Mühlengeheimnisse - Susi Menzel - E-Book

Mühlengeheimnisse E-Book

Susi Menzel

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Beschreibung

Das befreundete Autorenduo Susi Menzel und Brigitta Rudolf hat sich durch die zahlreichen Wind- und Wassermühlen in ihrer Umgebung zu insgesamt achtzehn Geschichten inspirieren lassen, die alle in und um Mühlen angesiedelt sind. Liebe, Abenteuer und Historisches spielen eine Rolle. Natürlich sind auch Katzen, Hexen, Gespenster und ein Vogel dabei. Mit schwarz-weiß Fotos und Zeichnungen.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Müller Fritz und der Apfelbaum

„Kaspar, der Mühlenkater“

Das Geheimnis der alten Mühle

Die Mühlenhexe Zirphaela

Schattenkünstler

Kater Elvis und die Jubiläumsfeier in der Windmühle

Es klappert die Mühle am rauschenden Bach…

Emmi, das Mühlengespenst und das weiße Kleid

Die Zwillingsmühlen von Greetsiel

Hajo

Der Müller und der Spatz

Die kleine Wassernixe

Mia, die Mühlenkatze

Die Familienfeier der Gespenster

Begegnung auf der Schiffmühle

Der garstige Müller

Neues Leben in der alten Mühle

1869 – Das Versteck der Nachtigall

Über die Autorin Brigitta Rudolf

Über die Autorin Susi Menzel

Vorwort

„Im Mühlengebälk es knarrt und kracht und rumpelt und knarzt bei Tag und Nacht“

So war es früher einmal. Doch wie ist es heute?

Während heute Mehl in Fabriken hergestellt wird, sind viele Wind- und Wassermühlen aus alter Zeit nur noch als Denkmal erhalten. Viele wurden restauriert und dadurch für Mühlentage zu neuem Leben erweckt.

Da die beiden Autorinnen im Mühlenkreis Minden – Lübbecke leben, liegt es nahe, dass sie auch Geschichten und Märchen schreiben, die in Mühlen spielen, denn immerhin regen diese alten Baudenkmäler schon immer die Fantasie der Menschen an – und die von Autorinnen natürlich sowieso.

Achtzehn Geschichten sind entstanden, in denen Liebe, Abenteuer, historische Ereignisse eine Rolle spielen, aber auch Gespenster, Hexen, Nixen, Katzen, Hunde und sogar ein Spatz die Helden sind.

Wir wünschen allen Lesern viel Spaß beim Erkunden des Mühlenlebens.

Susi Menzel und Brigitta Rudolf

Susi Menzel

Müller Fritz und der Apfelbaum

Fritz schmiegte sich an den Stamm des Apfelbaums. Die rissige Rinde fühlte sich hart und weich zugleich an. Dieser Apfelbaum war SEIN Baum. Der war jetzt 18 Jahre alt. Das wusste er so genau, weil er ihn selber aus Apfelkernen gezogen hatte. Aus den letzten drei Kernen des Apfels, der ihm vor 18 Jahren das Leben gerettet hatte. Erst vor kurzem hatte er erfahren, dass sein Baum noch einige Geschwister hatte, wenn man es bei Bäumen denn so nennen mag.

Ein einziger Apfel hatte reichen müssen, ihn damals bei Kriegsende im Jahr 1918 ein ganzes Stück weiter nach Hause zu bringen. Fritz war von Süden aus, wo er stationiert gewesen war, bereits bis Kassel gekommen. Auf dem Marktplatz hatte ein Bauer den Apfel achtlos zur Seite geworfen, weil er schon leicht angefault war. Er war hinter das Bein einer Sitzbank gerollt, sodass ihn bislang niemand entdeckt hatte. Die anderen Kriegsheimkehrer lungerten genau wie er mit knurrendem Magen an den Marktständen herum, in der Hoffnung, dass die Bauern ihnen etwas zu essen gaben. Fritz hatte zwei Möhren ergattert und setzte sich erschöpft auf die Bank, um genüsslich eine Möhre sorgfältig zu kauen. Die andere hatte er vorsichtshalber unter dem Hemd versteckt. Dort war sie wenigstens halbwegs sicher. Vor Flüchtlingen mit Hunger musste man sich in Acht nehmen. Diese ausgezehrten Kreaturen, die ein erbarmungsloser Krieg ausgespuckt hatte, kämpften ums Überleben – mit jedem Bissen, den sie überhaupt bekommen konnten. Ausgemergelt nur noch Haut und Knochen, viele mit nur einem Arm oder Bein, noch mehr mit grässlich schlecht verheilten Narben am Körper war es ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebten. Es schien fast so, als hätte der Tod vergessen, sie mitzunehmen.

