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Auch im zweiten Teil geht es bei Muddi wieder hoch her. Manchmal könnte man meinen, wir hätten das Schicksal auf eine der Kurzwahltasten. Die zwei Jahre, um die es in diesem Buch geht, waren voller Aufregung, Liebe, Weinen, Lachen, Verzweiflung, Glück und Hoffnung. Der Satz Zusammen schaffen wir alles wurde zum (Über-) Lebensmotto, der Anker zu unserem wichtigsten und gleichzeitig traurigsten Symbol. Laßt Euch mitreißen, lacht, weint, fühlt mit, was ich gefühlt habe, als mir das Schlimmste passiert ist, was einer Mutter passieren kann... Es ist der zweite Teil einer Geschichte über fünf Menschen, die immer zusammen gehalten haben.
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Über die Autorin:
Corinna Weber wurde 1976 in Darmstadt geboren. Sie lebt mit ihrer Familie in dem beschaulichen Örtchen Wald-Michelbach im Odenwald. Mit einer 20jährigen und einer 7jährigen Tochter an der Hand, ihrer kleinen Krawalli fest im Herzen und seit 23 Jahren einem Mann an ihrer Seite, der fest zu ihr steht, hat sie bis jetzt alle Stürme des Lebens (fast) erfolgreich gemeistert. Ihr erstes Buch erzählt von diesen Stürmen, den leichten Winden, aber auch der strahlenden Sonne. Von fünf Menschen, die das Leben und das Schicksal fest miteinander „verankert“. Und es gibt immer wieder genügend Stoff für Fortsetzungen…..
FÜR UNSERE KRAWALLI
Vorwort März 2020
Ich sollte es einfach abhaken
Svenja und der neue Hüftschwung
Mir qualmt der Kopf
Hip Hip Hurra
Ich würde gerne sagen, es juckt mich NICHT
Grau, grau, grau sind alle unsere Wände
Der Fahrstuhl des Grauens und kleine Menschen ohne Hirn
Ein Löwenbaby wird zum Löwenschulkind
Viva Las Vegas
Ein Sturz mit Folgen
Wald-Michelbachs kleinster Weihnachtsmarkt oder auch Der Engel vom Hohenstein fliegt
So viel Glück und so viel Leid
ein Löwenbaby auf YouTube
Die Weichen sind gestellt
Muddi wird zur Trägerin des Familienankers
Die Fischerin vom Bodensee…ist mittlerweile wohl in Rente
Kamera läuft…die Muddi wird zum Filmstar
was soll das denn jetzt??
Wir starten einen Probelauf
Die Reifeprüfung
Fünf Webers auf großer Fahrt
Ela und der böse Virus
Von einem Arzt zum anderen…viel schlauer bin ich nicht
Ich weiß nicht mehr weiter…
…Krawalli
Nana
Das ist UNSER Schatzkistenplatz
Eine fast sinnlose Flucht
Eine Entscheidung fürs Leben, genau genommen leider nicht
Ein Zimmer für zwei, eigentlich drei, hoffentlich vier
Twinkle, twinkle little Star
Ihr werdet gleich in den (vorläufig) letzten Teil unserer Geschichte eintauchen. Das, was Ihr jetzt vor Augen und in den Händen habt, erzählt von einem Schicksal, welches unsere ganze Familie, unseren Glauben und unseren (Über-) Lebenswillen auf eine harte Probe gestellt hat. Wir mussten lernen, dass wir ganz vieles im Leben einfach nicht mehr ändern können.
Auch wenn wir uns nichts mehr als DAS wünschen würden.
Wir mussten auch lernen, stark zu sein, ohne es zu wollen. Und dass es, trotz allem, immer wieder weitergeht. Nach jeder dunklen Nacht geht irgendwann auch wieder die Sonne auf, auch, wenn sie dann vielleicht nicht mehr ganz so hell scheint, wie noch ein paar Tage zuvor.
Wir stellten fest, dass wir unglaublich tolle Menschen in unserem Umfeld haben, die immer für uns da sind.
Oftmals suchen sich Emotionen und Handlungen ihr eigenes Ventil, auch wenn man vieles auf den ersten Blick nicht versteht. Dann lohnt sich ein zweiter, oft auch dritter Blick allemal.
Auch im zweiten Teil meiner, bzw. unserer Geschichte, werdet ihr wieder einige Taschentücher brauchen, es könnte passieren, dass hier die Traurigkeit etwas mehr Platz einnimmt und überwiegt.
Aber es sei Euch versichert, dass das Lachen definitiv NICHT zu kurz kommen wird, im Gegenteil.
Auf geht’s zu Teil zwei einer fast unglaublichen Geschichte.
Wir beginnen im Jahr 2018……
Von Oktober 2017 bis Januar 2018 lief alles wunderbar. Ronja war das, was wir uns schon immer gewünscht hatten, und unser Leben fühlte sich gerade ziemlich gut an. Ich fühlte mich wieder jung, auf eine herzerfüllende Art gebraucht und war ganz die Mama, die ich schon immer sein wollte. Ich stillte Ronja, so oft sie wollte und brauchte (ja, auch wenn ich darüber so manche Grundsatzdiskussionen mit meinem Mann führte.) Sein Problem war, dass er sich ziemliche Sorgen um mich machte. Ganz zu Beginn unserer Baby Planung hieß es, seitens der Neurologie, ich dürfte auf jeden Fall drei Monate stillen.
Das würde man auch voll unterstützen. Danach sollte ich, nach Möglichkeit, wieder mit meinen MS Medikamenten beginnen. Das hieße also eigentlich, Ende Januar, Anfang Februar wäre Schluss mit der Stillerei. Das war nun aber für mich überhaupt keine Option. Ich hatte ziemlich viel Milch, und ich liebte diese Nähe, die ich beim Stillen mit Ronja hatte. Das war etwas, dass nur ICH ihr geben konnte. Und sie schien es genauso zu lieben, es war an manchen Tagen das Einzige, womit man sie beruhigen konnte. Wir hatten dadurch eine sehr enge, innige Bindung. 17 Jahre musste ich darauf warten, auf etwas, was für andere Mütter einfach selbstverständlich war. Und das wollte und konnte ich mir zu dem Zeitpunkt noch nicht nehmen lassen. Thorsten aber machte sich ziemlich Gedanken. „Muddi, was ist, wenn Du einen Schub bekommst und dich dann nicht mehr um die Kinder kümmern kannst? Oder wenn du sogar zum Pflegefall wirst? Warum forderst du das heraus?“
Natürlich verstand ich ihn. Aber ich wollte dieses Gefühl noch nicht schon wieder aufgeben müssen. Ich wusste, wenn ich sie jetzt abstillen müsste wäre das für mich und für sie ein echtes Problem. Für mich, weil ich mit dem Gedanken überhaupt noch nicht zurechtkam, und für sie, weil ich ihr damit etwas wegnahm, was sie so sehr liebte und brauchte. Und so sträubte ich mich vehement, oftmals hatten mein Mann und ich uns deswegen ziemlich in der Wolle.
Wir vereinbarten also nochmal einen Termin in der Kopfklinik. Thorsten wollte hören, dass er recht hatte, und dass ich am besten sofort mit dem Stillen aufhören müsste. Ja, er wusste, wieviel es mir bedeutete, aber seine Angst war umso größer. Und ich wollte hören, dass ich ohne Probleme noch ein bisschen weiter stillen konnte. Ende Januar bekamen wir einen Termin.
Anfang Januar kam mir dann etwas ziemlich Bescheuertes dazwischen.
Vorab: ich habe schon über viele Jahre hinweg Probleme mit dem Rücken, er war und ist meine größte Baustelle.
