3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €
Kitty und ihre Adoptivschwester Jojo – mittlerweile junge Erwachsene – haben sich an der Universität von Miami eingeschrieben und beginnen dort ihr erstes Semester. Gleich zu Anfang begegnet ihnen ein fremder Dozent, der eine unerklärliche, fast schon magische Wirkung auf Kitty und Jojo hat. Als Kitty in ihrem Laptop eine geheime Geschichte vorfindet, die sie sehr stark an ihre vergangenen Abenteuer in der magischen Welt Naytnal erinnert, beginnt sie, an ihrer Wahrnehmung zu zweifeln. Zusammen mit Jojo macht sie sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Autor der Geschichte, der auf den Namen Rom Malumba hört – nicht nur, um die endgültige Wahrheit über den Stern der Reiche herauszufinden, sondern auch, um ihren verlorenen Freund Dennis wiederzufinden. Aber Kitty weiß nicht, dass sie sich dabei in die größte Gefahr begibt, die ihr je widerfahren ist... Der siebte Band der Fantasy-Reihe NAYTNAL bringt Kitty und Jojo zurück in eine Welt, die nicht mehr das ist, was sie einst war. Dies ist das epische Finale der Geschichte – unerwartet, spannend und emotional.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Inhaltsverzeichnis
Widmung
Kapitel 1 - Weit, weit weg
Kapitel 2 - Das Internat
Kapitel 3 - Gefallene Seelen
Kapitel 4 - Der Niemandsberg
Kapitel 5 - Die verlorene Stadt
Kapitel 6 - Die Berge der Wut
Kapitel 7 - Rätselhafte Wirklichkeit
Kapitel 8 - Das mystische Dorf
Kapitel 9 - Begegnungen
Kapitel 10 - Die Insel der tausend Gefahren
Kapitel 11 - Die Flut
Kapitel 12 - Nebel und Feuer
Kapitel 13 - Hannahs Berufung
Kapitel 14 - Die Zeichen des Krieges
Kapitel 15 - Die letzte Apokalypse
Kapitel 16 - Das Licht des Todes
Kapitel 17 - Auf immer und ewig
Alle 7 Bände der Fantasy-Reihe NAYTNAL im Überblick
Über den Autor Elias J. Connor
Impressum
Für Jana.
Meine treue Seele an meiner Seite.
Ich bin glücklich, dass wir uns gefunden haben.
Deine Träume leben in meinen Geschichten.
Es war ein warmer Frühlingstag an der International University of Florida in Miami. Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel, und ein sanfter Wind wehte über den weitläufigen Campus. Die Palmen neigten sich leicht im Wind, und das frische Grün der gepflegten Rasenflächen lud die Studierenden dazu ein, ihre Pausen im Freien zu verbringen.
Inmitten des lebhaften Treibens auf dem Campus herrschte eine angenehme Ruhe in der Bibliothek. Die großen Fenster ließen das Tageslicht hereinfallen und beleuchteten die zahlreichen Bücherregale. Studierende saßen vertieft in ihre Bücher, Notizen und Laptops vertieft, während leises Murmeln von Gruppenstudien die Luft erfüllte.
In einem der modernen Hörsäle fand eine fesselnde Vorlesung statt. Der Dozent, mit profundem Wissen und einer lebhaften Persönlichkeit, erklärte die komplexen Zusammenhänge eines Wirtschaftskurses. Die Studierenden hingen an seinen Lippen, eifrig Notizen machend und Fragen stellend, um das Material vollständig zu verstehen.
Auf dem Campusplatz versammelten sich Studierende zwischen den Vorlesungen, um sich auszutauschen und gemeinsam Mittag zu essen. Das bunte Treiben der verschiedenen Nationalitäten und Kulturen spiegelte die Vielfalt der Universität wider. Lachende Gesichter, angeregte Diskussionen und der Duft von internationaler Küche erfüllten die Luft.
Währenddessen trainierte das Universitätsteam auf dem Sportplatz, um sich auf das bevorstehende interuniversitäre Turnier vorzubereiten. Die Klänge von Traineranweisungen und jubelnden Teammitgliedern vermischten sich mit dem Gezwitscher der Vögel.
Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu, und die Abendsonne tauchte den Campus in warmes, goldenes Licht. Studierende strömten aus den Gebäuden, einige in Richtung Wohnheime, andere zum Abendessen in der Campus-Cafeteria. Der Campus der International University of Florida war nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch ein lebendiges soziales Zentrum, in dem Menschen aus aller Welt gemeinsam wuchsen, lernten und ihre Erfahrungen teilten.
Die Sonne neigte sich bereits dem Horizont entgegen, als Kitty auf der Bank am Ufer des Sees saß. Ihr Laptop ruhte auf ihren Knien, während sie sich tief in ihre Gedanken vertieft hatte. Die malerische Kulisse des Universitätscampus in Miami schien für einen Moment in den Hintergrund zu treten, als sie sich auf die Aufgaben vor ihrem inneren Auge konzentrierte.
Die Blätter der umliegenden Bäume rauschten sanft im warmen Wind, und das Wasser des Sees schimmerte in den letzten Sonnenstrahlen des Tages. Kitty, 18 Jahre alt, mit dunkelblonden Haaren, verlor sich in den Tiefen ihrer Überlegungen. Ihre Schwester Jojo, ein Jahr älter, schritt mit lebhaften Schritten den Weg entlang, der zur Bank führte. Ihre braunen Locken tanzten im Wind.
„Hey, Kitty!“, rief Jojo, als sie sich der Bank näherte, aber Kitty schien es nicht zu hören. Jojo legte ihre Hand auf Kittys Schulter und sagte lauter: „Kitty, hier bin ich!“
Kitty zuckte zusammen, als würde sie aus einem Traum gerissen. Sie richtete ihren Blick von ihrem Laptop auf und sah in die strahlenden Augen ihrer Schwester.
„Oh, hey Jojo“, sagte sie und lächelte leicht.
Jojo setzte sich neben Kitty auf die Bank und warf einen Blick auf den Bildschirm.
„Was machst du da so Konzentriertes?“
Kitty seufzte und schloss den Laptop.
„Nichts Besonderes“, antwortete sie daraufhin. „Nur ein paar Recherchen für die Kunstgeschichtsvorlesung morgen. Du weißt schon, wie das ist.“
Jojo nickte zustimmend.
„Ja, die Professoren geben einem hier echt keine Atempause. Aber hey, das ist doch das, wofür wir hier sind, oder?“
Kitty nickte und lehnte sich zurück.
„Stimmt schon. Aber manchmal vermisse ich es einfach, die Zeit zu haben, um über alles Mögliche nachzudenken.“
Jojo runzelte die Stirn.