Die meisten versuchten, genau wie auch Fritz, irgendwie nach Hause zu kommen. Zu Fuß, ohne Verpflegung, ohne zu wissen, ob es das Zuhause überhaupt noch gab, stolperten sie Kilometer für Kilometer vorwärts. Durch eine Landschaft, in der so vieles zerstört worden war. Auch die Daheimgebliebenen, zumeist waren es Frauen, hatten kaum noch Lebensmittel. Obwohl sie es gern getan hätten, hatten sie kaum etwas abzugeben. Es gab zu wenig Essen und es gab außerdem viel zu viele hungrige Kriegsheimkehrer.

Fritz sah den Apfel unter der Bank, als ihm ein Stück Möhre heruntergefallen war. Schnell steckte er ihn in seine löcherige Manteltasche. Dann stapfte er blicklos weiter nach Norden. Dort oben war seine Mühle, sein Zuhause. Hoffentlich stand sie noch. Und hoffentlich lebte noch jemand von seiner Familie.

Drei Tage lang hatte er nur zerstörte Häuser und keinen noch einzigen Menschen gesehen. Drei Tage lang war der Apfel seine einzige Nahrung gewesen. Es war Mitte November und schon recht kalt. Kein Baum hatte noch Früchte, auch die Nüsse waren bereits abgeerntet. In diesen schweren Zeiten würde niemand irgendetwas Essbares übersehen. Durch den Frost gab es leider auch keine essbaren grünen Blätter irgendwelcher Art mehr. Der Dauerregen der letzten Tage hatte seine Kleidung völlig durchnässt. Am dritten Tag hatte er gemerkt, dass er keine Kraft mehr hatte. Wieder einmal, wie so oft im Krieg, hatte er mit dem Leben abgeschlossen, als er unter einem Baum Rast gemacht hatte und nicht mehr hatte aufstehen können. Alles um ihn herum war schwarz geworden.

Als er wieder aufgewacht war, lag er auf einem Bett. Zugedeckt mit einer weichen Decke. Ein Glas Wasser stand auf dem Schränkchen neben ihm. Er trank es gierig aus. Dabei überlegte er, dass er wohl kein Kriegsgefangener geworden sei, denn die Siegermächte gingen mit ihren Gefangenen nicht gerade zimperlich um. Eine warme Decke würden sie ihnen auf keinen Fall überlegen.

Als die Zimmertür geöffnet wurde, war Fritz wie elektrisiert in die dunkle Ecke des Zimmers gesprungen und hatte sich zitternd zusammengekauert. Niemandem konnte man trauen!

Eine Frau war hereingekommen. Sie hatte eine Schale mit heißer, dampfender Suppe in der Hand. Kurz stutzte sie, als sie Fritz in der Ecke sitzen sah, beachtete ihn aber nicht weiter. Die herrlich riechende Suppe stellte sie auf den Nachttisch. „Ich hoffe, dass meinem Mann auch jemand hilft, nach Hause zu kommen. Ich brauche ihn so dringend hier. Zwar hatte ich Glück, dass sie ein Feld nicht entdeckt haben. Ich konnte sehr viele Kartoffeln ernten. Sie werden uns durch den Winter bringen. Damit sie sie nicht finden, habe ich sie hier wieder eingebuddelt und sogar Holz auf die Stelle gelegt.“

Fritz schmunzelte. „So hat es meine Mutter auch gemacht. Ich habe ihr geholfen, bis ich doch noch in den letzten Wochen des Krieges eingezogen worden bin.“ Er wurde ernst. „Hoffentlich haben sie es auch ohne mich geschafft.“

Die Suppe tat ihm gut. Aber er wollte auch gleich weiter. Er zog den Mantel an und fühlte in der Tasche die Reste des Apfels. Das Kerngehäuse lutschte er noch einmal komplett aus. Da er nichts anderes hatte, wusch er die verbliebenen Kerne ab und legte fünf Stück als Dankeschön auf den Nachttisch. Die Frau würde es schon richtig verstehen. Die restlichen Kerne wanderten in seine Hosentasche.

