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Mord und Totschlag gab es zu allen Zeiten der menschlichen Geschichte. Als Harzer Heimatforscher habe ich recherchiert und zahlreiche dieser Gewaltverbrechen zusammengetragen. Ich habe für mein Buch einen Querschnitt dieser Taten über einen Zeitraum von etwa tausend Jahren ausgewählt. Es sind alles, fast alles, wahre Geschichten. Bei den Mordgeschichten, die ausschließlich auf Sagen beruhen, ist der Wahrheitsgehalt natürlich strittig und zudem etwas dichterische Freiheit dabei. Jedoch habe ich auch ganze Gerichtsakten wiedergegeben, die einen Spiegel ihrer Zeit darstellen. Viel Spaß also bei meinen blutigen Mordgeschichten und etwas Grusel, denn Tatsachenberichte sind eben doch anders als phantasievolle Krimis. Die Mordgeschichten sind mit 43 schwarz-weiß Abbildungen illustriert, darunter zeitgenössische Darstellungen, Fotos, Zeichnungen und Zeitungsausschnitte.
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Seitenzahl: 190
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Mord und Totschlag gab es zu allen Zeiten der menschlichen Geschichte. Beides sind Tötungsdelikte, die sich nur in ihrem gesellschaftlichen Unwert unterscheiden, jedoch in jeder Rechtsordnung unterschiedlich bewertet werden. Unjuristisch, und in aller Vereinfachung, können diese beiden Tötungsdelikte nach deutschem Strafrecht auf folgenden Nenner gebracht werden: Mord geschieht vorsätzlich und mit besonderer Verwerflichkeit und Totschlag mit Vorsatz, ist jedoch durch das Fehlen von Mordmerkmalen gekennzeichnet.
Schon im Mittelalter, und schon lange davor, wurde in der Rechtsprechung zwischen diesen beiden Tötungsdelikten unterschieden. Und über Jahrtausende hinweg wurde für Mord in der Regel die Todesstrafe ausgesprochen. Dennoch sind Morde zu keiner Zeit unterblieben. Die Motive für Mord oder Totschlag sind sehr verschieden: blanke Mordlust, Sexualmord, Habgier, Hass, Wut, Rache und Eifersucht sind einige davon.
In der Regel ist auch das Strafmaß zwischen Mord und Totschlag verschieden, Totschlag wird mit niedrigeren Strafen sanktioniert. Jedoch variieren die Rechtssysteme diesbezüglich sehr stark.
Ich möchte mich jedoch mit meinen Ausführungen ausschließlich am deutschen Rechtssystem orientieren, zu dem mein Berichtsgebiet – die Harzregion – gehört. Es wird davon ausgegangen, dass bereits die germanischen Stämme eine Differenzierung zwischen Mord und Totschlag vorgenommen haben. Diese Tradition der Unterscheidung zwischen einer Tötung mit Vorsatz sowie im Affekt, setzte sich auch über das Mittelalter fort. Jedoch differenzierte hier die Rechtsprechung zusätzlich bei Taten von adligen Grundherren. Mordtaten des Adels an Untertanen wurde kaum geahndet. Mord an gleichgestellten Adligen hingegen wurde zwar verurteilt, in der Regel jedoch nicht mit der Todesstrafe geahndet, sondern nur mit finanziellen oder materiellen Strafen. Bis zum Ende des Mittelalters galt das Verheimlichen einer Tat als Indiz für Mord. Mit der Rezeption des römischen Rechts im Heiligen Römischen Reich des ausgehenden Mittelalters kam es jedoch zum Bruch mit der Tradition des germanischen Rechtskreises. Mit Anleihen an das antike Römische Recht wurde ein römisch-kanonisches Recht geschaffen. Die „Carolina“ von 1532 gilt heute als erstes allgemeines deutsches Strafgesetzbuch. In der Übersetzung aus dem lateinischen Original ins Deutsche heißt sie Peinliche Gerichts- oder Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. „Peinlich“ bezieht sich hierbei auf das lateinische poena für „Strafe“ und bezeichnet Leibes- und Lebensstrafen. Die Strafen sowie die zur „Ermittlung der Wahrheit“ eingesetzten Folter- und Vernehmungsmethoden setzten einen Tiefpunkt in der Rechtsprechung, denn sie beruhten nicht auf Recht und Würde des Menschen sondern auf Willkür.
