Mythor 94: Der Frostpalast - W. K. Giesa - E-Book

Mythor 94: Der Frostpalast E-Book

W. K. Giesa

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Beschreibung

Mythor, der Sohn des Kometen, hat in der relativ kurzen Zeit, da er für das Bestehen der Lichtwelt kämpfte, bereits Großes vollbracht. Nun aber hat der junge Held Gorgan, die nördliche Hälfte der Welt, längst verlassen und Vanga, die von den Frauen regierte Südhälfte der Lichtwelt, erreicht, wo er von der ersten Stunde seines Hierseins an in gefährliche Abenteuer verstrickt wurde. Diese Geschehnisse nahmen ihren Anfang im Reich der Feuergöttin, wo Mythor für Honga, einen aus dem Totenreich zurückgekehrten Helden gehalten wurde. Es kam zur Begegnung mit Vina, der Hexe, und Gerrek, dem Mann, der in einen Beuteldrachen verwandelt worden war. Es folgten Kämpfe mit Luftgeistern und Amazonen, es kam wiederholt zu Mythors Gefangenschaft, zur Flucht und zu erneuten Kämpfen mit denen, die sich an Mythors Fersen geheftet hatten. Trotz aller Fährnisse hat Mythor nie sein eigentliches Ziel in Vanga aus den Augen verloren - das Ziel, seiner geliebten Fronja, der Tochter des Kometen, die er am Hexenstern in arger Bedrängnis weiß, zu Hilfe zu kommen. Und jetzt ist Mythor mit seinen Gefährten in unmittelbarer Nähe dieses Zieles. Zusammen mit Zaems Amazonenheer hat der Sohn des Kometen den "Nabel der Welt" erreicht. Seine erste Wegstation ist DER FROSTPALAST ...

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Nr. 94

Der Frostpalast

von W. K. Giesa

Mythor, der Sohn des Kometen, hat in der relativ kurzen Zeit, da er für das Bestehen der Lichtwelt kämpfte, bereits Großes vollbracht. Nun aber hat der junge Held Gorgan, die nördliche Hälfte der Welt, längst verlassen und Vanga, die von den Frauen regierte Südhälfte der Lichtwelt, erreicht, wo er von der ersten Stunde seines Hierseins an in gefährliche Abenteuer verstrickt wurde.

Diese Geschehnisse nahmen ihren Anfang im Reich der Feuergöttin, wo Mythor für Honga, einen aus dem Totenreich zurückgekehrten Helden gehalten wurde. Es kam zur Begegnung mit Vina, der Hexe, und Gerrek, dem Mann, der in einen Beuteldrachen verwandelt worden war. Es folgten Kämpfe mit Luftgeistern und Amazonen, es kam wiederholt zu Mythors Gefangenschaft, zur Flucht und zu erneuten Kämpfen mit denen, die sich an Mythors Fersen geheftet hatten.

Trotz aller Fährnisse hat Mythor nie sein eigentliches Ziel in Vanga aus den Augen verloren – das Ziel, seiner geliebten Fronja, der Tochter des Kometen, die er am Hexenstern in arger Bedrängnis weiß, zu Hilfe zu kommen.

Und jetzt ist Mythor mit seinen Gefährten in unmittelbarer Nähe dieses Zieles. Zusammen mit Zaems Amazonenheer hat der Sohn des Kometen den »Nabel der Welt« erreicht. Seine erste Wegstation ist DER FROSTPALAST ...

Die Hauptpersonen des Romans

Mythor – Der Sohn des Kometen auf dem Weg zum Nabel der Welt.

Scida, Kalisse und Gerrek – Mythors Gefährten.

Tertish – Die Todgeweihte jagt Mythor.

Zaem – Die Zaubermutter bläst zum Großangriff.

Zonora

1.

Nachdenklich betrachtete Mythor das eigentümliche Bild, das sich ihm bot. Mit ein wenig Phantasie hätte man die Gestalt für einen der eigenartig geformten, knorrigen Bäume halten können, die in dieser düsteren Landschaft aufragten, aber etwas störte, und das war die Bewegung.

»Es ist nicht so«, brummte Mythor überlegend, »dass der Schwanz mit dem Beuteldrachen wedelt. Vielmehr wedelt der Beuteldrache mit dem Schwanz.«

Sprachlos starrten die anderen ihn an. Der Gorganer schmunzelte.