Er bedankte sich noch einmal herzlich bei der Bauersfrau, die ihm den Weg nach Norden zeigte. Das war jetzt achtzehn Jahre her. Aus den Kernen hatte er Bäumchen gezogen. Drei waren aufgegangen, aber nur einer, eben dieser, an dem er gerade lehnte, war groß geworden und trug Äpfel. Köstliche Äpfel, die man lange lagern konnte und die ihm den Winter versüßten.

Erst vor einigen Jahren war in die Gegend gefahren, um die Bauersfrau, die ihm damals geholfen hatte, und den Hof zu suchen. Er hatte ihn auch gefunden. Die Frau hatte vergeblich auf ihren Mann gewartet. Er war gefallen und sie hatte später wieder geheiratet. Sie erzählte ihm stolz, dass auch sie aus den Apfelkernen Bäume hatte ziehen können. Bei ihr waren drei Stück groß geworden. Sie trugen so reichlich Früchte, dass sie der Grundstein für die große Streuobstwiese geworden sind, die dazu geführt hat, dass sie eine Mosterei hatten gründen können.

Die Frau und Fritz freuten sich, dass sie sich damals in der schweren Zeit kennengelernt hatten und durch den kleinen, fast verfaulten Apfel beide eine Zukunft bekommen hatten.

Daran dachte Fritz, als er traurig an seinem Apfelbaum lehnte und auf die Kinder, die ihn geärgert hatten, wütend war. Natürlich kannten die Kinder seine Geschichte nicht. Diese Kinder ärgerten ihn in der Erntezeit fast täglich. Wenn sie aus der Schule kamen und an seiner großen Streuobstwiese vorbei nach Hause gingen, kletterten sie immer zielgerichtet auf „seinen“ Apfelbaum, knickten Äste ab und rissen die Äpfel herunter, ohne dass sie sie essen wollten. Nur so aus Lust am Ärgern machten sie das und nicht, weil sie Hunger hatten. Einmal hatte er vor Wut sogar die Hunde auf sie gehetzt. Gottseidank hatten die keinen gebissen, sondern sie nur verjagt. Aber er konnte es einfach nicht verstehen, warum diese Kinder ihn immer wieder so ärgern mussten.

Er weinte, als er daran dachte. „Vielleicht hat es morgen endlich die 25°, damit sie Hitzefrei haben. Dann hätten wir mal einen Tag lang frei und sie ließen uns in Ruhe.“

Zärtlich strich er dem Baum über die raue Rinde.

Er versuchte aufzustehen. Das klappte nicht gleich. „Ach Baum, die armen Knochen und die Narben tun mir so weh. Warum war der Krieg nur so grausam“, heulte er laut. Das hörte Frieda. Sie hatte sich von der Gruppe, der ihre kleine Schwester angehörte, abgesondert.

Dieses „Müllerärgern“ machte ihr schon lange keinen Spaß mehr. Als die anderen Kinder weggerannt waren, hatte sie sich in den Busch am Rand der Wiese gesetzt. Sie wollte nicht schon wieder Ärger mit den Eltern bekommen. Frieda schämte sich plötzlich sehr, als sie diesen grummeligen, scheinbar starken Mann so weinen hörte. Langsam ging sie zu ihm hin und setzte sich neben ihn.

Nachdem sie ihn gefragt hatte, warum er sich so über die paar Äpfel, die die Kinder klauten, aufregte, erzählte Fritz seine Geschichte.

„Ich hoffe, dass ihr Kinder das nie erleben müsst. Aber leider, jetzt im Jahr 1937, riecht es schon wieder nach Krieg. So wie jetzt war es vor dem 1. Weltkrieg. Man hört immer öfter von Panzern, die Soldaten haben immer mehr Manöver und man spricht von Feinden.“ Fritz schaute Frieda traurig an. Sie starrte ihn ungläubig an. „Krieg? Hier? Warum sollte das so sein?“ „Nie weiß jemand letzt-endlich, warum es Krieg gibt. Niemand will, dass Millionen Menschen sterben. Und doch ist es so.“

Frieda war schockiert. Sie nahm sich vor, ihre Schwester und deren Freunde davon abzuhalten, den Müller weiter zu ärgern. Äpfel würde sie fortan auch anders ausschauen.

