Mitch - Debbie Macomber - E-Book

Mitch E-Book

Debbie Macomber

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Beschreibung

Mitch Harris will nie wieder heiraten- außer vielleicht Bethany, die neue hübsche Lehrerin seiner Tochter ... Bethany Ross hat sich fest vorgenommen, höchstens ein Jahr in Hard Luck zu bleiben. Doch eine Freundin findet sie bereits am ersten Tag: Chrissie Harris ist von ihrer neuen jungen Lehrerin begeistert! Chrissies Entschluss steht fest: Bethany muss ihren Daddy heiraten ...

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Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

Debbie Macomber

Mitch

Heiße Nächte in Alaska

Aus dem Amerikanischen von Dorothea Ghasemi

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Daddy’s Little Helper

Copyright © 1995 by Debbie Macomber

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Corbis, Düsseldorf

Satz: D.I.E. Grafikpartner, Köln

ISBN 978-3-95576-094-6

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Die neue Lehrerin würde es nicht lange in Hard Luck aushalten.

Für Mitch Harris stand bereits nach wenigen Sekunden fest, dass Bethany Ross nicht nach Alaska gehörte. Sie war wie ein Paradiesvogel, denn alles an ihr war auffällig: ihr lebhafter Gesichtsausdruck, das blonde, von der Sonne gebleichte Haar, das ihr in dichten Wellen auf die Schultern fiel, die klassischen Züge und die dunkelbraunen Augen.

Sie trug einen türkisfarbenen Overall mit einem breiten gelben Gürtel, der ihre schmale Taille betonte, und dazu farbige Sandaletten. Mit damenhaft gekreuzten Beinen saß sie in Abbey und Sawyer O’Hallorans Wohnzimmer auf der Sofalehne.

Dieses Treffen fand ihr zu Ehren statt. Abbey und Sawyer hatten die Mitglieder der Schulbehörde eingeladen, damit alle die neue Lehrerin kennen lernen konnten.

Überrascht stellte Mitch fest, dass Bethany aufstand und auf ihn zukam, bevor er sich ihr vorstellen konnte. „Ich glaube, wir kennen uns noch nicht“, sagte sie, wobei sie herzlich lächelte. „Ich bin Bethany Ross.“

„Mitch Harris.“ Mehr brauchte er ihr wohl kaum zu sagen, denn bevor der erste Schnee fiel, würde sie wieder abreisen. „Willkommen in Hard Luck“, fügte er hinzu.

„Danke.“

„Wann sind Sie gekommen?“ erkundigte er sich höflich, während er sein Weinglas in der Hand drehte.

„Heute Nachmittag.“

Damit hatte Mitch nicht gerechnet. „Sicher sind Sie müde nach dem Flug.“

„Eigentlich nicht“, erwiderte sie schnell. „Wenn ich bedenke, dass ich heute Morgen aus San Francisco abgeflogen bin, müsste ich es eigentlich sein. Aber ich bin schon seit Tagen total aufgedreht.“

Mitch vermutete, dass sie von Hard Luck enttäuscht war, denn es gab wohl kaum einen größeren Kontrast zu dem lockeren Lebensstil in Kalifornien. Hard Luck, das fünfzig Meilen oberhalb des nördlichen Polarkreises lag, war ein faszinierender Ort, und seine Einwohner hatten einen starken Gemeinschaftssinn. Das Leben war für sie nicht leicht, und sie arbeiteten hart. Abgesehen von Midnight Sons, der Charterfluggesellschaft der drei Brüder O’Halloran, gab es nur noch wenige Betriebe, wie zum Beispiel Ben Hamiltons Café. Mitch, einer der wenigen Beamten im Ort, arbeitete für das Innenministerium. Er war der Sicherheitsbeamte der Stadt, also eine Art Polizist, und betreute zusätzlich die Besucher des Nationalparks. Ab und zu kamen Trapper oder Mitarbeiter der Mineralölfirmen nach Hard Luck. Für die Menschen, die am Rande der Zivilisation lebten, war der Ort eine florierende Metropole.

