkeit. Er wird zu einer lebendigen Realität im Leben einer wachsenden Gemeinschaft, webend von einem ätherischen Herzen zum anderen und das intime Gefühl, die brüderlichen und schwesterlichen Kräfte der gegenseitigen Befähigung hervorbringend. Als wir im Norden zusammenkamen, konnten wir spüren, dass sich in dieser gemeinsamen Atmosphäre etwas von Rudolf Steiners Hoffnungen, von denen er sprach, erfüllen konnte, als er andeutete, was für ein neues Michaelisches Leben sich in der Michael-Gemeinschaft in unserer Zeit verwirklichen sollte:
Denjenigen, die er nun in seiner Schule dazumal unterrichtete, gab Michael diese fortdauernde Mahnung: Wenn ihr wieder [oder zum ersten Mal] auf die Erde herunterkommt, um das auszuführen, was hier veranlagt ist, dann sammelt die Menschen um euch, verkündigt das Wichtigste von Mund zu Ohr und seht nicht das Wichtigste darin, daß nur durch das gedruckte Buch in der Welt „literarisch“ gewirkt werde. – Daher ist die intimere Art, von Mensch zu Mensch zu wirken, diejenige, die vorzugsweise in der Richtung des Wirkens Michaels ist. Und wenn wir uns, statt bloß durch Bücher zu wirken, vereinigen und die wichtigsten Impulse menschlich-persönlich aufnehmen und … das andere dann nur benützen, um gewissermaßen „Gedächtnishilfen“ zu haben, … dann inaugurieren wir das, was zunächst imponderabel … durch die Anthroposophische Gesellschaft fließen soll. (4)
Liebe Schulfreunde,
Ich möchte noch einmal meine Gefühle der Freude und Dankbarkeit für dieses Ereignis zum Ausdruck bringen, von dem ich glaube, dass es unsere Arbeit fördert im Zusammenhang mit dem, was wir in den letzten Jahren entwickelt und organisch darauf aufgebaut haben. Im Eröffnungsvortrag unseres jährlichen globalen Schultreffens möchte ich mit euch einige Aspekte meiner spirituellen Biografie als individuelles Beispiel für eine spirituelle Suche und Reise teilen, die Ende des letzten Jahrhunderts begann. Zwei Hauptfäden sind in dieser Biografie verwoben, welche die moderne spirituelle Suche charakterisieren. Der erste Faden wird von Rudolf Steiner das Gesetz des »Jüngerwerdens der Menschheit« von Zeitalter zu Zeitalter genannt. (5) Der zweite Faden ist der lebenslange Kampf mit der zweifachen Natur der modernen menschlichen Seele, der »Wunde von Amfortas«, die diese Dualität verursacht, die ihre niedere oder »Amfortas«-Natur von ihrer höheren oder »Parzival«-Natur trennt. (6)
Rudolf Steiner sagt, dass in unserem Zeitalter, dem Zeitalter der Bewusstseinsseele, die Körper- und Seelenkräfte des Menschen mit 28 Jahren und in der sechsten Kulturepoche mit 21 Jahren ihre natürliche Entwicklung beenden. Er nennt dies auch das »Jüngerwerden der Menschheit«, weil das Ende des natürlichen Wachstums in jeder Kulturepoche um sieben Jahre kürzer wird. Wenn wir also unsere eigene Entwicklung nicht in die Hand nehmen, hören wir jetzt mit Ende 20 und in Zukunft immer früher auf, uns zu entwickeln. Aber für Menschen, die ihre Entwicklung bewusst wahrnehmen, ist dies tatsächlich von Vorteil, weil sie ihre spirituelle Selbstverwirklichung früher beginnen können, als es in früheren Zeitaltern möglich war. Sie können tatsächlich spüren, dass sie, je älter sie im physischen Sinne werden, sowohl reifer und weiser wie auch innerlich kreativer und jünger im spirituellen Sinne werden können, gerade weil die körperlich gebundenen Seelenkräfte sie früher aus ihrem Griff befreien. Das bedeutet, dass diejenigen, die sich nach ihren 20er-Jahren wie bisher von Natur und Körper führen lassen, mit jedem Jahr und jedem Jahrzehnt älter und passiver, moralisch und intellektuell träger werden. Aber wer ernsthaft und ehrlich an sich selbst arbeitet, wird mit jedem neuen Jahr und Jahrzehnt erleben, dass seine essenzielle Menschlichkeit, seine Seelenkräfte und spirituellen Potenziale qualitativ und quantitativ gleichermaßen zunehmen und aktiver, kreativer und jünger werden. (7)
Die beiden Fäden gehören auf intimste Weise zusammen, und die eigentliche Aufgabe der modernen spirituellen Entwicklung besteht darin, sie zu einem starken und vitalen Lebensfaden zusammenzuweben. Die Kräfte, die dadurch entstehen, dass wir geistig jünger werden, je älter wir körperlich werden, und die Heilung unserer Amfortas-Parzival-Dualität, werden auf diese Weise zwei Seiten ein und derselben geistigen Kraft, die der lange gespaltenen und gequälten modernen Seele ein gewisses Maß an Ganzheit verleiht.