Im 18. Jahrhundert bauten das Preußische Landrecht und das Strafgesetz des Norddeutschen Bundes weiterhin auf diese Unterscheidung bei Tötungsdelikten. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in Deutschland für Mord in der Regel die Todesstrafe verhängt. Bei aller Grausamkeit bei der Verhängung von Strafen für Tötungsdelikte herrschte doch mitunter auch Milde und salomonische Urteile wurden verhängt. So wurden für Mörder Todesstrafen ausgesprochen, deren Vollstreckung wurde jedoch auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Der Mörder wurde unter der Maßgabe freigelassen, die Familie des Opfers zu versorgen. Wäre der Täter dieser Verpflichtung nicht nachkommen, so hätte man die Hinrichtung unmittelbar angeordnet. Bei unserem heutigen starren Rechtssystem sind derartige Urteile undenkbar und die Opfer sind schnell vergessen und werden mit allen Problemen sich selbst überlassen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann in Deutschland die Diskussion über eine Abschaffung der Todesstrafe, doch zunächst wurden in den beiden Besatzungszonen weiterhin Todesurteile ausgesprochen und auch vollstreckt. Die meisten davon wurden im Rahmen der Nürnberger Prozesse in der westalliierten Besatzungszone, sowie der sowjetischen Militärtribunale in der sowjetischen Besatzungszone in Kriegsverbrecherprozessen ausgesprochen und vollstreckt.
Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Verabschiedung des Grundgesetzes wurde die Todesstrafe bundesweit aufgehoben. In der DDR war dem nicht so, erst 1987 wurde dort die Todesstrafe abgeschafft. Für Westberlin blieb die Todesstrafe jedoch bis 1989 bestehen, da das Besatzungsstatut der Alliierten sie weiterhin als Höchststrafe vorsah.
Seit der Wiedervereinigung ist nun die Todesstrafe als Höchststrafe in der gesamten Bundesrepublik abgeschafft. Nur im Bundesland Hessen steht sie noch heute in der Landesverfassung, was jedoch als unerheblich angesehen wird, da Bundesrecht vor Landesrecht geht. Die Diskussionen um die Todesstrafe sind allerdings nie verstummt, auch wenn die Politik sie fast nie aufnimmt. Einige Verfassungsrechtler bestreiten dennoch die allgemeine Unvereinbarkeit der Todesstrafe mit der Menschenwürde. Nach der heute herrschenden Rechtsmeinung verletzt eine Todesstrafe jedoch in jedem Fall die unantastbare Menschenwürde und verstößt damit gegen Art. 1 Abs. 1 GG, der durch die Ewigkeitsklausel gegen Änderungen geschützt ist. In diesem Sinne lautet auch ein BGH-Urteil vom 16.11.1995 – 5 StR 747/94. Verhandelt wurde die Rechtsbeugung eines Richters der DDR durch Mitwirkung an Todesurteilen. Entsprechend heißt es im Urteil des Bundesgerichtshofes: „Aus humanitären Gründen kann keinem Staat das Recht zustehen, durch diese Sanktion über das Leben seiner Bürger zu verfügen. Vielmehr erfordert es der Primat des absoluten Lebensschutzes, dass eine Rechtsgemeinschaft gerade durch den Verzicht auf die Todesstrafe die Unverletzlichkeit menschlichen Lebens als obersten Wert bekräftigt. Darüber hinaus erscheint es unbedingt geboten, der Gefahr eines Missbrauchs der Todesstrafe durch Annahme ihrer ausnahmslos gegebenen Unzulässigkeit von vornherein zu wehren. Fehlurteile sind niemals auszuschließen. Die staatliche Organisation einer Vollstreckung der Todesstrafe ist schließlich, gemessen am Ideal der Menschenwürde, ein schlechterdings unzumutbares und unerträgliches Unterfangen.“
Meine in der Folge geschilderten Mordgeschichten decken exemplarisch einen Zeitraum von über eintausend Jahren ab und enden mit der Wiedervereinigung. Das Urteil des BHG stammt aus dem Jahr 1995, ist somit über 20 Jahre alt. Der Urteilsbegründung des BGH „aus humanitären Gründen“ ist grundsätzlich zuzustimmen. Dennoch kann nichts, aber auch gar nichts für die Ewigkeit festgelegt sein. Wir haben es inzwischen mit Tötungsdelikten einer vollkommen neuen Kategorie zu tun, dem islamistischen Terrormord. Wie wollen wir dem begegnen mit unserer liberalen und humanistischen Rechtsauffassung?