»Was soll der Blödsinn?«, fragte Kalisse schroff. »Geht es dir noch gut, eh?«

»Was hast du überhaupt an meinem Schwanz auszusetzen?«, ergriff jetzt Gerrek das Wort. »Es ist der hübscheste Schwanz, den es überhaupt auf der ganzen Welt gibt!«

»Dein Wort in Zahdas Ohr«, murmelte Mythor. »Halte den Wedel mal ein wenig ruhig, du gehst mir mit dem Herumpeitschen auf die Nerven!«

»Immer ich!«, keifte der Beuteldrache. Vor seinen Nüstern glommen Fünkchen auf.

»Nicht!«, schrie Kalisse. »Du speist jetzt kein Feuer!«

»Ja, ja«, knurrte Gerrek grämlich. »Mit mir könnt ihr's ja machen ...«

Sein Schwanz bewegte sich weiter aufgeregt hin und her, bis Kalisse den Absatz ihres Stiefels darauf setzte. Empört fuhr Gerrek zu ihr herum und sah in die Stacheln ihrer Eisenfaust.

»Ganz ruhig«, warnte sie. »Ganz ruhig ...«

Langsam wandte Mythor sich um. Die drei Amazonen der Burra von Anakrom verhielten sich ruhig. Scida stand abwartend da, die Hände auf die Griffe ihrer Schwerter gestützt. Seit ihrem Sieg über Lacthy war sie selbstbewusster geworden und wirkte irgendwie stolzer.

Mythor sah in die Runde. Gut eine Pfeilschussweite von ihnen entfernt begann ein gewaltiges Spektakel. Dort ragte Keysland auf, die Schwimmende Stadt. Und dort gingen Amazonen an Land, Hunderte, Tausende! Wilde Kriegerinnen, die darauf brannten, ihre Fertigkeiten im Kampf anzuwenden.

Keysland, dieser gewaltige Eisberg, durch Magie geformt und gehalten, hatte das Ufer nicht ganz erreichen können. Die Schwimmende Stadt besaß einen zu großen Tiefgang. Zwischen ihr und dem Ufer des Hexensterns klaffte ein gut fünfzig Amazonenlängen breiter Wasserstreifen. Kleinere Eisschollen trieben darin. Das Wasser war eisig kalt.

Zwischen den Schollen herrschte ein geschäftiges Treiben. Von kräftigem Ruderschlag getrieben, setzten Boote ihre Fracht aus bis an die Zähne bewaffneten Amazonen vieler Zaubermütter auf dem harten Boden des Hexensterns ab und kehrten leer wieder zurück, um neue Kriegerinnen an Bord zu nehmen.

Auch Mythor, Gerrek, Kalisse, Scida und die drei Burra-Amazonen Tertish, Gudun und Gorma hatten Keysland verlassen. Zahda hatte sie von der halb schiffbrüchigen Sturmbrecher über einen Regenbogen in die Schwimmende Stadt geholt und geglaubt, sie seien dort sicher. Aber dies war eine halbe Fehlplanung gewesen, denn Zaems mächtiges Heer hatte Keysland besetzt und dazu benutzt, zum Hexenstern zu gelangen. Mit Not und Mühe hatte die kleine Gruppe sich abseits halten können, denn die Zaubermutter Zaem durfte auf keinen Fall erfahren, dass Mythor noch lebte. Nicht allein ihm selbst war daran sehr gelegen, sondern auch den Amazonen Burras, die nur zu genau wussten, auf welch gefährliches Spiel sie sich eingelassen hatten.

Immerhin hatten sie unbelästigt zum Hexenstern übersetzen können. Mythor hatte sich in seinen Mantel gehüllt und sein Gesicht nach Möglichkeit im Schatten gehalten; sein sprießender Bart war sorgfältig geschabt worden, so dass sein Gesicht wieder glatt war. Wer nicht genau hinsah, konnte ihn durchaus für eine Amazone halten.

Die Dunkelheit der Polarnacht wurde nur durch Fackeln aufgerissen, die Keysland und die Anlegestelle der Boote notdürftig erhellten. Hier am Nabel der Welt herrschte um diese Zeit fast ewige Nacht, und nur bei guter Witterung konnte die Sonne ein wenig über den Horizont lugen. Aber Zaem hatte ihre Zacke des Hexensterns in Nebel gehüllt, um den Aufmarsch ihrer Truppen zu verheimlichen.

Dichte, weißgraue Schwaden trieben zwischen den landenden Amazonen hin und her, fraßen den flackernden Schein der Fackeln. Zwischen diesen bleichen Schleiern war undeutlich eine bizarre Landschaft zu sehen.