In letzter Zeit hatten die Medien ständig über Hard Luck berichtet, doch damit hatte Bethany Ross zum Glück nichts zu tun. Allerdings vermutete Mitch, dass sie genauso schnell die Flucht ergreifen würde wie so manch andere Frau, die die Brüder O’Halloran nach Alaska geholt hatten.

Da es nicht viele Frauen gab, die ein so entbehrungsreiches Leben fernab jeglicher Zivilisation auf sich zu nehmen bereit waren, hatten die O’Hallorans eine Aktion ins Leben gerufen, um Hard Luck für eine größere weibliche Zielgruppe attraktiv zu machen. Abbey war sozusagen einer ihrer Erfolge, doch es hatte auch einige Reinfälle gegeben, wie zum Beispiel diese Allison, die es nicht einmal vierundzwanzig Stunden ausgehalten hatte. Und erst in der vergangenen Woche waren zwei Frauen eingetroffen, die gleich den nächsten Flug zurück genommen hatten. Bethany Ross jedoch hatte sich bereits im Frühjahr um die freie Stelle beworben, bevor der ganze Unfug begonnen hatte.

Ihr hinreißendes Lächeln schien zu besagen, dass sie ihn durchschaute. „Ich möchte meinen Vertrag erfüllen, Mr. Harris. Als ich den Job hier angenommen habe, wusste ich, worauf ich mich einlasse.“

Mitch wurde sichtlich verlegen. „Sie haben also meine Gedanken gelesen.“

„Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus, dass Sie an mir zweifeln. Ich passe nicht ganz hierher, stimmt’s?“

Nun musste er ebenfalls lächeln. „Bestimmt hatten Sie sich Hard Luck anders vorgestellt.“

„Ich werde mich schon eingewöhnen.“

Sie schien davon so überzeugt zu sein, dass er sich bereits zu fragen begann, ob er sie falsch eingeschätzt hatte.

„Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was ich erwartet hatte. Ich hatte schon Bedenken hierher zu ziehen, weil in letzter Zeit so oft über Hard Luck berichtet wurde.“

Amüsiert erwiderte er ihren Blick. Natürlich hatte er einige der Artikel gelesen, die in den Boulevardblättern erschienen waren.

„Mein Vater war dagegen, dass ich nach Alaska gehe“, fuhr Bethany fort. „Um ein Haar hätte er mich begleitet, denn er ist offenbar der Meinung, dass in Hard Luck nur liebeshungrige Buschpiloten leben.“

„Da liegt er gar nicht mal so falsch“, meinte Mitch trocken. Wenn sie erst vor einigen Stunden gekommen war, hatte sie die Piloten, die für Midnight Sons arbeiteten, vermutlich noch nicht kennen gelernt. Soweit er informiert war, hatte Sawyer sie hergebracht.

Nachdem sie ständig ihre besten Piloten verloren hatten, weil diese weibliche Gesellschaft vermissten, hatten die O’Hallorans beschlossen, Abhilfe zu schaffen.

„Ist Midnight Sons die Charterfluggesellschaft, die den O’Hallorans gehört?“ fragte Bethany nervös.

„Stimmt.“ Mitch konnte es ihr nicht verdenken, dass sie keinen Durchblick hatte, denn man hatte sie gleich nach ihrer Ankunft hierher gebracht und etwa zwanzig Leuten vorgestellt. Daher erklärte er ihr, dass Charles, der älteste der O’Hallorans, lediglich stiller Teilhaber war.

Als Charles jedoch von Sawyers und Christians Plan erfahren hatte, war er alles andere als still gewesen. Doch als er Lanni Caldwell begegnet war, hatte er seine Meinung schnell geändert. Am Anfang der Woche hatten die beiden bekannt gegeben, dass sie bald heiraten würden.

„Stimmt es, dass Abbey die Erste war, die nach Hard Luck gekommen ist?“ erkundigte sich Bethany neugierig.