Zwei Jahre später, 1939, begann der Zweite Weltkrieg.

Fritz wurde 1944 eingezogen. Bis dahin galt er als Müller mit Mühle als lebenserhaltend für das Dorf und durfte zuhause bleiben. Aber die Menschen, die das Land verteidigten, wurden immer weniger. Schließlich wurde alles eingezogen, was irgendwie laufen konnte, egal wie alt oder krank er war.

Noch 1944 fiel Fritz in seinem ersten Einsatz an der Front. Das Land wurde wieder völlig zerstört.

Sein geliebter Apfelbaum hingegen half der gesamten Müllerfamilie noch viele Jahre lang, die harten Winter zu überstehen.

Diese Geschichte ist historisch an das Schicksal des Müllers Heinrich Hohmeyer von der Windmühle Meißen bei Minden angelehnt, der 1944 bei seinem ersten Fronteinsatz gefallen ist.

Brigitta Rudolf

„Kaspar, der Mühlenkater“

Hier in unserer Mühle in Meißen kann man gut leben, auch als Kater. Der Müller ist ein fleißiger, etwas wortkarger Mann, die Hausfrau ist gutmütig und gibt mir sogar ab und zu ein Schälchen Milch, wenn ich ihr mal wieder eine besonders fette Maus gebracht habe. Dann gibt´s hier noch zwei bildhübsche Töchter. Die Kathrin, meistens wird sie nur kurz Trin gerufen, und die Liese, das ist die Ältere. Ja, und Mäuse, die gibt´s hier natürlich im Überfluss, da werde ich nie arbeitslos, und zu beißen habe ich auch immer genug. Aber jetzt liegt was in der Luft – ich spüre es genau, auch wenn ich nicht weiß, was es sein wird, aber mit unserem schönen, ruhigen Leben wird es sicher bald vorbei sein, fürchte ich.

Jetzt ist es geschehen, auf den Barthelhof ist ein neuer Knecht gekommen und der hat ein Auge auf meine Trin geworfen. Ich habe es genau gesehen. Sie saßen zusammen am Mühlenweiher und hielten Händchen in der letzten Nacht. Heimlich hat sie sich aus ihrer Kammer geschlichen, um ihn zu treffen.

„Er ist ein so schmucker Bursche“, das hat sie zu Liese gesagt – ich hab´s genau gehört. „Aber der hat doch nix in den Taschen, oder?“, hat die Liese ihr geantwortet. Daraufhin hat die Trin nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, das sei ihr ganz egal. Was bloß die Müllerleute dazu sagen werden?

Wusste ich es doch, der fesche Bursche hat sie eine Weile später ins Unglück gestürzt, meine Trin. Sie sitzt nur noch in ihrer Kammer und heult schon seit einigen Tagen. Ihre Mutter ringt die Hände und der Müller läuft mit grimmigem Gesicht umher. Der neue Knecht vom Barthelhof ist nämlich seither verschwunden. Blöder Kerl, aber zum Müllerburschen hätte er ohnehin wohl nicht getaugt. Trin hat auch behauptet, dass ihr Freund ihr versprochen hat, dass er zurückkommen und sie holen will, aber wo bleibt er denn? Der Johann von dem großen Meierhof, der wollte die Trin schon lange heiraten, aber sie wollte ihn nicht. Jetzt verlangen ihre Eltern, dass sie zustimmt und ihn nimmt, aber sie sagt, lieber geht sie in die Weser als Johann zum Mann zu nehmen. Wenn ich ihr doch nur helfen könnte! Aber wenigstens in ihrer Nähe bleiben und auf sie aufpassen, das kann und werde ich tun – so wahr ich Kaspar heiße!

