New Avignon - Heinz Andernach - E-Book

New Avignon E-Book

Heinz Andernach

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Beschreibung

Robert, gefeuerter Experte für menschliche Geschichte, lebt in der totalitären christlichen Gesellschaft von New Avignon, einer von zwei Inseln eines ansonsten nicht besiedelbaren Planeten, fernab der Erde. Sein Planet ist auf seinen Kontinenten von Wesen bevölkert, die bei den Menschen Wahnsinn auslösen. Der Nachbarstern Helena birgt noch größere Geheimnisse. Dies sind die Randbedingungen, unter denen Robert und sein Freund Paul Abenteuer erleben, bis sie es wagen, an einer Expedition zur Erde teilzunehmen, mit der Aussicht, 65000 Jahre später, nachdem ihre Vorfahren die Erde verlassen hatten, dort einzutreffen.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

- 1 -

New Avignon, 11. 06. 1075

Es war Frühsommer, schon Urlaubszeit. Bestimmte Traditionen schienen nie gebrochen zu werden. Ich war Experte für Traditionen, Experte und Lehrer für Vorgeschichte; Lehrer, aber mundtot gemacht. Ich brauchte in den nächsten Monaten einen Job, sonst sah die Kasse lau aus. Kaum vorstellbar war, dass ein Bistum mich als Lehrer einstellen würde, aber es geschahen hier auch Wunder. Die Temperaturen waren angenehm an diesem Tag, und ich trieb mich an der Südküste rum, nahe der Stadt Athens. Es war ganz beschaulich hier, aber für die Touristikbranche war unsere Küste eine Katastrophe; es gab keine Strände. Genauer gesagt gab es kaum Strände und Strände waren schon ein wenig en vogue, auch wenn das Meer als unheimlich galt. Bestimmte französische Floskeln waren über die Zeiten bestehen geblieben. Ich hatte versucht, diese Sprache zu lernen, aber kaum eine Idee, wie sie gesprochen wurde. Dabei war Avignon eine französische Stadt gewesen, nicht ganz unbedeutend und exemplarisch, um geistige Würdenträger zu entlarven. Ich kannte mich da aus. Avignon war das Symbol für den Zerfall des Papsttums, Symbol dafür, dass Religionsführer danach trachteten, weltliche Macht zu haben, Symbol dafür, dass sich jeder zum Papst ausrufen konnte, wenn er die Macht dafür besaß. Ich hatte nie verstanden, warum es zu der Namensgebung New Avignon gekommen war, aber nun verstand ich. Ein Kuriosum war, das man hier einen Wein namens Chateneuf de Pape trinken konnte, ein Wein, der ursprünglich in der Gegend um Avignon produziert wurde, der hier - traditionsbewusst - in der Umgebung von Athens angebaut wurde, aber Avignon war überall auf dieser Insel. Inwieweit dieser Wein außer seinem Namen und dem Alkohol noch etwas Gemeinsames mit dem Original hatte, wusste ich nicht.

Diese Insel war unsere Welt. Ich saß an ihrer Südspitze und berauschte mich mit besagtem Wein. Diese Welt war der Irrsinn, ein Irrsinn, der an Dynamik zunahm. Ein Blick auf den Ozean vergewisserte mir, dass die Welt größer war als New Avignon. Die Macht der Bischöfe hörte praktisch an der Küste auf. Warum? Es gab viele Gründe! Einer war, dass das Meeresgetier ungenießbar war. Eine Konsequenz davon war, dass es keine hoch entwickelte Seefahrt gab. Wohin hätte man auch segeln sollen? Eine Zeit lang hatte man den Müll ins Meer gekippt, aber Müll schwamm mitunter. Es war nicht auszuschließen, dass es so etwas wie Fortschritt gab. Jedenfalls wurde nun der an den Küsten der Kontinente entsorgt. Keine Frage, es gab Fortschritt, die Überwachung wurde immer perfider. Der Mensch war ein soziales Wesen und soziale Wesen hatten das Bedürfnis, übereinander informiert zu sein. Die Mächtigen benötigten mehr Informationen als die Machtlosen. Irgendeiner in dieser unendlichen Klerushierarchie wusste, wo ich mich aufhielt. Vielleicht las jemand meine Gedanken. „Es lebe der technische Fortschritt“, dachte ich. Ich wusste, es wurde fieberhaft danach geforscht, Gedanken zu lesen. Etwas, für das unsere Vorfahren kein Verständnis gehabt hätten, aber dass man in die Telepathieforschung investierte, glaubten in New Avignon viele und die Forschung war geheim. Es hatte nichts damit zu tun, dass die Seele unabhängig von der Materie war, es war vielmehr der Griff nach der absoluten Macht, absolute Kontrolle über die Menschen und Kontrolle über diese Welt. Ich war fest davon überzeugt, dass letztlich nur die Erfindung des Mikrochips Kontrolle über diese Welt bieten würde. Aber soweit war es noch nicht gekommen. Die halbe Flasche hatte ich schon getrunken. Ich nahm an, dass mein Trinken schon jede Menge über mich verriet, unabhängig davon, ob ein Vikar an einer bischöflichen Forschungsstelle meine Gedanken lesen konnte oder nicht. Vielleicht konnte es ein Aborigine. Ich hatte nichts gegen diese Kleinen, diese Bringer des Wahnsinns, die unsere Welt auf das beschränkten, was sie war: New Avignon, eine Insel mit sieben Bistümern, Hort des wahren Glaubens, Welt der Neokatholiken, Hort des wahren Monotheismus, Hort einer Vielzahl von Priestern, die wussten, was für uns gut war. Sie interpretierten Gottes Anforderungen an die Menschen. Sie vermittelten Gottes Willen. Aber es gab da ein Problem: Gott existierte nicht. Aber das war ihnen egal. In seinem Namen wurde regiert, administriert, kaltgestellt, mitunter gefoltert und getötet. Die Folter war ein Erbe der Menschheit. Ich war dankbar, dass ob dieser Gedanken keine göttliche Instanz mir einen elektrischen Schlag versetzte. Wieweit die Telepathieforschung gekommen war, war ein Staatsgeheimnis und so konnte jeder, der ein bisschen bei Verstand war, mit einiger Berechtigung paranoid werden. Ich war zeit meines Lebens paranoid. Da half auch nicht, dass ich ein paar Jahre Theologie studierte, versuchte, sehr fromm zu wirken, mit der diffusen Vorstellung, eine Heimat in der klerikalen Hierarchie zu bekommen. Priester waren die Einzigen, die mehrere Frauen haben durften. Früher gab es das Zölibat, scheinbar verkennend, dass die Kirche nur eine Weltmacht war, in deren Namen Päpste, Bischöfe und Soldaten hurten. In New Avignon wurde dieses Wissen konsequent umgesetzt. Das Studium der Vorgeschichte vermittelte einem das Wissen, das es andere Götter gab als den einen neokatholischen Gott. Es gab Allah, Zeus, Athene und Venus, Shiva, Ra und ein paar Tausend andere Ungenannte. Allah war mir ein bisschen suspekt, es mochte der gleiche sein, den unsere Pfaffen anbeteten. Ich hatte mich nie in die Welt des Hinduismus, Shintoismus oder Taoismus eingearbeitet. Vielgötterei in Hochkulturen war ein interessantes Thema, das nun, wen würde das überraschen, als subversiv galt. Die Götter des Hinduismus konnten mir auf dieser Welt nicht helfen. Manchmal fragte ich mich, was an mir so verboten war. Was wollte ich denn? Ein bisschen Spaß, die Chance auf Liebe und hin und wieder einen Bissen von der Frucht der Erkenntnis. Ein Job wäre natürlich auch wichtig, denn ohne das nötige Taschengeld ließe sich das Leben hier nicht finanzieren. Ich war eine Persona non grata – wer sollte sich da in mich verlieben? Ein bisschen Spaß erlaubte ich mir dann schon, was auf Kosten meines angesammelten Taschengeldes ging, dachte an Paola und lebte in einer Zeit, in der man von einem Tag in den anderen lebte. Was sollte man auch anderes machen? Ich fragte mich, ob das Stigma der Aussätzigen an mir haftete. Vermutlich konnten die Klerikalen riechen, dass ich Ketzer war. Ich trug ein Kruzifix offen auf der Brust, aber diese Tarngebarden halfen nicht. Man konnte den Ketzer in mir riechen und telepathische Spezialeinheiten konnten mich jederzeit aufgreifen. Hätte man Begriffe für Brahma oder Shiva gehabt, wäre ich vielleicht der Vielgötterei verdächtigt worden, verkennend, dass ich ein einfacher Atheist war.

Nachdem ich die Flasche Chateneuf de Pape geleert hatte, mein Gedankenfluss hatte sich etwas beruhigt, bewegte ich mich an der schmutzigen Hafenanlage entlang in Richtung Innenstadt. Der Hafen hatte die triste Aufgabe, unerwünschten, womöglich giftigen Müll zu verladen. Man vermisste in diesem Viertel jegliche Seemannsromantik, die man von den Geschichten von früher kannte. Aber wer kannte diese Geschichten schon? Ich war ein Experte für solche Geschichten, durfte sie aber nicht mehr an den Mann bringen. Hier gab es keine Hafenkneipen mit Seemännern, die sich aus irgendwelchen Gründen besoffen, nicht die Mädchen, die ihr Leben erträglicher machten.