„Du wirkst nachdenklicher als sonst, Kitty. Alles okay bei dir?“
Kitty zögerte einen Moment, bevor sie antwortete.
„Es ist nur... Ich vermisse Dennis“, sagte sie nach einer Weile.
Ein Schatten huschte über Jojos Gesicht, als sie den Namen hörte. Dennis, Kittys Freund, war vor einigen Monaten in seine Heimatwelt zurückgekehrt, und die beiden hatten sich seitdem nicht mehr gesehen.
Jojo legte tröstend einen Arm um ihre Schwester.
„Ich weiß, Kitty“, sagte sie. „Die Entfernung ist schwer, aber wir haben uns doch geschworen, dass wir diese Zeit hier voll auskosten und uns nicht von solchen Gedanken runter ziehen lassen.“
Kitty nickte und schaute über den See, als würde sie versuchen, die Entfernung zu überbrücken.
„Ich weiß, Jojo, aber manchmal ist es einfach schwer. Ich vermisse seine Art, wie er immer versucht hat, mich zum Lachen zu bringen, und wie er mir zugehört hat, selbst wenn es um die banalsten Dinge ging.“
Jojo lächelte sanft.
„Er wird zurückkommen, Kitty. Und bis dahin haben wir hier so viele Abenteuer zu erleben. Schau, wir sind endlich auf der Universität, studieren das, was uns am meisten interessiert, und sind zusammen. Das sollte uns doch genug sein, oder?“
Kitty nickte und lächelte ihrer Schwester zu.
„Du hast Recht, Jojo. Ich sollte auf das schauen, was wir haben, anstatt darauf, was wir gerade vermissen.“
Die beiden Schwestern verweilten einen Moment schweigend auf der Bank, als sie den letzten Strahlen der untergehenden Sonne zusahen. Ein sanfter Hauch von Seeluft umhüllte sie, und das leise Plätschern der Wellen am Ufer begleitete ihre Gedanken.
Nach einer Weile nahm Jojo das Gespräch wieder auf.
„Hast du eigentlich schon überlegt, welche Kunstgeschichtsvorlesungen du besuchen möchtest? Ich überlege, ob wir uns für dieselben Kurse anmelden sollten.“
Kitty lächelte bei dem Gedanken.
„Das wäre toll, Jojo“, sagte sie. „Gemeinsam durch das Studium zu gehen, macht sicher noch mehr Spaß.“
Die beiden begannen, über ihre Pläne für das kommende Semester zu sprechen. Sie tauschten Ideen aus, welche Professoren interessant sein könnten und welche Schwerpunkte sie setzen wollten. Inmitten ihrer lebhaften Diskussion vergaßen sie für einen Moment die Entfernung zu ihren Liebsten und ließen sich von der Aufregung des neuen Lebens mitreißen.
Die Sterne begannen am Himmel zu funkeln, als die Schwestern beschlossen, sich auf den Weg zurück zum Wohnheim zu machen. Die Bank am See blieb verlassen zurück, als stummer Zeuge der Gespräche zweier Schwestern, die sich fest vornahmen, die Herausforderungen des Studiums gemeinsam zu meistern. Und während sie den Pfad entlang schlenderten, wusste Kitty, dass sie trotz der Entfernung zu Dennis nicht allein war.
Jojo war an ihrer Seite, und gemeinsam würden sie ihre eigenen Abenteuer auf dem Campus erleben.
Der Morgen brach an, und die Sonne tauchte den Campus in ein warmes Licht. Kitty und Jojo schlenderten über das weitläufige Gelände der Universität, ihre Rucksäcke fest auf den Schultern. Die Vorlesung zum Thema Frühe Kunstepochen stand auf dem Stundenplan, und die beiden waren gespannt, was sie erwartete.
Die Hörsaal füllte sich langsam, und die Dozentin, eine erfahrene Kunstgeschichtsprofessorin namens Dr. Victoria Steinhardt, betrat das Podium. Ihre grauen Locken umrahmten ein Gesicht, das von jahrelanger Leidenschaft für die Kunst zeugte. Die Vorlesung begann mit einer Reise durch die Zeit, angefangen bei den Höhlenmalereien der Altsteinzeit bis hin zur Renaissance. Die Worte der Dozentin fesselten die Studierenden, während Bilder vergangener Epochen auf der Leinwand erschienen.
In einer kurzen Pause zwischen den Epochen wandte sich Dr. Steinhardt an die Studierenden.
„Kitty, könnten Sie uns vielleicht etwas über die symbolische Bedeutung der gotischen Architektur erzählen?“, wollte sie von Kitty wissen.
Kitty spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Sie hatte die Frage nicht erwartet und überlegte fieberhaft, während der Blick ihrer Kommilitonen auf sie gerichtet war.
„Ähm, also, die gotische Architektur zeichnet sich durch hohe, spitz zulaufende Bögen und filigrane Verzierungen aus. Sie war eng mit der religiösen Symbolik verbunden und sollte die Gläubigen in den Himmel führen...“
Kitty dachte weiter nach, aber eine genauere Antwort fiel ihr nicht ein.
Dr. Steinhardt unterbrach sie freundlich.
„Richtig, Kitty, das ist korrekt. Die gotische Architektur strebte in der Tat danach, die Verbindung zwischen Himmel und Erde zu betonen. Sehr gut, weiter so.“
Kitty seufzte erleichtert, aber die Peinlichkeit über ihre Unsicherheit nagte an ihr. Jojo, die neben ihr saß, flüsterte ihr aufmunternd zu: „Mach dir keine Sorgen, Kitty. Das war doch nur eine kurze Frage.“
Die Vorlesung ging weiter, und Kitty versuchte, sich wieder auf die Inhalte zu konzentrieren. Als die Zeit verstrich, spürte sie, wie sich ihre Unsicherheit legte. Doch ein Schatten der Verlegenheit begleitete sie bis zur Mittagspause.
Im Campus-Café ließen sich Kitty und Jojo an einem kleinen Tisch nieder, ihre Teller gefüllt mit duftendem Essen. Die Stimmung zwischen ihnen war gelöst, und sie sprachen über die verschiedenen Kunstepochen, die in der Vorlesung behandelt worden waren.
Plötzlich fiel Jojos Blick auf einen jungen Mann, der allein an einem Tisch saß und in einem Buch vertieft war.
„Schau mal, Kitty, das ist Elias Cornwall, der junge Dozent für Kunstgeschichte. Ich habe gehört, er ist wirklich gut.“
Kitty folgte dem Blick ihrer Schwester und nickte leicht. Elias Cornwall hatte dunkle, lockige Haare und eine lebhafte Ausstrahlung. Sein Blick hob sich von seinem Buch, als er bemerkte, dass die beiden Studenten ihn beobachteten. Mit einem Lächeln winkte er ihnen zu.
