Gawa - Heinz Andernach - E-Book

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Heinz Andernach

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Beschreibung

Geschichten um einen Riesenplaneten. Als ich diesen Roman begann zu schreiben, hatte ich im Prinzip eine bestimmte Welt vor Augen, die der Leser auch im Buch vorfinden wird. Worauf sollte der Roman hinauslaufen? Auf eine revolutionäre astronomische Entdeckung, die dann auch den weiteren Handlungslauf bestimmen würde.

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Inhaltsverzeichnis:

Kleines Vorwort

Vorbereitungen zu einer Expedition – Die Blaue Blume

Notorisch

Zena und Elea

Epilog

Glossar

Kleines Vorwort:

Ohne Galileo Galilei, Ferdinand Magellan, Christoph Kolumbus, Zenon von Elea und Kurt Vonnegut wäre dieser Roman nicht möglich gewesen. Man müsste noch viele andere nennen.

Die Verirrungen der europäischen Romantik spielten wohl auch eine größere Rolle.

Die Vorgeschichte gehört nur indirekt zum Roman

Entschuldigen muss ich mich für die vielen Fehler, die mir in der Verwendung der deutschen Sprache unterlaufen.

1. Teil Vorbereitungen zu einer Expedition - Die Blaue Blume

Kapitel 1

Die Nächte sind lang, etwa fünfhunderttausend Herzschläge eines ruhenden, gesunden Mannes. Herzen schlagen nicht gleich schnell und sie sind eher schlechte Uhren, gleichwohl gibt es einen Mittelwert aller schlagenden "ruhenden" Herzen, das lässt sich mit den Sanduhren gut bestimmen.

Die Herzen von Männchen schlagen etwas schneller.

Manchmal wollte das Herz von Hendrik schneller schlagen, wenn er an seine Pläne dachte, die gleichsam Träume, Phantasien und Wünsche waren. Sein Herz würde schneller schlagen, hätte er Gelegenheit mit reichen Kaufleuten zu verhandeln, um seine Träume Wirklichkeit werden zu lassen.

Diese Nacht war wieder eine helle Nacht, denn Lapetas schien. Dieses merkwürdige Himmelsobjekt war deutlich größer als die Sonne, sein Durchmesser war scheinbar etwa das Doppelte.

Aber was war Lapetas gegenüber der Sonne? Er spendete keine Wärme und das Licht, das in der Nacht von ihm ausging, reichte zwar, um im Dunkeln abseits der Öllampen die Wege zu finden, aber die Welt verlor im Dunkeln ihre Farben und es war dann auch nahezu unmöglich, im Lichte von Lapetas zu lesen.

Die Sonne brachte Licht und Leben, Knospen und Blüten öffneten sich, wenn sie aufging und sie schlossen sich, wenn sie unterging. Wenn das Reich der Dunkelheit begann, war es sogar nach sehr heißen Tagen möglich, dass gegen Ende der Nacht die Pfützen gefroren und dass Schnee fiel, der natürlich nie lange lag, denn durch die Kraft der Sonne schmolz er dahin.

Es gab Länder, in denen die Sonne als Göttin angesehen wurde und Lapetas als ihr Geliebter. Sie kamen zusammen, wenn Lapetas vergleichsweise kurz die Sonne verfinsterte.

"Es ist eindeutig Lapetas, der die Verfinsterung auslöst", dachte Hendrik.

Es musste so sein, dass in jeder zweiten Nacht Lapetas am Himmel erschien. Oft und regelmäßig gab es eine geheimnisvolle Verfinsterung von Lapetas, gerade dann, wenn dieser seine volle Phase erreicht hatte.

Die Nächte waren lang, die Tage aber auch und während Hendrik sich angewöhnt hatte, nachts vier längere Schlafphasen zu nehmen, waren es nur zwei kürzere Schlafphasen am Tag, das war das übliche bei den Menschen. Gegen Ende des langen Tages wurden viele doch sehr müde und begannen mit der Dunkelheit den ersten Nachtschlaf; viele verzogen sich gegen Ende der Nacht in die Betten, weil es draußen ungemütlich kalt wurde.

Als angehender Priester und Astrologe hatte Hendrik keine festen Schlafphasen, da er über das ganze Jahr die verschiedensten Himmelsbeobachtungen machen musste.

Er musste dies nicht nur, Astrologie war seine Leidenschaft. Das Amt eines Priesters interessierte ihn wenig, aber die Ausbildung zum Astrologen war mit der zum Priester verbunden, auch wenn er später als Wissenschaftler weniger Gottesfeiern zelebrieren müsste.

Die Aufgaben der Priesterkaste waren vielfältig und ihre Macht nicht unerheblich. Viele Jahre, ungezählte Nächte, hatte Hendrik nun den Nachthimmel beobachtet. Es müssen viele Nächte gewesen sein, denn ein Jahr hat ungefähr sechzig Nächte. Sechzig Nächte und sechzig Tage.

Sechsundzwanzig Jahre lebte Hendrik nun schon. Er wurde in der Nacht geboren, was selten ist. Ein gutes Omen für einen Astrologen. Selbstverständlich hatte er irgendwann die Himmelskonstellation zur Zeit seiner Geburt ausgerechnet. Er wurde am Anfang des letzten Viertels der Nacht geboren.

Alle Gestirne umkreisten ihre Welt, so hieß es seit Tausenden Jahren.

"Ist das wirklich so?", dachte Hendrik.

Ein Gedanke, nicht nur einmal gedacht, ein Gedanke, der in den abgeschlossenen Diskussionsrunden der Studenten geäußert werden durfte, nicht aber in der Öffentlichkeit.

Dies wäre ein Tabubruch mit Konsequenzen.

Kreiste wirklich alles um ihre Welt? Alles schien sich am Himmel zu wiederholen, ganz augenscheinlich war dies bei Lapetas mit seinen Phasen. Im Laufe eines Jahres wiederholten sich die Sternbilder am Himmel, dies war ganz genau, aber es gab Sterne am Himmel, es waren nur drei, die sich dieser Regelmäßigkeit widersetzten und es gab diese wenigen Objekte, ähnlich wie Lapetas, aber kleiner, bei denen man Phasen feststellen konnte. In der "Vollphase" waren es dann kleine Scheibchen; Kander hatte die Größe der Sonne.

Im Gegensatz zu Lapetas war ihr Erscheinen etwas schwieriger vorherzusagen. Man musste schon Astrologe sein, um die Regelmäßigkeit erkennen zu können.

Deutlich erkennbar war, wie der große Lapetas sich während einer Nacht über den Nachthimmel schob, von Osten nach Westen und dabei seine Phase veränderte. Die kleineren, dem Lapetas ähnliche Objekte bewegten sich viel langsamer über den Nachthimmel und man konnte die Objekte mehre Nächte hintereinander sehen, bis sie dann für eine gewisse Dauer am Tageshimmel verschwunden waren.

Die Astrologen nannten Lapetas und die ähnlichen kleineren Objekte Monde, die drei eher helleren, aber völlig unregelmäßigen Sterne Wandelsterne, deren Erscheinen die Astrologen gut berechnen konnten. Der Sage nach sollte es auch Sterne mit einem Schweif geben.

Priester mit Schwerpunkt in Astrologie werden oft als 1.

Offizier auf Handels- und Kriegsschiffen eingesetzt. Dies war auch der vorgezeichnete Weg für Hendrik. Er musste dafür aber in die bittere Frucht beißen, dass er priesterliche Zeremonien auf dem Schiff abhalten musste.

Er müsste Orakel befragen, die den richtigen Weg wiesen, er würde die Zeremonien bei Bestattungen, Hochzeiten und Geburten leiten.

Hendrik liebte die See, denn sie schien ihm der Schlüssel für die Geheimnisse, die ihn im Bann hielten. Er fand Trost in seinen naturwissenschaftlichen Studien und die religiösen Riten interessierten ihn wenig, er verabscheute sie sogar etwas und seine Mutter hatte früh dafür gesorgt, dass die ihm vorgegebene Priesterlaufbahn auch eine wissenschaftliche wurde, denn der Kleine hatte früh sein Interesse für die Sterne und die Natur bekundet.

Ein Teil der Priester bekam auch eine Ausbildung als Mediziner, eine umfassende Ausbildung über alles Lebende, über Tiere, Pflanzen und ihre Wirkstoffe. Die Mediziner kannten sich auch mit Mineralien aus, die sie dann für ihre Heilkunst, man könnte auch sagen für ihre Quacksalbereien benutzten.

Neben dem Studium der Astrologie mussten die Schüler die Mathematik erlernen, die geheimen Zahlen, das Wetter und die Kartographie. Astrologen wie Hendrik benannten die Abstände der Welt. Es zeigte sich dann der Mutter, dass der junge Hendrik größtes Interesse für die Sterne und die Abstände hatte, sie zog somit diese Richtung einer Ausbildung eines priesterlichen Mediziners vor.

Auf den größeren Schiffen und Karawanen war der priesterliche Mediziner nur der zweite Offizier, obgleich diese Priesterkaste im Alltag größere Macht hatte.

Von den vier Priesterkasten war die der Administratoren die mächtigste. Sie waren die unmittelbaren Berater der Könige, Fürsten, stellten die Minister und sprachen Recht.

Und die mächtigsten Priester der Administratoren hatten viele Priester der gleichen Zunft als Helfer. Die meisten Priester waren Administratoren.

