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Das brandenburgische Wilsnack war von 1383 bis 1552 eines der wichtigsten christlichen Pilger- und Wallfahrtsziele. Nach der Verbrennung der sogenannten Wunderbluthostien 1552 durch den ersten evangelischen Pastor dort ebbte die Wilsnack-Fahrt dann rasch ab und gerieten Wilsnack und die Pilgerwege dorthin in Vergessenheit. Dank der Wegeforschung ab den 1980er Jahren ist der mittelalterliche Pilgerweg von Berlin nach Wilsnack seit 2006 wieder markiert und begehbar. Auch wenn er kein Jakobsweg ist, so ist er zweifelsfrei dennoch ein sehr empfehlenswerter Pilgerweg, den man gegangen sein sollte. Dieses Büchlein gibt unsere Erlebnisse und Eindrücke aus dem Juli 2021 wieder, als wir diesen wenig bekannten Weg, über den es sonst keine Pilgerberichte gibt, gemeinsam mit unserem neuen Familienzuwachs Kito gingen.
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Seitenzahl: 98
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Danksagung
Prolog
Geschichtlicher Hintergrund
16. Juli 2021: Anreise von Hamburg nach Berlin
17. Juli 2021: Von Berlin über Hennigsdorf nach Bötzow
18. Juli 2021: Von Bötzow nach Flatow
19. Juli 2021: Von Flatow nach Protzen
20. Juli 2021: Von Protzen nach Barsikow
21. Juli 2021: Von Barsikow nach Kyritz
22. Juli 2021: Von Kyritz nach Söllenthin
23. Juli 2021: Von Söllenthin nach Wilsnack
24. Juli 2021: Abschlusstag in Bad Wilsnack
25. Juli 2021: Abstecher nach Havelberg & Heimreise
Rückblick auf den Pilgerweg von Berlin nach Wilsnack
Rückblick auf Pilgern mit Hund
Übersicht unserer Tagesetappen
Übersicht unserer Übernachtungsquartiere
Weitere Informationen von A bis Z
Apotheken
Ausrüstung
Änderungen & Updates
An- & Rückreise
Fahrradpilgern
Infrastruktur (Einkaufs- & Einkehrmöglichkeiten)
Internetseite des Pilgerwegs
Literatur
Pilgerpass
Pilgerzeichen
Reisezeit
Unterkünfte
Wegmarkierungen
Über den Autor
Weitere Pilger-Erlebnisberichte des Autors
Entstehungsgeschichte dieses Buches
Dieses Büchlein über meinen vierten Pilgerweg, den dritten gemeinsam mit Christine und den ersten mit Kito, unserem kleinen Pinscher-Rüden, wäre nicht möglich gewesen, wenn ich nicht bei der Planung, Durchführung und Nachbearbeitung dieser Pilgerreise so vielfältige Unterstützung erfahren hätte.
Zu allererst gilt mein Dank natürlich meiner Partnerin Christine Schroeder, auf die ich mich stets verlassen kann, die mich immer unterstützt und die häufig auch meine erste und wertvollste Kritikerin ist.
Kito, dem kleinen Pinsch, verdanke ich das neue und modifizierte Thema „Pilgern mit Hund".
Anna Funke, der Vorsitzenden des Dorfvereins Barsikow und Ehefrau des dortigen Ortsvorstehers, danke ich für ihre wertvolle Hilfe, als es mir unterwegs so schlecht ging und wir unseren Etappenplan spontan ändern mussten.
Weiterhin danke ich unseren Gastgebern der Privatquartiere unterwegs, namentlich Diana Kuhl (Bötzow), Lutz Kowalke (Kirchengemeinde Flatow) und Christine Dau (Protzen).
Und zu guter Letzt gilt mein Dank allen netten Menschen unterwegs, die uns sonst wie unterstützt haben, die uns die Kirchen aufschlossen, die Pilgerstempel bereithielten oder einfach nur gute Tipps gaben.
You'll never walk alone...