Zu dem angebrochenen Lendenwirbel (als ich mein Auto mit 18 Jahren aufs Dach legte, ihr erinnert euch vielleicht) gesellten sich über die Jahre hinweg immer mehr Bandscheibenvorfälle. Zu dem Zeitpunkt waren es vier Stück, drei in der Lendenwirbelsäule und einer in der Brustwirbelsäule.
Anfang Januar wachte ich mitten in der Nacht mit höllischen Schmerzen auf.
Ich konnte mich kaum noch bewegen. Rund um das Genick und den ganzen rechten Arm runter hatte ich solche Schmerzen, dass ich Thorsten durch meinen Schrei aufweckte. Svenja und Ronja Gott sei Dank nicht, die schliefen unbekümmert weiter. Ich kam nicht mal aus dem Bett hoch, Thorsten musste mich hochziehen. Mir kamen die Tränen, es war kaum auszuhalten. Klar, Schmerzen kenne ich, sie sind ein großer Bestandteil meines Lebens. Ich arrangiere mich mit ihnen, so wie ich mich mit meinen Krankheiten arrangiert habe. Mal sind sie mehr, mal weniger auszuhalten. Aber meistens habe ich sie ganz gut im Griff. DAS war aber grad was ganz anderes. Diese Schmerzen waren vergleichbar mit dem Plazentaabriss bei Svenja, nur eben in der Schulter und im Arm (Ich weiß, das klingt jetzt völlig abstrus und bescheuert, aber besser kann ich es echt nicht beschreiben). Ich bat Thorsten „lass uns bitte ins Krankenhaus fahren. Ich halte das kaum noch aus.“ Wir weckten Ela, sie solle sich runter in unser Schlafzimmer zu den Kindern legen. Dann fuhren wir nach Weinheim. Ich wusste im Auto nicht, wohin mit meinem Arm, hätte ihn am liebsten abgeschraubt. Im Krankenhaus mussten wir eine ganze Weile warten dann hieß es „Ihr ganzer rechter Schulter-Nacken Bereich ist übel verspannt. Wir können da leider nicht viel tun. Sie nehmen jetzt am besten eine Ibuprofen 600mg, das geht auch mal beim Stillen, und schonen den Arm.
Gehen sie aber damit sobald wie möglich zum Orthopäden.“
So richtig geholfen war mir jetzt also erstmal nicht. Die Schmerzen im Arm waren weiterhin unerträglich, und da ich Ronja auf keinen Fall mehr zumuten wollte wie nötig, nahm ich nur eine 400mg Ibuprofen. Das brachte genau eine halbe Stunde lang ein klein bisschen Besserung, dann nahm der Schmerz wieder gewaltig Fahrt auf. Ich tigerte also gleich am darauffolgenden Morgen zu unserem ortsansässigen Orthopäden und schilderte mein Problem.
Mittlerweile wäre ich bedingungslos bereit gewesen, den Arm amputieren zu lassen, so dermaßen unerträglich waren die Schmerzen. Der Orthopäde untersuchte, drückte da, bewegte dort und kam zu dem Ergebnis, dass ich schnellstens ins MRT müsste.
Er spritzte mir noch Kortison (stillverträglich) und schrieb mir Tilidin Tropfen gegen die Schmerzen auf (absolut stillUNverträglich). Also was tat ich?
Ich nahm die Tropfen NICHT und hielt die Schmerzen aus, für Ronja. Um sie weiter stillen zu können.
Das Kortison brachte, wie von ihm vorausgesagt, eine ziemliche Verschlimmerung (eigentlich sagte er „bei dem einen hilft es, beim anderen nicht. Wenn’s nicht hilft wird’s wahrscheinlich schlimmer.“) Ich biss mich durch, schließlich hatte ich ja zwei Kinder zu versorgen. Der Rest meiner Familie musste den Tag überarbeiten oder hatte Schule, fiel also somit aus.
Ein paar Tage später hatte ich einen MRT Termin in Weinheim bekommen.
Ende vom Lied: zwei schwere Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule.
Daher dann natürlich auch die fiesen Schmerzen im Arm und der, mittlerweile, taub gewordenen Daumen. Leicht sarkastisch fragte ich den Arzt, der mir den Befund mitteilte „das wären dann meine sechsten Vorfälle.
Gibt es ab dem siebten von der Krankenkasse einen Bonus? So was wie ein Fahrrad, ne Haushaltshilfe oder eine OP gratis oder so?“ Ich war leicht gereizt, die Schmerzen machten mich unleidlich, ich gebe es zu. Er sah mich kurz an und schien zu überlegen, ob er die Security holen sollte oder ob ich vielleicht doch nur ne harmlose Irre war. „Nehmen Sie bitte ausreichend Schmerzmittel und vereinbaren Sie einen Termin beim Neurochirurgen. Dann wird man weitersehen.“ Mit diesen Worten war ich mehr oder weniger entlassen und ging meiner Wege. Wohlwissend, dass ich mitnichten irgendwelche Schmerztabletten nehmen würde, mit dem Termin sah es schon anders aus. Den machte ich mir, Mitte Januar durfte ich dort antanzen.
Der Neurochirurg betrachtete sich die Bilder, untersuchte mich und meinte dann „Die Vorfälle sind zurzeit so nicht operabel, da möchte ich kein Risiko eingehen. Sollten Sie aber nochmal akut solche ausgeprägten Beschwerden haben müssen wir ziemlich schnell operieren. Vorerst schreibe ich Ihnen mal Krankengymnastik auf, vielleicht bekommt man es damit in den Griff.
Tatsächlich waren die Beschwerden leicht rückläufig, was nicht hieß, dass ich nicht immer noch tierische Schmerzen hatte. Aber ich konnte wenigstens ab und zu wieder den Arm einigermaßen bewegen.
Und so lernte ich einen weiteren, wirklich tollen Menschen kennen. Meine Masseuse Liane. Sie half mir die erste Zeit die Schmerzen deutlich zu lindern, schon bald hatte ich sogar wieder Gefühl im Daumen. Und ich stillte immer noch!
Dann hatten wir den Termin in der Kopfklinik.
Dieses Mal hatte ich, aufgrund der Elternzeit von meiner Neurologin Fr. Dr. Korporal Kuhnke, die Oberärztin der neurologischen Ambulanz als Ansprechpartnerin.
Eigentlich gar nicht schlecht.
Die sagte dann nämlich „nach neuesten Erkenntnissen ist es sogar von Vorteil, wenn MS Patientinnen ungefähr ein halbes Jahr voll stillen. Also ohne zu zufüttern. So haben Sie, solange das Immunsystem noch runtergefahren ist, einen ausreichenden Schutz. Ungefähr ein halbes Jahr nach dem Kaiserschnitt beginnt das Immunsystem, seine Arbeit wieder aufzunehmen.
Ab dann sollten wir, gerade in Ihrem Fall, wieder über eine Medikamenten Neueinstellung nachdenken. Je nachdem, wie es Ihnen geht.“
Die Frau war mir mehr als sympathisch. So hatte ich noch ein wenig „Schonfrist“, musste weder Ronja noch mir etwas wegnehmen. Ich war wirklich glücklich. Thorsten eher weniger, seine Sorgen blieben damit trotzdem weiter bestehen. Aber da war ich, man könnte sagen zum ersten Mal, wirklich sehr egoistisch und ließ nicht weiter mit mir diskutieren.