Jojo, immer offen für neue Kontakte, lud Elias ein, sich zu ihnen zu gesellen.
„Hey, Mr. Cornwall. Haben Sie Lust, sich zu uns zu setzen?"
Elias stand auf und gesellte sich zu ihnen. „Klar, gerne. Ich bin Elias, und ihr seid...?“
„Jojo und Kitty. Wir sind im ersten Semester Kunstgeschichte", stellte Jojo sich und ihre Schwester vor, und Elias nickte freundlich.
„Wie fandet ihr die Vorlesung von Dr. Steinhardt?“, fragte Elias und biss in sein Sandwich.
Jojo antwortete enthusiastisch: „Eigentlich ziemlich interessant. Aber Kitty wurde von der Dozentin in der letzten Pause auf die Probe gestellt.“
Kitty spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Elias sah sie an und sagte: „Mach dir keine Sorgen, Kitty. Jeder hat mal einen Moment, in dem er sich unsicher fühlt. Kunstgeschichte kann ziemlich anspruchsvoll sein.“
„Danke“, murmelte Kitty, erleichtert über Elias' aufmunternde Worte.
Elias wechselte das Thema und begann, von seinen eigenen Erfahrungen als Dozent zu erzählen. Er sprach von seinen Forschungen über die Verbindung zwischen Kunst und Magie in verschiedenen Kulturen. Kitty hörte aufmerksam zu, fand das Thema faszinierend, aber Jojo schien sich nicht besonders dafür zu interessieren.
„Magie in der Kunst? Klingt interessant“, sagte Kitty, ihre Augen leuchteten auf. „Haben Sie vielleicht Tipps für eine gute Vorlesung zu dem Thema?“
Elias lächelte.
„Natürlich“, sagte er. „Du solltest versuchen, die mystischen Elemente in verschiedenen Kunstwerken zu betonen und gleichzeitig historische Zusammenhänge zu erläutern. Die Verbindung zwischen Kunst und Magie ist komplex, aber wenn du die Studierenden mit spannenden Beispielen mitnimmst, wirst du ihre Aufmerksamkeit gewinnen.“
Kitty notierte sich hastig einige Stichpunkte auf einem Zettel.
„Das klingt großartig, Elias“, bedankte sie sich bei dem Dozenten. „Vielen Dank für die Tipps.“
Jojo gähnte leicht und sagte: „Entschuldige, wenn ich nicht so aufgeregt bin wie Kitty. Kunst und Magie sind nicht so mein Ding. Aber ich bin sicher, deine Vorlesung wird super, Kitty.“
Kitty lächelte dankbar, während Elias sich verabschiedete, um zu seiner nächsten Vorlesung zu eilen. Als er den Raum verlassen hatte, bemerkte Jojo Kittys nachdenklichen Blick.
„Was denkst du, Kitty? Elias hat wirklich interessante Dinge erzählt, oder?“
Kitty nickte.
„Ja, er hat mir viel zu denken gegeben. Diese Verbindung zwischen Kunst und Magie könnte eine spannende Richtung für meine Forschung sein.“
Jojo blickte ihre Schwester nachdenklich an.
„Du denkst an Naytnal, nicht wahr?“, wollte sie in Erfahrung bringen.
„Manchmal vermisse ich die Zeit“, sagte Kitty daraufhin ein bisschen wehmütig.
„Es wird Dennis gut gehen“, konterte Jojo gleich, in dem Wissen, woran Kitty wirklich dachte.
Kitty stieß einen hörbaren Seufzer aus.
„Jojo, dieser Elias ist irgendwie eigenartig“, stellte sie daraufhin fest. „Ich habe ein merkwürdiges Gefühl ihm gegenüber, nachdem er so über Magie gesprochen hat.“
Jojo zuckte mit den Schultern. „Na, wenn du meinst. Das mit der Magie ist eben nicht jedermanns Sache. Aber wenn du dich dafür begeisterst, solltest du es verfolgen.“
Die Mittagssonne tauchte den Campus in ein warmes Licht, als Kitty und Jojo sich auf den Weg zu ihren nächsten Vorlesungen machten. In Kittys Gedanken schwirrten bereits Ideen für ihre zukünftige Forschung, während Jojo entspannt dem Treiben auf dem Campus folgte.
Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne tauchten Kittys Zimmer im Wohnheim in ein warmes, orangefarbenes Licht. Die Vorhänge zitterten leicht im lauen Abendwind, während Kitty konzentriert vor ihrem Laptop saß. Auf dem Bildschirm flimmerten verschiedene Registerkarten, jeder Klick führte sie tiefer in die Welt der Kunst und Magie.
Elias' Vorschlag, sich in dieses mysteriöse Thema zu vertiefen, hatte Kitty neugierig gemacht. Sie las Artikel über Künstler, die behaupteten, ihre Werke seien durch übernatürliche Kräfte inspiriert worden, und über magische Symbole, die in der Kunstgeschichte eine Rolle spielten. Ihr Interesse war geweckt, und sie konnte nicht anders, als tiefer zu graben.
In ihrem Zimmer war es ruhig, als die Tür sich langsam öffnete und Jojo hereinkam. Die beiden teilten sich das Wohnheimzimmer, und Jojo strahlte eine Energie aus, die die Stille durchbrach.
„Hey, Kitty! Was machst du hier alleine? Die Stadt wartet auf uns, und ich könnte wirklich eine Ablenkung gebrauchen“, sagte Jojo mit einem strahlenden Lächeln.
Kitty blickte kurz von ihrem Laptop auf und lächelte zurück. „Oh, hey Jojo. Ich recherchiere gerade für das Kunst-und-Magie-Ding, das Elias vorgeschlagen hat. Es ist faszinierend, ich kann einfach nicht aufhören zu lesen.“
Jojo zog die Augenbrauen hoch. „Kunst und Magie? Klingt irgendwie esoterisch, aber interessant. Aber komm schon, lass uns einen kleinen Ausflug machen! Die Stadt bei Nacht ist wirklich magisch, auf ihre eigene Weise.“
Kitty schüttelte den Kopf.
„Danke, Jojo, aber ich möchte heute wirklich dranbleiben. Diese Informationen sind zu aufregend, um sie zu vernachlässigen.“
Jojo wirkte ein wenig enttäuscht, aber sie nickte verständnisvoll.