Seit Mythor wusste, wo sich der Hexenstern befand, hatte er erwartet, eine gewaltige Eislandschaft zu sehen. Aber Eis konnte er nur auf dem Wasser in Form treibender Schollen erkennen. Irgendwie war noch jene Magie der Zaubermutter Zaem zu spüren, die diese Stelle von Eis befreit hatte. Unwillkürlich zog Mythor fröstelnd die Schultern hoch. Er fühlte sich unbehaglich.

Grau, hart und kalt war der Boden, auf dem sie sich befanden. Aus ihm ragten seltsam knorrige Pflanzen auf, nicht Baum und nicht Strauch, sondern eine seltsame Mischung aus beidem, aber kein Grün zeigte sich daran.

Auch Gerrek war nach wie vor unruhig; sein zuckender Schwanz bewies es. Wie es Mythor schon zuvor aufgefallen war, konnte man ihn aus der Entfernung und in den träge dahinkriechenden Nebelschwaden durchaus für eine der eigentümlichen grauen Pflanzen halten.

Nicht weit von ihnen entfernt im Inland erhob sich ein nicht minder befremdlich anmutendes Bauwerk mit bizarren Türmen, Brücken und Erkern. Eisige Kälte ging von diesem Bauwerk aus, eine Kälte, die nicht direkt körperlich spürbar war, sondern sich in den Geist hineinbohrte und unermüdlich fraß. Das Gebilde schien aus dunklem, mattem Glas zu sein, und doch vermochte niemand durch die Mauern hindurch ins Innere zu sehen.

»Was ist das?«, fragte Gerrek leise. Auch er spürte die unheilvolle Kälte des Gebäudes, hinter dem ein weiteres, noch düsterer wirkendes Bauwerk aufragte, das aber auf völlig andere Weise errichtet worden war. Dahinter zeigte sich wiederum ein anderes, abermals in anderem Stil gehalten, dahinter dann ... die Kette der Gebäude erstreckte sich in die Endlosigkeit der Nacht.

»Das?«, wiederholte Tertish mit gedämpfter Stimme. »Das ist Zaems Frostpalast.«

Mythors Augen schienen in dem eigenartigen Dämmerlicht zu leuchten. Er ahnte es; langsam senkte er die Lider, bis die Augen nur noch schmale Spalte waren. »Und was ist dahinter?«, fragte er.

Tertish lachte abgehackt. »Dahinter? Der Palast der Namenlosen! Was du hier siehst, diese schier endlose Mauer von Bauwerken, sind die Paläste der verschiedenen Zaubermütter, die vor Zaem an ihrer Stelle regierten. Die Schwarze Mutter war die letzte, und Zaem nahm ihre Farben und ihre Stellung und erbaute ihren neuen Palast.«

»Die anderen Zaubermütter sind also tot?«, sann Mythor. »Ich glaubte bereits, die lebten ewig ...«

»Niemand lebt ewig«, versetzte Tertish, die Todgeweihte. »Auch eine Zaubermutter nicht, wenngleich sie steinalt wird. Aber eines Tages ist auch ihre Zeit abgelaufen, und eine andere nimmt ihre Stelle ein. So ist der Lauf der Welt; nichts währt ewig.«

»Ja«, murmelte Mythor. »Nichts währt ewig, und niemand ist unsterblich. Vielleicht soll es nicht sein, denn es ist wider die Natur.«

»Weise Worte von einem ... Mann!«, spöttelte Gorma grimmig.

»Von meinem Beutesohn!«, erklärte Scida nicht ohne Stolz.

»Es ist unwichtig, von wem die weisen Worte sind«, mischte sich Kalisse ein. »Wir sollten versuchen, in dem Durcheinander unterzutauchen und unerkannt zu verschwinden. Noch haben wir die Gelegenheit dazu!«

»Unerkannt, das ist wichtig«, sagte Tertish. »Jemand, der Mythor erkennt, könnte seine Anwesenheit der Zaem verraten, und dann ...«

»Und Scida«, murmelte Mythor. »Es ist auch nicht gut, wenn Scida erkannt wird. Es könnte ihr übel ergehen, denn Lacthy war immerhin eine der Heerführerinnen Zaems.«

»Es war ein Kampf ohne Tücke und Hinterlist«, ereiferte sich Scida. »Und Lacthy hat sich selbst gerichtet! Nicht ich legte Hand an sie, nachdem ich sie besiegte!«

»Aber du hast sie besiegt und damit in den Tod getrieben, nur das wird Zaem bedenken, wenn sie deiner ansichtig wird«, warnte Mythor.

