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Kitty und Jojo haben den gemeingefährlichen Feuerdrachen Thunderbird besiegt und das Böse aus der phantastischen, magischen Welt Naytnal verbannt. Jedoch musste Kitty dafür das Opfer bringen, ihre magischen Fähigkeiten aufzugeben. Die Mädchen begeben sich nun auf eine lange und gefährliche Suche. Nicht nur, um Kittys Macht wiederzugewinnen, sondern auch um ihre Mutter zu retten, die Kitty seit der frühesten Kindheit nicht mehr gesehen hat und die von Thunderbird hypnotisiert und entführt wurde. Dabei gerät aber auch die ganz frische Liebesbeziehung zwischen Kitty und ihrem Freund Dennis, einem Bewohner Naytnals, in Gefahr... Der zweite Band der Fantasy-Reihe NAYTNAL entführt den Leser in phantastische, magische und düstere Welten auf der Suche nach der Rettung für den Stern der Reiche, wie man Naytnal auch nennt.
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Inhaltsverzeichnis
Widmung
Kapitel 1 - Fremde Stimmen in der Wüste
Kapitel 2 - Der Fremde
Kapitel 3 - Zurück auf den Monden Naytnals
Kapitel 4 - Eileen
Kapitel 5 - Im Angesicht der Dämonen
Kapitel 6 - Verlorene Stadt
Kapitel 7 - Trugschluss oder Wahrheit?
Kapitel 8 - Jenseits des Feuerwalls
Kapitel 9 - Der Niemandsberg
Kapitel 10 - Durch Raum und Zeit
Kapitel 11 - Auf der Suche nach Thunderbirds Kind
Kapitel 12 - Angst in der Vergangenheit
Kapitel 13 - Angriff des Bösen
Kapitel 14 - Das Ende einer Reise?
Über den Autor Elias J. Connor
Impressum
Für Jana.
Meine Prinzessin, Ideenlieferin, Muse, Lebensgefährtin.
Ich bin glücklich, dass du in mein Leben gekommen bist.
Für einen Moment glaubte sie noch, den jungen Mann zu hören, der in den letzten Stunden bei ihr saß. Sie meinte, ihn sagen zu hören: „Du darfst jederzeit gehen, wenn du es wünschst. Aber du darfst jeder Zeit wieder kommen.“
Die Stimme verhallte im Nichts. Das Echo hielt in Kittys Gedanken noch an – aber war diese Stimme wirklich da?
Kitty schlief noch, als der Morgen langsam heran brach und die Sonne leise über dem Meereshorizont ihre ersten Strahlen auswarf. Seelenruhig lag sie einfach da, im warmen Sand des langen Strandes, der die geheime Insel umgab. In ihrem Gesicht konnte man trotz ihrer geschlossenen Augen die Anstrengung der vergangenen Tage erkennen. Sie war sehr, sehr erschöpft. Aber wenigstens atmete sie nun gleichmäßig in ihrem Schlaf. Was Kitty wohl gerade träumte?
Jojo ist heute Morgen schon früh aufgestanden. Sie saß still auf der Veranda. In der Hand hielt sie ihr Buch der tausend Zauber, in dem sie las.
Dennis kam gerade aus dem kleinen Haus heraus. Langsam stapfte er zu Kitty an den Strand. Er hatte ein Brötchen in seiner Hand. Schweigend setzte er sich dann neben Kitty und legte ihren Kopf auf seine Knie. Kitty wachte davon nicht auf, sie schlief seelenruhig weiter.
Jojo blätterte in ihrem Buch eine Seite um. Sie suchte wahrscheinlich etwas Bestimmtes, aber es war ihr nicht so richtig klar, was sie eigentlich suchte. Sie wusste nur, sie musste suchen. Jojos Exemplar war nunmehr das einzige existierende Exemplar des Buchs der tausend Zauber, denn Kittys Buch verschwand ja auf mysteriöse Weise, nachdem Kitty ihre Zauberkraft und ihren Glanz gestern Abend verloren hatte.
Plötzlich schienen sich die Schriftzeichen in Jojos Buch auf magische Weise zu verändern, und eine neue Überschrift bildete sich an der Stelle, an der Jojo ihr Buch gerade aufgeschlagen hatte. Sie las:
Die Kaiserin von Naytnal, dem Stern der Reiche
Die Kaiserin des Sterns der Reiche ist die Person, die auch die Schöpferin des Sterns der Reiche ist. Ihr Name ist Kitty Linnore. Jedoch hat Kitty ihre Zauberkraft und ihren Glanz verloren. Denn sie wandte einen Zauber an, den sie trotz all ihrer Verzweiflung nicht hätte anwenden dürfen. Nun glaubt Kitty, dass sie mit all ihrem Zauber und ihrem Glanz auch ihre kaiserliche Herrschaft verlor, aber dies ist nicht wahr. Ja, noch immer ist Kitty die Kaiserin ihres Reiches. Sie hat nur keine Macht mehr über ihr Reich. Jojo, nunmehr bist du Kittys Stellvertreterin. Dein Buch, Jojo, weiß, dass Kitty dir ihr Kaiserreich übergeben wollte und dich zur Kaiserin machen wollte. Was immer du für deine beste Freundin empfindest, Jojo, du darfst ihr Angebot nicht annehmen, um keinen Preis, zu keiner Stunde, auch nicht in der allergrößten Verzweiflung. Dein Buch, Jojo, weiß auch, dass du nicht in Erwägung gezogen hast, statt Kitty nun die Kaiserin Naytnals zu werden. Das Gesetz des Sterns der Reiche sagt, nur der Schöpfer kann Kaiser von Naytnal sein. Stehe Kitty zur Seite, mit deiner Kraft, deiner Macht und deinem eigenen Glanz. Hilf ihr bei wichtigen Entscheidungen und unterstütze sie mit allen Mitteln. Aber sei über eins gewiss: Nicht helfen kannst du ihr, wenn du fortan Naytnals Kaiserin wärest. Dies würde eure Mission gefährden.
„Unsere Mission?“, fragte sich Jojo leise selbst.
Sie dachte eine Zeit lang nach. Die Mission, Thunderbird zu verbannen, seine düstere Macht aus dem Stern der Reiche zu löschen und all seine Fehler rückgängig zu machen, schien erfüllt zu sein.
Thunderbird hat den Planeten verlassen. Aber er nahm Leonie Linnore mit, als seine Gefährtin und Dienerin. Niemand wusste, wohin er gegangen war. Und seit er weg war, schien der Stern der Reiche schöner und wundervoller zu blühen als jemals zuvor. Klar, denn auch seine ganze düstere Macht war mit ihm von Naytnal verschwunden.
Insgeheim war Jojo froh über die Nachricht ihres Buchs, dass offenbar die Mission von ihr und Kitty noch nicht beendet ist. Niemand von ihnen, weder Kitty noch Dennis noch sie, wollten Leonie Linnore, Kittys Mom, so einfach aufgeben. Und Jojo war erleichtert darüber, dass Naytnal sie offenbar auch nicht aufgab.
Jojo blätterte eine Seite weiter und las:
Die neue Suche
Jojo, du und Kitty werdet euch nunmehr auf eine Suche begeben müssen. Es wird eine große Suche werden. Dein Buch weiß nicht, wohin euch eure Suche führen wird. Es weiß auch nicht, wonach ihr sucht. Achte stets darauf, was dein Buch dir sagen kann – dies werden die einzigen Ratschläge sein, die du verwenden darfst. Nur so könnt ihr euer Ziel erreichen. Nur so werdet ihr euren Wunsch erfüllen können.
Kitty öffnete ihre Augen langsam. Ihre Hand konnte Dennis‘ Hand fühlen, die sie festhielt. Kitty blickte auf und sah ihn an.
„Wie geht’s dir, Süße?“, fragte Dennis.
„Ich bin so schrecklich müde...“, hauchte Kitty.
