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**Nur ein Spiel oder echte Gefühle?** Als der verschuldete Cameron auf einer High-Society-Gala seinen Doppelgänger trifft, kann er es kaum fassen. Jasper Anderson, Sohn des größten Immobilien-Moguls des Landes, ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten – und macht ihm ein unwiderstehliches Angebot: Rollentausch für ein Semester im Gegenzug für ein schuldenfreies Leben. Scheinbar reibungslos schafft Cameron es, sich unter falschem Namen im elitären Waterbury College einzuschleusen und als Jasper durchzugehen – bis ein Dating-Spiel die Runde macht und er mit der scharfsinnigen Millionärstochter Aspen gematcht wird … Persönliche Leseempfehlung der bekannten Romance-Autorin Nina Bilinszki: »Ein Elite-College der High Society, ein Doppelgänger, der dort nicht hingehört, und ein Onlinegame, das das falsche Spiel aufzudecken droht. Diese New Adult Romance konnte ich nicht mehr aus der Hand legen. Absolute Empfehlung!« Kate Corell ist ein Kind der 80er. Ihre im Selfpublishing veröffentlichten Buchserien haben zahlreiche Fans und landen auf den E-Book-Bestsellerlisten stets ganz oben. »Never Be My Date« ist ihre erste Publikation im Hauptprogramm eines Publikumsverlags. //Diese E-Box enthält die knisternde New Adult Trilogie »Never Be«: -- Band 1: Never Be My Date -- Band 2: Never Be My Enemy -- Band 3: Never Be My Love//
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www.impressbooks.de Die Macht der Gefühle
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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH, Völckersstraße 14-20, 22765 Hamburg © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2024 Text © Kate Corell, 2023 Coverbilder: shutterstock.com / © coldsun777 Covergestaltung der Einzelbände: Zero Werbeagentur ISBN 978-3-646-61187-8www.impressbooks.de
© privat
Kate Corell ist ein Kind der 80er. Sie liebt Bücher, Sport (ausschließlich von der Tribüne aus) und Musik. Mit ihrem Mann, einem pubertierenden Teenager und zwei verrückten Bulldoggen lebt sie als Nachteule im Land der Frühaufsteher.
Wohin soll es gehen?
Autor*innennvita
Band 1: Never Be My Date
Band 2: Never Be My Enemy
Band 3: Never Be My Love
ImpressDie Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Kate Corell
Never be my Date
Nur ein Spiel oder echte Gefühle?
Als der verschuldete Cameron auf einer High-Society-Gala seinen Doppelgänger trifft, kann er es kaum fassen. Jasper Anderson, Sohn des größten Immobilien-Moguls des Landes, ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten – und macht ihm ein unwiderstehliches Angebot: Rollentausch für ein Semester im Gegenzug für ein schuldenfreies Leben. Scheinbar reibungslos schafft Cameron es, sich unter falschem Namen im elitären Waterbury College einzuschleusen und als Jasper durchzugehen – bis ein Dating-Spiel die Runde macht und er mit der scharfsinnigen Millionärstochter Aspen gematcht wird …
Persönliche Leseempfehlung der bekannten Romance-Autorin Nina Bilinszki:
»Ein Elite-College der High Society, ein Doppelgänger, der dort nicht hingehört, und ein Onlinegame, das das falsche Spiel aufzudecken droht. Diese New Adult Romance konnte ich nicht mehr aus der Hand legen. Absolute Empfehlung!«
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Danksagung
CONTENT NOTE
Dieses Buch enthält Elemente, die triggern können. Diese sind:
AngststörungenPanikattackenTod, Verlust und TrauerLiebe Leser*innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb befindet sich am Ende des Buches eine Content Note.
Achtung: Diese enthält Spoiler!
Wir wünschen euch das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer Carlsen Verlag
Für Nadine Wilmschen.(Sorry not sorry)
Be brave, follow your dreams, say f*ck you to everybody and fight for what you believe in.
– Jared Leto –
PLAYLIST
A BEAUTIFUL LIE – THIRTY SECONDS TO MARS
AMERICAN OXYGEN – RIHANNA
UNCOVER – ZARA LARSSON
LITTLE LOVE – JAMES SMITH
TAKE MY HAND – PICTURE THIS
DON’T GIVE IN – SNOW PATROL
COLDEST WATER – WALKING ON CARS
MY LOVE – JESS GLYNNE (ACOUSTIC VERSION)
SOMEONE TO HOLD – PICTURE THIS, CXLOE
ZOMBIE – CXLOE (TRIPLE J LIKE A VERSION)
GHOST – ZOE WEES
FADING INTO GREY – BILLY LOCKETT
BLACK HOLE – GRIFF
LIGHTING MATCHES – TOM GRENNAN
FRIENDSHIPS (LOST MY LOVE) – PASCAL LETOUBLON, LEONY
IF YOU WANNA BE LOVED – PICTURE THIS (JOHN GIBBONS REMIX)
THE STORY – THIRTY SECONDS TO MARS
DON’T BREAK THE HEART – TOM GRENNAN
SOMEBODY – DAGNY (ACOUSTIC VERSION)
DANCING IN THE DIRT – GLOCKENBACH, MOUGLETA
(I JUST) DIED IN YOUR ARMS – BASTILLE
ALL WE ARE – JONAH
STAY – THIRTY SECONDS TO MARS
CALIFORNIA DREAMIN’ – SIA
EVERY BREATH YOU TAKE – THE POLICE
KEEP YOU DRY – JUKE ROSS
PROLOG
CAMERON
ZUVOR IN CINCINNATI, OHIO
Wie schwer kann es eigentlich sein, ein Tablett durch den überfüllten Saal einer Luxusvilla zu manövrieren?
Fünfzehn. Das entspricht der exakten Anzahl von Gläsern, die sich auf dem weiß lackierten, runden Monstrum, das ich auf meiner Handfläche balanciere, befinden. Jedes Mal, wenn ich jemandem ausweichen muss, wackeln sie verdächtig und treiben mir die Schweißperlen auf die Stirn.
Mein Blick wandert zu der Uhr an der Wand oberhalb der Schwingtür, die in die Küche führt. Noch zwei Stunden, dann kann ich endlich nach Hause fahren. Es ist nicht so, dass mir der Job keinen Spaß macht. Überraschenderweise tut er das, aber ich bin bereits seit sechzehn Stunden auf den Beinen und inzwischen fühlen sie sich bleischwer an.
In der Küche herrscht reges Treiben, als ich sie betrete, und doch fällt mir der Typ sofort auf, der hier nichts zu suchen hat. Er unterhält sich mit einer der Kellnerinnen, die amüsiert kichert, als er sich eine ihrer Haarsträhnen um den Zeigefinger wickelt. Genervt verdrehe ich die Augen. Hoffentlich ist sie nicht so naiv zu glauben, der Lackaffe macht sie zu einer High-Society-Prinzessin.
»Darf ich mal vorbei?«, frage ich schroff, weil die beiden den Zugang zum Schampusnachschub blockieren.
Als der Kerl in meine Richtung sieht und damit den Blick auf sein Gesicht freigibt, stutze ich einen Moment. Er grinst, während ich mehr als irritiert bin. Vor mir steht eine aufgemotzte Version meiner selbst. Als hielte man mir einen Spiegel vor, der zeigt, wie es wäre, auf der anderen Seite der Gesellschaft zu stehen. Was zur Hölle …
»Hey.« So, wie er mich mustert, ist ihm dieses Detail ebenfalls nicht entgangen.
Die Blondine schnauft verächtlich, als er ihr seine Aufmerksamkeit entzieht und diese ausschließlich mir widmet. Für einen Augenblick starre ich ihn fassungslos an, weil mein Gehirn nicht dazu in der Lage ist, zu realisieren, was hier gerade passiert.
»Ich bin Jasper. Und du bist?«
»Nicht an einem Gespräch interessiert«, antworte ich, als die Rädchen in meinem Kopf sich endlich wieder drehen, und ich versuche, mich möglichst unbeeindruckt zu zeigen. Jasper – der Name klingt schon nach massenhaft Geld und sein britischer Akzent wirkt überzogen. So als würde er seine Persönlichkeit damit aufwerten wollen.
Sein Blick wandert zu dem Metallschild, das an meine Brust geheftet ist. Mist! »Cameron«, liest er ab.
Ich wünschte, mich würde diese Begegnung nur halb so amüsieren wie ihn. Im Augenblick macht sie mich nervös und ich weiß absolut nicht warum. Außerdem bin ich müde. Unglaublich müde. Ausgelaugt.
»Nimm mal die Brille ab«, fordert er und streckt ernsthaft die Finger nach mir aus, um die Sache selbst zu übernehmen. Bevor er mir zu nahe kommt, schlage ich seine Hand weg.
»Ich muss arbeiten«, presse ich hervor und gerate ins Straucheln, als er mir den Weg abschneidet. »Lass den Scheiß!«, fahre ich ihn an und schiebe ihn grob zur Seite.
Jeder auf dieser Welt hat mindestens einen Doppelgänger. Dazu gibt es unzählige Statistiken. Allerdings hätte ich nie damit gerechnet, dass meiner mal leibhaftig vor mir stehen und mich blöd angrinsen würde.
»Jetzt warte doch mal!«, ruft er mir nach, während ich durch die Schwingtür zurück zur Party gehe. Verdammt, ich habe den Schampus vergessen. Das Rich Kid tritt neben mich und trägt etwas unbeholfen ein volles Tablett vor sich her. Wortlos nehme ich es ihm ab.