Oh je, das Unglück, das unsere Mühle gestreift hat, reißt nicht ab. Jetzt hat uns in der letzten Nacht jemand den roten Hahn aufs Dach gesetzt. Ich habe es als Erster bemerkt, den Brandgeruch wahr-genommen und schnell die Trin geweckt. Sie ist jetzt immer so müde, deshalb musste ich richtig laut und lange maunzen, bis ich sie endlich wach hatte, aber dann sind wir losgerannt und haben Liese und ihre Eltern auch aus den Betten geworfen. Liese ist gleich zum Meierhof gelaufen, damit die Leute uns helfen konnten, den Brand zu löschen. Zum Glück war es noch früh genug, die Mühle zu retten, aber trotzdem ist ein tüchtiger Schaden entstanden. Meine Freundin Trin hat allen erzählt, dass ich es war, der sie geweckt und alle damit gerettet habe. Sonst wären meine Leute womöglich in ihren eigenen Betten verbrannt. Ich mag gar nicht daran denken! Das war wirklich eine lange, anstrengende Nacht, und es wird sicher einige Zeit dauern, bis unsere Mühle wieder voll funktionsfähig sein wird.

Ich habe einen Mann wegrennen sehen, und ich glaube fast, ich habe den Johann vom Meierhof erkannt, ganz kurz bevor ich den komischen Geruch in meine Nase bekam. Aber das kann ich keinem erzählen, die verstehen mich ja leider nicht. Der scheinheilige Kerl tauchte am nächsten Tag hier auf und wollte sich nach Trin erkundigen, aber sie wollte ihn nicht sehen; das hatte er nun davon! Ob sie etwas ahnt? Jedenfalls besteht der Müller seitdem nicht mehr darauf, dass sie ihn unbedingt heiraten soll. Aber wisst Ihr was? Einige Tage darauf hat er im Wirtshaus damit geprahlt, dass er genau weiß, wer für das Unglück im Müllerhaus verantwortlich ist, und da sind alle misstrauisch geworden. Ich hoffe, er verplappert sich noch mal und erzählt dann tatsächlich, dass er es selbst gewesen ist, der den Brand gelegt hat, denn dann wird er im Schützenhaus eingesperrt und kann kein Unheil mehr anrichten.

Man glaubt es ja nicht, aber der ehemalige Knecht ist tatsächlich zurückgekommen, aber als feiner Herr! Ich habe meinen Augen kaum getraut, als er plötzlich vor der Tür stand. Die Trin ist sofort in seine Arme gestürzt und hat gleichzeitig geweint und gelacht! Liese und die Müllerin konnten erst gar nicht glauben, was er ihnen erzählt hat. Er stammt nämlich von einem großen Hof einige Dörfer weiter und hatte sich mit seinem Vater und seiner Mutter zerstritten, weil er ein Mädchen heiraten sollte, was er nicht mochte. Die ist eine reiche Bauerntochter und ihre und seine Eltern wollten gern, dass die beiden Höfe zusammenkommen sollten. Deshalb ist er von zuhause fortgelaufen. Hier auf dem großen Erntefest im letzten Herbst hat er dann die Trin kennen und lieben gelernt. Deshalb musste er nach Hause zurück, um sich mit seinen Eltern wieder zu versöhnen. Natürlich hat es einige Wochen gedauert, bis die eingesehen haben, dass er die Trin, und nur die Trin, wirklich lieben kann! Da haben sie endlich nachgegeben und ihm erlaubt, sie zu sich zu holen. Sie hat ihn ja nur als Knecht gekannt und war natürlich ganz freudig überrascht zu hören, dass er in Wirklichkeit aber ein wohlhabender Bauernsohn ist und den elterlichen Hof übernehmen soll. Jetzt ist er also endlich gekommen, um meine Trin mitzunehmen. Klar, aber erst wird geheiratet, das hat der Müller verlangt, und deshalb wird es bald ein großes Fest geben, hier in unserer Mühle in Meißen – das wird sicher für alle im Dorf unvergesslich!

Und wisst Ihr was? Der Johann hat inzwischen tatsächlich zugegeben, dass er seinerzeit den Brand in unserer schönen Mühle gelegt hat; er war so böse, weil die Trin nicht bereit war, ihn zu heiraten, da wollte er sich an ihr rächen. Seine Eltern sind für den Schaden an der Mühle aufgekommen und entschuldigt hat er sich auch, aber trotzdem wird er noch eine ganze Weile im Schützenhaus „brummen“ und das hat er auch verdient!

Das findet jedenfalls Euer Kaspar, der Kater aus der Mühle in Meißen!

