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Wieder ist ein Jahr vorbei. Und wieder dachte ich: "DIESES Jahr wirds ruhiger, "normaler" und vor allem einfacher. Und es wird bestimt nicht mehr viel passieren." Und dann sitzt da offenbar irgendwo das Schicksal zusammen mit der Fügung bei einer Tasse Kaffee und sie sagen sich:"guck mal, die lacht ja noch, lass uns das schleunigst ändern!" Also musste ich mal wieder all meinen schwarzen Humor, meine Liebe, meine Kraft und Emotionen in einen Topf werfen, kräftig umrühren und darauf hoffen, dass nichts anbrennt. Dieses Jahr hatte mal wieder alles für mich zu bieten, was sonst offensichtlich keiner wollte. Aber mit Hilfe der tollsten Menschen der Welt und dem unerschütterlichen Glauben an das Gute stehe ich wieder auf meinen eigenen Beinen, lache dem Schicksal ins Gesicht und biete allen vorhandenen Vollpfosten die Stirn. Und wieder heißt es "Anker lichten" und ab geht die wilde Fahrt durch den Weber´schen Alltag. Lasst Euch zum lachen und weinen mitreissen, erlebt viel Ironie und Wortwitz und vor allem ganz viel Liebe.
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Seitenzahl: 315
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Corinna Weber wurde 1976 in Darmstadt geboren. Sie lebt mit ihrer Familie in dem beschaulichen Örtchen Wald-Michelbach im Odenwald. Mit einer 21jährigen und einer 9jährigen Tochter an der Hand, ihrer kleinen Krawalli fest im Herzen und seit 24 Jahren einem Mann an ihrer Seite, der fest zu ihr steht, hat sie bis jetzt alle Stürme des Lebens (fast) erfolgreich gemeistert. Ihr erstes Buch erzählte von diesen Stürmen, den leichten Winden, aber auch der strahlenden Sonne. Von fünf Menschen, die das Leben und das Schicksal fest miteinander „verankert“. Und es gibt immer wieder genügend Stoff für Fortsetzungen…..
Oktober und November 2020 „in dubio pro reo“, ein seltsamer Abschied“ und „eine fantastische Idee“
Dezember 2020 „ab jetzt wird’s schokoladig“, bei uns piepts tatsächlich“ und „ziemlich hübsch aber asymmetrisch!“
Januar 2021 „endlich allein“, „Bettgeschichten“ und „die Küche wird zum Hauptquartier“
Februar und März: „Jetzt wird’s so langsam eng“, „ein Rucksack voller Probleme“ und „ab jetzt geht’s auch barfuß“
April, Mai, Juni: „zwei Zweiräder mehr“, „ein Geburtstag mit Hindernissen“ und „kurz vom Knockout“
Mai, Juni, Juli: „Die Muddi völlig außer Gefecht“, „her mit allen Kalorien“ und „Gruezi miteinand“
„Grau, grau, grau sind alle meine Haare, „das pflanzen ist des Gärtners Lust“ und „auf in den Kampf“
„Von Schaukeln, Helden auf vier Pfoten und anderen Triggern“
September und Oktober: „Kurt, der Kamizkaze-Kanarie“, „Mein Herz hat Flügel und es trägt deinen Namen“ und „Tests und Tablets“
„Jetzt wird’s kuschelig“, schon wieder ist ein Jahr vorbei“ und „Sam und Marshall, zwei Fellnasen entern meinen Heimathafen“
Noch ein paar Worte zum Schluss:
Da bin ich schon wieder! Und ich hätte eigentlich nahtlos da weitermachen können, wo ich bei „Muddi“ Teil 3 aufgehört habe. Keine Woche später gab es schon wieder richtig viel zu erzählen. Und jetzt im März 2021, der Zeitpunkt, an dem ich mich wieder ans Pad setze und Euch auf unsere Reise mitnehme, ist mein Notizblock schon wieder prall gefüllt mit vielen, teils unglaublichen Ereignissen. Nur eines hat sich leider immer noch nicht geändert, auch wenn ich es bei mittlerweile zwei Büchern am Ende gehofft hatte:
Corona ist immer noch ein fester und sehr nerviger Bestandteil unseres Lebens, und mittlerweile schwant sogar MIR, dass es nie wieder werden wird, wie es mal war. Diese Unbekümmertheit und Sorglosigkeit, die mich die letzten fast 43 Jahre begleitet hatte, ist fast völlig verschwunden (wobei das bei mir ja auch immer noch einen anderen Grund hat). Unser aller Leben hat sich grundlegend geändert, und wir sehnen uns alle wieder nach etwas mehr Leichtigkeit und Normalität. Nichtsdestotrotz (oder vielleicht sogar gerade deshalb) gibt es bei uns wieder mal so viel Neues, dass ich an manchen Tagen nur kopfschüttelnd dasitze und denke „echt jetzt???“ Aber wie wir ja in den vergangenen drei Teilen schon gelernt haben: Es geht IMMER irgendwie weiter! Ich nehme Euch wieder mit durch UNSER Jahr, mit allem, was der „Weber´sche Alltag“ so zu bieten hat. Dieses Jahr hatte vieles, was einfach so vor sich hin plätscherte, aber auch eben einige „Knalleffekte“ zu bieten. Mein „Gefühls-Schiff“ schipperte mal wieder über alle denkbaren Emotions-Meere und so manches mal drohte es sogar, zu kentern. Aber ich konnte immer wieder einigermaßen unversehrt in meinen sicheren „Heimathafen“ zurückkehren.
Also anschnallen, Kaffee holen und los geht’s!
Willkommen zu „Muddi - Zusammen schaffen wir alles“ Teil 4!
Ich wünsche Euch wie immer ganz viel Spaß, viele Lacher, noch mehr Emotionen und zwei Taschentücher: eins für das lachende und eins für das weinende Auge.