„Hier, ich habe dir ein Brötchen gemacht. Bitte iss etwas, Kitty.“
„Danke“, sagte sie, während sie das Brötchen entgegen nahm. „Ich bin aber eigentlich viel zu müde um zu essen.“ Sie nahm einen Bissen und versuchte beschwerlich, ihn herunterzuschlucken.
„Ich habe im Haus ein Kleid für dich gefunden. Komm, ich zeige es dir“, sagte Dennis.
„Ich mag nicht.“ Kitty sah auf den Boden und ließ ihr Brötchen dann in den Sand fallen.
„Komm schon, Kitty“, versuchte Dennis sie aufzubauen.
„Wo ist Jojo?“, wollte Kitty wissen. Kaum hatte sie das gesagt, stand Jojo auch schon neben ihr und nahm sie in den Arm.
„Ich bin ja hier, Kitty.“ Jojo nahm ihre Hand. Dann stand Kitty auf und ließ sich fest von Jojo in den Arm nehmen.
„Jojo, ich weiß nicht mehr weiter“, stammelte Kitty. Einige Tränen liefen ihr aus den Augen.
„Ich werde dir beistehen. Dennis auch. Aber ich...“ Jojo zögerte ein wenig, weil sie nicht recht wusste, wie sie Kitty das nun beibringen sollte. „Ich kann nicht Naytnals Kaiserin werden.“
Kitty sagte nichts. Sie legte ihren Kopf einfach in Jojos Schulter.
„Ich habe die ganze Zeit in meinem Buch der tausend Zauber gelesen. Es sagte mir, dass du die Kaiserin bleiben musst“, erklärte Jojo ruhig.
Kitty fasste die Kette an, die um ihren Hals hing. Der Anhänger war noch immer da. Als Kitty ihn berührte, konnte sie etwas fühlen, was sie nicht beschreiben konnte. Es fühlte sich behaglich und machtlos gleichzeitig an, aber in irgendeiner Weise auch hoffnungsvoll. Da war etwas, und Kitty konnte es deutlich spüren.
„Das Buch hat auch gesagt, dass wir eine neue Mission haben, Kitty“, sagte Jojo.
„Ich möchte gerne die Bilder sehen“, entgegnete Kitty schließlich.
Kitty, Dennis und Jojo gingen dann ins Haus zu Dennis‘ Atelier. Dennis hatte gestern drei neue Bilder gemalt. Kitty wusste, dass es sie sehr traurig machte, sich die neuen Bilder anzusehen, aber sie wusste irgendwie, dass sie das tun musste, und zwar genau jetzt.
Auf dem ersten Bild sah Kitty die Verwandlung von Ion in Thunderbird. Sie und ihre Mom standen daneben. Kitty versuchte, tief durchzuatmen. Sie zitterte.
Das zweite Bild zeigte Kitty, als sie Thunderbird aus Naytnal verbannte. Thunderbird schwebte in der Luft, mit Kittys Mom auf seinem mächtigen Rücken zwischen seinen mächtigen Flügeln. Kitty musste weinen. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Dennis hielt sie im Arm. Aber Kitty lief dann um die Ecke herum, um das dritte Bild anzusehen, welches Dennis gestern malte. Sie erschrak.
Das Bild zeigte sie, Jojo und Dennis über einer Steppen ähnlichen Landschaft mit Ions Fesselballon fliegen.
„Wann hast du dieses Bild gemalt, Dennis?“, wollte Jojo wissen.
„Bereits gestern. Noch als Thunderbird und Leonie hier waren.“
„Ja“, sagte Kitty leise. „Wir haben eine neue Mission.“
„Ja, wirklich?“ Jojo lächelte, denn sie schöpfte neue Hoffnung, dass Kitty wieder neuen Mut schöpfte.
„Und ich weiß auch schon, wie unsere Mission heißt“, sagte Kitty. Dennis und Jojo sahen sie gespannt an. Ja, und tatsächlich, in Kittys Augen war ein kleiner Hoffnungsschimmer zu sehen. „Wir werden meine Mom zurückholen“, verkündete Kitty. „Ich weiß noch nicht wie, aber wir werden es versuchen. Und wir müssen heute noch abreisen.“
„Das ist meine Kitty!“, sagte Dennis stolz.
Nachdem die drei ihre Sachen gepackt haben, beschlossen sie, dass sie den Fesselballon für ihre weitere Reise verwenden. Nicht nur, weil es das Bild von Dennis ihnen so verkündet hat, sondern auch, weil es das einzige Gefährt hier war, welches über Wasser und über Land reisen konnte. Und auf dem Bild war ja deutlich eine Steppenlandschaft zu sehen.
Am frühen Abend schließlich war der Fesselballon mit allen notwendigen Dingen bepackt worden. Jojo nahm jede Menge Vorräte von der Insel mit, und Kitty hatte in der Zwischenzeit das Kleid angezogen, welches Dennis für sie fand. Es machte nicht viel her, aber an Kitty sah auch ein Lumpen-Sack toll aus. Jojo glänzte würdig in ihrem Zaubergewand als Kittys Stellvertreterin, aber nichts konnte so glänzen wie die Kette mit dem geheimnisvollen Schlüssel der Macht, die Kitty trug.
Dennis winkte seinem Haus zum Abschied, als der Ballon dann langsam in die Höhe stieg. Er hätte hier bleiben können, aber er liebte Kitty über alles und wollte sie um keinen Preis alleine lassen. Außerdem versprach er ihr immer wieder, dass er bei ihr bleiben würde, ganz gleich was geschehen sollte. Und so machten Dennis, Kitty und Jojo sich auf eine zunächst ziellose Reise über den Ozean, mitten in die Nacht hinein.
Die Sterne sind schon längst aufgegangen, als die geheime Insel langsam hinter dem Horizont verschwand. Unter dem Fesselballon sahen Kitty, Dennis und Jojo nun nichts weiter als den wunderschönen, großen Ozean, dessen sanfte Wellen ein wunderbares Rauschen erklingen ließen.
Während Jojo damit beschäftigt war, herauszufinden, wie man diesen Ballon am besten fliegen sollte, sahen Kitty und Dennis in die Ferne, dicht nebeneinander stehend.
„Dennis... ich habe noch immer keine Ahnung, was wir machen sollen.“
„Ich weiß, Kitty“, entgegnete Dennis.
„Aber deine Bilder... sie sagen dir doch, was geschieht...“ Kitty sah traurig zu Boden.
„Meine Bilder erzählen mir die Geschichte des Sterns der Reiche“, erklärte Dennis. „Sie berichten mir eure Geschichte. Sie berichten mir, was geschehen ist, und sie berichten mir, was geschehen wird.“
„Dennis... du wusstest vorher, dass ich den Kampf gegen Thunderbird gewinnen würde, nicht wahr?“ Kitty lag es auf der Seele, Dennis danach zu fragen, auch wenn ihr das Schmerzen bereitete. „Du wusstest vorher, dass ich ihn verbannen würde, und dass er meine Mom mitnehmen würde... Dennis, hätten wir dann nicht verhindern können, dass dies geschieht?“
„Leider nein, Kitty“, sagte Dennis mitfühlend. „Mir tut es selbst sehr Weh. Aber ich hätte nicht eingreifen können. Das wäre fatal gewesen. Nicht nur für Naytnal. Auch für dich selbst. Verstehst du? Wenn ich eingegriffen hätte, dann wäre etwas ganz Schreckliches mit dir passiert.“
„Was wäre passiert?“, wollte Kitty wissen.
„Deine eigene Welt wäre damit in Gefahr geraten. Und du... du hättest es nicht überlebt...“
„Dennis, halt mich fest...“, sagte Kitty. Dennis nahm sie fest in seinen Arm.