Mit dem Eintritt in mein 63. Lebensjahr im letzten Jahr hatte ich das Bedürfnis, mir zu sagen: »Oh, ich muss endlich einige Anzeichen von Ganzheit in meiner Seele erfahren.« Und es hat mich zutiefst getröstet, dass ich schließlich feststellen konnte, dass ich mit meinen 63 Jahren tatsächlich etwas erreicht habe! Ich wollte meine Seele genau beobachten, um zu sehen, ob ich wenigstens etwas von dem fühlen konnte, was Rudolf Steiner über dieses Jüngerwerden gesagt hat, und die Ganzheit, die man nach 3×21 Jahren, die sich aus neun Jahrsiebten zusammensetzen, erfahren kann. Nach dem Urbild der individuellen Entwicklung habt ihr, wenn ihr euer 63. Lebensjahr erreicht, die Entwicklung von Körper, Seele und Geist, objektiv gesprochen, abgeschlossen. Ihr müsst in der Lage sein, euch selbst als erfüllt, reif, erwachsen, kreativ, menschlich zu fühlen. Ihr solltet in der Lage sein, euch selbst zu sagen: »Ich habe die Entwicklung der drei Leiber bis 21 mithilfe der Götter und der Kräfte, die ich von vor der Geburt mitgebracht habe, durchlaufen. Dann kämpfte ich mich mit meiner wachsenden Dualität durch die Mitte des Lebens in meiner Seelenentwicklung bis 42. Und dann von 42 bis 63 konnte ich danach streben, die Höhen und Tiefen der seelischen und geistigen Reife zu erreichen, einige der zukünftigen Samenkräfte von Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmenschen zu entwickeln und wirklich ein ganzer Mensch zu werden.« Von diesem Höhepunkt aus – so Rudolf Steiner weiter – kann man sich in noch universellere Dimensionen erweitern, bis man das Alter von 72 Jahren, die archetypische Lebensspanne, erreicht hat. In diesem Moment passiert etwas Unglaubliches in unserem Karma, das Rudolf Steiner in diesen tiefgründigen Worten beschreibt: »Wenn die Sonne nicht mehr seinen Stern beruhigt über sein irdisches Dasein, wenn die Sonne nicht mehr zu seinem Stern sagt: der ist unten, und ich gebe dir das, was dir dieser Mensch zu geben hat, von mir aus, während ich nun vorläufig, dich zudeckend, mit ihm dasjenige mache, was du sonst mit ihm machtest zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, wenn die Sonne das nicht mehr zum Stern sagen kann, fordert der Stern den Menschen wiederum zurück.« (8)
Das bedeutet: Wenn die Sonne deinem Stern nicht mehr geben kann, was er braucht, musst du selbst etwas Sonnenarbeit auf der Erde leisten, als Quelle und Mittel freier moralischer Kreativität! Das bedeutet aber auch, dass jede Minute über dieses Alter hinaus als eine besondere Gnade des Karmas erlebt werden muss, im Guten wie im Schlechten. Die Tatsache, dass viele Menschen körperlich länger leben, ohne diese moralische Kreativität zu erreichen, zeigt, in welchem Maße wir unsere Schuld gegenüber den Gnadenkräften der Sonne vergrößern, denn heute ist es notwendig – und möglich –, dass jeder Mensch zwischen Geburt und Tod zu einem Sonnenstern des schöpferischen Lebens wird. Der Stern muss schließlich seinen Anteil erhalten, und wenn wir dazu in unserem verlängerten physischen Leben nicht den Beitrag geleistet haben, wird der fehlende Beitrag sicherlich zu unserer zukünftigen karmischen Schuld hinzugefügt. Dies ist ein völlig neues und bemerkenswertes biografisches Abenteuer, welches wir heute erleben können. Nur moderne, mit der Bewusstseinsseele ausgestattete Menschen können dies erfahren, in dem Maße, in dem sie sich ihr ganzes Leben lang weiterentwickeln und transformieren. Dies gibt uns eine neue Chance, in einer Lebenszeit mehr zu erreichen als dies in früheren Zeitaltern möglich war, und so unseren Beitrag zur Evolution der Menschheit und der Erde zu intensivieren.
Lasst mich meine Lebensgeschichte von der grundlegendsten Tatsache meiner Biografie aus beginnen, nämlich der Geburt des geistigen »Ichs« am Vorabend meines 21. Lebensjahres. Ich kann auf sie auch als das Ur-Phänomen meiner Biografie verweisen, das alle Aspekte meiner Entwicklung in den nächsten 42 Jahren zutiefst beeinflusst und gestaltet hat. Es ist auch ein unpersönliches, objektives Ur-Phänomen, denn es findet seinen Ausdruck in der biografischen Entwicklung eines jeden Menschen, soweit er oder sie ehrlich nach wirklicher Selbsterkenntnis strebt. Derzeit bleibt es im Leben der meisten Menschen mehr oder weniger unbewusst, aber in Zukunft wird es viel bewusster werden. Und aus diesem Grund habe ich mich, als Teil all unserer Vorbereitungen für diese Zukunft, entschieden, euch einige Aspekte davon mitzuteilen.
Es war mein Karma, dass mein Leben als Erwachsener mit einem einschneidenden spirituellen Ereignis zu Anfang meines 21. Lebensjahres beginnen sollte. Das hat natürlich die gesamte Biografie von Anfang an geprägt und ihr Energie, Substanz und Struktur gegeben. Dieses Ereignis brachte mit großer Intensität spirituelle Erfahrungen ins volle Bewusstsein, die heute im Unbewussten der meisten Menschen schlummern. Ein solches frühes spirituelles Erwachen verwandelt die gewöhnliche Geburt des »Ichs«, die jeder in diesem Alter durchmacht, in eine voll bewusste spirituelle Erfahrung, die bedeutende positive, aber auch herausfordernde Auswirkungen auf das kommende Leben als Ganzes hat.
Im gewöhnlichen Bewusstsein erlebt man die Geburt des »Ichs« mit 21 nur insofern, als man beginnt, ein klares Selbstbewusstsein in der physischen Welt zu besitzen. Man weiß, dass man ein »Ich« ist. Man weiß: »Ich bin ein persönliches ›Ich‹ das sich von jedem anderen ›Ich‹ unterscheidet.« Es ist nicht das wirkliche spirituelle »Ich«, dessen man sich bewusst wird, sondern nur sein reflektiertes Bild, das durch den Spiegel des astralen, ätherischen und physischen Leibes verursacht wird. Man hat keine wirkliche Erfahrung des spirituellen Wesens des »Ichs«. Stellt euch nun vor, dass die beiden Aspekte des »Ichs« in ein und derselben Zeit zu vollem Selbst-Bewusstsein kommen. Beide leuchten gemeinsam in einem Ereignis auf, und die Geburt des »Ichs« wird bewusst, d. h. selbstbewusst, als die Geburt des wirklichen geistigen Wesens des »Ichs« erlebt. Was in klarem und deutlichem Selbstbewusstsein aufleuchtet, ist das wirkliche spirituelle Wesen des »Ichs«, nicht sein gewöhnliches Spiegelbild durch die Leiber. Man erlebt sozusagen die Geburt des wirklichen, spirituellen, höheren »Ichs« zusammen mit der Geburt des gewöhnlichen Selbstbewusstseins in einem einzigen Ereignis.
