Nur Gutes ist groß, nur Großes ist schlecht - Rolf  Friedrich Schuett - E-Book

Nur Gutes ist groß, nur Großes ist schlecht E-Book

Rolf Friedrich Schuett

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Beschreibung

NEUE ESSAYS UND APORISMEN ... I N H A L T : Die Zielgruppe des Schützen sind seine Opfer Vorbild ist schon, wer eins hat, egal welches Wurde jedes Etikett schon Schwindel? Leben kommt von der Bio-Vitalität Friedensrosen mit Kriegsdornen Die ganze Rosenchose in heimischer Konservendose Staunschreie nach Nonsensoren Naturphilosophie nach Hegel Anthropologie der grünen Natur oder Physik der menschlichen Natur Schönheit in Kunst und Natur

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INHALT

Die Zielgruppe des Schützen sind seine Opfer

Vorbild ist schon, wer eins hat, egal welches

Wurde jedes Etikett schon Schwindel?

Leben kommt von der Bio-Vitalität

Friedensrosen mit Kriegsdornen

Die ganze Rosenchose in heimischer Konservendose

Staunschreie nach Nonsensoren

Naturphilosophie nach Hegel

Anthropologie der

grünen Natur

oder Physik der

menschlichen Natur?

Schönheit in Kunst und Natur

Gesamtwerk in Gesamtausgabe

Für Elke

Die Zielgruppe des Schützen sind seine Opfer

Gesetzt, ich wollte eine Zeitschrift ins Leben rufen, die es noch nicht gibt, die schmerzlich vermisst werden könnte von einer lukrativ umfangreichen "Zielgruppe" von prospektiven Abonnenten − sagen wir mal der immer zahlreicheren und langlebigeren Hochbetagten mit vielen Vorerkrankungen. Plus fachärztliche Dauerbeiträge und Psychofritzen. Testtitel :

Ur-Opa & Granny −

Zeitschrift für das Leben ab 80

(Ich selbst als altgierig naseweiser Senior-Editor?)

Zielführende Themen z.B.:

"Meine vielen Tabletten und ich".

"Warum besuchen uns unsere Urenkel nicht mehr?"

"Der Zahnersatz ist dir ins Klo gefallen : Was nun?"

"Pampern im Alter : Ein Tabuthema".

Oder : "Lustgreispotenz bei Inkontinenz".

Vielleicht noch etwas gewagter:

"Demenz als Chance!"

Wer liest so etwas? Zahlungskräftige Ur-Kundschaft mit fetten Pensionen? Ratloses Pflegepersonal in Proll-Altersheimen und "Seniorenresidenzen"? Die leidgeprüften jungen Angehörigen? Marktforscher ausgeschwärmt: Feldforschung, randomisierte Doppelblindstudien mit Tiefeninterviews, Gratis-Nullnummer, Testausgabe, das ganze Problemspektrum!

Geht solches Periodikum mit einer permanenten Beilage: "Freund Hein − Ende ohne Schrecken"? Schreckt so etwas eher ab, oder gibt es dafür einen ungedeckten Lesegeheimbedarf?

Zielgruppen. Konzentrieren wir uns bei dem unübersichtlichen Thema an dieser Stelle auf ein naheliegendes wie signifikantes Beispiel. Autoren haben ihre noch nicht sehr spezielle Zielgruppe in ihren potentiellen Käufern oder in Verlagslektoren und Kritikern (die ihr Schreiben nie aus den Augen verliert). Das etwas engere angepeilte „Marktsegment“ eines Krimiautors besteht so vor allem aus habituellen Krimilesern, einer Stammklientel, die erfahrungsgemäß auf bestimmte Werbesignale mit Reiz-Reaktionsautomatismen so verlässlich einschnappt. Diese werden angesprochen an speziell dafür vorgesehenen Marktorten, wo sie voraussichtlich nach ihrem spezialisierten Lesefutter suchen könnten.

Leserzielgruppen sind also Begriffe der professionellen Marktforschung von kommerziellen Verlagshäusern, die ihren Absatz planen und ihre Autoren-Ressourcen verwalten müssen, um auch nur überleben zu können durch ständige inflationäre Qualitätsselbstunterbietung.

Als das Theaterstück „En attendant Godot“ („Warten auf Godot“), nachdem es lange Zeit vergeblich eine geeignete Bühne gesucht hatte, dann schließlich 1953 in Paris beim frenetisch applaudierenden Premierenpublikum eine begeisterte Aufnahme fand, soll der Autor Samuel Beckett ehrlich bestürzt und entgeistert sich gefragt haben − und das ohne jede Koketterie : „Was habe ich falsch gemacht?!“ Hatte seine Kunst sich etwa in der „Zielgruppe“ geirrt?