„Ja. Sie und Sawyer haben vor kurzem geheiratet.“

„Man hat aber den Eindruck, dass sie schon lange verheiratet sind. Was ist mit Scott und Susan?“

„Sie sind Abbeys Kinder aus erster Ehe. Ich glaube, Sawyer hat schon alles in die Wege geleitet, um sie zu adoptieren.“ Mitch beneidete seinen Freund fast, denn seine Ehe war alles andere als glücklich gewesen.

„Und Chrissie ist Ihre Tochter?“ Bethany schaute zu den Kindern, die am Tisch saßen und Monopoly spielten.

Liebevoll betrachtete er seine siebenjährige Tochter. „Ja. Sie kann es kaum abwarten, dass die Schule wieder anfängt.“

„Ich habe sie vorhin schon kennen gelernt. Sie ist ein reizendes kleines Mädchen.“

„Danke.“ Mitch versuchte, sein Bestes für Chrissie zu geben, aber manchmal fragte er sich, ob das auch genug war. „Haben Sie Pete Livengood schon kennen gelernt?“ Er deutete auf einen Mann mittleren Alters mit markanten Zügen, der auf der anderen Seite des Raumes stand.

„Ja. Ihm gehört der Lebensmittelladen, nicht?“

„Stimmt. Dotty, die Frau neben ihm, hat sich auch auf die Anzeige hin beworben.“

Bethany versuchte, Dotty einzuordnen. „Ist sie die Krankenschwester?“

Er nickte. „Pete und Dotty wollen bald heiraten. Ich glaube, in der ersten Oktoberwoche.“

„Schon?“ Bevor er antworten konnte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf jemand anders. „Was ist mit Mariah Douglas? Ist sie auch neu hier?“

„Ja. Sie ist die neue Sekretärin bei Midnight Sons.“

„Ist sie verlobt?“

„Noch nicht, aber das wäre auch ein bisschen zu früh. Sie ist erst letzten Monat gekommen.“

„Heißt das, sie wohnt schon einen Monat hier und ist immer noch nicht verheiratet?“ neckte sie ihn. „Das ist ja rekordverdächtig. Anscheinend kommen die jungen Männer in Hard Luck nicht ihren Pflichten nach.“

Mitch lächelte jungenhaft. „Daran liegt es anscheinend nicht. Mariah betont allerdings, dass sie nicht hergekommen ist, um nach einen Ehemann Ausschau zu halten. Sie wollte das Blockhaus und die acht Hektar Land, die die O’Hallorans versprochen hatten.“

„Sie haben ihren Teil der Abmachung erfüllt, stimmt’s? Ich habe gelesen, dass die Blockhäuser gar nicht auf den Grundstücken liegen. Für mich klingt das ein bisschen nach arglistiger Täuschung.“ Sekundenlang funkelten ihre Augen kampflustig, als wollte sie es mit allen drei O’Hallorans aufnehmen.

„Das geht mich nichts an. Es ist eine Sache zwischen Mariah und den O’Hallorans.“

Bethany errötete und trank einen Schluck Wein. „Es geht mich natürlich auch nichts an. Ich finde Mariah nur so sympathisch, und es würde mich ärgern, wenn jemand sie ausnutzt.“

Nun gesellten sich Sawyer und Abbey zu ihnen. „Sie haben Mitch also schon kennen gelernt“, meinte Sawyer an Bethany gewandt.

„Er hilft mir dabei, alle Namen zu behalten“, erklärte sie lächelnd.

„Dann hat er Ihnen bestimmt auch erzählt, dass er nicht nur fürs Innenministerium arbeitet, sondern auch unser Sicherheitsbeamter ist.“

„So nennt man in Hard Luck den Gesetzeshüter“, fügte Mitch hinzu.

Bethany schaute ihm in die Augen. „Mein Vater ist bei der Polizei von San Francisco.“

„Mitch war in Chicago bei der Polizei, bevor er nach Hard Luck gezogen ist“, informierte Sawyer sie.

„Stimmt“, bestätigte Mitch geistesabwesend.

