Nächtliche Streichhölzer - Rolf Friedrich Schuett - E-Book

Nächtliche Streichhölzer E-Book

Rolf Friedrich Schuett

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Beschreibung

Satiren blamieren Ansprüche vor kruder Realität: Dies behauptet es zu sein, doch das ist es wirklich! Sie messen alles an ewigen Normen, die keiner mehr ernst nimmt. Wenn aber gar nichts mehr seinem eigenen Inbegriff widerspricht, wird blutige Realität zur Satire auf Satiren. Die aber spielen weiter und suchen den winzigen kritischen Spalt zwischen Sein und Schein erscheinen zu lassen. Und Aphorismen sind Zwerg-Satiren bis zum Nonsens. "Ein Haufen aufs Geratewohl hingeschütteter Dinge ist die schönste Weltordnung." (Heraklit, um 500 v. Chr.) "Sprachkürze gibt Denkweite." (Jean Paul) "Ein lakonisches Volk sind wir nicht." (Johannes Gross, 1996) "Der Witz ist das Prinzip und Organ der Universalphilosophie." (Friedrich Schlegel) "Der Satz muss die Härte des Steins und das Zittern des Zweiges haben." (Nicolas Gomez Davila) Der isolierbare und vieldeutige Aphorismus ist leider heruntergekommen zu lustiger Blödelei, windigem Wortspiel oder seichtem Gesinnungsspruch und sollte doch rehabilitiert werden zu einem philosophischen Gehalt in literarischer Gestalt, als satirisches Zwerg-Rätsel, als paradoxes Erkenntnisspiel zwischen Bild und Begriff, Gefühl und Gedanke, Phantasie und Verstand, Metapher und Metaphysik, ästhetischer Einbildungskraft und rationaler Urteilskraft. Die prägnant pointierte Sentenz ist eine leider immer noch zu kurz kommende Literaturgattung. Die hier vorliegenden Aphorismen oszillieren zwischen Nonsens, Wirrwitz und Philosophie.

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INHALT

Gedanken eines Diplom-Rentners

Aphorismen zur Lebensgewohnheit

Die Zertrennlichen

Zwischen Duell und Duett

Die Unvergänglichkeit der Vergangenheit

Vortrag eines Alt-Heideggerianers

Kurzer Abriss der Menschheitsgeschichte

Vortrag eines orthodoxen Alt-Freudianers

Für Elke

Gedanken eines Diplom-RentnersAphorismen zur Lebensgewohnheit

Dass wir fast alles oder nichts bekommen, bekommt uns gar nicht.

Mehrheiten machen Revolutionen, (geschützte) Minderheiten verfälschen sie.

Nächtliche Alpträume korrigieren Tagträumer.

Wer hinfällt, sollte wenigstens zu Sternen aufgeschaut haben.

Wer den Wal für einen Fisch hält, hat auch eine eigene Meinung und ist kein Herdenvieh.

Christi Geburt ist alljährlich nach 2000 Jahren noch immer ein Bombengeschäft.

Schenk niemandem Glauben, dem du ihn auch verkaufen kannst.

Ich kritisiere, dass meine Konsumkritik so mitkonsumiert wird, aber auch das wird mir abgekauft.

Der fiktive Nutzen der Neurotechniken verstärkt den realen Dachschaden der Beglücker und Beglückten.

Der gute Wille macht weder Misserfolge noch böse Folgen oder Motive wieder gut.

Das Hauptwerk des Ewigen ist auch ein totaler Verriss unserer Bücher und Zeitungen.

Arbeit macht kaputt, Trauerarbeit macht depressiv, Arbeitslosigkeit macht krank, kaputt und depressiv.

Wie meine vertriebene Zeit vergeht!

Ein gutes Gewissen ist schlecht, ein schlechtes ist gut : Nichts ist gewisser.

Die Bibel wird kaum noch gelesen, weil sie die Deklaration der Menschenpflichten ist.

Der Individualist besteht auf freier Herdenwahl.

Kampf vereint, Friede entzweit, man meide beides.

Der Ewige geht über alles hinaus, weil nicht hinweg.

Kultstatus hat oft die stati(sti)sche Kulturlosigkeit.

Weder Larochefoucauld noch Lichtenberg würden heutzutage den Literaturnobelpreis bekommen.

Zivilisation ruft : „Richtschwerter zu Richtlinien!“

Machtzentren schaffen Kulturzentren ab oder an.

Gewissheit braucht Beweise, Skepsis nur ein Gegenbeispiel.

Was als Aphorismus nicht überreden kann, wird auch als Abhandlung nicht überzeugen.