Die vierte Priesterkaste, die der Philosophen, hatte die geringste praktische Macht, aber ihr Einfluss war trotzdem nicht unerheblich, da sie über den wahren Glauben wachten und mit ihren Dogmen den Rahmen absteckten. Nur selten leiteten sie eine Trauer- oder Geburtszeremonie, hielten ihre Gottesdienste für sich, weil das öffentliche Leben den Administratoren überlassen war.

Es gab aber Ausnahmen und die Ausbildung der Administratoren und Philosophen war ähnlich und umfasste das Studium der alten Schriften, die Geschichte, die klassischen Sprachen und den Gesang. Die Philosophen lebten in Klöstern. Je nach Orden wurden diese selbst bewirtschaftet oder von Sklaven. Manche Klöster bekamen regelmäßigen Tribut.

Die Ausbildung der Adeligen wurde auch von den Priesterkasten geleistet, im wesentlichen von Mitgliedern der administrativen und philosophischen Kaste.

Menschen sind sich oft uneins, wie man am besten zu den absoluten Wahrheiten gelangt: die einen schwören auf Askese, die anderen auf Völlerei, wieder andere fordern absolute Nüchternheit oder den Rausch als Voraussetzung, um an die Quellen der Erkenntnis zu gelangen.

Ein feucht-fröhliches Kloster zu Ehren der Göttin des Rausches Pala hatte für ihn durchaus seine Anziehungskraft, aber auch hier galt das Zölibat.

Gerüchten zufolge, es war wohl eine Studentenmär, gab es im weiten Land, vermutlich versteckt in unwegsamen Berglandschaften ein Kloster, geweiht der Göttin Pala, aber auch der Liebesgöttin Lala, in dem unentwegt gevögelt wurde, in dem die Pflicht bestand, zu vögeln, in dem ein rauschhaftes Fest dem anderen folgte, zu dem Fässer mit Wein gekarrt wurden, Schlachttiere zum Grillen. Es sollte dort Kräuter und Samen zum Rauchen mit betäubenden und geheimnisvollen Ingredienzen geben, aus heimischen und fernen Gefilden, deren Namen unbekannt sind und über dessen Wirkung man flüsterte.

Auch die Blaue Blume sollte dort im Übermaß konsumiert werden.

Gab es dieses Kloster wirklich? So viel Hendrik missfiel, dass in gewöhnlichen Klöstern nicht gevögelt werden durfte, konnte er sich nun auch nicht vorstellen, dass die aufoktroyierte Orgie und der verordnete Rausch seine Sache sei. Inwieweit vertrug sich solch ein Kloster mit Tradition und Religion? Unter den Priesterzöglingen war dieses ominöse Kloster eher selten Thema von spekulativen Gesprächen, insbesondere wenn man trank und die Absicht hatte, über die Stränge zu schlagen.

Dieses Kloster war sicher eine Fantasie, die irgendwie am Leben gehalten wurde, weil es immer schon so war.

„Man ist von einem Gespinst von Lügenmärchen umwoben, manche Lügenmärchen regen aber durchaus die Phantasie an.“

Hendrik hatte schlafen wollen, konnte aber nicht. Er argwöhnte, dass diese Störung, die immer häufiger auftrat, von seiner Mutter vererbt war, die desöfteren im engeren familiären Kreis darüber klagte. In öffentlichen Kreisen redete man überhaupt nicht über so etwas.

Er hatte keine Lust, die Planetenbeobachtung fortzusetzen, zumal die Wetterbedingungen dies nur schlecht zuließen, immer wieder bedeckten Wolken den Planeten, der in kürzerer Zeit hinter Lapetas verschwinden würde.

„Man sollte Astrologen in die Wüste schicken“, dachte Hendrik. „Für Wein, Weib und Gesang sollte aber gesorgt sein“.

Nur im äußersten Südosten ihres Reiches gab es Wüsten, die sich weiter auf Nachbarländer erstreckte, die hin und wieder von Karawanen durchquert wurden. Sie brachten Handelsgüter, vor allem die wertvollen Gewürze, Drogen und andere Arzneien, seltene Metalle und Mineralien, getrocknete Früchte mit ganz wunderbaren Aromen.

„Ich sollte die Gelegenheit nutzen, um Janas einen Brief zu schreiben. Ich will ihn endgültig für mein Projekt gewinnen.“

Janas war ein Freund aus alten Kindertagen, ein Männchen, das die Priesterausbildung zum Mediziner absolvierte, auch kurz vor dem Abschluss stehend wie er, ähnlich kritisch wie er. Janas glaubte auch nicht alles, was man gemeinhin sagte, glaubte nicht alles, was überliefert und geschrieben war. Janas hatte natürlich einen völlig anderen Fokus auf die Welt, für ihn eine Welt der Stoffe, die der belebten und unbelebten Welt und schließlich eine Welt von Leben und Tod, eine der Geburt und des Sterbens, der der Krankheiten und der Heilprozesse.

Hendrik würde für sein Vorhaben einen guten Mediziner brauchen.

Janas war ein guter Freund, Janas wollte ihn aber keinesfalls vögeln, weil er wie Hendrik selbst auf Sex mit Frauen stand.

Hendrik war nur ganz wenige Male in seinem Leben gevögelt worden. Es hatte ihm keine Lust gebracht und schwanger werden wollte er auf keinen Fall; es wäre das Ende seiner Priesterkarriere gewesen.

So gesehen war seine Scheide sehr überflüssig, während sein Glied, sein Schwanz, wie man so sagte, ein Quell von größter Lust sein konnte. Die meisten der zwittrigen zweigeschlechtigen Männer empfanden Lust durch ihr Glied, viele ließen sich aber auch gern vögeln. Er hatte auch keine Lust, zwittrige Männer zu vögeln, ein Umstand, der in den alten Schriften als eine Störung der Psyche angesehen wird.

Die Temperaturen draußen waren noch erklecklich.

„Warum nicht in ein Bordell gehen?“

Dort warteten Exemplare aller Geschlechter darauf, dass man mit ihnen für Geschenke oder Geld vögelte. Sein Sexualtrieb kam ihm nicht unerheblich vor, nur ungern wollte er während seines Vorhabens, während seiner Expedition auf das Vögeln verzichten.

„Huren für die Mannschaft?“ Ein absurder Gedanke.

Ein anderes Problem: Wie konnte er die Leitung des Projektes bekommen, wenn Astrologen immer nur die ersten Offiziere auf Schiffen stellten?

Hendrik zog sich nochmals den Mantel an und begab sich aufs Dach des Gebäudes, in dem er wohnte, ohne nun irgendwelche Instrumente mitgenommen zu haben. Wenn seine Zeit richtig ging, musste nun bald der Zeitpunkt kommen, zu dem Lapetas den Wandelstern überdeckte.

Und er hatte Glück. In Richtung Lapetas waren die Wolken aufgerissen. Er sah Wandelstern und Mond, es konnte nur noch wenige hundert Herzschläge dauern, bis der Wandelstern hinter Lapetas verschwand. Insofern waren die Traditionen großartig, weil man mit den Zeittafeln genaue Vorhersagen von Überdeckungsereignissen machen konnte. Es war offensichtlich, dass der Planet hinter dem Mond und nicht vor dem Mond verschwand.

Seine Zeit stimmte sehr gut mit der Vorhersage überein.

Lapetas war in Phase, ein Halbmond, und der Planet, wenn er vor Lapetas herziehen würde, würde noch vor der dunklen Hälfte von Lapetas zu sehen sein, aber das war nicht so, denn die dunkle Hälfte von Lapetas verschluckte den Planeten. Er würde erst wieder rechts neben dem Halbmond erscheinen, nachdem er Lapetas hinter sich gelassen hatte. Wenn die Sicht gut war, konnte man viele solcher Überdeckungen mit gewöhnlichen Sternen sehen, auch sie standen hinter Lapetas.

„Alles eine Frage der Distanzen.“

Das Schauspiel dauerte nicht lange; der Planet tauchte wieder auf, direkt neben der Sichel.

Hendrik zog sich wieder zurück in die Wohnung und machte sich seine Notizen. Die Theorie war Hunderte Male bestätigt worden, so auch jetzt. Die alten Schriften hatten in diesem Fall wie immer recht, waren wahr, aber alles in allem misstraute Hendrik den alten Schriften und Traditionen, ein Misstrauen, das nicht leicht zu erklären war.

Sein Freund, der Mediziner, hatte größere Probleme, korrekte Vorhersagen zu machen, insbesondere wenn es um den Verlauf kritischer Krankheiten ging. Die Frage, ob Überleben oder Sterben folgen würde, waren im vornherein nicht zu beantworten, genauso wenig wie der Zeitpunkt des Todes oder der Gesundung.

An sehr vielem zweifelnd, konnte sich Hendrik auf die Kalenderdaten seiner Wissenschaft verlassen. Ein merkwürdiges Paradox seiner wissenschaftlichen Arbeit.

Zurück in seiner Wohnung nahm er noch ein Glas vom dunkelroten Wein. Sollte er von den Schlafmitteln nehmen oder seinem Freund Janas einen langen Brief schreiben bis er müde wurde?

Vielleicht sollte er wirklich ins nahe Bordell gehen, das man zur jeder Zeit aufsuchen konnte, auch in der tiefsten, kältesten Nacht.

Er hätte dabei keine größere Angst, aufzufliegen.

Hendrik versuchte, sich warme Gedanken zu machen.

Der Wein war noch längst nicht geleert. Das Geschmackserlebnis an Zunge und Gaumen sagte ihm, noch etwas zu bleiben und einen Brief an seinen Medizinerfreund aufzusetzen. Er setzte sich wieder an seinen Arbeitstisch, auf dem noch die Notizen zur Bedeckung lagen. Er verschaffte sich etwas Ordnung und begann mit seinem Brief.