Die anhaltende COVID-19 Pandemie macht auch im Sommer 2021 eine mittel- oder gar langfristige Planung zum Pilgern auf einem der spanischen Jakobswege nahezu unmöglich. Zu schnell wechselt Spanien zwischen Normalstatus, Risiko- und Hochrisikogebiet oder gar Virusvariantengebiet. Stattdessen bieten sich nun die deutschen Pilgerwege als Alternative an. Deren Zahl ist in den letzten rund 20 Jahren peu à peu angewachsen, und auch im Web finden sich bei akribischer Recherche immer mehr Informationen.
Hinzu kommt, dass wir seit Anfang Mai 2021 „Familienzuwachs" haben, nämlich Kito, einen zweijährigen, sehr aktiven, sehr anhänglichen und sehr schmusigen kleinen Pinschermix-Rüden, der am liebsten mit uns beiden gemeinsam auf Tour ist. Ihn wollen wir natürlich nicht allein lassen, so dass sich für uns unverhofft das Thema „Pilgern" zu „Pilgern mit Hund" erweitert hat.
Dies verkompliziert vor allem unsere Suche nach passenden Unterkünften. Denn nicht jeder Anbieter nimmt Pilger mit Hund auf, sei es aus hygienischen Gründen oder sei es den eigenen Hühnern, Katzen oder Hunden zuliebe.
Daher ist es doppelt sinnvoll, alle Quartiere unbedingt bereits im Vorfeld zu buchen – einerseits, weil wir nicht wissen, wie frequentiert der mittelalterliche Pilgerweg von der Marienkirche in Berlin zur Wunderblutkirche in Wilsnack – heutzutage heißt es Bad Wilsnack – rund acht Wochen nach dem Ende des zweiten COVID-19 Lockdowns sein wird, und zum zweiten des kleinen Hundes wegen.
Gut drei Wochen vor unserem Aufbruch haben wir endlich auch die letzte Planungslücke geschlossen: Wir haben alle Pilgerweg-Ubernachtungen gebucht!
Der Pilgerweg von Berlin nach Wilsnack ist einerseits sehr alt und andererseits ziemlich jung.
Er ist einerseits sehr alt, weil er in der Zeit von 1383 bis 1552 der bedeutendste mittelalterliche Pilgerweg nördlich der Alpen war, der jährlich bis zu einhunderttausend (!!!) Pilger aus ganz Europa – aus Deutschland, England, Flandern, Frankreich der Schweiz, Skandinavien, dem Baltikum, Russland, Polen, Österreich, Tschechien und Ungarn – zur Wunderblutkirche nach Wilsnack führte, von denen die gesamte Region mit ihren kaum eintausend Bewohnern zunehmend wirtschaftlich profitierte, um nicht zu sagen: lebte.
Ausgangspunkt der Geschichte war eine Brandstiftung. Am 16. August 1383 hatte Heinrich von Bülow, der mit den Herren von Möllendorf und dem Bischof in Havelberg im Streit lag, die weitgehende Abwesenheit der Wilsnacker Bevölkerung, die zum jährlichen Domweihfest nach Havelberg gezogen war, genutzt, um Wilsnack und zehn weitere Dörfer der Umgebung niederzubrennen.
Der Wilsnacker Pastor Johannes Calbutz fand bei seiner Rückkehr nach Wilsnack in einer Altarnische der abgebrannten Kirche einen Kelch mit drei bereits geweihten Hostien, die den Brand bis auf leicht angesengte Ränder heil überstanden hatten. Jede von ihnen trug einen roten Blutstropfen. In der unmittelbaren Folgezeit wurden in Verbindung mit diesen drei „Bluthostien" diverse Kerzen- und Hostienwunder berichtet, die dazu führten, dass Papst Urban VI. im Folgejahr, also 1384, einen Ablassbrief zum Wiederaufbau der nunmehr Wallfahrtskirche ausstellte, woraufhin sich Wilsnack rasch zum fünfbedeutendsten Wallfahrtsziel des christlichen Abendlandes (nach Rom, Jerusalem, Santiago de Compostela und Aachen) entwickelte.
Die Pilger rekrutierten sich aus allen gesellschaftlichen Schichten. So pilgerte auch Kurfürst Friedrich II. in den Jahren 1440-1451 alleine sechsmal nach Wilsnack.
Nachdem nach der Reformation der erste evangelische Pfarrer Joachim Ellefeld – entgegen einer Anordnung des Stadtrats – 1552 die drei Bluthostien öffentlich verbrannt hatte, ebbten die Pilgerströme schlagartig ab, was den raschen wirtschaftlichen Niedergang Wilsnacks und der gesamten Region zur Folge hatte.