Außerdem hatte ich als nächstes eine Taufe zu organisieren. Und wie immer hatte ich den großen Ehrgeiz wirklich ALLES alleine zu machen. Ich hatte schon alles für die Taufkerze beisammen, und ich hatte mir überlegt, was ich für Kuchen backen wollte. Außerdem musste ein Lokal her in dem wir Mittagessen konnten. Im Gegensatz zu Svenjas Taufe noch vor sechs Jahren, die wir nur im engsten damaligen Familienkreis feierten, hatten wir dieses Mal, zu Ronjas Taufe, alle unsere Freunde eingeladen. Und natürlich auch Thorstens Bruder mit Familie, die dann an dem Tag in Urlaub waren.
Und dieses Mal wollte ich Thorstens Wunsch nachkommen und auf der Taufe singen.
Zwei Wochen vor der Taufe hatten wir ein Restaurant in Wahlen in der engeren Auswahl. Der Ort liegt gleich hinter Affolterbach, also wäre es kein großer Aufwand, nach der Taufe dorthin zu fahren. Und unsere Gäste kamen sowieso alle aus der Umgebung. Gut, bis auf Valentins Eltern, die hatten von Schriesheim die weiteste Anfahrt.
Thorsten und ich gingen also an einem Abend zum „Testessen“. Außerdem mussten wir ja abklären, ob die Lokalität an dem Tag Platz für uns hätte.
„Reimanns Restaurant“ kannten wir schon länger, wir hatten dort auch damals den 90. Geburtstag meiner Oma gefeiert. Das Essen war prima und man konnte schön gemütlich sitzen. Nachdem wir also zu Ende gegessen hatten baten wir um ein Gespräch mit dem Chef.
Und eine halbe Stunde später waren wir uns einig.
Unsere Gäste konnten zwischen drei verschiedenen Gerichten wählen, außerdem sollte es drei verschiedene Nachspeisen, Salat und Gemüse geben.
Nachmittags wollte er uns dann den Kaffee zur Verfügung stellen, für die Kuchen würde ich sorgen. Die Taufkerze hatte ich eine Woche vor der Taufe fertig, und Ronjas Taufkleid wartete im Schrank auf seinen Einsatz. Die Taufe konnte somit kommen, alles war fertig geplant und organisiert.
Der Taufsonntag, und damit auch unser Hochzeitstag, war bitterkalt. Ich wollte eigentlich erst ein Kleid anziehen, hatte mich aber dann, aufgrund der eisigen Temperaturen, für eine lange schwarze Hose und ein rot gemustertes Oberteil entschieden. Svenja hatte ein wunderschönes, cremefarbenes Kleid zur Feier des Tages an. Das mussten wir dann aber erstmal mit einer ziemlich dicken Jacke verhüllen. Und auch Ronja wurde warm eingewickelt, Taufkleid hin oder her. Ela hatte auch beschlossen zu singen, gemeinsam hatten wir für sie ein Lied ausgesucht und sie war nun mächtig aufgeregt als es Richtung Gottesdienst ging. Und auch Silke und Klaus-Peter, ihrem Mann, sah man die Aufregung vor dem „Paten werden“ ziemlich an. Tabea, unsere Pfarrerin, hatte wie immer die richtigen Worte für ihre Predigt gewählt. Ich sang für meine kleine Räubertochter „Ein schöner Tag“ (also den deutschen Text MEINES „Amazing Grace“), und „Halleluja“. Ela hatte sich das wunderschöne Lied „Gott segne dich“ ausgesucht. Und als sie anfing zu singen konnte man in der Kirche eine Stecknadel fallen hören. Ich drückte Ronja an mich, meine Liebe zu diesem kleinen Mädchen, MEINEM kleinen Mädchen war so übermächtig, dass mir das Herz, und damit auch natürlich zwangsläufig die Augen, überquollen. Sie wiederum war hellwach, guckte munter durch die Gegend und „kommentierte“ zwischendurch das Ganze. Ich hatte vorsorglich Milch abgepumpt und in einer Flasche dabei. Zwar stillte ich mittlerweile wirklich überall, aber immer diskret und abgedeckt. Hier in der Kirche wollte ich aber keinesfalls meine „Milchbar“ der Öffentlichkeit präsentieren. Soviel Anstand hatte ich noch. Ich erinnerte mich daran, dass vor Jahrzehnten die Ehefrau des damaligen Pfarrers vorne in der ersten Kirchenbank saß und in aller Seelenruhe ihren kleinen Sohn stillte. Während der Predigt ihres Mannes. Man könnte sagen, damals ritten fast schon die apokalyptischen Reiter durch die Kirche. Das sie im Nachhinein nicht von den „alten“ Affolterbachern gesteinigt wurde, und mit Schimpf und Schande aus der Kirche gejagt wurde, hatte mich eigentlich ziemlich verwundert.
Kurz vor der eigentlichen Taufe verlangte Ronja dann auch nach einem ordentlichen Schluck aus der Pulle. Gesättigt und bester Laune schritten wir zu sechst ans Taufbecken und ein paar Minuten später war Ronja in Gottes Gemeinschaft aufgenommen.
Alle unsere Freunde waren anwesend, der Gottesdienst und die gesamte Kirche waren von einer spürbaren Liebe erfüllt.
Danach fuhren wir nach Wahlen. Thorsten und ich hatten morgens schon die fünf Kuchen, die ich gebacken hatte, hingefahren zum Kühlen. Im Restaurant angekommen verteilten wir uns zwanglos im liebevoll geschmückten Gastraum. Ich zog Ronja um, sie sollte es bequem und gemütlich haben. Ich hatte mir vorsorglich schwarze Ballerina mitgenommen. Innerlich aufatmend entledigte ich mich meiner hohen Pumps und schlüpfte in die bequemen Treter. Ronja wurde mehr oder weniger reihum gereicht. Das ließ sie sich auch so lange einigermaßen gefallen, bis der Hunger an ihr nagte und die Muddi sich ein ruhiges Eckchen mit ihr suchte. Das Essen wurde aufgetragen und war fantastisch. Als der Nachtisch abgeräumt war waren alle satt und zufrieden. Sogar mein Nesthaken, die schlief zwischendurch eine Runde im Maxi Cosi. Ich unterhielt mich querbeet, sogar meine „Frühchen“ Freundin Mel war mit ihrer kleinen Tochter da. Zwischen dem Mittagessen und dem Kaffee gingen manche spazieren, mich zog es nicht unbedingt raus ins Kalte.
Gegen drei Uhr nachmittags bekamen wir den Kaffee und meine Kuchen gebracht. Es passte alles perfekt, ich war mehr als zufrieden mit mir. Am späten Nachmittag verabschiedeten sich die ersten Gäste, wir richteten kleine Pappteller mit dem restlichen Kuchen und gaben sie unseren Freunden mit nach Hause. Als wir am Abend wieder zuhause waren hatten wir das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Ronja war eine unserer besten Entscheidungen.
Aber, wie so oft in unserer bisherigen Laufbahn, sollte es natürlich nicht so harmlos und vor allem nicht so, verhältnismäßig, ruhig bleiben.
Schon im November vergangenen Jahres hatten wir mit Svenja einen Termin in Schlierbach. Und wie schon erwartet, waren ihre Hüften mittlerweile eine wahre Katastrophe. Und wir kamen um eine knöcherne Hüft-OP nicht mehr herum. Der Termin wurde für den 26.03.2019 festgelegt, am 25.03 hatten wir zu erscheinen. Und da ich ja noch stillte wahr klar: Ronja musste mit. Ich hatte also einiges an Telefonaten zu erledigen und zu klären, wie wir das am besten stemmen konnten.
Am Ende war alles perfekt organisiert. Ronja sollte in der Nacht vom 25. auf den 26. noch zuhause bei Ela bleiben. Die hatte, Gott sei Dank, da noch Ferien. Ich musste am OP Tag morgens völlig für Svenja da sein können.