„Okay, wenn du meinst. Ich mache mich dann alleine auf den Weg. Ruf mich an, wenn du deine geheimen magischen Kunsttricks gelernt hast.“
Mit einem zwinkernden Auge verließ Jojo das Zimmer, und die Tür schloss sich leise hinter ihr. Kitty war wieder allein in dem Raum, aber die aufregende Welt der Kunst und Magie auf ihrem Bildschirm fesselte ihre Aufmerksamkeit.
Stunden vergingen, und die Dunkelheit senkte sich über die Stadt. Die Straßenlichter flackerten auf, während Kitty vertieft in ihre Recherche versunken war. Plötzlich fiel ihr Blick auf eine eigenartige Datei auf ihrem Desktop. Eine Datei mit einem mysteriösen Namen, die sie noch nie zuvor bemerkt hatte.
Ihre Neugierde erwachte erneut, als sie die Warnung las: „Das Öffnen dieser Datei kann den Computer schädigen.“
Kitty starrte auf den Bildschirm, während sie überlegte, ob sie den Hinweis ignorieren oder dem Drang nachgeben sollte. Schließlich entschied sie sich dafür, die Datei zu öffnen. Was konnte schon passieren?
Ein Fenster öffnete sich, und eine endlos lange Liste von Seiten mit Text erschien. Ein Schriftdokument, das viele Dutzend Seiten umfasste. Kitty überflog den Text und bemerkte, dass es sich um Aufzeichnungen zu handeln schien. Auf den ersten Blick schien es wie eine Art Tagebuch zu sein, doch die Einträge waren anders. Es waren keine persönlichen Erlebnisse, sondern Beschreibungen von seltsamen Ereignissen, magischen Phänomenen und unerklärlichen Vorkommnissen. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie weiter las.
Die Geschichten in der Datei waren so surreal, dass sie nicht sicher war, ob sie sie glauben sollte.
Kitty tauchte tiefer in das Dokument ein, als sie eine Stelle entdeckte, die besonders hervorstach.
Fasziniert las Kitty weiter, als sie plötzlich ein leises Knistern hörte. Die Lichter in ihrem Zimmer flackerten, und ein schwacher Luftzug durchzog den Raum. Verwirrt blickte sie auf, als sie bemerkte, dass die Umgebung um sie herum sich zu verändern schien. War das nur Einbildung, oder hatte das Öffnen dieser Datei tatsächlich Auswirkungen?
Kitty blickte zurück auf den Bildschirm und las weiter, als sie plötzlich eine Passage entdeckte, die den Atem stocken ließ. „Wer die Aufzeichnungen liest, öffnet die Tür zu einer Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und Magie verschwinden. Sei vorsichtig, denn einmal geöffnet, kann diese Tür nicht mehr geschlossen werden.“
Eine unheimliche Stille breitete sich im Raum aus. Kitty spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten. War das nur ein schlechter Scherz, oder hatte sie tatsächlich etwas Unheimliches in Gang gesetzt? Ein innerer Konflikt entstand in ihr - sollte sie weiterlesen und die Gefahr erkunden oder die Datei schnell schließen und so tun, als wäre nichts passiert?
Entschlossen setzte Kitty ihre Lese-Expedition fort, als sie tiefer in die Geheimnisse der Magie eintauchte. Und während sie las, ahnte sie nicht, dass sie bereits den ersten Schritt in eine Welt gemacht hatte, die jenseits der normalen Realität existierte.
Wie gefesselt begann Kitty, das gesamte Dokument zu lesen.
Einige Menschen fieberten der Sache entgegen, weil sie ihre Stärke und ihren Mut beweisen wollten und außerdem gerne herausfinden wollten, ob an diesen Gerüchten, die es darüber gab, etwas dran war. Aber die meisten Leute mieden den Jahrmarkt, der jedes Jahr in der kleinen, verschlafenen Stadt Lantyan mitten in den Bergen von Colorado seine Pforten öffnete.
Auf ihm würde ein Fluch lasten, hieß es. Jeder, der auch nur ein Fahrgeschäft besuchte, ein Los kaufte oder an der Eistheke ein Eis bestellte, sei verflucht für den Rest seines Lebens. Nur ein paar Wagemutige besuchten den Rummelplatz jedes Jahr. Und so kam es auch, dass seine Geschäfte immer schlechter liefen.
Der Mountain Lights war auch so das Einzige, was der Ort Lantyan zu bieten hatte. Sonst war es hier immer trostlos. Es gab nur ein paar Geschäfte, ein kleines Einkaufszentrum, ein Hotel, das meistens leer stand – und ein Internat. Es war etwa ein bis zwei Kilometer vom Stadtkern entfernt auf einer Anhöhe und bot Platz für knapp hundert Schüler und Schülerinnen, die hier eine besonders strenge aber gute Erziehung genossen. Meist waren sie aus reichen Familien, aber hin und wieder wurden auch Waisenkinder aufgenommen, deren Unterkunft der Staat bezahlte.
Die ganzen Jungs und Mädchen aus dem Internat – keiner von ihnen traute sich, den „Mountain Lights“ zu besuchen… außer einem 15-jährigen Schüler.
Rom Malumba war ein Außenseiter, ein Einzelgänger, der von allen gemieden wurde, und der alle mied. Er war der unbeliebteste Junge der Schule. Die meiste Zeit verbrachte er damit, auf dem Bett zu liegen und zu träumen. Weil er keine Eltern und keine Freunde hatte, war das das Einzige, das er besaß. Er dachte sich dann immer Geschichten aus – mal schön, mal gruselig und spannend, mal herzzerreißend – und immer mit ihm mittendrin.
Heute, an einem schönen Sommertag im Jahr 1988, war es wieder soweit. Der Jahrmarkt, vor dem die meisten Angst hatten, hatte seine Zelte aufgebaut und machte seine Fahrgeschäfte auf.
Rom, der sich schon am Mittag nach dem Unterricht heimlich aus dem Staub gemacht hatte, stand vor dem Spiegelkabinett und wartete, bis die kleine Kasse das Fenster öffnete. Als dann einer da war, kaufte er eine Karte.
„So, du bist wieder hier“, sagte der Betreiber, der Rom offenbar kannte. „Du traust dich jedes Jahr.“
„Ich bin auch immer wieder raus gekommen“, antwortete Rom. „Ich habe jedes Mal den Weg nach draußen wieder gefunden.“
„Nun, dieses Jahr ist es noch schwieriger“, meinte der Mann.
„Ich weiß“, sagte Rom. „Aber ich will es versuchen.“
Der Mann gab ihm die Karte und ließ den Jungen dann hinein in das Spiegelkabinett.
