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Die Situation in Naytnal scheint für Kitty und Jojo aussichtslos zu sein. Die beiden Kämpferinnen, die stets für das Gute kämpfen, werden in Vampire verwandelt. Ihre Freundin Sydney und Kittys Freund Dennis versuchen alles in ihrer Macht stehende zu tun, um sie zu retten. Bei den Vampiren der Nacht, einer Gruppe von Fledermaus-Wesen, scheinen Kitty und Jojo endlich Hilfe zu bekommen – von einer Person, von der sie nicht dachten, dass sie sie wieder sehen werden. Zurück in Menschen verwandelt, müssen Kitty und Jojo den Kampf gegen die schlimmste und zerstörerischste Macht aufnehmen, die Naytnal je heimgesucht hat. Als sei dies nicht schon genug, erfährt Kitty von einem sehr großen Geheimnis, welches ihr anvertraut werden soll. Aber die Tatsache, dass sie es kennt, kann das Ende für Naytnal bedeuten... Der sechste Band der Fantasy-Reihe NAYTNAL führt Kitty und Jojo mit ihren Freunden an unvorstellbare, düstere und gefährliche Orte und erzählt von einem packenden, erbitterten Kampf von Gut gegen Böse.
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Inhaltsverzeichnis
Widmung
Kapitel 1 - Die Welt der Kayalin
Kapitel 2 - Ungewisses Ziel
Kapitel 3 - Die Vampire der Nacht
Kapitel 4 - Das zweite mysteriöse Buch
Kapitel 5 - Lisas Traum
Kapitel 6 - Die Tempel des Tayalon
Kapitel 7 - Tayalons Geister
Kapitel 8 - Das siebte Zeichen
Kapitel 9 - Die Wahrheit über Rom Malumba
Kapitel 10 - Abschied
Über den Autor Elias J. Connor
Impressum
Für Jana.
Meine Freundin und Wegbegleiterin.
Danke, dass du mir Welten und Wege öffnest, die ich mit Augen sehen kann so wie sie bisher nie jemand sah.
Die feuchte Luft kitzelte Sydney in ihrer Nase. Zaghaft aber reflexartig krabbelte sie mit ihren Fingern über ihr Gesicht. Dann nahm sie einen festen Atemzug und stieß dabei einen kleinen Seufzer aus. Als sie ihren Mund öffnete, spürte sie, dass die Luft salzig schmeckte. Ob sie vielleicht an einem Meer oder so ähnlich liegen würde?
Ihre Augen hatte sie noch geschlossen. Sie war wohl noch nicht stark genug, um sie zu öffnen. Klar, denn die ganzen Strapazen, die sie während der letzten Zeit – besonders während ihrer relativ kurzen Zeit, die sie nun hier in Naytnal war – erdulden und bestehen musste, waren ihr sehr an die Nerven gegangen. Ohne ihre Augen zu öffnen, stellte Sydney sich vor, sie läge an irgendeinem schönen Strand, vielleicht irgendwo in der Karibik.
Sie leckte sich ihre Lippen. Der Salzgeschmack kam auf ihre Zunge und untermauerte ihre Träume von einem Stand. Dann drehte Sydney sich um und kuschelte sich in eine Decke ein. Wo kam die denn jetzt her? Sydney tastete an sich herunter. Sie war eingehüllt in eine weiche Bettdecke. Deshalb musste ihr wohl so warm sein. Mit einigen geschickten Handbewegungen streifte sie die Decke von sich herunter, noch immer ohne ihre Augen zu öffnen. Dann tastete sie wieder über ihren Körper. Sydney hatte ein Nachthemd an, oder etwas, was dem sehr nahe kam. Wer gab es ihr? Wann hatte sie es angezogen? Wann hatte sie ihre Hose und ihr T-Shirt und ihre Jacke ausgezogen? Die hatte sie doch zuletzt noch an. Komisch, das alles, dachte sie bei sich.
Anschließend legte Sydney sich wieder auf den Rücken, und dann öffnete sie ihre Augen. Sydney sah auf eine Wand. Sie musste in einem Bett oder so ähnlich liegen, das genau an einer Wand stand. Eine Fackel flackerte in einem sanften, gelben Licht, viel zu dunkel, um noch andere Dinge zu erkennen. Sydney sah nach oben. Sie musste in einem Raum liegen, denn es gab eine Zimmerdecke. Sie sah seltsam aus, gewunden, ungerade – wie die Decke einer Höhle oder so.
Konnte das sein? War Sydney in einer Höhle? Wo waren die anderen, die zuletzt noch bei ihr waren?
Sydney schaute sich um. Sie sah Dennis, Leonie und Sarah neben sich liegen. Weiter unten lagen in ihren Betten Lisa, die Erste, Zweite und Dritte.
Wo waren Kitty und Jojo? Die waren doch auch bei ihr gewesen, daran konnte Sydney sich ganz genau erinnern. Was war geschehen?
Plötzlich erspähte Sydney neben Dennis’ Bett zwei Käfige. Darin waren zwei seltsame Tiere eingesperrt, die ähnlich aussahen wie übergroße Fledermäuse. Sie hingen Kopfüber an den Gitterstäben und ihre Flügel wehten sachte und ruhig hin und her.
Sydney richtete sich auf und sah die Käfige genauer an.
Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
„Kitty“, hauchte sie leise. „Jojo...“
Die Fledermäuse waren Kitty und Jojo. Schon kurz vor Sydneys Ankunft wurden sie von einer Schar Fledermaus-Monster gebissen und in Vampire verwandelt. Jetzt dämmerte es ihr wieder.
Langsam stieg Sydney aus ihrem Bett und lief zu den Käfigen hin. Es war schwierig, denn sie sah wirklich fast nichts. Die Fackel strahlte nur das allernötigste Licht aus, weniger hell als ein typisches Notausgangsschild. Ohne weiter nachzudenken, ob dies vielleicht gefährlich sein könnte, streckte sie ihre Hand durch die Gitterstäbe hindurch und versuchte, Kitty und Jojo zu berühren.