In diesem Moment drehte sich Gerrek würdevoll um, watschelte auf seinen dürren Beinen auf Scida zu und legte ihr väterlich die krallenfingrige Hand auf die Schulter. »Merkt auf, was Gerrek, der Mandaler, euch zu sagen hat, Weiber von Vanga«, verkündete er laut. »Scida steht unter meinem Schutz, und wehe der Zaubermutter, die es wagt, Hand an sie zu legen! Ich werde sie ...«

Selbst Mythor konnte nicht mehr anders. Er stimmte in das wilde Gelächter der anderen ein, in dem Gerreks Rede unterging und zu beleidigtem Keifen wurde ...

*

Der Schmerz in der Schulter war zu ertragen. Es würde die erste Narbe sein, zwar nicht durch einen Schwerthieb im Kampf empfangen, aber immerhin bei der Eroberung des Hexensterns ... Tief im Fleisch der linken Schulter steckte der Splitter des Meteorsteins, der mit der Sturmbrecher zum Hexenstern gebracht werden sollte. Doch jetzt lag dieser wahnsinnbringende Stein in den Tiefen des Meeres, und nur der Splitter in Exells Schulter erinnerte noch an das missglückte Unternehmen.

Exell, im Gegensatz zu vielen anderen Amazonen eine üppige Schönheit und noch frei von entstellenden Narben, zählte gerade einundzwanzig Lenze und war voll des Tatendrangs. Alles in ihr fieberte danach, einmal an der Seite der berühmten Burra kämpfen zu dürfen, und nur deshalb hatte sie sich auf der Sturmbrecher eingeschifft. Welche Enttäuschung, dass Burra selbst nicht an Bord war! Aber Exell war sicher, auf dem Hexenstern auf Burra zu treffen.

Noch vor etwa eineinhalb Monaten war sie auf Burg Anakrom gewesen, in der berühmten Amazonenschule. Und jetzt schon steckte sie mitten in einem gewaltigen Abenteuer, von dem sie früher kaum zu träumen gewagt hatte ...

»Dort drüben«, hatte ihr jemand gesagt, die auch auf der Sturmbrecher gewesen war, »sind Tertish, Gudun und Gorma an Land gegangen.«

Zu ihnen wollte Exell. Sie wusste, dass diese drei Burras Vertraute waren. Wenn sie zu Burra gelangen wollte, dann nur durch diese drei.

Prüfend glitten ihre Hände zu den beiden noch namenlosen Schwertern, dann schritt sie zügig aus. Ihre Stiefel knallten leicht auf dem harten, stumpfgrauen Boden, aber sie spürte die Kälte kaum und auch kaum noch den Schmerz, den der Meteorstein in ihrer Schulterwunde verursachte. Sie erkannte in den träge dahinziehenden Nebelschwaden die Gestalten, die die Gesuchten sein mussten.

Noch ahnte sie nicht, wie folgenschwer die bevorstehende Begegnung werden sollte. Für sie – und für andere ...

*

»Da kommt jemand«, warnte Gorma und deutete mit ausgestrecktem Arm auf eine Gestalt, die zunächst zögernd, dann mit sicherem Schritt herankam.

Die Kriegerinnen sahen Mythor an. In dem eigenartigen Zwielicht war er in seiner Kleidung und dem wehenden Umhang mit dem Walangei-Wappen nicht sofort als Mann zu erkennen. Gormas Wink deutete er richtig und verzog sich mehr in den Hintergrund.

»Sie will etwas von uns«, murmelte Tertish und berührte wie unabsichtlich das Blutsternmal in ihrer linken Hand.

Erst als die Gestalt sich bis auf gut zwanzig Schritte genähert hatte, wurde an ihrem Helm das Zeichen der Zaem erkennbar. »Hallo«, rief sie und winkte heftig. »Seid ihr Tertish und Gorma und Gudun?«

»Unter anderem«, murmelte Tertish. »Wer bist du, und was willst du?« Sie ging der Fremden entgegen.

Auf diese Weise entging ihr, dass Mythor jäh schwankte. Aber er fing sich wieder. Aus verengten Augen starrte er die junge Amazone an. Etwas mit ihr stimmte nicht! Von einem Augenblick zum anderen überfiel ihn Mattigkeit – seit dem Moment, da sich die Fremde näherte.

»Ich bin Exell«, vernahm er wie durch Watte die Stimme der Jung-Amazone. »Ich komme von Burg Anakrom und ...«

Alles verschwamm. Mythor stöhnte unterdrückt auf und wandte sich um, versuchte ein paar Schritte zurückzugehen. Jede Bewegung fiel ihm so unendlich schwer, als besitze er plötzlich das zehnfache Gewicht.