Athens hatte zwei kleine Häfen. Der an der Ostseite der Stadt wickelte den Fährverkehr und spärlichen Handel mit New Havanna ab. Ich wurde zeit meines Lebens verdächtigt, ein Sympathisant des dortigen Regimes zu sein, aber das war an den Haaren herbeigezogen. Das einzig gemeinsame zwischen mir und deren Machthabern war, dass wir Atheisten waren. New Havanna hatte nur zwei Vorzüge gegenüber unserer Insel. Die Frauen und das Klima. Die Frauen, und insbesondere die, die an der Küste lebten, waren schöner, freizügiger als die unseren und trugen kein Kopftuch. Mit dem nötigen Kleingeld konnte man dort einen erstklassigen Urlaub verbringen. Die Sandstrände und Buchten dort waren phantastisch, das Wetter wärmer und gewöhnlich besser als hier und wie gesagt: Die Mädchen dort konnten mir den Verstand rauben. Es war nicht nur Propaganda unserer Bischöfe, dass das Leben dort noch lausiger war als hier. Lausiger, ärmlicher und ähnlich paranoid wie hier. Gab es hier einen Untergrund, so machte man sich vermutlich etwas vor, was die Freiheiten in New Havanna anbelangte, aber die sexuellen Freizügigkeiten beschränkten sich auf die Touristen, die dafür bezahlten. New Havanna stand für mich offensichtlich in der Tradition der Insel Kuba, dessen Hauptstadt Havanna hieß. Genauso wie es damals für einen kleineren Zeitraum war, verdiente die Insel ihre Devisen mit Fremdenverkehr, Prostitution und einem vergleichsweise gut ausgebauten Gesundheitssystem und das alles nun nach mehr als 30000 Jahren, aber jedes Kind wusste, das Zeit eine relative Angelegenheit war. Das war uns Menschen seit Einstein bekannt.

Später Nachmittag. Ich hatte noch Gelegenheit in eine der Messen zu gehen, die für uns Christenmenschen Pflicht waren. Das war natürlich reine Zeitverschwendung, eine Stunde praktizierte Scheinheiligkeit, die die Theokratie brauchte, zu überleben. Gebete zu Gott und seinem Sohn Jesus, der für uns am Kreuz gestorben war, von Gott wiederbelebt wurde und in die göttliche Ewigkeit einfuhr, von nun an der Seite Gottes. In Gottes Haus durften Kirchgängerinnen zwar ihr Kopftuch nicht ablegen, schon aber die Messdienerinnen. Es war besonders reizvoll, die Messdienerinnen bei ihrer Ausführung der Liturgie zu verfolgen. Messdienerinnen waren ausgesucht schöne junge Frauen, an denen sich Gott, sein Pfarrer oder sein Bischof und auch wir uns erfreuen konnten. Bei einem solchen Anblick hatte ich früher öfters eine Erektion bekommen und ich war froh, dass ich im Dunkel der Kirche praktisch nie aufgeflogen bin; im Übrigen kniete man die meiste Zeit. Der Priester und seine Messdienerinnen standen im Glanz einer ausgeklügelten Lichtanlage.

Mein Weg führte über mehrere öffentliche Plätze. Die Dichte der Überwachungskameras nahm deutlich zu. Was mit der Flut der Bilder geschah, wusste keiner von uns genau. Jedenfalls war es möglich – und alles ohne Chips – die Wege seiner Bürger nachzuvollziehen. Jeder von uns trug einen Sender, der unentwegt Namen und ID ausstrahlte. Zu jeder Überwachungskamera gehörte auch ein Empfänger, der die Namen oder Nummern auflösen konnte. Bei Massenkundgebungen versagte das System, aber die Wissenschaftler an den Instituten für theoretische und praktische Informatik arbeiteten an dem Problem. Athens war sehr übersichtlich aufgebaut, die Straßen waren durchnummeriert, nur die Straßen, an denen eine Kirche oder ein Kloster steht, trugen einen zusätzlichen Namen. Ich kreuzte die 21ste und wusste Sankt Magdalena befand sich an der 25. Hier waren die Straßen dicht befahren, dem Ottomotor sei Dank. Autos hatten selbstverständlich auch eingebauten Sender, die man irgendwann in naher Zukunft mit Navigationssystemen koppeln konnte. Obwohl die Jungs von der Weltraumbehörde und die von den Informatikinstituten fieberhaft daran arbeiteten, war uns so etwas wie ein GPS noch nicht gelungen. Mit einer wenn auch ausgeklügelten Röhrenelektronik war das auch vergleichsweise schwierig. Unsere Vorfahren hatten ein paar Erfindungen gemacht, die wir nicht nachvollziehen konnten. Es gab darüber kaum historische Dokumente, die Technik musste etwas mit Quantenphysik zu tun haben. Es gab ein paar Gerüchte über die frühere Technik; eines war, dass die früheren Menschen mit der Zunahme der Automation die Technik selbst nicht mehr beherrschten, dass es automatische Fertigungsstätten gab, die die Maschinen für die Chipherstellung produzierten, die ihrerseits Chips für beispielsweise Wundercomputer hoch automatisiert herstellen konnten.

New Avignon konnte fast lichtschnelle Raumschiffe auf den Weg schicken. Ich erreichte die 25. und hatte noch achthundert Meter zu gehen. Ich zeigte mich bewusst den Kameras, mit einem Ausdruck, der sagen sollte: Hier bin ich Leute, ein treuer Bürger, ein braver Neokatholik, ein gläubiger Christ. Ich erreichte Sankt Magdalena zur sechs Uhr Messe. Es waren neben mir vielleicht hundert andere Gläubige in der Kirche. Eine junge Frau fingerte an ihrem Kopftuch und entpuppte sich kurz als Rothaarige. Rothaarige Menschen sind äußerst selten, ich hatte nur ganz wenige in meinem Leben gesehen. Während die Messdienerinnen immer weiß trugen – sie erinnerten mit ihrer Tracht an frühere Tennisspielerinnen oder Eiskunstläuferinnen, trugen die Priester alle möglichen Farben, die von keiner Liturgie vorgegeben wurden. Jeder Priester wählte seine Farbe individuell aus. Dieser hier trug heute Abend ein türkises Gewand. Athens gehört zu den fünf Bistümern, in denen die Messen auf Englisch gehalten wurden, mit nur wenigen Sätzen Latein, die in die Messe hinein gestreut wurden. Nur das Bistum Valencia und das Bistum York praktizierten eine Liturgie in Latein. Keiner konnte dann die Schweinereien verstehen, die Priester und Messdienerinnen untereinander austauschten. Sollte jemand meine Gedanken lesen: Das war ein Witz. Ich schaute andächtig in Richtung Altar, vermeinte sechs Göttinnen wahrzunehmen, verfolgte jeden ihrer Schritte und delektierte mich an ihren Busen und Beinen. Der Priester faltete seine Hände und die sechs dunkelhaarigen Grazien knieten sich vor ihm nieder und küssten sein goldenes Kreuz, das er ihnen darbot. Sie öffneten ihre Münder, zeigten ihre Zungen und empfingen die Hostien. Damit war das Sakrament der Kommunion eröffnet. Es gab drei Anlaufstellen, für Männer, Frauen und Kinder, an denen die Hostien verteilt wurden. Selbst für einen Atheisten war es eine aufregende Sache, sich niederzuknien und einer schönen Messdienerin die Zunge entgegen zu strecken. Dabei schaute man der Ministrantin in die Augen. Ich für meinen Teil hatte immer versucht, ein Zeichen der Zuneigung für mich zu entdecken, aber vergeblich. Diese hier hatte einen großen Busen, einen religiös freizügigen Ausschnitt und ich hätte mir ein Ritual gewünscht, die Milch einer Göttin symbolisch zu kosten, nicht das Blut Christi. Ich schaute also in ihren Ausschnitt, um dann ihre geschminkten Augen zu suchen. Sie wirkten ausdruckslos und kalt. Ihre roten Lippen bewegten sich: „Nimm den Leib und das Blut Christi!“ Mehr sagte sie nicht zu mir und ich streckte ihr die Zunge entgegen. Womöglich empfindet ein Verheirateter bei solch Ritual nicht viel mehr als bei einer Arzthelferin. Ich war ein Atheist, der hin und wieder ganz gerne in die Kirche ging. Aber ich hatte sowieso keine Wahl, ein Schwänzen der Messen und Andachten war strafbar und nur durch Krankheit und andere Sonderumstände entschuldbar.

Ich kannte niemand in der Kirche. In meinen Gebeten dachte ich an den prächtigen Ausschnitt und die offenen Haare, an das, was ich noch zu sehen bekäme. Scheinheilig sein war alles in unserer Gesellschaft. Nach der Messe verspürte ich einen gewissen Hunger und zugleich ein Bedürfnis nach Gesellschaft, nach Wein, Weib und Gesang, etwas, das in Athens auch nur spärlich zu finden war. Jeder, der irgendwann Urlaub in New Havanna gemacht hatte, hatte Sehnsucht nach einer wenn auch vielleicht kostspieligen Freizügigkeit, die in dieser Prüderie nicht sein durfte. Freizügigkeit war hier gefährlich, aber sie gab es, wenn auch selten. Ich wünschte mir eine scheinheilige Doppelmoral, die ein Auge zudrückte, wenn man sich vergnügen wollte. Das andere mochte das überwachende Staatsauge sein, in die Zukunft gerichtet, das Auge, das Gesetze, Moralgebote, Vorschriften las, während das erste Auge übersah oder sogar an der Lust partizipierte. Mit Moral und Scheinheiligkeit alleine hätte ich überhaupt kein Problem gehabt. Ich wäre für immer ein treuer Staatsbürger gewesen.