„Ihnen schwirrt jetzt bestimmt der Kopf“, meinte Abbey. „So ist es mir bei meiner Ankunft hier auch ergangen. Oh.“ Sie winkte einer Frau zu, die gerade ins Wohnzimmer kam. „Da ist Margaret Simpson, die Lehrerin für die High School-Stufe.“

Nachdem Margaret, eine sympathisch aussehende Brünette Mitte Dreißig, Bethany herzlich begrüßt hatte, erzählte sie ihr, dass sie in derselben Straße wohnte und ihr Mann für eine Mineralölgesellschaft arbeitete, wo er abwechselnd drei Wochen Dienst und drei Wochen frei hatte.

Während Bethany sich mit Margaret unterhielt, betrachtete Mitch sie eingehend. Er hätte sie gern näher kennen gelernt, sagte sich jedoch, dass es keinen Sinn hatte.

Trotzdem faszinierte sie ihn, und er fühlte sich zu ihr hingezogen. Vielleicht lag es daran, dass er bereits seit sechs Jahren allein lebte. Lori war gestorben, als Chrissie ein Baby war. Da er es nicht ertragen hätte, noch länger bei der Chicagoer Polizei zu arbeiten, hatte er ihre Sachen zusammengepackt und war immer weiter nach Norden gegangen. Ihm war klar gewesen, dass er vor etwas davonlief, aber er war so von Schuldgefühlen und Zweifeln geplagt, dass er keine andere Möglichkeit gesehen hatte. Als er in Hard Luck eingetroffen war, hatte er kein Geld mehr gehabt und war das unstete Leben leid gewesen.

Chrissie und er waren glücklich dort. Sie hatten sich ein neues Leben aufgebaut und hatten neue Freunde gefunden. Für Mitch war die Welt wieder in Ordnung.

Er hatte ja nicht ahnen können, dass er in Alaska einem Paradiesvogel wie Bethany Ross begegnen würde.

Obwohl sie keine Schönheit im herkömmlichen Sinne war, war sie sehr beeindruckend. Mitch suchte nach den passenden Worten. Sie war weiblich, herzlich, großzügig, extravagant, und man konnte sicher viel Spaß mit ihr haben. Die Kinder würden sie lieben. Obwohl er erst eine knappe Viertelstunde mit ihr geplaudert hatte, hätte er gern mehr Zeit mit ihr verbracht.

Schnell verdrängte er diesen Wunsch wieder. Von seiner verstorbenen Frau hatte er bereits seine Lektion gelernt. Sollte die neue Lehrerin doch einem anderen Privatstunden geben!

In diesem Moment versuchte Bethany, ein Gähnen zu unterdrücken, und hielt sich die Hand vor den Mund.

„Sie sind bestimmt müde“, stellte Abbey fest. „Ich habe schon ein ganz schlechtes Gewissen, weil wir Sie so lange aufgehalten haben.“

„Nein, es ist sehr nett von Ihnen, mir einen so herzlichen Empfang zu bereiten.“ Wieder musste Bethany gähnen, was ihr offenbar peinlich war. „Aber ich gehe jetzt besser.“

„Mitch, bist du so nett und bringst sie nach Hause?“ fragte Sawyer.

„Natürlich.“ Mitch stellte sofort sein Glas ab, obwohl er sich am liebsten davor gedrückt hätte, Bethany zu begleiten. Er wollte gerade vorschlagen, dass jemand anders sie nach Hause brachte, als ihm klar wurde, dass sie das womöglich als Beleidigung aufgefasst hätte.

Als sie ihn ansah, hatte er einmal mehr den Eindruck, sie würde seine Gedanken lesen. Schnell wandte er den Blick ab, um nach Chrissie Ausschau zu halten. Susan und sie hatten gerade die Köpfe zusammengesteckt und tuschelten. Er hatte zwar keine Ahnung, worüber sie redeten, aber zweifellos heckten sie wieder etwas aus.

Schließlich wandte er sich Bethany zu. „Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment?“

„Sicher.“

Während er Chrissie holte, verabschiedete Bethany sich von den Mitgliedern der Schulbehörde.

Wenige Minuten später trafen sie sich vor der Haustür. Mitch wusste bereits, wo Bethany wohnte, denn die Unterkunft für die Lehrer wurde vom Staat gestellt. Es handelte sich um ein schönes kleines Haus, das sich auf der anderen Seite der Turnhalle befand.