Mit jähem Entsetzen erkannte er, dass es die gleiche Art Lähmung war, die er in der Nähe des Hexenschlags auf Ganzak verspürt hatte.

Und diese Lähmung ging jetzt von Exell aus!

»Nicht«, flüsterte er angestrengt. »Nicht ... näher ... kommen ...«

Aber Exell kam näher! Sie ging neben Tertish her, die mit ihr zur kleinen Gruppe zurückkam! Und mit ihrem Näherkommen wurde auch Mythors Lähmung stärker und stärker! Er fühlte, wie seine Knie nachgaben. Seine Sinne verwirrten sich.

Eine riesengroße Gestalt tauchte wie ein rötlicher Schatten vor ihm auf. Gewaltige Pranken packten zu, verhinderten, dass er stürzte, und ließen ihn langsam zu Boden sinken.

»Was hat sie?«, vernahm er, wie durch Watte gedämpft, Exells fragende Stimme.

Dann wurde alles um ihn herum schwarz.

*

»Was hat sie?«, fragte Exell. Ihr wie auch den anderen war zwangsläufig aufgefallen, wie eine der Amazonen der kleinen Gruppe bei ihrem Näherkommen zu taumeln begann und sie zu Tode erschöpft zusammensank. Das seltsame Wesen mit dem Drachenkopf fing die Kriegerin auf und ließ sie langsam zu Boden gleiten.

Scidas Hand schoss vor und berührte Exells linke Schulter. Schmerzhaft zuckte die Jungamazone zusammen, unterdrückte den Schmerzlaut aber.

»Du bist verletzt?«, stellte Scida eine andere Frage, als sie ursprünglich beabsichtigt hatte.

Exell nickte. »Ein Splitter des Meteorsteins traf meine Schulter, als in der Sturmbrecher ...«

Scidas Hand löste sich von Exells Schulter. »Daher also«, murmelte sie. »Dann wundert es mich nicht mehr.«

Tertish deutete auf den im Schatten liegenden Mythor. »Sie ist gegen den Wahnsinn des Steins besonders empfindlich. Der Splitter in deiner Schulter reicht bereits aus, sie zu lähmen.«

Exells Gesicht wurde bleich. »Das war nicht meine Absicht.«

»Ich glaube dir«, sagte Tertish. »Verwundersam ist es dennoch, dass du selbst nicht betroffen bist und auch wir nichts fühlen. Nur sie dort.«

Exell sah zu Boden. »Ich hatte gehofft ... aber nein, nun wird es nicht mehr gehen.«

»Was? Sprich!«, verlangte Tertish, die als Todgeweihte längst zur Wortführerin der Gruppe geworden war.

»Was hattest du gehofft?«

»Mit euch ziehen zu können, um in Burras Nähe zu gelangen und an ihrer Seite kämpfen zu können.«

Tertish lachte rau auf, aber es war kein fröhliches Lachen. Sie zeigte Exell die Handfläche ihres steifen Arms. Das Blutsternmal war deutlich zu erkennen.

Exell erschrak. »Du bist eine Todgeweihte«, keuchte sie.

Tertish nickte. »An Burras Seite zu kämpfen«, sagte sie, »ist gefährlich. Auch ich kämpfe an ihrer Seite und diene ihr bis in den Tod. Fürchtest du den Tod nicht?«

Exell presste die Lippen zusammen. Deutlich sahen die anderen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Nur zu gut hatte sie den warnenden Sinn der Worte Tertishs erfasst. Sie war noch jung, ein ganzes Leben lag vor ihr. Als Amazone musste sie stets damit rechnen, im Kampf zu sterben, aber Burras Kämpfe waren weitaus gefährlicher als die der meisten anderen Kriegerinnen.

Dann aber nickte Exell. »Ich fürchte den Tod nicht«, sagte sie. »Ich bin eine Amazone der Zaubermutter Zaem.«

Tertish musterte sie durchdringend.

»Du kannst uns begleiten«, sagte sie schließlich. »Vielleicht gibt es für dich eine Möglichkeit, schneller zu Burra zu gelangen, als du es jetzt noch glaubst. Und das, ohne jene zu behindern.« Mit einem Kopfnicken deutete sie in Mythors Richtung.

»Wie willst du das anstellen?«, fragte Scida grimmig, die wie üblich um Mythors Wohlergehen fürchtete.