Wir müssen neue Wege beschreiten, was Globalisierung, Digitalisierung, Flüchtlingskrise und Integration betrifft. Können wir dann auf unserer alten Rechtsauffassung beharren und damit die Bevölkerung und das Land gefährden?
Besonders bedanken möchte ich mich bei Herrn Werner Hartmann aus Halberstadt, der mir für dieses Buch sein Archiv geöffnet hat.
Bernd Sternal
Gernrode im April 2017
Teil I – das Mittelalter
Der Mord an dreißig Slawen-Fürsten durch Markgraf Gero
Ein Mord führt zur Klostergründung Konradsburg
Wie Bischof Burchard II. von Halberstadt in Goslar ermordet wurde
Die Ermordung des Markgrafen Ekbert II. von Meißen im Selketal
Die Teufelsmauer als Tatort der Ermordung von Siegfried von Ballenstedt
Die Tempelherren-Morde zu Schlanstedt
Der Abt-Mord im Kloster Walkenried
Ein Tyrann mordet
Die Halberstädter Schicht – eine Zeit mit Mord und Totschlag
Teil II – das 16. Jahrhundert
Familienmord, Raub und Landfriedensbruch in Goslar
Getötet und in Stücke gehauen
Mord an der Pulvermühle bei Elbingerode
Doppelmord bei Wegeleben
Drei Mal Mord in Wernigerode
120 Taler als Sühne für einen Mord
Der Tönnigsstein als Buße für einen Mord
Die Sage vom Blankenburger Müller-Mord
Teil III – das 17. Jahrhundert
Eine grausame Prophezeiung erfüllt sich
Der Tausendteufel aus Halberstadt
Wie Jacob Richter in Wernigerode erschlagen wurde
Raub und Mord während des Dreißigjährigen Krieges
Ein Kindermord in Dingelstedt
Ein verzwickter Totschlag in Reinstedt
Teil IV – das 18. Jahrhundert
Ein Nachtwächtermord in Quedlinburg
Ein Amtsgehilfe wird in Rohrsheim erschlagen
Teil V – das 19. Jahrhundert
Ein Förstermord in Langelsheim
Johann Gangloff – „Schrecken des Harzes“ und König der Wilderer
Wilderer Klapproth aus Benneckenstein
Mord im unheimlichen Gasthof
Mord an zwei gräflichen Forstbeamten
Ein Förstermord und fast ein Justizirrtum
Mord an Gastwirt Morgenroth in Gernrode
Der Frauenmörder zu Ditfurt
Der grausame Mord an Forstaufseher Großkopf
Die Ermordung der Frau Brandes und ihrer Kinder
Das Gerichtsprotokoll eines Raubmordes in Quedlinburg
Das Hinrichtungsprotokoll des Ehefrauenmörders Heinrich Heindorf
Der Gelbe Wagner
Ein unaufgeklärter Doppelmord an zwei Grubenbeamten
Totschlag in Kroppenstedt
Ein erschossener Forstlehrling
Der Schädelspalter von Roklum
Der Tod eines Schmugglers in Suderode
Teil VI – von 1900 bis 1945
Ein Eheleutedrama – Mord in Sorge
Ein Raubmord am Schneelochsweg
Mord und Totschlag in der Schlanstedter Herberge
Raubmord am Brocken
Schuldig des vierfachen Mordes
Mord an dem Forsteleven Klie
Ein Polizistenmord
Ein Liebesdrama in Wehrstedt
