Michaelisches Yoga - Yeshayahu Ben-Aharon - E-Book

Michaelisches Yoga E-Book

Yeshayahu Ben-Aharon

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Beschreibung

Anfang des 20. Jahrhunderts stellte Rudolf Steiner eine Herausforderung an die Praktiker der westlichen Geisteswissenschaft: Wäre es möglich, eine neue Form des kognitiven oder Michaelischen Yogas zu entwickeln? Anders als die östlichen Yogis alter Zeit – welche die Vergeistigung des Ein- und Ausatmens praktizierten – würde eine solche zeitgenössische Yoga-Praxis eine Spiritualisierung des Denkens sowie eine Verwandlung des Wahrnehmens und Empfindens beinhalten. In ›Michaelisches Yoga‹ antwortet Dr. Ben-Aharon auf diesen Ruf, indem er den gesamten Prozess des modernen Yoga entwickelt und in bemerkenswertem Detail beschreibt. Durch die vorgestellten Methoden können engagierte Praktiker der Anthroposophie einen lebendigen Rahmen für die geistige Forschung schaffen, und zwar durch ein spiritualisiertes Denken, das mit einer Erneuerung der Erfahrungen von Wahrnehmung und Empfindung sowie des menschlichen Körpers selbst einhergeht.

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Yeshayahu Ben-Aharon

Michaelisches Yoga

Sich selbst einen neuen ätherischen Leibund ätherische Individualität schaffen

Titel der Originalausgabe:Cognitive Yoga – Making Yourself a New Etheric Body and IndividualityPublished by Temple Lodge Publishing Ltd., Hillside House, The Square, Forest Row, RH18 5ES England

Ins Deutsche übertragen von Ulrich Morgenthaler

ISBN: 9783949064449

2. Auflage 2024© der Originalausgabe by Yeshayahu Ben-Aharon 2016© der deutschen Ausgabe by Yeshayahu Ben-Aharon 2021

Ereignis VerlagFürstenrieder Str. 97, 80686 Münchenwww.ereignisverlag.deUmschlaggestaltung: Sylvia Waiblinger

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Einführung
1 Der Lebenszyklus der ätherischen Atmung
2 Die Zusammensetzung der gewöhnlichen Erkenntnis
Die grundlegende Zusammensetzung der gewöhnlichen Erkenntnis: Die Vorstellung
Das Verlangen nach Wissen
Wissen ist Töten
Die Zerlegung der Vorstellung
Das Gehirn entdecken
Ätherisches Einatmen und Ausatmen
Einatmen in den Leib
Der metabolisch-emotiv-kognitive Mechanismus
Ausatmung in die ätherische Welt
3 Die Perle von höchstem Wert: Individuation
4 Ätherisation des Sehens
Farben Atmung
Erster Schritt Ablösen der Qualität »Rot« vom Objekt
Zweiter Schritt »Sich Verröten«
Dritter Schritt Qualität wird zur Intensität
Vierter Schritt Intensität wird zur Offenbarung der ätherischen Welt
Einige geisteswissenschaftliche Beobachtungen
Fünfter Schritt Wesenstausch zwischen Mensch und Welt
Sechster Schritt Eine unüberwindbare Leibesschwelle
5 Ätherisation des Denkens
Die geistigen Lektionen des Todes
Das Ereignis des kosmischen Denkens
Die dreifache Metamorphose des kosmischen Denkens
Zurück zu unseren Sinnen
6 Ätherisation des Geruchs
Erster Schritt Von der Qualität zur Intensität
Zweiter Schritt Von der Intensität zur ätherischen Weltenkraft
Dritter Schritt Zusammenführung der beiden ätherischen Ströme
Vierter Schritt Sammeln der benötigten ätherischen Kräfte
Fünfter Schritt Ätherische Gehirnarbeit
Sechster Schritt Imagination der ätherischen Gehirnarbeit
Siebter Schritt Ätherische Herzarbeit
7 Geburt eines neuen Ätherleibes
Überschreiten der unteren Schwelle
Gegenseitige Befruchtung zwischen Ätherleib und Ätherwelt
Der ätherische Menschen-Welten-Leib
Umkehrung der Pubertät
Umkehrung der Geschlechtertrennung
8 Geburt einer ätherischen Individualität
Die Schaffung des Geistselbst
Stirb und Werde
Eine Hütte Bauen
Die Wunde
Geistige Fortpflanzung
Ätherische Geburt im Feuer
9 Frühe Kindheit einer ätherischen Individualität
Umgekehrte Inkarnation
In den Kindergarten
Erstes Jahr: Kosmisch Denken lernen
Zweites Jahr: Erlernen der kosmischen Sprache
Drittes Jahr: Verkörperung kosmischen Abwärts-Stehens
Des Phönix neue Federn
Viertes Jahr: Erzeugung moralischer Schwerkraft und moralischen Bodens
10 Wesenstausch mit der kosmischen Quelle
Gegenseitiger Wesenstausch
Weitere Arbeiten des Verfassers
Lieferbare Titel
In Vorbereitung
Anmerkungen

Vorwort

Wenn jemand in unserer Zeit die Ergebnisse der geisteswissenschaftlichen Forschung auf der Grundlage seiner eigenen Erfahrung veröffentlicht, erwartet er natürlich viele Einwände. Lassen Sie mich nur einen erwähnen, der in zwei sich ergänzenden Formen vorliegt. Die erste Art des Einwands ist bei den Anhängern der Anthroposophie vorherrschend, die glauben, dass – ungeachtet des individuellen Beispiels Rudolf Steiners – die individuelle übersinnliche Erfahrung nicht die Quelle der Geisteswissenschaft sein sollte. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sich damit zufriedengeben, spirituelle Erfahrungen, Offenbarungen und Visionen zu haben, und die die spirituelle Wissenschaft als zu anspruchsvoll betrachten, weil sie ein ernsthaftes langfristiges Engagement zur Entwicklung klarer, genauer und gedanklicher Kräfte der spirituellen Erkenntnis erfordert. Die Menschen, die die erste Art von Einwand erheben, glauben nun aufrichtig, dass nur die treue Interpretation der Texte des Meisters und die Bewahrung der von ihm geschaffenen kulturellen und praktischen Formen die wirklichen Aufgaben der Geisteswissenschaft sind. Es ist nicht schwer, den Widerspruch in diesem Glauben zu finden: Denn wenn die Geisteswissenschaft eine authentische Wissenschaft sein soll, muss sie auf einer neuen empirischen Erforschung der realen Welt beruhen, die in der menschlichen Erfahrung gegeben ist, und nicht nur auf der Interpretation von Texten. (1) Dennoch bin ich seit der Veröffentlichung meines ersten Buches Mitte der 90erJahre immer wieder auf diesen Einwand gestoßen. Es wird gesagt, dass ich, weil ich meine spirituelle Forschung in meiner eigenen übersinnlichen Erfahrung begründet habe, nicht als treuer Anhänger Rudolf Steiners angesehen werden kann und daher meine Forschung nicht als ernst zu nehmender Beitrag zur Entwicklung der Geisteswissenschaft verstanden werden sollte. Andererseits wird niemand bestreiten, dass viele spirituelle Erfahrungen missbraucht werden, um egoistische Wünsche zu rechtfertigen und einen ähnlichen Glauben an eine äußere Autorität zu fördern. Zwischen diesen beiden Dogmen, dem Dogma der Tradition und dem Dogma der Erfahrung, einen Mittelweg zu finden, ist sicherlich schwierig und muss immer wieder neu entdeckt werden.