Lieber Janas,

Warum sind die Nächte derart, dass sie mich nicht schlafen lassen? Beim letzten Mal habe ich diese Probleme schon angedeutet. Man spricht nicht gerne darüber und du hast mich mit deiner langen Antwort in die Welt der Schlaf fördernden Substanzen eingeführt, mit dem Verweis, bei ihrem Gebrauch Vorsicht walten zu lassen. Ich habe mich daran gehalten. Bedauerlicherweise hilft der Wein, früher ein zuverlässiger Förderer des Schlafes, inzwischen nicht mehr viel. Aber ich habe nicht zur Feder gegriffen, um zu klagen. Eine Weile habe ich mit dem Gedanken gespielt, ins benachbarte Bordell zu gehen, um mit den Huren dort zu feiern und zu vögeln.

Nach einer kleinen Orgie schläft es sich manchmal zufriedenstellend. Du kennst ja das Haus, in dem wir mehrere Male auch gemeinsam eingekehrt sind. Ich kenne die eine oder andere Hure schon besser. Die kleine Dralle, die dir so gut gefiel, sodass du vor Verzückung poetische Strophen formuliert hast, arbeitet immer noch da, obgleich ich nicht weiß, zu welchen Zeiten sie auf ihre Freier wartet. Auch Huren müssen schlafen.

Es war aber nicht das fehlende Gold, was mich von einem Bordellgang abhielt. Habe gerade ein kleines Säckel von der lieben Mutter bekommen und der Unterricht reicher Kaufleute und deppernder Adeligen bringt auch etwas, zumal sie auch gerne astrologische Weissagungen hören.

Mein Anliegen ist mir zurzeit wichtiger als die Huren im Bordell, auch zieht mich das ganze nicht mehr so an und ich muss zugeben, dass dieser Wein, der vor mir steht und einen wunderbaren Geschmack entfaltet, tut auch das seine, um zur Feder zu greifen, denn bei gutem Wein schreibt sich so schön.

Wir beide stehen am Ende unserer Ausbildung und unsere Zukunft ist ungewiss, wenn wir sie selbst nicht in die Hand nehmen, aber auch dann. Aber eins scheint gewiss:

die Dienste und Arbeit eines gewöhnlichen Priesters unserer Metiers kann eine äußerst langweilige Geschichte werden. Wir könnten zu Buchhaltern unserer Wissenschaften werden, ohne jeden geistigen und legalen Freiraum für Forschung, der uns vorschwebt. Habe mir vorhin die Bedeckung des Planeten Tave durch Lapetas angesehen, ohne dabei größere Befriedigung dabei verspürt zu haben. Wie präzise doch die Alten solche Ereignisse vorhersagen können, aber ich bin letztendlich überzeugt, dass wir nicht viel wissen. Wir kennen weder die wahren Zusammenhänge des Kosmos, noch wissen wir die entscheidenden Fakten über unsere Welt.

Ich bin beseelt davon, zu beweisen, dass die Welt nicht unendlich ist, aber sie hat auch keine Ränder.

Lieber Janas, ich habe desöfteren davon gesprochen und vielleicht hast du alles bisher als phantastischen Jugendtraum abgetan. Es sei gestattet, dass die Jungen träumen, aber auch die Älteren, aber was gewiss als Traum begann, ist fester Bestandteil meines Willens geworden. Es soll unser Lebenswerk werden, den Charakter unserer Welt offenzulegen. Niemand weiß, wie groß unsere Welt ist, aber das sie schier unendlich ausgedehnt ist, finde ich mehr als zweifelhaft, denn dann müsste sie große Löcher aufweisen, in dem die Monde, die Sonne und die Sterne verschwinden, wenn sie untergehen und auf ihrer anderen Seite ebenso, damit sie dort wieder auftauchen können. Die Antwort der alten Schriften und die der Philosophen ist orakelhaft, aber letztendlich gehen sie von einem Ende der Welt aus, dass die Götter von mächtigen Dämonen bewachen lassen.

Sind das Märchen für Kinder? Keiner weiß, wie groß unsere Welt ist, die aus Land und Wasser besteht. Selbst wenn man über Jahre in die fernsten Länder reist, stößt man irgendwann ans Wasser, an den Ozean. Es gibt das riesige Mittelmeer, das zwischen bedeutenden Städten liegt, aber man weiß ja das dieses Mittelmeer nur ein großer Ausläufer des Ozeans ist, und um nach Dongothea zu reisen, müsste man nicht unbedingt eine Karawane ausrüsten. Der übliche Weg, zur Hafenstadt Perses oder Lapa, von dort übers Mittelmeer und so fort, man könnte auch von unserem Hafen in langer Fahrt die Küste entlang den Eingang des Mittelmeers erreichen, um von dort weiter nach Dongothea zu reisen. Ich glaube nicht an Dämonen, die das Ende der Welt bewachen, aber man darf das eigentlich nicht schreiben, schon gar nicht als Priester.

Keiner weiß, wie groß unsere Welt ist, aber ich erlaube mir zu sagen, dass ich eine Ahnung habe. Sie ist drei bis fünfmal so groß wie die bekannte Welt und wenn ich von hier, dem einem Landende der Welt im Westen starte und den Ozean gegen Westen zu segeln, so wage ich zu behaupten, dass ich ans andere Landende der Welt im Osten gelange. Wie ist das möglich, wirst du mich erneut fragen und ich antworte dir: weil unsere Welt die Oberfläche einer Art Balls ist. Wenn du dich für die Begründung dieser These interessierst, lasse es mich wissen. Du bist wissenschaftlich ausgebildet, wenn auch nicht unbedingt in den geometrischen Wissenschaften. Ich will unter meiner Führung eine Schiffsexpedition starten, die gegen das Ende der Welt segelt. Möglicherweise treffen wir sogar, wenn wir viele „Stadien“ gegen Westen gesegelt sind, auf ein weiteres großes Land, von dem wir nichts wissen. Dieses müsste man umsegeln oder die Expedition müsste auf Land fortgeführt werden , aber wie dann nach Ladano kommen? Eigentlich glaube ich nicht an das große Land. Es ist tiefe Nacht und Zeit für Träume, aber meine Vision ist mehr als ein Traum. Mein Wille, alles zur Wirklichkeit werden zu lassen, wächst von Tag zu Tag. Am anderen Ende der bekannten Welt locken vieler Art Reichtümer, doch die Reise dahin über Land ist beschwerlich und dauert lange, weil Wüsten und hohe Gebirge überwunden werden müssen, zudem verlangen fremde Fürsten Wegegeld und Zölle. Die Reise mit dem Schiff, an der Küste entlang, ebenso beschwerlich und gefährlich, weil man ganz im Norden und ganz im Süden ins Eismeer gelangt, mit fürchterlichen Nächten. Die Windverhältnisse sind unberechenbar und teilweise sehr stürmisch. An den nördlichen und südlichen Küsten lebt kaum jemand und diese Gegenden sollen auch Rückzugsgebiet von Piraten sein. Der Weg direkt nach Westen wäre vermutlich der bequemste und einfachste Weg, um an das östliche Ende unserer Welt zu gelangen, nur hat es bisher keiner gewagt, ob der Mär über die Dämonen wegen oder einfach, weil der Ozean so weit ist.

Wenn auch das Mittelmeer übersät ist mit kleineren Inseln, so sind sie im westlichen Ozean doch selten und Fortunas ist der letzte Vorposten vor dem Ende der Welt.

Von anderen, weiter westlich liegenden Inseln ist nichts bekannt. Ich werde an die Gier der Kaufleute appellieren.

Die Habgier wird es sein, die den wissenschaftlichen Fortschritt fördern wird. Ich glaube kaum, dass ich den König und die Administratoren, unsere wissenschaftliche Akademie für die Unternehmung gewinnen kann. Vom König ist wenig Hilfe zu erwarten, mag er auch aufgeschlossen sein, was ich nicht weiß, aber er steht letztendlich unter dem Einfluss der Administratoren, die auch in der Akademie das Sagen haben und diese können der Unternehmung nicht zustimmen, da die Hypothesen, die zur Unternehmung führen, konträr zu unserer Religion stehen. Wenn ich auch den einen oder anderen Administrator unter vier Augen überzeugen könnte, in der Öffentlichkeit dürfte er dies nicht zugeben. Eine offizielle Forschungsmission kann man also vergessen.

Mit meiner Ernennung zum Priester werde ich ein sehr gutes Zeugnis bekommen, aber ich muss zugeben: mir fehlt jede praktische Erfahrung. Sicherlich würde man mir bei einer freien, zu besetzender Stelle die Position des ersten Offiziers zuweisen, da ich ja bewiesen habe, dass ich das Handwerk der Astrologie und auch dass der Navigation verstehe, aber würde ein Kaufmann, der bei Sinnen ist, mir die Leitung einer Expedition anvertrauen, die möglicherweise mehrere Schiffe braucht, um erfolgreich zu sein? So scheint doch alles ein Traum zu bleiben. Ich brauche deine Unterstützung. Nicht nur dass es ein großer Wunsch ist, dass du mich bei meiner Expedition begleitest, denn ein guter Arzt wird bei einer solchen Unternehmung immer gebraucht, und wenn es denn sein sollte, dass wir statt des östlichen Endes des bekannten Landes erreichen, völlig fremdes Land erreichen, wärst du der beste, der die vermutlich fremden Pflanzen, die unbekannten Tiere erforschen könnte. Wir wissen ja, in den von uns weit entfernten Ländern gibt es ganz andere Tiere und Pflanzen, weil ja das Klima oft ein anderes ist. Wie wäre es in einem völlig unbekannten Land? Ich habe gesagt, ich glaube nicht an das unbekannte Land, aber wirklich sicher bin ich nicht. Wie kann ich dich gewinnen? Ich brauche dich als Begleiter, aber auch als jemanden mit einem gewissen Einfluss und wertvollen Beziehungen. Ich denke an die reichen Kaufleute unserer Generation. Die jüngeren sind meinen Ideen sicherlich aufgeschlossener und du hast stärker wie ich in den Kreisen junger Reicher verkehrt. Hast du eine Idee? Ich hoffe, du antwortest nicht, dass du alles doch recht abwegig findest. Wenn du dir unsicher bist: ich würde dich besuchen, wenn ich demnächst Zeit habe. Wir könnten alles ausführlich besprechen. Ich kenne dich.