Ich habe diese Erfahrung aus anthroposophischer Sicht in meinen Büchern beschrieben, als Quelle meiner späteren spirituellen Entwicklung und Forschung. Ihr müsst verstehen, dass diese Einheit zwischen dem wirklichen spirituellen Wesen und dem gewöhnlichen Selbstbewusstsein zunächst nur auf einen Punkt beschränkt ist; man ist sich bewusst, dass man sein wahres Wesen auf eine übersinnliche, imaginative Weise als ein spirituelles, unsterbliches, Christus-ähnliches »Ich« erlebt. Die Erfahrung der Geburt des wahren spirituellen »Ichs« erfolgt durch das gegebene übersinnliche Bewusstsein, das jedoch auch vom gewöhnlichen Selbstbewusstsein durchdrungen ist. Aber auch das gewöhnliche Selbstbewusstsein wird in derselben Zeit geboren! Die beiden werden im selben Ereignis geboren, in und durch einander, was sich als unerschütterliche feste und solide kognitive geistige Grundlage für alles zukünftige Leben erweisen wird. (9)
Die entgegengesetzte Seite dieses unerschütterlichen Fundaments war jedoch ebenso intensiv. Ich muss es so sagen, wie es wirklich geschehen ist, auch wenn dies ein Widerspruch zu sein scheint. Diese Einheit und Fortsetzung des übersinnlichen »Ich«-Bewusstseins war in einem Punkt tatsächlich fest und unerschütterlich. Aber was meinen ganzen Menschen betraf, so war das genaue Gegenteil der Fall. Ich stand sofort vor der innerlich widersprüchlichen Situation, in der – ich kann es nicht anders ausdrücken – mit der gleichen klaren und genauen geistigen Wahrnehmung, durch die die oben beschriebene Einheit zwischen dem niederen und dem höheren Selbst erlebt wurde, ich aber auch gleichzeitig erlebte, dass soweit es mein Leben als Ganzes betrifft, beide Selbste völlig voneinander getrennt waren. Diese intensive Erfahrung der Dualität wurde direkt hier und jetzt zeitgleich mit der Erfahrung der höheren geistigen Einheit gemacht und diese Dualität wurde durch eben diese Einheit erfahren und begriffen.
Das bedeutet, dass die Einheit der zwei »Ich«-Wesen, die in meiner geistigen Erkenntnis völlig aktuell war, zunächst wirklich nur auf diesen einen Strom beschränkt war. Sie wurde einzig durch das Nadelöhr verliehen, durch das die beiden Bewusstseinszustände und die beiden Seiten des »Ichs« wirklich als ein und dasselbe erlebt wurden. Das Besondere war, dass, wenn man sich außerhalb des irdischen Selbstes befand, ein Selbst-Erleben als ganzheitliches spirituell-irdisches Selbst nur in diesem einen Punkt möglich war. Allein in diesem Punkt bildeten die beiden zunächst einen ununterbrochenen Strom von übersinnlichem Bewusstsein, der völlig real und aktuell war. Aber für den Rest meines Seins und meiner Erfahrung in der Welt war das absolute Gegenteil genauso klar und eindeutig erlebbar. Was im gewöhnlichen menschlichen Bewusstsein ansonsten völlig unbewusst bleibt, die absolute Dualität zwischen dem höheren und dem niederen Selbst, wurde sowohl vollständig als auch spirituell bewusst.
Dieses Paradoxon muss sehr klar begriffen und verstanden werden. Neben dieser voll bewussten spirituellen Verbindung zum geistigen »Ich« und zur geistigen Welt, in der es beheimatet ist, waren alle anderen Aspekte meines menschlichen, irdischen und geistigen Lebens nach wie vor voneinander getrennt. Es blieb mir überlassen, die Kräfte zu entwickeln, die notwendig sind, um eine bewusste Brücke zwischen ihnen zu bauen. Und diese Aufgabe hat sich als unendlich schwierig erwiesen und ich kann erst jetzt mit 63 sagen, dass ich spüren kann, dass diese Aufgabe der Brückenbildung 42 Jahre nach diesem Ereignis schließlich erfüllt ist.
Nun ist die gute Nachricht, dass dies die Worte Rudolf Steiners bestätigt, dass wir die Möglichkeit haben, in unserer Zeit mithilfe der Anthroposophie unsere Entwicklung, unser ganzes Leben über fortzusetzen und zu intensivieren. Es war mein Karma in diesem Leben, die moderne Aufgabe der Spiritualisierung der Biografie von der Geburt des »Ichs« an auf mich zu nehmen. Auf diesem Weg musste ich auch herausfinden, wie man geistig jünger und jünger werden kann, je älter man körperlich wird, um diese vergeistigten Kräfte zu nutzen zur Überbrückung der Dualität zwischen meinem niederen und höheren Selbst.
Ich teile dies zum jetzigen Zeitpunkt mit, da unsere Arbeit das Stadium erreicht hat, in dem eine solche Mitteilung möglich ist. Wir beginnen jetzt, als Gemeinschaft zu erleben, was es braucht, damit solche Mitteilungen nicht theoretisch und intellektuell bleiben, sondern in unserem Leben zu lebendigen Kräften werden. Viele Dinge, die zum Verständnis dessen notwendig sind, was ich im Folgenden über meine spirituelle Biografie sagen werde, werden in den nächsten Vorträgen vermittelt und erst zu einem Ganzen zusammengefügt werden, nachdem alle noch ausstehenden Vorträge gegeben worden sind.
Ich glaube, dass mein Beispiel unsere Hoffnung, unseren Glauben und unser Mitgefühl uns selbst und unseren Mitmenschen gegenüber stärken und festigen kann. Dabei handelt es sich um die spirituelle Reise eines jeden Menschen, der heute ernsthaft und ehrlich danach strebt, den modernen spirituellen Weg zu finden, der zum Michael-Christus-Impuls führt. Es kann uns auch helfen, konkreter zu verstehen, was im wirklichen Leben einer realen Person tatsächlich mit den Gralsmysterien gemeint ist. Es ist im Wesentlichen eine universell-menschliche Erfahrung in unserer Zeit; jeder wirklich strebende Mensch in diesem Zeitalter wird diese menschliche Doppel-Natur zumindest bis zu einem gewissen Grad erleben, wenn er oder sie ernsthaft danach strebt, echte Selbsterkenntnis zu erlangen.