„Sydney, nicht“, hörte sie Dennis plötzlich sagen. „Wir wissen noch nicht, ob dies gefährlich sein könnte. Sie sind gebissen worden, von ganz, ganz bösartigen Wesen.“
„Dennis, sie haben nichts zu fressen gehabt, seit wir ankamen“, betonte Sydney. „Wir müssen sie doch füttern.“
„Zu fressen“, sagte Dennis ironisch. „Sydney, du sprichst von der Kaiserin Naytnals und ihrer Stellvertreterin.“ Dennis mühte sich hoch und tastete sich an der Wand entlang, bis er bei Sydney war.
„Dennis, wo sind wir?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete Dennis. „Offenbar in einer Höhle. Ich bin schon seit Minuten wach, aber ich habe mich noch nicht getraut, euch zu wecken.“
Sydney griff nach seiner Schulter. „Wie lange wir wohl schon hier sind?“
„Was viel wichtiger ist“, überlegte Dennis, „ist die Frage, wie wir hergekommen sind. Jemand muss uns hierher gebracht haben. Während wir geschlafen haben.“
„Woran kannst du dich erinnern? Was hast du als Letztes gesehen?“ Sydney sah ihm hoffnungsvoll in die Augen.
„Anshalyn... Alle flohen... Wir flohen... Das Land war voller Feuer“, dachte Dennis nach. „Und Jabule und der Prophet verschwanden. Nachdem er uns gesagt hat...“
„Sieben Zeichen werden eintreten“, sagte Sydney. „Sieben Zeichen des Bösen.“ Sie legte ihren Kopf in Dennis’ Schulter. Und Dennis streichelte ihr über die Haare.
„Und wir haben Kitty und Jojo eingesperrt...“, hauchte Dennis.
„Es wird bestimmt alles wieder gut“, sagte Sydney so tröstend wie sie nur konnte. Langsam fühlte sie über ihren Hals. Da hing sie, die Kette mit dem wundersamen Medaillon. Der geheimnisvollen Schlüssel der Macht, einst verschmolzen mit dem Stein der Wahrheit. Sogar dessen Kraft trug Sydney nun. Es war eine ganz große Verantwortung, die sie zu tragen hatte. Und sie wollte alles tun, um dem gerecht zu werden.
„Du bist jetzt Kaiserin von Naytnal“, sagte Dennis leise.
„Doch nur vorübergehend“, antwortete Sydney. „Hoffe ich zumindest.“
Leonie wachte dann auf. Gähnend streckte sie sich, und kaum hatte sie die Lage erkannt, rappelte sie sich immens schnell auf.
„Kitty?“, hauchte sie. „Jojo? Ist alles in Ordnung?“ Leonie sah sich um. „Wo sind Kitty und Jojo? Dennis, Sydney... was ist hier geschehen?“ Leonie entdeckte dann die anderen, die noch am Schlafen waren.
„Kitty und Jojo schlafen“, sagte Dennis.
Daraufhin entdeckte Leonie die beiden Vampir-Monster in den Käfigen. „Was habt ihr da für Haustiere eingesammelt?“
„Aber Leonie“, sagte Sydney dann. „Das sind doch Kitty und Jojo. Weißt du nicht mehr? Sie sind doch zuletzt verwandelt worden...“
„Alles klar“, meinte Leonie. „Jetzt nur die Ruhe bewahren. Also...“
Nervös blickte sie sich um. Als sie etwas zum Anziehen fand, zog sie sich um. Auch Dennis und Sydney zogen sich ihre Alltagskleidung wieder an.
„Was machen wir jetzt?“, wollte Dennis wissen.
„Wir sollten erst mal herausfinden, wo wir sind.“ Leonie stieß die anderen Mitreisenden leicht an und weckte sie. „Das ist offenbar eine Höhle. Wir werden sie gleich absuchen und anschließend versuchen, einen Ausgang zu finden.“ Sie wandte sich an Sydney, die ja nun Naytnals vorübergehende Kaiserin war. „Oder was meinst du, Sydney?“
„Klingt okay für mich“, bestätigte Sydney.
„He, Leute“, rief Lisa verschlafen in die Runde. „Hab ich gut geschlafen. Wo sind wir?“ Dann entdeckte sie Kitty und Jojo in den Käfigen. „Oh, Gott, was ist das denn?“
„Das sind Kitty und Jojo“, maulte Dennis.
„Aha“, meinte Lisa.
Die Reisenden standen nach und nach auf und zogen sich an. Schon kurz darauf begannen sie, die Höhle abzusuchen. Es war noch immer sehr dunkel, und Sydney gab ihren Freunden Fackeln, die sie von Kittys und Jojos Zaubertaschen bekam.
Sie stellten fest, dass sie in einem halbrunden, großen Saal waren. Mehrere Gänge, die ebenfalls dem Inneren einer Grotte ähnelten, führten aus dem Raum heraus.
„Das Beste ist, wir bilden Zweiergruppen und gehen in die Gänge hinein“, überlegte Sydney dann. „Wir müssen unbedingt herausfinden, wo wir sind, und wie lange wir schon hier sind.“
Sydney und Leonie bildeten das erste Team. Dennis zog mit Sarah los, Lisa mit der Zweiten, und die Erste und Dritte blieben bei Kitty und Jojo.
Kaum dass Sydney und Leonie in den einen Gang hereinspaziert sind, hörten sie die Zweite aus einem weiteren Gang rufen.
„He!“, rief sie laut. „Ratet, wer wieder da ist.“
Dann hörten sie eine tiefe, dunkle Stimme. „He, was geht ab?“, sagte sie. „Was geht?“, fragte eine weitere, noch dunklere Stimme. „Schnauze“, meinte die erste Stimme wieder.
„Das ist Yak-Yerrek“, sagte Sydney. Sie musste lachen, denn Leonie schaute dermaßen verdutzt drein. „Keine Angst, Leonie, er ist ein ruhiger, sanfter Flugsaurier. Unser Taxi sozusagen. Kitty und Jojo haben mir viel von ihm erzählt.“
„Er hat die Katastrophe überlebt“, rief die Zweite aus dem anderen Gang heraus. „Mann, bin ich froh.“
Sydney und Leonie gingen tiefer in den Gang herein. An einer Ecke wurde er wieder breiter, und ein seltsames Licht schimmerte von der Decke. Sydney und Leonie sahen sich um. Aber sie konnten keine Fackel an der Decke ausmachen. Die ganze Decke schimmerte grünlich, so als sei sie mit einer phosphorhaltigen Farbe gestrichen worden.