Das war mit Ronja nicht möglich. Die war zu dem Zeitpunkt fünf Monate alt, ein quietschvergnügtes, zuckersüßes kleines Mäuschen.
Eine wahrhaftige Räubertochter, mit dem puren Schalk mit Nacken. Sie hatte mittlerweile alle Herzen im Sturm erobert, besonders Svenjas. Die vermisste ihre Ronja dementsprechend in der ersten Nacht. Immerhin schliefen wir, seit wir damals nach Ronjas Geburt aus dem Krankenhaus entlassen wurden, zu viert in einem Schlafzimmer. Und morgens durften die beiden immer noch eine Weile miteinander kuscheln. Jetzt mussten wir also eine Nacht ohne unseren kleinen Mitschläfer verbringen, für Svenja war das irgendwie doof.
Aber am nächsten Morgen sollte es früh losgehen, Svenja war als Erste dran.
Sie war bester Dinge, trotz dass sie seit dem Vorabend Abend nüchtern bleiben musste. Wobei sie gegen fünf Uhr morgens nochmal einen Schluck Wasser bekommen hatte. Ich bestand am Vortag darauf, sie nochmal abhören zu lassen. Svenja hatte ungefähr eine Woche vor dem OP Termin angefangen, zu husten.
Und ich hatte schon die Befürchtung, wir müssten die OP verschieben. Der Arzt, der sie dann aber abends abhörte, gab grünes Licht. Sie wäre wohl noch ein bisschen verschleimt, aber das wäre für morgen jetzt nicht sonderlich relevant. Sehr gut, ich war beruhigt und so konnte es am nächsten Morgen gegen halb acht losgehen. Ich zog Svenja um, sie fand das Flügelhemdchen und die grüne Haube zum Schreien komisch. Dann verabreichte ich ihr den, von einer Schwester gebrachten, Saft zum „ein bisschen wegdösen“. Eine gute Viertelstunde später fuhr ich mein Kind in Begleitung einer Krankenschwester in den OP Bereich.
Dort angekommen mussten wir noch eine ganze Weile warten, ich versuchte, mit Svenja Scherze zu machen um sie abzulenken.
Ich merkte aber von Minute zu Minute mehr, wie sie weg driftete. Nicht, dass sie müde wurde, im Gegenteil. Sie wurde albern, giggelte, kicherte, verdrehte die Augen. Sie sah ein bisschen aus wie ein Meerschweinchen auf Ecstasy. Ich musste grinsen, gleichzeitig wurde es mir aber sehr sehr schwer ums Herz.
Spätestens in drei bis vier Stunden würde sie weit weg sein dem jetzigen Zustand. WIE weit weg davon ahnte ich zu dem Zeitpunkt ja noch nicht. Die OP Schwester kam, und mein Kind winkte und rief sogar noch „Tschüss Mama“. Ich musste mich schwer zusammenreißen und schluckte.
Ich sagte ihr auch noch „Tschüss, bis später“, dann verschwand sie, auf dem Arm der Krankenschwester durch die OP-Tür. Ich ging nach draußen und lief durch das Treppenhaus hoch auf Station. Dort rief ich Thorsten an und berichtete. Er wollte sich mit Ela und Ronja demnächst auf den Weg machen.
Fand ich prima, immerhin hatte ich meine Kleine ganz schön vermisst. Ich hatte eine kleine Handmilchpumpe dabei und pumpte fleißig ab.
Gestern Abend und heute Morgen hatte sie zuhause von Ela eine Flasche mit Milchpulver gefüttert bekommen. Wenn sie jetzt später mit Thorsten kam und dann hier bei mir blieb, wollte ich sie natürlich wieder stillen. Wir wussten zu dem Zeitpunkt noch nicht genau, wie lange die OP wirklich dauern würde. Es hieß, im Normalfall, ungefähr drei Stunden. Konnten zwei Ärzte gleichzeitig jeweils eine Hüfte operieren dann natürlich erheblich kürzer. Aber unser behandelnder Kinderorthopäde konnte das vorher noch nicht genau sagen. Dr. Dreher war ein fantastischer Arzt und ebenso ein toller Mensch. Ihm hatten wir es letztendlich zu verdanken, dass ich Ronja, über die Dauer des stationären Aufenthaltes von Svenja, bei mir haben durfte. Sie zuhause zu lassen wäre für mich allerdings auch nicht in Frage gekommen.
Erstens natürlich wegen dem Stillen, und zweitens wäre meine Sehnsucht nach ihr viel zu groß gewesen.
Thorsten, meine Größte und meine Kleinste kamen gegen elf, da hatte ich noch keinerlei Informationen über Svenjas Zustand. Wir gingen einen Kaffee trinken und warteten auf den Bescheid der Station. Die wollten mir übers Handy Bescheid sagen, wenn Svenja fertig wäre. Aber mein Handy und die Orthopädie Schlierbach sind jetzt nicht unbedingt die dicksten Freunde, und so mussten wir uns dort aufhalten, wo ich auch wirklich Empfang hatte. Wir gingen ein bisschen mit Ronja über das Klinikgelände spazieren als uns eine Schwester unserer Station entgegenkam. Es war ungefähr zwei Uhr mittags.
„Gut, dass ich Sie gefunden habe, wir haben schon ein paarmal versucht, Sie zu erreichen (hatte ich es nicht gesagt?!).
Svenja ist fertig und im Aufwachraum. Wenn Sie wollen können Sie jetzt zu ihr.“ Natürlich wollte ich, Thorsten, Ela und Ronja wollten zurück auf Station und dort auf uns warten.
Ich machte mich also auf in den Aufwachraum, klingelte, und wurde erstmal mit einem grünen Kittel versorgt. Dann führte man mich zu Svenja. Ich muss wohl nicht allzu viel dazu sagen. Ich war den Anblick dieses kleinen, zugeschwollenen Gesichtes mittlerweile so sehr gewohnt, dass ich mich schon gar nicht mehr darüber wunderte (das „Chinesenbaby“ war mittlerweile allerdings zum „Chinesenkind“ mutiert).
Sie atmete ziemlich schwer und rasselnd, mein besorgter Blick fiel auf die Sauerstoffsättigung, die mir, zusammen mit der Herzfrequenz, am Monitor über ihr angezeigt wurde. Die Grenze war schon ziemlich niedrig eingestellt, trotzdem schlug mein Kind immer wieder Alarm.
Außerdem schien sie ziemlich starke Schmerzen zu haben.
Ich hielt ihre Hand, versuchte, sie zu beruhigen, sagte ihr immer wieder, dass ich da sei. Dr. Dreher kam an ihr Bett und redete mit mir. „Die OP ist gut verlaufen, wir konnten simultan operieren. Wir konnten die Hüften gut stabilisieren, es gab keine größeren Komplikationen. Aber wir müssen realistisch bleiben. Es war eine sehr große OP, Svenja wird noch längere Zeit starke Schmerzen haben. Sie bekommt gleich noch etwas Morphium. Jetzt müssen wir erstmal gucken, dass wir die Atmung stabilisieren können. Ich schaue später nochmal nach ihr.“ Ich bedankte mich und wandte mich wieder Svenja zu. Die wurde zwischenzeitlich etwas wacher und das Erste was sie sah, war ich. Ein fataler Fehler, wie wir im Nachhinein feststellten. Sie schrie und weinte vor Schmerz, der Monitor jodelte, weil ihre Sättigung dadurch natürlich wieder rapide abfiel. Die Schwester kam mit einer Spritze ans Bett und verabreichte Svenja über den Zugang in der Hand Morphium.