Ich erinnere mich lebhaft daran, dass ich mir in vielen Momenten ernüchternder Selbsterkenntnis in der Mitte meiner 20er-Jahre sagte: »Ich bin so schrecklich jung, um die Dinge zu tun, die ich als meine höchste geistige Pflicht mich entschlossen habe zu tun.« Ich war mir zutiefst bewusst, wie unreif und weit entfernt ich vom Ideal war, ein ganzer Mensch zu werden. Dieses Gefühl war in meinen 20er- und frühen 30er-Jahren sehr intensiv. Meine physische Aufgabe war es, die neue anthroposophische Gemeinschaft aufzubauen, die den neuen Michael-Strom auf der Erde aufnehmen und unterstützen soll, und diese Aufgabe stand die ganze Zeit als lebendiger Vorwurf vor mir. Die Quelle meines spirituellen Lebens wurde auch die Quelle meiner ernüchternden und oft auch bitteren Selbsterkenntnis. Es war ein und dasselbe Licht der geistigen Erkenntnis, das mir durch mein höheres Selbst zuteil wurde, das mich einerseits kontinuierlich mit den höheren Welten verband, mir aber andererseits auch ständig mein niederes Selbst zeigte. Es ist nicht möglich, dieser höchsten Quelle treu zu bleiben, ohne zu akzeptieren, was dieses Licht offenbart mit all seinen schmerzhaften Folgen. Deshalb standen beide Selbst – das niedere und das höhere – in diesem Licht deutlich vor mir. Alle meine menschlichen Schwächen und Mängel waren ständig sichtbar und fühlten sich im wirklichen Leben wie ein saurer, bitterer Geschmack in meinem ganzen Wesen an. Wann immer ich zu meinem höheren Selbst aufblickte und weiterhin danach strebte, meine spirituellen Ziele zu erreichen, musste ich meinen Blick auch auf meine menschliche, allzu menschliche, Natur richten.
Dies wurde bereits Mitte meiner 20er-Jahre zu einer grundlegenden, existenziellen Stimmung, die sich weiter intensivierte bis zur Mitte meiner 30er-Jahre und darüber hinaus. Dann, in meinen 40er-Jahren, kam zu dem Gefühl der akuten Unzulänglichkeit noch etwas Anderes hinzu, noch ernüchternder und schmerzhafter. Ich konnte nun bereits auf fast 20 Jahre geisteswissenschaftliche Arbeit zurückblicken. Auch dieser Rückblick war ein stark gespaltener, denn er offenbarte mir – wieder im wahren Licht der Selbsterkenntnis –, inwieweit und in welchem Bereich meines Lebens ich ganzheitlicher geworden war, aber auch, wo ich diese Ganzheit nicht erreicht hatte und wo die Kluft zwischen den beiden Selbsten tatsächlich größer geworden war als zuvor. Ich fühlte, um es positiv auszudrücken, dass meine Bemühungen, in meinen 20er- und 30er-Jahren ein wachsendes Gleichgewicht und eine wachsende Harmonie zwischen meinem höheren und niederen Selbst zu erreichen, nur auf einseitige Weise erfolgreich gewesen waren. Am ernüchterndsten war die Tatsache, die ich sehr deutlich erlebte, dass ich mich paradoxerweise selbst nur als ganzen Menschen erleben konnte, wenn ich mich außerhalb meines gewöhnlichen Selbstes befand. Dieses Paradoxon hätte zeitweise als Quelle tröstender Hoffnung auf der höheren spirituellen Ebene erlebt werden können, aber unmittelbar danach auch als Quelle wachsenden Elends, während ich darum kämpfte, mich auf der menschlichen Ebene in meinen Leibern und Seelenkräften zu verkörpern und sie zu beherrschen. Ohne diesen ständigen Kampf, ein ganzer Mensch zu werden, muss mein spiritueller Fortschritt als einseitiger Prozess gesehen und erlebt worden sein. Bis zu einem gewissen Grad konnte ich meine niederen Kräfte vergeistigen und sie aufwärts strömen lassen, um meine höheren kognitiven Fähigkeiten zu nähren, und ich konnte sie in meiner spirituellen Forschung nutzen. Aber ich fand es viel schwieriger, diesen Strom umzukehren und die höheren Kräfte nach unten strömen zu lassen, um meine niederen Leiber und Seelenglieder zu heilen und umzuwandeln.
Tatsächlich wurde mit jedem Jahr eine wachsende, gähnende Diskrepanz spürbar zwischen meinem gewöhnlichen Leben als irdischer Mensch und den geistigen Impulsen, denen ich diente, denen meine Seele und meine geistigen Kräfte gewidmet waren. Ich konnte ihnen treu bleiben, was auch in meinem persönlichen Leben in der physischen Welt geschah, denn die bewusste Verbindung zu den höheren Welten brach niemals ab, seitdem mein geistiges »Ich« im Alter von 21 Jahren geboren worden war. Und diese Verbindung wäre dieselbe geblieben, auch wenn alle Umstände meines persönlichen Lebens völlig andere gewesen wären. Aber ich konnte meinen physischen Pflichten als gewöhnlicher Mensch nicht gleichzeitig genauso treu werden! Zwischen dem spirituellen Teil, der nach dem Höchsten und Tiefsten strebte, und meinem gewöhnlichen menschlichen Selbst, wurde der Abgrund tatsächlich tiefer. Die Amfortas-Parzival-Dualität nahm mit der Zeit sogar zu, anstatt sich anzunähern. Diese Dualität wurde in diesen Jahren für mich und die mit mir verbundenen Menschen in vielen Momenten sehr schmerzhaft. Besonders in der Mitte meiner 40er-Jahre wurde diese Dualität außerordentlich heftig und bitter.
