Ökologisch sein - Timothy Morton - E-Book

Ökologisch sein E-Book

Timothy Morton

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Beschreibung

Trotz aller Panik leben wir in der bequemen Illusion, dass Erderwärmung und Massenaussterben erst noch bevorstehen. Deshalb erheben wir Daten und produzieren Fakten, als könnten wir damit die Welt retten. Handlungsfähig, so glauben wir, sind wir erst, wenn wir genug wissen. Wir sehnen uns nach dem Blick von oben, der uns das Gefühl gibt, über den Dingen zu stehen. Doch um uns ökologisch zu verhalten, brauchen wir nicht noch mehr über Ökologie zu lernen. Wir sind ökologisch, indem wir atmen, Felder bestellen, Tiere und Pflanzen essen und in Seen baden. Erst wenn unser Denken die Vogelperspektive aufgibt, in der wir selbst der blinde Fleck sind, werden wir auch verstehen können, dass wir unauflöslich mit unserer nichtmenschlichen Umwelt verquickt sind. Wir können vielleicht nicht wissen, wie die Biosphäre funktioniert, aber wir können uns auf sie einstimmen. Als Individuen werden wir in tausend Jahren nichtig sein. Was wir getan haben, wird es nicht sein. »Das Problem mit dem ökologischen Bewusstsein besteht nicht darin, dass es so schrecklich schwierig ist. Es ist so einfach. Du atmest Luft, dein bakterielles Mikrobiom murmelt vor sich hin, die Evolution entfaltet sich schweigend im Hintergrund. Du hast dieses Buch ausgelesen und schaust dich um. Du brauchst nicht ökologisch zu werden. Denn du bist ökologisch.« - Timothy Morton, Ökologisch sein »Morton ist der Philosophenprophet unserer Zeit. Seine Ideen mögen bizarr klingen, aber sie sind die adäquate Antwort auf die erschütternde Einsicht, der wir uns im 21. Jahrhundert stellen müssen: dass wir in eine neue erdgeschichtliche Phase unseres Planeten eingetreten sind.« - The Guardian

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Timothy Morton

Ökologisch sein

Aus dem Englischen von Dirk Höfer

Für Lindsay Bloxam und Paul Johnson

Der Rasen ist hart, uneben und feucht und zudemwimmelt es von grässlichen schwarzen Insekten.

OSCAR WILDE

INHALT

EinleitungKeine weitere Informationsmüllkippe

Kapitel 1Und dann lebst du vielleicht in einem Zeitalter des Massenaussterbens

Kapitel 2… und der Beinknochen ist mit den Knochen der Giftmüllkippe verbunden

Kapitel 3Einstimmen

Kapitel 4Eine kurze Geschichte des ökologischen Denkens

Anmerkungen

EINLEITUNG

Keine weitere Informationsmüllkippe

Du kümmerst dich nicht um Ökologie? Das glaubst du vielleicht, und dennoch tust du es. Du liest keine Öko-Bücher? Dann ist dieses Buch genau das richtige für dich.

Verständlich genug: Bücher über Ökologie sind mitunter verwirrender Informationsmüll, dessen Verfallsdatum bereits überschritten ist, wenn sie dir in die Hände fallen. Sie stoßen dich vor den Kopf, damit du dich schlecht fühlst. Sie packen dich am Kragen und brüllen dir verstörende Tatsachen ins Gesicht. Ringen verzweifelt die Hände: Was sollen wir nur tun? Holzhammer-Propaganda. Nichts dergleichen enthält dieses Buch. Es predigt keiner Öko-Gemeinde. Es ist für dich. Vielleicht gehörst du zur Gemeinde, aber nur manchmal, vielleicht hast du keine Ahnung, was eine Gemeinde ist, oder vielleicht kümmert dich die Sache überhaupt nicht. Sei jedenfalls versichert, dieses Buch wird dir keine Predigt halten. Es enthält auch keine ökologischen Fakten, keine schockierenden Enthüllungen über unsere Welt, keine ethischen oder politischen Empfehlungen und kein Großpanorama ökologischen Denkens. Im Grunde ist es als Öko-Buch ziemlich nutzlos. Warum aber etwas so Nutzloses schreiben, wenn die Probleme so akut sind, schon mal was von globaler Erwärmung gehört? Also, warum liest du das Buch überhaupt? Weil du in Wahrheit bereits ökologisch bist, du hast es nur noch nicht gewusst. Wie das?, wirst du fragen. Finden wir es heraus.