Nun, wir sollten den ersten Einwand nicht einfach von der Hand weisen, denn sein Fehler beruht auf einer wichtigen Wahrheit, die vollständig verstanden werden muss. Die von vielen Menschen geforderte Loyalität gegenüber der Autorität von Traditionen, Institutionen und Texten ist eine Verfälschung des wahren Wesens geistiger Loyalität, die sich an die geistigen Kräfte richten sollte, die die ursprünglichen, schöpferischen Impulse selbst hervorbringen, und nicht an die äußeren Formen, in denen sie inkarniert und bewahrt werden. Diese Loyalität ist in der Tat absolut notwendig. Sie ist eine Voraussetzung für den Fortschritt in allen Bereichen des menschlichen Wissens und der menschlichen Schöpfung. Der Fortschritt im menschlichen Leben und Wissen muss in dem reichen Boden begründet sein, der durch die Gründer und Entwickler der einzelnen Zweige unseres kulturellen und sozialen Lebens gepflegt wird. Wenn jemand individuelle Forschung in der Physik präsentieren will, muss er die Grundlagen der Physik studieren und sich einverleiben und vieles mehr. Dieses Wissen wird er dann in seiner gesamten Vorgehensweise bei der Durchführung und Präsentation seiner individuellen Forschung demonstrieren. Wenn wir das Leben von Wissenschaftlern und Künstlern studieren, die wirklich kreativ und unabhängig sind, stellen wir außerdem fest, dass die Treue zu ihren Vorgängern die Quelle ihrer ursprünglichen Schöpfungen war, selbst wenn sie sich mit der Überwindung der veralteten, äußeren Formen der Vergangenheit herumschlagen mussten. Was die Gläubigen des Dogmas der Erfahrung behaupten, nämlich, dass frei und kreativ zu sein bedeutet, Visionen und Inspirationen aus dem Nichts zu empfangen, widerspricht der Tatsache, dass die kreativsten und freiesten Menschen genau die sind, die in den tiefsten Quellen ihrer Fachgebiete verwurzelt sind. Der wahrhaft große Revolutionär bekennt sich gerne zu seiner unbestreitbaren Schuld gegenüber seinen Vorgängern, während der kreative Pionier und abenteuerfreudige Entdecker zugleich der ergebenste Schüler ist. Für die wirklichen Pioniere ist es eine Tatsache, dass »original« die wörtliche Bedeutung des Begriffs bedeutet: Nur in dem Maße, in dem du deine schöpferischen Kräfte von den spirituellen Ursprüngen deines Handwerks ableitest, kannst du danach streben, wirklich originell zu werden.

Rudolf Steiner ist das größte Beispiel dafür, denn er gründete die Geisteswissenschaft auf den besten Errungenschaften der Naturwissenschaften. War er der Wahrheit treu, die von den Gründern der Naturwissenschaften entdeckt wurde? Ganz gewiss. War er ein freier und kreativer Mensch, der eine völlig neue Wissenschaftsdisziplin begründete? Ja, in der Tat. Schließlich ist die frei entwickelte Loyalität zum schöpferischen Gründungsimpuls deiner Disziplin die gleiche Loyalität, die du deinem eigenen wahren Selbst schuldest, denn in der geistigen Welt haben beide die gleiche Quelle. Während im Falle anderer Wissenschaften und Künste die Treue zu den spirituellen Ursprüngen in unterschiedlichem Maße bewusst sein kann, muss sie in der Geisteswissenschaft voll bewusst werden. Wenn du die spirituelle Erfahrung in eine völlig bewusste und kognitive übersinnliche Forschung umwandeln willst, kannst du dich nur dann orientieren, wenn du die wirklichen spirituellen Schritte deines Lehrers genauestens befolgst. Tatsächlich kann man seine individuellen Erfahrungen und Einsichten nur dann einführen, untermauern und bestätigen, wenn man jeden einzelnen Schritt in der zuvor geleisteten spirituellen Arbeit der Meister auf diesem Gebiet begründet. (Es ist wichtig zu betonen, dass dies nicht aus externen Gründen geschieht, wie z. B. um stolz auf die eigene Bildung zu sein oder um in diesem oder jenem Bereich Akzeptanz zu erlangen, sondern allein aus diesen internen Gründen.) Man ist nur dann ehrlich und gewissenhaft, geistig gesehen, wenn man diese Anforderung erfüllt. Dies sind die objektiven Gesetze und Bedingungen auf diesem Wissensgebiet. Und ich weiß sehr wohl, dass es völlig überflüssig ist, jemanden in diesen Dingen zu überzeugen, solange er es nicht selbst erleben will. Sich mit den Gläubigen der Dogmen von Tradition und Erfahrung darüber zu streiten, was die Geisteswissenschaft wirklich ist, ist nie ein produktives Unterfangen. Man kann nur fortfahren, indem man die eigene innere Treue und Wahrhaftigkeit immer wieder überprüft, indem man die immanenten, inhärenten Gesetze und Bedingungen der spirituellen Forschung erfüllt und es dann friedlich dem Leser überlässt, sein eigenes individuelles Urteil zu bilden.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurz einige Momente aus den prägenden Jahren meiner spirituellen Arbeit erwähnen. (2) Mein erwachsenes geistiges Leben begann in einer übersinnlichen Erfahrung des ätherischen Christus. Sofort fing ich an, nach Antworten und Lösungen für die unzähligen Fragen und Rätsel zu suchen, die diese Erfahrung mit sich brachte. Diese Suche führte mich direkt zur Anthroposophie. Zuerst studierte ich Rudolf Steiners Forschungen über den Christus-Impuls. Danach ging ich zur allgemeinen Anthroposophie über, und ein Jahr später las ich Rudolf Steiners eigenen Ausgangspunkt für die Geisteswissenschaft – Die Philosophie der Freiheit. Das geschah genau vor 40 Jahren, 1976. Neben einem kontinuierlichen und intensiven Studium der Anthroposophie begann ich mit größter Begeisterung alles zu studieren, was er je über Erkenntnis, Philosophie, Goetheanismus, Naturwissenschaft und deren Umwandlung in die Geisteswissenschaft geschrieben und gesagt hat. Ich erinnere mich noch mit innerster Seelenwärme an jene kurzen Jahre in meinen frühen 20er-Jahren, die ich der Aufnahme der Grundlagen der modernen Naturwissenschaft und Biologie am Oranim College widmen konnte (einem Zweig der Universität Haifa, wo ich zwanzig Jahre später mit meiner Dissertation über Die Erkenntnis des »Ich« in Husserls Phänomenologie in Philosophie promovierte, in feiner Weise betreut von Prof. Michael Strauss). Ich verbrachte die Vormittage und Nachmittage in den Klassen und Laboren, wo man die großen Errungenschaften der heutigen Physik, Chemie, Biologie, Physiologie und Anatomie mit der ganzen Hingabe und Begeisterung der jugendlichen Studentenkräfte hautnah erleben konnte. Dann habe ich lange Abende und Nächte in meiner kleinen Wohnung gearbeitet, um jede Zeile des naturwissenschaftlichen Wissens mit den natur- und geisteswissenschaftlichen Werken von Goethe und Steiner zu verbinden. Ich fand heraus, dass Rudolf Steiner in den konkretesten, reproduzierbarsten und nachprüfbarsten Details die praktische Erkenntniskunst der Schaffung einer kontinuierlichen kognitiven Brücke demonstriert hat, die aus den reinsten und genauesten Gedanken besteht, die von zeitgenössischer Naturwissenschaft und Denken zur Geisteswissenschaft führen. Ich spürte, dass ich durch die Christus-Erfahrung meine irdische Heimat in der der Erde nächstgelegenen geistigen Welt gefunden hatte, und durch Rudolf Steiners vergeistigte Wissenschaft, Denken und Erkenntnis konnte ich meine geistige Heimat auf der Erde finden. Und der Aufbau einer voll bewussten spirituellen Brücke zwischen den beiden Welten wurde bald zu meinem täglichen spirituellen Atmen. Er wurde zu einem wichtigen Element in meinem Innenleben und meiner spirituellen Forschung, die ich in den letzten Jahrzehnten entwickelt und umgewandelt habe. Dies wurde die Quelle meiner veröffentlichten Bücher, Vorträge und meiner Beiträge zur Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, und ihre Anwendung im gesellschaftlichen Leben wurde zum Ausgangspunkt für die Gründung der Gemeinschaft Harduf. Ich habe die Ergebnisse dieser Forschung in meinen Büchern veröffentlicht, The Spiritual Event of the 20th Century, 1993 (dt. Das spirituelle Ereignis des 20. Jahrhunderts, 1994); The New Experience of the Supersensible, 1995 (dt. Die neue Erfahrung des Übersinnlichen, 1997); America's Global Responsibility, 2002 (dt. Die globale Verantwortung der USA, 2003); The Event in Science, History, Philosophy & Art, 2011 (dt. Das Ereignis in Wissenschaft, Geschichte, Philosophie und Kunst, 2013); und Spiritual Science in the 21st Century, 2013 (dt. Geisteswissenschaft im 21. Jahrhundert, vorgesehen für 2024; Cognitive Yoga: How a Book is Born: Heavenly Jerusalem and the Mysteries of the Human Body, 2017 (dt. Michaelisches Yoga – Wie ein Buch geboren wird: Das himmlische Jerusalem und die Geheimnisse des menschlichen Leibes, 2022); The Twilight and Resurrection of Humanity: The History of the Michaelic Movement Since the Death of Rudolf Steiner: An Esoteric Study, 2020 (dt. Menschendämmerung und Auferstehung der Menschheit: Die Geschichte der Michael-Bewegung seit dem Tod Rudolf Steiners – Eine esoterische Studie, 2021); The Three Meetings - Christ, Michael and Anthroposophia, 2022 (dt. Die drei Begegnungen - Christus, Michael und Anthroposophia, 2022); The Time is at Hand! Ahrimanic and Michaelic Immortality and the Apocalypse of the Age of Michael, 2024 (dt. Es ist an der Zeit! ­Ahrimanische und ­Michaelische Unsterblichkeit und die Apokalypse des Michael-Zeitalters, 2023). Ich betrachte das vorliegende Buch als eine organische Fortsetzung und Entwicklung des essenziellen Fadens, der meine geistige Forschung über die Jahre hinweg verbindet, basierend auf meinem Hauptbuch, Die neue Erfahrung des Übersinnlichen. 3)