Diese Expedition übt auch auf dich einen großen Reiz aus, viel mehr, als in irgendeiner Stadt die Aufgaben eines Arztes auszuüben. Ich feile inzwischen an meinen Plänen.

Ich denke, ich muss mit sehr konkreten Plänen aufwarten, um einen risikobereiten Geldgeber zu finden. Konkrete Pläne, aber vielleicht auch mit irgendwelchen Märchen, Versprechungen von unermesslichem Reichtum, die ich schließlich nicht einhalten kann. Mir selbst ist der Reichtum völlig egal und ich weiß, ich kann dir das getrost schreiben, ohne das du mich als weltfremd abtust.

Gegenüber dir kann ich mir diese Offenheit erlauben.

Vielleicht muss ich bei meinen Gönnern den Eindruck hinterlassen, auch mich umtreibt die Gewinnsucht, was ja einem Priester eh schlecht zu Gesichte steht, obwohl ja jeder weiß, dass auch Priester gerne ihr Säckel aufhalten.

Man wird argwöhnen, dass ich solch eine Unternehmung gar nicht führen darf und es ist nicht leicht, sich zu entbinden. Ich gebe zu, so manches an meinen Plänen und Ideen scheint nicht ausgereift zu sein. Ich arbeite daran!

Wir brauchen den Kaufmann, der uns vertraut. Der Wein steigt mir langsam in den Kopf. Du hast davor gewarnt, die meisten Schlafmittel zusammen mit Alkohol zu nehmen. Beim Harz könne man eine Ausnahme machen, schreibst du weiter. Ich habe mir fast alle die Substanzen, die du im letzten Brief aufgelistet hast, beim Apotheker erworben, auch dieses Harz. Ich habe es noch nicht ausprobiert und auch etwas die Alpträume gefürchtet, die man davon bekommen kann. Aber es sei zuverlässig schlaffördernd sagst du, wenn auch die nicht erwünschten Träume kommen können. Es sei auch nicht so gefährlich schreibst du. Ich werde es gleich ausprobieren. Dieser Brief werde ich am nächsten Morgen zur Post bringen.

Hoffe von dir zu hören.

Dein Hendrik

Hendrik schlief dann mithilfe des Harzes vielleicht zwanzigtausend Herzschläge. Es bildeten sich schon fantastische Gedankengebilde, bevor er sich zu Bett gelegt hatte. Es waren vor allem Fantasien erotischer Natur.

Schließlich im Bett verstärkte sich alles und hätte das Harz nicht zusätzlich eine angstlösende Wirkung besessen, wäre die Intensität, die brachiale Gewalt der Visionen unerträglich und schweißtreibend gewesen. Im Strudel der Bilder verlor sich Hendrik schließlich. Es ist schwer zu sagen, ob sein Bewusstsein den inneren Sinnesrausch noch wahrnahm.

Die lange Nacht war weiter fortgeschritten, als Hendrik aufwachte. Das Gefühl einen erholsamen Schlaf hinter sich zu haben, wollte sich bei ihm nicht einstellen. Eine Erinnerung an die Gewalt der Träume war vorhanden. Es war kühler als vor seinem Schlaf und er suchte sich wärmende Sachen.

„So eine Nacht könnte auch kürzer sein“, kommentierte er gedanklich die Tag-Nacht-Verhältnisse auf seiner Welt.

Als Astrologe hätte er ja die Nacht schätzen müssen, aber das Vermessen der Sternenpositionen und die damit verbundene Bestimmung des Kalenders standen für ihn für das Alte. Die Vorhersagen trafen sehr genau ein, aber für ihn waren es Vorhersagen, die verbunden waren mit einer völligen Ahnungslosigkeit über die bewirkenden Ursachen. Seine Priesterkaste zelebrierte die Ahnungslosigkeit.

Er wandte sich seinen Notizen zu, die ungeordnet auf dem Arbeitstisch lagen.

„Das unbekannte Land“, dachte er.

Das unbekannte Land konnte sein Projekt sehr erschweren oder gar unmöglich machen. In einer gewissen Naivität hatten seine Gedanken dieses Land immer ausgeschlossen. So groß wie die bekannte Welt konnte es eigentlich nicht sein, da dies den Anteil des Ozeans kleiner machen würde, wenn er von seiner Schätzung über die Größe der Welt ausging. Ein weniger ausgedehnter Ozean hätte es aber viel wahrscheinlicher gemacht, dass man schon vor vielen Jahrhunderten das unbekannte Land entdeckt hätte. Der Ozean hier im äußerten Westen ihrer Welt musste sich weit nach Westen erstrecken. Eine Überlegung, die dazuführte, dass es die Barriere, das unbekannte Land nicht gab. Aber was war zu tun, wenn die Barriere doch existierte? Es würde die Expedition um zig Tage, wenn nicht Jahre verlängern. Man könnte versuchen, das unbekannte Land zu umschiffen, was ähnlich langwierig sein könnte wie die Umschiffung der bekannten Welt. Vielleicht wäre sie gar nicht möglich, weil sich die Barriere vom Nord- bis zum Südeis erstrecken könnte. Andererseits, was machte es für einen Sinn, Schiffe zurückzulassen, um über Land weiter nach Westen zu ziehen, um schließlich an den Teil des Ozeans zu gelangen, den man den Östlichen nennt? Der Beweis, dass die Welt die Form eines Balls hat, stünde weiter aus.

Die Barriere durfte nicht existieren.

Hendrik würde nun etwa weitere zwanzigtausend Herzschläge die Nacht durchwachen, um dann ihren Rest bis in den langen Morgen hinein zu schlafen. Beim Barriereproblem kam er nicht weiter, zu wider war ihm der Gedanke, sich darauf verlassen zu müssen, dass glückliche Umstände die Barriere passierbar machen, natürlich auch das Gegenteil, wenn es eine unüberwindbare Barriere gäbe, die alle seine Pläne zunichtemachte. Er wollte seine Hypothese beweisen können, unabhängig von der Topografie seiner Welt Er zog sich seinen Fellmantel an, verließ das Haus und ein recht kalter Wind blies ihm entgegen. Der Himmel war inzwischen völlig bewölkt, auch von Lapetas war nichts zu sehen.

„Es wird Schnee geben und das im Frühsommer.“

Irgendein Impuls wollte ihn zuerst ins Freudenhaus lenken, vielleicht waren es die induzierten Träume des Harzes, die nachwirkten und diese Regung in ihm hervorbrachten, aber vielleicht waren es auch gerade diese Träume, die ihn schließlich bewegten, die Stätte des käuflichen Sex links liegen zu lassen, um zielstrebig das Wirtshaus „Zur gemütlichen Ecke“ anzusteuern, das an der Ecke Berg- und Fortunasgasse lag. Sie heizten dort ordentlich und innerlich konnte man sich auch mit Glühwein und Grog aufwärmen. Ihm war erstmal nicht nach Alkoholischem, sondern er würde einen der belebenden Tees bestellen und etwas Fleisch mit Hülsenfrüchten essen. Wenn er länger bliebe, würde er sich später noch Alkoholisches genehmigen. Nachts aß man in der Regel weniger als tagsüber, dies galt nicht nur für die Menschen, sondern auch für die nicht nachtaktiven Tiere, aber ihm schien es so, dass zivilisatorische Aspekte des Lebens den natürlichen Rhythmen des Lebens zuwiderliefen. Vielleicht wurden die Menschen immer mehr nachtaktiv, angeführt von denen, die die Astrologie im Blut hatten.

Kurz bevor er „Die gemütliche Ecke“ betrat, begann es etwas zu regnen. Das Wirtshaus war jetzt gut besucht, insbesondere von Jüngeren aller Geschlechter. Es gab noch einige freie Tische, aber er steuerte die Theke an, begab sich neben einem alten Männchen, von dem er erwartete, dass von ihm keine dumme Anmache ausging.

Das Männchen trank von einem Wein, dessen Flasche wertvoll wirkte. Hendrik begrüßte den Alten, stellte sich als angehender Priester für Astrologie vor und damit hatte er alle Höflichkeitsrituale eingehalten. Das Männchen schien ihn zuerst nicht begrüßen zu wollen, aber es war ja das Recht der Alten eigenwillig zu sein. Er schätzte das Männchen auf knapp siebzig Jahre, die Altersspuren waren deutlich, aber es machte noch einen rüstigen, gesunden Eindruck.

Bei der Wirtin, einer Frau in mittleren Jahren, bestellte er einen schwarzen Tee und ein Hühnchenspieß mit Bohnen in roter scharfer Sauce. Das Wirtshaus wurde von einer Familie geführt, deren Mitglieder in unterschiedlichen Schichten die Gäste bedienten und bekochten. Am Ende der Sommerperiode schloss man aber das Wirtshaus für ein paar Tage und Nächte.