Worum es in diesem Buch geht

In der Einleitung möchte ich den allgemeinen Ansatz des Buchs darlegen. Im ersten Kapitel werde ich in groben Zügen das Lebensgefühl einer Epoche schildern, die von der globalen Erwärmung und dem damit einhergehenden Massenaussterben geprägt ist. Im zweiten Kapitel betrachten wir mit der Biosphäre und ihren inneren Vernetzungen den Gegenstand ökologischen Bewusstseins und ökologischen Denkens. Im dritten Kapitel gehen wir der Frage nach, welche Aktionen, welche Handlungsformen als ökologisch gelten. Und im vierten werden wir aktuelle Formen ökologischer Haltungen unter die Lupe nehmen.

Unterwegs möchte ich mit der Art, in der ich Philosophie betreibe, bekannt machen. Wenn meine Philosophie ein Film wäre, bei dem ich Regie führe, dann wäre sein Produzent die objektorientierte Ontologie eines Graham Harman (mehr dazu in Kürze) und seine ausführenden Produzenten wären die Philosophen Immanuel Kant und Martin Heidegger.

Vorerst möchte ich darlegen, warum das vorliegende Buch kein Buch über Ökologie ist, setzt es doch alles daran, eine Rhetorik der Vereinnahmung, eine an das schlechte Gewissen appellierende Moralpredigt zu vermeiden. Wie das? Fangen wir bei dem Faktum an, dass dieses Buch weitgehend faktenfrei ist. Das sage ich lieber gleich vorneweg, bevor es die Kritiker tun.

Schreibt man ein Ökologie-Buch, ob nun als Wissenschaftler, der sich mit ökologischen Themen befasst, oder nicht, muss man offenbar eine Unmenge an Fakten präsentieren. Das Genre scheint dies zu verlangen, insofern ein Genre einen Erwartungshorizont mit sich bringt. Wir erwarten von Tragödien, dass sie bestimmte Gefühle auslösen (Aristoteles meinte, dies seien Furcht und Mitleid), und Komödien sollen uns zum Lachen bringen. Auch die Art Literatur, die man in seinem Reisepass vorfindet, ist ein Genre. Und es gibt offensichtlich das Genre der ökologischen Rede – gleich mehrere Genres, um ehrlich zu sein.

Der große Andere sieht dich/Big Other is Watching You

Ein Genre ist eine Art Welt, ein Möglichkeitsraum. In diesem Raum sind bestimmte Bewegungen möglich, und solange man sich in diesem Raum aufhält, findet, was man tut, auf eine typische Weise statt. So wird man zum Beispiel auf einem Firmenmeeting ein anderes Verhalten an den Tag legen als auf einer Party. Man wird seine Nachrichten auf eine ganz bestimmte Art lesen und wohl auch den jüngsten Modeentwicklungen auf die eine oder andere Art folgen.

Genres sind schlüpfrige Wesen. Sie haben Ähnlichkeit mit dem, was man in der Philosophie mitunter als das Andere bezeichnet, und sobald man direkt auf es verweist, verschwindet es (oder sie oder er oder sie alle). Das Andere – meine Vorstellung von dem, was du dir vorstellst, dass sie sich vorstellt, was sie sich vorstellen, dass er sich vorstellt, was ich mir vorstelle, dass sie sich vorstellen … Wer einmal in einer Band gespielt hat, weiß, was für ein gefährliches Konzept das ist. Wenn man Musik komponiert und daran ausrichtet, was der eigenen Annahme zufolge die Leute in den Schallplattenläden erwarten, wird man schließlich vor lauter Unentschiedenheit gelähmt sein. Das liegt daran, dass das Gefilde des Anderen wie ein Netzwerk ist, ein Geflecht von Annahmen, Vorurteilen und vorformatierten Ideen.

Nun gibt es vorformatierte Ideen, die uns allen klar ersichtlich sind oder es zumindest leicht werden können. Möchte man zum Beispiel wissen, wie Ravioli in Florenz zubereitet werden, dann kann man dies nachschauen. Zu »Ravioli Florentiner Art« wird man rasch etwas finden, und heute braucht man es sogar einfach nur zu googeln. Googeln hat zumindest in einem Aspekt mit unserem Genre zu tun. Wenn wir etwas googeln, versuchen wir in der Regel herauszufinden, was das Andere darüber denkt. Google ist wie das Andere, eine Art engmaschiges Spinnennetz der Erwartungen, das in unseren Augenwinkeln oder einfach hinter all jenen Links lauert, die anzuklicken wir nicht die Zeit haben. Und nie werden wir die Zeit haben, alle Links anzuklicken. Anders gesagt, dieses seltsame Ding, das Andere, ist irgendwie strukturell: Wie auch immer man sich ihm annähert, man wird es nie direkt zu fassen bekommen. Es scheint geradezu angelegt zu sein, sich in nichts aufzulösen, sobald man es direkt anschaut, aber auch immer spürbar zu bleiben, wenn man es nicht beachtet – ein Gefühl, das manchmal ziemlich gruselig sein kann.