Einführung

Rudolf Steiner ging von den höchsten und jüngsten Seelenfähigkeiten aus, die die Menschheit in der Neuzeit entwickelt hat: klares und genaues Denken und hellwache Sinneswahrnehmung. Dieser wachsende Höhepunkt der Evolution des menschlichen Bewusstseins kann auf zweifache Weise verwandelt werden. Einerseits kann das klarste und genaueste Denken spiritualisiert werden. Dies geschieht durch Die Philosophie der Freiheit. Andererseits kann klare und wachsame Sinneswahrnehmung spiritualisiert werden. Dies geschieht durch eine Spiritualisierung von Goethes Studie über die psychologische Wirkung von Farben. Beide können in neue Fähigkeiten der übersinnlichen Forschung umgewandelt werden. Im Zusammenhang mit dieser Aufgabe der Geisteswissenschaft hat Rudolf Steiner in seinem Vortragszyklus Die Sendung Michaels (GA 194, 1919) das Konzept eines »neuen Yoga-Willens« im umfassenden Kontext menschlicher und kosmischer Evolution eingeführt. Er beschrieb es als einen Weg, die »Zukunftskultur Michaels« zu erschaffen und die »Christus-erfüllte Seelenbeziehung zur Natur« zu etablieren.

Im Vortrag vom 30. November 1919 beschreibt er dies so:

Wenn wir wieder ein Beseeltsein unserer Sinnesempfindungen haben werden, dann werden wir wiederum einen Kreuzungspunkt haben, und in diesem Punkt… werden wir zu gleicher Zeit etwas Subjektiv-Objektives haben, wonach Goethe so lechzte. … Die Wirklichkeit ist vielmehr diese, dass ein seelischer Prozess vor sich geht von außen nach innen, der erfasst wird durch den tief unterbewussten, inneren seelischen Prozess, sodass die Prozesse sich übergreifen. Von außen wirken die Weltgedanken in uns herein, von innen wirkt der Menschheitswille hinaus. Und es durchkreuzen sich Menschheitswillen und Weltengedanken in diesem Kreuzungspunkte, wie sich im Atem das Objektive mit dem Subjektiven einstmals überkreuzt hat. Wir müssen fühlen lernen, wie durch unsere Augen unser Wille wirkt, und wie in der Tat [durch] die Aktivität der Sinne… sich Weltengedanken mit Menschheitswille kreuzen. Diesen neuen Yogawillen, den müssen wir entwickeln. Damit wird uns wiederum etwas Ähnliches vermittelt, wie vor drei Jahrtausenden den Menschen in dem Atmungsprozess vermittelt wurde. Unsere Auffassung muss eine viel seelischere, eine viel geistigere werden. … Das wird Michael-Kultur sein.

(30.11.1919, GA 194, S. 111ff, Dornach 1994)

Ein Jahr später führte Rudolf Steiner diese neue Yoga-Praxis als Methode der spirituellen Entwicklung und spirituellen Forschung im ersten Vortragszyklus der Hochschule für Geisteswissenschaft ein mit dem Titel Grenzen der Naturerkenntnis (GA 322, 1920), der anthroposophisch orientierten Akademikern, Wissenschaftlern, Künstlern, Ärzten und sozial engagierten Menschen gewidmet war:

Was ist denn eigentlich der Wahrnehmungsprozess? Der Wahrnehmungsprozess ist nämlich nichts anderes als ein modifizierter Einatmungsprozess. Indem wir die Luft einatmen, drückt diese Luft auf unser Zwerchfell, auf unsere ganze Organisation. Es wird das Gehirnwasser durch den Rückenmarkskanal nach aufwärts nach dem Gehirn gedrängt. Dadurch wird eine Verbindung hergestellt zwischen der Gehirntätigkeit und dem Einatmen. Und dasjenige, was sich vom Einatmungsprozess auf diese Weise im Gehirn spezialisiert, das wirkt in der Sinnestätigkeit als Wahrnehmen. Sodass, ich möchte sagen, ein Ast des Einatmens das Wahrnehmen ist. Dann wiederum beim Ausatmen: Das Gehirnwasser geht hinunter, es drückt auf den Blutkreislauf. Es ist das Hinuntersteigen des Gehirnwassers verbunden mit der Willenstätigkeit, und das wiederum verbunden mit dem Ausatmen. Aber derjenige, der Die Philosophie der Freiheit wirklich studiert, wird finden, dass in jenem Denken, das wir als das reine Denken erreichen, Wille und Denken zusammenfallen. Das reine Denken ist im Grunde eine Willensäußerung. Daher wird dasjenige, was Denken ist, was reines Denken ist, nun verwandt mit dem, was der Orientale erlebte im Ausatmungsprozess. Es ist verwandt das reine Denken mit dem Ausatmungsprozess, so wie das Wahrnehmen verwandt ist mit dem Einatmungsprozess. Wir müssen gewissermaßen mehr zurückgeschoben nach dem Inneren des Menschen denselben Prozess durchmachen, den der Orientale durchmacht mit seiner Yoga-Philosophie. Diese Yoga-Philosophie geht auf ein reguliertes Einatmen, Ausatmen, und ergreift so das Ewige im Menschen. Der Abendländer, was kann er tun? Er kann klar für sich seelisch zum Erlebnis machen auf der einen Seite die Wahrnehmung, auf der andern Seite das Denken. Und er kann dasjenige, was sonst abstrakt und formhaft nur in Ruhe verbunden wird, Wahrnehmen und Denken, in innerem Erleben verbinden, sodass er innerlich geistig-seelisch erlebt, was man physisch erlebt bei Einatmen, Ausatmen. Physisch erlebt man Einatmung, Ausatmung; in ihrem Zusammenklang erlebt man bewusst das Ewige. Im gewöhnlichen Erleben erlebt man die Wahrnehmung, das Denken. Indem man beweglich macht sein seelisches Leben, erlebt man den Pendelschlag, den Rhythmus, das fortwährende Ineinandervibrieren von Wahrnehmen und Denken. Und wie sich eine höhere Wirklichkeit in Einatmung und Ausatmung für den Orientalen entwickelt, so entwickelt sich, indem der Okzidentale in sich den lebendigen Prozess der modifizierten Einatmung im Wahrnehmen, der modifizierten Ausatmung im reinen Denken entwickelt, indem er Begriff, Denken und Wahrnehmung ineinanderwebt, gewissermaßen ein geistig-seelisches Atmen anstelle des physischen Atmens der Yoga-Philosophie. Und er zwingt sich auch allmählich hinauf durch diesen rhythmischen Schlag, durch dieses rhythmische Eratmen in Wahrnehmung und Denken zu der wahren geistigen Wirklichkeit in Imagination und Inspiration und Intuition. Und als ich in meiner Philosophie der Freiheit eben zunächst nur philosophisch darauf hindeutete, dass sich die wahre Wirklichkeit ergibt aus dem Ineinanderschlagen von Wahrnehmung und Denken, sollte, weil eben gerade dieses Buch als innere Seelenkultur gedacht war, hingewiesen werden auf dasjenige, was der Mensch als Abendländer üben muss, um in die Geisteswelt selber hineinzukommen. Der Orientale sagt: Systole, Diastole; Einatmung, Ausatmung. Der Abendländer muss an die Stelle setzen: Wahrnehmung, Denken. Der Morgenländer sagt: Ausbilden des physischen Atmens; der Abendländer sagt: Ausbilden des geistig-seelischen Atmens in dem Erkenntnisprozess durch Wahrnehmen und Denken.