„Ich verstehe so vieles nicht“, stammelte Kitty nach einigen Minuten. „Ich fühle mich so schwach, so hilflos.“
„Aber du hast doch Hoffnungen, Kitty“, versuchte Dennis sie zu trösten. „Vertraue dir. Du wirst es schaffen.“
„He, Leute“, rief Jojo plötzlich vom Navigationspult her. „Hat einer eine Ahnung, wie man diesen Ballon fliegt?“
„Er fliegt automatisch. Ganz von selbst“, erklärte Dennis Jojo.
„Aha.“ Jojo nickte kurz. Ungläubig untersuchte sie den Navigator weiter.
Kitty machte ein nachdenkliches Gesicht. Ob sie – mal wieder – ins Grübeln geriet? Ob ein neuer Gedankengang in ihr entstand? Ja, tatsächlich.
„Dennis, wie hat Thunderbird es geschafft, meine Mom zu hypnotisieren?“
„Er traf auf sie in einer Wüste, in einem Land aus eurer Welt. Ich glaube, ihr nennt es Australien.“
Jojo gesellte sich dann zu den beiden dazu und setzte sich auf einen Liegestuhl neben ihnen.
„Ja... Australien. Meine Mom war dort auf Forschertour, weil sie eine Theorie über Dinosaurier belegen wollte. Sie haben im Fernsehen darüber berichtet“, fiel es Kitty ein. „Meine Mom glaubte, dass die Dinosaurier außerirdischer Herkunft sind.“
„Vielleicht sind sie es“, sagte Dennis.
„Aber wie kam Thunderbird dorthin?“
„Er tarnte sich als Wissenschaftler und lockte deine Mom in ein Land eurer Welt, welches ihr Alaska nennt. Mit ihrer Hilfe, weil sie rein war in ihrer Seele, konnte er mit ihr durch ein Portal nach Naytnal gelangen.“
„Sie war rein in ihrer Seele... ja, das war sie...“, sagte Kitty mehr zu sich selbst. „Sie hat mich bestimmt nicht absichtlich zwölf Jahre lang alleine gelassen. Wenn sie doch nur diesen Wissenschaftler nicht getroffen hätte und in Australien geblieben wäre. Dann könnte ich zurück in meine Welt, und zu ihr gehen...“
„Wenn wir das machen könnten...“, überlegte Jojo, „dann... würde Thunderbird Naytnal niemals betreten können.“ Sie sah Kitty an. „Dann hätte er nie deine Mom nach Alaska entführt, und er hätte sie nie mitgenommen...“
„Jojo, sieh doch mal bitte in deinem Buch der tausend Zauber nach“, bat Kitty ihre Freundin, die daraufhin ihr Buch aus ihrer Tasche holte und es aufschlug. Kitty hatte wieder eine ihrer Vorahnungen, und jetzt spürte sie total, dass sie noch nicht alles verloren hatte. Etwas gab es noch in ihr, etwas Gutes, und es sollte sich als etwas ganz Wichtiges herausstellen.
Jojo blätterte eine Seite auf. Die Buchstaben tanzten auf der Seite herum, und ganz bald bildeten sie einen neuen Absatz. Jojo las vor:
„Die Zeit. Auf dem Stern der Reiche läuft die Zeit mal vorwärts, mal rückwärts. Sie läuft anders als in anderen Welten. Eine Reise in der Zeit zurück ist hier in Naytnal genauso möglich wie eine Reise in die Zukunft. Jojo, du und Kitty werdet euch begeben müssen in eine andere Zeit, in eine Zeit, in der die Ereignisse noch nicht eintraten. So werdet ihr verhindern können, was geschehen ist. Macht euch auf die Suche nach der Reise durch die Zeit.“
Der Absatz endete hier, und Jojo überlegte kopfschüttelnd.
„Wir bräuchten eine Zeitmaschine oder so etwas“, grübelte Kitty. „Wir müssen in die Vergangenheit reisen, und zwar in die Vergangenheit unserer eigenen Welt. In die Zeit, bevor Thunderbird meine Mom das erste Mal traf.“
„Na, wo ist denn hier der nächste Supermarkt, der Zeitmaschinen führt?“ Jojo musste grinsen.
„Yo’ria’san“, murmelte Kitty. „Ja“, sagte sie dann lauter. „Auf den Inseln von Yo’ria’san. Sie haben keine Zeitmaschinen, aber eine der Tajunas ist eine Zeitreisende. Sie wird uns vielleicht helfen können.“
„Das ist es!“, rief Jojo.
„Also, dann auf nach Yo’ria’san.“ Dennis gab seiner Freundin Kitty ein Küsschen auf die Backe. „Siehst du, ich sagte ja, dass es noch Hoffnung gibt.“
Jetzt, wo Kitty, Jojo und Dennis ein neues, festes Ziel hatten, machten sie sich mit Eifer auf die Suche. Und sie machten sich mit Eifer daran, ihre neue Mission zu erfüllen, die nunmehr vor ihnen stand. Es würde ein langer Weg werden, aber sie hatten wieder neue Hoffnungen, und ganz besonders Kitty war nun so zuversichtlich wie in den letzten Tagen nicht mehr.
Nach Tagen im Ballon über dem Ozean sahen Kitty, Jojo und Dennis unter sich noch immer nur den großen Ozean. Es musste nun bereits der Abend des vierten oder fünften Tages gewesen sein. Und im Ballon war es unerträglich heiß. Jojo ritzte jeden Sonnenuntergang einen Strich mit einem Messer in die Bande der Gondel. Kitty jedoch hörte schon lange auf zu zählen, wie lange sie schon hier drin saßen.
„Bin ich froh, wenn es wieder Nacht wird“, sagte Jojo. Sie schwitzte, aber sie traute sich nicht, ihr Zaubergewand auszuziehen. Denn sie wollte vor jeder Gefahr stets bereit sein, um Kitty mit all ihren Kräften zu unterstützen.
„Das dauert noch gut zwei, drei Stunden, bis die Sonne untergeht“, erklärte Dennis. „Die Sonne scheint jeden Abend später unterzugehen.“
„Das heißt, wir fliegen in Richtung Süden“, schloss Jojo daraus.
„Möglich.“ Dennis sah auf den Navigator, während Kitty auf das offene Meer sah.
„Dennis, wann kommen wir endlich wieder an Land?“, wollte Kitty wissen.
„Ich weiß nicht...“
Plötzlich musste Kitty an etwas denken, was ihr doch tatsächlich im Eifer des Gefechts völlig entfallen war.
„Dennis, was war auf dem letzten Bild zu sehen?“, fragte sie ihren Freund. „Das Bild, das du maltest, kurz bevor wir aufgebrochen sind.“
„Da war unser Ballon...“, antwortete Dennis. „Wir flogen.“
„Was war unter dem Ballon?“
„Eine... eine Steppe. Eine Landschaft, die einer Steppe glich. Wüste, vertrocknete Bäume, Kakteen...“
Und plötzlich geschah etwas völlig Merkwürdiges. Kitty bemerkte es als Erste. Sie beugte sich über die Brüstung der Gondel und sah hinunter. Der Ozean... er war weg. Plötzlich verschwunden. Und in der gleichen Sekunde tat sich eine Landschaft auf. Eine Steppenlandschaft mit vertrockneten Bäumen, Kakteen und weiten, riesigen Sanddünen.
„Dennis, sieh nur...“, stammelte Kitty. Mehr brachte sie momentan nicht raus vor Staunen.
„Wahnsinn...“, machte Dennis. Eilig kam dann auch Jojo herbei und sah über die Brüstung.
„Wo ist der Ozean?“, fragte sie.
„Eben war er noch da“, berichtete Kitty aufgeregt. „Und – peng – in der nächsten Sekunde schweben wir über dieser Steppe.“
„Wie ist das möglich?“ Jojo kam aus dem Staunen nicht heraus.
„Dennis?“, gab Kitty die Frage an ihn weiter.