»Okay, Cam, sehen wir der Tatsache ins Auge. Du siehst aus wie ich. Zugegeben, du bist die weniger gut aussehende Variante. Deine dunklen Augenringe machen jedem Panda Konkurrenz. Aber es ist wirklich erstaunlich, wie ähnlich du mir siehst. Als wärst du mein verlorener Zwilling. Wurdest du eventuell adoptiert?«
Hat er mich gerade ernsthaft Cam genannt? In meinem Leben gibt es genau drei Menschen, die mich so nennen dürfen. Er gehört ganz klar nicht dazu.
Ich umklammere das Tablett fester, um es ihm nicht versehentlich in seine überteuerte Visage zu schleudern. »Ja, wirklich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass jeder Mensch ungefähr sieben Doppelgänger besitzt«, antworte ich möglichst unbeeindruckt. Keine Ahnung, warum er mich so in Rage versetzt, es ist einfach so. Im Grunde hat er mir nichts getan, was mein Verhalten ihm gegenüber rechtfertigen würde. Allerdings neige ich dazu, in unangenehmen Situationen eine Abwehrhaltung einzunehmen oder das Weite zu suchen, um mich ihnen nicht stellen zu müssen. Nicht unbedingt meine beste Eigenschaft, aber ich arbeite daran. Irgendwie jedenfalls.
»In der Tat, aber wie wahrscheinlich ist es, einem davon zu begegnen? Ich würde sagen, das Schicksal spielt mir in die Hände. Du könntest mir nützlich sein.«
Hört er sich eigentlich selbst zu? Nützlich? Was bin ich, ein Haushaltsgerät?
Mit dem Tablett in der Hand schlängle ich mich durch die Gäste. Wie ein Schoßhündchen dackelt Jasper mir hinterher, während er unaufhörlich auf mich einredet.
»Was zahlen sie dir hier?«
Echt jetzt? Als ob ich ihm das auf die Nase binde. Ich kenne den Typen nicht mal. Genervt drehe ich mich zu ihm um und ziehe eine Augenbraue hoch. Eine Geste, die ihm mitteilt: Halt endlich die Klappe, du gehst mir auf den Keks.
»Fünfzehn bis zwanzig Dollar die Stunde? Das ist ein Witz. Der Champagner, den du servierst, kostet das Fünffache.«
Der leicht bissige Unterton in seiner Stimme macht mich neugierig. Jetzt nehme ich mir doch einen Moment und mustere ihn genauer. Sein Smoking wirkt um einiges lässiger als die der anderen männlichen Gäste. Die dunklen Haare sehen auch eher so aus, als hätte er wenig Zeit in das Styling investiert. Seine braunen Augen mustern mich mindestens genauso intensiv wie meine blauen ihn. Immerhin etwas, das uns offensichtlich voneinander unterscheidet.
»Ich brauche das Geld. Es wäre also nett, wenn du mich einfach meinen Job erledigen lassen und jemand anderem auf die Nerven gehen würdest«, antworte ich, drehe mich um und stoße mit einem Partygast zusammen. Völlig übermüdet und viel zu hastig versuche ich, das Tablett auszubalancieren. Das ist der Moment, in dem ich das Gleichgewicht verliere. Rückwärtstaumelnd durchbreche ich die Absperrung und stürze in die Pyramide aus gefüllten Champagnergläsern, die auf einem flachen Podest aufgestellt wurde.
All das passiert so schnell, dass ich nicht einmal aufschreie, als sich gesplittertes Glas in meine Handflächen bohrt. Shit! Vorsichtig entferne ich die groben Glasscherben und wische anschließend das Blut an der Hose ab. Dann werfe ich einen Blick auf das Chaos. Doppelshit. Kleine Champagnerbäche suchen sich ihren Weg über den Marmorboden. Einige Gäste tupfen mit Servietten auf ihrer Designerkleidung herum, um größere Schäden zu verhindern.
»Sorry«, murmelt ein blonder Typ, der mich entschuldigend ansieht. Ist das Paxton Wright, der Hollywood-Schauspieler? Road Explosion ist einer meiner Lieblingsfilme. Säße ich in diesem Moment nicht wie ein Trottel auf dem Hosenboden, würde ich ihn um ein Autogramm oder ein Foto bitten.
Ein Blick über meine Schulter verrät mir, dass zwei Drittel der Pyramide dem Aufprall zum Opfer gefallen sind. Verdammt, das wird teuer, sollte ich dafür aufkommen müssen.
Dann sehe ich zu Jasper. Mit sichtlich betretener Miene streckt er mir eine Hand entgegen, um mir aufzuhelfen. Und dann lache ich aus mir völlig unerklärlichen Gründen los. Vermutlich, weil dieses Szenario auf keine andere Art und Weise enden konnte, als dass er auf mich herabsieht.
»Was ist denn hier passiert?«, will mein Boss wissen, der plötzlich wie aus dem Nichts neben Jasper auftaucht.
»Eine moderne Version des Dosenwerfens. Er hat eindeutig abgeräumt.«
Wäre ich nicht derjenige, der in Champagner getränkt inmitten eines Scherbenhaufens sitzt, fände ich die Antwort des Rich Kids tatsächlich witzig.
»Cameron, auf ein Wort!«, zischt mein Boss.
Sofort komme ich auf die Füße und folge ihm in die Küche, um mir eine Standpauke und vermutlich auch meine Entlassungspapiere abzuholen.
»So ein Verhalten ist absolut unangemessen«, wettert er los, sobald die Schwingtür hinter uns zufällt.
»Ich habe die Pyramide nicht absichtlich abgeräumt, ich wurde angerempelt«, antworte ich zu meiner Verteidigung.
»Erst plauderst du ungeniert mit den Gästen, statt zu arbeiten. Die Gläser, der Champagner, die Kleidung der Gäste – über die Höhe des Schadens, den du angerichtet hast, will ich im Augenblick gar nicht nachdenken. Das ist ein Desaster. Und zu allem Überfluss lachst du auch noch über den Mist, den du verzapft hast.«
»Also … ich …« Mitten im Satz breche ich ab, denn genauso ist es abgelaufen. Und so, wie es augenblicklich aussieht, kann ich meinen Hals ohnehin nicht mehr aus der Schlinge ziehen. Das war’s, er wirft mich raus.
»Du kannst gehen. Den Schaden ziehe ich dir vom Lohn ab.«
Erneut entfährt mir ein Lachen. Diesmal aus der Überzeugung heraus, dass ich endgültig am Arsch bin. Abziehen? Bei dem mickrigen Stundenlohn zahle ich vermutlich am Ende drauf.
Gedanklich schreibe ich die Kosten auf meine Liste für offene Posten. Das Gesicht meines Ex-Bosses färbt sich tiefrot. Was für ein Abend. Der kann getrost in die Tonne.
Erschöpft schäle ich mich aus der durchnässten Kellnerweste und werfe sie auf die Arbeitsfläche rechts von mir. Mein Blick fällt auf eine der Schampusflaschen. Kurz entschlossen greife ich danach, obwohl ich sie niemals trinken werde. Es ist purer Frust. Nicht mehr und nicht weniger.
»Schreiben Sie die mit auf die Rechnung«, weise ich ihn an und verschwinde mit der Flasche aus der Küche. Durch den Hinterausgang verlasse ich die Villa und sauge die klare Nachtluft, aber vor allem die Stille, tief in mich ein.
»Respekt. Dass du was mitgehen lässt, hätte ich dir gar nicht zugetraut«, ertönt Jaspers Stimme aus der Dunkelheit.
Ich wende mich ihm zu. Im schwachen Licht seines Handydisplays sitzt er auf der Hollywoodschaukel.
»Ich wurde gefeuert. Wenn das kein Grund zum Feiern ist«, spotte ich und halte feierlich meine Beute in die Höhe.
»Dachte ich mir schon. Immerhin gehst du, bevor die Party vorbei ist, und hast eine Hundert-Dollar-Flasche eingesackt.«
Hundert Dollar! Wow, ich hoffe, das Zeug ist die Kohle wert. Ohne darauf zu antworten, gehe ich die wenigen Stufen in den Garten hinunter.
»Und jetzt?«, ruft Jasper mir nach.
»Was und jetzt?«, erwidere ich, weil ich keine Ahnung habe, worauf er hinauswill. Über die Schulter sehe ich abwartend in seine Richtung.
»Was hast du vor, Cam? Ich dachte, du brauchst das Geld«, sagt er und steht schwungvoll von der Schaukel auf.
»Jetzt suche ich mir einen anderen Job, um für den Schaden aufzukommen, den ich heute Abend verursacht habe.« Seufzend schüttle ich den Kopf. Um den Stapel offener Rechnungen begleichen zu können, muss ohnehin ein Wunder geschehen.
»Das trifft sich gut, ich habe einen für dich. Und ich schwöre, er ist besser bezahlt als der Quatsch hier.« Leichtfüßig hüpft er die Treppe herunter. Mit wenigen Schritten steht er vor mir und grinst mich siegessicher an.
1.
ASPEN
ANFANG SEPTEMBER IN WATERBURY, CONNECTICUT
Der Wagen kommt vor dem gigantischen Eisentor des Colleges zum Stehen. Skeptisch verschränke ich die Arme auf dem Lenkrad, neige den Kopf zur Seite und betrachte durch die Windschutzscheibe das, was vor uns liegt. Das ist sie also, die grenzenlose Freiheit. Unser Zuhause für die nächsten drei Jahre. Irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt. Weniger angsteinflößend.