Wie gesagt, ich hätte eigentlich nahtlos weiterschreiben können. Die ersten paar Seiten dieses Buches könnten Euch leicht verwirren und Ihr werdet bemerken, dass ich einfach mit meiner Geschichte noch nicht wirklich „im Fluss“ bin. Aber genau dieses Gefühl hatte ich zu Anfang des Jahres, Ihr werdet hoffentlich verstehen warum, und trotzdem einigermaßen Durchblick durch mein Gedanken-Wirrwarr bekommen.
Kaum zwei Wochen nach der Vollendung von „Muddi“ Teil 3 bekamen wir Post von unserem Anwalt. Darin stand, dass das Verfahren bezüglich des Unfalltodes unserer kleinen Krawalli aus „Mangel an Beweisen“ eingestellt wurde. Zunächst musste ich tief atmen. Was bedeutete das also jetzt für mich, beziehungsweise uns? Sollte ich jetzt wütend werden, schreien, traurig sein, weinen? Ich horchte in mich hinein und empfand seltsamer Weise… Erleichterung. Vielleicht konnte ich dann endlich auf eine gewisse Art und Weise damit abschließen. Immerhin hieß das ja auch, dass ich in Zukunft keine anstrengenden und nerven-aufreibenden Anwaltstermine mehr würde bewältigen müssen. Das war ja etwas, was mich die letzten eineinhalb Jahre immer wieder ziemlich gebeutelt hatte. Nach jedem Termin war ich am Boden zerstört und tagelang mit den Nerven am Ende. Sämtliche Gutachten, die über die Laufe der Zeit bei uns eingetrudelt waren, blieben von mir ungelesen. Die Einzelheiten darin hätten mich sehr wahrscheinlich in den kompletten Wahnsinn getrieben. Und entgegen aller landläufigen Meinungen diverser Mitmenschen hatten wir damals das Verfahren ja auch gar nicht angeleiert. Zur Erinnerung: einige Zeit nach dem Unfall wurden wir darauf hingewiesen, dass wir uns doch vielleicht besser mal um einen Anwalt kümmern sollten. Das Ganze wäre nämlich von der Staatsanwaltschaft zur Anklage gebracht worden. Ich dachte damals noch so leichtgläubig und naiv, dass das ziemlich bald erledigt wäre. Dass sich das alles dann fast eineinhalb Jahre in die Länge ziehen würde, ahnte ich ja damals Gott sei Dank noch nicht. Jetzt sollte es also vorbei sein. Unser Anwalt informierte uns noch darüber, dass er sich jetzt um die abschließenden Formalitäten kümmern werde. Das würde dann allerdings auch noch eine Weile in Anspruch nehmen. Also doch noch nicht ganz vorbei. Ich informierte meine Trauertherapeutin über den aktuellsten Stand der Dinge. Woraufhin sie meinte: „Und? Empfinden Sie jetzt Wut oder Aggressionen in sich? Immerhin Also ich finde schon, dass Ihnen da mal so richtig viel Wut zusteht! Ich an Ihrer Stelle wäre auf alle Fälle aber mal SO RICHTIG sauer!“
Hm….tatsächlich? Wären Sie das? Ich sah sie an. Wieder einmal bekam ich das Gefühl, dass niemand WIRKLICH verstand, oder halt auch verstehen konnte, was ich fühlte und dachte. Ich dachte nochmal kurz nach und fragte dann: „Warum genau sollte ich denn jetzt wütend sein?
Ändert das dann etwas an der Situation? Macht es mein Kind wieder lebendig? Bin ich dann nicht mehr traurig? Ich glaube ja, dass Wut oder Aggression Gefühle sind, die mich jetzt unnötig Kraft und Nerven kosten würden. Und eigentlich bin ich doch einfach nur erleichtert, dass es jetzt vielleicht endlich ein Ende hat mit den ständigen Anwalts-Kontakten!“ Sie sah mich an, als sei meine Grundstücksbegrenzung weg. Also auf gut deutsch, als hätte ich nicht alle Latten am Zaun. „Also Frau Weber, ich finde, Sie hätten sehr wohl das Recht darauf, richtig sauer zu werden.“ Sie sah mich wieder erwartungsvoll an und wartete wohl nun auf einen mentalen Ausraster.
Die einzige Familie, die nun wirklich jubeln würde, war die, die uns im August letzten Jahres so schändlich an die Staatsanwaltschaft „verkauft“ hatte. Die, die behaupteten, ich sei sowieso schuld an dem ganzen Drama gewesen. Die, die sich damit endlich mal wieder ein wenig wichtig tun konnten in ihrer sonst so kleinen, langweiligen und ereignislosen Welt. Die, in der die Frau behauptete, ich hätte teilnahmslos an der Straßenlaterne gesessen, während sie, Chantal und der Rettungsdienst versucht hätten, mein Kind wiederzubeleben. Also dass ich quasi meinem Kind beim Sterben zugeschaut hätte.
Und dass es irgendwann ja mal so hätte kommen müssen, weil Ronja ja IMMER GANZ ALLEINE auf der Straße gewesen wäre. Manches mal ist einfach jedes weitere Wort zu viel…
Aber da mir diese komplette Familie so oder so (fast schon immer!) gänzlich egal war, sollte mich das jetzt auch nicht mehr allzu sehr belasten. Ich musste endlich anfangen, mit allem (und vor allem mit jedem) irgendwie abzuschließen. Der Meinung war Thorsten dann auch. Wir beschlossen nach einigen intensiven Gesprächen, KEINEN Widerspruch einzulegen und somit endlich Ruhe einkehren zu lassen.
Unser Anwalt wollte uns dann natürlich trotzdem nochmal sehen.