„Ich weiß es auch nicht genau“, antwortete er. „Gerade hast du mich gefragt, was auf meinem letzten Bild zu sehen war, dann habe ich es dir erzählt...“
„Und plötzlich war diese Landschaft unter uns“, schloss Kitty seine Erklärung ab. „Weißt du, was das heißt? Wisst ihr, was das bedeutet?“
„Nein“, sagte Jojo, noch immer fassungslos.
„Diese Steppe war möglicherweise schon die ganze Zeit da unten. Wir haben sie nur nicht gesehen, weil wir nicht genug daran dachten.“
„Das verstehe ich nicht“, bemerkte Jojo.
„Kitty hat Recht“, erklärte Dennis. „Mein Bild hat sich bewahrheitet. Aber erst, als wir uns daran wieder erinnerten. Wir hätten von Anfang an nach einer Steppe suchen sollen.“
„Also, was tun wir jetzt? Landen wir?“ Jojo begab sich direkt zum Navigator, um die Landung einzuleiten, ohne eine Antwort von Kitty oder Dennis abzuwarten. Sie fummelte an einigen Knöpfen, und schließlich verlangsamte der Ballon wie von selbst seine Fahrt und sank tiefer.
„Seid ihr sicher, dass wir hier richtig sind?“ Kitty blickte etwas skeptisch. „Sieht nicht sehr einladend aus, die Gegend hier.“
„Wir müssen runter“, sagte Jojo. Sie drehte sich zu Kitty um. „Wir waren jetzt schon viel zu lange in diesem Ballon.“
Der Fesselballon setzte sanft auf einer Erhöhung auf. Jojo stapfte sofort aus der Gondel heraus, froh darüber, wieder festen Boden unter ihren Füßen zu haben. Dennis und Kitty packten noch einige notwendige Sachen ein und verließen dann ebenfalls die Gondel.
„Hier sind keine Häuser. Nichts ist hier in der Nähe“, stellte Dennis fest.
Der Boden fühlte sich hart an, obgleich er aus Sand gewesen zu sein schien. Es musste wahrscheinlich ausgetrockneter Sand sein, beinahe so hart wie Stein. Weiter unterhalb des Hügels konnten die drei Kinder ein Muster im Boden ausmachen. Das Feld sah aus wie ein Puzzle oder so ähnlich, wie viele kleine Flächen zusammengesetzt zu einer großen Landschaft.
„Das könnte ein ausgetrockneter See sein“, sagte Kitty dann. „Also, ich denke, wir gehen erst mal den Hügel hier herunter.“
Jojo schnaufte, während Kitty und Dennis losliefen. Dann kam sie ebenfalls hinterher. Als die drei unten am trockenen See ankamen, stellten sie fest, dass der Boden tatsächlich hart wie Stein war. Ob dies kein Sand war, sondern Felsen?
Kitty kniete sich hin und tastete den Boden ab. Dennis zog seine Schuhe dann aus, weil sie ihm zu heiß geworden sind. Und Jojo drehte sich um, um nach dem Ballon zu sehen.
„He...“, rief sie dann plötzlich. „Der Ballon ist weg.“
Sofort drehten auch Kitty und Dennis sich um – und tatsächlich: Der Ballon stand nicht mehr auf dem Hügel. Jemand oder etwas hat ihn weggeweht oder weggenommen. Aber wenn es der Wind war, dann müssten die drei Reisenden doch einen stärkeren Windhauch gefühlt haben. Und welcher Wind wäre so stark, den ganzen Ballon mitsamt der Gondel einfach wegzuwehen? Erst jetzt stellte Kitty fest, dass etwas noch viel Merkwürdigeres geschehen ist.
„Nicht bloß der Ballon...“, sagte sie nachdenklich. „Der ganze Hügel ist nicht mehr da.“
Kaum zwei Sekunden später – die drei schauten noch immer total verwundert auf die Stelle, wo sich eben noch der Hügel befand – entstand ein neuer, viel höherer Hügel vor ihnen. Jedoch verschwand er daraufhin gleich wieder. Plötzlich entstand ein weiterer Hügel etwas weiter vorne, und auch dieser verschwand so plötzlich wie er entstanden ist.
„Das ist ja unheimlich hier...“, stammelte Jojo.
„Aua!“ Kitty schrie plötzlich auf. Etwas hatte sie gestochen. Sie drehte sich blitzartig um und sah dann neben sich einen großen Kaktus, der eben noch nicht da stand. Er hatte eine wunderschöne blaue Blüte.
„Ein Kaktus“, stellte Jojo fest.
„Wir bohren ihn auf“, sagte Dennis. „Kakteen haben viel Wasser in sich.“
Er holte ein Messer aus seiner Hosentasche. Damit bohrte er ein Loch in den Kaktus. Als das Wasser begann, aus ihm herauszuströmen, trank er einen Schluck. Kitty und Jojo taten dies dann ebenfalls. Und als sie fertig waren, füllte Dennis etwas Wasser in einen Behälter, den er aus dem Ballon mitgenommen hatte. Kaum war er fertig, verschwand der Kaktus auf mysteriöse Weise wieder.
„Gut, dass wir jetzt Wasser haben“, sagte Jojo dann.
„Dennis, wo sind wir hier?“, wollte Kitty dann wissen.
„Es muss die Wandernde Steppe sein“, erklärte Dennis. Laufend veränderten sich die Hügel. Sie entstanden und verschwanden wieder. Ebenso gab es Bäume. Trockene Bäume, die entstanden und verschwanden und an einem anderen Ort wieder entstanden. Man hatte hier keinerlei Anhaltspunkt, wohin man lief. Ständig veränderte sich die ganze Gegend und formierte sich neu.
„Einer Legende nach“, begann Dennis dann zu erzählen, „heißt es, dass man in der wandernden Steppe nie vorwärts oder zurückkommt, sie also nicht mehr verlassen kann, ist man hier erst einmal gelandet. Nur einen Ort soll es hier geben, der sich niemals verändert. Auf ihm sei ein einsamer Baum, der stets und immer auf ein- und demselben Platz verweilt. Dieser Baum ist eines der seltensten Gewächse Naytnals. Man sagt, er würde leben. Erst, wenn man ihn findet, findet man einen Ausgang aus der wandernden Steppe.“
„Die... Wandernde Steppe?“ Jojo schaute ungläubig.
„Aber wie sollen wir diesen Baum finden, wenn sich hier alles ständig verändert?“, wollte Kitty wissen.
„Wir müssen einfach loslaufen und hoffen.“ Dennis nahm Kitty bei der Hand, dann machten sie sich auf den Weg. Jojo schnaufte genervt, schließlich stapfte sie hinter Kitty und Dennis her.
Es hätte schon längst Abend sein müssen, aber die Sonne ging und ging einfach nicht unter. Kitty, Jojo und Dennis schienen völlig das Zeitgefühl verloren zu haben. Langsamen Schrittes liefen sie immer weiter. Es war sehr schwer, denn nicht nur war es so, dass immer wieder Dünen und Hügel plötzlich auftauchten und wieder verschwanden und erneut auftauchten und verschwanden, nein, auch die Sonne tanzte am Himmel wie wild. Mal schien sie vom tiefen Westen, mal zeigte sie sich von Osten als aufgehende Morgensonne, mal stand sie hoch am Himmel, mal bewegte sie sich im Kreis oder schien von Norden oder Süden. Und das, obwohl Dennis, Kitty und Jojo stets in ein- und dieselbe Richtung liefen. Die ganze Wandernde Steppe wanderte scheinbar ziellos herum.
Plötzlich entdeckte Jojo am Horizont einen Punkt, der sich anscheinend nicht zu bewegen schien. Es könnte ein Haus, ein kleiner Hügel oder so ähnlich sein, jedenfalls war der Punkt dunkel und blieb immer auf demselben Fleck.
„Seht mal dort vorne“, sagte sie und zeigte auf eben diesen Punkt.
Dennis und Kitty blieben nun auch stehen und sahen auf das merkwürdige Objekt.