Aber es gab ja nicht nur dieses Wirtshaus, das aber Hendrik das liebste war. Unerwünschte Anmache war hier eher selten.

Hendrik hatte den Alten hier noch nie gesehen, aber seine Neugier, um wen es sich hier handelte, hielt sich in Grenzen. Er wollte nur unter Menschen sein, sich aber nicht unbedingt unterhalten. Oft konnte er an der Theke besser nachdenken als im Hause an seinem Arbeitstisch, im Grunde war dies aber themenabhängig und hing von der Art des Problems oder des Gegenstandes ab, der bedacht sein wollte. Bestimmtes eignete sich für einsame Wanderungen, anderes gelang im Bett, der Arbeitstisch war natürlich für Gedanken, die Notizen bedingten, nützlich, und es gab die Themen, gemacht für hier an der Theke.

Das Männchen machte zuerst keine Anstalten, ein Gespräch zu beginnen.

„Gut so“, dachte Hendrik.

Es zupfte sich an seinen grauen Bart, so als wollte es sich von seiner Existenz überzeugen. Nicht nur der Wein, sondern auch die Kleidung des Alten machte den Eindruck, ein wohlhabendes Exemplar der Gattung Mensch neben sich zu haben. Vom guten Wein nahm es bedächtig und es machte keinesfalls den Eindruck, betrunken zu sein oder die Absicht zu haben, betrunken zu werden.

Hendrik verzehrte mit großem Appetit das Hühnchenfleisch. Auch die scharfen Bohnen waren gut wie immer. Er hatte sich angewöhnt, immer schärfer zu essen, auch begann er zu schätzen, wenn etwas mit einer gewissen Kochkunst zubereitet war. Das Fleisch war eindeutig mariniert worden, was ihm einen leicht süßsauren Geschmack gab. Gewürze aus exotischen Ländern, die Hendrik noch nicht bereisen konnte, steigerten das Geschmackserlebnis. Exotische Länder am östlichen Rand der bekannten Welt, zu denen er auf bisher unbekannten Wegen gelangen wollte. Würde er die direkte Seepassage dorthin entdecken, könnte er die Laderäume seiner Schiffe mit solchen Genüssen füllen. Er wäre ein reicher Mann, was ihm aber gewissermaßen egal war, denn Geld war für ihn nur ein Mittel zum Zweck, sein besonderes Ziel zu erreichen und seine Theorien zu bestätigen.

„Vorzüglich“, sagte er zur Wirtin, gab den leeren Teller und das Besteck zurück und wollte sich weiter in seine Gedanken vertiefen.

„Manchmal sagen auch Priester die Wahrheit.“

„Wie bitte?“, reagierte Hedrik auf die Äußerung des Männchens.

„Ich meine, dass Lügner von Berufs wegen auch manchmal die Wahrheit sagen.“

„Und welche Wahrheit habe ich geäußert?“

„Vorzüglich. Das Hühnchen hier ist wirklich vorzüglich.

Es handelt sich hier zwar um eine subjektive Wahrheit, aber immerhin eine Wahrheit und das von einem Priester.“

„Von einem angehenden Priester. Möglicherweise sind diese noch dazu befähigt, Wahrheiten auszusprechen.“

„Ja, wenn die jungen Zöglinge erst mal die Weihen erhalten, ist alles zu spät. Sie werden zu professionellen Lügnern.“

Hatte Hendrik sich getäuscht und das Männchen war doch angetrunken? Es amüsierte ihn etwas. In Gegenwart eines Priesters zu behaupten, diese seien professionelle Lügner war per se eine Ordnungswidrigkeit und zudem eine Beleidigung, die eine Anzeige nach sich ziehen konnte mit einer nicht unerheblichen Bestrafung, Hendrik musste sich da selbst vorsehen.

Plätze wie dieses Gasthaus, Kneipen allgemein, waren aber gewissermaßen Freiräume, für die die Obrigkeit duldete, dass gelästert wurde. Im Rausch ausgesprochene Beleidigungen und Ketzereien wurden nicht ernst genommen, toleriert und ignoriert.

„Wer sind sie, dass sie zu solchen Aussagen kommen?“

„Mein Name ist Cleptos, der Kaufmann.“

„Priester lügen also?“

„Besonders ihr Astrologen lügt.“

Hendrik stutzte.

„Wir bestimmen die Zeit, den Kalender, führen die Navigation und versuchen uns in Vorhersagen des Wetters, niemand ist so präzise wie wir.“

Das Männchen lächelte.

„Ihr könnt gleichzeitig wahr sprechen und lügen.“

„Wir können mithilfe der Tradition sehr genau den Aufgang und den Verlauf der Gestirne vorhersagen, jede Sonnenbedeckung durch Lapetas.“

Das Männchen nahm einen Schluck von seinem Wein.

„Ihr verleugnet die wahre Natur der Welt. Letztendlich sind es die Götter, die euer Geschäft betreiben, aber es gibt keine Götter.“

Auch gotteslästerliche Aussagen in Kneipen standen nicht unbedingt unter Strafe.

„Die Erde ist eine Scheibe, deren Ränder von Dämonen bewacht werden. Ich bin weit gereist und habe von solchen Dämonen nichts gesehen.“

„Mein lieber Kaufmann, ihr seid sicher nicht bis zum Ende der Welt gesegelt. Also konntet ihr gar keine Dämonen gesehen haben.“

„Ich war jenseits von Fortunas, am östlichen Ende der bekannten Welt und habe von dort die Schiffsreise um den Kontinent bis hier hin gemacht, eine recht langwierige Reise.“

Hendrik hatte natürlich über solche Schiffspassagen gelesen. Sie führten in unwirtliche, kalte Gewässer, die nicht zu jeder Jahreszeit passierbar waren. Es gab einen akademischen Streit darüber, welcher Weg der beschwerlichere sei, der Landweg mit extrem kalten Nächten und sehr heißen Tagen in den Wüsten inklusive der verhältnismäßig kurzen Passage übers Mittelmeer oder die zwei verschiedenen Routen an den Küsten des Kontinents entlang, die letztendlich an Küstenstrichen entlang führten, an denen es Eisberge gab und regelmäßig stürmische Winde. Es war dann insbesondere in der langen Nacht gefährlich zu reisen.

Der Landweg wurde trotzdem vorgezogen. Auch wenn der Landweg langwierig, mühsam und teilweise auch gefährlich war, gab es über ihn einen regen Handel, ausgeführt von Handelskarawanen, die meist nur eine vergleichsweise kurze Strecke zurücklegten. Es war eine Handelsroute über viele Etappen, die von verschiedenen Beteiligten ausgeführt wurde. Von Station zu Station wurden die gehandelten Produkte teurer, bis die seltenen Güter hier zur Kostbarkeit wurden.

„Cleptos, ich darf es nicht sagen, aber ihr habt in meinen Augen recht. Es gibt diese Dämonen nicht, weil es das Ende der Welt ebenso nicht gibt. Es gibt nach meiner Überzeugung und nach meinem Wissen keinen Rand der Welt. Sie hat kein Ende und ist wie ein Ball, dessen Oberfläche auch keinen Anfang und kein Ende hat. Ich will dies beweisen.“

„Hört, hört und das aus dem Mund eines angehenden Priesters. Wie wollt ihr das beweisen, ohne das ihr als Ketzer ins Abseits geschoben werdet und euer Dasein als Bettler fristen müsst.“

„Die Indizien für meine Hypothese sind eindeutig, es sind letztendlich die Messungen, die gemacht wurden, die für die Ballhypothese sprechen. Vieles ist nicht zugänglich, aber es ist letztendlich bekannt, dass ein Gestirn und auch die Sonne weit im Süden, aber auch weit im Norden unter einem anderen Winkel erscheint. Ich selbst konnte mich bei einer Reise davon überzeugen. Aber man wird mir vielleicht sagen, die Welt ist ein gewölbter Pfannkuchen mit einem ganz bestimmten Rand. Auf dem gewölbten Pfannkuchen erscheinen abhängig vom Beobachtungsort zur gleichen Zeit die Gestirne unter ganz verschiedenen Winkeln und der Winkel des Zenits ist immer ein anderer.

Mit diesen geometrischen Messungen allein kann ich nicht den letzten Beweis führen.“

„Interessant, ein gewölbter Pfannkuchen, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Wenn man zur See gefahren ist, bemerkt man, dass am Horizont die am höchsten gelegenen Dinge, ob es Türme sind oder Berggipfel zuletzt verschwinden. Das spricht dafür, dass die See nur scheinbar flach ist. Aber es könnte ein gewölbter Pfannkuchen sein. Es stellt sich mir dann aber die Frage, warum an den Rändern nicht all das Wasser des Ozeans ins Nichts stürzt.“

„Diese Frage würde sich allerdings stellen. Diese Frage könnte man sich auch stellen, wenn man annimmt wie ich, dass die Welt die Oberfläche einer Kugel ist. Ich behaupte, die Schwere wirkt nicht nach „unten“, sondern zum Zentrum des Balls, sodass man auch im äußerten Süden der Kugel nicht zu einem „absoluten Unten“ gezogen wird, sondern zum Zentrum der Kugel, sodass überall auf dieser Kugeloberfläche der gleiche subjektive Eindruck von „unten“ entsteht.“

„Ich versuche, es zu verstehen. Man muss es verstehen, wenn man nicht an den Rand der Welt mit Dämonen glauben will.“

„Letztendlich kann man die Ballform oder sagen wir mal genauer die Geschlossenheit der Welt, denn sie könnte ja auch ein Ei sein oder etwas anderes, nur zeigen, wenn man die Welt vollständig umsegelt. Genau dies will ich tun.“

„Hört, hört!“, äußerte sich das Männchen.