Die Kneipe, in die ich wollte, war nicht weit von der Kirche entfernt und somit konnte ich mir Geld für Bus und Taxi sparen. Ich erreichte die „Gemütliche Ecke“ nach zehn Minuten und befand mich nicht im vornehmsten Teil von Athens, aber in unmittelbarer Bahnhofsnähe. Es trieb sich hier ein Völkchen rum, das trotz aller Überwachungsstrategie der Klerikalen, sich einen gewissen Freisinn erlaubte, mitunter auch Freizügigkeit, die meist kostete; manchmal auch nicht. Gesangdarbietung und auch Tanz konnte man beiwohnen. Die Kneipe war, als ich eintrat, schon gut gefüllt. Es gab zwei Überwachungskameras und die Elektronik hatte gut zu tun, um zu registrieren, wer denn alles sich in dieser Spelunke aufhielt. Aber wenn ich es richtig verstanden hatte, galt es nur als ein bisschen subversiv, sich in solchen Lokalitäten aufzuhalten. Nur die unteren Schergen der Klerikalen mochten sich die Kneipenszenerie auf den Überwachungsmonitoren anschauen, hin und wieder gab es ja einen freien Bauchnabel zu sehen, zwar keine Ausschnitte, keine nackten Beine, aber ganz selten eine Knutscherei, die sich angetrunken nicht immer vermeiden ließ, nicht reizlos, aber an der Grenze der Subversion und an sich verboten. Hin und wieder ein Grund für eine Razzia. Die oberen Klerikalen delektierten sich bestimmt an ihren Frauen und Messdienerinnen; sie schauten uns nicht zu. Es gab viel zu beobachten in New Avignon, die Röhrenindustrie boomte. Ich orientierte mich, fand einen Platz, und als ich Gelegenheit hatte, eine Bestellung aufzugeben, orderte ich ein Bier und ein Schnitzel mit Champignonsoße. Auch die Champignons hatten ihren Ursprung auf der Erde, genauso wie das Schwein, das sein Leben hingeben musste, um als Fleisch auf den Tellern von fast subversiven Kneipen zu landen. Die Sauce war dunkel, die Kartoffeln frittiert und dazu gab es einen kleinen Salat in Joghurtdressing. Mein Bier war obergärig, ich mochte es so lieber. Ein paar Gesichter kannte ich aber nur flüchtig neben Margarete, der Kellnerin. Mein Appetit verdrängte ein Bedürfnis nach Gesellschaft, solange das Schwein auf meinem Teller lag, gab es nichts zu besprechen. Für Schweineschnitzel und Bier reichte mein Taschengeld noch, für Paola in New Havanna nicht. Ich war mir sicher, sie hatte sich auch in mich verliebt, beteuert hatte sie das allemal. Ich schaute Margarete bei ihrer Arbeit zu. Sie hatte vermutlich dunkles, langes Haar und es erschien mir so, dass ihre Hose zu eng war, vermutlich nicht ohne Absicht. Noch bevor das Schwein sich völlig mit mir verbunden hatte, bestellte ich bei Margarete ein weiteres Bier. Ich lächelte sie an, was sie professionell ignorierte. Wenn ich einige Dollars hier gelassen hatte, würde sie etwas zugänglicher werden, manchmal lächeln. Zur frühen Stunde wagte es niemand, ihr einen Klaps auf ihren Hintern zu geben, aber nach Mitternacht konnte es passieren, wobei sich nicht jeder das erlauben durfte, dies alles in guter Hoffnung, dass niemand an den Monitoren zuschauen würde. Nach dem Schwein musterte ich erneut die Kneipe, die fast ausschließlich von Männern bevölkert war. Der Frauenanteil mochte bei zehn Prozent liegen und man konnte davon ausgehen, dass sie beobachtet wurden. Es war selten, dass sich verheiratete Pärchen in solche Kneipen verirrten. Die Frauen, die hier alleine hingingen, waren per se verdächtigt und sie wussten sich vorsichtig zu verhalten. Ich konnte nie genau sagen, wie sehr meine paranoide Stimmung, die mich auch in dieser Kneipe begleitete, typisch für die anderen Gäste war. In einer paranoiden Gesellschaft versteckte sich jeder so gut, wie er konnte. Hier war mit Sicherheit jeder paranoid. Auf dieser Welt war jeder paranoid. Paola war paranoid und somit das gesamte New Havanna und jenseits von New Havanna und New Avignon lebte der komplette Wahnsinn. Während 95 Prozent der kompletten Landfläche dieses Planeten von einem völlig unvorstellbaren Wahnsinn besiedelt waren, herrschte auf unseren beiden Inseln ein beinahe moderater Wahnsinn, die Paranoia. Die Unterdrückung und die Paranoia funktionierten offensichtlich schon immer. Jetzt wurden Überwachungskameras und Sender eingesetzt, um ihr Feuer anzufachen. Ich grinste, so war das hier, aber an und für sich hätte ich meinen Job als Lehrer für Vorgeschichte gerne wieder gehabt. Wenn ich mich nur genug verfolgt fühlen würde, wenn ich mehr beten würde, am besten öffentlich, würde ich meinen Job mit Gottes Gnade zurückbekommen. Und das Taschengeld für Paola