Die Euphorie, mit der ich vor wenigen Stunden in dieses Abenteuer aufgebrochen bin, erleidet gerade einen ziemlichen Dämpfer. Ich wollte an der NYU studieren und wäre lieber in New York geblieben. Dann haben sich meine Pläne geändert. Zu Hause ist der letzte Ort, an dem ich momentan sein will. Allerdings hatte ich nicht gedacht, dass mein Weg mich stattdessen nach Waterbury führen würde. Und doch stehe ich jetzt hier vor einem Anwesen, das durchaus einem Alfred-Hitchcock-Film entsprungen sein könnte. Der wolkenverhangene Himmel untermalt dieses trostlos wirkende Ensemble noch zusätzlich.
»Sind wir da?«, will Abbie wissen. Im Gegensatz zu mir ist sie aus völliger Überzeugung hier.
»Ja«, antworte ich knapp und höre selbst, wie enttäuscht ich klinge. Abbie beugt sich ebenfalls etwas vor, um einen genaueren Blick auf das Tor zu werfen, auf dem in goldenen Buchstaben der Schriftzug Waterbury College prangt.
»Sieht nett aus. Es hat diesen britischen Charme, den man aus alten Filmen kennt. Irgendwie romantisch«, fasst sie zusammen. So kann man es auch nennen.
Erschrocken schreien wir auf, als jemand an die Fensterscheibe klopft. Ein Kerl in einer dunkelblauen Uniform mit College-Wappen auf der Brust blickt abwartend ins Wageninnere. Zögerlich lasse ich die Scheibe herunter.
»Willkommen. Dürfte ich um Ihre Zulassungspapiere bitten?«
Abbie angelt ihre Handtasche von der Rücksitzbank und kramt die Unterlagen heraus. Ich lehne mich zu ihr hinüber und hole meine aus dem Handschuhfach.
Nachdem der Wachposten alles geprüft hat, schwingt das Tor quietschend auf. »Folgen Sie bitte dem Weg rechts an den Gebäuden vorbei und nehmen Sie im Kreisverkehr die zweite Ausfahrt. Ihre Unterkunft ist der letzte Bungalow am Ende der Straße auf der rechten Seite«, weist er uns an.
»Okay, danke«, erwidere ich verdattert. Hastig starte ich den Motor wieder und fahre im Schritttempo auf das Gelände.
»Dion hat geschrieben. Sie ist schon da und langweilt sich.«
Seit ich denken kann, sind Abbie und Dion meine besten Freundinnen. All die wichtigen Etappen des Lebens haben wir mit Eintritt in den Kindergarten zusammen gemeistert. Mehr oder weniger erfolgreich. Bisher habe ich den beiden nie etwas verheimlicht und hatte angenommen, dass es auch nie so sein würde. Sie hatten sich über meinen spontanen Sinneswandel in Bezug auf meine Collegewahl zwar gewundert, aber mein Argument, dass ich sie schrecklich vermissen würde, geschluckt. Best friends forever. Unsere Väter, Großväter und Urgroßväter sind bereits gemeinsam aufs College gegangen. Auf jenes direkt vor meinen Augen. Wir folgen also der alten Familientradition der Hills, Carmichaels und Westings. Was mehr als paradox ist, wenn man bedenkt, dass ich hier gelandet bin, um meiner Familie zu entkommen, und nicht, um an Traditionen anzuknüpfen.
Anders als auf einem gewöhnlichen Campus gibt es hier weder Verbindungshäuser noch Wohnheime, sondern jede Menge kleine Bungalows für eine bis maximal drei Personen. Sie versprühen keinen Ferienlager-Charme, nein, eher Luxusresort-Feeling. Jedenfalls, wenn ich den Erzählungen meines Dads Glauben schenken darf, denn seine Glaubwürdigkeit hat in den vergangenen Monaten erhebliche Risse bekommen.
Die offizielle Homepage des Colleges gibt bis auf wenige unscheinbare Fotos nicht viel her. Die Privatsphäre der Studierenden wird hier großgeschrieben. So steht es fett auf der Startseite im Internet. Waterbury ist ein realer Mythos. Alle wissen, dass es existiert, aber was dort passiert, bleibt auch dort. Was im Zeitalter von Social Media erstaunlich ist. Als wäre dieser Ort ein nahezu weißer Fleck auf der digitalen Landkarte. Ob jemand kontrolliert, was nach außen dringt und was nicht? Das wäre schon etwas crazy …
Dion tritt genau in dem Augenblick durch die Tür, als wir vor Bungalow Nummer 27 aus dem Wagen steigen.
»Oh my God. Daddy hat dir den Porsche gekauft.« Ja, hat er, aber ich habe ihn nicht darum gebeten. Das ist seine Art von Schweigegeld, damit ich den Schein der Hills wahre. Kommentarlos habe ich es angenommen. Robert Hill duldet keine Aufmüpfigkeit. Ich habe den Groll heruntergeschluckt und mich so verhalten, wie man es von mir erwartet. Dankbar.
Mit der flachen Hand streicht Dion ehrfürchtig über den gelben Lack des Wagens, der heute Morgen mit einer roten Schleife in unserer Einfahrt gestanden hat. Sobald wir ausgestiegen sind, zückt sie ihr Handy und macht ein Selfie mit dem Porsche im Hintergrund. »Meine Follower werden es lieben«, säuselt sie und beginnt eifrig zu tippen.
Dions großer Traum: Influencerin werden. Sie hat die Eigenschaft, sympathisch aufdringlich zu sein, mit der sie ganz sicher Erfolg haben wird. Allerdings wäre es gut möglich, dass sie ihren Durchbruch bis auf die Zeit nach dem College verschieben muss, sollte hier wirklich jemand die digitalen Fäden ziehen und den Content der Studierenden steuern, damit nicht zu viel nach außen dringt.
Dion steckt ihr Telefon in die hintere Tasche ihrer Jeans. »Das ist der totale Wahnsinn, das müsst ihr euch ansehen.«
Ich wünschte, ihre Begeisterung würde auf mich überschwappen, stattdessen macht sich ein beklemmendes Gefühl in mir breit.
Mein Blick schweift zu den umliegenden Häusern. Rotbraune, mit Efeu bewachsene Backsteinfassaden, so weit das Auge reicht. Gepflegte Rasenflächen, gestutzte Hecken und bunt bepflanzte Blumenbeete. Hübsch, gemütlich und nicht so durchdesignt wie Manhattan. Das Gelände wirkt wie eines dieser alten Vorstadtwohnviertel, in denen die Kinder auf den Straßen spielen und die Nachbarn sich in Gespräche am Gartenzaun vertiefen. Dennoch versprüht es eine geheimnisvolle Aura. Idyllisch und extrem weit von dem entfernt, was ich mir für meine Zeit am College erhofft habe. Hier schreit es eher nach Brettspielabenden als nach ausgelassenen Partys und College-Feeling.
»Aspen«, ruft Abbie, die bereits mit ihrem Koffer in der Hand auf der Türschwelle steht. Rasch gehe ich auf sie zu, damit wir uns gemeinsam im Haus umsehen können.
Anders, als es von außen den Anschein macht, ist das Innere modern, großzügig geschnitten und besticht durch makelloses Design. Eine komfortable Küche mit weiß lackierten Fronten grenzt an einen offenen Wohnbereich mit Kamin und riesiger Ledercouch. Die bodentiefen Fenster bieten einen fantastischen Ausblick auf das nahe gelegene Waldgelände. Es gibt sogar eine kleine Terrasse mit Loungemöbeln und einem Jacuzzi. Das Badezimmer ist ein Traum und verfügt über eine frei stehende Badewanne, eine Dusche und Doppelwaschbecken, alles in Weiß- und Grautönen gehalten. Die drei Schlafzimmer sind gleich groß und identisch, aber zweckmäßig eingerichtet. Doppelbett, Schrank, Regal und Schreibtisch. Der Rest obliegt der freien Entfaltung der Studierenden. Mit wenigen Handgriffen lässt es sich hier durchaus aushalten.
Abbie hat ihre Koffer bereits in einem der Zimmer abgestellt. Allerdings ist Dion mit ihrer Wahl nicht einverstanden. Ihrer Meinung nach hat es den besten Ausblick. Aus Erfahrung weiß ich, es ist besser, nicht in eine Diskussion zwischen den beiden mit einzusteigen. Also wähle ich das Zimmer, das in ihrer Debatte nicht inbegriffen ist. Um ehrlich zu sein, sehe ich keinen qualitativen Unterschied zwischen den Schlafzimmern. Weder in der Ausstattung noch beim Blick aus dem Fenster.
Während die beiden Streithähne die Unterstützung von Schere-Stein-Papier in Anspruch nehmen, hole ich meine Reisetasche aus dem Kofferraum. Ich habe nur das Nötigste eingepackt und den Rest in New York zurückgelassen. Das meiste davon fühlt sich inzwischen falsch an meinem Körper an, weil ich das wenigste selbst ausgesucht habe, sondern meine Mom. Bisher habe ich immer auf ihren Rat gehört, aber inzwischen frage ich mich, wie viel Gewicht ihre Aussagen in all den Jahren überhaupt hatten. Wie oft sie mich, ohne dass ich es bemerkt habe, manipuliert hat?
Als ich den Bungalow erneut betrete, fällt mein Blick auf das dunkelblaue mit Gold abgesetzte Wappen des Colleges, das auf der Hausordnung abgebildet ist. Inmitten des Kreises prangt ein Feuervogel, der den Anschein erweckt, als beobachte er mich. Das ist gruselig. Damit sie keinesfalls übersehen wird, hat jemand die Broschüre demonstrativ auf der Anrichte im Flur abgelegt. Ein Info-Flyer zum diesjährigen Projekt des Abschlussjahrgangs liegt direkt daneben. Be My Date steht in geschwungenen Lettern darauf.
Ein Datingspiel? Was für ein Blödsinn.