Hendrik fragte sich, warum es das Männchen nicht selbst getan hatte. Es hatte so viel von der Welt gesehen, aber den letzten Schritt nicht gewagt.

„Mein lieber Kaufmann. Ich will die Welt umsegeln. Aber da gibt es ein Problem.“

„Es gibt ein Problem?“ Das Männchen schmunzelte.

„Ja, die königliche Akademie wird mich die Reise nicht machen lassen. Sie werden mir keine Schiffe zur Verfügung stellen, stattdessen würde ich in den Ruf geraten, eine Art Ketzer zu sein, und wenn es ganz schlimm käme, dürfte ich meine Profession nicht mehr ausüben.“

„Wie wollt ihr aber dann euren Beweis führen?“

„Ich brauche einen freien Investor, einen reichen Kaufmann, der interessiert an neue, günstigere Handelswege, motiviert durch unglaublichen Profite, die diese brächten, mir Schiffe und Mannschaften zur Verfügung stellt.“

„Du hoffst, einen solchen Menschen zu finden? Wäre er nicht ein Verrückter, in so eine waghalsige Unternehmung zu investieren. Wieso sollte jemand auf dich hören, wo doch alle Welt das Gegenteil behauptet?“

„Ich bin einer der Besten in meinem Fach. Ich weiß, wo von ich spreche.“

„Bescheidenheit ist eine Tugend!“

„Nun ja, ich würde meine Zeugnisse vorlegen. Im Übrigen, jeder ehrgeizige Verrückte findet Gleichgesinnte.“

„Willst du in einer Zeitung inserieren?“, spottete das Männchen.

„Ich frage mich, warum sie es nicht selbst gemacht haben.“

„Mein junger Freund. Ich hatte nicht die Ausbildung wie du. Erst in späteren Jahren fingen meine Zweifel an, größer zu werden. Um so älter man wird, um so mehr versteht man von der Welt, aber man kennt sich gleichzeitig nicht mehr so aus.“

Das Männchen sprach in Rätseln.

„Ich habe gelernt, dass die Lüge eine tragende Säule der Gesellschaft ist. Ich habe das eine oder andere Gespräch über das Ende der Welt geführt, manchmal waren wohl auch kluge Köpfe dabei, die mir die Ehre gaben, sich mit mir zu unterhalten. Schließlich habe ich meine Schlüsse gezogen, aber ich fühle mich und bin inzwischen zu alt, um eine solche Unternehmung durchzuführen. Dies ist die einfache, triste Wahrheit.“

Hendrik verlangte nach einem Glas Wein von der Hausmarke, versuchte die Situation zu verstehen, die hier an der Theke entstanden war. Neben ihm saß ein reiches Männchen, das letztendlich ähnliche Überzeugungen mit ihm teilte und nur sein Alter hielt ihn von weiterem ab.

Aber könnte Cleptos nicht derjenige sein, der im Hintergrund die Expedition finanzierte? Wie reich war Cleptos? Hendrik fühlte sich genötigt, einen guten Eindruck zu verbreiten.

Das Männchen selbst schien auch mehr von Hendrik erfahren zu wollen und schlug ihm eine Partie Schach vor.

Was Hendrik nicht wusste: das Männchen war ein Meister in diesem Spiel gewesen. Hendrik spielte es auch gern und es gehörte am Rande auch zur Ausbildung eines Priesters, dieses Spiel zu spielen. Im Seminar war er einer der Besten gewesen. Man verlangte ein Brett mit den hundert Feldern, baute die verschiedenen Figuren auf und wünschten sich gegenseitig eine schöne Partie. Als Anziehender versuchte Hendrik sofort, eine Offensive zu starten, aber schnell zeigte sich, dass Cleptos mit gewissen Finten überhaupt keine Probleme hatte und sein Angriff immer waghalsiger werden musste, um nicht gänzlich zu verpuffen.

Hendrik lächelte öfters, wenn er sich vor neuen Problemen sah, während das Männchen beim Spiel keine Miene verzog und sich nur hin und wieder an seinem Bärtchen zupfte. Hendrik begriff, dass seine Angriffspläne nicht aufgehen konnten, stattdessen sich aber seine Position von Zug zu Zug minutiös verschlechterte. Es dauerte dann auch nicht mehr lange und der Druck des Gegners wirkte übermächtig und dann kam diese völlig überraschende Finte von Cleptos, Züge, die Hendrik völlig falsch eingeschätzt hatte und ihn dann zur Aufgabe zwang. So weit also seine Bestrebungen, einen guten Eindruck zu hinterlassen.

„Da habe ich also meinen Meister gefunden.“

„Ich hoffe, du verstehst von deinen Sternen etwas mehr als vom Schach. Aber immerhin junger Mann, ich habe schon schlechtere Spieler sich versuchen gesehen. Gute Ansätze waren jedenfalls erkennbar.“

Das Spiel nagte etwas am Selbstgefühl von Hendrik, ein Indiz dafür, dass er noch jung war und noch nicht die Gleichgültigkeit des Alters kannte. Cleptos hingegen hatte einen nun eher gegenteiligen Eindruck von dem Jungen gewonnen. Dieser hatte Talent, war entwicklungsfähig und durchaus ernst zunehmen. Und mit Sicherheit verstand er von seinem „Projekt“ mehr als vom Schach.

War dies eine Chance? Hendrik blieb still und wagte nicht zu fragen, ob er, Cleptos, bereit wäre, eine Expedition um die Welt zu unterstützen und zu finanzieren. Cleptos hingegen schien kein Problem damit zu haben, den jungen Mann im Unklaren zu lassen, trank den Rest seines Weins und verabschiedete sich von Hendrik.

Draußen hatte es inzwischen begonnen zu schneien.

„Ich hoffe, wir sehen uns wieder, Cleptos.“

„Ja, vielleicht sehen wir uns wieder, junger Mann.“

Da ging seine Chance. Hendrik blieb dann beim Wein und erkundigte sich bei der Wirtin nach Cleptos.

„Kommt er öfters hier hin?“

„Man weiß nie, wann Cleptos kommt. Ich wünschte schon, man sähe ihn hier häufiger.“

„Ist Cleptos ein reicher Mann?“

„Man sagt, dass er sehr reich ist. Er soll einer der reichsten Männer der Stadt sein.“

Hendrik nahm die Nachricht erregt auf. Cleptos war seine Chance. Er war sich nicht darüber sicher, ob er die Chance vertan hatte. Er war gegangen und ließ Hendrik im Unklaren. Er hatte keinerlei Andeutungen darüber gemacht, ob er an seinem Projekt stärker interessiert sei.

„Vielleicht will er mich zappeln lassen.“

Das Schach des Alten hatte ihm gezeigt, dass Cleptos ihm geistig zumindest ebenbürtig war.

Sicher verstand er mehr von den Sternen und den Zusammenhängen, die einen schließen ließen, dass die Welt ein großer Ball war. Die Welt war ein großer Ball, der sich in einem schicksalsträchtigen Spiel bewegte. Ein Spielball der Götter vielleicht, wenn es sie denn gab. Ein Riesenball, auf dessen Oberfläche im Kleinen auch gespielt wurde, die kleinen und großen Dramen der Welt, die Tragödien und Komödien, die aufgeführt wurden.

Hendrik sagte sich, dass Cleptos vermutlich so bekannt sein musste, dass er ihn finden könnte. Er war nicht unbedingt darauf angewiesen, ihn hier wieder in der „Gemütlichen Ecke“ zu treffen.

Zufälle. Die Begegnung mit Cleptos machte es klar: das Erreichen seines Lebensziels war von Zufällen abhängig.

Es war Zufall, auf Personen wie Cleptos zu treffen, ebenso wie es wie Zufall erschien, ob es eine Barriere gab oder nicht und wenn, ob diese eine Passage hatte.

Natürlich waren dies unveränderliche Fakten, aber ihre Aufdeckung würde wie Zufall erscheinen.

„Kommen meine Schiffe durch oder nicht?“

Ein Männchen vom Nachbartisch, nicht wesentlich älter als er, machte ein Zeichen, dass er mit ihm vögeln wollte.

„Widerlicher Typ“

Es gab immer wieder das eine oder andere Exemplar, das den nötigen Anstand zur Zurückhaltung nicht besaß. Es gab Gasthäuser, da war es schlimmer. Vor vielen Jahren hatte er sich vögeln lassen. Es war ein Mann gewesen und in Hendrik war ein nicht wegzudiskutierendes Gefühl von Ekel entstanden. Das Glied in seiner Scheide war widerlich, trotzdem ließ er die rhythmischen Stöße des anderen weiter zu. Es gibt durchaus Männer, die es lieben, gevögelt zu werden, aber offensichtlich war dies nicht Hendriks Ding. Nach dieser Erfahrung, die aus Neugier und Experimentierlust entstanden war, machte er eine schöne, intensive Erfahrung mit einem Weibchen, dass er vögelte. Seine Geschlechterrolle war damit klar definiert.

Er sagte sich, dass, wenn er irgendwann in der Zukunft wirklich, eher sehr unwahrscheinlich, schwanger werden wollte, dass Vögeln nochmals über sich ergehen zu lassen, aber so richtig konnte er sich das nicht mehr vorstellen.

Er reagierte gar nicht auf die unerwünschte Anmache vom Nachbartisch.