Wie es sich gehörte, betete ich nach dem Essen, um mich für Gottes Gaben zu bedanken. Glücklicherweise brauchte ich nicht laut dabei sprechen, denn dem Ritual genügte, die Lippen zu bewegen. Es war unwahrscheinlich, dass man meine Gedanken lesen konnte, aber ich vermutete, es wurde daran geforscht. Glücklicherweise musste man nicht nach jedem getrunkenem Bier eins dieser Gebete vortäuschen, nur bei größeren Sachen wie einem Schweineschnitzel, nach getaner Tagesarbeit oder einem abgeschlossenen Geschäft. Für mich war es typisch, bei solchen Gebeten an Messdienerinnen zu denken. Als Atheist betete ich überdurchschnittlich lange. Ich wurde bei meiner Gotteslästerung von Paul gestört, der die Kneipe betreten hatte und ohne groß zu fragen, sich zu mir setzte. „Hi!“ - „Hi, Paul!“ - „War ein bisschen schwül heute“ - „Ich war am Meer, schwimmen“ Paul musterte mich, offensichtlich ein Wasserscheuer, dessen Ganzkörperkontakt mit Wasser sich auf ein gelegentliches Bad beschränkte. „Aber das ist doch gefährlich hier“ - „Mit Gottes Hilfe war es kein Problem. Ich bin ein geübter Schwimmer.“ Er lächelte mich an. „Bis nach New Havanna hast Du es aber nicht geschafft!“ Das wäre etwas weit, aber seltsam, die Idee kam mir immer, wenn ich ins Wasser stieg. Aber zweihundert Kilometer waren dann doch ein bisschen viel. Paul war vermutlich noch „jungfräulich“ und bewunderte mich wegen meiner Abenteuer drüben, obgleich ich in meinen Erzählungen nie konkret geworden war. Von seiner Namenscousine wusste er nichts. Er war ein Stück jünger als ich und mochte Anfang zwanzig sein. Die Aufnahmeprüfung für das Studium der Hohen Theologie hatte er nicht geschafft, er hatte Physik studiert, ein Fach, das leichter zugänglich war, Beziehungen waren dafür kaum von Nöten; es zählte mehr Talent fürs Fach als Schauspielkunst. „Das Schwein ist essbar hier und die Pilzsauce eine der besten, die mir untergekommen ist. Willst du auch essen?“ - „Nein, ich brauche ein paar Bier, Zerstreuung und etwas Unterhaltung.“ Er bestellte bei Margarete ein Bier. Man bemerkte, dass er sie anbetete. Er war an meinen Geschichten interessiert, Geschichten von früher, Geschichten für die ich Experte war. „Diese Schweine wurden auch eingeführt?“, fragte er. Das wusste eigentlich jedes Kind. „Unsere Vorfahren nahmen jede Menge Saatgut und eine Vielzahl von eingefrorenen Embryonen mit. Die Voyager war eine Arche, wie du sie von Noah kennst. Aber auf das übliche Ungeziefer hatte man verzichtet. Deswegen gibt es bei uns keine Ratten.“ - „Was sind Ratten?“ - „Ratten waren sehr verbreitet auf der Erde. Ratten sind größere Mäuse, mitunter aggressiv, recht intelligent und Überträger diverser ansteckender Krankheiten gewesen. Auf der Erde gab es überall Ratten, weil sie in der Besiedlungsgeschichte der Menschheit stets unfreiwillig mitgenommen wurden. Man hat bei der Voyager peinlich darauf geachtet, keine Ratten mitzunehmen. Aber auf Mäuse hat man nicht verzichtet. Es gibt ja inzwischen Arten, die ein Stück größer sind als ihre Vorfahren. Was dann damals auf New Avignon und New Havanna geschah, war eine Art Terraforming. Man versuchte die endemische Flora und Fauna mit den eingeführten Arten zu verdrängen, was nun ja teilweise gelungen ist.“ Paul fragte wie ein Kind. „Waren es ausschließlich ethische, religiöse Gründe, die die Besatzung der Voyager hatten?“ - „Religiöse Gründe trifft weniger zu. Die Besatzungsmitglieder der Voyager gehörten allen möglichen Religionen an. Neben dem Katholizismus gab es ja noch andere monotheistische Religionen, es gab aber auch Vielgötterei, gottlose Religionen und natürlich Atheisten. Auf der Erde gab es religiöse Vielfalt und immer wieder Spannungen zwischen den Religionen, aber auch friedliche Koexistenz. Das, was die Passagiere der Voyager bei all ihren Unterschieden verband, war die Ablehnung der Gentechnik, die auf der Erde wohl sehr verbreitet war. Man zögerte nicht mehr, die menschliche DNA zu manipulieren. Vermutlich gibt es auf der Erde keine Menschen mehr.“ - „Ja es sind mehr als dreißigtausend Jahre vergangen, denn die Erde ist etwa dreißigtausend Lichtjahre entfernt.“ Ich war überzeugt davon, dass Paul die Relativitätstheorie verstanden hatte. Wir waren wissenschaftlich und technologisch fast so weit wie sie damals. Paul blieb bei dem Thema. „Ich frage mich oft, warum sie ausgerechnet hier gelandet sind.“ Ja, die Lage unseres Planeten war schon ein bisschen mysteriös. Seine Sonne befand sich in der Nähe der Rotationsachse der Galaxis und an ihrem äußeren Rand. Die Rotationsachse der Umlaufbahn von New Earth stand nahe zu senkrecht zu der der Galaxis, zu der die Achse von New Earth mit 17 Grad geneigt war. Das hatte den Effekt, dass im Winter der nördlichen Halbkugel praktisch gar keine Sterne zu sehen waren, während im Sommer nachts die majestätische Milchstraße zu sehen war. Das geübte Auge konnte dann bei besten Sichtverhältnissen knapp hundert Sterne ausmachen. „Warum ausgerechnet hier, eine Welt am Rande der Milchstraße, die kaum bewohnbar ist?“ - „Bewohnbar ist sie schon, da müsste man nur die Aborigines fragen können. Der Menschheit stehen hier gut 600000 Quadratkilometer zur Verfügung, wie viel war es auf der Erde?“ - „Ich glaube, es waren mehr als 100 Millionen Quadratkilometer, wobei Teile aus Wüsten, Eiswüsten und unwirtlichen Gegenden bestanden“ - "Man müsste die Aborigines vernichten!“ Ich schwieg zu dieser Bemerkung. Ich wusste, es gab bei den Klerikalen Tendenzen, solche Dinge zu diskutieren. Es war nicht einfach, die Aborigines zu vernichten, ohne sich selbst zu vernichten. Die Aborigines wohnten nicht in Städten, sondern kleinen Dörfern, von denen es sehr, sehr viele gab. Sollte man wahllos alles bombardieren oder einen Virus züchten, der sie tötete, unter dem Vorbehalt, dass Genmanipulation strengstens verboten war? Piloten mussten die Kontinente in mehr als dreißig Kilometer überfliegen, um nicht wahnsinnig zu werden. „Paul, die Vorfahren, die unsere Sprache sprachen stammten von England, genauer gesagt aus Großbritannien, in dessen Blütezeit mehr als fünfzig Millionen Menschen lebten. New Avignon hat eine größere Landfläche als Großbritannien, ein angenehmeres Klima und nur 20 Millionen Einwohner. Wir brauchen die Kontinente nicht als Lebensraum. Wir müssen die Aborigines nicht ausrotten“ -“Denke an die Rohstoffe, die uns entgehen. Unsere Wirtschaft hätte ganz andere Möglichkeiten. Schon in der Forschung fehlen uns die seltenen Elemente.“ Da hatte er recht. Unsere Festkörperphysik musste weit hinter dem zurückliegen, was unsere Vorfahren vermochten. Irgendetwas fehlte uns im Verständnis der Quantenphysik. „Über die wichtigsten Rohstoffe verfügen wir. Wir können sogar Sternenschiffe bauen, verfügen über die Technik mit Schiffen Lichtgeschwindigkeit zu erreichen.“ „Annähernd Lichtgeschwindigkeit“, verbesserte er mich. Als Physiker musste er das besser wissen. Ich wusste, er sah die Sache mit den Aborigines anders, „Die Aborigines waren vor uns da, ihnen gehörte diese Welt und sie haben eine Seele“ - „Darüber gibt es theologischen Disput“ - „Die Aborigines sind auch Gottes Geschöpfe. Er hat ihnen Verstand, Intelligenz und auch eine Seele gegeben.“ Ich führte in solchen Diskussionen schnell solche Hammerargumente. „Sie sind primitiv, verfügen kaum über Technik. Macht euch die Erde untertan, heißt es“ - „Das galt für die Erde“. Ich musste lächeln. Wenn alles gut gegangen war auf der Erde, lebte dort eine friedliche Superintelligenz, die kaum noch etwas mit Menschen zu tun hatte. Mit etwas Glück konnte man Menschen vielleicht in Zoos antreffen, in Reservaten. Menschen, die Menschen bleiben wollten, dumm, verletzlich und sterblich. Kein Mensch konnte ernsthaft Mensch bleiben wollen. Dieser Gedanke war meine Häresie, rüttelte an den Grundfesten des Neokatholizismus und an der Staatsideologie, die im sozialistischen New Havanna gepflegt wurde. Die Ablehnung der Gentechnik war der Grund, warum wir hier waren. Wir zündeten beide unsere Zigaretten an. Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, dass es auf der Erde noch Menschen gab, es sei denn eine Sekte wie die Passagiere der Voyager hätte unter solchen Verhältnissen dreißig Tausend Jahre überlebt. „Ich würde gerne zur Erde fliegen“, sagte Paul und ich konnte mich dem Reiz dieser Vorstellung nicht ganz entziehen. All mein Halbwissen über die Vorfahren hätte ich zu Wissen umwandeln können. „Die Aborigines sind Heiden, keine Katholiken“ - „Na und, darf man sie deswegen umbringen. Kein Mensch weiß, woran sie glauben.“ Er trank an seinem Bier, und ich hoffte, er würde das Thema wechseln. Die Musik in der Kneipe wurde etwas lauter und eine Tänzerin bewegte sich auf die Tanzfläche und begann mit ihrem schicklichen Tanz. Paul und ich waren abgelenkt, folgten gebannt ihrer Bewegung. Die Tänzerin war unter dem Namen Francesca vorgestellt worden. Praktisch alle Blicke der Gäste waren auf die Tanzfläche gerichtet, Gespräche waren verstummt. Francesca brachte die Dialektik der sittlichen und unsittlichen Bewegungen. Jeder wünschte sich, dass sie ihr Kopftuch löste, was sie natürlich nicht tat.

Francesca bekam größeren Applaus. Paul klatschte begeistert. Während sie sich verbeugte, stellte er sich vor, dass sie ihr Haar nach vorne fallen ließ. „So jemanden möchtest Du sicherlich heiraten“, scherzte ich „Ja sicher. Sie ist fantastisch“ - „Von Physik wird sie weniger verstehen“ - „Das ist doch völlig egal!“ Gegenseitiges Verständnis, auf einer personellen Ebene war wichtig, dachte ich. Wenn ich meinen Job als Lehrer wiederbekommen würde, hätte ich eine Chance zu heiraten. Nicht die erst Beste versteht sich. Paola und ich hatten uns verstanden. Sie konnte mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Vielleicht war sie Telepath, ein sehr schöner Telepath, bei der ich nicht das Gefühl gehabt hatte, ausspioniert zu werden, wen auch nicht auszuschließen war, dass sie für die Staatssicherheit arbeitete. Sie diente ihrer Gesellschaft genug damit, dass sie ihre Beine breitmachte, mit ihrem Charme und ihrer Lebenslust, die mir nicht vorgespielt vorkam. „Francesca wird wohl heute Abend nochmals auftreten“, meinte ich zu Paul, der ihr nachstarrte, als sie durch eine Hintertüre verschwand. Die begehrten, heiratsfähigen Frauen standen nicht auf Studenten oder mittellose Absolventen eines Studiums, da ihnen genügend Männer zur Verfügung standen, die Bares in der Tasche hatten. Niemand schien die romantische Liebe zu kennen – ich schon, als Experte hatte ich darüber gelesen. Es musste sie gegeben haben, auf der Erde, und vermutlich gab es sie auch hier, vereinzelt, ohne als Idee oder Begriff in den Köpfen der Leute zu existieren. Allerdings war die romantische Liebe nur ein romantisches Gespinst, ein Ideal bestimmter Kulturen auf der Erde, geeignet für Dramen und Komödien, weniger geeignet fürs wirkliche Leben mit seinen existenziellen Widerwärtigkeiten. Eine Leitlinie für Pubertierende, die auch damals nur schlecht verstanden wurde, so schätzte ich. Paola hatte ich „romantisch“ geliebt, in den zwei Wochen, aber es gelang mir nicht, sie zu einer Flucht zu überreden. In unseren Gesellschaften musste man fliehen, um „romantisch“ lieben zu können. Aber wohin? Es gab in den Ozeanen ein paar, kleinere unbewohnte Inseln, für die sich niemand interessierte. Historisch bedingt war es wohl dadurch, dass man sich vom Meer nicht ernähren konnte. Alles, was dort schwamm, war ungenießbar, unsere Fische hatten keine Chance gehabt zu überleben.

Da wäre noch unser Nachbarplanet, dessen Biologie praktisch eine völlig andere ist, mit einer anderen DNS, wenn ich es mal salopp sagen darf. Ein Ort, der in Verdacht steht, von einer Superintelligenz bevölkert zu sein, die womöglich mit unseren Aborigines verwandt ist. Sämtliche Rückkehrer der ersten Expedition wurden zuerst Patienten einer geschlossenen Anstalt, so die Gerüchte.