Zuerst greife ich nach der Hausordnung und sehe sie mir genauer an. In Waterbury herrschen strikte Ausgangszeiten. Nach Mitternacht kann das Gelände nicht mehr betreten oder verlassen werden, weil dann das Eisentor, durch das wir gerade gefahren sind, verschlossen ist und es keinen weiteren Zugang zum Gelände gibt. Lächerlich. Das hier ist das College. Die besten drei Jahre meines Lebens sollten nicht von Ausgangszeiten, Alkoholverbot und Seite acht, Absatz drei beherrscht werden. Denn der besagt: Keine Partys auf dem Campusgelände oder in den Gebäuden, die dem Waterbury College angehören. Das schließt die Wohnbungalows mit ein. Das ist doch absoluter Bullshit!
»Was liest du da?«, will Abbie wissen, als sie mich mit der Broschüre im Flur entdeckt.
»Wie man uns den Spaß verdirbt«, antworte ich und reiche ihr mit einem lauten Seufzen die Hausordnung.
Dion, die einen halben Kopf größer als Abbie ist, wirft einen Blick über deren Schulter und sieht in das Heft. »Alkoholverbot? Die wissen aber schon, wie das in Manhattan läuft, oder?«
»Punkt eins wird dir gefallen«, erwähne ich grinsend.
Abbie blättert auf die erste Seite. »Das Verbreiten von privatem Bildmaterial, das einzelne Bestandteile des Campus oder seiner Bewohner zeigt, ist in jeglicher Form untersagt. In Ausnahmefällen bedarf es einer außerordentlichen Genehmigung seitens des Colleges. Dies schließt Social-Media-Dienste sowie persönliche Blogs mit ein«, liest Abbie laut.
»Das meinen die doch nicht ernst. Was ist das hier, Fort Knox?« Fluchend verschwindet Dion in die Küche.
»Ein wiederholter Verstoß hat den Ausschluss vom College zur Folge«, fährt Abbie fort.
»Okay, Ladys, wir sollten die schleunigst vernichten, bevor jemand erfährt, dass ich in meiner Prada-Tasche Alkohol geschmuggelt habe.« Verschwörerisch hält Dion zwei Flaschen Champagner in die Höhe, die sie sicher aus der Hausbar ihrer Eltern geklaut hat. Sofort schnappe ich mir eine und lasse den Korken knallen. Die Flüssigkeit sprudelt heraus und verteilt sich auf den Marmorfliesen. Abbie eilt davon und kehrt im nächsten Moment mit Gläsern zurück.
»Auf die Freiheit«, spotte ich und stoße mit meinen Freundinnen an. Immerhin sitze ich hier nicht alleine fest. Denn mich beschleicht der Verdacht, das College könnte nicht so aufregend werden, wie wir drei gehofft haben.
2.
CAMERON
ZWEI WOCHEN SPÄTER IN WATERBURY, CONNECTICUT
Was zur Hölle mache ich hier?
Unentschlossen starre ich auf die zwanzig Stufen der massiven Steintreppe vor mir, während rechts und links Menschen an mir vorbei ins Gebäude strömen. Mein Blick gleitet an der makellosen Backsteinfassade nach oben und bleibt an den goldenen Buchstaben hängen.
»Waterbury College. Connecticut. Since 1875«, lese ich ab. »Willkommen bei der zukünftigen Elite und den Herrschern unserer Gesellschaft«, spotte ich leise. Sich hierauf einzulassen, ist Wahnsinn. Ich sollte umdrehen, in den Wagen steigen und mich verpissen. Stattdessen setze ich seufzend einen Fuß vor den anderen und erklimme die wenigen Stufen, die mich von meinem ungewissen Abenteuer trennen.
Sobald ich durch die mit Ornamenten verzierte Eingangstür trete, halte ich in der Bewegung inne und scanne die Umgebung. Die Marmorfliesen zu meinen Füßen sind so dermaßen auf Hochglanz poliert, dass ich mich schemenhaft darin spiegele. Wenige Schritte von mir entfernt führt eine dunkle, prunkvolle Holztreppe nach oben. An den Wänden reihen sich in Goldrahmen eingefassten Gemälde. Dezent ist hier augenscheinlich nicht angesagt. Protzig trifft es besser, denn mein Blick erfasst in diesem Augenblick den Kristallkronleuchter, der an der kuppelförmigen Decke angebracht ist.
»Wow«, entfährt es mir geschockt. Ich hatte eine vage Ahnung, was mich erwarten würde, aber dieser eingestaubte Chic der vergangenen Jahrhunderte erschlägt mich beinahe.
Während ich fasziniert beobachte, wie sich das Sonnenlicht, das durch die Glaskuppel fällt, im Kronleuchter verfängt und als bunte Reflexion einen Regenbogen in der riesigen Eingangshalle erzeugt, werde ich angerempelt. Der inzwischen lauwarme Kaffee in meiner Hand entwickelt ein Eigenleben und breitet sich eine Nanosekunde später auf meinem cremefarbenen Pullover aus. Fuck! Das geht ja super los. Kurz habe ich ein Déjà-vu und finde mich auf dem Hosenboden sitzend zwischen literweise Champagner wieder. Wenn das eine Art Running Gag werden soll, lache ich später.
»Shit!«, fluche ich ungehalten, als ich an mir herunterschaue und das ganze Ausmaß erblicke.
Ein nervös klingendes »Sorry« rechts von mir erregt meine Aufmerksamkeit. Mein Kopf schießt herum und fixiert die Brünette mit Kurzhaarschnitt, die hektisch in ihrer Handtasche kramt. Als sie gefunden hat, wonach sie sucht, sieht sie mich entschuldigend an. »Hier. Tut mir leid. Ich habe dich nicht gesehen.« Sie reicht mir ein Taschentuch.
»Schon okay, halb so wild.« Grob entferne ich die Sauerei.
»Bist du verrückt? Das ist Cashmere, da kannst du doch nicht rubbeln, als wäre es Baumwolle.« Sie hat die Worte noch nicht vollständig ausgesprochen, da hat sie mir den Zellstoff bereits aus der Hand gerissen und tupft damit vorsichtig auf meiner Brust herum. Fassungslos starre ich sie an. Berührungsängste hat die Brünette jedenfalls nicht.
»Ich bekomme das schon hin. Danke.« Um meine Aussage zu betonen, bringe ich etwas Abstand zwischen uns.
»Oh«, erwidert sie, und ihre Wangen färben sich unter dem Rouge knallrot, als ihr bewusst wird, dass sie mich begrapscht hat. »Sorry noch mal.« Ihr Blick huscht in Richtung Treppe. Meiner folgt ihrem. »Aspen, Dion?«, ruft sie so laut, dass es mir in den Ohren klingelt. Dann eilt sie ohne ein weiteres Wort davon.
Eine Blondine und eine Schwarzhaarige mit grünen Strähnen schauen in meine Richtung. Ich tippe, dass das ihre Freundinnen sind, mit deren Hilfe sie ohne großes Drama aus dieser unangenehmen Situation flüchtet. Und ich habe nichts dagegen, dass sie sich aus dem Staub macht. Sozialkontakte knüpfen ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was ich mir für die nächsten Monate vorgenommen habe.
Die Blondine, deren Haarspitzen auf ihren Schultern enden, mustert mich einen Augenblick zu intensiv. Ihre rot geschminkten Lippen verziehen sich zu einem Grinsen, von dem ich nicht weiß, wie ich es deuten soll. Ist sie amüsiert, weil ich mit einem Kaffeefleck auf meinem überteuerten Pulli in der Lobby stehe oder weil ich dabei wie ein Volltrottel aussehe?
Ich unterdrücke den Drang, mir durch die Haare zu fahren, um mir damit etwas von meiner gewohnten Selbstsicherheit zurückzuholen. An den neuen Look werde ich mich wohl nicht so schnell gewöhnen. Jaspers Stylingteam hat ganze Arbeit geleistet. Es ist absurd. Ich bin eine perfekte Kopie von ihm in Chinohose, gebügeltem Hemd unter einem Cashmere-Pullover, mit geglätteten Haaren und, dank Kontaktlinsen, braunäugig und brillenlos.
Sobald die Brünette sich zu ihren Freundinnen durchgekämpft hat, wendet die Blondine den Blick von mir ab. Plötzlich habe ich das Gefühl, nicht zu wissen, wohin mit mir. Was mich daran erinnert, dass ich wirklich keine Ahnung habe, wo genau mein Kurs stattfindet.
Ich bin erst gestern Abend in Waterbury angekommen, um mich in dieses waghalsige Unterfangen zu stürzen, wodurch ich die Einführungsveranstaltungen und die ersten beiden Kurswochen verpasst habe. Ich hatte noch nicht einmal die Zeit, mir den Campus anzusehen. Heute Morgen bin ich einfach dem Strom Studierender gefolgt und habe lediglich einen kurzen Zwischenstopp im campuseigenen Coffeeshop eingelegt.
Die Vorbereitungen für diese Scharade haben mehr Zeit in Anspruch genommen als ursprünglich gedacht. Jasper hatte sogar versucht, mir seinen britischen Akzent einzutrichtern. Da ich allerdings wie eine schlechte Karikatur eines Briten klinge und damit schneller auffliege, als ich bis drei zählen kann, werde ich gar nicht erst versuchen, damit durchzukommen. Stattdessen verlasse ich mich einfach auf seine Aussage, dass ihn ohnehin niemand persönlich kennt. Meine Strategie für die nächsten Monate beläuft sich also auf Klappe halten und so wenig wie möglich auffallen.