„Ob das dieser Baum ist, von dem du gesprochen hast?“, fragte Kitty Dennis.
„Vermutlich“, sagte Dennis verwundert. „Allerdings dachte ich nicht, dass es ihn wirklich geben könnte...“
„Na, dann laufen wir hin“, sagte Jojo, erleichtert darüber, dass sie bald ein Lager gefunden hätten, um sich auszuruhen. Nun war sie die Erste, die schnell loslief, und Kitty und Dennis hatten fast Mühe, hinter ihr herzukommen.
Die drei Jugendlichen redeten jetzt nahezu nichts mehr. Zu heiß war es hier inmitten dieser Steppe. Aber je näher sie dem dunklen, schattigen Fleck am Horizont kamen, desto mehr stieg in ihnen der Mut an. Und tatsächlich – schon bald entpuppte sich der Punkt als ein Baum. Zunächst war er klein, dann – je näher Kitty, Jojo und Dennis ihm kamen, wurde er größer und größer. Nach fünf Stunden Fußmarsch standen sie dann vor einem riesigen, meterhohen Baum.
„Mann, ist der riesig.“ Kitty sah bewundernd auf den Baum.
Nach außen hin glich er einer Mischung aus einem Banyan-Tree, wie sie in Hawaii vorkommen, und einem Affenbrotbaum, wie man sie von den südlichen Gefilden Afrikas kennt. Aber dieser Baum war viel, viel größer als die anderen Bäume. Er war so groß wie ein ganzes Haus, wie ein Hochhaus sogar. Er hatte kleine, blaue und rote Blätter an seinen dicken Ästen, und seine Äste gingen sehr in die Breite. So spendeten sie viel Schatten unter sich. Der Stamm war dunkelbraun, fast schwarz, und er war sehr, sehr breit. Noch niemals vorher hatten Kitty und Jojo einen solchen Baum gesehen, selbst Dennis war starr vor Ehrfurcht.
Kitty trat langsam an den Baum heran. Sachte berührte sie seine Rinde. Sie fühlte sich fest an, aber gleichzeitig weich. Im Stamm des Baumes waren viele Ritzen, die Kitty ertastete.
„Was meint ihr, sollen wir auf ihn klettern?“, überlegte Kitty.
„Warum?“, wollte Jojo wissen.
„Um aus dieser Steppe herauszukommen“, erklärte Kitty, dann wandte sie sich zu Dennis. „Dennis, du hast doch gesagt, dieser Baum sei die einzige Möglichkeit, um die Wandernde Steppe zu verlassen.“
„Schon...“ Dennis klang nachdenklich. „Nur habe ich bis heute nicht so daran geglaubt, dass es diesen Baum wirklich gibt. Ich weiß nicht, ob er uns so ohne weiteres hier raus lässt.“
„Was meinst du damit?“ Kitty setzte sich unter den Baum und lehnte ihren Rücken an seinen dicken Stamm. Auch Jojo setzte sich. Dennis kratzte sich nachdenklich am Kopf.
„Die Legende besagt, dass dieser Baum lebt“, sagte er. „Wir werden ihn wahrscheinlich fragen müssen, wie wir die Wandernde Steppe verlassen können.“
„Ihn... fragen?“ Jojo schüttelte ihre Haare. „Heißt das, wir sagen Hallo, wie geht’s, und nebenbei, kennst du einen Weg hier raus oder so?“
„So ungefähr“, sagte Dennis.
Plötzlich erschrak Kitty. Der Baumstamm hinter ihr gab plötzlich nach. Kitty fiel hin und rappelte sich dann wieder auf. Sie drehte sich um und sah verwundert hinter sich – der Baumstamm hatte sich wie von Geisterhand geöffnet. Genau dort, wo Kitty saß, entstand so etwas wie ein Tor, das scheinbar ins Bauminnere führte.
„Was hast du jetzt gemacht?“, fragte Jojo erschrocken.
„Ich? Gar nichts...“, beteuerte Kitty. Sie blickte, wie Dennis und Jojo auch, ins Innere des Baumes. Erkennen konnten die drei Kinder aber nichts, denn es war anscheinend im Baum stockfinster. Nicht ein Lichtschein drang nach draußen. Kitty streckte eine Hand in die Öffnung hinein.
„Es ist schön kühl da drin“, bemerkte sie.
„Muss es ja, wenn die Sonne nie da rein kommt“, stellte Jojo fest.
„Hast du eine Taschenlampe oder so?“, fragte Kitty ihre Freundin.
„Ich hab eine“, sagte Dennis. Er holte sie aus seinem Rucksack hervor und versuchte, ob sie funktionierte. Sie leuchtete.
„Na, prima. Dann los.“ Kitty erschien vollen Mutes.
„Wie, dann los?“, erwiderte Jojo skeptisch. „Du meinst, wir sollen da jetzt rein gehen?“
„Klar.“ Kitty blieb unerbittlich. „Wenn uns einer helfen kann, hier wegzukommen, dann ist es dieser Baum. Und irgendetwas sagt mir, dass wir da hinein müssen.“ Kitty lief zugleich los. Dennis zog Jojo am Ärmel.
„Ja, ja, ist ja gut, ich komm' ja schon.“ Widerwillig stapfte Jojo dann hinter Kitty und Dennis her.
Kaum waren sie durch die Öffnung hindurch gelaufen, schloss sich auf seltsame Weise der Stamm hinter ihnen wieder. Jetzt war es hier total finster. Kitty und Jojo sahen rein gar nichts mehr. Dennis suchte den Schalter seiner Taschenlampe. Dann schaltete er sie ein. Das matte Licht machte deutlich, was die drei Kinder bereits bemerkt haben.
„Klasse!“, schimpfte Jojo. „Jetzt sind wir hier drin eingesperrt.“
„Immer noch besser, als draußen in der Affenhitze“, entgegnete Kitty.
„Seht mal“, sagte Dennis dann. Er leuchtete an die Wand, wo sich so etwas wie eine Strickleiter befand. Sie führte wohl nach oben, aber Dennis konnte nicht ausmachen, wo sie endete.
„Geh du zuerst“, sagte Dennis zu Kitty. Kitty kletterte daraufhin die Leiter hoch, während Dennis ihr von unten versuchte zu leuchten. Anschließend folgte Jojo ihr, und als Letzter stieg Dennis die Leiter hinauf.
Die Jugendlichen kamen, noch immer in der Finsternis, in so etwas wie einen weiteren Raum hinein, ein zweites Stockwerk sozusagen. Als Dennis leuchtete, fand sich absolut kein Weg aus diesem Raum hinaus – bis auf die Strickleiter, die nach unten führte. Dennis schüttelte seinen Kopf.
„Und jetzt?“, fragte Kitty.
In Jojos Tasche rumpelte es plötzlich, so als wollte etwas hinaus. Jojo öffnete daraufhin die Tasche des Gürtels von ihrem Zaubergewand – und ihr Buch der tausend Zauber hüpfte ihr in die Hand. Total seltsam: Die Schriftzeichen leuchteten. Jojo schlug das Buch irgendwo in der Mitte auf und sah, wie die Schriftzeichen sich zu einem neuen Absatz formierten. Sie las vor.
„Ro’nan. Er ist eines der seltensten und intelligentesten Wesen von Naytnal. Worte versteht er nicht, zu einfach sind diese für ihn. Wenn man ihn etwas fragen oder ihn um etwas bitten möchte, so muss dies in höherer Mathematik erfolgen. Nur so werdet ihr Antwort und Hilfe erhalten. Und noch ein Tipp, Jojo: Bewahrt euch vor den schrecklichen Shara’rieks – sie können euch gefährlich werden.“
Jojo schlug ihr Buch wieder zu und tat es wieder in ihre Tasche hinein. Kitty dachte nach. Dennis ebenso.
„Worte versteht er nicht...“, rekapitulierte Kitty.