Von einem Nachbarplaneten zu sprechen, war eigentlich falsch. Die Nachbarplaneten unserer Welt waren unbewohnbar, aber unsere Sonne hatte einen kleinen Schwesterstern, nicht viel weiter entfernt als Pluto oder Neptun von der Erde und diese kleine rote Sonne umkreiste ein Planet, der Leben barg, anderes, unheimliches Leben. Man nannte diesen Planeten Aurelia, seine Oberfläche bestand aus mehr als neunzig Prozent Wasser. Der Wahnsinn, der von Aurelia ausging, unterschied sich vermutlich nicht sehr von dem, was von unseren Kontinenten ausging. Wohin, bitte schön, sollte man fliehen? Vielleicht entwickelte man gegen den Wahnsinn, der von den Aborigines ausging, eine Immunität, wenn man sich ihm lang genug aussetzte, aber von den Verschollenen war bisher niemand zurückgekehrt. Paola konnte sich kaum ein Leben mit Robinson vorstellen, ein Leben in völliger Primitivität. In einer Überwachungsgesellschaft konnte man nicht wirklich fliehen, auch wenn es in New Avignon sehr dünn besiedelte Gegenden gab, aber Paola und ich waren dort nicht überlebensfähig. Es gab nirgendwo ein Asyl für die von der romantischen Liebe betroffenen, unsere Liebe war so verboten wie die von Romeo und Julia. Es standen sich nicht zwei befeindete Familien gegenüber, sondern zwei befeindete Gesellschaften, die zwar zuließen, dass wir Liebe machten, wenn denn der Dollar floss, aber keine Liebesliaison.

„Willst du auch noch ein Bier?“ Paul riss mich aus meinen Gedanken raus. „Ja, ich denke, ich brauche noch einige. Ich zündete mir eine Zigarette an. Von all den Genussmitteln, die die Erde kannte, gab es im wesentlichen nur zwei nicht. Es gab keinen Kaffee und keinen Kakao. Kaffee musste eine ähnlich belebende Wirkung wie Tee haben, aber völlig anders schmecken. Die Kaffeepflanzen hatten auf New Avignon und New Havanna keine Chance, ebenso wenig Coca. Von den verbotenen Dingen gediehen Cannabis und auch Schlafmohn auf New Havanna prächtig. Es war nicht nur Tee, der von der südlichen Insel kam, deren Südspitze knapp 2500km vom Äquator entfernt war. New Earth war etwas größer als die Erde, weniger dicht, aber alles in allem schlug die Schwerkraft etwas härter zu als bei unserem Ursprungsplaneten, etwa 5 Prozent härter. Bier kam und wir versuchten, Margarete anzulächeln, die aber unsere Kontaktaufnahme ignorierte. Noch! Paul zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Tabak gedieh hier prächtig. Unser Gespräch war verebbt. Paul war in Gedanken vielleicht bei den Frauen in dieser Kneipe, die er nicht kriegen würde, vielleicht auch bei seiner Physik. „Womit willst du den im Sommer Geld verdienen?“, fragte ich ihn. „Als Versuchskaninchen. Es gibt da ein Forschungsprogramm, das Antipsychotika entwickelt. Die sollen in Gegenwart der Aborigines getestet werden.“ Zuerst begriff ich nicht. Man wollte Testpersonen den Aborigines aussetzen, Testpersonen, die etwas gegen Wahnsinn geschluckt hatten, damit sie dem Wahnsinn, der von den Aborigines ausging, standhielten. Unsere Psychiatrie behandelte mit Schocks und Psychopharmaka Psychosen und Depressionen, die es auch auf dieser Welt gab. Wenn nicht hier, wo sonst? Vermutlich war ein Verrückter auf die Idee gekommen, die neuesten Produkte, die in den Irrenanstalten eingesetzt wurden, in Kontakt mit den Aborigines auszuprobieren. „Aber das ist doch gefährlich“, äußerte ich mich. „So gefährlich nun auch wieder nicht, man bezahlt ganz gut, inklusive eines zweiwöchigen Urlaubs in New Havanna.“ Ich schluckte. „Möglicherweise bleibst du wahnsinnig. Für immer wahnsinnig“ - „Eher unwahrscheinlich. Zudem schützen ja die Psychopharmaka“ - "Vielleicht kriegst du ja auch einen Schaden von dem Zeugs, dass du einschmeißt.“

Er schaute mich verständnislos an, zog an seiner Zigarette, trank an seinem Bier, als ob er mir sagen wollte: „Mein Freund, all das, was wir hier zu uns nehmen, schädigt uns auch!“ Die Diskussion wurde nicht weiter fortgeführt, weil sich Peter zu uns setzte und das übliche Begrüßungsritual begann. „Ich brauche Bier und Weiber“, sagte der dann. Peter war einfacher Industriearbeiter, las aber ganz gerne und ich versorgte ihn mit „verbotener“ Literatur. „Das du hier Bier kriegst ist ziemlich wahrscheinlich. Aber Weiber?“, entgegnete ich ihm lächelnd, während Paul mich aufmerksam musterte.

„Meine kleinen Freunde. Für wen arbeitet ihr? Peter und Paul vom klerikalen Geheimdienst, geschickt, um mich auszuspionieren, mich zu verraten, mich auszuliefern, an die Messer der Geistlichkeit. Wer von ihnen will mich der Verbrechen überführen, denen ich mich schuldig gemacht habe.“ Die üblichen Gedanken. Mein größtes Verbrechen: Ich glaubte nicht an Gott und somit nicht an seine Verwalter auf New Earth. Ich war verdächtigt worden, aber nicht überführt. Wer von euch würde mich überführen? In einem betrunkenen Moment hatte Peter mir gestanden, dass er kaum an Gott, wie er uns gepredigt wurde, glaube. Im Übrigen war ich schon in seiner Hand, ich versorgte ihn mit verbotener Literatur. Studenten und Lehrende der Vorgeschichte durften ihre Lehrmaterialien nicht öffentlich machen; was wir lehrten, war zwar öffentlich, aber zensiert. Vorausschauend mussten wir selbst zensieren. Insofern gehörten wir einer wissenden Kaste an, die es besonders zu beobachten galt. Waren Peter und Paul Beobachter? Auch Peter wollte offensichtlich nichts essen. Er und Paul unterhielten sich über Weiber im Allgemeinen und Weiber in dieser Kneipe, ohne eigentlich die geringste Ahnung zu haben, was Weiber waren. Gut, Peter hatte wohl eine gewisse Ahnung, aber auch er war unverheiratet. Ich hatte eine gewisse Ahnung über Weiber und es war völlig egal, dass Paola die perfekteste Schauspielerin der Welt war, auch sie hatte meinen Erfahrungsschatz bereichert, sodass ich zwar mit Ahnung ausgestattet war, aber ich war entfernt davon zu sagen: „Ich verstehe die Frauen!“ Während Bier und Wein mein intellektuelles Vermögen in die Knie zu drängen versuchten, waren andere Sphären meines Geistes bemüht, festzulegen, was ich hier eigentlich wollte. Trinken, ja sicher! In Berührung mit einer Frau kommen, die quasi instantan meine Gefühle in Wallung bringen würden, Berührungen, berühren, was ich immer berühren wollte, berührt werden, an der einen oder anderen Stelle. Meine Tendenz mich daneben zu benehmen war größer als meine Disziplin, die als Parole Anpassung ausgab, die äußerste Konformität von mir verlangte, was den Hedonisten in mir aber nicht kümmerte. Dieser Hedonist lebte im Hier und Jetzt und selbst die Versprechungen, dass bei genügend Disziplin und Konformität die Ehefrau sicher wäre, zogen nicht. Ich war mir sicher, dass Paola mir nie langweilig würde, aber gewöhnlichen Ehefrauen wurde auf Dauer eine Langeweile erzeugende Frigidität unterstellt, und es musste ein irgend gearteter Untergrund sein, der solche Vorurteile über Ehefrauen verbreitete. Gab es einen Untergrund? Wer waren Peter und Paul? Wer war ich? Peter war auch einige Jährchen jünger als ich und stand also noch voll im Saft. Alles in allem wollte ich die Erotik an diesem Abend für mich nicht ausblenden.

Der Abend nahm seinen feucht-fröhlichen Verlauf und ich war bemüht, nichts Falsches zu sagen. Der Alkohol erschwerte die Kontrolle und mein Bedürfnis über unsere Gesellschaft herzuziehen, wuchs. Ich erlaubte mir dosierte Frechheiten, immer bemüht, weniger ketzerisch und aufrührerisch als meine Freunde zu bleiben. Peter und Paul suchten sexuelle Freizügigkeit, politisch war Peter der Rebellischere, und wenn ich ihm auch eine gewisse Vorsicht unterstellte, so war er eigentlich ein Fall für die klerikale Staatssicherheit. Aber vielleicht war er nur ein Agent provokateur, der Abtrünnige wie mich zu überführen suchte. Hier konnte man keinen Freunden trauen, die man mehr als zehn Jahre kannte. Peter und Paul kannte ich seit etwa sechs Monaten, seitdem ich mich in der Gegend von Athens aufhielt. Sie wussten, dass ich Lehrer für Vorgeschichte war, fragten aber nie danach, warum ich meinen Job verloren hatte. Zu welcher Seite gehörten sie? Oder waren sie einfach Jungs, die ein bisschen Spaß suchten und zu viel Fragen stellten, die nicht der gewünschten Norm der Fragen entsprach, dessen Antworten das Fundament unserer Gesellschaft bildeten. In meiner Vorstellung baute sich oft das Bild mehrerer subversiver Ebenen auf. Es gab die hedonistische Ebene, die in bestimmten Rahmen von den Staatswächtern geduldet wurde. Ich meinte damit Dinge wie Alkohol, Sex und streng genommen auch Dinge wie Cannabis, alles subversiv, aber gleichsam ein Ventil, um zu betäuben, um abzulenken. Wenn ich meine kriminellen Energien dafür einsetzen musste, um Spaß zu finden, blieb für andersgearteten Widerstand kein Raum. Die ketzerische Ebene: der ketzerische Gedanke war an sich harmlos, die abschreckenden Mechanismen der theokratischen Gesellschaft bewirkten, das er nie geäußert wurde. Die Gesellschaft konnte gut auf Scheinheiligkeit basieren.