Bewundert und gefürchtet – Wildererkönig Mückenheim
Ein blutiges Drama auf dem Paulsplan
Den besten Freund erschossen
Zwillingsmord
Der Tod eines Harzburger Nachtwächters
Zwei Brocken-Raubmorde an Touristen
Mord am eigenen Sohn
Mosch der Mädchenmörder
Ein Familiendrama in Harzburg-Bündheim
Die Toten des NS-Regimes
Teil VII – ab 1945 bis 1989
Kriegschaos und Anarchie
Sexualmord im Dorfe Hessen
Rachemorde an Jugendlichen
Mord an 27 italienischen Zwangsarbeitern
Grausamer Doppelmord im Forsthaus Himmelpforte
„Ich, Rudolf Pleil, bin der beste Totmacher aller Zeiten“
Doppelmord an der Zonengrenze
Der Mord an Polizeimeister Stein
Mord für ein Radio
Eine zerstückelte Leiche
Die Spur führte nach Meran
Mord aus dem Hinterhalt
Der Kinomörder
Ein Sexualmord in den Spiegelsbergen
Todesfälle an der innerdeutschen Grenze im LK Wernigerode
Leider sind Mord und Totschlag eine schlimme Begleiterscheinung unserer Zivilisation. Häufig kam nach einem Mord das Prinzip der Blutrache als Sühne zur Anwendung. Diese Methode Mord durch Tötung zu rächen ist bis heute in zahlreichen archaischen Gesellschaftsformen ein Gewohnheitsrecht: Gleiches soll mit Gleichem vergolten werden. Die Blutrache stellt die Ultima Ratio der Konfliktbewältigung innerhalb der Fehde dar und ist in unserem Westlichen Kulturkreis verpönt.
Jedoch gab es bereits in vor- und frühgeschichtlichen Gesellschaften Formen der Rechtsprechung. Im Kulturraum der nordischen Völker waren das Thinge, die später auch Malstätten genannt wurden. Es waren Volks- und Gerichtsveranstaltungen nach altem germanischem Recht, die an feststehenden Terminen abgehalten wurden. Die Thingstätte lag immer unter freiem Himmel an einem besonderen „heiligen Ort“, der oftmals durch einen mächtigen Baum – Gerichtslinde oder alte Eiche – gekennzeichnet war.
Eine Mordtat war jedoch in frühen Gesellschaften, bis über das Mittelalter hinaus, nicht mit unserer heutigen juristischen Definition gleichzusetzen. Früher gab es Menschen unterschiedlichen Standes. Einen Sklaven, Unfreien oder Leibeigenen zu töten, galt nicht als Mord. Es war das verbriefte Recht des Herren und Besitzers. Auch Mordtaten, die im Zusammenhang mit Fehden und Kriegen zu sehen waren, galten nicht als Mordtaten. Nur bei freien Menschen kam die Blutrache zur Anwendung. Auf den Thingen war den Unfreien zudem die Teilnahme versagt. Schwierige Verhältnisse also, die oftmals in Willkür endeten. Adlige wurden in der Regel auch bei Nachweis einer Mordtat nicht mit einer Todesstrafe belegt. Diese Mörder konnten sich zumeist mit Sach- und Geldleistungen ihrer Schuld entledigen.