Wer sind wir?

Ich werde in diesem Buch häufig »wir« sagen, auch wenn es in meinem Arbeitsfeld (der Geisteswissenschaft) nicht unbedingt schicklich ist, »wir« zu sagen. Schicklich wäre, deutlich darauf abzuheben, wie unterschiedlich die Menschen sind, und wenn man »wir« sagt, dann, so die Meinung, würden diese signifikanten Unterschiede beiseitegewischt oder sogar eliminiert werden. Im Zeitalter der Ökologie sind Pronomen zudem eine komplizierte Sache: Wie viele Wesen versammeln sich in diesem »Wir« und handelt es sich dabei immer um Menschen? Ich benutze also »wir« als jemand, der die Politik der Differenz verinnerlicht hat und auch die Identitätspolitik kennt, durch die sie verzerrt wird. Ich benutze »wir« auch, um zu betonen, dass die für die globale Erwärmung verantwortlichen Wesen keine Seepferdchen sind, sondern Menschen wie meinesgleichen. Es ist an der Zeit herauszufinden, wie über den Menschen zu sprechen ist, ohne gleichzeitig so vorzugehen, als hätten im Denken und in der Politik die letzten Jahrzehnte nie stattgefunden. Natürlich können wir nicht wieder zu der Idee zurückkehren, es gebe jenseits aller unserer Unterschiede eine Art Vanilleextrakt des »Menschseins«. Sollten wir jedoch keinen Weg finden, wieder »wir« sagen zu können, wird es jemand anderes tun. Und wie William Blake, ein Dichter der Romantik, sagte: »Ich muss mir mein eigenes System schaffen, oder von einem fremden versklavt werden.«

Den Tatsachen ins Auge blicken

Wir alle wissen, dass die ökologische Literatur – insbesondere die, die wissenschaftliche Informationen liefert, wie sie vielleicht in Zeitungen, auf jeden Fall aber in Büchern mit Titeln wie dem der Zwischenüberschrift zu finden sind – sehr viele Fakten aufbieten muss. Eine Menge an Daten. Auch wenn man nicht groß darüber nachdenkt, liegt man sicher richtig in der Annahme, dass diese Daten in der Regel in einem bestimmten Modus dargeboten werden. Der Darbietungsmodus ökologischer Information hat ein gewisses Flair, einen bestimmten Stil – er geschieht in einem bestimmten Möglichkeitsraum. Zu meinen Aufgaben als Geisteswissenschaftler gehört es, diese Möglichkeitsräume zu ergründen, insbesondere dann, wenn wir uns ihrer nur vage bewusst sind. Möglichkeitsräume, die uns als solche nicht klar vor Augen stehen, üben unter Umständen alle möglichen Formen von Kontrolle über uns aus, Kontrolle, die wir nicht hinnehmen möchten, oder jedenfalls Kontrolle, über deren Koordinaten wir gerne Bescheid wüssten. Man denke nur über die lange Geschichte des Sexismus oder des Rassismus nach: Beide haben unser Verhalten auf alle erdenklichen Arten, derer wir uns noch nicht einmal bewusst sein dürften, beeinflusst. Und es hat von vielen Seiten viel Zeit und Mühen gekostet, diese auf Vorurteilen beruhenden und als selbstverständlich geltenden Annahmen, Denk- und Verhaltensmuster evident zu machen.

Wie sehen die Gesetze der Schwerkraft im Möglichkeitsraum aus? Wo ist oben, wo unten? Was gilt als falsch, was als richtig? Wie weit kann man in diesem Raum gehen, bevor man in einen anderen Raum eintritt? Wie weit zum Beispiel kann man den Darbietungsmodus ökologischer Information verzerren, bevor sie sich in etwas anderes verwandelt? Mit dieser Frage dürften wir tatsächlich eine gute Methode zur Hand haben, um herauszufinden, was ein Möglichkeitsraum ist; es ist ja auch keine schlechte Idee, Metall zu erhitzen, zu gefrieren, mit Energieimpulsen zu bombardieren, einem Magnetfeld auszusetzen usw., um etwas – das alte Bild vom Biss in die Goldmünze kommt in den Sinn – über seine Beschaffenheit zu erfahren. Das Gleiche gilt für die Künste. Welche Qualität ein Theaterstück hat, lässt sich am besten herausfinden, wenn man es in der Fantasie so weit verbiegt und verdreht, bis es etwas völlig anderes geworden ist. Siedelte man etwa Shakespeares Hamlet auf dem Jupiter an und kleidete seine Akteure in Hamsterkostüme, würde das Stück dann noch als Hamlet zu erkennen sein?