Rom wusste, was zu tun war. Er kannte die Bilder schon, die er in den Spiegeln sah. Er wusste auch, dass das nicht einfach Bilder waren. Er als Einziger wusste, wie die Bilder entstanden sind. Und als er vor einem bestimmten Spiegel stand, wünschte er sich leise, nie wieder von seinen Mitschülern gehänselt zu werden, nie wieder der Schwache zu sein, nie wieder auf sich herumreiten zu lassen von Kindern, die zweimal kleiner waren als er. Er wünschte sich weg, weit, weit weg.
An jenem Tag ging Rom zum aller letzten Mal in das Geheimnis umhüllte Spiegelkabinett. Als er auch nach zwei Stunden noch nicht herauskam, begannen die Betreiber, nach ihm zu suchen. Später wurde auch die Polizei eingeschaltet. Das ganze Fahrgeschäft wurde auseinander genommen. Aber als man ihn noch immer nicht fand, suchte man auch den Rest des Jahrmarkts ab. Rom blieb verschwunden.
Am Tag darauf suchte die Polizei den halben Ort ab, aber Rom wurde nirgendwo gefunden. Inzwischen ging man von einem Verbrechen aus, aber es gab weder Indizien noch Anhaltspunkte.
Irgendwann, ein paar Tage später, fand man seine Kleidung unter den abgebauten Bestandteilen des Spiegelkabinetts. Daraufhin stellte die Polizei die Suche ein, und obwohl man seinen Körper nirgends fand, wurde Rom Malumba für tot erklärt.
In jenem Jahr hatte der Jahrmarkt zum letzten Mal seine Pforten geöffnet. Aufgrund jenes Vorfalls wurde er nicht mehr besucht und ging Pleite. Die Betreiber verteilten sich in alle Winde, und der „Mountain Lights“ kam nie wieder nach Lantyan.
Aber das Internat, in dem der Waisenjunge Rom wohnte, das existierte weiter. Alte Schüler gingen, neue kamen, und irgendwann hatte man Roms mysteriösen Tod vergessen. Auch, dass es hier mal einen jährlichen Rummelplatz gab, wurde immer mehr verdrängt.
Und dreißig Jahre nachdem dies geschah wusste nicht mal mehr einer im Ort, dass es einen Rom Malumba je gegeben hat.
Rom Malumba, der Einzelgänger und Außenseiter – er war der tapferste Junge im ganzen Ort, vielleicht sogar im ganzen Land. Aber niemand wusste das. Niemand außer ihm selbst, wo immer er jetzt sein mochte. Was immer er jetzt machen mochte, wenn es ihn noch geben würde. Wenn er nicht tot war.
Und das war er nicht.
Draußen wurde es langsam ruhig. Die Sonne verschwand hinter den Hügeln, und während die Abenddämmerung sich breit machte, verstummten auch langsam die Gesänge der Vögel. Und auf den Feldern kamen die kleinen Glühwürmchen hervor und tanzten ihre Tänze.
Die meisten Schülerinnen und Schüler des Internats Lantyan waren jetzt bereits in ihren Quartieren. Sie lasen, schauten Fernsehen oder spielten mit ihrem Handy, wenn sie eines hatten. Manche lernten noch für den nächsten Tag oder machten noch Hausaufgaben, weil sie diese über den Tag noch nicht gemacht hatten.
Einige Wenige liefen noch auf dem großen Schulhof herum, saßen an der Bank, die sich um die dicke Tanne inmitten des Hofs schlängelte und rauchten heimlich eine Zigarette. Und wieder andere spielten noch Fußball. Aber in den meisten Zimmern war das Licht bereits an.
Das Internat Lantyan war gefürchtet und beliebt zugleich im ganzen Land. Es lag in der Nähe der kleinen Stadt Lantyan in Colorado in den USA, eingepackt von den Vorläufern der Rocky Mountains. Viele Eltern, die zu viel Geld hatten um sich um ihre Kinder zu kümmern, schickten ihre Sprösslinge hierher. Das Internat war aber auch bekannt dafür, dass es Waisen aufnahm, die hier eine Chance auf eine gute Ausbildung bekommen sollten. So war es vorprogrammiert, dass es oft Streit gab zwischen denjenigen, die reiche Eltern hatten und sich als etwas Besseres fühlten und denjenigen, die Waisen waren und ihre Unterkunft in Lantyan aus sozialen Mitteln finanziert bekamen.
Ein Mädchen von etwa 17 Jahren saß gerade am Fenster ihres Zimmers und war damit beschäftigt, ihre langen, dunkelbraunen Haare zu kämmen und währenddessen die ruhige Szenerie auf dem Schulhof in sich aufzunehmen, die sie von ihrem Zimmer im ersten Stockwerk gut beobachten konnte.
Sie bemerkte schließlich auch einen Jungen, mit seinen vielleicht 18 Jahren fast schon ein Mann, der rauchender Weise auf einmal mit einer Leiter vor ihrem Fenster auftauchte. Als er die Leiter gegen die Wand lehnte und zu ihr ans Fenster hochkletterte, machte sie eine abfällige Geste.
„Rufus“, sagte sie. „Was willst du?“
„Klappe, Hannah Fanning“, meinte der Junge. „Ich sage es dir noch mal im Guten: Überlasst uns euer Versteck, und wir lassen euch in Ruhe, und keiner wird erfahren, was ich über dich weiß.“
„Du hast keine Beweise in der Hand“, sagte Hannah. „Wenn du dich nicht traust, morgen nach dem Unterricht die Schlacht deines Lebens zu kämpfen, sag es einfach.“
„Du dummes Waisenkind“, schrie Rufus. „Ich habe wohl Beweise.“
Er holte sein Handy heraus und zeigte Hannah eine Videoaufnahme, die er kürzlich damit von ihr gemacht hatte.
„Du hast mich heimlich gefilmt?“, schnauzte Hannah ihn an. „Gib sofort das Handy her.“
Rufus steckte es ein und schubste Hannahs Arm weg. „Gebt auf. Dann wird es nie einer erfahren.“
„Wovon träumst du nachts?“, sagte Hannah höhnisch. „Die Waisen lassen sich nicht erpressen.“
„Ich werde das Video jedem schicken, den ich kenne“, antwortete Rufus daraufhin.
„Das wagst du nicht“, rief Hannah.