Autoren, die gezielt für bestimmte marktsegmentierte Zielgruppen schreiben, haben sich freiwillig zu Schreibknechten („Negern“) von Druckmedien und Plat(t)formen gemacht, also machen lassen. Sie haben sich damit als seriöse Schriftsteller definitiv selber aufgegeben und sind handwerklich oft sehr geschickte Lesestofflieferanten und Suchtmitteldealer geworden, die eingespielten kunstgewerblichen Routinebedarf decken, um höhere Auflagen und Honorarmargen zu erzielen, welche wiederum auch den Verlag animieren, immer mehr in ihre Dukatenesel zu investieren. Da lohnen sich Pflichtlesereisen und opulente Messeauftritte der Werbe- und Gewerbestars.

Wenn ein Autor aber schon unbedingt eine bestimmte Zielgruppe im Auge haben möchte, um mehr daran zu verdienen und seinen Ruhm zu mehren, sollte er ja keine möglichst breite Zielgruppe seiner Marktattacken wählen, sondern eine denkbar kleine − je anspruchsvoller, desto überschaubarer. Auch ohne ausgefeilte Marketingstrategien weiß jeder vorwissenschaftlich intuitiv, dass die Zielgruppe eines publizistischen Kassenschlagers und „Bestsellers“ ein breitgestreutes Massenpublikum ist und dass die Zielgruppe eines rezensionswürdigen Meisterwerks ein schmales Nischenpublikum von Connaisseuren und Liebhabern ist, die ja auch versorgt sein wollen. Ein lukrativer Kunstgewerbekitsch findet Massenabnehmer, Produktion von niveauvoller Qualitätskunst ist entweder ein Hungerberuf oder keine Kunst. Literatur ist brotlos oder nur Entertainerdroge.

An dieser Stelle mag einmal mehr mein Wort am Platze sein : Erfolgloses kann, Erfolgreiches muss Mist sein − auch und gerade in Kunst und Kultur.

Ein übersehener Autor könnte ein verkanntes Genie sein, ein gutgehender aber ist es mit nachtwandlerischer Sicherheit nicht, sondern eher ein ranschmeißerischer Kitschier, eine makulierwürdige Eintagsfliege, die für ein Jahrhundertmirakel ausposaunt wird von geschäftstüchtigen Promotoren, Investoren, Influencers und zahlungskräftig zahlreichen Abnehmerscharen.

Max Horkheimer warf dem Schriftsteller Thomas Mann einmal vor, für Geld zu schreiben, also den Geist zu verhökern statt zu verschwenden − als wohlhabender Ehemann einer reichen Gattin, der es eigentlich gar nicht nötig hatte. Aber der kritikallergische Mann (miss)brauchte seine hohen Einnahmen zu Prestigesymbolen; sie waren ihm eher Arzneien gegen Statusdepressionen und artistische Potenzzweifel als gegen Hunger und Sozialabstieg.

Ein unbestechlicher Autor ist kein käuflicher, sondern ein schwerverkäuflicher Autor, aber natürlich nicht jeder ungelesene Stümper ein böswillig unterdrücktes Naturtalent. Im Idealfall ist der Autor kraft Autorität seiner Texte nichts als ein geistiges Unikum, das ein erratisch unverständliches und enigmatisches Unikat in den Ring wirft und sich achtlos dann an seine nächste Arbeit macht, ohne auf Beifall zu rechnen oder auf Zieltruppen samt Fan-Kommentaren zu schielen.

Man sollte entweder intransigent gegen seine Zeit schreiben oder seine Feder wegwerfen und etwas einträglich Nützlicheres tun. Das und nur das ist die einzig mit intaktkünstlerischem Gewissen noch halbwegs vereinbare intellektuelle Haltung der Kunst und Kultur heute gegenüber. Alles andere ist widerwärtiger Schmu(s) oder bloßer Bierausschank. Wozu die gesamte heutige „Popkultur“ zählt, dürfte danach keiner gesonderten Untersuchung mehr bedürfen. Rare Autoren wie Reinhard Jirgl, Jürgen von der Wense, Martin Kessel oder Henryk Elzenberg z.B. bleiben hingegen wohltuend im Schatten des freien Marktes und etablierten Kulturbetriebs. Authentische Autoren, die diesen Namen noch verdienen, sind heute vielleicht Selbstverleger, die ihre Werke möglichst so gut wie gratis anbieten. Sie leben für ihre Kunst und nicht von ihr, im Gegensatz zu geilen und feilen Kunstgewerbetreibenden. Und sie schielen und schießen auf überhaupt keine Zielscheibengruppe, sondern schreiben für einen Einzelnen, der selber sucht, also für niemanden, mithin ins Blaue das Blaue vom Himmel herunter. Sie rennen keinem einzigen Leser und Lobredner hinterher, sie schmücken sich nicht wie Huren, die nach Freiern fischen. Sie bieten sich nicht feil, sondern verausgaben sich kostenlos und lassen sich finden in ihren Verstecken.