„Was leuchtet da so?“, fragte Sydney.
Leonie schaute sich das näher an. Sie reckte ihren Hals, so hoch sie konnte. „Das sind Tausende, wenn nicht Hunderttausende kleine Kristalle, die alle so seltsam leuchten“, stellte sie fest. Sie versuchte, ein paar der Kristalle abzukratzen, aber sie reichte nicht ganz bis zu ihnen hin.
„Leonie, sieh mal hier drüben“, meinte Sydney plötzlich.
Sydney entdeckte eine Spalte, in der sich offensichtlich etwas befand. Vorsichtig krabbelte sie mit ihren Händen herum, dann zog sie etwas heraus – eine Vase. Vorsichtig hielt das aufgeregte Mädchen sie in den Händen. Sie wusste nicht warum, aber sie zitterte.
„Lass sie nicht fallen“, rief Leonie, die herbeieilte. Sachte nahm Leonie dann die Vase in die Hand.
„Da stehen aber seltsame Schriftzeichen drauf“, erkannte Sydney.
„Ja“, sagte Leonie. Sie begutachtete die Verzierungen und Abbildungen, die auf der Vase zu sehen waren.
Die Zeichen waren in schwarzer Farbe. Das Licht reflektierte sie sehr gut, so dass sie absolut hervorstachen. Es sah aus wie Hieroglyphen, alte, ägyptische Hieroglyphen. Und plötzlich wusste Leonie, wo sie solche Zeichen schon einmal sah.
„Sie sehen genau so aus wie in dem Buch aus der geheimen Bibliothek“, stellte sie fest. Schnell holte Leonie das Buch, welches sie ja mitbrachte, aus ihrer Tasche heraus. Sie blätterte einige Seiten um, dann erkannte sie eine Tabelle, die genau den Zeichen glich, die auf der Vase zu sehen waren. „Siehst du?“, sagte sie zu Sydney, während sie ihr das Buch zeigte.
„Und... was bedeutet das?“
„Ich glaube, es geht dabei um... um ein Dorf in einer Wüste“, sagte Leonie grübelnd. „Es wurde vereist.“
„Genau wie der Prophet es uns sagte“, stellte Sydney fest.
Leonie legte die Vase wieder an ihren Platz. Sie wollte lieber hier drin nichts verändern, denn von ihrer Arbeit her wusste sie ja, sie musste stets sehr vorsichtig mit Artefakten sein, die sie fand.
Anschließend suchten Sydney und Leonie den Gang weiter ab. In einem weiteren Raum, auf den sie dann trafen, entdeckten Sydney und Leonie Wandmalereien. Da waren richtige Höhlenzeichnungen, wie man sie von den australischen Ureinwohnern kannte. Die Bilder zeigten immer das Gleiche: einen Halbmond, der über einem Tal lag und auffällig dunkel war. Darunter erkannten sie wieder seltsame Schriftzeichen.
„Das hier beschreibt die Mondfinsternis, die keine sein sollte“, erklärte Leonie nach einigen Minuten.
„Hier muss es noch mehr geben“, rätselte Sydney dann. „Komm, gehen wir zurück zu den anderen, mal sehen, was die gefunden haben.“
„Einverstanden.“
Sydney und Leonie stapften dann durch die Gänge zurück, durch den feuchten Höhlenboden hindurch, bis sie wieder in dem großen Raum ankamen, wo sie aufwachten.
„Leonie! Sydney!“, rief Dennis dann, der mit Sarah zeitgleich wieder ankam. „Wir haben Artefakte gefunden. Und lauter Höhlenmalereien.“
„Ja“, bestätigte Sydney. „Wir auch.“
„Sind Lisa und die Zweite noch nicht da?“, fragte Sarah die Erste, die zusammen mit der Dritten bei Kitty und Jojo geblieben ist.
„Nein“, sagte sie. „Vielleicht haben sie ja einen Ausgang gefunden.“
„Hoffen wir es“, meinte Dennis.
Leonie setzte sich auf ihr Bett und streifte sich durch die Haare. Währenddessen blätterte sie weiter in dem geheimnisvollen Buch aus Lantyan. „Es ist noch immer so vieles, was ich nicht verstehen kann“, meinte sie dann.
Plötzlich hörten sie Fußstapfen. Aber sie klangen nach mehr als zwei Leuten. Und es klang so, als liefe jemand herum, der Holzschuhe an hatte und größer war.
Aufmerksam blickten alle in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
„Sydney?“, fragte eine Stimme plötzlich. Es war Lisa. Kaum dass sie das sagte, kam sie auch schon aus einem der Gänge heraus. Und hinter ihr kam die Zweite. Und hinter ihnen traten mit einem Mal drei seltsam aussehende Wesen hervor. Sie waren etwa einen Meter achtzig hoch. Sie hatten eine braune Kutte an und versteckten ihr Gesicht fast vollständig unter einer Kapuze.
„Lisa! Zweite!“, rief Dennis. „Hinter euch!“
Lisa nickte. „Ich weiß“, sagte sie. „Sie sind uns in einem der Gänge begegnet.“ Zusammen mit den Wesen setzten sich Lisa und die Zweite auf eines der Betten.
„Sie reden nicht“, erklärte die Zweite. „Offenbar sind sie es, die uns hierher gebracht haben. Sie scheinen hier unten zu wohnen.“
Sydney stand auf. Artig verbeugte sie sich vor den drei Wesen. „Ich heiße Sydney Loona. Ich komme aus Lantyan, Colorado, und bin zurzeit die Kaiserin des Sterns der Reiche“, stellte sie sich vor.
Das eine Wesen nahm dann, ohne zu schauen, Sydneys geheimnisvollen Schlüssel der Macht, der ihr um den Hals hing, vorsichtig in die Hand. Nach einigen Sekunden ließ er ihn wieder los und nickte. Dann schob er seine Kapuze herunter, und zum Vorschein kam das hässlichste Gesicht, welches Sydney je gesehen hatte. Es war grau, hatte unzählige Hautfalten und schien rau zu sein. Zwei große Glubschaugen stachen hervor, und der Mund sah aus wie mit Hornhaut bedeckt. Es schaute Sydney traurig in die Augen.
