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Mit Maeve Binchy gefühlvoll durch die Weihnachtszeit - fünf berührende Geschichten rund um die Liebe! "Elsa Martin war noch nie in New York gewesen. Aber sie besaß einen Reisepass und sogar ein Visum für die Vereinigten Staaten. Es stammte noch aus der Zeit, als sie glaubte, sie würde die Flitterwochen in Florida verbringen. Aus der Zeit, als sie noch geglaubt hatte, sie würde einmal Flitterwochen verbringen …" Die irische Bestsellerautorin Maeve Binchy erzählt in "Miss Martins größter Wunsch" und vier weiteren Geschichten von den großen und kleinen Ereignissen rund um das Weihnachtsfest: Eine Zeit voller Hoffnung und Erwartungen – die nicht immer erfüllt werden. Doch gerade zum Fest der Liebe sind hin und wieder Wunder möglich … Diese Sammlung umfasst neben der Titelgeschichte die Erzählungen "Zehn Weihnachts-Schnappschüsse", "Weihnachtshektik", "Der Jahrestag" und "Die wundersame Wandlung".
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Seitenzahl: 86
Maeve Binchy
Miss Martins größter Wunsch
und andere Geschichten zur stillen Zeit
Knaur e-books
Elsa Martin war noch nie in New York gewesen. Aber sie besaß einen Reisepass und sogar ein Visum für die Vereinigten Staaten. Es stammte noch aus der Zeit, als sie glaubte, sie würde die Flitterwochen in Florida verbringen.
Aus der Zeit, als sie noch geglaubt hatte, sie würde einmal Flitterwochen verleben.
Der Reisepass lag in derselben Schublade, in der sie Großmutters kleines silbernes Abendtäschchen und das Album mit den vielen Glückwunschkarten aufbewahrte, die die Kinder »ihrer« Miss Martin geschrieben hatten. Eigentlich hätte sie sie wegwerfen sollen, aber die Kleinen hatten sich so viel Mühe damit gemacht, mit all den Hufeisen und Hochzeitsglocken, dem Glitter und den Verzierungen. Es wäre gewesen, als hätte man Blumen abgezupft oder Muscheln zertreten.
Eine Zeitlang hatte sie auch Tims Briefe hier aufgehoben, samt dem einen, in dem er schrieb, er habe sie nie richtig geliebt und könne sie nicht heiraten, wofür er sie um Verzeihung bitte. Aber nach einem Jahr hatte Elsa ihn dann verbrannt, weil sie sich dabei ertappt hatte, wie sie ihn immer und immer wieder las. Als hoffte sie, etwas darin zu finden: eine Erkenntnis oder den Grund, warum er sie verlassen hatte, oder einen Hoffnungsschimmer, dass er vielleicht doch zurückkehren würde.
Alle sagten, Elsa habe sich fabelhaft gehalten und Tim sei ein Schwein und habe den Verstand verloren. Zum Glück sei sie ihn los, meinten sie und bewunderten sie, weil sie die Absage – zehn Tage vor der Hochzeit – so gelassen hingenommen hatte. Sämtliche Geschenke hatte sie mit einem höflichen, unverbindlichen Begleitschreiben zurückgeschickt: »Da wir uns in beiderseitigem Einvernehmen nun doch gegen eine Heirat entschieden haben, möchten wir Ihnen Ihr großzügiges Geschenk zurücksenden und uns für Ihre guten Wünsche bedanken.« Und im darauffolgenden Schuljahr hatte sie wieder unterrichtet, als wäre nichts gewesen. Als wäre ihr Herz nicht entzweigebrochen.
Die Kinder zeigten weniger Zurückhaltung.
»Sind Sie sehr traurig, dass Sie nicht heiraten konnten, Miss Martin?«, fragte eins der Kinder.
»Ein bisschen, aber nicht sehr«, räumte sie lächelnd ein.
Im Lehrerzimmer fragte niemand nach, warum die Hochzeit geplatzt war, und Elsa wollte es auch niemandem erzählen. So blieb die Sache auf ewig ein ungelöstes Rätsel. Wahrscheinlich hatten sie nicht zueinander gepasst, mutmaßte man. Wie gut, dass sie es noch rechtzeitig herausgefunden hatten!
Elsas Schwestern hatten Tim nie leiden können wegen seiner Schweinsäuglein. Ihre kleine Schwester sei noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen, sagten sie zueinander. Doch in Elsas Gegenwart verloren sie nie ein Wort darüber.
Elsas Freundinnen hatten Tim nicht näher kennengelernt. Und in ihr Mitgefühl mischte sich eine gewisse Erleichterung. Dieser Tim war plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatte Elsa völlig den Kopf verdreht. Vielleicht war diese Liebe von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.