Als das Ende des letzten Jahrhunderts näher rückte, war klar, dass es sowohl in meiner eigenen Gemeinschaft als auch in der Anthroposophischen Gesellschaft und Bewegung insgesamt keine positive Resonanz auf meine spirituellen Forschungen gab, und dass es weder eine esoterische Schule noch eine Gemeinschaft gab, in der man die wichtigsten spirituellen Fragen der Anthroposophie besprechen konnte. Für mich bestand die größte objektive Dringlichkeit, den nächsten Schritt für die Entwicklung des anthroposophischen Impulses auf der Erde zu finden und ihn vom 20. zum 21. Jahrhundert zu führen. Aber der Weg nach vorne, im Hinblick auf die Möglichkeiten der Entwicklung der Anthroposophie auf der Erde, schien völlig blockiert. Hätte mein spiritueller Lehrer in dieser entscheidenden Zeit keinen Weg gefunden, mir zu versichern, dass mein spiritueller Weg trotz der inneren und äußeren Hindernisse in den Augen Michaels wahr und fruchtbar ist, hätte ich vielleicht meine äußere spirituelle Arbeit in dieser Zeit eingestellt. (10) Ich musste bis zum Ende des Jahrhunderts warten, um zu erkennen, dass auch objektiv in der geistigen Welt ein neues Licht in der Dunkelheit des ausgehenden 20. Jahrhunderts erschien, und dass ein zukünftiger Weg gesehen werden konnte, der zwar anfangs schmal, aber dennoch wahr und mächtig war. Und als die Jahrtausendwende kam, konnte ich deutlich die ersten Strahlen des Sonnenaufgangs des neuen Christusereignisses des 21. Jahrhunderts sehen, die den geistigen Horizont erhellten. (11)
Zu der Erfahrung, für meine geistigen Aufgaben unreif zu sein, die mein Leben bis zum Alter von 35, 36 Jahren prägte, kam nun die Erfahrung dieser Dualität und Diskrepanz hinzu, die sich nach der Mitte des Lebens verdichtete. Gegen Ende meiner 30er-Jahre hatten die Kräfte der Bewusstseinsseele auch diesen Effekt, dass sie diese Dualität eher vergrößerten als verringerten. Ich habe natürlich auch in dieser Hinsicht seit vielen Jahren meine anthroposophischen Hausaufgaben gemacht und alles studiert, was ich aus dem gesamten mir zur Verfügung stehenden Werk Rudolf Steiners mit dieser Situation in Verbindung bringen konnte. Tatsächlich habe ich gerade in diesen Jahren immer wieder seine grundlegende Charakterisierung der Amfortas-Parzival Dualität in den Mittelpunkt meiner Meditationen gestellt, die nun, man kann sagen, zu einem dauerhaften Zustand in meinem Leben wurde:
Der Mensch der neueren Zeit trägt diese Doppelnatur in sich: strebender Parzival – und verwundeter Amfortas. So muß er sich selbst fühlen in seiner Selbsterkenntnis. Daraus quellen dann die Kräfte, die eben aus dieser Zweiheit heraus zur Einheit werden müssen und den Menschen wieder ein Stück weiterbringen sollen in der Weltentwickelung. In unserer Verstandes- oder Gemütsseele, in den Tiefen unseres Innern müssen sich treffen der an Leib und Seele in einer gewissen Beziehung verwundete moderne Mensch, der Amfortas, und Parzival, der Pfleger der Bewußtseinsseele. Und es ist nicht uneigentlich gesprochen, sondern ganz eigentlich gesprochen, daß der Mensch, um die Freiheit sich zu erringen, durch die »Verwundung« des Amfortas gehen muß, den Amfortas in sich kennenlernen muß, damit er auch den Parzival kennenlernen kann… Das ist nicht eine wirkliche Charakteristik unserer Zeit, wenn man die Amfortas-Natur hinwegleugnen will. Weil sich der moderne Mensch so gern mit der Maja umgibt, geschieht es, daß er den Amfortas hinwegleugnen will. Denn wie schön klingt es, wenn gesagt wird: »Die Menschheit schreitet immer vorwärts!« Ja, aber dieses »Vorwärtsschreiten« macht eben verschlungene Wege durch! Und um in der Menschennatur die Parzival-Kräfte auszubilden, muß die Amfortas-Natur im Menschen selber erkannt werden. (12)
Jetzt kam zu dem Gefühl, unreif für meine spirituelle Aufgabe zu sein, das meine 20er-Jahre dominierte, und zu der Vertiefung der Erfahrung der unüberbrückbaren Dualität, die meine 30er-Jahre dominierte, zunehmend eine dritte Erfahrung hinzu. Sie tauchte während meiner 40er-Jahre als Ergebnis der beiden vorherigen auf. Ich kann sie nur als ein wachsendes Gefühl der Hilflosigkeit angesichts dieser wachsenden Dualität bezeichnen. Ich spürte, dass sich eine Mauer zwischen meinem höheren und meinem niederen Selbst bildete und dass der Abgrund immer unüberwindbarer wurde. Auf dem immer schmaler werdenden Pfad zwischen ihnen musste ich kämpfen, um meine spirituelle Forschung und Aufgabe in den Übergangsjahren vom 20. zum 21. Jahrhundert zu retten.
Betrachten wir nun die subjektive Gestaltung des Seelenlebens in diesen Jahren etwas genauer unter der Einwirkung dieser wachsenden Dualität und geistigen Hilflosigkeit. Meine Hilflosigkeit wurde noch verschärft, weil mein Stolz mich daran hinderte, um echte Hilfe zu bitten, was natürlich bedeutet, aus dem einzigen Seelenzustand heraus zu bitten, der sich für das Empfangen der notwendigen Hilfe öffnen kann. Aber genau dieser Zustand der Seele wurde durch meinen Stolz blockiert! So fühlte ich paradoxerweise gleichzeitig ein verstärktes Gefühl der Hilflosigkeit, weil meine geistigen Kräfte meine Dualität nicht überbrücken und heilen konnten, während der hartnäckige Stolz aber jedes Mal aufs Neue sein Haupt erhob. Dieser Stolz war jedoch nur ein Teil einer immer sichtbarer werdenden Kraft der inneren Opposition, die tatsächlich rebellierte und mächtig gegen meinen höheren Willen kämpfte. Dies hatte den Effekt, meine Seele in sich selbst zu isolieren und zu verhärten. Nun, weil ich mir dieses Stolzes bewusst war, schämte ich mich auch zutiefst, nicht um echte Hilfe bitten zu können. Dies entwickelte sich zu einem starken Gefühl der Schuld und war die Ursache für eine schwerwiegende Selbstverurteilung. Außerdem wurde die Situation noch schlimmer, weil diese Schuld und das mitleidlose Selbsturteil erhöhte Furcht und Angst verursachten. Gemeinsam verdichteten sich Stolz, Scham, Schuld, Verurteilung und Angst und gerannen im Gefühlsteil der mittleren Verstandes- oder Gemütsseele. Das wurde so intensiv, dass mit ihnen zusammen die Hilflosigkeit wuchs. Ein Teufelskreis wurde so in den Tiefen meiner Verstandes- oder Gemütsseele fest etabliert. (13)
Ich konnte mir wirklich sagen: »Alles, was Rudolf Steiner sagt über die Wunde von Amfortas und die Art und Weise, wie sie in den Gralsgeschichten dargestellt wird, wird schrecklich konkret und real« aber ebenso konkret und real wurde auch meine Hilflosigkeit als ich darum kämpfte, die neuen Kräfte des Parzival zu erschaffen, die in der Lage sein sollten, hinunterzuströmen, die toten und kranken Körper- und Seelenteile zu durchdringen, die Wunde zu heilen und mein geteiltes Wesen zu vereinen. Es war wirklich mein Schicksal in diesen Jahren, den Gral weiter täglich in meinem geistigen Leben und Wirken sehen zu können, aber die bittere Tatsache zu erleben, diese Kräfte nicht nutzen zu können, um meine eigene Wunde zu heilen. Dies war ein höchst beunruhigendes und schmerzhaftes Rätsel und Geheimnis, das in diesen Jahren zum zentralen Rätsel meines gänzlich gespaltenen Lebens wurde. Und es wurde auch nicht so schnell gelöst oder geheilt.