Er hielt die Beifahrertür seines Transporters auf, damit Chrissie als Erste einsteigen konnte. Ihm war nicht entgangen, wie still sie plötzlich war, als hätte sie großen Respekt vor ihrer zukünftigen Lehrerin.

„Danke, dass Sie mich mitnehmen“, sagte Bethany, während er den Motor anließ.

„Kein Problem.“ Das war es zwar doch – und nicht wegen des Umwegs –, aber dann nahm er sich vor, ihre Gesellschaft zu genießen. Immerhin war es ziemlich unwahrscheinlich, dass er sie noch einmal mitnehmen würde. Sobald die anderen allein lebenden Männer in Hard Luck sie kennen lernten, hatte er sowieso keine Chance mehr, was ihm nur recht sein konnte.

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich ein bisschen herumzufahren?“ erkundigte sie sich. „Bisher hatte ich nämlich noch keine Gelegenheit, mir den Ort anzuschauen.“

„Es gibt auch nicht viel zu sehen“, erklärte er, da er Angst davor hatte, ihre Gesellschaft möglicherweise zu sehr zu genießen.

„Wir können ihr die Bücherei zeigen“, schlug Chrissie eifrig vor.

„Gibt es eine Bücherei in Hard Luck?“

„Ja. Sie ist ziemlich klein, aber wir gehen oft hin“, erzählte das Mädchen. „Abbey ist die Bibliothekarin.“

Sawyers Frau hatte die Bibliothek in wochenlanger Arbeit aufgebaut und dann eröffnet. Ellen Greenleaf, die Mutter der O’Hallorans, hatte die Bücher gestiftet, die bis zu Abbeys Ankunft in Kartons gelagert hatten. Mittlerweile hatte Abbey sogar damit angefangen, neue Bücher zu erwerben – vom Bestseller bis zum Kochbuch. Die erste Lieferung war vor einer Woche eingetroffen – zur allgemeinen Freude der Einwohner, die sich als richtige Leseratten entpuppt hatten. Auch Mitch nutzte das Angebot und bestärkte Chrissie darin, sich ebenfalls Bücher auszuleihen.

„Wir müssen Ms. Ross auch den Laden zeigen“, erklärte Chrissie. „Und die Kirche und die Schule.“

„Was ist das für ein Haus?“ Bethany deutete auf das größte Gebäude des Ortes.

„Das Hotel“, erwiderte Mitch.

„Matt Caldwell renoviert es gerade“, berichtete Chrissie. „Er ist der Bruder von Lanni.“

„Ich habe Ihnen von Lanni erzählt“, meinte Mitch. „Sie ist mit Charles O’Halloran verlobt.“

„War Charles vorhin auch da?“

„Nur kurz.“

„War er der Mann in dem Sweatshirt mit dem Midnight Sons- Aufdruck?“

„Genau.“

Chrissie beugte sich zu Bethany hinüber. „Im Hotel hat es gebrannt, und deswegen wohnt jetzt keiner darin. Matt hat es gekauft und renoviert es, damit die Leute darin wohnen und ihm viel Geld bezahlen.“

„Es hat darin gebrannt?“

„Das ist lange her“, antwortete Mitch. „Da hauptsächlich der hintere Teil des Gebäudes zerstört wurde, kann man von hier nicht so viel sehen.“ Er schüttelte den Kopf. „Eigentlich hätte man es schon lange renovieren oder einfach abreißen sollen, aber die O’Hallorans konnten sich wohl nicht dazu durchringen. Nun haben sie es an Matt Caldwell verkauft, und das war sicher das Beste so.“

„Matt will mit den Touristen Hundeschlittenrennen machen!“ rief Chrissie aufgeregt. „Die Hunde und Trainer will er nach Hard Luck holen.“

„Das wird bestimmt lustig.“

„Eagle Catcher ist ein Husky.“

Mitch begegnete Bethanys fragendem Blick. „Das ist Sawyers Hund“, erklärte er.