Der Pilgerweg ist andererseits sehr jung, weil er wie beschrieben nach 1552 völlig in der Bedeutungslosigkeit verschwand, in Vergessenheit geriet und erst ab 1988 wieder von Heimatforschern, Archäologen und Historikern neu entdeckt, erforscht und bestmöglich rekonstruiert wurde. Letzteres war vor allem dadurch erschwert, dass es im Mittelalter keine Straßenkarten gab. So verzeichnet die älteste deutsche Karte aus dem Jahr 1491 nur Orte, aber keine Wege. Wilsnack ist übrigens eingezeichnet, Berlin dagegen nicht.
Auch sind nur wenige Spuren der einstigen Straßen und Brücken erhalten geblieben, so dass die genaue Trasse heutzutage nicht mehr zu belegen ist. Hinweise fanden sich dagegen vereinzelt in den alten Dorfkirchen und auf ihren mittelalterlichen Glocken.
Besonders hervorzuheben ist hierbei das Ehepaar Prof. Rainer Oefelein, Architekt und Hochschullehrer, und Dr. Cornelia Oefelein, das in den Jahren 2004 und 2005 mit intensiver Wegeforschung einschließlich Spurensuche nach Relikten aus der Pilgerzeit die Voraussetzung dafür geschaffen hat, dass dieser mittelalterliche Pilgerweg rekonstruiert und neu installiert werden konnte. Von ihnen stammt auch der Outdoor-Pilgerführer zu diesem Weg (2. Auflage vom September 2020), der zur Grundausstattung jedes Pilgers auf diesem Weg zählen sollte.
Dieser Pilgerführer ist in Sachen Gründlichkeit, Hintergrundwissen und Genauigkeit so gut, dass er für mich unschlagbar ist. Ich mache mit meinem Bericht also keinerlei Versuch, mit ihm zu konkurrieren, sondern möchte nur einen ergänzenden, ganz persönlichen Erlebnis- und Erfahrungsbericht beisteuern, der zudem einige Pandemie-bedingte Neu-Informationen enthält.
Seit 2006 ist der einstige mittelalterliche Pilgerweg Berlin – Wilsnack wieder markiert und begehbar, wobei er auch heute immer noch eine Art Geheimtipp ist. Immerhin gehen – laut Homepage www.wegenachwilsnack.de – jährlich etwa 1.000 Pilger diesen Weg.
Aber in Zeiten der SARS-CoV-2 Pandemie, in denen Planungen für Jakobswege auf der iberischen Halbinsel ein gewisses Maß an Hellseher-Qualitäten erfordern, werden solche Wege in Deutschland sicherlich immer interessanter.
Wie geplant brechen wir am Nachmittag mit dem Auto von Hamburg aus auf, allerdings statt kurz nach 14 Uhr erst gegen 15:40 Uhr. Beinahe hätte ich vergessen, noch das bereit liegende Bargeld, die SD-Speicherkarte für die Spiegelreflex-Kamera und das SD-Kartenlesegerät einzupacken.
Wie zu befürchten war, ist die Autobahn auch nicht gänzlich frei, aber wir kommen alles in allem trotzdem gut durch und gegen 18:25 Uhr in Bad Wilsnack an. Unglücklicherweise – und gänzlich im Gegensatz zu den Wetterprognosen – beginnt es jedoch rund eine Viertelstunde vor unserem Ziel heftig zu regnen. Es soll bis zum Ende der einzige Regen dieser Reise sein, aber das ahnen wir noch nicht. Wir beschließen, das Auto doch nicht in der Nähe unseres Hotels am Ende unserer Pilgerreise abzustellen, sondern auf einem der Park & Ride Plätze direkt neben dem Bahnhof.
So müssen wir uns nur gut 100 Meter durch den gerade nachlassenden Regen zum Bahnhof durchkämpfen.