(3.10.1920, GA 322, S. 123ff, Dornach 1981)

Ich habe das Ziel der Michaelischen Yoga-Praxis im 5. Kapitel meines Buches Die neue Erfahrung des Übersinnlichen in einer Weise vorgestellt, die für unsere gegenwärtige Studie ebenso relevant ist:

Unsere Untersuchung des Erkenntnisdramas der Wiederkunft gliedert sich in drei Teile:

Die Verwandlung des Denkens oder das Öffnen der Pforte des Denkens,die Verwandlung der Sinneswahrnehmung oder das Öffnen der Pforte der Wahrnehmung,die Errichtung der Brücke der Erinnerung und Bewusstseinserhaltung über den Abgrund der Geistvergessenheit.

Bei dem Versuch, das moderne Christus-Erlebnis selbstständig zu erinnern, beziehungsweise zu wiederholen, sehen wir uns zwei großen Problemen gegenüber, deren Natur durch die Natur unseres alltäglichen Bewusstseins bestimmt ist: dem Problem des Denkens auf der einen Seite und dem Problem der Sinneswahrnehmung auf der anderen. Aber obgleich sie die Haupthindernisse sind, sind sie gleichzeitig die beiden einzigen Wege, die in das gesuchte Land des ätherischen Christus führen. Soll eine selbstbewusste Brücke zwischen dem normalen, wachen und rationalen modernen Bewusstseinszustand und der inspirierten und intuitiven, imaginativen Erscheinung, Sprache und Handlung des Christus bei seiner Wiederkunft errichtet werden, so kann nur die Bewusstseinsseele selbst – die nach Rudolf Steiner die Seele freier Sinneswahrnehmung und freier Imagination ist – das zuverlässige Fundament bilden. Es gilt demnach zwei verschlossene Pforten zu öffnen: die Pforte des Denkens und die Pforte der Sinneswahrnehmung.

(Die neue Erfahrung des Übersinnlichen, S. 88, Dornach 1997)

In Die neue Erfahrung des Übersinnlichen benutzte ich Michaelisches Yoga, um tiefere Aspekte der Erschaffung der Erkenntnisbrücke zu erforschen, die zur Christus-Erfahrung und zum Christus-Wesen führt. Im vorliegenden Buch habe ich den Umfang meiner Forschungen auf das engere ätherische Feld beschränkt. Dieser Fokus erlaubt es mir, das Folgende näher zu beschreiben:

In Kapitel 1, »Der Lebenszyklus der ätherischen Atmung«, benutze ich den Vergleich mit der Elektrolyse von Wasser in zwei Gase, Wasserstoff und Sauerstoff, um die Trennung und Ätherisation der Sinneswahrnehmung und des Denkens zu erklären, die in unseren Vorstellungen der Welt normalerweise miteinander verbunden sind. Dieser Prozess wird zu einer lebensspendenden ätherischen Atmung zwischen Mensch und Welt, zwischen Himmel und Erde.

Kapitel 2, »Die Zusammensetzung der gewöhnlichen Erkenntnis«, zeigt, wie die gewöhnliche Erkenntnis in der Vorstellung oder Repräsentation zentriert ist, in der alle Erfahrungen, einschließlich der Sinneswahrnehmung und des Denkens, verdichtet und herabgestuft werden. Diese Komposition zu stoppen und die Wahrnehmung und das Denken in ihre ursprünglichen ätherischen Zustände zu befreien, erfordert eine Konfrontation mit den unbewussten Kräften, die sie an das Gehirn binden.

Kapitel 3, »Die Perle von höchstem Wert: Individuation«, beschreibt die menschliche Individuation und Freiheit als das wichtigste Ziel der menschlichen und kosmischen Evolution. Dies kann nur durch eine physische Inkarnation auf der Erde erreicht werden. Erst nachdem sich das menschliche Ich als getrennte Existenz begründet hat, kann es die formenden Kräfte, die es von den geistigen Welten getrennt haben, nutzen und spiritualisieren, um sich, in vollem individuellem Bewusstsein, mit ihnen wieder zu vereinen.

In Kapitel 4, »Ätherisation des Sehens«, erkläre ich Schritt für Schritt, wie die Farbe von den Vorstellungen der Objekte gelöst, vergeistigt und dann direkt in den Körper eingeatmet wird. Dies bewirkt eine Freisetzung des Ätherleibes aus dem physischen Gehirn. Der Widerstand des Körpers nimmt jedoch zu, wenn wir uns darum bemühen, den Ätherleib vom Kopf nach unten zu befreien, was uns dazu veranlasst, uns mit einer scheinbar unüberwindlichen Schwelle im Unterleib zu konfrontieren.

In Kapitel 5, »Ätherisation des Denkens«, wird gezeigt, wie vergeistigtes Denken tiefer in die Todesprozesse eindringt, die gewöhnliche Erkenntnis erzeugen. Diese Kräfte werden sich mit den Kräften verbinden, die aus der Ätherisation der Wahrnehmung gewonnen werden, und helfen ihnen, die untere Leibesschwelle zu überschreiten.

Kapitel 6, »Ätherisation des Geruchs«, zeigt vor allem, wie der Geruchssinn ätherisiert und dazu benutzt wird, tiefer in den Körper einzudringen. Zweitens zeige ich, wie man die beiden Wahrnehmungsströme aus ätherisiertem Sehen und Riechen, unterstützt von den Kräften des ätherisierten Denkens, verbindet, um den Ätherleib vom Kopf zum Herzen zu befreien.

Kapitel 7, »Geburt eines neuen Ätherleibes«, beschreibt, wie der gegenseitige Austausch zwischen der ätherischen Welt und dem ätherischen Leib die reinsten und produktivsten ätherischen Kräfte freisetzt, die seit der frühesten Kindheit der Menschheit bewahrt und geschützt werden. Die Fruchtbildung zwischen den reinsten ätherischen Kräften der Welt und dem Leib empfängt einen neuen ätherischen Nachwuchs, der zur Grundlage eines eigenständigen spirituellen Lebens in der ätherischen Welt wird.

In Kapitel 8, »Geburt einer ätherischen Individualität«, zeige ich, wie der vergeistigte Auszug der stärksten spirituellen Aktivität, die durch Michaelisches Yoga in der physischen Welt erreicht wird, uns befähigt, eine unabhängige spirituelle Individualität in der ätherischen Welt zu empfangen und zu gebären.

Kapitel 9, »Frühe Kindheit einer ätherischen Individualität«, beschreibt, wie die ätherische Individualität, sobald sie in der Ätherwelt geboren ist, ihre ersten prägenden Stadien geistiger Kindheit durchläuft und die geistigen Entsprechungen der Kräfte entwickelt, die das Kind in den ersten drei Jahren des irdischen Lebens entwickelt.

In Kapitel 10, »Wesenstausch mit der kosmischen Quelle«, beschreibe ich, wie sich die gereifte geistige Individualität der kosmischen Quelle aller Schöpfung nähert. Sie wird zu einem ätherischen Kelch, der die Kräfte des ätherischen Christus aufnimmt, die für den gegenwärtigen und zukünftigen Fortschritt der Menschheit und der Erde notwendig sind.