Aus meiner Hosentasche fische ich den zusammengefalteten Kursplan, um nachzusehen, wo genau man meine Anwesenheit erwartet. Seminarraum 38. Die Auswahl der zu belegenden Kurse ist mehr als überschaubar. Alle scheinen darauf ausgelegt zu sein, den Studierenden ihren Weg in die Wirtschaft oder Politik zu ebnen. Aufgepeppt wird das Ganze durch eine Handvoll künstlerischer Angebote, die allerdings eher einen Unterhaltungs- statt Bildungscharakter aufweisen, wenn man die Schwerpunkte genauer betrachtet.
Wo Jasper seine Zukunft sieht, ist schwer zu sagen. Neben den Pflichtkursen ist seine Auswahl ein bunter Mix aus allen Bereichen. Zu meinem Leidwesen hat er weder Einführung in die Architektur noch Zeitgenössische Geschichte ausgewählt. Stattdessen quält er mich fortan mit Modernem Schauspiel und Sport. Allein dafür müsste ich Schmerzensgeld verlangen.
»Das Genie von morgen«, lese ich von dem Papier ab. Wer zum Teufel benennt so einen Kurs?
Planlos sehe ich mich in dem Gebäude um, das nicht im Geringsten an ein College erinnert, sondern eher einem alten Herrenhaus gleicht. Einzig die vier Gänge, die strahlenförmig von der Eingangshalle abgehen, lassen erahnen, wie riesig das Haupthaus tatsächlich ist und dass der wohnliche Charme nur der Tarnung dient. Im Grunde entspricht Waterbury nicht dem, was ich erwartet habe. Ich meine, jemand hat eine riesige Mauer um das Gelände gezogen, als wäre hier ein geheimer Stützpunkt der CIA, der fernab jeglicher Zivilisation liegt. Wir befinden uns so weit vom Stadtzentrum entfernt, dass ich schon befürchtet habe, das Navigationssystem des Mustangs, den mir Jasper zur Verfügung gestellt hat, wolle mich verarschen.
Eine Infotafel zur Raumbelegung wäre hilfreich, existiert allerdings nicht. Also spreche ich eine vorbeigehende Gruppe an. »Hey, könnt ihr mir helfen? Ich habe keine Ahnung, wo Das Genie von morgen stattfindet.«
»Ah, Professor Henson, ein wirklich schräger Kauz«, bestätigt einer der Typen meine Vermutung, dass der Kerl nicht alle Tassen im Schrank haben kann.
Ein Glockenschlag, gefolgt von einem weiteren, scheppert durch die Eingangshalle. Erschrocken sehe ich mich um, als plötzlich mächtig Bewegung in den trägen Haufen Studierender kommt, der zuvor durch die Gänge geschlichen ist.
»Der Raum liegt in der zweiten Etage auf der rechten Seite. Kannst du nicht verfehlen. Es hängt ein Bild von Einstein an der Tür«, meldet sich mein Gegenüber erneut zu Wort.
Na, ganz großartig. Kann es noch alberner werden?
»Kommst du klar?«, fragt der Typ und zieht dabei eine seiner blonden Augenbrauen hoch. Seine Freunde haben sich bereits verdrückt, um nicht zu spät zu ihren Kursen zu kommen.
»Ähm … ja. Danke.« Bevor ich mich in Bewegung setze, schäle ich mich aus dem Pullover und verstaue ihn in meiner Umhängetasche, auf der ein Gucci-Logo prangt. Von der Kohle, die Jasper dafür ausgegeben hat, könnte meine Familie vermutlich einen Monat lang den Kühlschrank füllen. Schon verrückt, wenn Geld keine Rolle spielt. Das Hemd mit floralem Muster, das nun in seiner vollen Pracht zum Vorschein kommt, wäre der Brüller auf jeder Kostümveranstaltung. Ich wünschte, Jasper hätte einen weniger ausgefallen Kleidungsstil und ich hätte ihm nicht blind vertraut, als er mit den bereits gepackten Koffern vor meiner Tür gestanden hat. Welcher zwanzigjährige Kerl zieht sich so an, ohne sich dabei dämlich vorzukommen?
Als erneut ein Glockenschlag ertönt, der den Klang einer letzten Warnung besitzt, haste ich die Treppe hinauf und orientiere mich nach rechts. In dem Moment, als ich die Tür aufreiße, weiß ich, warum daran ein Bild von Einstein klebt. Professor Henson ist mindestens so eine perfekte Kopie des Genies, wie ich eine von Jasper bin.
»Oh, ein Nachzügler in unserer illustren Gesellschaft«, sagt er, als er mich regungslos im Türrahmen entdeckt. Die weißen Haare stehen ihm so wild vom Kopf ab, als hätte er wenige Sekunden zuvor in eine Steckdose gefasst. »Sie haben sich doch nicht etwa im Kurs geirrt, oder?«, hakt er nach, weil ich ihn einfach nur anstarre.
Wo, verflucht noch mal, bin ich hier gelandet?
Als ein besorgter Ausdruck auf seinem faltigen Gesicht erscheint, räuspere ich mich. »Nein, der Einstein an der Tür hat seinen Dienst erstklassig erfüllt«, antworte ich und haue mir in einer imaginären Geste selbst gegen die Stirn. Du Trottel!
Ein Raunen geht durch den Raum und erweckt meine Aufmerksamkeit. Mein Blick schweift durch die Reihen und bleibt an roten Lippen hängen, die sich zu einem unauffälligen Schmunzeln verzogen haben.
»Ein kleiner Scherz des Abschlussjahrgangs. Und Sie, mein junger Freund, sind?«
Mein Kopf schnellt zurück zu Einstein … äh, Professor Henson. Das war’s dann wohl mit unter dem Radar bleiben. Erneut schaue ich durch den Raum und erfasse eine Menge fragender Gesichter. Ja, wer ist der Typ, der sich hier gerade zum Affen macht?
»Jasper Maxwell Anderson«, antworte ich hölzern.
»So, so, Mr Anderson, dann suchen Sie sich doch mal einen freien Platz, damit ich auch aus Ihnen das Genie herauskitzeln kann.« Dass Einstein die Situation amüsiert, verrät der Unterton in seiner Stimme, der einem akustischen Grinsen gleicht.
Mit einem schnellen Blick scanne ich die Reihen nach einer Sitzgelegenheit ab und gerate kurz ins Stocken, als ich den leeren Stuhl neben der Blondine erspähe. In der Reihe vor ihr sitzt die Brünette und rechts von ihr entdecke ich grüne Strähnen in kohlrabenschwarzem Haar.
In dem Moment, als Blondie aufsieht und mich beim Starren ertappt, erscheint erneut dieses Lächeln, das alles und nichts bedeuten kann. Es wirkt ebenso abschreckend, wie es faszinierend ist. Vielleicht liegt das aber auch nur an dem knallroten Lippenstift in ihrem sonst eher dezent geschminkten Gesicht. Der Farbton sticht so sehr ins Auge, dass er als Warnhinweis durchgeht. Und er zeigt Wirkung, denn ich reiße meinen Blick von ihr los und schlage zielstrebig eine andere Richtung ein. Rein optisch entspricht sie genau meinem Typ, und das schreit regelrecht nach Komplikationen. Keinesfalls darf ich mein Ziel aus den Augen verlieren. Wir brauchen das Geld. Ich bin es Granny El, Kaden und Cassie schuldig, dass sie meinetwegen nicht auch noch ihr Zuhause verlieren. Wir alle haben bereits zu viel verloren.
Ein Kerl mit blassrotem Haar hebt die Hand, bevor er auf den freien Platz neben sich deutet. Ganz klar die bessere Wahl und absolut ungefährlich.
»Hey, ich bin William, aber du kannst mich Will nennen.«
»Jasper«, erwidere ich knapp und richte meinen Blick nach vorn. Professor Henson hat inzwischen seinen Unterricht fortgesetzt und teilt gerade einen Stapel Bücher aus.
Was zum Teufel hat mich geritten, mich auf so einen Mist einzulassen? Weder verfüge ich über schauspielerisches Talent noch bin ich sonderlich gut darin, das Blaue vom Himmel zu lügen. Niemand ist für diese Doublenummer ungeeigneter als ich. Dennoch sind fünfzigtausend Dollar ein verdammt großer Anreiz, es wenigstens zu versuchen.
3.
ASPEN
Mit ausgestrecktem Arm tippe ich Dion an, die in der Bankreihe vor mir sitzt. »Hey, du Genie«, flüstere ich gerade laut genug, dass sie mich hören kann. Sie lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück und blickt neugierig über ihre Schulter. Abbie dreht sich ebenfalls zu mir um. »Weißt du, zu welchen Andersons er gehört?«, will ich von ihr wissen. Wenn jemand die High-Society-Kids kennt, dann meine beste Freundin. Während ich eher beiläufig den Klatsch und Tratsch mitbekomme, verteilt ihn Dion souverän an alle, die ihn hören wollen.
Zu meiner Verwunderung zuckt sie ahnungslos mit den Schultern. »Sein Dad ist der Immobilienhai, der die sozialen Brennpunkte plattmacht, um dort Luxusapartments zu errichten«, antwortet Abbie, die offenbar genau weiß, wer der Kerl im Blümchenhemd ist. Und tatsächlich klingelt da etwas bei mir. Anderson lässt in den Randbezirken New Yorks keinen Stein auf dem anderen. Im Gegensatz zu meinem Dad, der unzählige gemeinnützige Projekte in diesen Gegenden fördert. Der gute Samariter mit perfekter Familie. Wir sind jedoch alles andere als das. Das hat mein Dad vor wenigen Monaten eindrucksvoll bewiesen.