Unser Zug um 19:11 Uhr ist pünktlich. Für Kito ist es die erste Zugfahrt, jedenfalls seit er am 1. Mai zu uns gekommen ist. Er benimmt sich sehr anständig, auch wenn er den Schaffner, der unsere Fahrkarten kontrolliert und abknipst, leise anknurrt. In Spandau müssen wir umsteigen. Für das letzte Stück bis Berlin Hauptbahnhof nehmen wir dann den nächstbesten Zug, in diesem Fall einen ICE. Schließlich bringt uns die S-Bahn der legendären BVG zum Bahnhof Alexanderplatz.
Jetzt ist es nur noch ein Katzensprung von 600-700 Metern zum B & B Hotel Alexanderplatz, wo wir kurz nach 21 Uhr unser vorab reserviertes Zimmer beziehen. Der Zimmerpreis hat sich übrigens von 53,00 auf 52,50 € verringert. Allerdings kommen nun 12 € für Kito dazu.
Da wir noch Hunger haben, ziehen wir gegen halb zehn noch einmal los. Von den beiden Berliner kulinarischen Highlights – Currywurst und Döner – steht uns der Sinn nach letzterem.
Diesmal gehen wir durch die Littenstraße, benannt nach Hans Litten, einem Rechtsanwalt, der Anfang der 1930er Jahre NS-Verfolgte vor Gericht vertrat. Dabei hatte er 1931 bei einem Prozess Adolf Hitler selbst als Zeugen vorgeladen und dabei derart in die Enge getrieben, dass er sich damit Hitlers persönliche Feindschaft erwarb. Diese wiederum brachte ihn nach dem Reichstagsbrand in „Schutzhaft" und in diverse Zuchthäuser und Konzentrationslager. Nach jahrelanger Folter nahm er sich dann am 5. Februar 1938 im KZ Dachau selbst das Leben.
Als wir auf dem Weg zum Alexanderplatz die Rathauspassage durchqueren wollen, treten zwei Security-Leute auf uns zu, und einer der beiden erklärt uns, hier seien Hunde nicht erlaubt. Er hat aber auch gleich eine Lösung parat: „Nehmen Sie ihn einfach auf den Arm. Dann denk ich, er wäre eine Handtasche." Gesagt – getan...
Direkt an der S-Bahn finden wir einen Döner-Laden, wo wir zwei Big Döner für je 5,50 € kaufen, die wir wenig später auf unserem Hotelzimmer mit Genuss verzehren.
Inzwischen ist es fast 23 Uhr. Wir sichten beide noch mal kurz unsere Maileingänge und facebook-Accounts und befinden uns wenig später im Tiefschlaf.
Erkenntnis des Tages: Kito geht auch als Handtasche durch!
Gegen acht Uhr ziehen Christine und Kito los, damit der kleine Hund seine „PuKa"-Runde (Puller-/Kack-Runde) absolvieren kann. Als Christine unterwegs ein Café sichtet, bindet sie Kito vor selbigem an einen Tisch, während sie drinnen zwei Coffee to go und ein paar Sandwiches kauft.
Da Kito aber wieder einmal Angst hat, Frauchen zu verlieren, zieht er einfach den Tisch hinter sich her, um ihr zu folgen oder sie zumindest weiter sehen zu können. Woraufhin einer der beiden Männer, die gerade die Außen-Tische und -Stühle aufbauen, konstatiert: „Das ist wirklich ein starker kleiner Hund!"
Wir lassen uns eine gute Stunde Zeit fürs Frühstück, Morgentoilette, Packen und Aufbruch und verlassen unser Hotel wenige Minuten vor 10 Uhr.
Zunächst fotografiere ich noch die Gedenk-Tafel für Hans Litten, ehe wir ein Reststück der einstigen Berliner Stadtmauer, Berlins älteste Kneipe „Zur letzten Instanz" (gegründet 1621), die Ruine der Franziskaner-Klosterkirche (einer dreischiffigen Basilika aus dem 14. Jahrhundert) und den Neptunbrunnen anschauen, die alle auf unserem 1,3 Kilometer „langen" Anmarsch zum Start unseres Pilgerwegs, der Marienkirche, liegen.
Die Marienkirche ist geöffnet, und wir können sogar zu dritt, also mit Kito, hinein, wobei der Kleine sich vorbildlich leise verhält. Leider bekommen wir dort aber nicht unseren ersten Pilgerstempel, weil der Verkaufsstand im Kirchenraum nicht besetzt ist.