Da es in der Harzregion vor dem Antritt des Königtums durch die sächsischen Liudolfinger nicht üblich war Schriftgut zu erstellen, sind uns aus der Zeit davor keine Informationen überliefert. Eine der ersten Mordgeschichten, von der wir Kenntnis haben, ist uns als Sage und materiell durch ein Sühnekreuz überliefert: Es war das Gastmahl des Markgrafen Gero in Gernrode.
Die Sage wurde von mir neu aufgeschrieben und lautet wie folgt: Durch den dichten Wald, über die schier undurchdringlichen Harzberge, kamen Reiter auf stolzen Rossen, trutzig wilde Gesellen in seltsamer Tracht. Sie erweckten den Anschein in den Kampf ziehen zu wollen und nicht zum fröhlichen Gastmahl. Gar grimmig schauten sie drein, die Wendenhäuptlinge, die von Markgraf Gero eingeladen worden waren. „Und ich sage euch, traut dem Gero nicht“ sprach der alte Haudegen Tugimar. „König Otto hätte längst in unsere Forderungen eingewilligt, Gero ist es, der uns nicht wohl gesonnen ist. Ich erschlug ihm den Bruder in der Schlacht. Ich mag Geros Brot und Wein nicht. Zum letzten Mal sage ich euch: Lasst uns umkehren!“ Aber alle schimpften auf Tugimar und unterstellten ihm unredliche Absichten. Da wandte dieser sein Ross, bot einen letzten Gruß und ritt wieder der Lauenburg entgegen.
Dennoch wurde weiter gezetert über Tugimar, dessen Bruder auch unter den Häuptlingen war. Dieser wurde zornig und gelobte jedem, der seinen Bruder Übles nachsagte, bittere Feindschaft. Und er sprach: „Was über und unter der Erde ist, darf auch der Wende fürchten, aber einen Feind von Fleisch und Blut? Nimmermehr!“. Und wie sie so stritten, da waren sie auch schon vor Geros Burg.
Die Wenden wurden von Geros Knechten mit heiterem Willkommen empfangen. Burg und Hof leuchteten im festlichen Glanz, Musikanten und Gaukler sorgten für Frohsinn. Den Pferden wurde Wasser und duftendes Heu gereicht und zufrieden betraten die Wendenfürsten den Festsaal. Speisen und Trank waren köstlich und eifrig kreisten die Krüge um die Becher zu füllen. Das Fest wurde immer fröhlicher und ausgelassener. Der eine oder andere sank unter den Tisch, desto lustiger lachten und johlten die anderen, bis einige anfingen, den Aufbruch anzumahnen.
Das holzgemalte Bildnis des Markgrafen Gero in der Stiftskirche in Gernrode - mit dem “Roteo-Adler-Wappen”, eine Nachbildung seines Grabmales aus dem 10. Jhd.
Gero hatte kurz zuvor den Saal verlassen. Plötzlich stürzte er, gefolgt von schwer bewaffneten Knechten, in den Festsaal zurück. Erschrocken starrten die Gäste ihnen entgegen, ein kurzes aber entsetzliches Geheul setzte ein. Das Blut der Wenden spritze an Wand und Decke, im Blute wateten die Füße der Mörder, bis auch der letzte Gast erschlagen war. Die Flüche der sterbenden Wenden hatte Gero nicht verstanden, nur den Namen Tugimar, aber die Sterbeschreie der Wenden begleiteten den Markgrafen auf Schritt und Tritt. Als die Wenden und Slawen von dem schmachvollen Tod ihrer Fürsten erfuhren, zogen sie sich zuerst erschreckt und verbittert zurück. Doch dann verbündeten sie sich mit den Ungarn und überzogen die deutschen Gaue mit Krieg, Zerstörung und Plünderung.