„Jetzt gehört er Scott.“

„Stimmt.“ Er lächelte seiner Tochter zu. „Das hatte ich ganz vergessen.“

„Scott und Susan sind Abbeys Kinder, nicht?“ fragte Bethany.

„Stimmt.“

Anerkennend stellte er fest, dass sie schon viele Namen behalten hatte. Vielleicht gehörte es zum Lehrerberuf, sich viele Gesichter und Namen merken zu können.

„Gibt es in Hard Luck auch ein Restaurant?“ meinte sie. „Ich bin nämlich keine gute Köchin.“

Als Mitch sich zu ihr umwandte, begegneten sich ihre Blicke. Dann schaute er wieder nach vorn. „Das Hard Luck Café.“

Bethany lächelte. Offenbar amüsierte sie sich über den Namen.

„Ben serviert den besten Kaffee der Stadt, aber er hat ja auch keine große Konkurrenz.“

„Ben?“

„Ben Hamilton. Er ist ein hässlicher Knopf, aber er hat ein goldenes Herz und kann mehr als bloß kochen. Er ist zum Beispiel ein guter Psychologe. Sie werden ihn mögen.“

„Da bin ich sicher.“

Mitch fuhr zum Ende der Straße. Von dort aus konnte man in der Ferne ein Licht sehen. „Dahinten sind die Blockhäuser“, erklärte er. „Das ganz links gehört Mariah.“ Christian, der jüngste der Brüder O’Halloran, hatte unzählige Male versucht, sie dazu zu bewegen, in die Stadt zu ziehen. Doch sie hatte sich hartnäckig geweigert.

Nachdem Mitch gewendet hatte, fuhr er zurück in Richtung Schule. Als er vor ihrem kleinen Haus hielt, drehte Bethany sich zu ihm um und lächelte ihn an.

„Vielen Dank für die Rundfahrt und fürs Nachhausebringen.“

„Es war mir ein Vergnügen.“

Dann wandte sie sich an Chrissie. „Da ich neu in der Stadt bin, würde ich mich freuen, wenn du mir ein bisschen helfen könntest.“

Chrissie strahlte und nickte so eifrig, dass ihre Zöpfe sich hin und her bewegten. „Darf Susan Ihnen auch helfen?“

„Na klar.“

Stolz lächelte die Kleine ihren Vater an.

„Also, gute Nacht.“ Bethany öffnete die Beifahrertür und stieg aus.

„Gute Nacht“, erwiderten die beiden im Chor. Erst als Bethany im Haus war und das Licht einschaltete, fuhr Mitch weiter.

Soso, die neue Lehrerin ist da, dachte er.

Erst als Bethany im Bett lag, wurde ihr bewusst, wie müde sie war. Trotzdem konnte sie nicht einschlafen und schaute zur Decke, während sie über ihre Begegnung mit Mitch Harris nachdachte.

Sie hatte sofort gemerkt, dass er sehr ernst und zurückhaltend war. Da er sich ihr sicher nicht vorgestellt hätte, hatte sie die Initiative ergriffen. Er war nämlich wie ein unbeteiligter Zuschauer in einer Ecke gestanden und hatte die anderen beobachtet.

Irgendetwas an ihm faszinierte sie. Da ihr Vater Polizist war, hatte sie vermutlich instinktiv gespürt, was Mitch beruflich machte. Zumindest war sie nicht überrascht gewesen, als Sawyer es ihr gesagt hatte. In gewisser Weise erinnerte Mitch sie sogar an ihren Vater, denn er hatte offenbar denselben analytischen Verstand. Ihre Mutter machte es verrückt, dass ihr Vater immer lange hin und her überlegte, bevor er eine Entscheidung traf. Ich wette, Mitch ist genauso, dachte Bethany. Sie selbst war eher spontan.

Sie hätte Mitch gern näher kennen gelernt, hatte aber den Eindruck, dass er nicht an ihr interessiert war. Oder war er es doch? Bevor sie sich ihm vorgestellt hatte, hatte sie Bewunderung in seinen Augen aufblitzen sehen. Nun fragte sie sich, ob sie es sich bloß eingebildet hatte.