Mir kam es sogar so vor, dass sie eine notwendige Voraussetzung für ihr Bestehen war. Zugegeben, eine Spur scheinheiliger hätte unser Land schon sein können. Ketzer, die sich ketzerisch äußerten, lebten gefährlich, wenn ihr Tun sich auch etwas relativierte, wenn sie sich berauscht äußerten. Und dann gab es die Ebene des Untergrunds, aber niemand von uns wusste, ob es den Untergrund gab. Anschläge passierten in New Avignon vielleicht alle zehn Jahre einmal und niemand erfuhr jemals etwas über die wahren Hintergründe. Und alles in allem waren zehn Jahre eine lange Zeit, in der sich ein Untergrund beliebig oft gründen und auflösen konnte. Die Attentate konnten die verschiedensten Hintergründe haben, politische Rivalitäten, womöglich New Havanna oder ein irgendwie geistig gestörter Hintergrund. Ich war ein Ketzer, der hin und wieder gerne seine Gedanken äußerte, bemühte mich aber immer, vorsichtig zu bleiben. Jeder hatte wohl ein Bedürfnis, einen Teil seiner Gedanken zu äußern. Ich würde mich nie und niemals einem irgendwie gearteten Untergrund anschließen. Dafür war ich viel zu feige, und ich sah auch nirgends eine Chance auf Erfolg. Obgleich es auch für mich äußerst reizvoll gewesen wäre, unter ähnlich Gesinnten meine Gedanken zu äußern, war der Preis dafür viel zu hoch. Hier mit Freund Alkohol hin und wieder die ketzerische Ader herauszulassen war weit weniger gefährlich. Und eins war mir klar, eine attraktive Frau, mit der ich mich freizügig ausleben konnte, die ich malen und fotografieren konnte, die alle ihre Verführungstricks für mich reservierte, eine Priesterin des Sexes, würde mich alle umstürzlerischen Gedanken vergessen lassen. Als Paola mich ritt, ich abwechselnd in ihr lächelndes Gesicht und auf die sich bewegenden großen Brüste schaute, hätte ich heraus gestöhnt, dass ich an die Allmacht Gottes glaube, an alle Engel und Wunder, aber Paola war Mitglied einer atheistischen Gesellschaft, sodass ein ausgestoßenes Glaubensbekenntnis beim Orgasmus unnötig war. Für geilen Sex hätte ich meine Seele verkauft, wenn ich denn eine gehabt hätte.

Wir vertrieben uns die Zeit mit Spielchen, Paul spielte gern und gut ein 9x9 Go. Eine kurzweilige Abwechslung, bei der wir ohne Vorgaben gegen ihn keine Chance hatten. Kartenspiele, Würfelspiele, Brettspiele; so musste das früher auch auf der Erde gewesen sein. Seltsamerweise waren Glücksspiele nicht verboten. Und so spielten wir um Runden und es schien so, dass von Runde zu Runde das Gesicht von Margarete freundlicher wurde. Ich bedauerte, dass sie keinen Ausschnitt trug, niemand außer Messdienerinnen durfte einen Ausschnitt tragen. Diese Logik hatte ich nie verstanden. Mir reichten selten drei Vorgaben, um gegen Paul auf dem kleinen Brett gewinnen zu können, Peter benötigte vier. Ich hingegen war der bessere Schachspieler, aber nur selten spielten wir Schach bei unseren Treffen..Während an anderen Tischen gewürfelt wurde oder Karten gedrescht wurden spielten wir das anspruchsvollere Go. Es gab verschiedene Spielfelder aus Leder, verschiedene Größen, die bedingten, dass die Spieldauer unterschiedlich lange war. Wir bevorzugten das kurzweilige 9x9 Feld, ein Spiel dauerte dann kaum länger als fünf Minuten. Wenn Paul spielte, schaute Margarete hin und wieder kurz zu, eine willkommene Abwechslung. Der Spielfreie hatte Gelegenheit zu schauen, Gelegenheit zu flirten. Ich war mir sicher, dass sie für Geld zu haben war, wie auch die anderen Frauen, die sich in der Spelunke befanden. Obgleich die neokatholische Kirche etwas gegen die Beschneidung der Frau hatte, gestand sie einer Frau keine Freude beim Geschlechtsverkehr zu. Ich fürchtete, die Kirche hielt die Beschneidung für unnötig, weil man Frauen eh keine Lust beim Sex unterstellte. Ausnahmen bestätigten die Regel. Sollten sich in der Kneipe nur Ausnahmen befinden? Während ich mit Paul ein Spielchen machte, stand sie an unserem Tisch. Einer meiner Geistesblitze wurde nicht unerheblich gestört, als ich glaubte, aus Peters Mund etwas Unerhörtes zu vernehmen. „Ich mag Deinen geilen Arsch!“ Konnte es sein, dass sie ihn anlächelte? Sie sagte etwas, was ich nicht verstand. Ich verlor die Partie und konzentrierte mich auf Margarete, die nun im hinteren Teil der Kneipe bediente. „Tolle Frau“, sagte ich in die Runde. Keiner meiner Freunde hatte sich je geoutet, sie gehabt zu haben. Woher kam nun der Mut von Peter? Einmal war immer das erste Mal. „Ich will sie haben“, sagte Peter. Ein Indiz dafür, dass ich nicht völlig unter paranoiden Wahnvorstellungen litt. „Sie wird nicht ganz billig sein“, entgegnete ich und begab mich vorsichtig auf die subversiven Pfade, die ich liebte. „Das ist mir egal“, sagte er und begann von den Vorzügen Margaretes zu schwärmen. Paul, der ebenfalls auf sie stand, musste aber erst Versuchskaninchen bei den Aborigines spielen, um auch annähernd so viel Taschengeld zu besitzen, um sich Frauen wie Margarete leisten zu können. Mein Urteil basierte auf Vorurteilen, denn zuverlässige Informationen und einen transparenten Markt gab es nicht. Es war klar, was Paola gekostet hatte. Die Preise für die Prostituierten New Havannas waren festgelegt, auch wenn man dann freiwillig noch draufzahlte. Einen Wochenlohn eines Lehrers für Vorgeschichte für einen Tag mit Paola. Gespannt wartete ich darauf, wie sich die Avancen von Peter sich in dieser Nacht steigern würden.