Er erläuterte uns in allen Details, was passieren konnte, wenn wir in den Widerspruch gehen würden. Und als er fertig war, waren wir umso bestärkter darin, genau DAS nicht zu wollen. Er gab uns nochmal zwei Wochen Bedenkzeit und schon auf dem Nachhauseweg hatten wir den festen Entschluss gefasst, es dabei bewenden zu lassen. Wir wollten das beide nicht mehr, egal wer sich jetzt darüber freuen würde. Auch wenn ich in Gedanken den ein oder anderen jetzt jubeln hörte und sich die Hände reiben sah. Und nein, ich meine damit nicht Chantal…
Im Januar war dann tatsächlich alles erledigt, was für unseren Anwalt noch offen stand und somit legte ich meine Gedanken über all das notarielle Drama komplett ad acta und konzentrierte mich auf wichtigere Dinge.
Mitte Oktober hatte sich Jenny mit ihrer gesamten Familie für einen Sonntag bei uns angemeldet. Ihr erinnert Euch vielleicht, ich hatte sie über Facebook kennengelernt und einmal in Köln getroffen. Sie waren auf dem Weg in den Urlaub und wollten vorher bei uns vorbeikommen. Ich freute mich riesig auf sie, hatte aber schon drei Tage vorher Bauchschmerzen wegen der Kinder. Sie hat ja sechs an der Zahl, darunter auch einen fünfjährigen Sohn. Ich hatte Angst, dass mir meine Emotionen wieder einen üblen Streich spielen würden und ich somit das ganze Treffen über den Tränen näher sein würde als dem Lachen. Aber schon in den ersten fünf Minuten spürte ich, wie mir das Herz aufging. Die Kinder waren fantastisch, alle sechs. Sie waren so unglaublich gut erzogen, dass ich vor Staunen den Mund nicht mehr zubekam. Svenja hatte den ganzen Nachmittag über Spielkameraden um sich herum, weil sie immer abwechselnd bei ihr im Zimmer oben waren und mit ihr spielten. Wir unterhielten uns angeregt mit Jenny und ihrem Mann. Den kannte ich vorher auch noch nicht, aber wir fühlten uns alle zusammen unglaublich wohl. Als sie gegen Abend wieder gingen, hatte ich ein neues Bild auf dem Handy: Ich mit zwei der kleinsten von Jennys Kindern im Arm. Und ich strahlte aus vollem Herzen. Wir versprachen uns, uns auf alle Fälle im nächsten Jahr wieder mal zu treffen. Als sie wegfuhren, vermisste ich ihre Kinder für einen Moment, total verrückt. Da dachte ich schon, ich hätte es wieder ein Stück weiter meiner Verarbeitung gepackt. Ein ziemlich übler Trugschluss wie ich dann noch öfter feststellen musste. Einige Tage später kam ein Brief, der mich für einige Momente wieder fast zurück an den Anfang meiner ganzen emotionalen Achterbahn warf. Es ging um Svenjas Rehabuggy. Wir hatten vor geraumer Zeit einen Neuen beantragt.. Natürlich nicht, ohne vorher ewig mit der Krankenkasse über dessen Notwendigkeit diskutieren zu müssen (über deren unfassbares Unverständnis gibt es im Kapitel „März“ nochmal eins zwei Dinge zu berichten).
Jetzt war er endlich genehmigt und stand nun schon einige Tage bei uns im Wohnzimmer. Ich wusste aber natürlich auch, was dieser neue, schicke Rehabuggy gleichzeitig bedeutete…. Es hieß, dass der alte irgendwann von der Krankenkasse zurückgeholt werden würde. Und davor graute es mir. Mit und an diesem Buggy hingen so unglaublich viele Erinnerungen. Natürlich vor allem an Ronja. Es war ihr „Svenja-Taxi“, wie oft war sie vorne auf dem Trittbrett gestanden und Svenja hat sie von hinten fest umklammert. Oder sie war immer mal wieder zwischendurch zu ihr hochgeklettert um mit ihr zu kuscheln. Es gibt einige Videos, wo sie neben Svenja herläuft und ihre Hand hält, während wir Svenja schieben.
Als der Anruf der Kasse dann kam, war ich danach dementsprechend minutenlang nicht mehr zu gebrauchen. Ich wollte nicht, dass der Buggy abgeholt wurde. Was natürlich absolut sinnfrei war. Er nahm Platz weg und war einfach schon viel zu alt. Als der Tag kam, an der er abgeholt wurde, verstand der Fahrer glaube ich nicht, warum da eine Frau daneben stand, die vor sich hin schniefte, während er den Buggy verlud. Auf alle Fälle war er ziemlich flott fertig und machte den Eindruck eines Flüchtenden. Ich vermute mal, er dachte, ich wäre leicht geistesgestört. Und ich hatte wenig bis gar keine Lust, es ihm zu erklären. Ich hatte noch eine ganze Weile an diesem „Verlust“ zu knabbern. Wieder mal suchte ich danach händeringend nach irgendeiner Beschäftigung. Ich hatte kurz danach über Facebook von dem Schicksal einer Familie gelesen, das mir sehr zu Herzen ging. In der Familie gab es das sogenannte „Li Fraumeni Syndrom“. Eine Art Gendefekt, bei dem nach und nach alle betroffenen Familienmitglieder an Krebs starben. Der Ehemann und der Sohn waren schon gestorben, jetzt hatte eine der beiden Töchter einen unheilbaren Hirntumor. Die Mutter war fast zeitgleich, unabhängig von dem Syndrom, an Brustkrebs erkrankt. Als ich das las schüttelte es mich. Ja, auch wir hatten ein Schicksal zu ertragen, aber irgendwie erschien mir das im Gegensatz dazu fast schon klein.
Ich war erschüttert und wollte helfen. Es hieß, es bestünde eine geringe Chance, dem Mädchen vielleicht zu helfen. Mit einer sehr kostspieligen Therapie. Aber einfach so Geld überweisen wollte ich nicht, gesammelt wurde dafür schon über einige Plattformen, wie ich gesehen hatte.
Außerdem hoffte ich auf eine größere Summe. Also startete ich eine Online-Aktion, in der ich ein komplettes Paket meiner Bücher inklusive aller bisher rausgebrachten „Goodies“ versteigerte. Am Ende der Aktion hatte ich ein Höchstgebot von 500,- Euro und war superglücklich. Ich hatte etwas Gutes getan und war somit wieder eine ganze Weile beschäftigt gewesen. Für mich ja weiterhin essentiell wichtig. Etwas, das mich am Laufen und damit am Existieren hielt.