Sydney erschrak ob der Hässlichkeit des Wesens. Auch die anderen beiden lüfteten dann ihre Kapuzen. Sie sahen genauso hässlich aus wie das eine Wesen. Fassungslos blickten Sydney und die anderen in ihre Gesichter, aber sie bemühten sich stark, sich ihren Schrecken nicht anmerken zu lassen.
„Ich weiß nicht, wer ihr seid“, sagte Sydney. „Aber ihr habt uns offenbar gerettet. Dafür möchten wir euch herzlich danken.“
Die Wesen nickten.
„Sagt, wisst ihr, was draußen los war?“, wollte Leonie dann wissen. „Wie lange sind wir schon hier unten?“
Das eine Wesen hob seine Hand. Es zeigte eine Drei mit den Fingern. Das andere Wesen zuckte mit den Schultern.
„Eine große Gefahr bedroht uns“, erklärte Sydney. „Wisst ihr davon?“
Die Wesen nickten.
„Die zwei Vampire hier in den Käfigen“, begann Dennis, „das sind meine Freundin Kitty und ihre Schwester Jojo. Kitty ist normalerweise Kaiserin Naytnals. Sie wurden gebissen. Gibt es etwas, was wir dagegen tun können?“
„Ja“, sagte Lisa. „Können wir sie irgendwie zurückverwandeln?“
Die Wesen zuckten wieder mit den Schultern.
Plötzlich stand einer von ihnen auf und lief zurück zu dem Gang, aus dem er eben mit Lisa und der Zweiten heraus kam. Neugierig, aber nicht mächtig des Handelns, blickten ihm die Reisenden hinterher.
Nach einigen Minuten kamen mehrere Wesen an, die alle so waren wie die drei. Es mussten siebzehn oder achtzehn gewesen sein. Sie stellten sich vor den Reisenden auf und bildeten einen Halbkreis.
Und auf einmal trat hinter ihnen noch ein Wesen dieser Art hervor und lief auf Sydney zu. Sachte strich er ihr über die Haare, betrachtete kurz das Medaillon, welches sie um ihren Hals trug, und verbeugte sich dann.
„Kaiserin“, sprach es mit sanfter Stimme.
„Du kannst reden?“, sagte Sydney verdutzt.
„Ja“, antwortete das Wesen. „Und nur ich bin dazu in der Lage. Meine ganzen Freunde sind verstummt.“
„Was ist geschehen?“, wollte Sydney wissen. Nachdenklich und mitleidig blickte sie das Wesen an.
„Das wissen wir nicht“, sagte er. „Wir fanden euch vor drei Tagen und drei Nächten draußen, erschöpft und schlafend. Eine Menge schlimmer Dinge müsst ihr mitgemacht haben. So dachten wir, wir bringen euch hierher, da wärt ihr sicherer.“
„Ich danke euch im Namen meiner Freunde“, bedankte Sydney sich.
„Wie lange sagtet ihr, wären wir hier gewesen?“, fragte Dennis noch mal nach.
„Ihr schlieft drei Tage und drei Nächte lang hier unten in unseren Höhlen“, antwortete das Wesen.
„Seid ihr die Bewohner dieser Höhlen?“, erkundigte Leonie sich. „Habt ihr die Malereien an den Wänden gemacht? Seid ihr diejenigen, die die seltsamen Artefakte hortet, sie gesammelt und beschriftet haben?“
„Wir sind die Kayalin“, begann das Wesen zu berichten. „Wir leben seit Jahr und Tag hier unten in unseren Grotten. Hier im Untergrund, wo uns niemand sieht, fühlen wir uns wohl. Nur ganz selten, wenn es sehr dunkel ist und niemand oben ist, kommen wir ab und an heraus, um uns mit Verpflegung neu einzudecken. Es ist besser, wenn sie uns nicht sehen, und wenn wir niemanden erschrecken müssen.“
„Ihr glaubt, die Leute erschrecken sich, wenn sie euch sehen?“, fragte Sydney.
„Seht uns doch an“, sagte der Kayalin. „Die Hässlichkeit würde unser Aussehen nur zu vage umschreiben.“ Er senkte seinen Kopf. „Wir waren nicht immer so. Seit vielen Jahren – keiner weiß wie lange – sind wir aber so wie wir sind. Seitdem verkrochen wir uns hier unten in den Grotten der Traurigkeit. Sie haben alle aufgehört zu sprechen. Sie konnten ihre Stimmen nicht mehr hören. Nur ich, der Oberste unter ihnen, habe meine Stimme und meine Sprache beibehalten. Ihr seid seit Jahren die ersten Wesen, mit denen ich spreche.“
„Warum sprecht ihr nicht mehr?“ Sydney blickte den Kayalin voller Mitleid an.
„Ich weiß es nicht“, sagte er. „Ich weiß nichts mehr. Nur, dass wir tagein, tagaus da sitzen und weinen. Ein ganzer Bach entstand aus unseren Tränen. Ein See vielleicht.“
„Wenn ich euch nur irgendwie helfen könnte“, hauchte Sydney leise.
„Das könnt Ihr nicht“, sagte der Kayalin.
Sydney streichelte dem Kayalin über das Gesicht. „Könnt ihr vielleicht uns helfen? Wisst ihr, ein Prophet sagte sieben Zeichen voraus, die bald eintreffen werden. Sieben Zeichen des Bösen. Und ist das siebte Zeichen eingetroffen, erhält das absolut Böse Zugang zu den Welten. Es wird uns alle vernichten.“
„Anshalyn wurde zerstört. Und Kitty und Jojo, unsere Freunde, sind zu Vampiren geworden“, berichtete Dennis, während er auf die Käfige zeigte. „Die Kaiserin Naytnals und ihre Stellvertreterin sind nun Wesen des Bösen. Was können wir tun?“
„Das weiß ich nicht“, sagte der Kayalin ruhig. „Ich bin nicht in der Lage, euch zu helfen. Nur, wenn Kitty und Jojo ihre Macht wieder bekommen, ihren Zauber wieder haben, dann könnte ich euch vielleicht helfen.“
„Aber wie sollen wir das anstellen?“, fragte Sydney aufgebracht.