Meine Absichten werden vielleicht deutlicher, wenn ich es so formuliere: Dieses Buch ist frei von Faktoiden. Ein Faktoid ist eine Tatsache, von der wir wissen, dass ihr eine bestimmte Farbe, ein besonderer Geschmack beigegeben wurde, dass sie also wie eine Tatsache aussehen und klingen soll. Sie mag vielleicht sogar wahr sein, zumindest in der einen oder anderen Hinsicht. Und dennoch besitzt sie eine seltsame Qualität. Sie scheint uns zuzurufen: Schaut, ich bin eine Tatsache! Ihr könnt mich nicht übergehen. Ich bin direkt vom Himmel auf euren Kopf gefallen. Faktoide sind so konzipiert, dass sie aussehen, wie wir es von Tatsachen erwarten. Wir gehen davon aus, sie sollen so aussehen, als seien sie nicht ersonnen worden. Wenn Faktoide benutzt werden, fühlen wir uns quasi manipuliert von kleinen Bröckchen Wahrheit, die aus einem größeren, wahreren Gebäude herausgebrochen wurden, als seien sie Kuchenstückchen. Nehmen wir zum Beispiel das Faktoid »Es gibt ein Gen für« dieses oder jenes Merkmal. Die meisten Menschen gehen davon aus, dies bedeutet, dass ein Teil ihres DNA-Codes für ein bestimmtes Merkmal verantwortlich ist. Wenn man sich aber eingehend mit Evolution und Genetik befasst, wird man auf die Tatsache stoßen, dass es keine »Gene für« irgendetwas gibt. Tatsache ist, dass sich Merkmale durch komplexe Reaktionen ausprägen, die zwischen der Expression der DNA und der Umgebung stattfinden, in der die Expression der DNA erfolgt. Nur weil man DNA-Abschnitte besitzt, die mit einem bestimmten Krebs assoziiert sind, heißt dies noch lange nicht, dass man ihn auch bekommt. Wir aber wiederholen allenthalben das Faktoid »Es gibt ein Gen für diesen oder jenen Krebs«.

Wie wir Selbstgespräche über Ökologie führen

In den Medien findet die Darbietung ökologischer Information offenbar meist in einer Form statt, die man als Informationsmüllkippe bezeichnen könnte. Mindestens ein Faktoid – häufig aber ein ganzer Haufen – scheint uns auf den Kopf zu fallen. Und dieses Fallen besitzt eine gebieterische Qualität, der Darbietungsmodus scheint zu sagen: Stell dies nicht infrage. Oder sogar: Du solltest dich mies fühlen, wenn du dies infrage stellst. Insbesondere der Informationsmodus der globalen Erwärmung besteht offenbar darin, uns ganze Wagenladungen an Tatsachen ins Gesicht zu kippen. Weshalb aber? Damit wird nichts anderes gesagt als: Welche Schritte bleiben uns in dem Möglichkeitsraum, der durch den Informationsmodus der globalen Erwärmung konstituiert wird? Was wiederum eine ziemlich komplexe Formulierung der Frage ist: Wie ist das Genre der Information über globale Erwärmung beschaffen? Wo ist oben? Wie sollen wir uns fühlen? Welche Form der Informationsdarbietung würde diesen Modus zerstören? Und so weiter und so fort.

Dass wir keine richtige Antwort auf diese Frage haben, sollte uns innehalten lassen. Leugner sind hier ziemlich klar, sie sagen: Dieser Modus versucht mich von etwas zu überzeugen, das ich nicht glauben will. Mir soll eine Überzeugung eingetrichtert werden. Aber: Warum fühlen wir uns nicht alle so? Und wenn wir uns ökologisch rechtschaffen fühlen, halten wir uns von Leuten fern, die glauben, sie werden zugemüllt, damit sie irgendetwas fühlen – plumpe Schuld führt zu plumper Überzeugung, so etwa. Das ist kein Krieg der Überzeugungen – das ist die Wahrheit. Ist das für die Herren Klimaleugner so schwer zu begreifen?