Und so verging die Zeit. Mittlerweile lag es fünf Jahre zurück. Die Kinder wurden größer und vergaßen, dass Miss Martin jemals hatte heiraten wollen und sie ihr sogar Glückwunschkarten gebastelt hatten. Auch bei den Kollegen in der Schule geriet die Sache in Vergessenheit. Wenn ein neuer Lehrer kam und sich nach Miss Martins Privatleben erkundigte, mussten sie in ihrer Erinnerung kramen, was damals, vor Jahren, passiert war. Eine Hochzeit, die im letzten Moment abgesagt worden war? Für die Kolleginnen und Kollegen hatte das keine nennenswerte Bedeutung gehabt. Doch für Elsa war es ein Schlüsselerlebnis gewesen. Sie versuchte alles Erdenkliche, um jene eine Frage aus ihrem Kopf zu verbannen, die sie immer wieder quälte: Wie konnte jemand zu ihr sagen, sie sei eine wundervolle Frau, mit der er sein Leben, seine Hoffnungen und seine Träume teilen wolle, und dann, von einem Tag auf den anderen, behaupten, das sei alles ein Irrtum gewesen? Wenn sie nicht etwas Falsches gesagt oder getan hatte, dann musste es an ihrer Person als solcher liegen. Es war nicht leicht, mit so etwas fertig zu werden, aber man musste natürlich so tun, als ob man es überwunden hätte. Sonst bekam man zu hören, man sei ein Trauerkloß, und jeder versuchte einen auf andere Gedanken zu bringen, was auf Dauer ermüdend und enervierend war. Elsas Freundinnen glaubten, sie würde von ihren schulischen Verpflichtungen sehr in Anspruch genommen, während ihre Kollegen der Meinung waren, sie unternehme viel mit ihrem Freundeskreis. Es war leicht, sich in sich selbst zurückzuziehen, und nichts anderes wollte sie.
Weihnachten galt von jeher als eine kritische Zeit, in der einsamen Menschen schmerzlich bewusst wird, was ihnen fehlt; aber merkwürdigerweise ging es Elsa an Weihnachten nicht schlechter als sonst. Einmal verbrachte sie den Festtag bei einer ihrer Schwestern, die in einem Haus im Süden Londons lebte. Dort herrschte ein spannungsgeladenes Klima, und ein großer Teil der Gespräche drehte sich um Alkohol und um die Frage, ob Elsas Schwager diesem zu sehr zusprach. Im nächsten Jahr besuchte sie eine andere Schwester, wo sie die meiste Zeit in der chaotischen Wohnung kochte und aufräumte. Dann war sie einmal bei einer Kollegin eingeladen gewesen, wo es Weihnachtslieder bis zum Überdruss gab, dafür aber nicht genug zu essen. Und letzte Weihnachten war sie durchs schottische Hochland gewandert, mit einer frisch geschiedenen Freundin, die sich unentwegt über die angeborene Schlechtigkeit der Männer ausließ und meinte, man sollte sie samt und sonders vom Erdboden vertilgen.
Nun stand also das fünfte Weihnachten vor der Tür. Aus irgendeinem Grund schlug sie dieses Jahr sämtliche Einladungen aus. Stets bedankte sie sich höflich und versicherte, sie habe an Weihnachten schon seit langem andere Pläne. Allerdings erklärte sie nie näher, was sie vorhatte. Beim Weihnachtskonzert in der schäbigen, in Fertigbauweise erstellten Baracke, die als Schulsporthalle diente, band sie den Engeln die Flügel fest, zog den Schäfern ihre Felljacken über und setzte den heiligen drei Königen die Kronen auf, so wie sie es an dieser Schule schon seit vielen Jahren tat. Die Kinder, umringt von ihren stolzen Eltern, waren vor Aufregung kaum zu bändigen. Alle scharten sich um Elsa und umarmten sie zum Abschied. Und wie so oft ging Elsa auch jetzt wieder der Gedanke durch den Sinn, dass der Lehrerberuf besser war als jeder andere, besonders zu Weihnachten. Allein der Gedanke an die Weihnachtsfeiern der Büroangestellten, die bis in die tiefe Nacht gingen … wie konnte man diese aufgesetzte Fröhlichkeit, diese falsche Jovialität nur ertragen?
»Was machen Sie denn an Weihnachten, Miss Martin?«, fragten die Kinder, sicher und geborgen an der Hand ihrer Eltern.
Üblicherweise erwiderte sie darauf irgendetwas Vages und Unverbindliches und fügte dann noch hinzu, dass sie sich vorgenommen habe, nicht allzu viel Plumpudding zu essen. Doch da verkündete plötzlich eines der Kinder, die kleine Marion Matthews: »Sie fährt nach Amerika. Das hat sie uns doch gesagt.«
Hatte sie das? Elsa konnte sich an nichts dergleichen erinnern.