Nach wie vor stand ja auch noch das Thema „Adoption“ im Raum. Ich hatte mich ja kreuz und quer gegoogelt und auch schon einige Telefonate geführt und Ende November hatten wir dann den ersten Termin auf dem Jugendamt in Heppenheim. Ich war unglaublich aufgeregt. In meinem jugendlichen Leichtsinn hatte ich mir Folgendes vorgestellt: Die Dame sieht, wie gerne wir uns nochmal um ein Baby kümmern würden und nimmt uns sofort in die engere Auswahl. Und weil wir ja immer noch alles hatten, was ein Kind die ersten zwei, drei Jahre braucht, würde sie uns spätestens in einem halben Jahr ein Baby vermitteln können. Mal ehrlich: Träumen darf man ja wohl noch, oder??
Ernüchternde Bilanz nach einem knapp zweistündigen Gespräch: Wir sind zu alt! Zumindest mal für eine Adoption. Man sollte nämlich das potentielle Kind mindestens 20 Jahre lang finanziell unterstützen können. Und da ich da locker mal 65 Jahre alt sein würde, bekamen wir das nicht mehr zugetraut.
Denn wie man ja weiß, leben die meisten deutschen Rentner fast schon am Existenzminimum. Dann kamen wir auf unsere Gesundheit zu sprechen. Und in dem Moment, als ich das kleine Wörtchen „MS“ in den Raum warf, wusste ich, jetzt ist der Ofen aus. Ich sah es an den Gesichtern der beiden anwesenden Damen. Auch mein Einwand, dass man ja eigentlich bei KEINEM wüsste, was morgen sein wird, half uns nicht mehr wirklich weiter. Wir wurden verabschiedet mit den Worten „wir melden uns bei Ihnen“, und ich wusste da schon, wo das enden würde. Sie meldeten sich dann auch tatsächlich ungefähr drei Wochen später mit dem Satz: „Es tut uns leid, aber Sie kommen für uns nicht in Frage. Außerdem wollen Sie das zu sehr.“… Ah ja, und ihr gebt Kinder lieber in Familien, die das eigentlich gar nicht so sehr wollen?? Ich schluckte und nahm es hin. Was sollte ich auch auf so eine Aussage erwidern?
Um für weitere Ablenkung und Abwechslung zu sorgen, hatte de Vadder dann eine weitere, tagesfüllende Idee: „Wir produzieren deine Bücher als Hörbücher und fangen zum Warmwerden mit „Ronjas Welt“ an.“ Ich war sehr angetan. Wir überlegten eine ganze Weile hin und her, wie wir das am besten anstellen könnten. Ich hatte schon einige Zeit vorher mal bei Carsten angefragt, der hatte mir damals in seinem Studio mein Lied „Löwenbaby“ produziert. Dann kam uns ja aber Corona dazwischen, und unsere „Studio-Hörspiel“ Pläne lagen somit erstmal auf Eis.
Also wollten wir unser Esszimmer in ein geeignetes „Studio“ umwandeln.
Wir hatten ja eigentlich ein bisschen Erfahrung darin, immerhin hatten wir früher schon mal Lieder im heimischen Wohnzimmer aufgenommen.
Thorsten suchte das geeignete Equipment zusammen und Mitte Oktober legten wir los. Und was soll ich sagen? Es war etwas völlig anderes, „Ronjas Welt“ zu lesen als „Muddi“. Auf meinen gesamten bisherigen Lesungen hatte ich immer aus „Muddi“ vorgelesen, weil ich mich mit diesen Büchern nun mal identifiziere. In „Ronjas Welt“ habe ich lauter fiktive Charaktere und von denen weiß ich ja nicht, wie sie reden. Jaaa, DAS klingt jetzt saukomisch, ich weiß. Aber Ihr müsst Euch Folgendes vorstellen: Wenn ich aus „Muddi“ lese, habe ich die Geschichten meistens noch sehr lebendig vor Augen und weiß genau, wer wie oder was gesagt hat. In „Ronjas Welt“ schreibe ich das, was die Charaktere so von sich geben, ohne sie jemals gehört zu haben.
Ich musste nun also beim Vorlesen genau überlegen, wie was betont oder ausgesprochen werden würde. Und das fiel mir schwerer als gedacht. Ich las „Ronjas Welt“ Band 1 ein, und war nicht wirklich glücklich damit. Aber immerhin hat es uns beide wieder für zwei bis drei Wochen gut beschäftigt.
Thorsten hatte sich eine unglaubliche Mühe gemacht, alles zu schneiden und richtig zu vertonen. Dann stellten wir fest, dass die Hörbuch-Vermarktung so ihre Tücken hat und beschlossen, das Ganze zunächst in den Hintergrund zu stellen. Ihr merkt also, wir waren äußerst unstet, immer auf der Suche nach Beschäftigung und doch nie wirklich in der Lage, etwas zufriedenstellend zu beenden.
Dann hieß es erstmal „Muddi“ Teil 3 auf den Markt zu bringen.
Das war nämlich seit geraumer Zeit fertig und ich konnte es kaum noch erwarten. Die Farbe des Covers war so toll geworden und ich war im Allgemeinen ungemein stolz auf mein drittes Werk. Es war ganz anders als die beiden Bücher zuvor, endlich konnte ich auch beim Schreiben wieder etwas mehr „Ich“ sein. Wir brachten es an Halloween raus und ich war glücklich, wie gut es ankam.
So gut, dass mein Göttergatte schon wieder eine neue, brillante Idee hatte.