Zufälle. Es konnte doch nicht sein, dass sein Leben völlig abhängig von Zufällen war. Folgte alles seinen Gesetzen, war alles vorbestimmt, jedes einzelne Detail in seinem Leben. Auch das, was zufällig erschien. Religion und Philosophie gaben darauf keine eindeutige Antwort. Es gab das Vorbestimmte und die Elemente des Chaos, des Zufälligen. Hendrik trank vom Wein.

„Wie soll ich mir die Welt vorstellen, wie sie wirklich funktioniert? Ist es nicht Anmaßung anzunehmen, alles bewegt sich um unsere Welt. Spricht nicht viel dafür, dass unsere Welt und vielleicht auch andere Welten sich um die Sonne drehen? Die Sonne, sie gibt uns Licht und Wärme und nicht nur uns.“

Ein mittelalter Mann setzte sich neben ihn an die Theke.

Seinen offensichtlich wertvollen Mantel hatte er der Wirtin überlassen. Vermutlich wollte er nicht das Risiko eingehen, dass er aus der öffentlichen Garderobe gestohlen wurde. Das verarbeitete Fell sprach für sehr viel Geld. Am Hemd trug er die Insignien der Kaufmannsgilde.

Hendrik stellte sich als zukünftiger Absolvent der Priesterschule vor, als zukünftiger Astrologe. Der Mann lachte.

„Die Reichen bilden sich zu viel auf ihr Geld ein“, dachte Hendrik.

Dabei hatten sie oft ein einfaches Naturell. Manche verstanden nur etwas vom Geldverdienen, waren ansonsten sehr gewöhnlich, sogar primitiv. Aber das Gewöhnliche durchzog alle Kasten und Priester mochten sich oft zu viel auf ihre höhere Bildung einbilden, und neben ihrem vielleicht nur auswendig gelernten Wissen primitive Züge aufweisen; ein primitives Temperament, das in allen Kasten auftritt. Hoffentlich war dieser Kaufmann hier nicht zu derb. Vom eigentlichen Körpergeruch des Kaufmanns, der mit kostbaren Düften überdeckt war, für Hendriks Geschmack schon zu aufdringlich, nahm er nichts gewahr. Der Mann wollte wohl mit allen Mitteln zeigen, dass er sehr viel darstellte.

Wie anders war da Cleptos gewesen. Hendrik wunderte sich, dass solch ein Kaufmann ohne Begleitung, ohne Freunde in dieser Kneipe auftrat.

„Solch ein Kaufmann hat viele Freunde. Er kann sie sich kaufen.“

Hendrik ließ seine Vorurteile etwas spielen, in dem Bewusstsein, dass es eben nur Vorurteile waren, gewissermaßen Wetten gegen die Welt. Mit „Wetten“

dieser Art konnte man seinen Realitätssinn schärfen.

Der Kaufmann stellte sich als Hegos vor, der alle Länder bereist hätte und Hendrik hatte den Namen schon gehört.

Wer kannte nicht das gleichnamige Gewürzimperium. Die Düfte, die er aufgetragen hatte, stammten mit Sicherheit auch aus seinen eigenen Beständen. Der Mann konnte Freunde kaufen und hatte sie ebenso verkauft und seinen Interessen geopfert.

„Hendrik du gehst zu weit. Du hast keine Ahnung, wie der Mann wirklich ist.“

Dieser zeigte vielleicht guten Geschmack, indem er einen ausgezeichneten Wein bestellte, einen Wein, den Hendrik kannte, sich aber gewöhnlich nicht leisten konnte.

Die Wahl des Weines bewies auch nicht unbedingt Geschmack, denn diese Art Kenntnisse kann man sich erschmecken, aber man kann sie sich auch angelesen haben oder sie wurden einem zugetragen. Hendrik wollte sich den Kaufmann wieder als Wichtigtuer vorstellen, als einen kleinen, armseligen Seelenzwerg, der sich mit seinem Reichtum maskiert.

Hendrik musste feststellen, dass Hegos ihm unsympathisch war. Er fing an, nur das Schlechteste von dem Mann anzunehmen und das dies ein Fehler war, ein Anlass zur Selbstkritik, war dann zu offensichtlich.

Hendrik nahm von seinem Wein, der ihn zuverlässig betäuben konnte, aber der gewöhnliche Geschmack war nicht zu verdrängen. Neidisch blickte er auf den Tropfen des Anderen, dem er die Zunge absprach, um den Wein überhaupt beurteilen zu können. Es sagt sich so leicht, keinen großen Wert auf Reichtum zu legen. Der Neid, der ad hoc entstanden war, bewies im Grunde das Gegenteil.

„Du bist selbst der arme Wicht“, sagte ihm seine Instanz von Selbstkritik.

„Und wie dumm anzunehmen, ein erfolgreicher Gewürzhändler hätte keinen Geschmack. Wahrscheinlich war sein exquisiter Geschmack Schlüssel für seinen Erfolg, denn nur so kann man hochwertige Ware erwerben.“

Hendrik nahm weiter von seinem Wein und versuchte den Mut zu fassen, den Kaufmann anzusprechen. Letztendlich erhöhte dann auch jeder Kaufmann hier an der Theke die Chancen für sein Projekt, kommentierte er innerlich mit einer gewissen Ironie. Er wunderte sich über die Zufälligkeit auf zwei reiche Kaufleute hintereinander zu treffen.

Er war doch wirklich eine Luftnummer, ein Kind, ein Kind, dass man belächeln musste, weil es die Welt verändern wollte. Vielleicht wäre es besser, sein Vorhaben auf seine mittleren Jahre zu verschieben. Er musste wirklich erwachsen werden, sich eine wirkliche Reputation aufbauen, die weit über die, die durch die guten Noten, die er regelmäßig bekam, zustande kam, hinausging. Der äußere Schein sprach für eine glänzende Priesterkarriere, die man doch sehr infrage stellen konnte, wenn man den ketzerischen Kern von Hendrik kannte.

„Und wenn ich zu lange warte, geht es mir vielleicht wie Cleptos und ich bin eines Tages zu alt, um meine Reise durchzuführen.“

„Einen sehr guten Wein trinkt ihr. Ich kann ihn mir leider nicht leisten.“

„Wer tüchtig ist und Ideen hat, kann sich von dem Wein so viel leisten, wie er will.“

„Das sind Aussagen, die man bezweifeln könnte. Ich habe meine Ideen, aber letztendlich fehlen mir die Mittel, sie umzusetzen.“

Hegos lächelte überheblich.

„Ich habe Ideen, die auch dich, Hegos, viel reicher machen könnten, als du es jetzt schon bist.“

Hegos schaute amüsiert und auch ein bisschen neugierig.

Das schien einen gewissen, kurzfristigen Unterhaltungswert zu haben. Verrückte Ideen waren immer gut, um sich in einer öden Nacht die Zeit zu vertreiben.

„Dann lass mal hören“, meinte er spöttisch.

„Oder sind deine Ideen geheim?“

„Man sollte sie vielleicht nicht zu sehr in die Welt posaunen, denn sie würde vielleicht mächtige Gegner auf den Plan bringen. Andererseits muss ich mir an den richtigen Stellen Gehör verschaffen, wie gesagt fehlen mir die Mittel der Umsetzung.“

„Ich bin gespannt von deinen Ideen zu hören“, antwortete Hegos eher spöttisch.

„Ich meine die Passage nach Ladano, dem Land im äußersten Osten unserer Welt. Dort gibt es die Kostbarkeiten, die hier Reichtum begründen.“

„Ich bin mehrfach in Ladano gewesen. Die Reise ist sehr langwierig und beschwerlich, aber es hat sich für mich gelohnt.“

Hegos lachte selbstgefällig.

„Ich rede von einer neuen Passage nach Ladano, einer sicheren Reise, die viel schneller gemacht ist. Die Passage über den westlichen Ozean, die nach Ladano führen muss.“

„Größeren Unsinn habe ich noch nie gehört. Wieso sollte man ein Land, das im äußersten Osten der Welt liegt, erreichen können, wenn man in entgegengesetzter Richtung aufbricht?“

„Weil die Welt nicht eine Scheibe ist mit einem geheimnisvollen Rand, sondern die Oberfläche eines Balls, von der wir weniger als die Hälfte kennen.“

„Haha, ein Ball, lehrt man das euch in euren Priesterseminaren? Und selbst wenn die Welt ein Ball wäre, wüsste man nicht, wie groß dieser Ball ist. Der Ball könnte so groß sein, dass die Reise nach Westen nie ans Ziel führen würde.“

Beide tranken von ihrem Wein und in Hendrik verfestigte sich die Absicht, besoffen die Gemütliche Ecke zu verlassen, innerlich aufgewärmt und gerüstet für den Gang durch die kühle Nacht. Vielleicht noch ein wenig vom Harz und er könnte bis nach Sonnenaufgang schlafen. Das Ende der Nacht war immer eine ungemütliche Zeit, auch in der wärmeren Jahreszeit.

Hendrik dachte an die noch ungemütlicheren Winternächte; sie waren etwas länger und am Tag erreichte die Sonne nicht die Höhe am Himmel, die sie am Anfang des Sommers erreichte. An den Wendetagen betrug der Unterschied knapp ein Viertel eines rechten Winkels.

„Wäre der Unterschied größer, wären es vermutlich auch die klimatischen Differenzen von Sommer und Winter, die Winter wären kälter und die Sommer heißer und die Winter in den langen Nächten tödlich kalt wie im hohen Norden und im tiefen Süden.“

Hendrik hatte eine Weile nichts gesagt.