Dieser Fortschritt ist heute von vielen Seiten gefährdet und unter ihnen ist die starke ahrimanische Vision und Praxis der Technologischen Singularität hervorzuheben. Im Laufe dieses Jahrhunderts werden unzählige menschliche Körper und Seelen mit einer unendlich verführerischen und mächtigen künstlichen Intelligenz und virtuellen Realität verschmolzen. Diese Technologie wird sie an eine unternatürliche und unmenschliche Welt binden, die sie mehr und mehr nicht nur als fantastisches Unterhaltungsmittel, sondern auch als magische Erlösung und Heilung allen menschlichen Leidens und aller menschlichen Sterblichkeit erleben werden. Diese unternatürliche und unmenschliche Welt liegt moralisch gesehen eine Ebene unterhalb der natürlichen und menschlichen physischen Welt. Durch die im Folgenden skizzierte Michaelische Yoga-Praxis können wir jedoch bewusst eine Ebene über die physische Welt hinaus in die nächstgelegene übersinnliche Welt, die ätherische, aufsteigen. Allein in dieser ätherischen Welt können unsere Herzen, Gedanken und Taten geheilt und wiederbelebt werden. Und nur dort, in den tiefsten Kräften unseres menschlichen Wesens, können wir die lebensspendende Quelle der Erde und der Menschheit im 21. Jahrhundert finden.

1 Der Lebenszyklus der ätherischen Atmung

Wenn wir Wasser vor uns haben, so sieht man diesem Wasser nicht an, dass der Chemiker in die Lage kommt, dieses Wasser zu scheiden in Wasserstoff und Sauerstoff. Wasser ist flüssig, Wasser brennt nicht. Der Wasserstoff, den der Chemiker abscheidet, ist ein Gas, er brennt, er ist etwas ganz anderes. Das ist dasjenige, was ich zum Vergleich heranziehen möchte für einen Vorgang des geistigen Lebens, den ich gleich erörtern will. Wenn wir den Menschen im gewöhnlichen Leben vor uns haben, so haben wir in ihm vereinigt das Geistig-Seelische und das Leiblich-Physische, wie wir im Wasser vereinigt haben den Wasserstoff und den Sauerstoff. In dem, was ich nennen möchte „geistige Chemie“, obliegt uns, das Geistig-Seelische abzutrennen von dem Leiblich-Physischen, wie auf physischem Gebiet der Chemiker abtrennt den Wasserstoff vom Wasser. Und es ist nur begreiflich, dass man ebenso wenig aus der Betrachtung des gewöhnlichen Menschen eine Anschauung gewinnen kann über das Wesen des Geistig-Seelischen, wie man durch Anschauung des Wassers eine Ansicht gewinnen kann über das Wesen des Wasserstoffes.

(26.5.1914, GA 154, S. 107f, Dornach 1985)

Wasser ist die weitest verbreitete und wesentlichste Flüssigkeit, die alle Prozesse des Lebens und der Lebewesen in der physischen Welt unterstützt. Wie alle anderen physikalischen Substanzen ist es kein Originalstoff, sondern eine Verdichtung ätherischer und letztlich geistiger Kräfte. Wasser ist das Ergebnis eines aktiven Prozesses der Zusammensetzung, Synthese und Kondensation zweier sehr unterschiedlicher Substanzen, nämlich der Gase Sauerstoff und Wasserstoff.

Dies kann experimentell durch Elektrolyse nachgewiesen werden. Die Elektrolyse zersetzt das Wasser (H2O) in Sauerstoff (O2) und Wasserstoffgas (H2), indem sie einen elektrischen Strom durch die Flüssigkeit leitet. Wenn wir Wasser einem elektrischen Strom aussetzen, erscheint Wasserstoff an der Kathode (der negativ geladenen Elektrode) und Sauerstoff an der Anode (der positiv geladenen Elektrode). Wasser wird dabei in zwei Gase zerlegt, deren Stoffe ganz andere physikalische und chemische Eigenschaften haben als Wasser.

Nun, Elektrolyse ist reversibel: Wenn wir Sauerstoff und Wasserstoff unter Abgabe von elektrischem Strom reagieren lassen, entsteht als Produkt eine gänzlich neue Substanz, ein verdichtetes Element, das wir Wasser nennen. Aber wir hätten die Eigenschaften der beiden Gase nie aus den Eigenschaften des Wassers vorhersagen können und umgekehrt. Die Kondensation von Wasser aus Sauerstoff und Wasserstoff ist eine echte Metamorphose, die eine echte Weltneuheit darstellt. Denn die Tatsache, dass zwei Gase Wasser produzieren, wenn sie zusammengefügt werden, sollte als echtes Wunder erscheinen, zumal sich die Eigenschaften des Wassers völlig von seinen ursprünglichen gasförmigen Bestandteilen unterscheiden. Ebenso müssen wir uns darüber wundern, dass bei der Elektrolyse und Zersetzung von Wasser zwei Gase entstehen, deren Eigenschaften im Wesentlichen unterschiedlich und sogar das polare Gegenteil der Eigenschaften von Wasser sind, von dem sie abgetrennt wurden; Wasserstoff zum Beispiel ist das brennbarste der Gase.

Der Ausgangspunkt des Michaelischen Yoga kann zu Recht mit einem Elektrolyse-Prozess verglichen werden, der auf die gewöhnliche menschliche Erkenntnis angewendet wird, denn wir lassen die vitalste Zusammenarbeit aller unserer aktiven Seelenkräfte in unsere gewöhnliche Erkenntnis einfließen, um ihre Grundelemente zu polarisieren, zu trennen und zu befreien. Der elektrische Strom der Seele besteht aus einer sich gegenseitig verstärkenden, wechselseitig belebenden Synergie all unserer Seelenkräfte. Wir müssen unseren ganzen Menschen in Aktivität versetzen, indem wir Kräfte erwecken, die gewöhnlich im tiefen unbewussten Willen und halb bewussten Gefühlen schlummern, die von unseren bewussten Vorstellungen überdeckt werden. Diese synergetische, ganzheitliche Kraft wird von den stärksten Kräften unseres innersten Willens befeuert, der das seelische Äquivalent der Elektrizität in der physischen Welt ist. Sie wird außerdem im Herzen durch die Liebe zur Wahrheit aufgeladen und diese Liebe und dieser Wille werden durch die Struktur und den Inhalt unserer gewöhnlichen Erkenntnis strömen, um ihr verhärtetes, intellektualisiertes »gedankliches Wasser« zu lösen. Wenn uns das gelingt, elektrolysieren, zerlegen und trennen wir es in viele Seelen- und Verstandeskräfte und Elemente, aus denen wir zwei wählen: reine Sinneswahrnehmung, die auf der einen Seite entsteht, und reines Denken auf der anderen.

Umgekehrt kann die Zusammensetzung und Kondensation von Wasser aus reinen Gasen als exakte Analogie zum Entstehen gewöhnlicher menschlicher Erkenntnis dienen. Wenn uns die Elektrolyse der gewöhnlichen Erkenntnis gelingt und wir die reine Wahrnehmung und reines Denken als freie ätherische Kräfte erfahren, können wir bewusst verfolgen, wie sie sich zusammensetzen und zu einer geistigen Einheit verdichten, wenn wir unsere Erfahrungen und unsere Welt vorstellen. Mittels Zersetzung und Wiederzusammensetzung durch geistige ­Elektrolyse bringt das Michaelische Yoga die beiden Seiten unseres Erkenntnisprozesses ins Bewusstsein. Wir entdecken, dass wir unbewusst jede Erfahrung, die wir haben, ständig in eine Vorstellung umwandeln, die sie in unserem Bewusstsein vorstellt. Wir sind uns in der Regel nicht bewusst, dass alle Erfahrungen und Denkakte, bevor sie miteinander verbunden werden, um vorgestellt zu werden, im Wesentlichen frei fließende ätherische Kräfte sind, die in der offenen ätherischen Welt strömen. Wir verdichten sie zu einer Vorstellung, wann immer wir etwas wissen. Und um etwas zu wissen, müssen wir es uns zuerst in unserem Bewusstsein vorstellen.