Lasst mich nun den folgenden Punkt sehr deutlich machen, um sehr häufigen psychologischen Fehlinterpretationen und Missverständnissen des Inhalts dieses Vortrags vorzubeugen. Es muss betont werden, dass für den Geisteswissenschaftler diese Erfahrungen, die naturgemäß die menschliche Seele schwer belasten können, nicht nur gewöhnliche menschlich-persönliche Erfahrungen sind. Er strebt danach, sie – wie er es mit all seinen persönlichen Erfahrungen zu tun versucht – in echte Organe der spirituellen Wahrnehmung und Erkenntnis zu verwandeln. Der vorherrschende psychologische Verdacht und Einwand, der sich zu recht auf eine unwahre Spiritualität richtet, sollte nicht auf unsere Arbeit gerichtet sein. Die Geisteswissenschaft, nicht in der Theorie, sondern in der Praxis, kann weder als Flucht vor Schmerz und Frustration noch als Entschuldigung und Erlaubnis verwendet werden, sich selbst und andere im Namen hoher spiritueller Ideen zu missbrauchen. In der Tat bedeutet die Bewusstwerdung der Hilflosigkeit gegenüber der eigenen niederen Natur in der Zeit der größten Einsamkeit in der Außenwelt, dass man alle Seelenschmerzen, Entbehrungen und Sorgen viel intensiver erleidet, als es sich ein gewöhnlicher Mensch vorstellen kann. Aber der Geisteswissenschaftler sucht nicht nach »Therapie«, wenn wir mit diesem Wort einfach nur ein Abtreten des Schmerzes und die Rückkehr zum »Normalzustand« meinen, was immer dieser Normalzustand auch bedeuten mag. Er strebt danach, die Werkzeuge zu entwickeln, um geistiges Wissen zu erlangen; und das bedeutet, dass er seine Gefühle in Seelenfähigkeiten verwandelt, die echte spirituelle Einsicht bringen und mit ihnen neue spirituelle Fakten und Verbindungen in der realen Welt entdecken lassen. Er benutzt sie, um die objektiven Rätsel und Geheimnisse des Menschen und der Welt zu erforschen. Deshalb ist die gute Nachricht (aber für eine so gute Nachricht muss man einen Preis großen Leidens zahlen), dass ich diese einzigartige Seelensituation als mein Laboratorium benutzte, ganz objektiv, um erfahrungsmäßig und experimentell Erkenntnisse aus erster Hand über die moderne, typisch gespaltene menschliche Verfassung zu gewinnen; ein Wissen, das sich alle modernen Menschen aneignen müssen, wenn sie den Weg des Wissens ehrlich und praktisch beschreiten wollen. Nur dieses Wissen, das durch das tatsächliche geistige Leben gewonnen wird, kann euch zu den wahren Gralsmysterien unseres gegenwärtigen Michael-Zeitalters führen. Wie Rudolf Steiner betonte, ist diese bittere Selbsterkenntnis etwas, das man als moderner Mensch wünschen sollte, bewusst zu erleben und zu erwerben, denn ohne sie ist keine wahre Selbst- und Welterkenntnis im Zeitalter der Bewusstseinsseele möglich.
Nun, ich kann nicht darüber klagen, dass mir diese Erfahrung gefehlte hätte! Ich habe in den schwierigsten Jahren gelernt, wie ich meine Hilflosigkeit als Quelle neuer Kraft nutzen kann. Ich wurde sehr aktiv darin, die Erfahrungen, die ich machte, so zu studieren als ob ich die Erfahrungen eines anderen studieren würde, völlig aus mir heraustretend während dieser Forschung. Auf diese Weise konnte ich bewusst und objektiver in die niedere Natur des Menschen in unserer Zeit eintreten. Dort lernte ich aus erster Hand, an meinem eigenen Wesen, die ersten grundlegenden Lehren des kleinen Hüters der Schwelle kennen, die ich später als Grundlage für die Schule der Geisteswissenschaft verwenden konnte: die Zwillingsgesetze der Umkehrung und der Selbst-Ausnahme, die unser ganzes unbewusstes, instinktives, seelisches Leben bestimmen, die unseren instinktiven Egoismus verursachen. Ich konnte genauestens beobachten, wie die luziferisch-ahrimanischen Kräfte, deren Festung in meinen toten Körper- und Seelenkräften verwurzelt ist, alle Ideen und Ideale in ihr genaues Gegenteil verkehren, und wie die Arroganz und Angst, die sie inspirieren, das Ego in sich selbst so sehr aufblähen, isolieren und verhärten, dass es überzeugt ist, dass es von der Erfüllung der in Rudolf Steiners Buch Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? beschriebenen Gesetze der spirituellen Entwicklung ausgenommen ist. Ich konnte in diesen Jahren erkennen, wie diese Zwillingsgesetze unser bestes geistiges Streben umkehren und wie sie die bittersten und zerstörerischsten Konflikte in allen Bereichen des anthroposophischen Lebens seit dem letzten Jahrhundert verursacht haben. (14)
In jenen Jahren, die sich bis gut zum Ende meiner 40er-Jahre erstreckten, lernte ich aus erster Hand die Natur der luziferischen und ahrimanischen Kräfte kennen, die sich in unseren toten Körpern und kranken Seelenkräften einnisten und ihre Festungen bauen. Ich fand einen Weg, in den innersten Mittelpunkt dieser Seelen-Dualität in ihrer ursprünglichsten Form zu gelangen, wo man sich mitten in der Schlacht befindet, die ständig in der Mitte unseres Wesens von den beiden gegnerischen Kräften gegen unser wahres Wesen ausgetragen wird. Ich erinnere mich, dass ich mich oft mit bitterem Gefühl der Frustration an meine geistigen Gefährten wandte und um ihre Hilfe flehte, weil ich fühlte, dass ich es allein nicht schaffen konnte. Und stets wiesen sie mich höflich, sanft, aber sehr entschieden auf mich selbst zurück. Sie sagten immer zu mir: »Hör zu, es gibt keine Abkürzungen auf deinem Weg, weil du dich entschieden hast, alle Fehler und Irrtümer eines modernen Menschen in dich aufzunehmen; in der geistigen Welt, bevor du diese Inkarnation angenommen hast, wolltest du vor allem ein ganz realer moderner Mensch werden, und jetzt kämpfst du dagegen an, wenn sie zu deinem Schicksal werden. Es bist nur du selbst, der dir im eigenen Weg steht. Du legst dir ständig neue Steine in den Weg, um über sie zu stolpern, und dann beschwerst du dich darüber. Wenn du aufhören würdest, gegen dich selbst zu kämpfen, wenn du dein Karma mit allen Kräften deiner Seele und deines Herzens annehmen würdest, dann würdest du erkennen, dass eines Tages die scheinbar undurchdringlichen Mauern, die dein Wesen in zwei Teile teilen, zerfallen werden.