„Ich kann abschätzen. Wie groß der Ball ist. Nach meiner Abschätzung wäre der Seeweg nach Dan über Westen etwa zweimal so weit wie der Landweg nach Osten, aber viel komfortabler und viel schneller zu erreichen, wenn man die Winde richtig nutzt.“

„Aber das ist doch eine willkürliche Annahme. Ein Wunschdenken.“

„Hegos, ihr mögt ferne Länder kennengelernt haben, ihr kennt die köstlichsten Gewürze, die exquisitesten Düfte, aber von den Sternen und der Geometrie dürfte ich ein wenig mehr verstehen. Aber wenn ihr euch vorstellt, dass die Welt ein Ball ist, so wird klar, dass der gleiche Stern zur gleichen Zeit unter einem anderen Winkel erscheint.

Gewiss, es ist schwierig die Zeit zu messen und zu synchronisieren und wir haben nicht die gleiche Zeit wie die, die in weit entfernten Städten leben, aber ein ganz wichtiger Hinweis ist die Kulmination eines Sterns. Weit im Norden erreichen die Gestirne andere Höchststände am Himmel als hier, das gilt insbesondere auch für die Sonne.

Kenne ich den Abstand zu der nördlichen Stadt und den Winkelunterschied, so kann ich die gesamte Strecke um den Ball berechnen und ich weiß, wie groß die Welt ist.“

Hegos schien die Idee zu begreifen, sagte aber zuerst nichts.

„Wenn es denn einfach ist, den Beobachtungswinkel eines Gestirns zu messen, so ist schwierig, den Abstand zwischen zwei weit entfernten Orten zu bestimmen. Im Übrigen ändert sich die Rechnung, wenn es eine „West-Ost“-Abweichung bei den beiden Orten gibt.“

„Ich kann nicht glauben, dass solch ein Wissen in eurer Akademie gelehrt wird. Wie man von Kindestagen weiß, gibt es überall jenseits der Ozeane das Ende der Welt, welches von Dämonen bewacht ist. Und so heißt es seit Jahrhunderten.“

„Ja ihr habt recht Hegos. Die Priesterkaste bewahrt das Bild vom Ende der Welt. Wir Astrologen betrieben doch über Jahrhunderte eine sehr lokale Wissenschaft, und wenn man diese lokal betreibt, weiß man nichts von Winkelunterschieden bei Gestirnen. In den letzten Jahrzehnten hat der Handel mit fernen Ländern immer mehr zugenommen, Seefahrer sind weit bis in die Eismeere gesegelt und gerade bei Seefahrern ist bekannt, dass der höchste Punkt am Horizont zuletzt verschwindet.

Ein weiteres Indiz dafür, dass der Ozean die Oberfläche eines gekrümmten Balls bildet, denn wir gucken gerade aus Hegos.“

„Gerade die Oberfläche einer ruhigen See ist doch eine flache Ebene.“

„Der Mensch ist so klein gegenüber dem Ball. Deshalb kann er die Krümmung des Balls nicht erkennen.“

„Weil sie es nicht gibt. Die Berater des Königs würden ihn eines Besseren belehren, wenn alles so einfach wäre, wie du sagst. In den astrologischen Begründungen kenne ich mich natürlich nicht aus, ich bin aber davon überzeugt, dass es für alles eine andere, einleuchtende Erklärung gibt.“

Hegos wandte sich seinem Wein zu.

„Mit verrückten Ideen lässt sich kein Geld machen, mein junger Freund.“

Junger Freund wirkte fast wie eine Beleidigung auf Hendrik. Er wollte noch weitere Argumente anführen, Lapetas und der blaue Mond Kander, ein ebenso rätselhafter Mond, offensichtlich weiter weg als Lapetas, aber offensichtlich erkennbar, dass sich seine Oberfläche veränderte. Braungrüne, weiße und blaue Flächen waren im Wechsel erkennbar. Kander hatte am Himmel etwa die Größe der Sonne.

„Wollen wir beide nicht noch etwas Spaß haben. Ich vögele gern mit angehenden Priestern. Selbstverständlich kannst du mir noch weiter über deine verrückten Ideen erzählen.“

Hendrik bekam die Wut. Es war in seiner Position ungefährlich einen reichen Kaufmann abblitzen zu lassen und auf diese Nummer hatte Hendrik überhaupt keine Lust. Er empfand nur Ekel und Abscheu und er wäre auch nicht im entferntesten auf die Idee gekommen, sich für seine Ideen zu prostituieren.

Er suchte nach einer höflichen Ausrede, nach schmeichelnden Worten, so schwer ihm das auch fiel, entschuldigte sich, um nicht den Zorn eines Mächtigen auf sich zu ziehen und suchte dann das Weite.

Draußen schneite es weiterhin. Hendrik lief schnellen Schritts. Er konnte der kalten, verschneiten Nacht nicht wirklich etwas abgewinnen. Der Ekel vor Hegos überwog aber. Was stellten sich die alten Säcke eigentlich vor? Das sich jeder bereitwillig und gerne vögeln liess? Dass jeder käuflich war? Hendrik hatte nun wirklich nicht durch irgendwelche Zeichen angedeutet, dass er gerne gevögelt wurde: er trug weder auffällig Schmuck, seine Kleidung war nicht extravagant und sein Augenmakeup war eher unauffällig.

Er war früher selber eher wahllos in den Bordellen eingekehrt und hatte mit den Nutten gevögelt, ausnahmslos Frauen und er hatte sich nie die Frage gestellt, ob es diesen Nutten angenehm war, gevögelt zu werden. Im Übrigen war es ihr Broterwerb und sie hatten vielleicht keine Wahl.

Die Sexualität von Frauen war kompliziert, die von Männern war sicherlich komplizierter. Wollten Frauen Verkehr, mussten sie sich vögeln lassen, Männer hatten die Wahl. Für den typischen Mann war beides interessant.

Genau anders die Männchen, die keine Scheide hatten und somit sich nur auf perverse Art vögeln lassen konnten, aber auch so etwas sollte es geben.

Hendrik hatte offensichtlich das sexuelle Naturell eines gewöhnlichen Männchens. Warum war er als solches nicht geboren worden? Diese dumme Anmache raubte einem die Lust, selbst ein Weibchen zu erobern oder den bequemen Weg zu gehen und für den Sex zu bezahlen.

Er war dann doch auch ein oberflächlicher Kerl, hatte er vor Kurzem noch selbst erwogen, ins Bordell zu gehen.

Stattdessen die „Gemütliche Ecke“, die schließlich ziemlich ungemütlich wurde.

Der Heimweg war dann auch ungemütlich, aber auch relativ kurz wie fast alle Wege für ihn hier in Situ.

Hendrik bekam schließlich doch noch die absurde Idee, dass er sich für die Realisierung seiner Ideen hätte vögeln lassen sollen. Vielleicht hätte er zum Geliebten von Hegos aufsteigen können und alle Chancen der Einflussnahme gehabt, stattdessen war er zickig. Er konnte sich über sich selbst nur wundern, über seine Gedanken, die von einem Gegenmodell von ihm zu entstammen schienen.

„Der Mensch ist paradox“, dachte er.

Vermutlich hatten die friedliebensten Menschen Gewalt – und Kriegsphantasien. An sich war ja sein Ausflug in die Nachtwelt von Situ erfolgreich gewesen. Irgendetwas suggerierte ihm, dass der erste Kaufmann, Cleptos, in seinem Leben noch eine größere Bedeutung haben könnte.

Wunschdenken.

Der Himmel über ihm sagte nichts über seine Zukunft, weil er völlig bedeckt war. Aber auch ihm als Astrologe hätten die Sterne bei freiem Himmel nicht all zu viel über ihn verraten.

„Die Sterne lügen eh.“

Zuverlässig waren sie nur in ihrem regelmäßigen Erscheinen, wenn die Wetterbedingungen eine Beobachtung zuließen. Die Sterne waren zuverlässige Zeitgeber, mit ihnen und der Sonne konnte man die vielen Sanduhren eichen.

„Man müsste ganz andere Uhren erfinden können.“

Die Pfützen, die sich vom Regen zuvor gebildet hatten, waren noch nicht zugefroren und Hendrik holte sich nasse Füße. In seiner Wohnung würde sich inzwischen auch feuchte Kälte eingeschlichen haben, sodass für den Rest der Nacht wieder das Kaminfeuer brennen musste. Das Beste wäre natürlich, wenn er sich sofort ins Bett verziehen würde, unter mehreren Decken, um dann in den nächsten Tagen hinein zu schlafen. Hendrik hatte keine Ahnung, wie das Wetter des nächsten Tages sein würde.

Das Wetter war zurzeit keineswegs stabil, es war alles irgendwie möglich.

Er wünschte sich einen warmen, sonnigen Tag. Auch wenn die Nächte auf dieser Welt sehr lang sind, die Tage sind es auch.

„Ins Bett gehen, sich warme Gedanken machen und weit hinein in den noch kühlen Morgen schlafen, das wäre schön.“

Aber der garantierte Schlaf der Kindheit wollte sich bei ihm nicht mehr einstellen. Dies war eine bittere Erkenntnis, die sich immer wieder erneut einstellte, denn unsere Vorstellungen werden von Erwartungen und Erinnerungen geprägt, die meist nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun haben. Insbesondere im Alter sieht man sich mit Beschwerden und unangenehmen Körper-und Lebensgefühlen konfrontiert, die man zwar schon kennengelernt hat, aber nie wirklich erwartet. Vielleicht erwartet man wirklich das Gefühlsparadies der Kindheit.