Allerdings hielt sie das nicht davon ab, sich auszumalen, wie seine Augen vor Leidenschaft dunkler wurden, bevor er sie küsste.

Schließlich rief sie sich zur Ordnung, schloss die Augen und versuchte, sich zu entspannen – vergeblich. Immer wieder tauchte Mitch Harris’ Gesicht vor ihrem geistigen Auge auf.

Ich bin nicht nach Hard Luck gekommen, um mich zu verlieben, sagte sie sich energisch.

Dann rollte sie sich auf die Seite, wobei sie das Kopfkissen in die Arme nahm. Auch das nützte nichts. Selbst wenn sie es nicht wahrhaben wollte, Chrissies Vater faszinierte sie …

„Miss Ross?“

Bethany, die hinten im Klassenzimmer stand, blickte auf. Chrissie und Susan standen auf der Türschwelle und strahlten vor Eifer.

„Hallo, ihr zwei.“

„Wir sind hier, weil wir Ihnen helfen wollen“, erklärte Chrissie. „Dad hat gesagt, wir sollen aufpassen, dass wir Ihnen nicht auf die Nerven gehen.“

„Das werdet ihr bestimmt nicht“, versicherte Bethany.

Nachdem die beiden hereingekommen waren, gab sie ihnen ihre erste Aufgabe, die darin bestand, Bücher zu sortieren. Es war das erste Mal, dass sie mehr als eine Klasse hatte, und die Tatsache, dass sie von nun an sechs verschiedene Klassen unterrichten würde, machte ihr ein bisschen Angst.

„Alle freuen sich auf die Schule“, verkündete Chrissie. „Vor allem mein Dad.“

Bethany lachte leise. Mitch ging es offenbar genauso wie vielen Eltern.

Etwa zwanzig Minuten später fragte Chrissie plötzlich: „Sie sind nicht verheiratet oder so, stimmt’s, Miss Ross?“

Bethany musste sich ein Lächeln verkneifen. „Nein.“

„Warum nicht?“

Typisch für eine Siebenjährige, solche Fragen zu stellen! „Ich habe noch nicht den Richtigen gefunden“, erklärte Bethany schlicht.

„Waren Sie schon mal verliebt?“ erkundigte sich Susan.

Bethany hatte wohl gemerkt, dass die beiden ihre Arbeit unterbrochen hatten und ihr nun ihre ganze Aufmerksamkeit schenkten. „Ja“, erwiderte sie nach kurzem Zögern.

„Wie alt sind Sie eigentlich?“

„Chrissie.“ Susan stieß ihre Freundin mit dem Ellbogen an. „Das gehört sich nicht“, flüsterte sie so laut, dass Bethany es verstehen konnte.

Sie tat so, als hätte sie es nicht gehört. „Ich bin fünfundzwanzig.“

Nachdem die beiden vielsagende Blicke gewechselt hatten, begannen sie, an ihren Fingern etwas abzuzählen.

„Sieben“, sagte Chrissie schließlich andächtig.

„Sieben?“ wiederholte Bethany neugierig.

„Wenn ein Mann sieben Jahre älter ist als Sie, ist er dann zu alt?“ fragte Susan mit großen Augen.

Bethany setzte sich auf einen Tisch und verschränkte die Arme. „Das hängt davon ab.“

Chrissie kam ein paar Schritte näher. „Wovon?“

„Vom Alter. Wenn ich vierzehn wäre und mit einem Einundzwanzigjährigen ausgehen wollte, hätten meine Eltern das nie erlaubt. Wenn ich aber einundzwanzig und er achtundzwanzig wäre, wäre es in Ordnung.“

Beide Mädchen wirkten sichtlich zufrieden.

„Ihr habt doch nicht etwa vor, euch mit vierzehnjährigen Jungen zu verabreden, oder?“ Gespielt missbilligend, kniff Bethany die Augen zusammen.