Markgraf Geros Sohn fiel in der ersten dieser Schlachten. Und auch sein zweiter Sohn Siegfried starb an den Wunden, die er sich in diesen Kämpfen zugezogen hatte. Geros Knechte nahmen einige Wenden gefangen, darunter auch einen alten, weißbärtigen Fürsten. Der war stolz und lachte über seine Feinde. Und er rief triumphierend: „Ich schlug Siegfried die Wunde, an der er starb. Dreißig Männer erschlugst du, Gero, und damit, dass ich dir Bruder und Söhne nahm, ist erst ein Zehntel Deiner Schuld getilgt worden. Czernebog (böse Gottheit der Slawen) wird’s Dir lohnen. Czernebog wird Dich greifen und zermalmen!“
Aber nicht Czernebog strafte den Markgrafen, sondern dem lieben Gott hatte Geros dreißigfacher Mord nicht gefallen. Er strafte Gero mit Trauer über die getöteten Söhne und den Bruder, Reue über seine Tat ergriff ihn. Er wollte Sühne leisten und stiftete das Kloster Gernrode. Die Witwe seines Sohnes Sigfried wurde erste Äbtissin des Stifts. Zudem ließ er ein mächtiges Sühnekreuz fertigen, das zum Gedenken an die ermordeten Slawen-Fürsten auf dem Stiftshof aufgestellt wurde. Diese Ereignisse liegen über 1.000 Jahre zurück. Slawen, Wenden, Sachsen, Franken und Thüringer sind verschmolzen, sind Deutsche. Doch bei Vollmond soll noch heute Gero aus seinem Grabe aufstehen und den Ort seiner Schandtat besuchen. Und so wird er es wohl tun, bis zum jüngsten Tag.
Soweit die Sage über Geros Mord an den Slawen. Einige Aussagen in dieser Sage sind historisch belegte Fakten. Gero war ein enger Vertrauter von König Otto I., Geros älterer Bruder war königlicher Legat (militärischer Oberbefehlshaber) und starb vor 937. Gero trat seine Nachfolge an und führte bis zu seinem Tode 965 Krieg gegen die slawischen Stämme zwischen Elbe und Oder. Erfolgreich brachte er diese Gebiete unter die Herrschaft von Otto I. und wurde vom König zum Markgrafen der Ostmark ernannt. Geros zwei Söhne starben in dieser Zeit der Ungarneinfälle und Slawenkriege. Ob jedoch durch slawische Hand, andere Kriegshandlungen oder aber durch Krankheit, ist nicht zu belegen. Die Burg Geronisroth in Gernrode war ebenfalls existent und wurde von Gero ab 959 zum freiweltlichen Frauenstift umgewandelt, Geros Schwiegertochter Hathui war die erste Äbtissin. Das Jahr 959 gilt als Todesjahr von Geros älterem Sohn Sigfrid, der als Koster-Mitbegründer gilt.
Sühnekreuz an der Marktkirche in Gernrode Foto: Bernd Sternal
Ob das Gastmahl des Markgrafen Gero und somit die Ermordung von 30 Slawen-Fürsten Wahrheit oder Legende ist, lässt sich bisher historisch nicht belegen. Hingegen ist die Existenz eines Sühnekreuzes Realität – dieses gibt es heute noch. Jahrhunderte hatte es auf dem Stiftsgelände seinen Platz. Später stand es eine Zeit lang im Bereich der heutigen Goethestraße, um dann seinen endgültigen Standort vor der Gernröder Marktkirche zu bekommen. Inschriften sind auf diesem Sühnekreuz heute nicht mehr zu erkennen und auch sein wahres Alter ist unklar. Dieser erste überlieferte Mordfall in der Harzregion wird wohl nicht mehr aufzuklären sein, wenn es ihn denn überhaupt gab.
Graf Esico von Ballenstedt (*um 990/1000; +1059/1060) gilt als Stammvater der Askanier. Sein Sohn und Nachfolger war Adalbert II. Dieser war 1069 Graf im Nordthüringgau, später in den beiden Gauen Nizizi und Serimunt. Er beteiligte sich am Aufstand der Sachsen 1072 unter Otto von Northeim gegen König Heinrich IV.