Wir können die Bedeutung der Wörter »Präsentation« und »Repräsentation« verwenden, um dies zu verdeutlichen. Die »Präsentation« bedeutet die volle Präsenz des Wirklichen, während die »Repräsentation« nur ein schattenhaftes gedankliches Bild ist, das wir in unserem Bewusstsein nach der realen Erfahrung formen. Während wir also zum Beispiel durch unsere Gefühle auf halb bewusste Weise die reale Präsenz des Wesens erfahren können, dem wir begegnen, haben wir, wenn wir »es« zum vollen Bewusstsein bringen und »es« in unserem Verstand vorstellen, nur ein schwaches Erinnerungsbild der ursprünglichen, vollständig gesättigten Erfahrung geschaffen. Und das ist es, was wir in unserem Verstand finden, nachdem die Erfahrung verebbt ist: ihren gedanklichen Schatten, leer von ihrer wirklichen Präsenz und Substanz. Und das ist es auch, was wir eigentlich meinen, wenn wir sagen, dass wir etwas »wissen«, wenn wir es vor uns selbst vorstellen. Paradoxerweise können wir sagen: Was wir erfahren, wissen wir nicht, und was wir wissen, erfahren wir nicht.

Wie wir im 2. Kapitel über die Zusammensetzung der gewöhnlichen Erkenntnis ausführlicher darlegen werden, sind wir heute naiv in Bezug darauf, wie wir die Welt erkennen. Wir glauben, dass die Dinge außerhalb der Welt genauso existieren, wie wir sie in unserem Verstand vorstellen, und dass ihr getrennter und verdichteter Zustand ihr wahrer natürlicher Zustand ist. Dies entspricht dem Glauben, dass Wasser aus Wasser und nicht aus Gas besteht, und dass es Wasser war, ist und immer bleiben wird. Man versuche einmal, jemanden, der noch nie eine Elektrolyse gesehen hat, davon zu überzeugen, dass Wasser das verdichtete Produkt aus zwei Gasen ist, eine Kombination und Kondensat aus reinen Gasen, die frei und unsichtbar in der Atmosphäre strömen!

In der Michaelischen Yoga-Praxis elektrolysieren und zersetzen wir das verdichtete Ergebnis gewöhnlichen Wissens: Die Vorstellung. Vorstellungen und ihre verschiedenen Ableitungen (Erinnerungen, Reminiszenzen, Assoziationen, gedankliche Muster, Gewohnheiten, usw.) bilden die Grundsubstanz und Struktur unseres Verstandes, das Material, aus dem unser normales »gedankliches Wasser« besteht. Ihre Bestandteile, einmal getrennt von den Kräften, die sie binden und verdichten, werden etwas so anderes als ihre Eigenschaften und Erscheinungen in der gewöhnlichen Wahrnehmung, so wie die reinen Gase von Sauerstoff und Wasserstoff sich von Wasser unterscheiden. Das bedeutet, die lebendigen, leichten und weiträumigen »gasförmigen« Essenzen aller Erfahrungen und Gedanken aus ihren Vorstellungen zu extrahieren und zu befreien und sie in ihrem reinen, ursprünglichen Zustand zu erfahren. Und wenn wir den umgekehrten Prozess verwirklichen, indem wir die ätherisierte Wahrnehmung und das Denken zurück zur gewöhnlichen Erkenntnis zurückverwandeln, erkennen wir, dass die Ergebnisse ihrer Zusammensetzung und Verdichtung tatsächlich eine synthetische, neue Substanz sind, die sich von beiden in ihren ursprünglichen Zuständen völlig unterscheidet. Dieses »gedankliche Wasser« unterstützt alle Aspekte unseres täglichen Bewusstseins, unserer Erkenntnis und unseres Wissens.

Die Auffassung, dass unsere Vorstellungen der Dinge verdichtete Kompositionen sind, die aus feinen, feinsten ätherischen Kräften und Substanzen bestehen, klingt für den modernen Verstand ebenso lächerlich wie die Vorstellung, dass Wasser ein Produkt von Wasserstoff und Sauerstoff ist, für jemanden, der noch nie eine Elektrolyse erlebt hat. Doch in dem Moment, in dem wir beginnen, unser eigenes Erkennen zu beobachten, beginnt die naive Position zu zerbrechen, denn wir entdecken, dass wir die Welt erkennen und verstehen, indem wir das Denken auf alles anwenden, was wir erleben. Von dem Moment an, in dem wir begreifen, dass wir über unsere Erfahrungen nachdenken, wenn wir sie erkennen, und dass wir alles vorstellen, was wir sehen, hören, berühren, fühlen und wünschen, begreifen wir, dass die wirklichen Dinge möglicherweise überhaupt nicht mit den Vorstellungen von ihnen in unserem Bewusstsein vergleichbar sind. Und wir können anfangen, zu zweifeln und uns, wie viele ehrliche Philosophen, mit der Frage zu quälen: Was sind die Dinge in Wirklichkeit, in sich selbst, außerhalb unserer Vorstellungen von ihnen? Wir begreifen, dass wir, solange wir in den Grenzen unseres gewöhnlichen Bewusstseins bleiben, kein »unmittelbares« oder »direktes« Wissen von realen Dingen haben, in ihrer wahren oder spirituellen Essenz, wie sie außerhalb unserer Vorstellungen von ihnen existieren. Selbst das gewöhnliche Denken wird an sich nicht als reines Denken erfahren, sondern ist uns so bekannt wie wir alle Dinge kennen, indem wir es uns selbst vorstellen. Dann erkennen wir, was viele Denker erkannt haben, dass es, solange wir innerhalb der Grenzen der gewöhnlichen Erkenntnis bleiben, wirklich keinen Ausweg aus diesem Dilemma gibt, dass unsere Erkenntnis auf die Vorstellung beschränkt ist und dass uns das direkte Wissen über die »Dinge selbst« verwehrt wird, wie es die Anhänger Kants noch heute behaupten.

Der erste große Naturwissenschaftler und Künstler, der mit allem Nachdruck und kreativ gegen diese kantischen Grenzen von Erkenntnis und Wissen protestierte, war Goethe. Goethe glaubte, dass sich alles im Wandel und Werden befindet, und konnte eine solche absolute Einschränkung unserer Erkenntnisfähigkeiten nicht akzeptieren. Er studierte sein ganzes Leben lang die schöpferischen und verwandelnden Kräfte der Natur und stellte fest, dass die grundlegende Dynamik, die die Metamorphose in der Natur verursacht, »Polarität und Steigerung« ist. Rudolf Steiner wandte Goethes Methode auf die menschliche Wahrnehmung an, um eine weitreichende Metamorphose dieser Erkenntnis zu schaffen. Wie er in Grenzen der Naturerkenntnis beschrieben hat, können wir die Einatmung unserer Sinneswahrnehmungen von der Ausatmung unseres Denkens trennen, so wie der Yogi von einst die physische Einatmung und die physische Ausatmung trennte, die ihn an seinen Körper banden, und so die unsterbliche, spirituelle Essenz der Seele erlebte. Auf diese Weise lernen wir durch die Michaelische Yoga-Praxis, unsere gewöhnliche gedankliche Konstitution zu polarisieren und zu trennen wie Wasser elektrolysiert wird. Dabei zerlegen wir sein Grundelement, die Vorstellung, trennen Denken und Sinneswahrnehmung voneinander, reinigen, extrahieren und ätherisieren jedes einzelne und intensivieren jedes einzelne in seinem reinen ätherischen Werden. Dies ist die neue kognitive Einatmung lichterfüllter ätherischer Kräfte, befreit vom physischen Körper, der sie miteinander verbindet und verhärtet. Dies ist eine zeitgemäße Erneuerung der alten Yoga-Methode, die auf der Polarisierung und Intensivierung der physischen Atmung basierte, die wir nun aber auf die inneren Seelenkräfte des modernen Bewusstseins anwenden.