Trotz allem, was uns Faktoide glauben machen wollen, fällt keine Tatsache einfach so vom Himmel. Es braucht eine ganze Umwelt, in der die Tatsache erscheinen kann – andernfalls würde man sie gar nicht sehen können. Widmen wir uns einer Sache, die man, wenn man im Westen aufgewachsen ist, eigentlich kaum sagen würde: Die Geister meiner Ahnen sind nicht glücklich darüber, dass ich dieses Buch schreibe. In welcher Welt ergibt eine solche Äußerung Sinn? Was muss man wissen, was darf man erwarten? Was gilt als richtig, was als falsch in dieser Welt? Damit wir wissen, was Realität ist, was als wirklich gilt, als existierend, was als richtig und unrichtig gilt, sind wir auf alle möglichen Annahmen angewiesen. Das Nachdenken über solche Annahmen kann in verschiedenen Formen stattfinden; eine dieser Formen bezeichnet die Philosophie als Ontologie, eine andere als Epistemologie. Ontologie erforscht, wie die Dinge sind. Epistemologie oder Erkenntnistheorie das, was wir über sie wissen können.

Über die Idee hinaus, dass Tatsachen nur in bestimmten Interpretationskontexten Bedeutung gewinnen, gibt es Fragen, die relativ leicht zu beantworten sind, wenn man sich eingehend mit Kunst, Musik oder Literatur befasst. Etwa: Was sagt die Methode über die Form aus, in der du die Information lesen sollst? Wie kannst du überprüfen, ob du sie richtig erfasst hast? Ein Renaissancegemälde schaut man nicht von der Seite an. Man stellt sich ziemlich genau gegenüber dem Fluchtpunkt auf, in einer gewissen Entfernung – dann wird die 3-D-Illusion ersichtlich. Das Bild weist eine bestimmte Position zu, das Gedicht möchte auf bestimmte Weise gelesen werden – genau wie eine Cola-Flasche auf eine gewisse Weise gehalten werden möchte oder wie ein Hammer im Moment seiner Handhabung in die Hand zu passen scheint. Was manchmal Ideologietheorie genannt wird, handelt meist davon, wie ein Gedicht, ein Gemälde, eine politische Rede oder ein Konzept einen bestimmten Umgang erzwingt.

Alle Arten von Ontologie und Erkenntnistheorie (und Ideologie) werden von dem Müllkippenmodus ökologischer Information tangiert, aber wir treten selten einen Schritt zurück, um uns darüber klar zu werden. Allzu sehr sind wir darauf aus, Müll abzuladen oder uns mit Müll bewerfen zu lassen. Warum? Warum wollen wir nicht einmal innehalten, um uns darüber klar zu werden? Befürchten wir, etwas herauszufinden? Warum ringen wir die Hände und klagen: Weshalb nur geht das diesen Klimaleugnern nicht in den Kopf? Oder: Weshalb nur kümmert das meinen Nachbarn nicht halb so sehr wie mich? Der Müllkippenmodus ökologischer Information ist ein Symptom für etwas viel Größeres als das Gefühl, das einen beim Lesen bestimmter Zeitungsmeldungen überkommt.

Wenn wir etwas auf Abstand gehen und diese Fragen anders stellen möchten, dann müssten sie zum Beispiel wie folgt lauten: Wie halten wir ökologische Daten aus? Können wir damit leben? Wenn nicht, was wollen wir damit anfangen? Das vorliegende Buch, Ökologisch sein, handelt davon, wie mit ökologischem Wissen zu leben ist. Offenbar reicht es nicht aus, über etwas einfach nur Bescheid zu wissen. Wie ich versucht habe auszuführen, bedeutet »über etwas Bescheid wissen« anscheinend nicht einfach nur, über etwas Bescheid zu wissen. Auch »über etwas Bescheid wissen« ist eine Art, die Dinge zu leben. Und wenn man weiß, dass es die eine Art gibt, dann gibt es bestimmt auch noch andere Arten. Wenn man eine Tragödie vor sich hat, kann man sich auch eine Komödie vorstellen. Wenn man in New York lebt, kann man sich auch vorstellen, in einem Nicht-New-York zu leben.