- 2 -

Die majestätische Milchstraße hing über unseren Köpfen, wir gingen Richtung Hafenviertel; ich, Paul und Peter, mit Katharina im Arm. Die Spiralgalaxie bedeckte den kompletten Himmel. Dort irgendwo oben lag unsere Herkunft, die gleichsam die Zukunft der Menschheit war. Vor mehr als dreißigtausend Jahren hatte dort die Menschheit begonnen, den Weltraum zu erobern, begonnen sich selbst zu verändern, sodass der Begriff Menschheit für das, was sich dort oben befinden musste, im Prinzip unpassend war. Man stieg zwar nie in denselben Fluss, so heißt ein alter Spruch, aber mir war klar: Ein Bach war kein Strom. „Wie weit ist es noch?“, drängelte Katharina. Es sind noch circa 30000 Lichtjahre bis zur Erde“, versuchte ich zu scherzen. Ich scherzte gerne, wenn ich torkelte. „Ich meinte nicht die Erde, du Penner!“ Frauen konnten sich alles herausnehmen, solange sie mit Unverheirateten zusammen waren. „Katharina, Engel, es dürfte sich um drei Minuten handeln, vierhundert Meter. Wie viel ist das in Lichtjahre ausgedrückt, Paul?“ Paul berechnete offenbar anderes. Er guckte mich an und torkelte weiter. „Hat den jemand Achtung vor dem, was sich über uns befindet? Dort wohnt Gott!“ Ich wollte eigentlich sagen: Dort wohnen die Götter, aber das wäre Blasphemie gewesen. Gottähnlich mussten dort oben die Nachkommen der Menschen sein. Ich konnte mir nicht ausmalen, was sie vermochten. Göttlichkeit war in dieser Galaxie vermutlich kein Einzelfall, dennoch, Raum und Zeit bildeten einen Puffer zwischen den Göttern und uns Menschen in New Avignon, die eine allmächtige Idee anbeteten. Unsere Randlage schützte uns vor eindringender Göttlichkeit. Welten wie die unsere fand man zuletzt. Dort lag also die Zukunft und hier gab es keine Zukunft, aber das stimmte so nicht. Der Fortschritt hatte unsere Welt infiziert, sodass die Alten sich in unserer Welt nicht zurechtfanden, sie verstanden sie nicht mehr. Das, was ich von der Welt verstand, war ein ungenaues Bild von Vergangenem. „Fortschritt ist, wenn die Alten die Welt nicht mehr verstehen“, posaunte ich aus, erheitert wegen der gelungenen Definition. Katharina wollte Obszönitäten von sich geben, schien aber dann die Aussage zu begreifen, war froh, nicht alt zu sein und dachte an Momente in ihrem kurzen Leben, die sich eine Ewigkeit ausgedehnt hatten. In ihrer Hosentasche knetete sie das Zeug, das Zeitdilitationen ermöglichte, ohne dabei interstellare Raumfahrt zu bemühen. Wir alle hatten im Hinterkopf, dass sie so etwas in der Tasche hatte, so etwas wie der Stich einer Avignonwespe, der einem den Boden unter den Füßen wegnimmt, der die Welt in eine Halluzination überführt, um den ganzen Spuk dann mit einem heftigen Fieber anzutreiben. Das Zeug musste irgendwo schon milder sein und zu guter Letzt verursachte es kein Fieber. Auch Paul wollte von dem süßen Wahnsinn kosten, was mir zu denken gab. Sollte dies für ihn ein Vorgeschmack von dem werden, was ihn bei den Aborigines erwartete? Für mich war die Sache mit den Aborigines nicht weniger verführerisch, da neben dem Lohn und den Pluspunkten in der eigenen Akte Urlaub in New Havanna winkte. „Sind wohl mehr fünf Minuten als drei“, meinte ich zu Katharina, die sich gefallen ließ, dass Peters linke Hand auf ihrem Hintern verweilte. Neidisch schaute ich auf das Bild. Schließlich schloss ich die Tür auf, danach war eine Minute Treppen steigen angesagt, bis wir zu meiner Mansarde gelangten. Fast schon eine Wohnung, mit abgetrenntem Bad, alles in allem über zwanzig Quadratmeter groß. Üppige Raumverhältnisse sozusagen. Ohne mich zu fragen, ließen sich Peter und Katharina auf meinem Bett nieder. Ich organisierte Weißwein, aus dem Schrank vier Gläser und dachte damit meine Schuldigkeit getan zu haben. Katharina kramte aus ihrer Hosentasche ein braunes Etwas, das entfernt nach einem Brühwürfel aussah. „Was ist das, Katharina?“ - „Haschisch“ Das Wort hatte in unserem Neu-Englisch überlebt. „Und nun Geld auf den Tisch!“ Bei dem Begriff Geld wurde Paul etwas ängstlich. „Wie viel Geld, liebe Katharina?“, fragte er nervös. „Na sagen wir mal jeder fünf Dollar.“ Fünf Dollar war für Paul ein kleines Vermögen. Für fünf Dollar bekam man ein Schweineschnitzel mit Pilzsauce samt Beilage nebst einem Bier. „Die habe ich nicht!“ zeterte Paul, die Hoffnung der Physik auf unserem Planeten. Peter und ich guckten uns an. Warum mussten Frauen auch so raffgierig sein? Ich versuchte mich an meine Mutter zu erinnern, die mir anders vorgekommen war. Raffgierig war sie nicht, sie hatte mir die Kunst der Scheinheiligkeit gelehrt. Ich tat einen Fünfdollarschein und zusätzlich eine Dollarmünze dazu, eine, die auf der Rückseite ein Schwein zeigte, als Symbol für Wohlstand. Wir schauten Paul auffordernd an, der sich schließlich durchrang, einen Zweidollarschein rauszurücken. Katharina schaute auf das Geld und schien zufrieden. „Für zwei Dollar bekomme ich fünf Bier.“ Ich hatte von den Schwarzmarktpreisen für Cannabis, um das musste es sich handeln, keine Ahnung. Ich goss Paul zur Besänftigung ein Glas Wein ein, nachdem ich eine Weile mit dem Drehverschluss der Flasche gekämpft hatte. „Werden wir die Welt besser verstehen, nachdem wir von Deinem Kraut geraucht haben, Katharina?“ - „Was heißt Welt verstehen?“ Sie lächelte mich bei der Frage an. Wenn Frauen Geld im Sack haben, lächeln sie besonders gerne, dabei ist das Lächeln von ihnen angeboren. „Jungs, mir ist heiß hier“, sagte sie mit einem gewissen Grad an Selbsterkenntnis und zog ihren Pullover über den Kopf. Sie trug, vorschriftsmäßig, einen weißen BH. Wir waren perplex. Die braune Substanz schien eine befreiende Wirkung zu entfalten, ohne bisher mit unseren Gehirnen in Kontakt getreten zu sein. Aber vielleicht war es auch nur das Geld, das zu solch faszinierender Freizügigkeit führte. „Paul würde sich das weibliche Wesen aufgrund der objektiven Temperaturen in dieser Mansarde wohler fühlen, sozusagen befreiter, würde sie sich ihres BH entledigen?“ -“Objektiv gesehen müsste es ihr bei diesen Temperaturen besser gehen, aber ich fürchte, sie will dafür Dollars sehen.“ Ich schaute in die Augen von Katharina, in deren Pupillen Dollarzeichen zu sehen waren. „Ja Jungs, ihr habt sehr, sehr recht. Es ist sehr warm hier!“ Es sei sehr warm hier, war quasi ein revolutionärer Spruch, der zur Befreiung führte. Denn sie entledigte sich ohne große Show, sozusagen zielorientiert, ihres BHs, ohne auch irgendeinen weiteren Dollar zu verlangen. Es war nicht groß, es war nicht klein, was die Schwänze anschwellen ließ. Irgendwo anders musste das Blut fehlen. Man geht jahrelang in Messe und Andacht, um einen Blick auf die Ausschnitte der Messdienerinnen zu erhaschen, um in einem besonders besoffenen Moment des Lebens Bewusstseinserweiterung dargeboten zu bekommen, verdammt für den nicht auszuschließenden Filmriss.