„Das weiß ich leider nicht“, sagte der Kayalin. „Zu traurig sind wir, um dies zu wissen.“
Sydney atmete heftig durch und streifte sich ihre Haare aus ihrer Stirn.
„Wir müssen ihnen helfen, bevor sie uns helfen können“, rekapitulierte Dennis nachdenklich. „Das ist wirklich eine verworrene Situation.“
„Und wenn wir einfach nach einem Ausgang suchen?“, fragte Sarah leise.
„Wir können sie doch nicht einfach hängen lassen“, fuhr Sydney sie an.
„Es tut uns leid, dass wir nichts für euch tun können“, meinte der Kayalin.
„Nein“, entgegnete Sydney. „Uns tut es leid, dass wir euch nicht helfen können. Ich bin zwar nun Kaiserin, aber meine Macht ist begrenzt. Es ist wirklich vonnöten, dass Kitty und Jojo ihren Zauber zurückerhalten und dass sie wieder zurück verwandelt werden.“
Leonie stand auf und lief zu den Käfigen. Sachte streichelte sie über Kittys und Jojos Tatze, dann über ihren Kopf. „Es sind meine Kinder“, wisperte sie traurig. „Ich wüsste zu gerne, was sie empfinden, genau jetzt. In ihnen ist so viel Gutes. Sie können nicht ganz und gar böse geworden sein.“
Sie konnten ein kleines Fiepen hören. Es kam aus den Mündern von den Vampiren Kitty und Jojo. Es klang ängstlich einerseits, aber es hatte auch einen Wink Hoffnung drin.
„Wir müssen doch etwas tun können.“ Leonie weinte beinahe.
Von der Hoffnungslosigkeit angetrieben holte Sydney schließlich aus Kittys Tasche das Buch der tausend Zauber hervor. Sie blätterte darin herum. Aber die Seiten waren leer.
„Bitte“, hauchte sie leise.
Plötzlich formierten sich Schriftzeichen im Buch. Die Buchstaben kreisten erst willkürlich auf dem Papier hin und her, aber auf einmal bildeten sie einen Absatz.
„Seht“, meinte Sydney dann. Und laut las sie vor:
„Die Kayalin leben seit Jahr und Tag in tiefer Traurigkeit. Sie wissen nicht, warum. Ihr Aussehen ist dahin, und ihre Freude ebenso. Nur wenn Kitty und Jojo ihre Zauberkraft wieder erlangen können, kann ihnen geholfen werden. Und nur dann kann euch geholfen werden. Ihr müsst das Geheimnis der Kayalin lösen. Schafft ihr dies, so werden Kitty und Jojo wieder zaubern können. Guten Zauber. Und es beginnt mit einem Bild.“
Der Absatz endete hier. Fragenden Blickes schlug Sydney das Buch wieder zu. Sie schüttelte ihren Kopf. „Es beginnt mit einem Bild“, flüsterte sie.
„Ein Bild“, sagte Dennis leise. Und keine zwei Sekunden darauf lief er zu seinem Rucksack. Er holte seine Staffelei hervor und baute sie auf.
„Das ist es“, meinte Lisa. „Dennis muss ein neues Bild malen. Vielleicht bringt uns das weiter.“
„Ganz sicher wird es das“, sagte Sarah voller neuer Hoffnung.
Und dann begann Dennis zu malen.
Gespannt verfolgten die Anwesenden seine Pinselstriche. Dennis malte zuerst einen ganz hellen Hintergrund. Dann malte er Schattierungen herein. Nach und nach erkannten sie ein Auge, dann ein weiteres Auge. Haare entstanden. Und ein Kopf kam dann zum Vorschein. Am Schluss erkannten sie ein Lächeln. Das Bild wurde sehr unscharf. Niemand, nicht mal Dennis, konnte erkennen, welche Person auf dem Bild zu sehen war.
„Es ist ein Mädchen“, sagte Dennis leise. „Oder eine Frau. Ich habe keine Ahnung, wer sie ist. Oder was sie bedeutet.“
„Ich kenne sie auch nicht“, grübelte Sydney. Plötzlich sah sie intensiver in die Augen. Es war, als träfe sie ein Leuchten mitten ins Herz, ein Leuchten, welches von den Augen des Mädchens auf dem Bild ausging. „Ich kenne sie nicht“, wiederholte Sydney leise. „Warum wird mir dennoch so warm ums Herz? Ich weiß nicht, wer sie ist, habe aber das Gefühl, sie seit Jahren zu kennen.“
„Es geht mir ähnlich“, sagte Leonie leise.
„Der Hilferuf“, sagte Dennis. „Wir wissen noch immer nicht, wer den Hilferuf nach uns aussandte. Dieses Bild – dieses Wesen, welches ich hier malte – es könnte im Zusammenhang damit stehen.“
„Glaubst du, dass sie den Hilferuf aussandte?“, wollte Sydney wissen.
„Ich weiß nicht... ist schon möglich...“ Dennis sah sich das Bild näher an. „Mir wird etwas klar“, meinte er daraufhin auf einmal. „Wen auch immer ich malte, sie ist die einzige Person, die uns wirklich helfen kann. Sie muss diejenige sein, die uns zu Hilfe rief. Sie ist der Schlüssel zu allem.“
„Wie meinst du das?“ Leonie schaute Dennis fragend an.
„Sie wird uns retten können“, sagte Dennis. „Eines Tages wird sie uns retten können.“
„Wie geht es jetzt weiter?“ Sydney schaute erst Dennis, dann den sprechenden Kayalin fragend an. Aber der Kayalin zuckte nur mit seinen Schultern.
„Egal, wie“, sagte Lisa dann auf einmal. „Wir müssen unbedingt Lina finden. Ich habe die ganze Zeit schon im Gefühl, dass es absolut notwendig ist, dass Lina hierher kommt. Hierher zu uns nach Naytnal. Wir müssen irgendwie versuchen, Kontakt zu ihr zu bekommen.“
„Wenn Kitty jetzt Kitty wäre, könnte sie sie über ihre Träume rufen“, rätselte Leonie.