Offenbar gibt es zahlreiche Möglichkeiten, ökologisches Wissen zu leben. Zum Beispiel könnte man ein Hippie sein, was mir nicht ganz unvertraut ist. Hippie zu sein ist eine Lebensweise, die das ganze Leben betrifft, eine Lebenseinstellung. Ist sie aber als Lebensweise zwingend, um ökologisch informiert leben zu können? Man nehme das Internet. Bevor viele Menschen Zugang dazu hatten, gab es zwei, drei Möglichkeiten, mit dem Internet zu leben. Zum Beispiel gab es den amüsierten, verspielten, experimentellen, anarchischen oder libertären Slacker-Modus, bei dem das Internet das Gefühl verleihen sollte, Identitäten seien formbar oder könnten sich verflüssigen. Dann geschah etwas Seltsames. Immer mehr Leute waren im Internet unterwegs und das Internet wurde im Großen und Ganzen zu einem wahrhaftig repressiven und autoritären Raum, in dem man, wenn man nicht einer von drei akzeptablen Meinungen folgte, Gefahr lief, von einem selbstgerechten Twittermob attackiert zu werden, der dem in Hitchcocks Die Vögel über der Tankstelle herabstoßenden Schwarm in nichts nachstand. Ich werde hier nicht darauf eingehen, wie und warum dies geschehen konnte, aber es dürfte klar sein, worauf ich hinauswill.

Ökologisch sein startet mit einem Blick hinter die Kulissen und ergründet, wie wir mit uns selbst über Ökologie sprechen. Wie dies hauptsächlich geschieht, nämlich indem wir uns laufend mit Daten zumüllen, verhindert im Grunde einen genuinen Umgang mit dem ökologischen Wissen. Es gibt bessere als die aktuellen Möglichkeiten, mit all diesem Wissen zu leben, und wir wissen noch nicht einmal, dass wir bereits danach leben. Wir sind Menschen, die in Gewohnheiten gefangen sind und, ohne es zu bemerken, fortwährend die gleichen Dinge wiederholen. Als stünden wir am Waschbecken und würden uns zwanghaft die Hände waschen, immer und immer wieder, und haben keine Ahnung, was uns dazu gebracht hat.

Manche Tatsachen haben ein Verfallsdatum, insbesondere ökologische, und vor allem die zur Erderwärmung, die notorisch vieldimensional und auf alle möglichen zeitlichen Größenordnungen und alle denkbaren Szenarien hochgerechnet werden müssen. Wenn wir uns jeden Tag oder allwöchentlich mit Daten zumüllen, dann kann dies wirklich verwirrend und beschwerlich werden. Betrachten wir das Ganze aus einem anderen Blickwinkel. Stellen wir uns vor, wir träumen. Was wäre das für ein Traum, in dem die Charaktere und der Plot mitunter deutlich variieren, die Gesamtwirkung aber – die Grundfarbe, der Grundton, die Perspektive des Traums – die gleiche bleibt? Es gibt hier eine aus der Welt des Träumens stammende Analogie, nämlich die traumatischen Träume derjenigen, die an der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden.

Ökologische PTBS

In PTBS-Träumen erlebt man in der Vorstellung sein Trauma von Neuem und die Träume haben die hässliche Gewohnheit, immer wiederzukehren. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, fragte sich, warum dies so ist – warum wir von Dingen träumen, die für uns offenbar so abträglich sind, und dies in einem Traummodus, der in mancher Hinsicht nicht minder abträglich ist –, warum das Trauma uns schockt, uns schreiend und schweißgebadet aufwachen lässt, warum wir es nicht abschütteln können, wenn wir unseren täglichen Geschäften nachgehen usw. Freud argumentierte, dass bei diesem Prozess auch Lust im Spiel sein müsse, da wir uns sonst die Sache nicht antun würden.1 Es muss, wenn wir uns in der Traumwelt mit traumatischen Daten zumüllen, einen Aspekt geben, der lustvoll ist. Falls meine Analogie tragfähig ist, dann bedeutet dies, dass der Informationsmüllmodus, so verwirrend und bedrückend er häufig auch scheinen mag, seine lustvollen Aspekte hat.

Der PTBS-Kranke, so Freud, versucht sich durch seine Träume einfach an einen Zeitpunkt zu versetzen, der vor dem Eintreten des Traumas liegt. Warum? Weil schon das Vermögen zur Antizipation Schutz oder Sicherheit gewährt. Antizipierte Angst ist weit weniger intensiv als die Angst, die man erlebt, wenn man sich plötzlich mitten in einem Trauma befindet. Freud bezeichnet diese Form der Angst als Schrecken. Genau betrachtet definiert sich das Trauma als Situation, in der man mittendrin steckt – man kann sich ihm nicht heimlich von der Seite oder von hinten nähern, und genau aus diesem Grunde ist es traumatisch. Man gerät zum Beispiel plötzlich in einen Verkehrsunfall. Wenn man ihn hätte antizipieren können, hätte man ihm womöglich ausweichen können.