„Wer sind denn die Shara’rieks?“, überlegte Jojo.
„Also, wenn Ro’nan hier drin wohnt – wo könnte er sich aufhalten?“ Kitty lehnte sich an eine Wand.
„Nein, nein... Ro’nan ist dieser Baum. Er ist ein Lebewesen, und wir sind mitten in ihm“, erklärte Dennis.
„Uuh!“, machte Jojo.
Plötzlich fing es gewaltig an zu wackeln. So, als ob gerade ein Erdbeben passierte. Kitty, Jojo und auch Dennis erschraken und fielen zugleich auf den hölzernen Boden. In der gleichen Sekunde... erschien ein gleißendes Licht, und das ganze Innere des Raumes, in dem die drei sich befanden, fing an, auf unerklärliche Weise hellblau zu leuchten. Erst jetzt konnten Kitty, Jojo und Dennis die runde, viel verzierte Form des Bauminneren in seiner vollen Pracht erkennen. Auch wenn alles nur aus Holz war, es sah total beeindruckend aus in diesem blauen Lichtschein – hoch technisch irgendwie, und dennoch einfach. Und Kitty, Jojo und Dennis wussten nicht, ob sie Angst haben sollten oder beeindruckt sein sollten.
„Hallo?“, versuchte Kitty, einen ersten Kontakt herzustellen. Dennis lächelte. Keine Antwort kam.
„Seine Sprache ist die Mathematik“, erklärte Dennis.
„Ausgerechnet Mathe“, murmelte Kitty. „Da steh ich fünf im Zeugnis. Sollen wir jetzt 13 mal 29 durch fünf Millionen rechnen oder so was?“
Plötzlich hallte eine sanfte, tiefe Stimme durch den Raum.
„Glühwürmchen, Glühwürmchen, fliege herbei. Willst du mich sprechen, so rede im Reim.“,
sagte die Stimme.
„Was?“ Jojo setzte sich auf und blickte um sich.
„Wie Mathe klingt das nicht“, stellte Kitty fest.
„Dein Buch sprach von einer höheren Mathematik“, mutmaßte Dennis. „Vielleicht meinte es das auf literarische Weise.“
„Ja...“ Kitty überlegte. „Die gesprochenen Worte bilden Sätze. Die Sätze Geschichten. Und die höchste Mathematik innerhalb von Geschichten... sind Verse. Lyrik. Gedichte.“
„Das heißt... wir müssen dichten, um mit ihm zu reden“, erkannte Jojo.
Kitty stellte sich hin und versuchte, ihren ersten Reim zusammenzubasteln, mit dem sie Ro’nan begrüßen wollte. Nach einer Minute hatte sie etwas Passendes und sprach: „Ro’nan, dein Licht ist so hell und so schön. Sag‘ uns, warum können wir dich nicht sehen?“
Stille.
„Vielleicht war es nicht der richtige Reim...“, wollte Jojo gerade ansetzen, doch dann ertönte die Stimme wieder.
„Wer es auch sei, das Wesen im Schein, niedliches Wesen, bezaubernd und klein, du sprichst mit Ro’nan, dem einzelnen Baum. Aus der wandernden Steppe euch führ‘ ich hinaus.“
Kitty war sichtlich froh, dass sie den ersten Kontakt nun herzustellen vermochte. Jetzt musste sie ihn fragen, ob er sie zu den Inseln von Yo’ria’san bringen könnte. Sie dachte eine Zeit lang nach und hatte dann einen neuen Reim.
„Kitty und Jojo und Dennis dich fragen, kennst du den Weg nach Yo’ria’san? Auf einer Mission wir sind dieser Tag’ und müssen dafür zum Ob’sina’ilan.“, sprach sie.
Wieder wackelte es, als wäre ein Erdbeben geschehen. Kitty, Jojo und Dennis hielten sich aneinander fest.
Als es aufhörte zu wackeln, warteten die drei wortlos und gespannt auf die Antwort von Ro’nan. Und tatsächlich kam sie dann auch. Ro’nan sprach: „Euch hinbringen wohin ihr wollt ich vermag, Dafür ich lebe seit Jahr und Tag. Doch bedenkt, den Ausgang zu finden, ist schwer, denn all euer Dasein gefährdet ist sehr. Wahrlich, ihr müsst euch drei Prüfungen stellen, ohne Rat von Dennis, nur ihr und zu zweit. Erst dann kommt aus mir ihr wieder ins Helle, Drum frage ich euch nun, seid ihr bereit?“
Die drei standen still im Raum. Jeder schien für sich zu überlegen, nachzudenken. Jojo brachte es als Erste auf den Punkt.
„Also, gut, Kitty“, sagte sie. „So wie ich das verstanden habe, müssen du und ich drei Prüfungen schaffen, und zwar ohne, dass Dennis uns beraten darf.“
„Aber was meint Ro’nan damit, dass wir unser ganzes Dasein gefährden?“ Kitty klang etwas skeptisch und angstvoll.
„Wir haben keine Wahl, Kitty“, erkannte Jojo.
„Ihr werdet das schon schaffen“, beruhigte Dennis Kitty und nahm seine Freundin in den Arm. „Und außerdem bin ich ja bei dir, auch wenn ich euch keinen Rat geben darf.“
„Also, gut“, sagte Kitty. Dann wandte sie sich wieder der Stimme von Ro’nan zu.
„Ro’nan, wir sind nun bereit dafür, Deinen Prüfungen jetzt uns stellen wir“
Plötzlich ging das Licht im Raum wieder aus. Der Baum fing wieder an zu wackeln. Kitty, Jojo und Dennis hörten ein seltsames Geräusch... und in der nächsten Sekunde spürten sie plötzlich, wie unter ihnen der Boden nachgab. Nicht einfach gab der Boden nach, er verschwand, und Kitty, Jojo und Dennis fielen in die Tiefe.
Kaum waren sie gelandet, ging das Licht wieder an. Aber es schimmerte diesmal rötlich, so wie der Schein eines gerade ausgegangenen Kaminfeuers.
„Wo sind wir jetzt?“, fragte Jojo. Sie blickte sich um. Auch Kitty und Dennis blickten sich um. Sie lagen auf einmal in einem Meer voller rötlicher Blüten, die sanft leuchteten. Von ihnen ging eine wundersame Wärme aus. Kitty blickte nach oben. Sie konnte kein oberes Ende des Raumes entdecken.
„Der Raum hier scheint viel größer zu sein als der Baum“, stellte sie fest. „Ich kann nicht mal die Decke sehen...“
„Dennis, siehst du etwas?“, fragte Jojo.
Dennis bewegte seinen Mund. Jedoch kam kein Ton kam heraus. Dann lächelte er nur.
„Dennis?“ Kitty blickte ihn an.
„Es ist schon in Ordnung“, sagte Jojo schließlich. „Er darf uns ja nicht helfen. Ro’nan hat ihn wohl vorübergehend stumm gemacht.“
Dennis nickte und stupste Kitty zärtlich an.
„Ich bin sicher, dass er ihm die Sprache zurückgibt, wenn wir hier durch sind.“ Jojo stand auf. „Nun müssen wir aber sehen, wie wir hier weiter kommen.“
„Sieh doch nur“, stammelte Kitty plötzlich. Sie sah unter sich. Die Blüten verblühten plötzlich. Aber – und das war noch merkwürdiger – kaum einige Sekunden später entstanden sie von neuem. Dann verblühten sie wieder, und wieder entstanden sie aufs Neue, jedes Mal schöner und prachtvoller als zuvor.
Kitty war die Erste, die ein leises Wimmern aus der Ecke hörte. Es kam hinter einem Blütenbusch hervor. Kitty lief sofort hin. Dort saß ein kleines Mädchen mit langen blonden Haaren. Sie kniete vor dem Busch. Sie hielt etwas in ihrer Hand. Kitty konnte nicht erkennen, was es war, aber das Mädchen schien damit irgendetwas zu machen.