Aber dazu komme ich gleich noch. Zunächst hatte nämlich eine meiner Freundinnen einen nahezu spektakulären Gedanken, der mir den ganzen Dezember über richtig was zu tun und eine ganze Menge Spaß bescheren sollte. Sie schrieb am 01. November: „Weißt du was echt mega wäre? Ein virtueller Adventskalender, und jedes Türchen singst du was oder liest aus deinen Büchern. Das würde bestimmt mega ankommen!“ Ich überlegte kurz und schrieb dann zurück: „Die Idee ist SPITZENMÄSSIG, ich lass mir was einfallen.“
Und genau das tat ich dann auch. Ich überlegte mir, was und vor allem auch WIE ich diese „Online-Adventskalender“ Geschichte aufziehen wollte.
Immerhin war ich nicht wirklich versiert in solchen Dingen.
Ich war seit einiger Zeit auch auf Instagram, hatte aber noch nicht wirklich die große Ahnung, was ich da eigentlich tat. Ich postete all das, was mir wichtig erschien. Aber so richtig warm wurde ich mit diesem Medium nicht.
Nichtsdestotrotz war mir aber klar, dass ich, gerade jetzt in Zeiten von Corona, alle Möglichkeiten zum „virtuellen Rauskommen“ nutzen musste.
Öffentliche Lesungen würden ja wohl noch für einige Zeit nicht möglich sein.
Also konnte ich ja nun auch sämtliche Social Media Kanäle dafür nutzen, um zu zeigen, was ich so in meiner Freizeit trieb. Was aber auch hieß, dass ich 24 Tage lang jeden Tag ein kleines Video einstellen müsste. Und jeden Tag Lesen würde ja vielleicht auch langweilig werden. Also gut, warum nicht zwischendurch das ein oder andere Liedchen? Stellte sich nur noch die Frage, WO ich das Ganze veranstalten wollte. Flugs war klar: das mache ich oben in meinem „Lesezimmer“, in meinem Apricot-farbenen Sessel.
Also fing ich an, zu überlegen, mit was ich am 01.12. starten wollte. Und was ich noch so alles in diesen 24 Tagen anstellen könnte.
Vorher aber kommen wir erst noch zu der schon oben erwähnten brillanten Idee vom Vadder: Wir erstellen einen Bildband und veröffentlichen ihn! An sich ja nichts wirklich Aufregendes. Nur sollte UNSER Bildband etwas ganz anderes und vor allem etwas Besonderes werden. Ich hatte ja in meinen ganzen bisherigen Büchern fast alle Situationen immer sehr detailverliebt beschrieben. Das konnte ich aber auch nur deshalb, weil es nun mal meistens ganz viele Bilder dazu gibt. Also hatte mein Mann den unglaublichen Einfall, genau daraus einen Bildband zu machen. Also die Textpassagen aus den Büchern vereint mit den passenden Bildern. Ich fand die Idee prinzipiell natürlich großartig. Wusste aber auch sofort, dass es mich unzählige Nerven, noch mehr Tränen und fast unmenschliche Kraft kosten würde. Denn natürlich war klar, dass Ronja in diesem Buch eine ziemlich große Rolle spielen würde. Und da ich die meisten Bilder auf meinem Handy habe, musste ich sie natürlich auch raussuchen. Ich war irgendwann fix und fertig mit den Nerven, ich wollte und konnte einfach diese ständige und kräftezehrende Konfrontation mit so vielen wunderschönen Momenten mit meiner kleinen Tochter nicht wirklich ertragen. Ende November war es dann soweit. Der Bildband zu „MUDDI“ Teil 1–3 war fertig und konnte zum Verlag.
EIGENTLICH!
Während ich völlig am Ende war, aber dafür umso stolzer auf unser Werk, machte uns unser großes Töchterlein einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Jedenfalls was das Veröffentlichungsdatum betraf. Wir hatten vorgehabt, den Bildband noch vor Weihnachten zu veröffentlichen, weil es für die wahren Fans meiner Bücher ein tolles Geschenk abgeben würde.
Weil wir aber noch in keinem meiner Bücher Bilder veröffentlicht hatten, wollten wir dieses Mal einen Vorabdruck. Wir machten also alles fertig und sollten dann ein Probeexemplar vom Verlag zugesandt bekommen. Das war noch nicht da, als Ela uns verkündete: „Der Valentin und ich haben uns getrennt!“
Ach bitte, echt jetzt? Das kam dann doch etwas überraschend. Immerhin waren die beiden da schon knapp vier Jahre zusammen gewesen. Und Ela zufolge sollte Valentin ja eigentlich auch der Mann ihres restlichen Lebens sein. Nun denn, es war eine Entscheidung, die uns im Grunde genommen nichts anging. Das war eine Sache zwischen Ela und Valentin. AAAAABER: Er war nun mal einige Male „bildlich“ in meinem neuen Buch vertreten und musste folglich (und auch weil Ela uns eindringlich darum bat) da nun auch wieder raus. Thorsten musste ein paar mal tief atmen. Die Bildsetzung und das dazugehörige Einfügen der Texte hatte uns einige nervenaufreibende Sonntage gekostet. Jetzt musste fast das ganze Buch also nochmals verändert werden. Ich sah mein geplantes Veröffentlichungsdatum den Bach runter gehen. Coronabedingt hatte mein Verlag nach wie vor einige Lieferschwierigkeiten, und wir hatten ja jetzt auch noch einiges an Arbeit vor uns.
Das Probeexemplar, das dann drei Tage später eintraf, entsprach dann aber wenigstens unseren Erwartungen. Also, nochmal ran an das Ganze. Und zwei Tage vor Weihnachten kamen dann auch endlich MEINE Exemplare.
Für Weihnachten also natürlich viel zu spät. Aber ich war stolz darauf, meine schönsten Momente nun auch mit vielen anderen teilen zu können und zu dürfen. Auch wenn ICH mir die letzten Seiten dieses Buches wahrscheinlich die nächsten Jahre nicht würde anschauen können.
Aber ich hatte ja sowieso noch was ganz anderes vor und damit eine ganze Menge zu tun… mein erster „Online-Adventskalender“. Ich hatte also im November begonnen, die ersten Tage für Dezember abzudrehen.