Und sie durfte einen Mini Schluck Wasser trinken. Zehn Minuten später erbrach sie sich. Wir machten sie ganz vorsichtig ein bisschen sauber und frisch. Durch das Erbrechen sackte die Sättigung wieder ab. Es dauerte gut fünfzehn Minuten bis man merkte, dass das Morphium wirkt. Svenja döste weg, war aber keinesfalls entspannt. Ihr Gesicht war verzerrt und gequält. Ich schrieb mit Ela, fragte sie, ob sie auch mal zu Svenja wollte. Außerdem merkte ich mittlerweile, ziemlich schmerzhaft, dass es an der Zeit war, Ronja zu stillen. Ela freute sich, sie wollte gerne zu Svenja.
Also tauschten wir die Plätze und ich konnte mich ein bisschen mit Ronja beschäftigen.
Ich stillte und wickelte sie und kuschelte ein bisschen mit ihr. Sie merkte zwischenzeitlich wohl, dass irgendwas mit diesem Tag nicht stimmte.
Dementsprechend unleidlich wurde sie des Öfteren. Und ließ sich dann auch nur von mir wirklich beruhigen. Ich wollte aber auch wieder zu Svenja, ich hatte das Gefühl, sie brauchte meine Anwesenheit. Also schrieb ich Ela an und fragte, ob wir so in einer halben Stunde wieder tauschen wollten. Ich ging noch mit Thorsten einen Kaffee trinken und machte mich dann wieder auf den Weg in den Aufwachraum.
Svenjas Atmung war immer noch nicht besser, sie hatte zwischendrin regelrechte Aussetzer. Ich vermutete mal, durch die Intubation hatten sich die Infekt-Symptome verschlimmert. Mittlerweile war es fast schon fünf Uhr nachmittags. Dr. Dreher war nochmal kurz da und meinte „sollte sich Svenjas Zustand in den nächsten zwei Stunden nicht erheblich bessern, muss sie eine Nacht auf Intensivstation. Dort kann man sie überwachen und morgen können wir sie dann auf Normalstation verlegen.“
Ich war einverstanden, dann waren wir auf der sicheren Seite, falls doch noch was wäre. Bis Dr. Dreher sagte „Sie dürften da leider nicht über Nacht bleiben. Auf der Intensivstation ist das den Angehörigen leider nicht gestattet.“ Ok, jetzt sah die Sache schon wieder ganz anders aus. Mein frisch operiertes Kind in der ersten Nacht, mit höllischen Schmerzen, alleine zu lassen, in einer für sie furchteinflößenden Situation, stand für mich nicht zur Debatte. Ich sagte ihm „sollte Svenja tatsächlich auf die Intensivstation müssen werde ich mich die ganze Nacht mit einem Stuhl an ihr Bett setzen.
Und zur Not schlafe ich irgendwo auf dem Flur. Sie können nicht von mir verlangen, dass ich meine Tochter auch nur eine Sekunde alleine lasse.
Gerade jetzt nicht!“ Löwenbaby-Löwenmama!
„Wir warten jetzt erstmal ab, vielleicht stabilisiert sie sich ja noch.“ Dr.
Dreher strich mir beruhigend und mitfühlend über den Rücken. Er kannte mich und Svenja schon etwas länger und wusste, ich würde nicht klein beigeben. Ich mach’s kurz. Wir waren um halb neun abends auf der normalen Station, in unserem Zimmer, dass wir zu dritt die nächsten zwei Wochen bewohnen sollten.
Und nein, Svenja hatte sich NICHT stabilisiert bis dahin. Dafür hatte ich aber meinen Kopf durchgesetzt und hingehalten. Gegen sieben hieß es nämlich erst „Intensivstation“.
Auf meine Nachfrage hin, ob es nicht möglich sei, Svenja über Monitor auf der Station zu überwachen hieß es „dafür ist das Personal dort nicht ausgebildet, das sind Fachkrankenschwestern der Orthopädie. Mit Monitorüberwachung kennen die sich nicht richtig aus.“
Na gut, aber ich. Also sagte ich „dann werde ich Svenja die Nacht über anhand des Monitors überwachen. Und so wie es auch nur einmal zu einem besorgniserregenden Abfall kommt bin ich mit einer Verlegung auf die Intensiv einverstanden. Wobei ich stark vermute, dass sich Svenjas Atmung reguliert, wenn sie in einer „normaleren“ Umgebung wieder wach wird.“ Ich musste mich als „Krankenschwester“ outen und dann wurde mein Vorschlag in Erwägung gezogen. Und so kamen wir dann auf Normalstation. Svenja ging es mehr als dreckig, sie hatte schon zweimal Morphium bekommen und wimmerte und heulte weiterhin erbarmungswürdig. Als wir dann fest wieder auf Station waren, Svenja einigermaßen gut versorgt in ihrem Bett lag und der Monitor angeschlossen war, schickte ich Thorsten und Ela heim. Ronja blieb bei mir, sie tat mir in dem ganzen Tohuwabohu unheimlich gut. Ich stillte sie und ließ sie bei mir im Bett spielen.
Svenja schlief zwischendurch immer mal wieder und wie schon von mir geahnt, wurde ihre Atmung immer ruhiger. Gegen elf Uhr abends hatte sie schon wieder die 100 % Sättigung erreicht, im OP war sie selten über 80% hinausgekommen. Die Nacht wurde zur Herausforderung, aber was hatte ich anderes erwartet. Svenja wurde während der OP ein sogenannter „PDK“ gelegt, ein peridualer Rückenmarkskatheter. Das war ein dünner Kunststoffschlauch der ins Rückenmark eingelegt wurde und über den sie, bei Bedarf, Schmerzmittel bekommen konnte. Und den Bedarf hatte sie fast alle zwei bis drei Stunden. Zwischendurch bekam sie noch zusätzlich Morphium.
Eigentlich dachte ich, von den ganzen Schmerzmitteln müsste sie mindestens die nächsten sechs Wochen schlafen und schmerzfrei sein, aber nichts davon geschah. Kaum waren zwei Stunden rum begann Svenja wieder, zu jammern, jedes Mal stand ich auf und versuchte, mit ihr zu reden, sie zu beruhigen. Ich wollte die nächste Gabe soweit wie möglich hinauszögern. Das Kind stand ja jetzt schon völlig wie unter Drogen. Ronja schlief gewöhnlich schon die Nächte ziemlich durch, wurde höchstens eins, zweimal wach zum Trinken.
Jetzt saß sie jedes Mal kerzengerade im Bett und freute sich, wenn die Nachtschwester reinkam und das Licht anmachte. Sie guckte immer sehr interessiert zu, freute sich ganz offensichtlich, dass hier so viel los war. Ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester.
Die schrie schon wie am Spieß, wenn nur die Tür aufging. Das sollte auch die nächsten Tage noch sehr, sagen wir mal, extreme Ausmaße annehmen.
Am nächsten Morgen machten wir Svenja zu dritt sauber, zogen sie um und wickelten sie. Aber fragt nicht nach Sonnenschein! Sie hatte extra vorher nochmal Schmerzmedikamente über den Katheter bekommen. Die wirkten jetzt entweder nicht oder Svenja hatte sich komplett reingesteigert. So ganz sicher war ich mir da nicht. Ich bemerkte, dass sie MICH anschrie, ich solle ihre Beine in Ruhe lassen, ich würde ihr weh tun. Und das, obwohl ich neben ihr am Kopfteil stand! Was passierte hier denn gerade?? „Du hast mir gestern schon weh gemacht an den Beinen!“ Heulend und schreiend warf sie ihren Kopf im Bett rum. Ich überlegte sekundenlang, einen Exorzisten dazu zu holen.
Dann dämmerte es mir. Mich hatte sie zuletzt gesehen, da war noch alles gut.
Und dann war ICH wieder die Erste, die sie sah, als sie die Augen aufmachte.