„Sie werden dich alle meiden. Du wirst keine Freunde mehr haben.“
„Was bist du nur für ein eingebildetes Arschloch mit reichen Eltern, der es nötig hat, andere bloß zu stellen, damit er selber besser dasteht?“
„Du willst also Krieg?“
„Morgen nach der Schule auf dem Feld“, stellte Hannah klar. „Und zieht euch warm an.“
Hannah zeigte es nicht, aber sie hatte schon Angst vor Rufus und seinen Jungs. Nach außen hin markierte sie oft die Starke, aber jetzt schien es brenzlig zu werden, denn wenn das stimmte, was Rufus sagte, dann kannte er ihr Geheimnis. Und Hannah wollte um Nichts in der Welt, dass es einer erfährt. Nicht einmal die Mädchen aus ihrer Clique kannten Hannahs Geheimnis.
Sie war wütend. Das Mädchen mit den schulterlangen, braunen Haaren und den großen Reh-Augen haute mit ihrer Faust auf den Fenstersims. Dann schloss sie das Fenster wieder.
„Ich habe es ihr versprochen“, sagte Hannah leise zu sich selbst. „Und ich halte mein Versprechen.“
Dann lief sie aus dem Zimmer heraus. Sie tapste den langen Flur entlang und stapfte daraufhin die Treppe hinunter, bis sie in den großen Tagesraum kam – eine Art Wohnzimmer mit Sofas, Anlage, Fernseher samt Konsole, Kicker und einiger anderer Beschäftigungsmöglichkeiten.
Hannah kramte in einem der Schränke herum und fand schließlich eine Packung Luftballons, die sie dann herausholte. Danach ging sie zu einem anderen Schrank und holte dort eine Flasche Acrylfarbe heraus. In einer unbemerkten Ecke des Raums begann Hannah damit, die Farbe in die Ballons zu füllen. Die Wasserbomben sammelte sie in einem Karton. Ungefähr 30 Ballons befüllte Hannah, bevor sie dann mit dem Karton den Raum wieder verließ.
Währenddessen fuhr nahezu unbemerkt von den meisten Schülern ein Wagen vor dem Gebäude vor und hielt in der Nähe der großen Eingangstür. Eine Frau und ein etwa 18-jähriges Mädchen stiegen aus, während ein adrett gekleideter älterer Mann aus dem Gebäude kam.
„Willkommen im Internat Lantyan“, begrüßte der Mann die Frau und das Mädchen. „Templeton ist mein Name, wir haben telefoniert.“
„Boyd“, stellte sich die Frau knapp vor. „Ich habe nicht viel Zeit. Lassen Sie uns schnell die Formalitäten erledigen, und dann mache ich mich auf zum Flughafen. In zwei Stunden geht mein Flug nach Hongkong.“
„Wie Sie wünschen“, antwortete Mr. Templeton.
Sie gingen ins Büro des Internatsleiters, wo die Anmeldung aufgenommen wurde, und dann machte sich die Frau wieder vom Acker.
„So, Jennifer“, sagte Mr. Templeton, als sie alleine waren. „Deine Mutter hat eine gute Wahl getroffen, dich hier anzumelden. Du wirst dich bei uns wohl fühlen, und wir werden sehen, dass wir dir die nächsten zwei Jahre bis zum Abschluss des Abiturs so angenehm wie möglich gestalten. Das Haus wird dir morgen deine Zimmerkollegin zeigen. Ich werde dich nun auf dein Zimmer bringen.“
Der Mann und Jennifer gingen die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo die Doppelzimmer der Mädchen waren. Vor Hannahs Zimmer blieb er stehen und klopfte an. Als keiner antwortete, öffnete er die Türe und geleitete Jennifer hinein. Nach einer kurzen Einweisung ließ er Jennifer dann ihre Sachen auspacken und verließ den Raum.
Kurze Zeit später kam Hannah ins Zimmer, bepackt mit einem Karton, in dem sie die mit Farbe gefüllten Luftballons hatte.
Jennifer blieb wie erstarrt stehen.
„Oh“, meinte Hannah. „Du hast dich wohl im Zimmer geirrt.“
Jennifer schüttelte ihren Kopf.
Daraufhin sah Hannah, dass das Mädchen einen Koffer dabei hatte. Sachte stellte sie den Karton auf ihr Bett.
„Dann ziehst du hier ein?“, fragte Hannah nach.
„Ja“, sagte Jennifer leise.
„Ich dachte nicht, dass das andere Bett in diesem Sommer noch belegt wird“, lächelte Hannah freundlich. „Weißt du, das Mädchen, das bis vor Kurzem hier war, wurde adoptiert und ist weggezogen. Sie sagten, vor Winter käme niemand Neues mehr. Wie heißt du?“
„Jennifer Boyd“, sagte Jennifer. „Aber du kannst Jenny sagen.“
„Ich bin Hannah“, entgegnete Hannah. „Hannah Fanning.“ Sie reichte ihr die Hand.
„Was ist in dem Karton?“, wollte Jenny wissen.
Hannah lachte.
„Die meinen echt, die könnten unser Lager einnehmen“, erläuterte Hannah, während sie sich aufs Bett setzte. „Weißt du, seit einiger Zeit herrscht Krieg zwischen den Staatlichen und den Reichen. Genau genommen, zwischen denjenigen, die reich sind und Eltern haben und denjenigen, die Waisen sind. Ich und ein paar andere Waisen haben uns zusammengeschlossen und ein Fort auf dem nahe gelegenen Feld gebaut. Jetzt kommen diese blöden, reichen Jungs um Rufus und seine Bande und wollen uns unser Fort wegnehmen, mitsamt Inhalt. Morgen nach dem Unterricht wollen wir uns zu einem ultimativen Match treffen. Dafür sind diese Ballons.“
„Und damit wollt ihr gewinnen?“
„Nicht nur damit“, erklärte Hannah. „Die Nicht-Waisen glauben zwar, stärker zu sein als wir, aber wir sind viel gerissener und schlauer als die.“ Hannah drehte sich zu Jenny um. „Du bist doch hoffentlich auch eine Waise.“
Jenny schüttelte zaghaft den Kopf und erzählte, dass sie reiche Eltern hat, die aber ständig unterwegs waren.
„Na, gut“, meinte Hannah. „Aber deine Mutter hat nie Zeit für dich. Also bist du sozusagen eine Waise und kannst an unserer Seite kämpfen. Sag das bloß nicht Rufus.“
Hannah und Jenny redeten noch die halbe Nacht. Um drei Uhr morgens wurden sie schließlich müde und waren gerade dabei, einzuschlafen, als sie auf einmal den Schrei eines Vogels hörten, der aber viel lauter war als die Rufe der Krähen, die man nachts manchmal hörte.
„Was war das?“, fragte Jenny angstvoll.
Hannah drehte sich um und machte mit ihrem Arm eine wegwerfende Geste.
Dann kam wieder ein Schrei.