ZUM GLÜCK schon im November. Warum, erfahrt ihr im nächsten Kapitel.
Nachdem ich so ungefähr fünf Tage eingelesen hatte ( immer aus verschiedenen meiner Bücher ) entschied ich mich, für etwas Abwechslung zu sorgen.Da musste etwas ganz Besonderes her, immerhin wollte ich ja, dass die Leute Spaß beim Zuschauen hatten und jeden Tag bis Weihnachten gerne bei mir vorbeischauen und sich vielleicht sogar darauf freuen würden. Also musste zur Abwechslung ein Lied her. Und da als nächstes der Tag vor Nikolaus abgedreht werden musste, schnappte ich mir Svenja und fragte sie, ob sie nicht Lust hätte, bei meinem Adventskalender mitzuwirken. Jetzt muss man dazu folgendes erwähnen: Svenja liebt es, Teil meiner Bücher zu sein.
Sie findet es großartig, dass die Menschen sie dadurch kennen und lieben.
Und natürlich war sie dementsprechend auch sofort Feuer und Flamme. Wir einigten uns auf „Lustig, lustig Tralalalala“, das kannte sie und konnte den Refrain super mitsingen. Als Ela dann nachmittags zuhause war, drehten wir mit einigen Anläufen also unser erstes „Musikvideo“. Und das machte uns soviel Freude, dass wir gleich noch ein paar mehr solcher Aktionen einplanten. Und so kam es auch zu dem ein oder anderen musikalischen „Zusammenspiel“, mit dem ich vorher gar nicht gerechnet hatte. Aber dazu später mehr. Mit dem Dezember stand nun auch wieder ein Fest vor der Tür, das ich mal wieder am liebsten vermieden hätte. Es bedeutete bestimmt wieder irgendwelche emotionalen Aussetzer, und darauf hatte ich ja so überhaupt keine Lust. Am liebsten hätte ich Weihnachten hier im Haus fast völlig ignoriert, aber das wollte und konnte ich Svenja nicht antun. Also schmückte ich mal wieder so, dass es für mich absolut vertretbar war. Und auch Thorsten begann den Hauseingang und den Engelgarten zu schmücken.
Mehr nicht, für uns reichte das völlig aus. Und so dachte ich, könnte ich den Dezember einigermaßen gefahrlos überstehen. Eigentlich sollte das doch hinzubekommen sein. EIGENTLICH….
Fangen wir im Dezember mal damit an, womit wir im November aufgehört haben: mit meinem Adventskalender. Spätestens nach dem 05.12., also nach dem „Gast-Auftritt“ von Svenja wurden meine Beiträge jeden Tag schon erwartet und mit Begeisterung kommentiert. Und ich hatte ja auch noch die ein oder andere Überraschung in petto, die ich über die ganze Adventszeit verteilen wollte. Und wie gesagt, gut, dass ich fast die Hälfte des Kalenders schon im November abgedreht hatte. Anfang Dezember bemerkte ich nämlich kleine Veränderungen in meinem Gesicht. Also nichts Sichtbares, sondern erstmal nur für mich fühlbar. Meine linke Gesichtshälfte fühlte sich äußerst seltsam an, und ich hatte beim Trinken das Gefühl, ich könne die Flüssigkeit nicht wirklich im Mund behalten. Außerdem zuckte mein linkes Auge ständig und ich bekam Kopfschmerz-Attacken vom Feinsten. Was aber am störendsten war, war dass ich mich selbst „im Ohr“ hörte wenn ich lachte, zu laut sprach oder sang. Was ein seltsames und nerviges Gefühl. Mir begannen, verschiedene Geräusche im Ohr fast schon weh zu tun und ich zuckte manchmal regelrecht zusammen, wenn irgendwo ein blechernes Geräusch ertönte. Zum allerersten Mal im Leben konnte ich nun nachempfinden, wie es Svenja oftmals zu gehen schien. Ja, selbst Husten fand ich unangenehm. Dann stand ich ein paar Tage später vorm Spiegel und traute meinen Augen kaum. Meine linke Gesichtshälfte war total verschoben.
Mein Auge und mein Mundwinkel hatten ein Eigenleben entwickelt und beim Zähneputzen kam ich mir mittlerweile vor wie ein kleiner Springbrunnen. Und spätestens als ich meinem eigenen Spiegelbild versuchte, zuzulächeln, bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich sah aus wie der Glöckner von Notre Dame.
Der linke Mundwinkel hatte mit dem rechten eigentlich gar nichts mehr zu tun und fristete sein Dasein traurig einige Zentimeter weiter unten. Wenn ich keine Grimasse zog, ging's eigentlich, dann sah man nur dem linken Auge ganz leicht eine Veränderung an. Und dann begann ich zu überlegen. Sollte ich meiner Familie etwas sagen? Oder wartete ich erst mal ab? Aber ich hatte auch eine wahnsinnige Angst vor einem eventuellen Schlaganfall und somit musste ich wohl Farbe bekennen. Ich ging in die Küche und grinste Thorsten an.