Chrissie fing an zu kichern, während Susan die Augen verdrehte. „Also wirklich, Miss Ross! Ich weiß gar nicht, was an Jungen so toll sein soll. Ich habe nämlich einen Bruder“, fügte sie erklärend hinzu.

„Können Sie uns von dem Mann erzählen, in den Sie verliebt waren?“ bat Chrissie so ernst, dass Bethany ihr den Wunsch nicht abschlagen konnte.

„Es war ein Typ, den ich vom College kannte“, erzählte sie. „Wir waren ungefähr ein Jahr zusammen.“

„Wie hieß er?“

„Randy.“

„Randy“, wiederholte Chrissie verächtlich.

„Hat er Ihnen was getan?“

Obwohl ihr die Fragen unangenehm waren, musste Bethany lachen. „Nein, er hat mir nichts getan.“ Sie war nicht einmal sicher, ob sie ihn überhaupt geliebt hatte, was ihrer Meinung nach schon ziemlich aufschlussreich war. Randy und sie waren Freunde gewesen, doch irgendwann war mehr daraus geworden – zumindest für Randy.

Er hatte davon geredet, zu heiraten und eine Familie zu gründen, was sie zuerst auch für eine gute Idee gehalten hatte. Dann war ihr jedoch klar geworden, dass sie noch nicht bereit war, sich langfristig zu binden. Sie hatten sich gestritten und schließlich ihre inoffizielle Verlobung gelöst. Noch Monate danach hatte Bethany unter der Trennung von Randy gelitten. Nun vermutete sie allerdings, dass sie mehr das Ende ihrer Freundschaft bedauert hatte.

„Sehen Sie ihn manchmal noch?“ wollte Chrissie wissen.

Bethany nickte.

„Wirklich?“ fragte Susan, als handelte es sich um eine menschliche Tragödie.

„Ja, manchmal.“

„Ist er verheiratet?“

„Nein.“ Bethany wurde ein wenig traurig, als sie an ihren alten Freund dachte. Sogar jetzt, fünf Jahre nach ihrer Trennung, vermisste sie Randy.

Chrissie und Susan wirkten plötzlich ziemlich bedrückt.

„Können wir jetzt gehen?“ fragte Chrissie unvermittelt.

„Ja, natürlich. Und vielen Dank für eure Hilfe.“

Ehe Bethany sich’s versah, waren die beiden wieder verschwunden, und sie wandte sich wieder ihrer Aufgabe zu. Aus farbigem Papier schnitt sie große Buchstaben aus.

Da die Sonne in den Klassenraum schien und es ziemlich warm war, zog Bethany ihre Bluse aus der Hose, öffnete die untersten Knöpfe und verknotete die Zipfel in der Taille. Dann strich sie sich das Haar aus dem Gesicht und band es im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammen.

Eine halbe Stunde später hatte sie fast alle Buchstaben, die das Wort September bildeten, bogenförmig an das Schwarze Brett hinten im Klassenraum geheftet. Sie stand auf einem Stuhl und hatte gerade das E befestigt, als sie spürte, dass sie nicht allein war. Langsam drehte sie sich um und sah Mitch Harris auf der Türschwelle stehen.

„Hallo“, begrüßte sie ihn fröhlich, denn sie freute sich, ihn zu sehen. Er trug die khakifarbene Uniform der Mitarbeiter des Innenministeriums, und seine Miene war ausdruckslos. Bethany hatte allerdings das Gefühl, dass ihm nicht besonders wohl in seiner Haut war.

„Ich suche Chrissie.“

Nachdem Bethany das R angebracht hatte, stieg sie vom Stuhl. „Tut mir Leid, aber wie Sie selbst sehen, ist sie nicht hier.“

Mitch runzelte die Stirn. „Louise Gold hat mir gesagt, sie sei hier.“

Bethany erinnerte sich daran, dass Louise Gold die Frau war, die tagsüber auf Chrissie aufpasste. Außerdem war sie Mitglied der Schulbehörde. Bethany hatte sie am Vortag kennen gelernt und kurz mit ihr gesprochen.

„Chrissie war vorhin mit Susan hier.“

„Hoffentlich haben sie sich gut benommen.“