Die Werkzeuge und Online-Schaufenster für „Selfpublishing“ stehen jedem geneigten Autor, der nicht von vornherein nur für die eigene Schublade arbeiten will, heutzutage preiswert oder kostenlos zur Verfügung. Die Zielgruppe von Popkultur ist eine Zielmasse und sollte dafür hoch blechen; die „Zielgruppe“ für Hochkultur besteht nur aus isolierten Individuen, die beschenkt werden sollten. Aber keine Bange, selbst geschenkt wird Hochkunst nicht beachtet! Hochkultur ist unterhaltsamer als alles, was "nur unterhalten" will, und hat keine Zielgruppe, nicht einmal mehr ein bildungsbürgerliches. Zielgruppen sind heute mediale Zielscheiben für geistigen Blattschuss.

Jedermann zählt zur Zielgruppe der Gesellschaft, die seine Zielscheibe ist. Die Zielgruppe des ehrlichen Autors bestehe aus allen Lesern, gegen die es anzuschreiben gilt, denn der ehrliche Leser will gegen sich selbst lesen und sich zutiefst in Frage stellen lassen. Will sagen, der wahre Autor schreibt und liest permanent gegen sich selbst, also gegen alles, wozu der Zeitgeist der Gesellschaft ihn gemacht hat.

Spricht daraus wirklich nur das Ressentiment eines Erfolglosen, der aus der Not eine Tugend macht?

Bildungshunger und Wissensdurst vertreiben nicht Machthunger und Freiheitsdurst.

Kapitalisten brauchen ganze Ernten als neues Saatgut, Sozialisten verbrauchen jedes Saatgut gleich als Ernte.

Hungern im Hals ist andernfalls

wie Lungern auf Balz mit Schmalz.

Vorbild ist schon, wer eins hat, egal welches

Albert Schweitzer, Mutter Teresa, Gandhi, Madonna, Maradona, Max Schmeling, Greta Garbo oder Thunberg, oder doch lieber Bach, Rembrandt, Aristoteles, Shakespeare und Einstein?

Von Albert Einstein habe ich relativ wenig. Im Alter von 15 Jahren war er mein Vorbild gewesen. Erreicht habe ich nur seine Abneigung gegen Friseure (und gegen absolute Relativierung von allem).

Mit 20 Jahren war Jean-Paul Sartre mein erkorenes Vorbild gewesen, doch er hat mich nur „verdammt zur Freiheit“ von seiner Freiheitsphilosophie, und ich bin eher zu einem "Nichts" vor seinem "Sein" geworden. Zu seinem Lehrer Heidegger schwang ich mich nur soweit auf, dass ich "Feldwege" lieber gehe als "Holzwege" zum "Seyn des Seienden".

Mit 25 Jahren erhob ich den Sozialphilosophen Theodor W. Adorno zu meinem leuchtenden Vorbild und schrieb dann doch nur „Maxima Amor'alia“, und es blieb zwischen uns der „kleine Unterschied“, den er zeitlebens verherrlicht hatte, ein Riesenabgrund.

Mit 30 Jahren stürzte ich mein Idol G. W. Fr. Hegel vom Heiligenpodest, da er mich den dialektisch "organiserten Widerspruchsgeist" auch gegens große Ganze gelehrt hatte, das er als Hort der Wahrheit verteidigte gegen alle unwahr verabsolutierten Teilwahrheiten.

Mit schon 40 Jahren inthronisierte ich den Pater-Brown-Erfinder Gilbert Chesterton und schrieb in seinem Windschatten erste schlechte Aphorismen. --Mit 50 Jahren … und so weiter.

Irgendwann beschloss ich entnervt, mein eigenes Vorbild zu werden, erklärte mich zum Originalgenie und kopierte mich fortan ungeniert, da niemand sonst Lust zeigte, mir nachzueifern. Dann war der ehrgeizig Gelehrige eines Tages alle Weltbilder und falschen Vorbilder leid und versuchte es mit Hochkulturbildung jenseits der bloßen Ein- und Ausbildung und Herzensbildung. Das brachte den begriffsstutzigen Lehrling weg von allen bunten Glotzbildern der Einbildungskraft und erschloss ihm die abstrakten Begriffe der Urteilskraft. Das persönliche Vorbild einer Person wurde ersetzt durch Platons