„Wer bist du? Brauchst du Hilfe?“, sprach Kitty es an. Auch Jojo und Dennis kamen nun an.
„Glühwürmchen, Glühwürmchen...“, sang das Mädchen. Es sah traurig aus.
„Wie ist dein Name?“, versuchte Kitty es erneut.
„Ich habe keinen“, antwortete das Mädchen. „Ich brauche keinen.“
„Was machst du hier?“
„Weiß ich nicht“, sagte die Fremde.
„Aber du musst doch von irgendwo her kommen“, bemerkte Jojo.
„Ich bin schon immer hier“, erzählte das fremde Kind. „Ich liebe meine Glühwürmchen.“
„Vielleicht sollten wir sie mitnehmen“, flüsterte Kitty Jojo zu. Dann sprach sie wieder das Mädchen an. „Sag mal, möchtest du gerne mit uns kommen? Vielleicht finden wir dann heraus, wer du bist.“
„Weiß nicht“, antwortete das Mädchen.
Plötzlich entstand ein gewaltiger Wind. Er kam von unten her. Ja, Kitty, Jojo und Dennis wurden plötzlich in die Höhe geschleudert. Das fremde Mädchen blieb auf ihrem Platz sitzen und machte weiter mit dem, was immer sie tat.
Kitty, Jojo und Dennis fanden sich indessen jedoch in einem anderen Raum wieder. Ein grünliches Licht war hier zu sehen. Die Wand des Raums erschien behangen mit leuchtendem Moos, sehr dickem Moos. Und – die drei trauten ihren Augen nicht – das Moos bewegte sich fortwährend.
„Was ist das hier?“, fragte Kitty.
„Ob das eben schon die erste Prüfung war?“, überlegte Jojo. „Wenn ja, dann müsste dies bereits die zweite Prüfung sein.“
„Auu!“, schrie Kitty plötzlich auf. Etwas hatte sie gebissen. Sie sah auf ihren Arm, wo sie die Schmerzen spürte. Da saß ein kleines, grünes Etwas und war gerade dabei, sie anzuknabbern. Schnell schleuderte sie es herunter. Und dieses Etwas flatterte daraufhin ins Moos zurück.
Erst jetzt erkannten Kitty und Jojo zwei wesentliche Sachen: erstens musste das Etwas aus dem Moos gekommen sein, und zweitens hörten sie ein anhaltendes Furcht erregendes Rauschen.
„Uuaaah!“, machte plötzlich eine Stimme, die hell klang. Und sie klang so, als ob viele, viele Wesen auf einmal sprachen.
„Wer ist da?“, rief Kitty.
„Wir wünschen nicht gestört zu werden“, sprach die seltsame Stimme. „Sonst fressen wir euch auf.“
Angstvoll schmiegte Kitty sich an Dennis. Nur Jojo blieb tapfer mitten im Raum stehen.
„Wer möchte nicht gestört werden?“ Sie ließ nicht locker. „Wer wagt es, der Kaiserin von Naytnal und ihrer Stellvertreterin so vor den Kopf zu stoßen?“
Plötzlich löste sich auf mysteriöse Weise das Moos völlig von der Wand und formierte sich in einem seltsam aussehenden Bündel vor Jojo. Groß wie ein Schrank bewegte es sich vor Jojo hin und her. Jojo sah genauer hin. Da erkannte sie, dass das gesamte Moos aus vielen, vielen kleinen Lebewesen bestand, offenbar Insekten ähnliche Wesen.
„Sooo...“, sprachen diese Wesen. „Du willst die Kaiserin von Naytnal sein?“
„Ich nicht“, betonte Jojo. „Kitty ist es. Ich bin ihre Stellvertreterin. Und derzeit unterstütze ich Kitty, weil sie ihre Macht verloren hat.“
Die vielen Wesen formierten sich um Kitty herum und schienen sie einzuschließen.
„Lasst sie!“, schrie Jojo.
Die Wesen ließen daraufhin von Kitty ab und formierten sich wieder vor Jojo.
„Was soll das?“, hakte Jojo nach.
„Die Shara’rieks fressen alles und jeden“, erklärten die brummenden Wesen. „Dazu sind wir bestimmt.“
Kitty und Dennis bekamen es mit der Angst und schmiegten sich eng aneinander. Nur Jojo blieb wieder unerwartet cool.
„Ihr könnt uns gar nicht fressen“, sagte sie forsch. „Kitty ist die Schöpferin vom Stern der Reiche, zu dem auch dieser Baum gehört, den ihr bewohnt. Und wenn ihr sie fresst, dann löst sich euer Baum in Luft auf. Dann wird sich euer ganzes Reich, eure ganze Welt in Luft auflösen.“ Jojo hob ihren Kopf. „Hört ihr mich?“
Die Wesen summten.
„Warum nicht?“, fragten sie schließlich. „Das wäre mal etwas anderes.“ Und wieder wollten sie sich auf Kitty drauf stürzen. Wieder formierten sie sich neu. Jojo musste schnell handeln. Die Wesen umschlangen Kitty und Dennis. Zitternd stand Jojo daneben.
„Kitty... Dennis... nein...“, schrie sie. Ihre Hand wanderte zu ihrer Tasche an ihrem Gürtel. Sie wanderte zum Griff der Tasche. Sie wollte sie öffnen, aber sie tat es nicht.
Plötzlich ließen die Wesen von Kitty und Dennis ab und machten weiter, an der Wand herumzuhängen und zu knabbern, so als sei nichts geschehen.
„Kitty! Dennis! Alles in Ordnung?“ Jojo stürmte gleich zu ihnen.
„Ja, ja...“, sagte Kitty. „ Ich glaub', schon.“
Dennis hob seinen Zeigefinger und schien etwas zu schimpfen, tonlos natürlich.
„Du hast ja Recht“, sagte Kitty zu Dennis und wandte sich dann Jojo zu. „Jojo, du wolltest dein Wasserschwert ziehen, nicht wahr?“
„Ich habe mit dem Gedanken gespielt, es einzusetzen.“
„Wenn wir in Gefahr gewesen wären, dann wäre es herausgekommen. Gut, dass du es nicht gemacht hast.“
„Ich schätze, das war die zweite Prüfung“, sagte Jojo dann. Dann wandte sie sich noch einmal an die Shara’rieks, die kleinen gefräßigen Monster. „Shara’rieks, ich habe noch eine Frage: Wer ist das Mädchen, das bei den roten Blüten sitzt?“
„Sie webt“, sagten die Shara’rieks. „Tut sie es nicht, dann gibt es kein Moos mehr, das aus den Wurzeln ihrer Blüten entsteht. Tut sie es nicht, dann gibt es uns nicht mehr, weil wir aus dem Moos wachsen. Und wenn wir den Baum von innen nicht weiter fressen können, gibt es Ro’nan nicht mehr, denn dann wird er zu einem toten Baum, wie alle hier in der Wandernden Steppe. So, und nun lasst uns alleine.“
Plötzlich verschwand der Boden unter Kittys, Jojos und Dennis‘ Füßen wieder, und wieder fielen sie. Sie landeten wieder bei dem Mädchen in dem roten Blütenmeer. Aber etwas war nun anders. Das Mädchen lächelte. Es machte keinerlei traurigen Eindruck mehr. Sie schien nun freudig und zufrieden zu sein.
„Hallo“, grüßte sie die drei, als sie ankamen. „Gratuliere. Die ersten beiden Prüfungen habt ihr gut überstanden.“
„Wir haben nun begriffen, was du tust“, sagte Kitty. „Wir begriffen auch, dass du und die Shara’rieks in einer Symbiose mit Ro’nan zusammen leben.“
„Nicht nur ich und die Shara’rieks“, antwortete das Mädchen. „Ihr werdet noch mehr verstehen müssen. Denn ich bin Sara, nur ein Teil der Shara’rieks. Ihr habt den anderen Teil noch nicht gefunden. Aber ich denke, das werdet ihr noch.“
Plötzlich wehte wieder dieser Wind. Kitty, Jojo und Dennis konnten sich nicht mal von Sara verabschieden, so schnell wurden sie wieder nach oben geweht. Und diesmal viel, viel weiter höher als sie dachten. Sie kamen schließlich in einem engen, runden Raum an, dessen Licht mattgelb leuchtete, wie das Licht einer alten Öllampe, die fast leer wäre.