Graf Adalbert II. heiratete Adelheid, die Erbtochter des Grafen Otto I. von Weimar-Orlamünde. Dieser Ehe entsprangen zwei Kinder: Otto der Reiche und Siegfried von Ballenstedt – auf beide werde ich in einem späteren Fall zurückkommen.
Die Askanier hatten ihren Besitz im Raum Aschersleben und Ballenstedt. In unmittelbarer Umgebung – bei Ermsleben – residierte das Geschlecht von Konradsburg auf ihrer Feste. Beide Geschlechter kämpften um die Vorherrschaft in diesem Gebiet.
Adalbert wurde um 1080, wohl in einer Fehde, von Egeno II. von Konradsburg erschlagen. Über die Gründe für diese Tat wird bis heute spekuliert. Der Historiker Otto von Heinemann schreibt dazu in seinem Werk „Albrecht der Bär“: „Durch den Klang einer Glocke verrathen fiel er Egeno dem Jüngeren von Konradsburg in die Hände und ward von ihm erschlagen.“
Adalbert war zuvor zwei Jahre in Gefangenschaft, in die er wohl als Königsgegner vom Heinrich IV. geraten war. Vermutet wird, dass sich in diesem Zeitraum Egeno Eigentum der Askanier angeeignet hatte und die beiden Adligen deshalb in Streit gerieten – jedoch sind das nur Vermutungen. Einer Legende nach erinnert das Steinkreuz Westdorf an diese heimtückische Tat. Die Fehde zwischen den beiden Geschlechtern hat sich über vier Jahrzehnte hingezogen. Erst unter Otto dem Reichen und seinem Sohn Albrecht dem Bären leisteten die Konradsburger nach 1120 Sühne für diese Mordtat. Sie errichteten sich über dem Selketal die Burg Falkenstein und gründeten aus ihrer Konradsburg ein Benediktinerkloster. Ob sie diese Buße freiwillig leisteten oder auf Druck der askanischen Fürsten, oder sogar des Königs, ist nicht überliefert.
Burchard, der um 1028 geboren wurde, stammt aus dem Adelsgeschlecht von Veltheim und war ein Neffe der Erzbischöfe Anno II. von Köln und Werner von Magdeburg. Nachdem er 1057 bereits im Goslarer Stift St. Simon und Juda Propst geworden war, konnte er zwei Jahre später die Nachfolge von Burchard I. als Halberstädter Bischof antreten. Buko, wie er liebevoll von den Halberstädtern genannt wurde, gilt auch als Gründer des Klosters Huysburg sowie des Kanonikerstifts St. Paul in Halberstadt. Auch den Halberstädter Dom, der 1060 durch einen Brand stark zerstört wurde, ließ er wiederaufbauen und weihen. Buko soll der Sage nach sehr kindelieb gewesen sein. Dazu hat sich auch ein altes Kinderlied erhalten:
Buko von Halberstadt, bring unserm Kindken wat! Wat soll ich ihm denn bringen?
Rote Schuh mit Ringen, Zucker, Rosinen und Mandelkern, dat eßt unser Kindken gern.
Eia popeia!
Dieses „Wiegenlied“ war in verschiedenen Mundarten im Nordharzer und Ostharzer Gebiet stark verbreitet.
Bischof Burchard war zunächst ein Verbündeter von König Heinrich IV. Nach Beginn des Sachsenkrieges durch Heinrich IV. wechselte er jedoch die Partei und wurde neben Otto von Northeim einer der ärgsten Gegner des Königs. Dieser gab jedoch sein Vorhaben nicht auf, wieder die Vorherrschaft in Sachsen und verlorenes Königsgut zurück zu gewinnen. Es kam am 13. Juni 1075 zur Schlacht bei Homburg an der Unstrut, in welcher der Bischof in die Gefangenschaft der königlichen Truppen geriet. 1076 folgte die Verbannung des Bischofs nach Ungarn, unterwegs konnte er jedoch fliehen und kehrte nach Halberstadt zurück. Der Konflikt mit dem König verschärfte sich weiter und Burchard stand offen zu den Gegenkönigen Rudolf von Schwaben und Hermann von Salm. Nachdem Rudolf von Schwaben 1080 in der Schlacht von Hohenmölsen ums Leben gekommen war, trat Bischof Burchard als Hauptkraft für die Wahl von Hermann von Salm als neuer Gegenkönig auf.