Natürlich dachte der zunächst, ich hätte nun komplett den Verstand verloren und schaute mich fragend an. „Guck mal, siehst du das?“ Ich grinste wieder und deutete auf meinen fühlbar verschobenen Mund. „Ja, hängt ein bisschen.“ Mein Mann ist da eher lakonisch und weiß eigentlich, erst wenn ICH Panik bekomme, dann ist es ernst. Da ich aber äußerlich noch ziemlich relaxt blöd grinsend in der Küche stand, nahm er das Ganze zunächst nicht wirklich ernst. Ich setzte mich und nahm einen Schluck Kaffee. Brauchte aber die nächsten Sekunden ein Tuch, weil ich offenbar nicht mehr in der Lage war, meinen Mund komplett zu schließen. Na prima. Ich griff kurz entschlossen zu meinem Handy und machte mir einen Termin in der Radiologie. Immerhin könnte das ja auch ein MS-Schub sein, lange genug verschont geblieben war ich ja jetzt. Aber noch mehr Angst hatte ich immer noch vor einem Schlaganfall. Ich schilderte meine Symptome, erklärte meine Vorerkrankungen und hatte drei Tage später einen Termin. Die Symptome nahmen in der Zeit immer mehr zu. Ich brauchte mittlerweile morgens mindestens eine Viertelstunde, bis ich meine linke Augenbraue mittels Schminkstift ungefähr auf dem gleichen Niveau hatte wie meine rechte. Und um die Größe der Augen auszugleichen, versuchte ich es mit den unterschiedlichsten Wimperntusch-Techniken. Einzig mein Mundwinkel ließ sich nicht wegschminken, aber wenn ich nicht lachte, fiel der sowieso nicht wirklich auf. Und zu meinem Glück war ja auch noch überall in der Öffentlichkeit Maskenpflicht, und ich somit erstmal aus dem Schneider. Das Ergebnis des MRT lautete dann: Alles in Ordnung! Also kein MS-Schub und erst recht kein Schlaganfall. Was ja eigentlich wunderbar war, half mir nur nicht wirklich weiter. Ich beschloss, die nächsten Tage abzuwarten und zu beobachten. Immerhin wusste ich ja jetzt, dass mein Hirn samt seiner Funktionen noch vollkommen in Ordnung war (jedenfalls sagte das die Bildgebung). Aber nichtsdestotrotz wurde es nicht besser, im Gegenteil. Also beschloss ich grummelnd der neurologischen Notaufnahme der Kopfklinik in Heidelberg einen Besuch abzustatten. Der Arzt dort war etwas jünger als ich und eigentlich ein ganz Netter. Er untersuchte mich eingehend und meinte dann: „also das könnte durchaus auch eine Hirnhautentzündung sein. Die Symptome sprechen zwar nicht wirklich dafür, aber man kann ja nie wissen.
Es könnte genauso gut eine „idiopathische Faszialisparese“ sein. Zur Sicherheit würde ich Sie gerne jetzt stationär aufnehmen und morgen eine Lumbalpunktion (Hirnwasser-Untersuchung) durchführen.“ Ich sah ihn an wie eine Kuh wenns blitzt. „Aha… und was genau passiert dann? Sie gehen zwar davon aus, dass es keine Hirnhaut-entzündung ist, wollen mich aber trotzdem so einem Procedere unterziehen? Glauben Sie denn, ich bin so vergnügungssüchtig??“
Ich wusste auch, von was er sprach, als er diese „idiopathische Faszialisparese“ erwähnte. Das hieß eine halbseitige Gesichtslähmung ohne wirklichen Grund. Also dementsprechend gerne mal der Psyche zuzuschreiben. Er sah mich schmunzelnd an. „Sehen Sie Frau Weber. Wenn Sie ihre Stirn runzeln dann geht das nur rechts. Die linke Seite bleibt fast glatt. Und in Ihrem Alter sollten da schon ein paar Falten sein.“ HALLO, ja geht’s noch?? Er sprach ungerührt weiter. „Das spricht aber natürlich auch völlig gegen einen Schlaganfall. Ein Apoplex-Patient kann die Stirn komplett runzeln.“ Ach, JETZT bin ich ja überaus beruhigt. „Und außerdem sind Sie ja wirklich eine ganz Hübsche, nur halt grad etwas asymmetrisch. Die Familien-Weihnachtsbilder könnten Sie ja mit Maske machen, dann können Sie sogar lächeln.“ Jetzt lachte er. Und ich überlegte ernsthaft für einen Moment, an SEINER Maske zu ziehen und sie ihm ins Gesicht schnalzen zu lassen. Ich versuchte, ihn tadelnd anzusehen und merkte selbst, dass dieser Blick völlig in die Hose ging. Also versuchte ich es mit Worten: „Also, gleich vorneweg.
Ich werde mit Sicherheit jetzt keine Lumbal-Punktion vornehmen lassen. Das heißt nämlich für mich wieder mindestens zwei Tage Krankenhaus. Und das kann ich mir momentan nicht wirklich erlauben. Zweitens bin ich mir ziemlich sicher, KEINE Hirnhautentzündung zu haben. Mir fehlen fast alle Symptome, bis auf das schiefe Gesicht. Und das ist wahrlich nicht typisch dafür. Also, was für andere Alternativen habe ich?“ Er grinste immer noch, offenbar hatte ihn mein Monolog entweder völlig beeindruckt oder er dachte, die Lähmung hätte mittlerweile schon mein Hirn erreicht. Dann sah er auf den Kalender, der vor ihm an der Wand hing. „Gut, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich gebe Ihnen die nächsten drei Tage Zeit, also bis Freitag. Bis dahin sollten sich die Symptome wieder ein wenig gebessert haben. Sollte das nicht der Fall sein, dann erscheinen Sie am Freitag morgen gegen halb acht hier an Ort und Stelle und ich punktiere Sie höchstpersönlich. Und verspreche Ihnen auch, dass Sie am Samstag Vormittag diese werten Hallen wieder verlassen dürfen, WENN bis dahin kein auffälliges Ergebnis vorliegt. Können Sie damit leben?“
Ich rollte mit den Augen (ich vergesse heute manchmal noch, dass man das ja trotz der Maske sehen kann). Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass er so was sagen würde wie „ich schreibe Ihnen jetzt ein bisschen Kortison auf, dann kriegen wir das schon wieder in den Griff.“ Aber da wären wir ja wieder beim Thema „träumen“. „Also gut, überredet. Wenn die Symptome nicht besser werden, komme ich am Freitag morgen zu Ihnen. Und wehe, ich darf dann nicht wieder zeitnah abhauen, wenns mir gut geht.“
Er strich mir beim Rauslaufen fast schon beruhigend über den Rücken.