„Wir wissen nicht, ob Kitty in der Lage ist, zu träumen“, entgegnete die Zweite. „Es könnte gefährlich werden. Wir wissen ja auch nicht, was sie träumen würde. Es muss einen anderen Weg geben.“
„Ich bräuchte einen Spiegel oder so etwas“, sagte Lisa dann. „Und meinen ganzen Willen benötige ich. Ja... dann könnte es mir gelingen, sie zu kontaktieren.“
„Nun“, sagte der Kayalin. „Vielleicht findet ihr in unserer Schatzkammer etwas, das einem Spiegel ähnelt.“
„Ihr habt eine Schatzkammer?“, fragte Sydney neugierig.
„Oh, ja“, sagte der Kayalin, nicht ganz ohne stolz. „Schon die ganze Zeit über häuften sich unsere Schätze an. Sie sind von hohem Wert.“ Und beinahe war es, als sah man ein kleines Lächeln über die sonst so traurigen Lippen des Kayalin huschen.
Das gab Sydney und den anderen Mitreisenden erneute Hoffnung. „Okay“, sagte sie. „Gehen wir und suchen in der Schatzkammer nach einem Spiegel. Wir bringen Lina her zu uns.“
„Bravo“, sagte Dennis.
Während die Kayalin im Saal verblieben, auf Kitty und Jojo achteten und die Betten abbauten, und während in einer anderen Grotte Yak-Yerrek tief und fest seinem Lieblingshobby, dem Schlafen, nachging, machten sich Sydney, Dennis, Lisa, Sarah, Leonie und die drei Tajunas auf die Suche nach der Schatzkammer der Kayalin. Durch endlose Gänge verlief ihr Weg, scheinbar immer weiter nach unten. Getrieben waren sie mittlerweile alle von dem Wunsch, Kontakt zu Lina zu bekommen, einem der geheimnisvollsten Wesen, die Naytnal je betreten haben. Einem Wesen aus der äußeren Welt, Lisas Zuhause.
Und scheinbar nach Stunden fanden sie schließlich einen großen Saal, der über und über voll gestellt war mit lauter wertvollen Truhen, Bildern, Artefakten, Statuen und Silber- und Goldmünzen. Sie hatten die große Schatzkammer der Kayalin gefunden.
„Das muss es sein“, sagte Sydney.
„Ist das ein Traum für eine Forscherin“, bemerkte Leonie mit großen Augen.
Sofort begann Lisa, sich durch die Schätze hindurch zu wühlen, was die anderen ihr gleich nachtaten. Lisa fand in einer Ecke eine Truhe. Vorsichtig öffnete sie sie.
„Seht mal“, meinte sie. In der Truhe waren lauter kleine Statuen, gerade so groß wie eine Kinderhand. Lisa holte eine hervor. Sie sah wunderschön aus, zeigte Wesen mit langen Kutten und wunderschönen Gesichtern. „So müssen sie früher ausgesehen haben“, ergänzte sie mitleidsvoll. „Das müssen Ebenbilder der Kayalin sein, wie sie einst waren.“
Sarah fand eine Serie Bilder, die sehr wertvoll aussah. Sie betrachtete sie eine Weile, dann suchte sie weiter.
Dennis fand eine Schatulle voller Goldmünzen. Sie waren viereckig. Er nahm eine hoch. Viele Verzierungen waren auf den Münzen zu sehen. Sie sahen staubig aus, obwohl sie neu aussahen.
Leonie betrachtete die großen Statuen in der Mitte des Raumes näher.
Sydney fand dann in einer anderen Ecke plötzlich einen großen Tisch. Auf ihm stand eine Münze, größer als alle anderen Münzen, die sie je gesehen hatte. Sie war fast genauso groß wie der Tisch und war mit einer Halterung schräg auf ihm angebracht. Sie war so glatt, dass sie wie ein richtiger Spiegel wirkte.
„Lisa, komm her“, rief Sydney. „Ich glaube, ich habe etwas gefunden.“
Sofort kamen alle herbeigelaufen und schauten beeindruckt auf die große Münze, dessen Schimmer sich im Raum wieder spiegelte. Sogar das Licht der Fackeln wurde von ihr zurückgestrahlt.
„Eine Münze“, sagte Lisa. „Eine Münze wie ein Spiegel.“
Alle anderen sahen Lisa nun zu, was sie machte. Ganz tief blickte Lisa in die Münze hinein. Voller Hoffnung. Gefüllt mit dem einzigen Wunsch, Lina zu sehen.
Nichts passierte.
„Ich schaffe es nicht“, meinte Lisa.
„Lina ist in einer anderen Dimension“, bemerkte die Erste dann auf einmal.
„Erste“, hauchte Lisa. „Hilf mir, bitte. Du bist eine Springerin, die durch die Dimensionen sehen und reisen kann. Hilf mir.“
„Wir werden dies nicht alleine schaffen“, erklärte die Erste. „Sydney, du musst mit all deiner Kraft zaubern. Nimm das Buch der tausend Zauber zur Hilfe.
Sydney tat was sie konnte. Eilig schnappte sie sich eines der Zauberbücher. Sie blätterte darin. Aber es kamen keine Zeichen.
Lisa schaute intensiv in den Spiegel und versuchte, jeden auch noch so kleinen Hauch von Veränderung zu erkennen.
Sydney sah plötzlich Schriftzeichen. Als diese einen Satz bildeten, begann sie, laut zu lesen: „Yoledeco lavender may tay la lunar.“
Nichts geschah.
Sydney las ein weiteres Mal: „Yoledeco lavender may tay la lunar.“
Wieder passierte nichts. Die Münze war noch immer glatt, und nichts war in ihr zu sehen, außer die Zeichen , die eingraviert waren.
„Komm schon. Es muss doch klappen“, meinte Sydney dann hoffnungsvoll. „Yoledeco lavender may tay la lunar“, sprach sie dann ein drittes Mal...
Plötzlich wurde etwas im Spiegel sichtbar. Ein weißer Rauch kreiste in der Münze hin und her.
„Gut so“, lobte Lisa.