Dieses Betreiben für von Salm war wohl nicht ganz uneigennützig, denn als Dank dafür erhielt Burchard mehrere Güter vom neuen Gegenkönig geschenkt: in Hathisleben (?), Klein-Oschersleben und Pesekendorf.
Nun aber zum eigentlichen Geschehen: Ab März 1088 war Buko in einen Konflikt mit dem Markgrafen Ekbert von Meißen verwickelt, der das Halberstädter Gebiet verwüstete. Der Bischof suchte Unterstützung bei anderen sächsischen Fürsten, darunter Erzbischof Hartwig und Graf Kuno von Beichlingen und lud diese im April 1088 nach Goslar zu einer Beratung ein. Es heißt, dass die anderen Fürsten Bischof Burchard zum Friedenschluss mit Heinrich IV. drängen wollten. Doch dieser soll geäußert haben, lieber in die Verbannung zu gehen, als den Kaiser um Frieden zu bitten. Zudem soll auch sein Gefolge diese Gesinnung in Goslar verbreitet haben, was die Goslarer Bürger erboste – diese wollten endlich Frieden. Es soll zu einem Handgemenge zwischen Burchards Gefolge und Goslarer Bürgern gekommen sein, das schnell größeren Umfang annahm. Als der Bischof aus dem Fenster schaute, um den Streit beizulegen und mit dem Bann drohte, reizte er das Volk noch mehr.
Der Streit eskalierte und man schoss auf Burchard. Ein Pfeil soll seinen Hals getroffen haben. „Dann stürmte die Menge das Haus, in dem sich der Bischof befand, durchbrach die Decke des festen Gemaches, in dem sich Burchard befand, und einer durchstieß ihm mit einem langen Spieß in die Brust, so dass das Eisen darin stecken blieb. Unterdessen hatten seine Diener, um ihren Herrn zu retten, Feuer in der Stadt gelegt. Als nun der Schreckensruf in den Straßen erschallte, ließen die Angreifer von ihrem Opfer ab und es gelang, den Schwerverwundeten aus der aufgeregten Stadt herauszubringen und bis ins Kloster Ilsenburg zu tragen. Dort ist er am 7. April 1088 unter vielen Schmerzen gestorben und auf seinen Wunsch im Chor der Klosterkirche begraben worden“. So beschreibt es eine Halberstädter Chronik. Ob der Mörder gefasst und verurteilt wurde, darüber gibt es keine Informationen.
Auch Ekbert II. von Meißen war ein äußerst streitbarer Zeitgenosse, wie ich in der vorigen Geschichte bereits anklingen ließ. Ekbert, der um 1049/51 geboren wurde, lag jedoch nicht nur mit Bischof Burchard von Halberstadt im Streit, sondern auch mit König Heinrich IV.
Ekbert, der ein Spross des sächsischen Adelsgeschlechtes der Brunonen war, hatte von seinem Vater Ekbert I. das Erbe des brunonischen Besitzes um Braunschweig, die friesischen Grafschaften und die Markgrafschaft Meißen übernommen. Er war von Beginn an Beteiligter der Fürstenopposition gegen König Heinrich IV. Als Reaktion nahm der König ihm die Mark Meißen und gab sie an Vratislav von Böhmen, was Ekbert zusätzlich erzürnte. Da er Ambitionen auf die Krone anmeldete, erklärte ihn Kaiser Heinrich IV. 1088 in die Reichsacht. Das hielt den Markgrafen jedoch nicht davon ab, den Kaiser weiter zu bekämpfen – im Gegenteil, er verstärkte seine Bemühungen ihn zu schwächen.