»Wisst ihr denn nicht mehr? Miss Martin wird zur Freiheitsstatue fahren und sich etwas für uns wünschen«, rief Marion triumphierend.
Da fiel es Elsa wieder ein. Neulich hatten sie im Unterricht in einer Geschichte gelesen, dass die Menschen sich etwas wünschten, wenn sie an der New Yorker Freiheitsstatue vorüberfuhren.
»Haben Sie sich dort auch etwas gewünscht, Miss Martin?«, hatten die Kinder gefragt.
»Nein, noch nicht«, hatte Elsa geantwortet. »Aber wenn ich hinfahre, wünsche ich mir etwas für euch alle.«
Mit der Ernsthaftigkeit von Siebenjährigen hatten sie über diese Worte nachgedacht. Würde sich Miss Martin eine neue Sporthalle für sie wünschen? In einer neuen Halle könnte man so vieles machen: Ballett, Basketball, richtige Gymnastik. Elsa hatte leichthin erwidert, natürlich würde sie das tun, aber sie sollten bedenken, dass nicht alle Wünsche in Erfüllung gingen.
Die Weihnachtsferien begannen. Im neuen Jahr würden die Kinder vergessen haben, dass Miss Martin einen Wunsch für sie aussprechen wollte. All ihre Gedanken würden sich um ihre großen Ferienabenteuer und die aufregenden Geschenke drehen. Aber Elsa vergaß es nicht. Sie öffnete die Schublade und holte ihren Reisepass heraus. Damals hatte sie anders ausgesehen, stellte sie mit einem Blick auf das Foto fest, strahlender und nicht so verkniffen um den Mund. Aber das konnte auch Einbildung sein.
Zwischen den letzten Seiten ihres Passes steckten zehn zusammengefaltete Geldscheine, lauter Zwanzigdollarnoten. Dort hatten sie fünf Jahre lang gelegen. Und an Wert verloren. Warum hatte sie sie nicht wieder in Pfund umgetauscht? Vielleicht hatte sie es damals als zu schmerzlich empfunden, und danach hatte sie nicht mehr an das Geld gedacht. Dennoch war es ein gutes Omen. Ganze zweihundert Dollar, die sie zusätzlich ausgeben konnte, wenn sie drüben war. Sie konnte sich damit einen kleinen Luxus leisten. Und sie würde keinen einzigen Gedanken daran verschwenden, wofür das Geld ursprünglich gedacht war. Sie wusste ja nicht einmal mehr, wie es überhaupt dorthin geraten war. Hatte sie es selbst gewechselt, oder war es ein Geschenk gewesen? Seltsam, dass ihr manche Dinge aus jener Zeit noch so erschreckend deutlich vor Augen standen, während sie von anderen gar nichts mehr wusste.
Es war erstaunlich einfach für eine alleinstehende Frau, ein Ticket nach New York zu kaufen und sich über ein Reisebüro ein Hotelzimmer reservieren zu lassen. Keiner fragte, was sie denn dort wolle … Schließlich war Elsa erwachsen, sie hatte vermutlich ihre eigenen Pläne und Vorstellungen.
Die anderen Fluggäste vertrieben sich die Zeit mit Lesen, Fernsehen oder dösten nur so vor sich hin.
»Verbringen Sie schöne Weihnachten!«, wies sie der Mann von der Einwanderungsbehörde an.
»Einen schönen Aufenthalt!«, befahl der Zollbeamte.
»Die beste Stadt der Welt!«, sekundierte der Busfahrer. Im Hotel fragte die Dame vom Empfang, ob Elsa einen kleinen Christbaum in ihrem Zimmer wünschte. »Manche wollen einen, andere wieder möchten lieber nichts von Weihnachten hören oder sehen. Deshalb fragen wir jeden«, fügte die Frau hinzu.
Elsa überlegte kurz. »Ja, ich hätte gern einen kleinen Baum«, entschied sie dann. In ihrer Wohnung zu Hause hatte sie seit fünf Jahren nicht einmal einen Stechpalmenzweig an die Wand gehängt.
Nachdem sie ihre bequemen Schuhe angezogen hatte – sie wusste schon gar nicht mehr, wie spät es in England gerade war –, ging sie hinaus und mischte sich unter die Menschen, die ihre Einkäufe erledigten oder von der Arbeit nach Hause gingen. Sie hatte gehört, dass in den Straßen von New York immer ein fürchterliches Gedränge herrsche und man ständig angerempelt werde. Doch die Leute wirkten recht höflich, und sie lächelten, wenn sie Elsas Akzent hörten.