„Ich spüre es“, sagte die Erste aufgeregt. „Ich spüre die Kraft der Dimensionen.“
„Ich kann etwas sehen“, sagte Lisa. Aufgeregt führte sie ihre Hand zu der Münze und strich über sie. Plötzlich merkte sie, dass sie ihre Hand richtig in die Münze hineinstecken konnte. Sie führte ihren ganzen Arm hindurch... und auf einmal spürte sie, wie jemand auf der anderen Seite ihre Finger ganz kurz berührte.
Die Erste strengte sich ganz, ganz fest an. All ihre Kraft nahm sie zusammen.
Der Rauch verschwand.
Lisa blickte dann auf einmal in das Gesicht eines Mädchens. Es war dunkelblond, etwa 17 Jahre alt und trug ein Sommerkleid. Herzergreifend lächelte es Lisa von der anderen Seite des Spiegels an.
„Lina?“, fragte Lisa leise.
„Endlich!“, hauchte das andere Mädchen sichtlich erleichtert.
„Lina“, sagte Lisa voller Freude. „Du bist es! Lina, das Geheimnis. Endlich.“
„Hallo, Lisa, meine Freundin“, begrüßte Lina ihre enge Freundin Lisa. „Du siehst wunderschön aus, wie eh und je.“
„Du aber auch“, gab Lisa das Kompliment zurück.
„Ich versuchte schon lange, zu euch zu kommen“, erklärte Lina. „Ich versuchte es durch Träume, aber was ich sah, konnte mich noch nicht zu euch bringen.“ Lina sah sich fragend um. „Wo sind Kitty und Jojo?“
„Etwas Schreckliches ist geschehen“, sagte Lisa daraufhin aufgeregt. „Kitty und Jojo sind von Vampiren gebissen worden. Sie sind nun selbst zu Vampiren geworden. Wir mussten sie in zwei große Käfige sperren, zu ihrem und unserem Schutz. Wir sind verzweifelt. Wir wissen nicht, wie gefährlich die Macht ist, die Kitty und Jojo durch den Biss bekommen haben könnten. Ihr Zauber ist dahin. Sydney ist zur Zeit Kaiserin Naytnals. Lina, bitte, du musst unbedingt zu uns kommen.“
„Es ist schwer, wenn Kitty nicht ihren vollen Glauben trägt. Sie muss die innere Überzeugung haben, dass ich und sie eins sind. Sie muss wollen, dass ich komme.“ Die Stimme von Lina klang verzweifelt, aber nicht hoffnungslos.
„Sydney besitzt Kittys geheimnisvollen Schlüssel der Macht derzeit“, sagte Lisa. „Sie kann für sie glauben, mit all ihrer Kraft. Und ich glaube auch fest daran. Bitte, Lina...“
Auf einmal streckte Lina ihre Hand durch den Spiegel. Lisa bekam sie zu fassen. Sanft aber kräftig zog sie an Linas Arm... und dann hüpfte das geheimnisvolle Mädchen mit einem Ruck durch die Münze, durch den Spiegel hindurch und kam bei Lisa, Sydney, Leonie, Dennis, Sarah und den Tajunas an.
„Du hast es geschafft“, freute sich Lisa und umarmte ihre langjährige Freundin Lina.
Lisa umarmte dann auch die Erste und zeigte ihr, wie dankbar sie für ihre Hilfe war, Lina her zu bringen. Nachdem Lina sich allen vorstellte und diejenigen begrüßte, die sie schon kannte, musste sie sich erst einmal setzen. So ein Dimensionssprung war immer noch gewaltig anstrengend, vor allem für ein Mädchen wie Lina.
„Es ist gut, dass ihr mich hergebracht habt“, sagte sie dann sichtlich erleichtert. „Wie ich schon sagte, auch in unserer Welt sind seltsame Dinge passiert. Menschen, die sich seit Jahren liebten, gingen plötzlich auseinander. Eine Mondfinsternis hat es auch gegeben. Und noch viel mehr Schlimmes ist geschehen. Ich weiß diese Zeichen nicht zu deuten, aber ich wusste, dass sie hier in Naytnal ihren Ursprung haben.“
„Au weh“, machte Leonie.
„Wir müssen dagegen angehen“, meinte Lisa. „Ich ahnte ja nicht, dass es auch schon unsere Welt getroffen hat, Lina.“
„Wir müssen schnell handeln“, bekräftigte die Zweite.
Und Sarah schaue nachdenklich und traurig.
„Lina“, begann Dennis. „Es gibt ein sehr schweres Problem. Du hast das über Kitty und Jojo bereits gehört. Sie haben ihren Zauber verloren und sind nunmehr Vampire. Damit uns die Kayalin – das sind die, die hier wohnen – helfen können, müssen Kitty und Jojo ihren Zauber wieder erlangen. Kannst du sie zurückverwandeln in die, die sie vormals waren?“
Lina schaute mitleidsvoll. „So gerne ich würde, ich kann es nicht“, entgegnete sie. „Einzig einen Teil ihrer Zauberkraft kann ich ihnen zurückgeben. Bringt mich zu ihnen, dann werde ich sie berühren.“
Aufgeregt sprang Sydney auf und klatschte in die Hände. „Werden sie dann wieder zaubern können? Wird Kitty dann wieder Kaiserin Naytnals sein können?“
„Ich weiß nicht, was geschehen wird, wenn ich sie berühre“, sagte Lina, Sydney über die Haare streichelnd. „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun. Derweil musst du weiterhin Naytnals Kaiserin bleiben, auch wenn die Anforderungen dir sehr hoch erscheinen.“
„Gehen wir“, sagte Leonie dann.
Sydney, Lina, Lisa und die anderen folgten Leonie dann zurück in die Höhle hinauf, wo Kitty und Jojo in ihren Käfigen saßen. Man sah richtig Leonies Forscherdrang durchkommen – schließlich war sie jahrelang eine weltbekannte Anthropologin, berühmt und gefürchtet als die Jägerin der Dinosaurier. Jedenfalls kannte sie die Grotten der Traurigkeit, die Heimstätte der Kayalin, bereits wie ihre Westentasche, obgleich sie die Höhlen erst einmal abgelaufen hatte.
Als sie in dem Saal ankamen, wo sie nächtigten, waren die Kayalin bereits nicht mehr im Raum. Sie hatten sich offenbar vor dem Neuankömmling Lina versteckt.