« Aber diese Akzeptanz erwies sich als sehr schwierig. Ich konnte die Kräfte des Mitgefühls für mich selbst und für die Menschen um mich herum nicht entwickeln. Ich war einfach nicht bereit, mit Liebe und Verständnis den Widerstand gegen meine Arbeit außerhalb und innerhalb meines eigenen Wesens zu akzeptieren. Deshalb konnte ich nicht zustimmen, wirklich sterblich zu werden und auf der einen Seite meine eigene Schwäche, Hilflosigkeit und Schmerz sowie die der anderen Menschen zu erfahren und auf der anderen Seite den Widerstand, die Angst und den Hass gegenüber dem geistigen Impuls, dem ich dienen wollte. Aber das bedeutete, dass ich nicht bereit war, mein eigenes Karma in diesem Leben anzunehmen, es mit Liebe und Gnade zu erleben und die Herzbrücke über den Abgrund dieser Dualität zu bauen.
In dieser Zeit hatte ich eine weitere ausgeprägte existenzielle Erfahrung, die mit dem oben genannten verbunden war. Ich erkannte, inwieweit ich im Vergleich zu anderen Menschen in meiner menschlichen Entwicklung unglaublich und bemerkenswert zurückgeblieben und langsam bin. Ich konnte sehen, wie meine Kameraden auf natürliche Weise ihre Plätze in der physischen Welt einnahmen, wie instinktiv ihre gegebenen anthroposophischen Jobs und Berufe ausfüllend. Leicht wurden sie, mitfühlend gesagt, fest und strukturiert in ihrem stabilen physischen und sozialen Leben und seinen Rollen. Je mehr sich meine Gemeinschaft entwickelte und blühte – physisch gesprochen –, desto mehr fühlte ich mich »heimatlos«, weil sie Formen annahm, die alles, das ich fühlte, was die wirklich moderne anthroposophische Gemeinschaft werden müsse, völlig umkehrte und ihm widersprach.
Neben dieser Hilflosigkeit gab es keinen Moment, in dem ich sagte: »Oh lieber Yeshayahu, du musst jetzt aufhören und deine Ideale und dein Streben aufgeben und dich dem gewöhnlichen Weg deiner Partner anschließen.« Ich sagte mir: »Obwohl du so lange Zeit keine sichtbaren Veränderungen und Fortschritte sehen kannst, müssen deine kontinuierlichen Bemühungen schließlich eine kritische Masse erreichen. Sie müssen schließlich einen positiven Effekt in den Tiefen deines Wesens haben.« Und tatsächlich, ihre Wirkung kam! Sie kam jedoch, wie ich in Kürze beschreiben werde, mit einer Intensität all des nicht akzeptierten Karmas, die alle meine Erwartungen völlig übertraf.
Bevor ich mit der Geschichte meines Lebens fortfahre, möchte ich noch einmal auf das zurückblicken, was ich in diesen Jahren gelernt habe über das Wesen des Amfortas-Parzival-Problems, das so charakteristisch ist für viele aufrichtig strebende Menschen im Zeitalter der Bewusstseinsseele. Ich sagte zuvor, dass mein Hauptproblem darin bestand, dass ich die vergeistigten kognitiven Kräfte, die ich aus den Kräften meines Körpers und meiner Seele extrahierte, nicht ergreifen und als Heilkräfte in die unteren Wesensglieder zurückströmen lassen konnte. Dieses Rätsel war umso verblüffender, als ich tatsächlich einige meiner niederen Kräfte vergeistigte, weil dies für die Entwicklung meiner höheren Erkenntniskräfte notwendig war, wie man an der Ätherisation des gewöhnlichen Denkens und der Sinneswahrnehmung erkennen kann, welche die Grundlage von Die neue Erfahrung des Übersinnlichen und Michaelisches Yoga ist. Bei genauerer Untersuchung wurde mir klar, dass die Spiritualisierung der niederen Wesensglieder und unbewussten Seelenkräfte eine Nachbildung dieser Dualität auch in den niederen Kräften geschaffen hat. Es teilte die Leiber und die Verstandes- oder Gemütsseelenkräfte in zwei Hälften, in einen höheren Strom, der die sich entwickelnden spirituellen Kräfte unterstützt, und in einen niederen, nach unten gehenden Strom, der sich umso stärker in sich selbst verhärtete. Das heißt, einige Teile der unteren Konstitution wurden spiritualisiert und in der Geistesforschung verwendet, während die anderen Teile hartnäckig unverändert blieben. Dadurch entstand ein Spiegelbild der gesamten menschlichen Dualität auch in den unteren Leibern und Seelenkräften. Wenn ich in meinen Körper hinabstieg, konnte ich dort sowohl die höheren, vergeistigten Kräfte als auch die niederen Seite an Seite sehen, und auch die heftigen Angriffe, die die Niederen gegen die Höheren richteten. Nun wurde die allgemeine Dualität auch in den unteren Wesensgliedern widergespiegelt, und ich sah mich zwei Dualitäten gegenüber: der allgemeinen und ihrer Spiegelung in den unteren Wesensgliedern. Aber diese Spiegelung wurde in sich selbst zur Realität, die wiederum auf die allgemeine Dualität einwirkte und sie steigerte. Meine beiden Naturen, die höhere und die niedere, wurden wie einander entgegengesetzte Spiegelbilder, und ich stand in der Mitte, unfähig, zwischen ihnen zu vermitteln und sie zu einer harmonischen Ganzheit zu verschmelzen. Ich konnte nicht genug mitbringen von den höheren Kräften, die aus meinen Wesensgliedern in der Intensivierung des Denkens, Fühlens und Wollens extrahiert wurden, um die Schranken und den Abgrund inmitten meiner selbst zu überwinden und nach unten zu strömen, um die toten Körperteile zu heilen.