Konventionen sind selten Konsens, sondern einige kommen überein, die Normen aller zu übergehen.

Saufen wegen Sorgen führt zu Sorgen wegen Saufen.

Es ist Sitte und Brauch, Sitten und Gebräuche sittlich brauchbar zu nennen.

NB: Apotropäischer Uroboros

Familienbande sind heut in Gangsterbanden stärker.

Fabrikarbeiterlungen sind die besten Schadstofffilter für Mittelstandslungen.

Durch Schaden wird man klug; deshalb nutze ich anderen gern.

Gute Erfahrungen nennt man, was man aus schlechten gelernt haben will.

Auch mangelnde Standfestigkeit führt zu aufrechtem Gang.

Leibhaftiger Geist zieht es vor, sich von Leib und Leben zurückzuziehen.

Man setzt dem Forscher die Pistole auf die Brust: „Wissen oder Machen oder Leben!“

Mancher ist so verrückt zu glauben, dass er andere verrückt macht oder sie ihn verrückt machen wollen.

Lange Leitung, kurze Anleitung. Welcher Herr kann dem Knecht folgen?

Das Waldsterben kommt auch von den vielen Büchern darüber. (Waren Bücherverbrenner Umweltschützer der ersten Stunde?)

Was dein Leben nicht durch Umwege des größten Widerstandes verlängert, ist nicht halbwegs Kultur.

Jeder Bastard ist von ältestem Adel: Adam und Eva.

„Seher“ : Betriebsblinde, die auf Macht schielen.

Befehle: Verfehlungen oder Fehler, die nichts lernen

Wer zu nichts gut ist, gilt schon als guter Mensch, wenn ihm nicht so gut ist.

Wer gegen amtliche Freisprüche Berufung einlegt, ist noch kein begnadeter und begnadigter Christ.

Wer sein Weltbild fertig hat, schreibe Aphorismen dagegen.

Nur Dummköpfe werden aus der Welt schlau.

Dass etwas ein Geheimnis sein soll, muss vor allem geheim gehalten werden. Etwa durch Offenheit.

Gib keine Ratschläge und nimm keine an, selbst wenn sie schlecht sind.

Am gleichen Strang zieht jeder den Kürzeren.

Bekanntenkreis : aufgeblähter Gesichtspunkt.

Einmaleins ist beliebig groß, sagt der Richtigtuer.

Wer nicht aus Eigennutz sozial ist, wird es nie.

Ich kann euch nicht ins Gesicht sehen : Folgt mir!

Gesellschaft : Quadratur des Unbekanntenkreises.

Ans Vaterland Geschwemmtes schwamm gegen keinen Strom und Windstromerzeuger.

Auch freie Marktwirtschaft wird planmäßig betrieben.

Freiheit 2020 : Selbstverwirklichung als Ameise.

Am Korpsgeist scheiden sich die Leiber, am Körper die Entgeisterten.

Was guten Glaubens ein ungutes Gefühl macht, ist gute Gedankenduselei.

Nicht leben zu können, hat den Zweck, die Lebensmittel zu heiligen.

Die einen schenken dir das Leben, die anderen verkaufen dir die Lebensmittel.

Sauberer Aufstieg : Durch Gewäsch vom Tellerwäscher zum Gehirnwäscher.

Ein aufgeblähter Zeitpunkt : keine kleine Ewigkeit.

Geist gilt als das menschlichste Sinnorgan.

Der Aphoristiker hat (in) der Welt so wenig zu sagen, dass er uns kurzhalten muss, um weiterzukommen.

Erst kommt das Fressen geistiger Nahrung, dann der Leibhaftige.

Sag in einem Satz mehr, als andere in einem ganzen Satz von Büchern nicht lesen.

Der Mensch stammt ab vom Affen, der Unmensch vom Schweinehund, der Mitmensch vom Goldhamster

Melancholiker verlieren nie ihren Humor, Feiglinge nie den Mut, Dumme nie den Kopf.

Froh wird man dort, wo man viel auszulachen hat oder keinen Humor braucht.

Aphorismen lassen sich nicht nur aus Essays pflücken, sondern auch aus moderner Lyrik.

Unerträgliches trägt am sichersten.

Die besten Zitate halten uns zum Besten, verunsichern eher Experten, als Ignoranten zu belehren.

Satire : Gemeinte fühlen sich nie getroffen, und Betroffene waren selten gemeint.

Gespräche vertiefen ein Thema, um es zu begraben.

Selbst von einem Goethe blieb nicht viel mehr als der faustische Drang des Götz von Berlichingen.

Das lobende Land ist ersehnter als das gelobte.

Überall sind die Bösen schlecht. Hier auch oft die Besseren.