PTBS-Träume versuchen eine Blase antizipierender Angst zu erzeugen (Freud nennt dies Ängstlichkeit – was im Rahmen dieses Buches ein bisschen verwirrend wäre, sodass ich im Weiteren auf den Begriff verzichte), die das ungefilterte Trauma des Schreckens umgibt. Analog betrachtet bietet der Informationsmüllmodus eine Möglichkeit, sich an einen fiktiven Zeitpunkt zu versetzen, der noch vor dem Einsetzen der Klimaerwärmung liegt. Wir versuchen also etwas zu antizipieren, worin wir uns bereits befinden.

Etwas tun

Der explizite Inhalt der Daten scheint so dringlich zu sein, als würde er schreien: Schaut, begreift ihr denn nicht! Wacht auf! Tut endlich was! Doch implizit ist der Modus, in dem wir diese Informationen senden und erhalten, von einem Inhalt, der mit dieser Dringlichkeit in deutlichem Widerspruch steht: Da kommt etwas, aber es ist noch nicht da. Erst einmal abwarten – orientieren, vorausschauen. Die Botschaft hat offenbar zwei Gesichter. Eines ist schockierend und bedrängend; das andere ist die Blase, die vor dem Schock schützt. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass wir die Daten noch so sehr verfeinern können, uns noch so sehr mit Information zumüllen können, und doch wird es am Ende nicht helfen. Man kann einen PTBS-Traum nicht mit dem Schrecken auf eine Linie bringen, den er umzuwandeln sucht. So besehen ist der Modus des Zumüllens mit ökologischer Information – und ich sage dies so zugespitzt wie nur möglich – das genaue Gegenteil dessen, was nötig wäre, um zu begreifen, wo wir stehen und warum.

Im Moment sieht es doch so aus, als ob wir nur auf die richtigen Daten warten, Daten, denen gemäß wir unser Leben künftig ausrichten könnten. Aber diese Daten werden niemals eintreffen, schon allein, weil ihr Darbietungsmodus dazu ausgelegt ist, eine angemessene Reaktion zu verhindern – wir befinden uns inmitten schrecklich verwirrender, traumatischer Ereignisse wie der Erderwärmung und dem Massenaussterben und haben doch keine wirkliche Vorstellung, wie wir damit leben sollen.

Ist es nicht der PTBS-Modus, der es letztlich so schwierig erscheinen lässt, etwas, irgendetwas zu tun? Fast jede Konferenz zur Umweltforschung, die ich besuche, endet mit einem Gespräch am runden Tisch, in dessen Verlauf sich jemand mit der Frage zu Wort meldet: »Aber was sollen wir denn tun?« Als ob das tagelange besorgte Nachdenken nicht schon eine Form des Tuns ist. Die Frage ist ein Symptom dafür, dass wir uns in einer erschreckenden Situation befinden, erschreckend im technischen Sinne Freuds, dem zufolge wir realisieren, dass wir ein Trauma durchmachen. Wie bei allen Traumata bemerken wir den Schrecken erst, wenn wir uns schon ein Stück weit in der Erfahrung befinden. Wir wollen das Wesen des ökologischen Notstands nicht wahrhaben. Die Frage, die am Schluss des runden Tischs aufkommt, möchte vorausschauend, antizipierend sein, möchte in Erfahrung bringen, was im Vorhinein zu tun sei. Doch das wird uns nicht gelingen. Denn wir haben den falschen Weg eingeschlagen, in die falsche Richtung geblickt – genau aus diesem Grunde ist ja all dies geschehen. Es ist wie in einem Film noir, in dem die Hauptperson entdecken muss, dass sie die ganze Zeit für einen feindlichen Geheimdienst gearbeitet hat.

Ich hege also eine große Sympathie für Fragen wie »Was sollen wir jetzt tun?«. Und gerade deshalb weigere ich mich, eine direkte Antwort zu geben. Was Fragen dieser Art fragen und die Art, wie sie es fragen, hat mit dem Bedürfnis zu tun, alle Aspekte der aktuellen ökologischen Krise zu kontrollieren. Dazu sind wir jedoch nicht in der Lage. Das würde nämlich die Fähigkeit erfordern, die Zeit zurückdrehen zu können und zumindest bis ins Jahr 10 000 vor unserer Zeit zurückzukehren, also bevor der Mensch die landwirtschaftliche Logistik in Bewegung setzte, die schließlich zur industriellen Revolution, zu Kohlenstoffemissionen und deshalb zur Erderwärmung und zum Massenaussterben führte.