Seit Jahren geraten er und Anderson aneinander, weil sie in vielen Dingen unterschiedliche Ansichten vertreten. Aber um ehrlich zu sein, habe ich mich bisher weder mit den Streitpunkten noch mit der Konfliktpartei auseinandergesetzt. Diese Dinge waren nie relevant für mich und haben mich auch nicht sonderlich interessiert. Bis vor drei Minuten wusste ich nicht einmal, dass die Andersons einen Sohn haben, und das, obwohl seine Familie regelmäßig Thema im Hause Hill ist. Vielmehr war ich damit beschäftigt, erwachsen zu werden und mich in eine Form pressen zu lassen. Es hatte einen Plan für mich gegeben, und ich hatte bisher nie angezweifelt, dass die Richtung, in die ich geschubst werde, die richtige ist. Das war allerdings, bevor das Vertrauen in meinen Dad in seinen Grundmauern erschüttert wurde. Jetzt hänge ich in der Luft, was meine Zukunft betrifft.
Ich schlucke die aufkeimende Wut herunter und lasse meinen Blick zu unserem Neuankömmling huschen, der starr geradeaus schaut und extrem angespannt wirkt. Warum taucht er jetzt erst auf? Die Kurse haben bereits vor zwei Wochen begonnen.
»Und was wissen wir über ihn?« Mit einem unauffälligen Nicken deute ich in Richtung des Kerls, der sich als Jasper vorgestellt und damit unter allen im Raum Anwesenden ein Raunen ausgelöst hat.
»Nicht viel. Meine Mom trifft sich im Rahmen der Stiftung regelmäßig mit seiner. Sie hat mir erzählt, wie überrascht sie war, als Miss Anderson ihr kürzlich auf einer Veranstaltung in Cincinnati plötzlich ihren Sohn Jasper vorgestellt hat. Seine Eltern haben ihn in ein englisches Internat abgeschoben und sind ohne ihn in die Staaten ausgewandert. Jedenfalls ist das die Geschichte, die sie meiner Mom aufgetischt hat. Der Rest sind Gerüchte«, antwortet Abbie sachlich, als wäre sie eine Ermittlungsbeamtin. Engländer also. Interessant.
Während Dion jegliche Klatschkolumnen füllen könnte, ist Abbie eindeutig in der Abteilung für Verschwörungstheorien zu finden. Ich falle inzwischen klar in die Kategorie Glaube nur, was du selbst siehst und hörst, nicht das, was andere dir unterjubeln wollen. Aus meiner bisherigen Naivität habe ich eindeutig gelernt.
»Papperlapapp. An Gerüchten ist gewöhnlich etwas dran«, widerspricht Dion und schüttelt vehement den Kopf.
»Wirklich? Also ist auch etwas dran, dass du Hastings datest?«, schießt Abbie zurück.
Schnaubend stößt Dion die Luft aus. Ich verkneife mir ein Grinsen, weil dieses Thema eins der wenigen ist, die sie auf die Palme bringen. »Hat Hastings eine Platincard?«, spottet sie.
Nein, die hat er ganz sicher nicht. Mehr als eine Bonuskarte vom Diner seiner Eltern hat er wahrscheinlich nicht im Angebot. Sie halten ihn finanziell an der kurzen Leine und somit hat er bei Dion keine Chance. Sie liebt es, Geld auszugeben, und ihr Traummann sollte diese Leidenschaft teilen oder zumindest über die entsprechenden Mittel verfügen.
Ein Räuspern lässt uns nahezu zeitgleich die Köpfe heben.
»Meine Damen, möchten Sie uns an Ihrer Unterhaltung teilhaben lassen? Scheinbar langweile ich Sie mit der marxistischen Wirtschaftstheorie.«
»Wir haben gerade darüber diskutiert, inwieweit Kredite den Kapitalismus bereits im neunzehnten Jahrhundert beeinflusst haben«, antwortet Dion zuckersüß, als hätte sie ihm ernsthaft zugehört. Meine beste Freundin und Karl Marx wären mit Sicherheit niemals Freunde gewesen. Anders als er hat sie nämlich überhaupt kein Problem damit, dass der Reichtum ihrer Familie auf Kosten derer Mitarbeiter wächst und wächst. Hauptsache, all ihre Kreditkarten sind gedeckt. Ja, das ist sehr oberflächlich gedacht, aber kann man ihr das wirklich verübeln? Wenn man im Hause Carmichael, einem der mächtigsten Modehäuser unserer Zeit, aufgewachsen ist, bekommt man das Leid anderer eher unterschwellig mit.
Professor Henson wirkt einen Moment nachdenklich, bevor er tatsächlich auf ihre Worte eingeht. Dion und Abbie schauen wieder nach vorn und beteiligen sich an der Debatte zum Kapitalismus und dessen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.
Erneut sehe ich zu Jasper, der schelmisch in sich hineingrinst, als er mich dabei erwischt, wie ich ihn beobachte. Einen Wimpernschlag lang hält er meinem neugierigen Blick stand. Dann richtet er seine Aufmerksamkeit der lebhaften Unterhaltung, die sich um uns herum abspielt. Meine hingegen gehört für die nächsten neunzig Minuten ausschließlich ihm. Und dabei weiß ich nicht mal genau, warum. Vielleicht, weil er der Familie angehört, die meine nicht ausstehen kann? Wie mein Dad wohl reagieren würde, wenn ich ausgerechnet mit dem Anderson-Spross zu Hause auftauchen würde? Ein verlockender Gedanke.
Sobald der Kurs vorbei ist, hastet Jasper mit gesenktem Kopf aus dem Raum, als würde er verhindern wollen, dass ihn jemand in ein Gespräch verwickelt oder ihn auch nur ansieht. Seltsam.
»Aspen?«
Nachdenklich sehe ich zur offenen Tür, durch die er gerade verschwunden ist. »Findet ihr es nicht auch eigenartig, dass er gar keinen britischen Akzent hat, obwohl er in England aufgewachsen ist?«
Abbie grinst mich amüsiert an. »Ich kenne diesen Blick.«
Fragend hebe ich eine Augenbraue. »Wovon redest du?«
»Sie meint damit, dass du Lunte gerochen hast und der arme Kerl dir zum Opfer fallen wird«, antwortet Dion. Damit könnte sie recht haben. Der Typ wirkt nicht gerade very British, und das weckt tatsächlich meine Neugier.
* * *
»Ist das Jasper, den du da anstarrst?«
Erschrocken reiße ich mich von dem Foto los, das einen starr in die Kamera guckenden Jasper zeigt. Rechts und links neben ihm stehen seine Eltern. Während sein Dad pure Autorität ausstrahlt, lächelt seine Mom freundlich. Über die Schulter schaue ich zu Abbie.
»Ich starre ihn nicht an, ich betreibe Recherche«, protestiere ich. Nachdem ich den kompletten Vormittag damit verbracht hatte, mir über ihn den Kopf zu zerbrechen, habe ich am Nachmittag beschlossen, mehr über ihn herauszufinden, damit er meine Gedanken nicht länger beherrscht. Allerdings ist das Fragezeichen eher größer als kleiner geworden. Weil über ihn so gut wie nichts zu finden ist. Entweder existiert der Typ nicht oder man hat ihn größtenteils ausgelöscht. Das alles ist mehr als seltsam. Es gibt keine aktuellen Fotos oder irgendwas, das auf seinen Verbleib hinweist.
»Und das machst du, weil?«, hakt sie nach. Seufzend lege ich das Tablet auf den Esstisch. Abbie rückt sich einen Stuhl zurecht, bevor sie Platz nimmt und mich neugierig mustert.
»Der Kerl hat nicht einmal einen Social-Media-Account«, merke ich an und weiche damit ihrer Frage aus. Denn auf das Warum habe ich keine allumfassende Antwort.
Es war die Neugier, der ich gefolgt bin, und es ist etwas anderes, das mich nun nicht mehr loslässt. Sich wie ein Song in Endlosschleife in meinem Kopf abspielt. Wer ist der Kerl? Eigentlich hatte ich das exakte Gegenteil zum Ziel. Statt mein Gedankenkarussell zu besänftigen, habe ich es weiter genährt, indem ich Jaspers Namen in die Suchmaschine eingegeben habe.
Nahezu mechanisch habe ich mich durch diverse Artikel über seine Familie gearbeitet. Jede Information in mich aufgesaugt. Während sein Dad von einem Skandal in den nächsten schlittert, wird Jasper in Verbindung mit den Andersons gar nicht erwähnt. Im Grunde bin ich genauso schlau wie vorher. Und das ist frustrierend. Es ist, als hätte man ihn irgendwo versteckt und er wäre unerwartet aus dem Dickicht gekrochen.
»Es soll Menschen geben, die können mit Social Media nicht viel anfangen«, reißt Abbie mich aus meinen Gedanken.
»Aber doch nicht in unserem Alter. Jeder hat einen Account«, antworte ich fast schon empört, als wäre es ein Verbrechen, die Welt nicht an seinem Leben teilhaben zu lassen. Was es natürlich nicht ist, aber ich hätte gerne gewusst, mit wem ich es zu tun habe, um ein paar Antworten auf meine Fragen zu bekommen.
»Vielleicht hat er ja einen unter anderem Namen?«, wirft Abbie berechtigterweise ein. Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Allerdings kenne ich in unseren Kreisen niemanden, der seinen Namen nicht als Aushängeschild nutzt. Es gehört quasi zum guten Ton, sich öffentlich zu präsentieren und sich untereinander zu vernetzen. Der Name ist deine Marke.
Gerade in diesem Augenblick verspüre ich das dringende Bedürfnis, meinen eigenen Accountnamen zu ändern und das Hill-Etikett abzulegen. Vielleicht ist es bei Jasper ganz ähnlich und er hat nicht viel mit seiner Familie am Hut? Das wäre durchaus denkbar und würde seine High-Society-Abstinenz erklären. Mein Instinkt sagt allerding, da steckt mehr dahinter.