Brigitta Rudolf

Das Geheimnis der alten Mühle

Wie gut, dass Philipp die alte Mühle am Rande des großen Moores bei einem seiner Streifzüge über Land entdeckt hatte. Sie erschien ihm ideal für sein Vorhaben. Die Mühle, einst der ganze Stolz ihrer Besitzer, stand nun schon lange still. Die jetzigen Inhaber hatten offenbar weder Interesse an dem Gebäude, noch das Geld, um sie restaurieren zu lassen. Einen Mühlenverein gab es in dem kleinen Dorf sicher auch nicht. Die jungen Leute waren so gut wie alle in die Stadt gezogen, und die Alten kümmerten sich nicht mehr um Dinge, die sie nicht unmittelbar betrafen – zum Glück. Inzwischen hatte das Unkraut, vor allem die üppig wuchernden Brennnesseln, komplett die Herrschaft über den großen Garten übernommen, Die Windmühle stand weit vom Ortskern entfernt. Sie war ein „Lost Place“ geworden, weil sich seit langen Jahren keiner mehr dafür interessierte. Außer vielleicht noch den zahlreichen streunenden Katzen des Dorfes, denn Mäuse gab es auf dem großen Areal sicher genug. Ein Platz, den so gut wie niemand aufsuchte, ideal also für seine Pläne, fand Philipp. Es gab nämlich im Nachbardorf einen kleinen Landgasthof. Er überlegte dort ein Zimmer zu nehmen und sich als normaler Tourist auszugeben. Schließlich gab es im Moor und dem Wald daneben viele seltene Vögel und Pflanzen zu beobachten. Aber dann verwarf er den Gedanken wieder; es war besser, wenn er in keiner Weise mit diesem Ort in Verbindung gebracht werden konnte.

Inzwischen hasste er seine alte Mutter regelrecht! Sie verstand einfach nicht, dass es das Glücksspiel war, das ihn so reizte und ihn immer wieder in seinen Bann zog. Was hatte er sonst noch vom Leben? Alles hatte seine Mutter ihm vermasselt, alles. Anfangs hatte sie vehement versucht ihn mit einer der „höheren Töchter“ aus ihrem großen Bekanntenkreis zu verkuppeln. Dass er auf Männer stand, das wollte sie einfach nicht wahrhaben. Sein momentaner Lover-Boy hieß Jan-Luca. Der stellte hohe Ansprüche, und außerdem war Philipp in letzter Zeit beim Pokern nur selten auf der Siegerstraße unterwegs gewesen. Daher waren seine Schulden immens gewachsen, während seine Mutter auf ihrem Geld saß und sich weigerte, ihm auch nur die kleinste zusätzliche Unterstützung zu gewähren, obwohl er ihr erklärt hatte, in welch aussichtsloser Lage er sich befand. Offiziell bekleidete er in ihrer Firma das Amt eines zweiten Geschäftsführers und erhielt ein entsprechendes Gehalt, aber in der Praxis sah es so aus, dass er sich nur sporadisch in der Firma sehen ließ und seiner Mutter weitestgehend die Geschäfte überließ. Natürlich war sie deshalb verärgert, aber er konnte ihr ohnehin nichts recht machen, daher hatte er die Segel gestrichen und sich deshalb immer mehr zurückgezogen. Seine vielen Gläubiger rannten ihm inzwischen scharenweise die Türen ein. Was allerdings noch schlimmer war, dass der Kredit-Hai, an den er sich in seiner Not gewandt hatte, ihm weitere körperliche Strafaktionen androhte, sollte er jetzt nicht binnen vierzehn Tagen seine Schulden bei ihm begleichen. Einmal hatte der skrupellose Kerl ihm bereits einen Schlägertrupp auf den Hals gehetzt und das war wahrlich kein Spaß gewesen. Er wünschte, er könnte einen Neuanfang machen – irgendwo auf der Welt.