Katharina baute eine sehr große Zigarette, erwärmte mit einer Flamme die braune Substanz und krümelte von dem Zeugs in den Tabak. Wir auch, aber insbesondere sie machte sich strafbar. Anstiftung zu einer subversiven Handlung, Handel mit illegalen Substanzen, Prostitution, wobei ich nicht unerwähnt lassen sollte, dass dem Freier eine ähnliche Strafe drohte wie der Hure. War sich Paul um die möglichen Folgen seines Tuns bewusst? Ich wurde aus dem Jungen nicht schlau. Geschickt drehte sie die Megazigarette, zündete sie an und nahm einen tiefen Zug. Wir starrten sie an, das Bild, das sie bot, hatte etwas Überforderndes für unsere durch Alkohol strapazierten Gehirne. Peter war sich sicher, eine klasse Braut erwischt zu haben und egalitäre Tendenzen in ihm schienen den Gedanken zuzulassen, dass wir die Frau mit ihm teilten. Vielleicht war es die neueste Masche junger Dealerinnen, bei ihren Geschäften ihre Titten zu zeigen. Nachdem ich an der Monsterzigarette gezogen hatte, bekam ich zuerst einen kurzen, aber heftigen Hustenanfall. Ich probierte nochmals, vorsichtiger. Irgendwie schien mein Kreislauf Probleme zu bekommen und verängstigt reichte ich die Haschzigarette an Paul weiter, dessen Mut ich in dieser Situation nicht einschätzen konnte. Gute Wissenschaftler sollten neugierig sein. Es reichte nicht, die verfügbaren Methoden auswendig zu lernen. Glauben war der Wissenschaft nicht zuträglich, Einsicht schon eher, insbesondere die, dass man so gut wie nichts verstand. War Paul auf das, was die Zigarette bei ihm bewirkte, neugierig? Er zog mehrfach, aber vorsichtig und wurde von einer ähnlichen Hustenattacke verschont. Mir ging es nicht gut. Da half es auch nicht, meinen Blick auf die Brustwarzen von Katharina zu fixieren, die offensichtlich in den letzten Minuten größer geworden waren. An solchen Nippel wollte man saugen. Die nackten Titten waren ein Trick, um die Bereitschaft, an den Monsterzigaretten zu saugen, zu steigern. Was für ein Unterschied! Ihre Titten verband ich mit Honig und Milch, obgleich ich nicht genau wusste, was Honig war. Es musste etwas sehr Süßes gewesen sein. Nippel waren natürlich nur in ideeller Weise süß, während die Monsterzigarette einen Geschmack hinterließ, der aus einer Vorhölle stammen musste. Erstaunt stellte ich fest, wie das Gift in mir stärker wurde und mich zu spalten begann. Etwas in mir war höchst amüsiert, versuchte dies zu artikulieren, während ein anderer Teil von mir mit Argwohn, Misstrauen alles und jedes aufnahm, was meine Kameraden als Lebenszeichen von sich gaben. Während Peter irgendwie versteinert da saß, begannen Katharina und Paul zu lachen. Es schien unmotiviert zu sein, aber dennoch war es gegen mich gerichtet. Mich amüsierte der Gedanke, dass man sich gegen mich verschworen hatte, ein Eindruck, der schnell einer tiefen kreatürlichen Angst Platz machen konnte. Beides konnte auch gleichzeitig sein, während ich feststellte, dass die Droge immer stärker zu wirken begann. Irgendwie musste ich auch versteinert dasitzen, sagte manchmal irgendetwas, um etwas zu sagen, um den Eindruck zu hinterlassen, ich hätte alles im Griff. Vielleicht ging es jedem so, vielleicht lachte Paul aus Angst. Diese Überlegungen halfen nicht, den Eindruck des Komplotts gegen mich aufzuheben. Ich war in den Fängen des Bösen, Katharina wollte mich vernichten und Peter und Paul waren ihre hörigen Sklaven. Ob dieses Gedankens nahm ich einen kräftigen Schluck Weißwein, dessen Alkohol aber frühestens in fünf bis zehn Minuten in meinem Blut zur Wirkung kam. Eine Zigarette half nicht. Statt mir Angst zu nehmen, schien sie die Droge zu verstärken. Paul begann, gegen sich selbst 9x9 Go zu spielen, während Peter ein bisschen an seiner Herrin fummelte, mit der ich mich zu verbünden suchte. Wenn ich etwas konnte, dann war es, Scheinheiligkeit zu wahren. Gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Ich erlaubte mir ein paar Frechheiten, lobte ihre Titten, versuchte sie anzubeten, hegte die Hoffnung, es wäre ihr so heiß, dass sie sich auch ihrer Hose entledigen würde. „Eine Göttin kennt keine Scham“, sagte ich. „Ich kann auch genau die Stellen einer Göttin benennen, die ihr Macht geben.“ - „Was sind das für Stellen?“, fragte Paul mich, abgelenkt von seinem Spiel. Sollte ihm die Göttin selbst erklären. Ich versuchte zu lächeln. Die gefühlte Temperatur dieses Lächeln musste sich unterhalb des Gefrierpunktes befinden. Katharina lächelte zurück und dabei wurde mir sehr, sehr kalt. Niemand argumentierte gegen meine Gotteslästerei. Katharina, Göttin des Bösen drehte eine weitere Monsterzigarette und mir schien es so, als ob sie noch mehr von dem braunen Zeugs in der Zigarette verarbeitete. Ich musste gute Miene zum bösen Spiel machen und lächelte. Fertig war das Teufelsding. Sie rauchte an und gab das Monster zu mir. Ich übertraf mich an Mut, zog kräftig, ohne erneut husten zu müssen. Ein mildes Lächeln setzte sich in meinem Gesicht fest, gefühlte Temperatur um die 37 Grad Celsius, optimal. Ich beobachtete das leichte Auf und Ab ihrer Brüste, Zeugnis ihrer ruhigen Atmung. Mich überkam ein Bedürfnis mit ihr zu schmusen, denn vielleicht war die Göttin nur eine unglückliche Fee, die sich nach meiner Wärme zehrte. Ich musste mich von meinen Widersachern befreien. Paul hatte Wichtigeres zu tun. Er hatte sein erstes Spiel beendet und prüfte das Ergebnis. „Wer hat gewonnen?“, fragte ich interessiert tuend. „Weiß ganz knapp bei sechseinhalb Komi“ Katharina fragte mich, ob ich Musik hätte. Ich bejahte und legte Bachs Toccata auf, Musik, die über dreißigtausend Jahre alt war, selbstverständlich eine Neuinterpretation eines Organisten hier aus Athens. Mit dem Auftakt der Musik wurde ich mir klar, in welch prekärer Lage ich mich befand. Ich war umringt von Feinden. Man wollte mich vernichten, wenn nicht heute, dann in nächster Zeit. Der vermeintliche private Untergrund war ein Wespennest von klerikalen Agenten, die mich ans Messer der geistlichen Justiz liefern wollten und Katharina war die Hure des hiesigen Bischofs. Weitere Züge an der Monsterzigarette überzeugten mich davon, dass die Droge Erkenntnis brachte, die Wahrheit aufdeckte. Ohne das Haschisch hätte ich meinen Freunden weiter vertraut, zwar eingeschränkt, aber mit jedem Bier fielen die Schranken. Cannabis brachte Wahrheit, die eine Wahrheit, dass ich im Grunde mein ganzes Leben verfolgt worden war. Wie sollte es auch anders in einem Überwachungsstaat sein? Man brauchte sich nur die Fratzen meiner sogenannten Freunde anschauen und die Fakten lagen klar vor einem. Cannabis brachte dies ans Licht und es schien so, das das Zeugs noch eine andere Eigenschaft hatte, denn bestimmte Passagen von Bachs Musik waren himmlisch, ein Eindruck, die mit einer neuen Qualität des Hören Hand in Hand ging. Mein Dauerständer deutete an, dass etwas anderes eine ebenso veränderte Qualität haben musste. Die Hure des Bischofs kannte sich bestens aus. Die Leichtigkeit der Musik machte mich lächeln und ich sagte der Agentenhure, dass sie schön sei. Mir kam es wirklich so vor, dass sie sich artig bedankte und einen Moment hatte ich Zweifel an meinen Verschwörungstheorien. Dann schien mir, ich sei von Freunden umgeben, die ein bisschen Spaß wollten und ihrer Neugierde nachgingen. Paul spielte intensiv Go und Peter wirkte nicht ganz so versteinert, versuchte eine Unterhaltung zuwege zu bringen. Er wollte uns klar machen, dass die Welt vermutlich für immer rätselhaft bleiben würde. „Deswegen glauben wir ja an Gott“, heuchelte ich. „Ich fühle mich Gott näher“, sagte er. Auch ihm hatte der Stoff neue Wahrheiten gebracht, aber das Echo meiner Überlegung führte zu der Gewissheit, dass er log. Ein Zweifel war nur kurz: Er war nicht näher an Gott, sondern saß näher an einer Göttin, die es hin und wieder zuließ, dass er sie befummelte. Und diese Göttin war die Hure des Bischofs, deren Verehrung sich in kraftvollen Stößen in ihren Schrein beschränkte aber auch manifestierte. Ich schaute in die ausdruckslose Fratze der Göttin und wusste, dass ich Gott nie so nahe gestanden hatte wie in diesem Augenblick. Gott würde mich vernichten. Die Tempelhure war nur sein Werkzeug, Peter und Paul himmlische Agenten oder Teufel. Ich versuchte, ein Weinen zu unterdrücken. Warum wirkten die Freunde mit ihren Bemerkungen so verletzend? War es nur Paranoia, die mich umtrieb? Die mäßige Paranoiavariante: Es waren Freunde, die mich nur verletzen wollten, den das schwang bei den Zweideutigkeiten, die ihre Worte hinterließen, mit. Cannabis brachte die zweideutige Wahrheit, denn die Wahrheit, über Universum und Leben ist immer zweideutig. Wenn man mehr rauchte, wurde aus Zweideutigkeit die Gewissheit, ans Messer geliefert zu werden. Ich bat Katharina, eine weitere Monsterzigarette zu drehen.

- 3 -

Das vierdimensionale Raumzeitkontinuum unterliegt dem Gesetz der Trägheit. Willkommen im gekrümmten Raum der eindimensionalen Trajektorien! Man verlange nicht zu viel vom Ensemble der Schwerpunkte. Willkommen in der Geradlinigkeit des gekrümmten Raumes, willkommen in der Welt ohne ein zurück!

„Paul, wir können nicht zurück, wir können nur voran. Steckt da ein tiefer Sinn hinter?“

„Das Multiversum haben wir bisher nicht entdeckt. Wir wissen nur von unserem Universum und in diesem Universum gibt es einen Zeitpfeil. Die Gesetze der Thermodynamik lassen keine Zeitreisen zu, Robert“

„Es gibt also nichts trennenderes als Weltraumreisen.“

„Aber natürlich. Du bewegst dich von einem Punkt zu einem anderen und diese Punkte sind natürlich getrennt, egal ob zeitlich oder räumlich.“

Sie sind in der Finder, ein Objekt, dass sich mit fast Lichtgeschwindigkeit von ihrer Heimatwelt wegbewegt. Sie werden New Avignon nie wiedersehen. Sollten sie versuchen, nach ihrer Mission zurückzukehren, wird es kein New Avignon mehr geben, denn es werden mehr als sechzigtausend Jahre vergangen sein. Sie können, wenn sie wollen, jeden Punkt im Universum erreichen, nur zurückkehren können sie nicht. Die Raumzeit hat etwas Trennendes, das verbietet, dass Reiche entstehen, die sich über die ganze Galaxie ausbreiten, denn es kann keine Kommunikation geben, es sei denn, es gäbe Leben, für das tausend Jahre ein kurzer Moment wären. Aber welche Physik lässt die Evolution solcher Organismen zu?

„Vielleicht ist die Raumzeit nur eine Täuschung?“

„Wie meinst Du das, Robert?“

„Das weiß ich selbst nicht so genau. Vielleicht will Gott uns nur narren. Er benutzt selber vermutlich eine Abkürzung.“

„Du glaubst doch gar nicht an Gott, Robert.“

„Deswegen bin ich vermutlich hier. Aber Du, Du glaubst doch an Gott. Ich habe nie verstanden, dass besonders intelligente Menschen an Gott glauben. Ich konnte aber auch nicht glauben, dass sie alle lügen. Du musst etwas verstehen, Paul, was ich nicht verstehe.“

Paul schweigt dazu.

„Gott hat so einen Schalter und kann instantan von einem Ort zu einem anderen reisen. Egal ob in die Zukunft oder in die Vergangenheit.“

„Gott ist nicht lokal“, widerspricht Paul.

„Aber er kann lokal in Erscheinung treten, mit Wunder und Ähnlichem.“

Paul schweigt. Er lässt sich nicht gern auf pseudo-theologische Diskussionen ein, nur dann, wenn er besoffen ist. Robert hat es nie verstanden, warum Paul mit von der Partie ist. Er hatte für New Avignon die besten Voraussetzungen.