„Machen Sie sich keine Gedanken, ich werde so vorsichtig punktieren, dass Sie ohne Probleme am nächsten Tag wieder gehen können.“ Und wieder grinste er. „Sie würde ich gerne mal ohne diese Asymmetrie sehen.“ Ich schüttelte leicht schmunzelnd den Kopf und sah zu, dass ich vom Acker kam.
Die ganze Heimfahrt überlegte ich hin und her, was ich jetzt machen sollte.
Auf eine Punktion hatte ich erwartungsgemäß überhaupt keine Lust. War aber vernünftig genug, um darüber nachzudenken. Daheim berichtete ich Thorsten von dem Plan des Arztes und sah ihm an, dass er wusste, dass seine Frau eher NICHT am Freitag morgen um acht in Heidelberg sein würde. Die nächsten drei Tage konnten sich meine Symptome nicht wirklich auf irgendwas einigen. Mal war es besser, mal wieder viel schlechter. Freitags gegen Mittag klingelte mein Handy. Zu meiner großen Überraschung war es der Arzt, der mich in der Kopfklinik in der Mangel gehabt hatte. „Ich wollte mal fragen, wie es Ihnen geht. Da sie heute morgen nicht bei mir auf dem Tisch lagen, gehe ich davon aus, dass sich die Symptome gebessert haben.
Oder??“ Ich fühlte mich auf der Stelle schwerst ertappt. „Nun ja“, druckste ich ein wenig herum, „so richtig weg sind sie ehrlich gesagt noch nicht. Aber schon ein klitzekleines bisschen besser, wirklich. Ich glaube immer noch nicht an eine Hirnhautentzündung. Und auch nicht daran, dass man mich unbedingt punktieren lassen muss.“ Und schon lachte er wieder. „Also gut, dann lasse ich Ihnen übers Wochenende Schonfrist. Aber ich werde mich nächste Woche nochmal bei Ihnen melden.“ Meine Güte, der war aber mal hartnäckig. Aber gut, dann konnte ich mich die nächsten Tage erstmal wieder auf etwas anderes konzentrieren.
Ich hatte in letzter Zeit immer mehr das Bedürfnis, mal wieder etwas zu essen, was ich mir jetzt schon wieder so lange verkniffen hatte. Und was ich ja eigentlich, meinem letzten „Experiment“ im April zufolge, vertrug. Die Rede ist von Kinderriegeln. Eines schönen Vormittags also, an dem Katharina bei mir im Esszimmer bei einem Kaffee saß, schnappte ich mir eines meiner begehrten Objekte. Ich wusste, wenn ich jetzt Panik bekommen würde wäre sie da und würde mich da wieder rausholen. Sie sah mich zweifelnd den Riegel anstarren und knurrte dann ein energisches „Iss, ich bin doch da!“ Und dann genoss ich einfach nur noch! Es war um Längen besser als noch vor acht Monaten. Warum kann ich gar nicht sagen. Vielleicht lag es ja auch an meinem verschobenen Gesicht.
Ich wusste, ab jetzt würde Schokolade wieder ein fester Bestandteil in meinem Leben werden. WIE fest und was ich damit dann tatsächlich noch alles anstellen konnte, merkte ich aber dann erst im Neuen Jahr.
Ich hatte nun noch gut die Hälfte meines Adventskalenders vor mir und wusste, meine veränderte Optik würde manchen bestimmt auffallen. Also drehte ich ein kurzes Video, in dem ich erklärte, warum ich gerade aussah als wäre ich in eine Schlägerei geraten. Dann machte ich mich an die Planung weiterer Beiträge. Ela und ich hatten nun schon drei gemeinsame Lieder produziert, und alle drei waren sie wunderbar angekommen. Ich war sogar so weit gegangen und hatte mich, seit Jahren mal wieder, für das legendäre „Jingle Bells“ spielend und singend an meine Orgel gesetzt. Und ich hatte einen unglaublichen Spaß.
Mitte Dezember verabschiedete sich dann unser „Ronja-Fisch“ in die ewigen Jagdgründe (vielleicht erinnert Ihr Euch noch an sie.) Und ich wollte eigentlich so schnell wie möglich wieder Ersatz. Also sind wir am 18. mal wieder ab Richtung „Kölle-Zoo“ nach Heidelberg. Eigentlich nur, um einen neuen Kampffisch zu holen. Dann sind wir aber durch Zufall irgendwie ins Obergeschoss geraten (schon mit einem neuen Fisch im Schlepptau, also in der Transporttüte). Und im Obergeschoss piepts (also wie bei so manchen Menschen im wahren Leben.) „Guck mal Muddi, wie wäre es mit einem Vogel?“ Die Augen meines Gemahls begannen zu leuchten. „Du meinst, zu dem, den wir beide eh schon haben?“ Ich grinste ihn unter der Maske an. Wir schlenderten mit der Fischtüte durch die gefiederten Reihen. Aus manchen Käfigen drang unglaublicher Lärm. Aus anderen pfiff es fröhlich und ganz vorne an der Treppe krakeelte ein Nymphen-Sittich. „Bloß nicht sowas!“ Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Wir hatten früher zuhause auch Vögel, einen Wellensittich, einen Kanarienvogel und so einen Schreihals.
Die geben keine Ruhe und sind den ganzen Tag nur am Motzen. Ich weiß noch, dass man beim Fernsehen schauen manchmal kein Wort verstanden hat.“ Und somit war der Nymphen-Sittich natürlich vom Tisch.
Dafür blieben wir beide vor einer Voliere mit kleinen gelben Flauschbällchen stehen. Kanarienvögel! Ich wusste, auch von Katharina, dass auch Wellensittiche gerne mal die Gegend voll brüllten und im Allgemeinen ziemlich laut waren. Und als wir so davor standen merkte ich, dass es eigentlich schön wäre, noch ein paar lebendige Wesen mehr im Haus zu haben. Also natürlich nichts, womit ich Gassi gehen musste, was einen Haufen Dreck machte oder überall Haare verteilte.
Und mit Vögel schienen wir da doch die richtige Wahl getroffen zu haben.
Also, warum eigentlich nicht?