*

So war er auf die Idee gekommen, seine Mutter zu entführen, um sie zu zwingen, ihm zumindest einen Scheck über die dringend benötigte Summe auszuschreiben. Dafür brauchte er einen Ort, der abgelegen genug war, um sie einige Tage dort festzuhalten. Aber für ihren Aufenthalt mussten erst einige Vorbereitungen getroffen werden. Deshalb fuhr er erneut zu der verlassenen Mühle und stellte dort seinen Wagen ab. Vorsichtig sah er sich um, nein, es war niemand zu sehen. Die große, hölzerne Eingangstür schien noch recht stabil zu sein. Sein erster Eindruck hatte ihn nicht getrogen. In weiser Voraussicht hatte er seinen Werkzeugkasten mitgebracht. Zwar konnte er das an der Tür angebrachte Vorhängeschloss schnell aufbrechen, aber die Tür selber gab nicht nach, als er sich dagegenstemmte. Wahrscheinlich hatte sich das Holz im Lauf der langen Jahre durch Wind und Wetter verzogen. Also nahm er Anlauf und versuchte sie auf diese Weise zu öffnen. Erst beim dritten Versuch rührte sich die Tür und gab ein wenig nach, und nach zwei weiteren Anläufen sprang sie endlich auf. Geschafft! Es wurde auch Zeit, denn seine rechte Schulter schmerzte bereits beträchtlich. Philipp keuchte vor lauter Anstrengung, aber er war sehr zufrieden mit sich. Nachdem er sich einen Moment erholt hatte, betrat er das Innere der Mühle. Wie erwartet waren nur noch wenige der alten Gerätschaften vorhanden. Ein Schemel und ein kleiner Tisch standen in einer Ecke, sowie eine arg verbeulte Zinkwanne. Er musste wohl oder übel wenigstens einen halbwegs bequemen Stuhl und eine zusammenklappbare Liege herschaffen. Der Schmutz und die vielen Spinnweben störten ihn nicht im Geringsten. Seine Mutter, die eine äußerst penible Dame war was ihr Äußeres betraf, würde ganz sicher eine Waschgelegenheit vermissen. Sollte sie, eine Dusche konnte er ihr hier nicht bieten. Nun musste er nur noch den richtigen Zeitpunkt abwarten, um sein Vorhaben auszuführen. Aber er hatte nicht mehr viel Zeit, soviel war klar. So gut es ging, zog er die schwere Holztür der alten Windmühle hinter sich zu, und machte sich auf den Heimweg. Um die Tür von außen fest verschließen zu können, würde er im Baumarkt einen eisernen Riegel besorgen müssen. Morgen oder übermorgen konnte er dann noch einmal hierherfahren, um alles vorzubereiten, denn schon am kommenden Wochenende sollte die Aktion starten, nahm er sich vor. Wenn es ihm gelang, seine Mutter am Freitag, nachdem sie aus der Firma zurück nach Hause gegangen war, hierherzubringen, konnte er sie sicher das Wochenende über festhalten, ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Vielleicht würde es ihm in der Zeit gelingen, sie weich zu kochen, das hoffte er jedenfalls. Verdammt nochmal, sie sollte ihm doch nur einen Scheck in der benötigen Höhe ausstellen, mehr nicht. Aber was war, wenn sie sich weigerte, das zu tun? Darüber mochte er lieber noch nicht nachdenken.

Nachdem er zwei Tage später alles Nötige besorgt hatte, machte er sich erneut auf dem Weg. Fehlte noch etwas? Nein, an das Wichtigste hatte er gedacht. Nachdem er die Mühle für den Aufenthalt seiner Mutter hergerichtet hatte, fuhr er zurück in die Firma. Die Angestellten waren es gewohnt, dass er kam und ging wie er wollte, daher stellte niemand Fragen, wo er so lange geblieben war. Nur seine Mutter runzelte unwillig die Stirn, als sie sah, dass er wieder einmal erst nach der Mittagspause im Büro auftauchte, aber sie fragte ihn nicht, wo er sich rumgetrieben hatte. Sie ahnte, dass sie von ihrem Sohn ohnehin keine vernünftige Antwort erhalten würde. Wie sollte das nur weitergehen? Sie wusste genau, er hatte Spielschulden. Wie oft hatte er ihr schon versprochen, damit aufzuhören, aber diese Zusage hatte er nie eingehalten. Sie war der Meinung, dass er einmal so richtig auf die Nase fallen musste, um endlich davon loszukommen. Er war leider ohnehin eine große Enttäuschung für sie, denn nach dem Tod ihres Mannes hatte sie gehofft, er würde jetzt endlich eine Familie gründen, die Firmenleitung übernehmen und in ihrem Sinne weitermachen. Aber weit gefehlt. Philipp suchte sich immer die falschen