„Hannah, hörst du das?“
Hannah stand auf und ging zum Fenster. „Vielleicht fliegt ein Dino hier herum – einer von diesen Viechern mit Flügeln, weißt du?“, sagte sie, während sie das Fenster öffnete.
Und dann schrie dieses Etwas wieder.
„Das muss ganz nah sein“, meinte Hannah.
Und plötzlich flog ein etwa 10 Meter großer Vogel am Fenster vorbei. Er flog in die Höhe, über den großen Baum in der Mitte des Schulhofs hinweg in Richtung der angrenzenden Felder.
„Was... ist das?“, hauchte Hannah.
„Ob das jemand gesehen hat?“, fragte Jenny dann.
„Was um alles in der Welt war das nur?“, rätselte Hannah. „So einen großen Vogel habe ich noch nie gesehen.“
„Ich habe keine Ahnung“, meinte Jenny nachdenklich.
„Sollen wir ihm folgen?“, fragte Hannah schließlich. Und noch ehe sie eine Antwort bekam, zog sie sich an.
Nachdem auch Jenny sich anzog, schlichen die Mädchen hinaus auf den Schulhof und liefen heimlich zu den Feldern, wo auch das Fort der Waisen-Clique war. Aber als sie dort ankamen, schien das große Etwas, das ein Vogel sein mochte, nicht da zu sein.
„Jenny, du musst versprechen, dass du niemandem etwas über dieses Fort sagst, okay?“, sagte Hannah dann.
„In Ordnung“, sagte Jenny.
Anschließend zeigte Hannah Jenny das selbstgebaute Häuschen aus Lehm und Stroh, um das eine Art Schützengraben gezogen war. Als sie rein gingen, entdeckte Jenny eine Menge Schätze, die Hannah und ihre Freundinnen gesammelt haben. Es gab hier jede Menge Plunder, aber einiges sah wertvoll und geheimnisvoll aus. Es gab unter Anderem ein paar alte Schatztruhen, Kisten, Skulpturen und einen alten Schrank mit einer Spiegeltüre, der ein kleines Stück vom Spiegel fehlte.
„Wo habt ihr all die Sachen her?“, wollte Jenny wissen.
„Gesammelt, gefunden, auf Trödelmärkten gekauft und so weiter“, antwortete ihr Hannah.
„Und was macht ihr damit?“ Jenny wollte gerade die Schranktüre mit dem zerbrochenen Spiegel öffnen.
„Nicht, Jenny, fass das nicht an“, ermahnte Hannah ihre neue Freundin.
Jenny erschrak und hielt sofort inne. „Wieso? Was ist damit?“
„Das Ding soll verflucht sein, sagte die alte Frau, von der wir es haben“, erklärte Hannah.
„Verflucht?“
„Sie sagte, jeder, der es berührt wird mit einem Fluch belastet sein, und er wird ein Gefangener werden, irgendwo in einer Zwischenwelt oder so.“ Hannah streifte sich durch die Haare. „Ich glaube das ja nicht, aber es ist besser, es nicht herauszufordern.“
„Seltsam“, überlegte Jenny.
„Die Scherbe, die da fehlt, die soll hier irgendwo noch sein“, meinte Hannah. „Aber die alte Frau hat uns streng ermahnt, sie in keinem Fall einzusetzen, wenn wir sie finden.“
„Habt ihr deshalb Krieg mit den Reichen?“, wollte Jenny wissen.
„Sie wissen von dem Schrank, und sie suchen, wie wir, diese fehlende Scherbe. Aber sie wollen sie einsetzen.“
„Was passiert, wenn ihnen das gelingt?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Hannah. „Aber irgendwas sagt mir, dass wir das nicht tun sollen.“
„Vielleicht kommen dann Dämonen oder so ähnlich auf die Erde“, witzelte Jenny.
„Oder noch etwas viel Schlimmeres geschieht. Ich habe keine Ahnung.“
„Komm, wir gehen zurück ins Zimmer“, forderte Jenny Hannah auf.
Die Mädchen liefen aus dem Haus heraus und gingen zum Feldweg, der am Rand der Acker entlang führte. Hinter einem Baum hörten sie plötzlich die Stimme eines Jungen.
„Aha, auch noch nachts unterwegs?“, hallte es aus dem Dunkeln. Und dann kam Rufus hinter dem Baum hervor.
„Was willst du hier?“, motzte Hannah ihn an.
„Wer ist die?“, stellte Rufus die Gegenfrage und zeigte auf Jenny.
Ohne eine Antwort abzuwarten, kamen Rufus’ Freunde Ric und Molotov, beide etwa in Rufus' Alter, aus dem Dunkeln hervor, bewaffnet mit Ballons mit Farbe gefüllt.
„Das ist unfair“, meinte Hannah. „Der Kampf ist morgen.“
„Oh, hat das kleine Mädchen Schiss?“, entgegnete Rufus.
Daraufhin fingen die Jungs an zu schmeißen. Wenig später hatten sie Hannah und Jenny in der Mangel, und dann fesselten sie sie an einen Baum.
„Durchsucht das Fort“, befahl Rufus seinen Jungs und wendete sich anschließend an Hannah. „Befreie dich doch“, sagte er zu ihr. „Na, los, benutze deine Macht.“
„Deine Macht?“ Jenny schaute fragend.
Rufus sah zu Boden. Als er neben sich eine alte, dreckige Glasscherbe fand, hob er sie auf und hielt sie an Jennys Kehle. Jennys Herz raste plötzlich wie das eines Kolibris. Sie hatte Angst wie nie zuvor.
„Was ist, wenn ich schneide? Wirst du deine Macht dann anwenden? Wirst du ihr dann helfen?“, wandte er sich Hannah zu.
„Das wagst du nicht“, hauchte Hannah.
Jenny zitterte wild.
„Los, beweise deine Macht“, rief Rufus aus.
Auf einmal schoss eine Hand aus der Glasscherbe hinaus. Sie war voll Blut und Kratzer. Schnell befreite die Hand Hannah und Jenny aus den Fesseln, während Rufus die Scherbe fallen ließ.
„Irre“, meinte Ric.
Rufus zitterte vor Angst.
Dann verschwand die Hand wieder.
Plötzlich kam der große, schwarze Vogel angeflogen und setzte sich neben Hannah und Jenny nieder.
Rufus und die Jungs liefen weg, so schnell sie konnten.
Hannah hob langsam die Scherbe auf und sah hinein. Aber dort sah sie nicht ihr Spiegelbild, sondern das eines etwa 15-jährigen Jungen mit braunen Haaren, Stupsnase und vollen Lippen.
Hannah ließ die Scherbe fallen.
„Hannah, was ist hier los?“, wollte Jenny wissen.