Also kombinierte sie wohl, dass ich auch für das alles verantwortlich war, was zwischen drin passiert war, als sie in Narkose lag. Na Prost Mahlzeit, das konnte ja heiter werden.
Ronja hatte ich in ihrem Wagen verstaut, die mümmelte während der ganzen Aktion stoisch an einer Brotrinde, und ließ sich durch Svenjas Gebrülle nicht aus der Ruhe bringen. Nachdem Svenja dann endlich wieder sauber, umgezogen und richtig gelagert war, war sie tief erschöpft. Ich hoffte, sie würde ein wenig schlafen, es würde ihr (und auch mir) ziemlich guttun. Aber sie dämmerte nur mehr oder weniger vor sich hin, alle paar Minuten unterbrochen von kläglichem Gewimmer. Essen wollte sie nichts, zum Trinken musste man sie zwingen. Sie hatte aber noch Infusionen anhängen, die Flüssigkeitszufuhr war also erstmal gesichert. Dadurch lagerte sie aber natürlich umso mehr Flüssigkeit ein. Ich legte stündlich ihren Oberkörper auf die jeweils andere Seite, dadurch schwoll ihr Gesicht wenigstens nicht einseitig an. Und sie hustete noch ziemlich stark. Durch die Narkose und die Intubation waren ihre Atemwege sehr geschwächt, sie konnte nicht richtig abhusten und fing an, beim Atmen zu rasseln. Ich bat nochmal darum, sie abzuhören, eine Lungenentzündung in dem jetzigen Zustand wollte ich nicht riskieren. Als Svenja gegen Mittag wacher wurde sagte ich zu ihr „da kommt gleich noch ein Doktor, der wird dich abhören wegen deinem Husten, ok?“
Ich wusste, mein Kind wollte vorgewarnt werden. Das war schon immer so.
Und sie wusste im Normalfall auch, dass ich sie nicht anlügen würde. Das war eine Konstante, auf die sie sich verlassen konnte.
Ich sagte ihr immer, was passieren würde, wenn wir einen Arzttermin hatten.
Sie wusste, beim Blutnehmen pickst es, Röntgen tat nicht weh, Shunt untersuchen auch nicht. Sie verließ sich auf mich, das wusste ich. Sie sah mich an, das Gesicht weinerlich verzogen. „Nein, das will ich nicht, das tut weh.“ Ich versicherte ihr „Du weißt doch, dass abhören nicht weh tut, er hält sein Stethoskop an deine Brust und an deinen Rücken und hört, ob du was brauchst für deinen Husten. Und dann geht er wieder.“ Und sie sofort „und er macht nichts an meinen Beinen?“
„Warum sollte er, husten deine Beine etwa auch?“ Mein Versuch, sie ein wenig aufzuheitern und lustig zu sein, schlug kläglich fehl. Sie drehte den Kopf weg und zog eine Schippe. Ungefähr eine Stunde später klopfte es, und Svenja fing in derselben Sekunde an, zu jammern. Als der Arzt das Zimmer betrat schrie sie aus Leibeskräften „nein, geh weg, ich will nicht. Mama, bitte nicht.“ Ich versuchte, sie zu beruhigen. Ich hätte ihr doch vorhin erklärt, dass der Arzt sie nur abhören wollte. Ich brauchte Minuten, um sie soweit zu bringen, dass sie sich widerstandslos abhören ließ. Sie hatte eine ziemliche Bronchitis, sollte Hustensaft bekommen und dreimal täglich inhalieren.
Na gut, jetzt kam`s wohl auch nicht mehr drauf an. Erst als der Arzt den Raum wieder verließ beruhigte sich Svenja wieder.
Eine halbe Stunde später ging die Tür wieder auf, dieses Mal war es eine Krankenschwester mit der Flüssigkeit zum Inhalieren und dem verordneten Hustensaft. Und wieder begann das gleiche Spiel. Die Tür zu unserem Zimmer quietschte. Und jedes Mal, wenn Svenja des Geräusches gewahr wurde schaltete sie die Sirenen an. Lautstark! Selbst wenn die Putzfrau den Raum betrat hätte man meinen können, sie würde gleich geschlachtet werden.
Das konnte ja extrem heiter werden. Ich war so heilfroh, dass Ronja das alles ziemlich gelassen sah. Svenja brauchte den ersten Tag nach der OP so gut wie alle drei bis vier Stunden Schmerzmittel über ihren PDK, aber spätestens eine Stunde nach der Gabe fing sie schon wieder an zu jammern, zu weinen und zu schreien. Essen wollte sie nichts, wirklich gar nichts. Trinken war ok, also brachte ihr Thorsten von zuhause ihre Astronautennahrung mit. Die bekam sie seit ein paar Monaten, es waren zusätzliche Kalorien, die sie so sehr brauchte. Aber man muss dazu sagen, dass sie das Zeug nicht sonderlich gerne mochte. Die zweite Nacht war nicht viel besser als die Erste. Alle zwei Stunden musste ich nach der Schwester klingeln. Svenja war extrem weinerlich, Ronja dafür immer hellwach und weiterhin sehr interessiert am nächtlichen Geschehen.
Ich war ziemlich froh, dass ich kurze Nächte durchaus gewohnt war, der wenige Schlaf machte mir nichts aus. Was mir mehr ausmachte, war die Häufigkeit und die Tonlage, mit der Svenja ihren Unmut und ihre Schmerzen äußerte. Und die Tatsache, dass sie überhaupt nicht zur Ruhe kam.
Am zweiten Tag nach der OP hatte sich die Physiotherapeutin angekündigt.
Mir schwante Fürchterliches. Svenja hatte die Nacht wieder kaum geschlafen, das morgendliche Frischmachen endete wieder in einer wahren Schreiorgie.
Und wieder beschuldigte sie MICH, ich würde ihr an den Beinen weh tun.
Nachdem die beiden Schwestern, die mich bei Svenjas Grundpflege unterstützt hatten, den Raum verlassen hatten, richtete ich Frühstück für uns drei Mädels. Ronja freute sich, die hatte die ganze Zeit auf meinem Bett liegend gespielt und kam jetzt in ihren Kinderwagen. Ich hatte sie schon gestillt, bevor ich Svenja gewaschen habe, und jetzt durfte sie auf einem Stück Brot kauen. Ich schmierte mir ein Brötchen, Svenja wollte, schon wieder, nichts. Ich überredete sie wenigstens zu einem Schluck Kakao und ein bisschen Wasser. Ihr Gesicht hatte seine alten Proportionen wieder, durch die Schmerzen und das viele Schreien wirkte sie aber etwas verzerrt.
Nach dem Frühstück räumte ich ab, Svenja weinte schon wieder.
Dann quietschte die Tür, und ohne, dass sie überhaupt hingesehen hatte, begann sie zu schreien. Gut, eventuell hatte sie dieses Mal gleich einen Grund. Die Krankengymnastin Ingeborg betrat die Bühne, eine kleinere, ältere Frau, die keinen Widerspruch duldete. Wir kannten sie von früher.
Nach der Einkerbung der Oberschenkelmuskulatur hatte sie Svenja auch schon mobilisiert. Jetzt wollte sie einfach mal gucken, ob Svenja gut gelagert war. Noch im Aufwachraum wurde sie in einer Schaumstoffschale gelagert.