»Mmh«, brumme ich genervt, weil mich dieses Ergebnis nicht zufrieden stimmt. Aber was habe ich erwartet? Dass ich seinen Namen eingebe, und schwupp, eröffnen sich mir seine Geheimnisse? Ja. Im Grunde ist es genau das, was ich mir erhofft habe. Das Internet vergisst schließlich nicht. Pustekuchen, denn auf Jasper Anderson scheint das nicht zuzutreffen.
Weil ich nicht still sitzen kann, während ich nachdenke, beginne ich, in der Küche auf und ab zu gehen.
»Warte, Jasper gefällt dir«, quiekt Abbie plötzlich und erschreckt mich damit beinahe zu Tode. Meine Freundin kreischt nie. Sie ist nicht laut oder impulsiv. Still und bedacht entspricht ihrem Wesen. Waterbury kitzelt augenscheinlich eine andere Abbie aus ihr heraus.
»Nein, ich bin nur neugierig«, widerspreche ich.
»So neugierig, dass du ihn stalkst?« Sie kichert leise. Okay, wurde die echte Abbie von Aliens entführt?
»Himmel. Ich habe seinen Namen bei Google eingegeben und nicht die CIA auf ihn angesetzt«, verteidige ich mich.
»Auf wen hast du die CIA angesetzt?«, ertönt genau in diesem Augenblick eine Stimme aus dem Flur. Dions unschlagbares Talent, immer dann auf der Bildfläche aufzutauchen, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann. Ihre Absätze klackern über den Fliesenboden und kündigen ihren Auftritt an. Und das ist es im wahrsten Sinne des Wortes. Sie trägt eine rosafarbene Jacke, die aus unzähligen Plüschfäden besteht, und darunter ein bauchfreies, paillettenbesetztes Top. Eine hautenge weiße Hose, die golden glänzt, wenn Dion sich bewegt und sich dadurch der Lichteinfall auf das Kleidungsstück verändert.
Blinzelnd starre ich sie an. Abbie gibt ein entsetztes »Wow« von sich. Die Handtasche baumelt in Dions Armbeuge, während sie auf ihrem Smartphone herumtippt, dann blickt sie auf. Ohne es böse zu meinen, aber sie sieht aus, als hätte man sie mit einem Flamingo gekreuzt.
»Alles okay? Ihr guckt, als hättet ihr den Ausverkauf bei Dior verpasst.«
Blind taste ich nach dem Kühlschrank rechts von mir, weil ich mich von ihrem Anblick nicht lösen kann. Als ich ins Leere fasse, wende ich mich doch dem Einbauschrank zu, um ihn zu öffnen. Nach einem kurzen Blick greife ich nach der Milchpackung. Ich nehme einen Schluck und mache dicke Backen. Angewidert beuge ich mich über das Spülbecken und spucke, was auch immer das in meinem Mund ist, aus.
»Geschieht dir recht. Jemand hat aus gutem Grund Gläser und Tassen erfunden«, sagt Dion ernst.
»Das Zeug ist widerlich, was ist da drin?«
»Essig.«
»Du hast Essig in die Milch gekippt? Warum?«, frage ich ungläubig. Wie kommt sie denn auf so einen Quatsch? Ist das einer dieser neuen Beauty-Tipps? Ich kann mir kaum vorstellen, dass das jemand freiwillig runterschluckt.
»Damit du nicht mehr aus der Packung trinkst.«
»Wusstest du, dass unsere Freundin so bösartig ist?«, wende ich mich an Abbie, die hinter vorgehaltener Hand grinst. »Das ist also eine Verschwörung.« Seit wir gemeinsam in diesen Bungalow gezogen sind, haben sich die beiden bereits mehrfach über einige meiner Angewohnheiten beschwert, und ich habe Besserung gelobt. Vergebens. Es gibt Dinge, die legt man nur schwer ab, wenn man sie sich über Jahre hinweg angeeignet hat. Das ist jetzt der Versuch, es mir mit der Brechstange auszutreiben.
»Ja, und solltest du weiterhin deine Schuhe im Flur stehen lassen, knote ich die Schnürsenkel zusammen.«
»Du klingst wie meine Mom«, scherze ich.
»So fühle ich mich auch. Warst du schon immer so chaotisch und es ist mir bisher nur nicht aufgefallen?«
»Ich befürchte, man hat bisher versucht, es mithilfe von Hausangestellten zu vertuschen«, gestehe ich grinsend.
Dion setzt sich kopfschüttelnd an den Esstisch. »Du bist ein hoffnungsloser Fall. Auf wen hast du denn jetzt die CIA angesetzt?«, wiederholt sie ihre Frage.
»Auf niemanden«, antworte ich. Erneut öffne ich den Kühlschrank, greife nach der Colaflasche und schraube sie auf. Dion wirft mir einen ermahnenden Blick zu, als ich keine Anstalten mache, mir ein Glas zu holen.
»Was? Ihr beide trinkt das süße Zeug nicht mal.« Genervt stoße ich die Luft aus, nehme mir aber dennoch ein Glas.
»Klärt mich jemand auf oder muss ich raten?«, hakt sie nach. Mein Blick huscht zu Abbie. Sie wird mich nicht verraten, aber Dion wird so lange bohren, bis sie alle Antworten hat.
»Ich habe Jasper gegoogelt und Abbie hat mich dabei erwischt, das ist alles.«
»Ich wusste es, du stehst auf schräge Typen.«
»Tue ich überhaupt nicht!«, protestiere ich. Mein Interesse an Jasper rührt ganz gewiss nicht daher, dass ich ihn attraktiv finde. Mein innerer Sherlock wittert, dass etwas mit dem Kerl nicht stimmt. Nicht mehr und nicht weniger.
»Doch. Du warst die Einzige in der Highschool, die auf Grayson stand. Seine abstehenden Ohren waren eine Zumutung.« Dion war aus verschiedenen Gründen kein Fan von Grayson, und das lag nicht an seinen Ohren.
»Ich fand sie süß«, erwidere ich grinsend. Zugegeben, Grayson entsprach nicht dem gängigen Schönheitsideal, aber er war höflich, zuvorkommend und hatte absolut kein Problem damit, wenn ich direkt aus seiner Flasche trank.
»Hast du deswegen mit ihm Schluss gemacht, nachdem er sich die Lauscher hat anlegen lassen?«
Nein, sondern weil er plötzlich ein extrovertiertes Ich entwickelt hat und sich für unwiderstehlich hielt. Seine neuen Ohren waren wie ein Upgrade in die Upperclass der Attraktivität gewesen. Plötzlich erhielt er Aufmerksamkeit von allen Seiten. Die der weiblichen genoss er ein wenig zu sehr. Er hat sich nicht einmal Mühe gegeben zu verbergen, dass er mich betrogen hat.
»Ja«, antworte ich.
»Wie hieß der Typ noch mal, den du in der Zehnten gedatet hast? Der mit dem schwarzen Eyeliner und den lackierten Fingernägeln?«, lässt Dion nicht locker, mir meinen sonderbaren Männergeschmack unter die Nase zu reiben.
»Smoke. Jedenfalls wollte er so genannt werden.« Na klasse, jetzt fällt mir auch noch die loyale Abbie in den Rücken.
Dion prustet los. Das nennt sich also beste Freundinnen.
»Oder der, dessen Mom bei eurem ersten Date zwei Tische weiter saß. Und erinnert ihr euch noch an Paul, den leidenschaftlichen Bügelfaltenliebhaber?«
»Okay, hab’s verstanden.« Genervt verdrehe ich die Augen, kann mir ein Grinsen aber nicht verkneifen, als mir dämmert, dass Dion recht hat. Ich habe eine Schwäche für schräge Typen. Jasper ist allerdings eher mysteriös als schräg. Es muss doch irgendwo etwas über den Kerl zu finden sein. Diese Ahnungslosigkeit wurmt mich wirklich. Wenn ich meinen Namen bei Google eingebe, füllt er ganze Seiten. Bei Dion spuckt die Suchmaschine doppelt so viel aus. Es kann doch nicht nichts über ihn geben. Was ist er, ein Phantom?
»Ähnlich verhält es sich übrigens mit Weihnachtsbäumen. Du schaffst es jedes Jahr, das hässlichste Exemplar aufzutreiben. Denk nicht mal daran, im Dezember hier so ein Ungetüm aufzustellen«, nimmt mir Dion den Wind aus den Segeln, bevor ich überhaupt darüber nachdenken kann, ob ich die Tradition in Waterbury fortsetzen will.
Ich liebe diese Familientradition. In einer Welt aufzuwachsen, in der so viel Wert auf Schönheit gelegt wird, ist es umso wichtiger, die unperfekten Dinge genauso zu lieben wie die scheinbar perfekten. Einem verkrüppelten Weihnachtsbaum ein Zuhause zu geben, scheint mir ein guter Anfang zu sein.
In diesem Jahr werden die Dinge jedoch anders laufen, weil ich nicht vorhabe, Weihnachten mit meinen Eltern zu verbringen.
»Und mit Freundinnen«, schieße ich scherzhaft zurück und zupfe an Dions Fransenjacke. »Wo kommst du eigentlich her?«
»Ich hatte gerade das schlimmste Date aller Zeiten«, erwidert sie und schält sich aus dem rosa Fummel.
Gemeinsam mit Abbie breche ich in Gelächter aus. Wann hatte sie das je nicht?
4.