„Ich… weiß nicht…“, stotterte Hannah.
„Was ist das für ein Vogel? Und was war das mit der Hand? Was hast du für eine Macht, von der Rufus sprach? Hast du das hier gemacht?“
Hannah schüttelte den Kopf.
„Ich habe manchmal diese Fähigkeiten“, sagte sie leise. „Ich wünsche mir etwas oder denke an etwas, und dann wird es Wirklichkeit. Ich kann das manchmal. Ein Mädchen, das vor einiger Zeit hier ins Internat ging, hat mir mal gesagt, ich könnte zaubern, aber ich habe das nie geglaubt. Bis ich eines Tages gemerkt habe, dass ich das konnte. Und Rufus hat es herausbekommen.“
„Wahnsinn“, meinte Jenny. „Wie irre ist das denn?“
„Aber das hier… das war ich nicht“, beteuerte Hannah.
„Aber wer oder was war es dann?“, fragte Jenny leise. „Das ist alles ganz schön strange.“
Der Vogel hatte offenbar etwas im Schnabel und warf es schließlich Hannah und Jenny zu. Es schien ein altes Stück Papier zu sein. Wortlos hob Jenny es auf und entfaltete es. Es war wohl ein Ausschnitt aus einer alten Zeitung oder so ähnlich. Jenny las, was drin stand.
„Junge nach Jahrmarkt-Besuch vermisst, wahrscheinlich tot“, las sie die Überschrift. „Bei den diesjährigen Mountain Lights, einem der größten Jahrmärkte Colorados, ist ein etwa 15-jähriger Junge spurlos nach dem Besuch des Spiegelkabinetts verschwunden. Rom Malumba besuchte das nahe gelegene Internat Lantyan und war jeden Tag auf dem Jahrmarkt gesehen worden. Zuletzt sah man ihn, wie er das Spiegelkabinett betrat. Als er auch nach Stunden dort nicht wieder hinaus kam, begann man, nach ihm zu suchen. Nach einem Tag wurden Hundertschaften von Polizei eingesetzt, und man schloss mittlerweile ein Verbrechen nicht mehr aus. Nachdem man das gesamte Spiegelkabinett und später das gesamte Areal auseinander nahm, fand man außer seiner Kleidung nichts. Dieser Vorfall ereignete sich, wie bekannt wurde, bereits letzte Woche, und nunmehr wurde die Suche eingestellt und der Junge für tot erklärt.“
Daraufhin breitete der Vogel seine Flügel aus und flog ohne ein weiteres Geräusch davon.
„Jenny, von wann ist der Zeitungsausschnitt?“, wollte Hannah wissen.
„Moment, da steht ein Datum“, meinte Jenny und sah nach. „Meine Güte, das ist über 30 Jahre her. Die Zeitung ist von vor 30 Jahren, aus dem Jahr 1988.“
„Der Junge, der verschwunden ist…“, hauchte Hannah. „Es gab Gerüchte über einen Internatsschüler, die aber vom Internatsregime vehement bestritten werden. Dann ist die Geschichte also wahr, und der Junge hat wirklich existiert.“
„Gespenstisch. Und wo ist er jetzt?“
„Das weiß keiner“, sagte Hannah. Sie sah wieder auf die Scherbe und sah ihr Gesicht. „Diese Scherbe…“, meinte sie dann. „Die Frau, die uns den alten Schrank gab, meinte, er sei aus einem Spiegel von einem solchen Spiegelkabinett zusammengesetzt worden. Jenny, das hier muss das fehlende Stück vom Spiegel sein. Und der Spiegel muss zu dem Kabinett gehören, in dem damals der Junge verschwunden ist.“
„Sollen wir versuchen, ob es passt?“
„Nein“, meinte Hannah. „Du hast gesehen, was die Scherbe schon fabriziert hat. Wenn wir den Spiegel wieder zusammensetzen, passiert irgendetwas ganz Gewaltiges. Und ich glaube nicht, dass wir das heraufbeschwören sollen. Wir heben die Scherbe auf. Ich werde sie an meinem Körper tragen, so dass sie Rufus und den Jungs nicht in die Hände fallen kann.“
„Okay“, sagte Jenny.
„Schwöre, dass du mit niemandem über das, was geschehen ist, redest“, forderte Hannah Jenny auf. „Und sag auf keinem Fall jemandem, dass du weißt, dass ich zaubern kann. Nicht mal meine Freundinnen aus der Clique wissen es.“
„Ich schwöre“, erwiderte Jenny.
Daraufhin gingen die Mädchen zurück in ihr Zimmer im Internatshaus.
Am nächsten Morgen um acht Uhr versammelten sich die Schüler vor den Klassenräumen im Westtrakt des U-förmigen Gebäudes. Vor dem Klassenraum der zehnten Klasse wartete Rufus bereits. Er kaute Kaugummi und schien sehr nervös zu sein, was er sich aber nicht anmerken lassen wollte.
Als Hannah mit Jenny kam, hielt Rufus Hannah am Arm fest.
„Was war das gestern Nacht?“, fragte er knapp.
„Klappe!“, entgegnete Hannah.
„Ich schwöre dir, wenn du heute Abend mit irgendwelchen unfairen Mitteln kämpfst, bist du dran.“
Hannah schubste Rufus zur Seite, und in dem Moment kam auch schon der Lehrer an, der die Klasse in der ersten Stunde in Geschichte unterrichtete.
„Guten Tag“, sagte er, während er die Tür öffnete. „Nehmt Platz.“
Die Schüler setzten sich hin.
„Nun, wir werden heute das Referat über die Französische Revolution hören. Hannah Fanning, ich bin schon sehr gespannt auf deine Arbeit.“
Die Klasse verstummte.
„Scheiße“, flüsterte Hannah ihrer Sitznachbarin und neuen Freundin Jenny zu. „Habe ich total vergessen. Ich bin gar nicht vorbereitet. Ich habe nichts geschrieben.“
„Hannah, kommst du nach vorne, bitte?“, forderte der Lehrer sie auf.
Hannah stand langsam auf und ging mit einem hochroten Kopf nach vorne ans Lehrerpult, ihre Tasche in der rechten Hand.
Hannah hatte das Referat, das sie hätte bis heute schreiben sollen, nicht mal ansatzweise geschrieben, geschweige denn, dass sie irgendeine Ahnung über die Französische Revolution hatte.
Und jetzt? Was sollte sie machen? Sie musste es wohl jetzt vor der ganzen Klasse – inklusive Rufus – zugeben, dass sie es nicht gemacht hatte und würde sich dafür eine 6 einhandeln. Wie sollte Hannah aus dieser misslichen Lage herauskommen?