Die Beine mussten in einem bestimmten Winkel abgespreizt liegen. Die Orthopädietechniker hatten dafür eigens den Schaumstoff so zugeschnitten, dass ihre Beine fest darin gelagert waren und sie mit dem Oberkörper nicht verrutschen konnte. Die Physiotherapeutin wollte also jetzt einfach den Sitz der Schale kontrollieren. Blöderweise hatte sie das Svenja auch genauso gesagt. Und ich brauchte gut zehn Minuten Überredungskunst, um überhaupt die Bettdecke zurück schlagen zu dürfen. Irgendwann habe ich es dann einfach gemacht, unter lautstarkem Protest. Ingeborg betrachtete sich die Beine, ich stand am Kopfteil und beruhigte mein schreiendes Kind. Und wieder kam „Mama, bitte nicht!“ Und ich musste immer wieder betonen „ich tu dir nix!! Ich steh doch hier, und Ingeborg macht auch nichts, die guckt nur.“
Innerlich rollte ich so langsam mit den Augen, äußerlich war ich ruhig und versuchte ihr das auch zu vermitteln. Ingeborg war fertig und verabschiedete sich mit den Worten „morgen probieren wir es mal mit in den Rollstuhl setzen. Das darfst du am Anfang eh nur zehn Minuten.“ Ich hätte Ingeborg an den Hals springen können für diesen Satz, der Svenja völlig unvorbereitet traf. Die Gesichtszüge meines Kindes entgleisten dementsprechend nach dieser Aussage völlig. Und man könnte sagen, ab da war „Schicht im Schacht“. Ingeborg murmelte was von „die sind alle am Anfang so weinerlich“, nickte mir zu und verschwand.
Na vielen Dank auch. Svenja hatte sich mittlerweile, lautstärkentechnisch, eingegroovt, und schrie wie eine junge Katze in Not. So ging das nicht weiter, die kam ja überhaupt nicht zur Ruhe. Ich schnappte mir Ronja, versprach Svenja gleich wieder zu kommen, und machte mich auf den Weg ins Arztzimmer. Dort besprach ich mit dem Stationsarzt die Situation. Und, Gott sei Dank, er stimmte mir zu. Natürlich hatte Svenja noch unglaubliche Schmerzen, nach so einer schweren OP absolut verständlich. Aber wenn sie weiterhin nicht mehr als eine halbe Stunde am Stück zur Ruhe kam sah ich für den Heilungsprozess ziemlich schwarz. Eine schnelle Lösung musste her.
Der Stationsarzt schlug Diazepam vor, damit würde Svenja, wenigstens mal für ein paar Stunden, schlafen können.
Wir wollten es mit einer ziemlich niedrigen Dosis probieren, schließlich wollte ich sie ja nicht völlig abschießen. Gesagt, getan. Ronja und ich gingen zurück in unser Zimmer, wo Svenja leise vor sich hin jammerte. Als sie mich sah schraubte sie die Lautstärke nach oben. Ich fragte sie „hast du Schmerzen?“
Und sie antwortete „nein!“
„Warum weinst und jammerst du dann??“ Und sie „ich weiß es nicht!“
Oje, hieß das, sie merkte schon gar nicht mehr, dass sie ständig Geräusche machte? Hatte sie sich schon so an ihre eigene „Dauerschleife“ gewöhnt? Ich war froh, als die Schwester mit einem kleinen Becher den Raum betrat. Also, ICH war froh, Svenja natürlich nicht. Die Schwester gab mir den Becher „das ist das Diazepam, ich habe es mit etwas Saft verdünnt. Wollen Sie es ihr selbst geben?“ Natürlich wollte ich, es war einfacher, wenn Svenja auf mich sauer war als auf die Krankenschwestern. Sie schaute mich mit verzerrtem Gesicht an, ihre Augen sprachen Bände. „Was ist das? Was willst du mir da geben?“ Ich überlegte kurz und sagte dann „das ist ein anderes Mittel gegen Schmerzen, weil du ja immer sagst, dass das über den Rücken nicht hilft.
Ich habe mit dem Arzt gesprochen, und er hat gesagt, das würde dir ganz bestimmt helfen.“
Sie fing an zu weinen, ich hatte es befürchtet. Svenja ist von Grund auf erstmal allem gegenüber ziemlich skeptisch, jetzt befand sie sich ja eh in einer absoluten Ausnahmesituation. Ich brauchte eine gefühlte Ewigkeit um sie zu überreden, die Tropfen zu nehmen.
Als sie sie dann endlich unten hatte beobachtete ich gespannt, was passiert.
Und keine zehn Minuten später entspannte sich ihr Gesicht, ihr kleiner Mund öffnete sich leicht und Svenja begann leise zu schnarchen. Ich atmete gaaaaanz tief aus. Dann stillte ich Ronja in Ruhe, wickelte sie und setzte sie in ihren Wagen. Ich ließ die Tür zu unserem Zimmer offen und meldete uns im Stationszimmer ab. Mittlerweile war es fast Mittag, ich wollte mit Ronja ein bisschen an die frische Luft. Wenigstens mal eine Viertelstunde. Sollte Svenja, wider Erwarten, in der Zeit schon wieder wach werden würden die Schwestern es mitbekommen.
Dann fuhr ich mit Ronja mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss (nein, meine Angst war mitnichten verschwunden, aber mit dem Kinderwagen vier Stockwerke über Treppen war nun mal völlig sinnfrei, was blieb mir also anderes übrig?)
Im Erdgeschoss drehten wir erst einige Runden über das Außengelände und dann setzte ich mich in die Cafeteria. Ich wollte in Ruhe einen Kaffee trinken, Ronja war mehr als friedlich in ihrem Wagen mit ihrem Spielzeug beschäftigt.
Thorsten und Ela wollten gegen zwei Uhr kommen. Ela hatte, schon während meiner Schwangerschaft mit Ronja, ihren „Führerschein ab 17“ bestanden und durfte, in Begleitung von Thorsten oder mir, Auto fahren. Wir hatten ihr im September 2018 auf dem Wald-Michelbacher „Gassenmarkt“ beim Autohändlern unseres Vertrauens einen Opel Corsa gekauft. Erinnert ihr euch noch an meine Bettnachbarin während meines Krankenhausaufenthaltes bei Svenjas Geburt, Yvonn Rösch? Deren Mann, mein ehemaliger Klassenkamerad, hat ein Autohaus mit dazugehöriger Tankstelle in Affolterbach. Elas Corsa war schon das vierte Auto, das wir bei ihm gekauft hatten.
Und mit diesem Corsa durfte sie jetzt immer zu uns nach Schlierbach kommen, Thorsten musste als Beifahrer fungieren. Man fährt von uns aus ungefähr eine Stunde nach Schlierbach, für Ela also die ideale Möglichkeit, ihre Fahrkünste zu intensivieren. Und für Thorsten die Chance, sein Nervenkostüm aus der Reinigung zu holen.
Das brauchte er nämlich. Nicht, dass Ela SCHLECHT fuhr. Sie fuhr nur, sagen wir mal, „anders“. Aber Übung macht ja bekanntlich den Meister.
Und so krallte sich Thorsten in schöner Regelmäßigkeit an die Haltegriffe und trat, in stiller Verzweiflung, die imaginäre Bremse auf seiner Seite bis runter zum Bodenblech. Aber warum sollte es ihm anders gehen als mir? Und ich war während ihrer ersten Fahrversuche sogar noch schwanger!