„Ein weiterer Teil der Shara’rieks...“, grübelte Jojo.
„Sie haben gesagt, das Mädchen webt die Blumen. Aus dem Stoff der Wurzeln entsteht das Moos, aus dem wiederum die Shara’rieks entwachsen. Und sie fressen die Rinde des Baums von innen auf, damit Ro’nan lebt.“ Kitty dachte nach.
„Klar“, sagte Jojo. „Wenn er innen zuwächst hat er keine Zimmer mehr hier drin. Dann gibt es Sara nicht mehr, und auch die Shara’rieks nicht. Dann wird Ro’nan ein toter Baum wie alle anderen hier.“
„Etwas fehlt hier. Irgendwo zwischen den Shara’rieks und Ro’nan...“, mutmaßte Kitty.
„Nein“, ergänzte Jojo. „Wir fangen von der falschen Seite zu denken an. Es muss etwas sein, das vor allem steht. Etwas, womit alles beginnt.“
„Womit alles beginnt...“, wiederholte Kitty leise. Sie hatte eine Ahnung, aber sie traute sich offenbar nicht, es zu sagen. Irgendetwas schien sie zurückzuhalten, obwohl sie ganz schrecklich wollte, dass sie sich trauen würde, es zu sagen. Sie wusste, was sie sagen musste, genau jetzt. Und sie wusste es gleichzeitig nicht. Kittys Gedanken begannen zu kreisen. Auf den einen Satz konzentriert, und gleichzeitig völlig unkontrolliert. Sie fühlte dabei ein unbehagliches Gefühl, aber gleichzeitig ein Gefühl voller Hoffnung und Sicherheit. Kittys Hand wanderte zu dem geheimnisvollen Schlüssel der Macht, der an der Kette um ihren Hals hing. Sie berührte ihn.
„Wir sind es...“, flüsterte sie. „Kitty und Jojo...“
Plötzlich holte Jojo wie ferngesteuert etwas aus ihrer Tasche heraus und gab es Kitty in die Hand, ohne zu sehen, was es war. Es war ein kleiner Beutel. Kitty nahm ihn und öffnete ihn. In dem Beutel war Staub. Goldener Staub. Kitty warf ihn in die Luft.
Plötzlich entstanden Tausende von kleinen Glühwürmchen aus dem Staub. Sie tanzten umher. Und der Raum erhellte sich golden. Es schien beinahe, als würden es von Sekunde zu Sekunde immer mehr Glühwürmchen werden.
„Die Glühwürmchen“, flüsterte Jojo. „Sara sagte, sie liebt ihre Glühwürmchen...“
„Riek. Riek. Riek...“, summten sie. Dann schwebten sie davon, nach unten.
„Wir sind es“, sagte Kitty wieder. „Der Anfang von allem sind wir. Kitty und Jojo“, sagte sie lauter, während sie nach oben schaute.
Und wieder kam ein Windhauch. Dennis, Kitty und Jojo wurden nach oben geschleudert – und fanden sich dann plötzlich auf der Baumkrone des riesigen, mächtigen Baumes Ro’nan wieder.
„Nun denn, ihr habt es wohl erreicht. Habt eure Prüfung gut geschafft. Abschied nehme ich von euch. Und werde tun, wie ich versprach. Schlafen legt euch einfach nun, hier zwischen Ästen sollt ihr ruh'n. Auf Blättern träumen sollt ihr fein, am Ziel ihr bald dann werdet sein.“, sprach Ro’nan.
„Gut gemacht, meine Süße“, lobte Dennis Kitty und gab ihr einen Kuss. „Du natürlich auch, Jojo.“ Freundschaftlich klopfte er auf Jojos Schulter. Kitty und Jojo waren sichtlich froh, dass Dennis seine Sprache wieder fand. Ja, sie haben es geschafft. Ganz alleine, ohne Dennis‘ Rat.
Jetzt waren sie alle drei aber auch ganz schön erschöpft.
„Wie er uns nun nach Yo’ria’san bringt?“, rätselte Jojo.
„Vertrau ihm einfach“, sagte Kitty beruhigend. „Er hat gesagt, dass er uns dorthin bringt. Er wird es auch tun.“
Dann wurde es Nacht in der Wandernden Steppe. Die Sterne kamen heraus und der Mond schien hell. Erschöpft fielen Kitty, Dennis und Jojo schließlich in einen tiefen, tiefen Schlaf.
Während sie schliefen, wuchs Ro’nan in der Wandernden Steppe an. Er wuchs höher und höher. Seine Baumwipfel ragten bereits über die Wolken heraus. Immer höher wuchs Ro’nan an, bis er schließlich weit, weit hinaus ins Weltall ragte. Und auf seiner Baumkrone schliefen Kitty, Jojo und Dennis immer noch tief und fest.
Sie sah dem Vogel hinterher, der hoch am Himmel seine Bahnen zog. Er flog einen großen Kreis, anschließend stürzte er in die Tiefe. Sie versuchte, auszumachen, wohin er geflogen ist, aber der Vogel war plötzlich weg.
Die Sonne war bereits dabei, unterzugehen. Es muss Abend geworden sein. Das junge Mädchen von vielleicht 16 Jahren nahm einen tiefen Luftzug und atmete die wunderbare Luft ein, die frisch nach Meer und Sommer schmeckte.
Ein junger Mann – er war ungefähr 18 Jahre alt und eigentlich fast noch ein Junge – kam dann zu ihr und leistete dem Mädchen Gesellschaft. Still setzte er sich auf einen Liegestuhl auf der Veranda dieses beschaulichen, kleinen Hauses, der unweit von ihrem stand.
Die Trauben der Reben, die das Haus umgaben, glänzten in der abendlichen Sonne und fabrizierten einen wunderschönen Schein über der malerischen Gegend.
„Weißt du“, sagte das junge Mädchen schließlich, „je länger ich hier bin, desto mehr gefällt es mir hier. Ich kann nicht erklären, warum.“
„Es ist so schön ruhig hier“, sagte der Mann. „Das ist sehr gut für die Seele. Ich bin froh, dass ich hier wohne.“
Das Mädchen sah den Mann an.
„Du erinnerst dich noch immer nicht, Kitty“, stellte er fest.
Kitty sah nachdenklich zu Boden.
„Ich weiß nicht, wie ich hierher kam. Ich habe ständig das Gefühl, dass ich wenige Minuten oder Stunden zuvor noch woanders gewesen bin.“
„Ich verstehe“, sagte der Mann ruhig. „Kitty, setze dich nicht selbst unter Druck. Alles braucht seine Zeit.“
Kitty blinzelte ihn an.
„Deinen Namen hast du mir ebenfalls noch nicht gesagt“, sagte sie mit einem leicht vorwurfsvollen Unterton, während ihre rechte Hand mit einer Haarsträhne ihrer dunkelblonden Haare spielte.
„Namen sind Schall und Rauch“, entgegnete der Mann. „Wenn du gerne hier bei mir bist, wird es irgendwann nicht mehr wichtig sein, wie ich heiße.“
Kitty schüttelte ihren Kopf.
„Aber ich muss dich doch irgendwie ansprechen“, erkannte sie.
Der Mann lächelte.
„Wenn du möchtest, dann nenne mich Rom“, sprach er. „Das ist einer meiner vielen Namen. Du darfst mich sehr gerne so ansprechen.“
Kitty blickte ihn stumm an.