Der Mensch bedroht viel größere Tiere und wird von viel kleineren bedroht.

Schon die Bäume der Erkenntnis wuchsen uns immer über den Kopf, nicht erst ihr Sterben.

Abstrakte Malerei veranschaulicht kein abstraktes Denkvermögen, sondern konkretes Bankvermögen.

Witz an der Ma(s)che. Das fünfte Fahrrad am Ballastwagen sollte diesen ersetzen.

Ganze Einsichten bestehen aus geteilten Ansichten.

Das Neueste an diesem Land ist die Entdeckung, dass es auch eine Tradition hat, die nicht ins und zum KZ führte.

Auch der aufrechteste Gang endet täglich im Bett.

Heißt Homer lesen blind werden für Asterix?

Träumen ist, wenn man trotzdem wacht; Theorie ist, wenn man Machern trotzt.

Spruchlandung : Ein Aphorismus kommt an.

Erhebender Zeigefinger. Der Rechtsweg des größten Widerstandes gegen Rechtswege ist die Faust.

Der Aphoristiker, ein Fürsprecher der Widersprüche, macht größere Sprünge in kleineren Sätzen.

Nächtliche Zündhölzchen

Der Mündige hält den Mund und schreibt.

Nichts als Bonität ist besser als gar nichts.

Arbeitgeber : Diebe, die uns die Tagesruhe rauben.

Reiter machen Prinzipien zu Steckeneseln.

Der unfreie Wille wäscht nun sein Hirn in Schuld.

Richtige Feministin : kleine Unterschiedsrichterin.

Klappe gehört zum Mundwerk, doch halt lieber dein Wort als deinen Mund!

Lass dich nicht treiben von übertriebenen Trieben und durchtriebenen Umtrieben!

Ab- und Zuneigungen sind auf der schiefen Bahn.

Macht es allen recht, macht alle ungleich, denn Guthabenichtse sind Rechthabenichtse.

Schreiende Gerechtigkeit. Wer im Geiste mitbombt, sprengt den Rahmen seines Weltbildes.

Leistungs- und Geheimnisträger können nicht auch noch Risiko, Kosten und Verantwortung tragen.

Kopf : Seh-, Steh-, Bank-, Denkvermögensverwalter

Überall sind Trottel die Dummen. Auch gescheite.

In dieser Demokratie bist du in erdrückter Mehrheit oder erdrückender Minderheit.

Wer ist dem Stammbaum der Selbsterkenntnis denn gewachsen?

Sagt man dir bescheidenen Rentenbescheid, weißt du auch Steuerbescheid.

Man nimmt erst teil, dann Anteil, dann seinen Anteil und dann den Hut.

Urteilsvermögensbesteuerung heißt Erfahrung.

Dein Lächeln ist so entwaffnend wie meine Entrüstung abrüstend.

Linke suchen nun Sklaven durch unterhaltsame Befreiungstheorien zu fesseln.

Friede herrscht wie Freiheit – ohne Alleinherrschaft.

Wer die Hose und den Hals nicht vollkriegt, nimmt sich für voll und den Volksmund zu voll.

Höchste Begriffe: beispiellose Verallgemeinerungen

Gesellschaft : Die Leidenschaften der Körperschaften sind die Bangemachenschaften der Seilschaften.

Kapitalismus ist Religion, die uns habselig spricht; Glaube ist ein Kapital, das uns armselig spricht.

Ein Wortschatz, den niemand sucht und vergräbt, ist am sichersten.

Wie die Welt deine Weltanschauung anschaut, so schaut sie aus.

Ich bin nicht käuflich, weil ich zu viel koste.

Zum Glück fehlt mir für Weltbeglückungsformeln nur etwas Glück und Unglück.

Unter die Lupe genommen wird alles größer und kleiner zugleich.

Welche Frau liebt und hasst im Mann ihre schlechtere Hälfte?

Die bessere Hälfte: oft der schlechtere Ehebruchteil.

Nur Menschen können sprechen, nur sie können ihre Gedankenlosigkeit nicht verbergen.

Wer hält Gottvater für einen zölibatären Hagestolz?

Entweder ist der Herr ein Mensch und sein Knecht ein Vieh oder der Sklave ein Mensch und sein Boss ein Gott.

Sei lieber zu gut für diese Umwelt als noch besser!

Ich bin klein, da ich lieber groß sein als werden will.

Ich spreche nicht aus Erfahrung, sondern aus Erfahrung nicht.

Jeder ist so wichtig, wie er nicht tut und sich nimmt.

Grundlos etwas zu tun, scheint der tiefste Grund, und grundlos froh zu sein, ist der beste Grund.