Wenn Wahrnehmung und Denken auf diese Weise aus dem gewöhnlichen Bewusstsein befreit wurden, werden sie ätherisiert und machen den ersten Schritt in einem langen und dramatischen Prozess der Vergeistigung. Die Michaelische Yoga-Praxis besteht darin, dass wir die Wahrnehmung und das Denken so weit intensivieren, dass wir lernen, sie ein- und auszuatmen, sie entsprechend den Bedürfnissen unserer spirituellen wissenschaftlichen Forschung zu inhalieren und zu exhalieren. So wird der neue Yoga-Wille, den Rudolf Steiner angedeutet hat, auf individualisierte Weise schöpferisch und produktiv.

Neben der Elektrolyse gibt es nun auch eine organische Metapher für Michaelisches Yoga: den natürlichen Wasserkreislauf in der Natur. In diesem Kreislauf zeigt uns das Wasser, dass es ein Potenzial seines gasförmigen Ursprungs im kondensierten Zustand bewahrt hat. Es hat die innere Tendenz und Fähigkeit, der Schwerkraft teilweise zu entkommen, leicht und gasförmig zu werden und sich so nah wie möglich in einen rein gasförmigen Zustand zu verwandeln: Es verdampft in die Atmosphäre, sammelt sich als Wolken und rekondensiert und reinkarniert als lebensspendender Regen und Schnee. Diese Fähigkeit des Wassers, sich selbst zu transformieren, schafft auf der Erde einen Kreislauf, der alles Leben nährt und erhält. In diesem Kreislauf wird das Wasser auf natürliche Weise verdampft und verfeinert, wird gasförmig und entzieht sich teilweise dem Sog der Schwerkraft, um kosmischen Umfang und kosmische Höhe zu erreichen. Dort erfüllt es sich mit frischen, lebensspendenden und kosmischen Kräften. Dann verkörpert es sich wieder, kehrt zur Erde zurück und beschenkt sie mit neuen und frischen Lebenskräften, die aus dem ganzen Universum gesammelt wurden.

Auf die gleiche Weise, aber jetzt als selbstbewusste, individuelle Menschen, lernen wir durch Michaelische Yoga-Atmung, wie wir den gesamten Lebenszyklus der Erde als einen lebensspendenden Zyklus der Erkenntnis verwirklichen können. Durch uns wird das Leben selbstbewusst und durchdringt als eine freie rhythmische und schöpferische Erkenntnistätigkeit den ganzen Menschen, in dem sich alle Seelenkräfte gegenseitig verstärken. Diese fließt mit den Energien und Strömen des Lebens, wenn sie auf- und absteigen, sich in uns und im Kosmos ätherisieren und sich selbst wieder auf der Erde verkörpern. Es ist die zyklische Atmung des Lebens, die in uns ihrer selbst bewusst wird, die unseren kreativen Erkenntnisprozess mit dem Lebenszyklus des Planeten Erde und allen pulsierenden Lebensströmen und Zyklen im Universum verbindet. Dieser bewusste Lebenszyklus von Ätherisation und Rekondensation, Ausatmen und Einatmen, Inkarnation und Exkarnation wird zur Quelle einer neuen Lebens- und Lichtatmung, die die Menschheit und die Erde zum gesamten Universum beitragen.

Durch die Praxis des Michaelischen Yoga lernen wir, wie wir bewusst mit den Atemrhythmen allen Lebens auf der Erde und im Universum mitgestaltend werden können. In Zukunft wird der Mensch in der Lage sein, kosmisches Leben und Licht auf diese Weise als natürliche spirituelle Atmung zu atmen, wie heute das physische Atmen der Luft üblich ist. In der Michaelischen Yoga-Praxis beginnen wir daher damit, menschliche Fähigkeiten aus der Zukunft zu verwirklichen, die in den meisten Menschen von heute noch ein Potenzial sind. Das Licht, das Leben und die Wärme der äußeren Sonne bewirken das Ausatmen und Einatmen des planetarischen Lebenszyklus im Laufe seiner täglichen und jahreszeitlichen Rhythmen. Aber der Geist der Sonne, das Christuswesen, ist nun zum Geist der Erde geworden. Deshalb erzeugt die Praxis des Michaelischen Yoga in Wirklichkeit intensive neue ­Sonnen-Kräfte aus Licht, Leben und Wärme durch schöpferische kognitive Tätigkeit. Das Leben wird zu einer ihrer selbst bewussten kognitiven schöpferischen Tätigkeit. Die Kräfte der geistigen menschlichen Erkenntnis, die aus den ätherisierten Kräften des Willens, des Herzens und des Verstandes zusammenströmen, vereinen sich mit dem geistigen Sonnenwesen der Erde selbst, um produktiv zu werden und neue und frische Lebenskräfte einzubringen, die die abnehmenden natürlichen irdischen Ressourcen ersetzen. Diese Gabe des neuen Lebens verstärkt und potenziert die Energien und Ströme des planetarischen Lebens, wenn sie auf- und absteigen, sich im Kosmos ätherisieren und sich auf der Erde verdichten. Sie fügt den Beitrag unserer schöpferischen Erkenntnis zum Lebenszyklus des Planeten Erde und seinem pulsierenden neuen Leben im Universum hinzu. Auf diese Weise können wir über die schöpferische, lebensspendende Sonnenaktivität der menschlichen Erkenntnis als reale Quelle zukünftigen irdischen und kosmischen Lebens, Lichts und Wärme sprechen, nicht als Metapher, sondern als konkrete tatsächliche objektive Realität.

Auf diese Weise wird unsere neue Lebens- und Lichtatmung auch zu einer individualisierten, mit-schöpferischen Aktivität mit den Kräften des ätherischen Christus auf der Erde. In jedem Augenblick verkörpert der Christus in der Erde und in den Herzen der Menschen die höchsten geistigen Sonnenkräfte, die Quelle aller kosmischen Liebe, des Lebens und des Lichts. Seit dem Mysterium von Golgatha verstärken und ätherisieren sich Seine Kräfte durch alle schöpferischen menschlichen Taten der Liebe, Schönheit und Wahrheit. Rudolf Steiner beschrieb den wechselseitig zirkulierenden ätherischen Lebenszyklus zwischen dem ­Christus, den menschlichen Taten der Liebe und der Erde so:

Und jetzt, da seit jener Zeit in den Ätherleibern der Menschen immer ein Teil ist des Christus-Lichtes, was geschieht jetzt? Was geschieht mit demjenigen Teil im Ätherleib des Menschen, der das Christus-Licht in sich aufgenommen hat? … Seit jener Zeit ist in den Ätherleibern der Menschen die Möglichkeit gegeben, dass in ihnen gleichsam als eine Wirkung des Christus-Lichtes etwas Neues auftritt, etwas auftritt, was Leben atmet, was unsterblich ist, was niemals dem Tode verfallen kann. … Es gibt also seit jener Zeit etwas im Ätherleib des Menschen, was den Tod nicht mitmacht, was nicht verfällt den Sterbekräften der Erde. Und dieses Etwas, das den Tod nicht mitmacht, was die Menschen sich nach und nach erobern durch den Einfluss des Christus-Impulses, das strömt nun zurück, das strömt hinaus in den Weltenraum, das bildet, je nachdem es stärker oder schwächer ist im Menschen, eine Kraft, die da hinausfließt in den Weltenraum. Und es wird diese Kraft eine Sphäre um die Erde herum bilden, die im ­Sonne-Werden ist. Eine Art von Geistes-Sphäre bildet sich um die Erde herum aus den lebendig gewordenen Ätherleibern. Ebenso wie das ­Christus-Licht von der Erde ausstrahlt, ebenso haben wir eine Art von Widerspiegelung des Christus-Lichtes im Umkreise der Erde. Was hier widergespiegelt wird als Christus-Licht und was als Folge des Christus-Ereignisses eingetreten ist, ist das, was Christus den Heiligen Geist nennt. Ebenso wahr, wie die Erde ihr ­Sonne-Werden beginnt durch das Ereignis von Golgatha, ebenso wahr ist es, dass von diesem Ereignis an die Erde auch beginnt, schöpferisch zu werden und um sich herum einen geistigen Ring zu bilden, der später wiederum zu einer Art von Planet um die Erde wird.