ASPEN
Am Freitag sitzen wir mittags in der Mensa und unterhalten uns über das Projekt des Abschlussjahrgangs, als ich Jasper in der hintersten Ecke allein an einem der Tische entdecke.
»Wann genau ist die Infoveranstaltung für dieses Datingding, nächsten Mittwoch oder Donnerstag?«, fragt Dion. Abbie antwortet ihr, aber ich höre den beiden bereits nicht mehr zu, weil mein Fokus auf dem Kerl liegt, der wirkt, als würde er möglichst unbemerkt bleiben wollen.
»Mach es noch offensichtlicher und ich hänge dir ein Schild mit ›interessiert‹ um den Hals«, sagt Dion völlig trocken und beißt unbeeindruckt in ihr Tofu-Sandwich. Abbie kichert leise und versucht es zu verstecken, indem sie sich einen Löffel voll Porridge in den Mund schiebt. Prompt verschluckt sie sich dabei.
»Geschieht dir recht.« Damit sie weiß, dass ich die Worte nicht ernst meine, strecke ich ihr die Zunge raus.
Mein Blick war aus keinem bestimmten Grund durch die Mensa gewandert und schließlich an Jaspers Rücken hängen geblieben. Das penetrante Batikmuster seines Hemdes kann man nur schwer übersehen. Da Dion grundsätzlich nichts entgeht, hat sie natürlich bemerkt, wie ich ihn ins Visier genommen habe. Dabei hat sie nicht einmal von ihrem Essen aufgesehen. Diese Gabe zählt zu ihren nervigsten Eigenschaften. Es zu leugnen, würde nur in einer Grundsatzdiskussion darüber enden, dass sie mich besser kennt als ich mich selbst. Und damit hat sie vollkommen recht. Sobald ich mich, in meinem Gedankenstrudel gefangen, in einer Sackgasse verrenne, schubst Dion mich in die richtige Richtung, bevor ich völlig den Überblick verliere.
»Findet ihr nicht, dass er seltsam ist?«, frage ich. Ganz automatisch heftet sich mein Blick wieder auf Jasper.
»Dann gebt ihr das perfekte Paar ab. Du bist auch schräg«, erwidert Dion. Für diesen Kommentar kassiert sie von mir einen spielerischen Fausthieb gegen ihre Schulter. »Was? Hast du dir sein Hemd angesehen? Wer trägt so was bitte? Das trifft, um ehrlich zu sein, auch auf deine Jeans zu. Wo hast du die überhaupt her?«
»Secondhand«, antworte ich stolz. In Gedanken zähle ich von drei rückwärts. So lange dauert es, bis Dion aufsieht und sich in einer dramatischen Geste Luft zufächelt.
»Das Teil hatte vor dir schon jemand an?«, fragt sie fassungslos, und ich lache laut, weil ich meine beste Freundin noch nie so entsetzt erlebt habe.
Bevor Dion ohnmächtig wird, kläre ich sie auf. »Die ist von meiner Mom. Ich habe auf dem Dachboden einen Karton mit aussortierter Kleidung gefunden. Sie meinte, die Jeans hatte sie ungefähr in meinem Alter an, bevor sie meinen Dad kennengelernt hat.« Ich weiß gar nicht, warum ich das Teil überhaupt eingepackt habe. Aber aus irgendeinem Grund mag ich es. Vielleicht, weil ich mich frage, was für ein Mensch meine Mom gewesen ist, bevor sie an meinen Dad geraten ist.
»Schlechter Geschmack ist also wirklich vererbbar«, seufzt die Mode-Expertin und schüttelt verständnislos den Kopf.
»Ich mag deine Jeans, und auch das Hemd von Jasper«, pflichtet Abbie mir bei. Während Dion ungebremst mit Worten um sich wirft, ist sie stets freundlich. Manchmal sogar ein bisschen zu sehr.
»Danke, das kann mein Ego nach Dions vernichtendem Urteil dringend gebrauchen.« Ganz automatisch folgt mein Blick wieder Jasper, der gerade quer durch die Mensa auf den Ausgang zuläuft. Wann immer ich ihn in den vergangenen Tagen auf dem Campus gesehen habe, war er mutterseelenallein. Allgemein macht es nicht den Anschein, als wäre er sonderlich daran interessiert, Kontakte zu knüpfen. Für einen Augenblick sieht er in meine Richtung, als er an unserem Tisch vorbeigeht.
»Was glaubt ihr, warum er nicht pünktlich zum Kursbeginn in Waterbury aufgetaucht ist?«, frage ich, sobald er aus meinem Sichtfeld verschwunden ist. Wahrscheinlich gibt es dafür eine plausible Erklärung, aber dennoch beschäftigt mich die Frage immer wieder.
»Jetlag«, wirft Dion als mögliche Begründung ein.
»Jetlag, ernsthaft?« Ungläubig schüttle ich den Kopf. Auf so was kann auch nur sie kommen.
»Es soll Menschen geben, die massive Probleme mit Zeitverschiebungen haben«, fügt sie als Argument hinzu.
»Vielleicht war er im Urlaub oder krank?« Abbies Theorie ist einleuchtender. Aber irgendwas sagt mir, da steckt etwas anderes dahinter. Flüchtig schaue ich auf die Uhr.
»Verdammt! Ich komme zu spät zum Kurs.« Hastig stelle ich mein angefangenes Müsli auf das Tablett und springe vom Stuhl auf. Gerade als ich das Geschirr abräumen will, zieht Abbie das Serviertablett zu sich heran.
»Ich übernehme das für dich«, sagt sie.
»Merci. Du bist ein Schatz.« Die Geschirrrückgabe befindet sich nämlich am anderen Ende des Speisesaals. Und ich bin wirklich spät dran.
Wenn man unter Zeitdruck steht, sind die endlosen und verworrenen Gänge des Waterbury Colleges nicht gerade hilfreich, um schnell ans Ziel zu kommen. Auf aussagekräftige Wegweiser hat man verzichtet, und so gleicht das Konstrukt aus Fluren und Türen einem Labyrinth in alten Gemäuern. Allerdings geben die fachbezogenen Gemälde an den Wänden Hinweise, in welchem Flügel man sich gerade befindet.
Mit schnellen Schritten passiere ich den Teil, in dem die naturwissenschaftlichen Kurse stattfinden, und biege nach links in den Künstlertrakt ab. Erleichtert atme ich auf, als ich eine kleine Ansammlung von Menschen vor dem Raum entdecke, der auch mein Ziel ist. Professorin Simmons verspätet sich glücklicherweise, was mir etwas Zeit verschafft, um durchzuatmen und in Ruhe anzukommen.
Mein Blick schweift über die überschaubare Menge und bleibt geradewegs an einem gemusterten Hemd hängen. Etwas abseits von der Gruppe lehnt Jasper an der Wand und wirkt nicht sonderlich begeistert. Als hätte er mich bemerkt, schaut er zu mir herüber. Umgehend legt sich seine Stirn in kleine Falten, als er mich ebenso neugierig mustert wie ich ihn. Ein paar Sekunden vergehen, in denen wir einander ansehen. Dann senkt er den Kopf und beendet damit den Augenkontakt. Okay, wer bist du, Jasper Anderson?
Bevor ich es realisiere, habe ich die Distanz zwischen uns überbrückt und stehe neben ihm. Ein kaum hörbares Seufzen entweicht ihm, das sich nur schwer deuten lässt. Müsste ich raten, würde ich darauf tippen, er ist genervt.
»Hey.« Vorsichtig stupse ich mit meinem Ellenbogen gegen seinen. Sein Kopf schnellt herum und ich versuche mich an einem freundlichen Lächeln. Dion behauptet, egal wie viel Mühe ich mir gebe, es lässt sich nie sagen, ob die Verrenkungen meiner Lippen ein Lächeln oder eine Herausforderung an mein Gegenüber sind. Und so, wie seine Augenbraue nach oben wandert, ist er sich ebenfalls nicht sicher. »Jasper, richtig?«, versuche ich eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
Ganz leicht teilen sich seine Lippen. Gerade als ich glaube, eine Antwort zu bekommen, stößt er sich von der Wand ab und lässt mich stehen. Wow, so schnell hat mich noch nie jemand abblitzen lassen. Und das, obwohl ich nicht einmal versucht habe, mit ihm zu flirten, sondern lediglich vorhatte, ein paar Informationen aus ihm herauszukitzeln.
»Los, los, meine Schäfchen, Shakespeare wartet«, ertönt Professorin Simmons’ klare Stimme. Sie steht an der offenen Tür und scheucht die restlichen Studierenden zusammen.
Sobald ich den spärlich beleuchteten Theaterraum betrete, schaue ich mich nach dem Kerl um, der mir auf so uncharmante Art und Weise eine Abfuhr erteilt hat. Auch wenn ich es ungern zugebe, aber das kratzt tatsächlich etwas an meinem Ego. Ich habe ihn lediglich nach seinem Namen gefragt und nicht um ein Date gebeten.
Im Gegensatz zu den anderen Seminarräumen gibt es hier keine Sitzreihen und Tische, sondern bunte Sitzkissen, die scheinbar wild auf dem Boden verteilt herumliegen. In der Mitte des Raumes auf ein Kissen gebettet, wartet eine goldene Klangschale auf ihren Einsatz. Unzählige Grünpflanzen stehen in den Ecken, und der Duft von Räucherstäbchen liegt in der Luft und vervollständigt damit das Hippie-Ensemble. Im vorderen Bereich befindet sich eine kleine Bühne mit schweren roten Samtvorhängen. Die Rollos an den Fenstern sind geschlossen, und einzig die gelblich leuchtenden Scheinwerfer, die sich an einem Gestänge oberhalb der Bühne befinden, spenden Licht.