Beide tauchten also am frühen Nachmittag auf. Nach Svenja hatte ich zwischenzeitlich schon zweimal geschaut, die schlief, dank des Diazepam, den Schlaf des Gerechten. Ich war heilfroh, ihr ganzer Körper hatte diese Ruhe echt bitter nötig. Und ich, ehrlich gesagt, auch. Wir blieben zu viert noch etwas an der frischen Luft, dann fuhren wir hoch zu Svenja. Auf dem Tisch stand unser Mittagessen. Und das ist es wirklich wert, hier ein paar erwähnende Worte darüber zu verlieren. Ich habe, bedingt durch meine Erkrankungen, und natürlich auch wegen Svenja, schon einige Mahlzeiten in Krankenhäuser eingenommen. Und ja, was Essen angeht bin ich nun mal halt auch ein Stück weit pingelig und empfindlich (nicht so sehr wie aktuell, aber dazu komme ich noch.) Auf alle Fälle hatte ich während der Zeit in Schlierbach vermehrt das Gefühl, irgendwo im Haus sei eine Baustelle. Und alles, was an Material dort nicht verarbeitet werden konnte, bekamen die Patienten dann auf den Teller. Es sah stellenweise aus wie Beton, Steine, Mörtel oder Holz. Ich hatte in der Zeit öfter Bilder in meinem WhatsApp Status, natürlich auch vom Essen.
Und ich bekam daraufhin ziemlich viele Angebote von lieben Menschen, die mir was zu essen bringen wollten.
Aber Thorsten brachte mir auch jedes Mal immer irgendwas mit, von dem er wusste, dass ich es gerne aß. Und zur Not hatte ich mittlerweile Brot und Nutella von zu Hause hier. Außerdem hatte die Station einen „Elternkühlschrank“. Da durfte man seine eigenen Lebensmittel, mit Etikett versehen, unterbringen. Und so hatte ich immer mal ein bisschen Käse, Joghurt, Milchschnitte oder Wurst in Reserve. Und gekochtes Essen wird im Allgemeinen ja eh völlig überwertet.
Ich lupfte also die Abdeckung des „Mittagessens“ und beschloss, es dem nächsten hier rumlaufenden Bauarbeiter um die Ohren zu hauen mit den Worten „ich brauche euer Material nicht!“
Ela ging mit Ronja ein bisschen spazieren, Svenja regte sich langsam wieder, nach gut drei Stunden Ruhe. Und kaum war sie so halbwach fing sie sofort wieder an zu jammern. Thorsten ging zu ihr, wollte ein bisschen mit ihr reden. Aber Svenja ignorierte ihn mehr oder weniger, ging fast nahtlos in ihre Dauerschleife über.
Bis Ela und Thorsten wieder heimfuhren war sie fast kaum zu beruhigen gewesen, trotz Schmerzmittel.
Gegen fünf Uhr nachmittags verabschiedeten sich die Beiden wieder, und ich kümmerte ich mich erstmal eine Weile um meine Räubertochter. Sie brachte mir, mit ihrer so bezaubernden Art, die nötige Ruhe und Gelassenheit in dieser Situation. Sie war so genügsam, Hauptsache, sie konnte in unserer Nähe sein, bekam Wärme, Liebe und ab und zu eine Brust. Sie war also durch und durch zufrieden, mein kleiner Sonnenschein. Ich konnte Svenja dann beim Abendessen wenigstens zu ein paar Bissen Brot überreden, beim anschließenden Telefonat mit ihrem Babba war sie sogar bereit, einigermaßen normale Sätze zu bilden. Ohne Gejammer. Das danach aber dann wieder die Hölle geöffnet werden musste war fast abzusehen.
Schließlich mussten wir sie nochmal für die Nacht frisch machen. Etwas, was nur zu zweit machbar war, noch besser zu dritt. Die Schale musste mit frischen Unterlagen ausgelegt werden und Svenja brauchte nochmal eine frische Windel. Eigentlich eine ziemlich flotte Geschichte, nur machten wir halt regelmäßig die Rechnung ohne den Wirt, sprich, ohne Svenja.
Die hätte uns alle gerne der Reihe nach gebissen, am liebsten natürlich wieder mal mich. Ihre Schuldzuweisungen an meine Adresse wurden schön langsam wirklich leicht anstrengend und auch ziemlich nervig.
Nur war das erst der Anfang, dass wusste ich aber Gott sei Dank zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Die Nacht war, erwartungsgemäß wieder unglaublich kurz, geprägt von Geschrei, Geheule und Besuchen der Nachtschwester.
Am nächsten Morgen, zwischen Frühstück und Mittagessen kam dann Krankengymnastin Ingeborg resoluten Schrittes durch die Tür. Und versetzte Svenja, alleine schon durch ihren Anblick, in pure Panik. Aber alles Geschrei half nix, das Kind musste raus. Wir richteten also alles her was nötig war. Eine Unterlage für den Rollstuhl, eine Decke für ihre Beine und frische Bettwäsche. Wenn Svenja dann schon mal draußen saß wollte ich das Bett einmal komplett frisch beziehen. Diese Arbeit konnte ich den Schwestern wenigstens ersparen. Ich befürchtete eh schon, dass sie im Schwesternzimmer ausknobelten wer zu uns musste. Svenja war durch ihre Schreierei und Panikzustände mittlerweile stationsbekannt. Also nahm ich den armen Schwestern ab was ich konnte.
Ingeborg hatte überhaupt kein Erbarmen mit Svenja, und eigentlich auch noch weniger Geduld.
Und Svenja konnte nun auch halt auch überhaupt nicht flüchten oder sich wehren. Das einzige was ihr blieb war schreien. Und das tat sie natürlich dann auch.
Nichtsdestotrotz wurde sie von Ingeborg kurzerhand in den Rollstuhl gesetzt und siehe da……mein Kind hörte auf zu brüllen. Das fand sie nämlich auf einmal gar nicht mal so übel. Ich stellte sie und Ronja nebeneinander, dass genossen beide sichtlich. Ich hatte zwischendurch Ronja immer mal wieder, wenigstens mit dem Kopf, zu Svenja gelegt zum kuscheln. Und in ihrer Gegenwart entspannte sie sich zusehends. Ich bezog das Bett frisch und schüttelte die Kissen auf. Und ehe wir uns versahen waren die ersten zehn Minuten um. Ich war sehr stolz auf Svenja, dass sie das so toll gemacht hatte.
Nur wollte sie jetzt partout nicht mehr zurück ins Bett. Scheinbar hatte sie das Gefühl, sitzend im Rolli könnte man ihr weniger „antun“ als liegend im Bett. Aber man merkte ihr auch an, dass ihr Kreislauf noch nicht sonderlich stabil war. Ihr Gesicht wurde fahl, sie sah unglaublich erschöpft aus. Also schnappten wir sie uns und hoben sie zu zweit vom Rolli ins Bett. Ich lagerte sie ordentlich und bot ihr was zu trinken an. Das sie jetzt Schmerzen hatte war abzusehen, die Schwester kam, ohne dass ich sie rufen musste. Ich wartete, bis das Schmerzmittel wirkte und sie ruhiger wurde. Dann ging ich mir, mit Ronja vorne in der Trage, einen Kaffee holen.
Seit Ronja auf der Welt war liebte ich meine Trage. Früher war das überhaupt keine Option für mich.
Während unserer Zeit mit Svenja auf der Neonatologie wurde ich von der dortigen Physiotherapeutin angelernt, wie man so ein Tuch bindet und anlegt. Immerhin gab es für die Mutter-Kind Bindung nichts Besseres als intensive, körperliche Nähe. Und was soll ich sagen? Ich glaube, es gab noch keine Mutter auf diesem Erdenrund die sich blöder angestellt hat als ich.
Auch beim zehnten Mal habe ich nicht geschnallt, wo die jeweiligen Ecken des Tuches hinkamen und wo ich welches Stoffende hochziehen musste, um alles richtig zusammenzuhalten und das Baby somit nicht auf die Erde dotzt.
Nachdem die Übungspuppe aber schon viermal Kopf voran das von mir gebundenen Meisterwerk verlassen hatte, hatte die Physio ein Einsehen. Das wäre wohl eher nichts für mich, ich sollte doch besser Kinderwagen schieben.
Sag ich doch!