„Sie sind sehr schüchtern“, entschuldigte Lisa das Verhalten der Untergrund-Wesen. „Sie möchten nicht gerne gesehen werden.“
„Sie werden kommen, wenn es uns gelingt, Kitty und Jojo ihre Zauberkraft zurück zu geben.“
Lina sah die Käfige. Traurig blickte sie Kitty und Jojo an, die darin saßen. Sie sah Kitty und Jojo traurig mit den Flügeln flattern, ganz ruhig und langsam, fast mühsam.
„Was ist mit ihnen“, machte Leonie sich Sorgen.
„Ihre Kraft schwindet“, sagte Lina. „Sie müssen eiligst ihren Zauber zurück erhalten, sonst geht es mit ihnen zu Ende.“
„Oh, nein“, hauchten Leonie und Dennis wie aus einem Mund.
Ganz vorsichtig öffnete Lina die Käfigtüre von Kittys Käfig. Dann streckte sie ihre Hand hinein und berührte Kitty sanft an ihrem Kopf. Und in der gleichen Sekunde begann es mit einem Mal zart zu leuchten. Ob es von Kittys Augen aus ging, ob es ein anderer Schimmer war, das wusste niemand.
Lina ließ Kittys Käfigtüre offen und öffnete anschließend die Türe von Jojos Käfig. Als sie sie am Kopf berührte, begann es auch bei ihr zart zu leuchten, in einem herrlichen bläulich-roten Schimmer.
„Kitty“, sagte Lina. „Jojo. Könnt ihr mich hören? Ich gebe euch so viel von eurer Zauberkraft wieder wie ich kann. Bitte sprecht mit mir.“
Kitty und Jojo bäumten sich auf. Es war, als würden sie sich strecken. Ihre Augen schienen zu leuchten. Aber es war plötzlich kein gefährliches, rotes Leuchten mehr. Es schien ein sanftes, gutmütiges Leuchten zu sein.
Alle sahen gespannt zu. Niemand ließ seine Augen von Kitty und Jojo ab. Und jedes der Herzen pochte wie wild, voller Neugier und Aufregung über das, was geschehen würde.
Plötzlich hörte man Kitty fiepen. Und beim näheren Hinhören konnte man wahrnehmen, dass sie tatsächlich etwas sagte.
„Zau-ber“, sprach sie ganz langsam. „Kraft. Zauber-kraft“ Kitty legte ihren fast schon niedlich aussehenden Fledermauskopf schräg und sah Lina in die Augen. Nein, gefährlich sah sie ganz und gar nicht mehr aus. Ob sie es noch war? Ob sie es je war?
„Li-na“, stammelte Kitty. „Dan-ke.“
„Kitty?“, fragte Lina. „Kitty. Bist du da drin?“
„Ich... Kitty“, hauchte Kitty. „Ich habe... Zauber-kraft.“
„Lina... dan-ke“, sprach plötzlich Jojo.
„Mom-my“, hauchte Kitty dann, als sie Leonie erblickte.
„Mom ist... hier“, stammelte Jojo.
„Kitty! Jojo!“, sagte Leonie dann aufgeregt. „Ihr seid es. Ihr seid es wirklich. Kinder, ich bin bei euch. Eure Mom ist hier bei euch. Habt keine Angst.“ Leonie weinte fast.
„Jojo“, sagte Lina. „Kitty. Es hat funktioniert. Hat es doch, oder?“ Freudig und hoffnungsvoll blickte Lina Kitty und Jojo an.
„Wir haben wieder Kraft“, sagte Kitty langsam und leise. „Gute Zauberkraft.“
„Wir sind einsam“, sagte Jojo dann.
„Aber wir sind bei euch“, sagte Dennis.
„Den-nis“, hauchte Kitty. „Mein Freund.“
„Ja, Kitty“, sagte Dennis lächelnd. „Das bin ich immer noch. Und ich werde es immer sein.“
„Lasst uns nicht frei“, hauchte Kitty dann. „Zu gefährlich.“
„Aber ihr seid jetzt wieder gute Wesen“, warf Sarah ein. „Oder nicht?“
„Wir sind Vampire“, sagte Kitty.
„Schlafen tags, wachen nachts“, erklärte Jojo. „Können gefährlich sein.“
Sarah schaute traurig. Sie grübelte offenbar über etwas Bestimmtes. Und sie sah so verzweifelt aus.
Plötzlich, nach einigen Minuten kamen einige der Kayalin wieder in den großen Saal herein. Vorsichtig gingen sie zu Lina und blickten sie an. So richtig nah trauten sie sich nicht zu ihnen zu gehen. Sie behielten stets einen sicheren Abstand bei. Aber sie zeigten sich ihr.
„Das sind sie“, stellte Lisa Lina die Kayalin vor.
„Es ist mir eine Ehre“, sagte Lina. „Ihr habt meine Freunde gerettet. Durch eure Schatzkammer habe ich den Weg zu ihnen gefunden. Ich danke euch herzlich dafür.“ Lina nickte, schob sich dann ihre Haare zurecht, aber sie trat auch nicht zu nahe an die Kayalin heran. Schließlich wusste sie ja, wie schüchtern sie waren.
Die Käfigtüren von Kittys und Jojos momentanem Aufenthaltsort waren noch immer geöffnet. Sydney schaute zu Kitty und Jojo herüber. Sie bemerkte, dass die Kayalin gar nicht schreckhaft ihnen gegenüber waren.
Kitty und Jojo schauten neugierig. Ihre Pranken tasteten sich an den offenen Türen herauf. Ihre Flügel hingen schlaff herunter. Plötzlich machte Kitty einen Satz und sprang aus ihrem Käfig. Nur Sekunden darauf hüpfte Jojo ebenfalls heraus.
„Mein Gott...“, hauchte die Zweite. „Sie... werden uns doch jetzt nichts tun?“
„Glaube ich nicht“, sagte Dennis nachdenklich.
Alle sahen gespannt auf Kitty und Jojo.
Und Sarah blickte noch immer ganz traurig.
Kitty ging zu Sarah. Sie stellte sich vor sie. Ganz vorsichtig – fast, als bemühte Kitty sich, dass sie Sarah nicht verletzte – streichelte sie über ihre Haare drüber.