(6.7.1909, GA 112, S. 249f, Dornach 1984)

Seit Ende des vorigen Jahrhunderts kann die oben beschriebene ätherische Zirkulation und Atmung zwischen der zur Sonne werdenden Erde und ihrer ätherischen Sphäre, die durch die neuen Christuskräfte im Menschen geschieht, voll bewusst werden. Durch die hier beschriebene geistige Aktivität findet sie bewusst im physischen Erdenleben statt, und nicht nur durch die angesammelten unsterblichen Teile menschlicher Ätherleiber nach dem Tod. Jeder Augenblick liebevoller Aufmerksamkeit, hingebungsvoller Selbstüberwindung und wahrhaftiger Verwandlung trägt zum Sonne-Werden der Erde und zu ihrer lebendigen, ätherischen Atmung bei. Wir lernen allmählich und methodisch, nicht theoretisch, nicht sentimental, sondern aktiv und kreativ, in jedem kleinen Detail unseres täglichen Lebens, Mitschöpfer und Partner der neuen Tätigkeit des ätherischen Christus zu werden, in der ätherischen Atmung zwischen Erde und Himmel.

2 Die Zusammensetzung der gewöhnlichen Erkenntnis

Wie wäre es denn mit den sinnlichen Wahrnehmungen, wenn sie nur von außen auf uns eindringen würden, wenn also nur dasjenige, was gewissermaßen aus dem Licht als Farbe in unser Auge dringt, was als Ton an unser Ohr dringt, was als Wärme in unseren Wärmesinn dringt und so weiter, wenn das nur auf uns einstürmte, was wäre denn dann mit uns? Machen wir uns klar: Wir lassen im wachenden Zustand niemals diese Welt nur in uns einströmen. Wenn wir auch ein nur wenig aktives Denken in Ideen entwickeln, so bringen wir doch gewissermaßen aus dem Inneren heraus diesen auf uns einstürmenden Tönen, Farben, Gerüchen, Geschmäcken, … den aus unserem Inneren aufsteigenden Gegenstoß der Ideenwelt entgegen. … Sehen Sie, wenn wir bloß hingegeben wären an die Welt der Wahrnehmungen, dann lebten wir eigentlich als Menschen in unserem ätherischen Leibe und mit dem ätherischen Leibe in einer ätherischen Welt. … Denken Sie sich, … Sie lebten in einem ätherischen Meere als ätherische Wesenheit, Sie würden niemals zu jener menschlichen Konsistenz kommen, mit der Sie eigentlich zwischen Geburt und Tod in der Welt dastehen. Wodurch nur können Sie zu dieser Konsistenz kommen? Dadurch, dass Sie darauf hinorganisiert sind, dieses Ätherische abzutöten, abzulähmen. Und wodurch lähmen wir es ab? Wodurch töten wir es ab? Durch den Gegenstoß der Ideen! … Wir hätten eine ätherische Welt um uns, wenn wir nicht durch die Ideenwelt ertöteten dieses Ätherische, es herunterbrächten zur physischen Gestaltlichkeit.

(10.7.1920, GA 198, S. 218f, Dornach 1984)

Die grundlegende Zusammensetzung der gewöhnlichen Erkenntnis: Die Vorstellung

Schauen wir uns die Struktur unserer alltäglichen Erkenntnis genauer an. Wie stellen wir uns selbst die Realität vor? Nun, zunächst einmal ist das genau das, was wir nicht wissen, denn wir nehmen es als selbstverständlich hin, dass wir unsere Welt kennen, und dass die Gegenstände um uns herum, einschließlich uns selbst, uns bereits bekannt sind, weil wir sie uns bewusst vorstellen können. Deshalb fragen wir normalerweise nicht, woher wir wissen, was uns bekannt ist. Erkenntnis ist nicht etwas, nach der wir fragen; wir sind nicht daran interessiert zu wissen, wie wir wissen. Die Michaelische Yoga-Praxis beginnt also, wenn wir anfangen, diese Frage zu stellen und die unbewussten Prozesse, die unser gewöhnliches Wissen vorbereiten und ermöglichen, ins Bewusstsein zu heben.

Wenn wir anfangen zu untersuchen, wie Wissen und Erkenntnis stattfinden, ist das Erste, was wir erkennen, das, dass der Moment, in dem wir Erfahrungen mit Gedanken und Gedanken mit Erfahrungen verbinden, um die Welt vorzustellen, überhaupt nicht bewusst ist. Wir sehen ihn nicht. Er ist unsichtbar und unbewusst. Das bedeutet, dass der elementarste Prozess, durch den wir alles wissen, was in unser Bewusstsein eindringt, so schnell und instinktiv abläuft, dass wir ihm keine Beachtung schenken. Er liegt außerhalb unserer täglichen Erkenntnis, die ihn überhaupt erst ermöglicht. Deshalb ist dies der erste Schritt in der modernen Michaelischen Yoga-Praxis, denn hier – und nur hier – können wir lernen, den Bildungsprozess, der unsere gedanklichen Bilder und Vorstellungen unseres gesamten Wissens hervorbringt, zu beobachten und tatsächlich an ihm teilzunehmen. Dies erfordert wiederholtes Üben und bewusstes Training, das jeder Mensch durchführen kann, weil es mit seinen unmittelbaren Erfahrungen des Erkennens beginnt. Und unsere erste Entdeckung ist die folgende.

Wenn wir sagen: »Ich weiß, was dieses Ding ist, dass es so und so ist«, dann haben wir uns bereits eine Vorstellung von diesem Ding gebildet. Wenn wir mit diesem gedanklichen Ergebnis einfach nur zufrieden sind, werden wir nicht das Bedürfnis verspüren, weiter nachzufragen und zu untersuchen, wie Erkenntnis wirklich funktioniert. Aber lasst uns unsere Reaktionen auf ein unbekanntes Objekt, ein Ereignis oder eine Erfahrung beobachten. Wenn wir mit einem unbekannten Objekt oder einer unbekannten Erfahrung konfrontiert werden, fangen wir an, darüber nachzudenken. Zuerst werden wir es mit bekannten Vorstellungen vergleichen. Wir werden unsere Erinnerungen und Assoziationen nutzen, um Analogien und Vergleiche anzustellen. Wir werden sagen: Es ist ähnlich diesem hier, es erinnert an jenes. Tatsächlich suchen wir in unseren bekannten Vorstellungen, um das unbekannte Objekt der Erfahrung zu erklären. Und wir testen unsere Vorstellungen, indem wir sie mit dem unbekannten Ding verbinden. Wir versuchen dieses und jenes, wir schlagen es in der Literatur nach und studieren es so lange, bis wir den Begriff finden, der zu dem beobachteten Objekt passt. Wir finden »was es ist« und bezeichnen es mit seinem Namen oder geben ihm einen neuen Namen. Dies ist der übliche Prozess des Wissenserwerbs, der normalerweise unserer Aufmerksamkeit entgeht. Durch das Beispiel des Versuchs, herauszufinden, was ein unbekanntes Ding ist, können wir uns bewusst werden, wie wir unsere tägliche kognitive Arbeit machen. Wir komponieren ständig Vorstellungen, indem wir Erfahrungen mithilfe unseres Denkens kombinieren und synthetisieren und unser Denken aktiviert und wendet Erinnerungen, Assoziationen und gedankliche Bilder auf das Objekt oder die Erfahrung an. Weil wir dies seit frühester Kindheit unbewusst getan haben, ist dieser Erkenntnisprozess so instinktiv und verleiblicht wie unsere Fähigkeit, zu sprechen und aufrecht zu gehen. Das Synthetisieren und Zusammenfügen von Denken und Erleben ist zu einer gedanklichen und seelischen Gewohnheit geworden, ohne dass wir uns fragen, wie wir es tun. Tatsächlich funktioniert mein Sprechen und Gehen gut genug für meine täglichen Bedürfnisse, auch wenn ich keine bewusste Kenntnis ihrer Herkunft habe, und wir behandeln das Denken auf die gleiche Weise. Es erkennt die bereits mehr oder weniger bekannten Umgebungen, Routineerfahrungen und Aufgaben meines täglichen Lebens und stellt sie sich vor. Und so fragen wir nicht weiter danach und wundern uns meist nicht, wie es in der Lage ist, unsere inneren und äußeren Erfahrungen zu organisieren und zu erklären.