Darüber hinaus gab es noch eine weitere beunruhigende Entdeckung, die die gespaltene Seelensituation noch komplizierter machte. Ich stellte fest, dass jede Intensivierung der höheren kognitiven Kräfte eine genau gegensätzliche – umgekehrte – Spiegelbild-Intensivierung in den niederen Kräften verursachte. Das bedeutet, dass zu der bereits bekannten Tatsache, dass ich die höheren Kräfte nicht einfach umdrehen und nach innen und unten schicken konnte, ich auch erlebte, dass jede positive Intensivierung meiner spirituellen Aktivität oben durch einen ebenso intensiven Gegenschlag von unten beantwortet wurde. Es war wirklich wie eine Rebellion und ein Aufstand, der in den untersten Organen und Prozessen des Bauches und des Fortpflanzungssystems stattfand, der tatsächlich jeden neuen Entwicklungsschritt oben nutzte, um seinen Widerstand unten zu verstärken und vehement alles ablehnte, was ich aus der geistigen Welt mit zurück in den Körper bringen wollte. Diese bemerkenswerte Entdeckung war wissenschaftlich gesehen sehr wichtig, denn sie half mir, viele Rätsel bezüglich der dualen menschlichen Natur zu lösen. Lasst mich aber noch kurz einige Aspekte dieser Entdeckung ansprechen.
Oben habe ich die ahrimanisch-luziferische Verbindung im Gefühlsleben der Seele beschrieben, die durch die Sedimente von Stolz, Angst, Scham, Schuld und Selbstverurteilung eine sehr dichte undurchdringliche Schicht bildet. Wenn ihr in der Lage seid, eure Gefühle auf objektive Weise von außen zu beobachten und zu untersuchen, eure emotionalen persönlichen Reaktionen zum Schweigen zu bringen und euren Astralleib völlig zu entspannen, könnt ihr die massiven Verschmelzungen und Vermischungen von Stolz, Angst, Scham, Schuld und Verurteilung beobachten, als ob ihr die Gefühle eines anderen Menschen beobachten würdet. Auf diese Weise könnt ihr einen Teil eurer Gefühle, Sympathien und Antipathien, Leidenschaften und Emotionen in Organe der spirituellen Wahrnehmung verwandeln. (15) Wenn ihr eure Gefühle einsetzt als Organe der unpersönlichen, objektiven, spirituellen Wahrnehmung, dann werden sie auch transparent, und ihr könnt durch sie zu den Kräften durchschauen, die unterhalb der Gefühle wirken, in unteren Regionen der Seele und des Körpers. Dann entdeckt ihr, dass unter diesen undurchdringlichen Gefühlsschichten eine ganz neue Seelenwelt entsteht, zusammengesetzt aus unseren ungezügelten Instinkten, Begierden, Triebe und Leidenschaften, die von diesen Gefühlen genährt werden und sie an diese unteren Regionen und ihre Wesen binden, die sich von ihnen ernähren und durch sie vermehren. Die unterste Region der Seelenwelt, die in der Theosophie als die Region der Begierdenglut und Eigensucht beschrieben wird, öffnet sich vor euch. (16) Ihr erkennt, dass, während eure Aufmerksamkeit mit den aus den Gefühlen von Stolz und Angst, Scham, Schuld und Verurteilung – um nur einige zu nennen – erzeugten emotionalen Zusammenhängen beschäftigt war, darunter, in den unbewussten Tiefen der Seele, wildere Instinkte und Leidenschaften unaufhörlich aufloderten.
Jetzt könnt ihr diese Organe der spirituellen Seelenwahrnehmung so ausrichten, dass sie beobachten und untersuchen, was sich unterhalb der Schwelle unseres Gefühlslebens abspielt, unterhalb dessen, was ich in Michaelisches Yoga die »Zwerchfell-Schwelle« genannt habe. Diese Region erstreckt sich vom Solarplexus bis zu den Fortpflanzungsorganen und -kräften. Die Schwierigkeiten, die auftreten bei den Bemühungen, diese Schwelle zu überschreiten und diese Kräfte zu untersuchen, liegen buchstäblich in den unteren Astralkräften der eigenen Eingeweiden. Aus diesem Grund sind sie nicht leicht zu überwinden. Im Michaelischen Yoga heißt es, dass »diese Ätherisation [des Denkens und der Sinneswahrnehmung] in der Transformation unserer gewöhnlichen Kopf- und Gehirnprozesse viel erreicht hat und durch imaginative Erkenntnis die ersten voll geisteswissenschaftlichen Erfahrungen der kosmischen, ätherischen Welt entfacht. Aber es wurde immer schwieriger, als wir tiefer in den mittleren und unteren Teil des Körpers hinabsteigen wollten, und wurde ganz gestoppt, als wir versuchten, die Barriere der Zwerchfellschwelle zu überschreiten. Und während die Schwelle aus den dichten Verschmelzungen von bewusster und unbewusster seelischer und körperlicher Erfahrungen besteht, existieren unterhalb dieser Schwelle auch jene Bereiche des Körpers und der Seele, die insgesamt außerhalb jeder bewussten Erfahrung gehalten werden.« (17)