Doch bis zu einem gewissen Grad gibt es für all dies eine einigermaßen wohlwollende Erklärung. Man wird einfach nie zuerst denken und dann handeln. Man kann nicht alles zugleich im Blick haben. Man wurstelt herum und erst dann bekommt man einen Eindruck davon, was eigentlich abläuft, und gelangt zu einer mehr oder weniger präzisen Einsicht in die Dinge. Wie wir inzwischen aus der Neurologie wissen und der Phänomenologie entnehmen konnten, werden Voraussicht und Planen seltsam überschätzt. Das hängt damit zusammen, dass wir die Idee des freien Willens überschätzen. Unsere vom Ackerbau geprägten Religionen erklären uns, dass wir eine Seele besitzen, die irgendwo in unserem und zugleich jenseits unseres Körpers angesiedelt ist, und dass diese Seele den Körper lenkt wie ein Wagenlenker seine Pferde (so der griechische Philosoph Platon in Phaidros). Doch diese Vorstellung hat ihren Ursprung in genau jener Dynamik, die wir als Problem ausgemacht haben. Wir haben angenommen, über den Dingen zu stehen, außerhalb der Dinge oder jenseits davon, und auf sie herabblicken und genau entscheiden zu können, was zu tun sei. Genau das haben wir seit 12 000 Jahren auf die eine oder andere Weise getan.

Vielleicht verlangen ökologische Tatsachen, dass wir nicht sofort und unmittelbar wissen, was zu tun ist.

Doch es zeigt sich ein Paradox. Das, was wir tun müssen, liegt so überaus deutlich auf der Hand: Wir müssen die Kohlenstoffemissionen begrenzen oder völlig einstellen. Wir wissen also ganz genau, was zu tun ist. Warum aber unterlassen wir es? Es gibt herrliche Möglichkeiten, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Man kann zum Beispiel das Argument anführen, der Neoliberalismus sei so durchdringend repressiv und allgegenwärtig, dass es einer globalen Revolution bedürfe, um all die Gebilde, die die Atmosphäre mit ihren Kohlenstoffemissionen verschmutzen, die großen Konzerne also, zu zerschlagen. Demnach müsste erst eine gigantische gesellschaftliche Revolution stattfinden, und dann, wenn endlich die richtige Form des zwischenmenschlichen Umgangs gefunden wäre, könnten wir uns der Aufgabe zuwenden, die Emissionen einzudämmen. Handelt es sich hier nicht bizarrerweise um das gleiche Argument, das Indien auf der Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen vorgebracht hat, als es anführte, das Land könne die Emissionen nicht begrenzen, da es zuerst dieselbe Entwicklung zu durchlaufen habe wie der Westen? Erst wenn das richtige gesellschaftliche Stadium erreicht sei, könne es daran denken, die daraus rührenden schädlichen Aspekte einzudämmen.

Selbst angenommen, diese Strategie würde funktionieren, zu dem Zeitpunkt, an dem das erwünschte Stadium erreicht wäre, wäre die Erde schon längst weggeschmolzen.

Dinge und Datendinge

Es existiert also eine ziemlich präzise Handlungsanweisung, doch selbst wenn wir uns darum bemühen, wird sich das, was wir tun, nie und nimmer so anfühlen, als unternähmen wir genau das Richtige. Das ist das Paradoxe daran: Wir wissen, was zu tun ist, und werden doch nie in der Lage sein, uns hoch genug über die Welt zu erheben, um zu sehen, wie dieses Tun aussieht. Und seltsam ist es überdies, denn die beiden Tatsachen gehören zusammen: Wir haben präzise Daten und präzise Lösungen, doch – und – dies geht einher mit unserem Unvermögen, vor lauter Bäumen den Wald zu sehen. Immer scheint es zu viele Bäume zu geben.

Übrigens ist das Problem weit interessanter (will heißen, schlimmer) als gerade beschrieben. Denn ausnahmslos jedes Handeln unterliegt diesem Paradox, auch das Handeln einzelner Personen oder kleinerer Gruppen. Man wird niemals imstande sein, im Voraus zu prüfen, ob die eigenen Handlungen die gewünschte Wirkung bringen, und dann weiß man ja, die Erde ist so groß, dass die kleinen Aktionen nicht viel zählen, wenn überhaupt. Tatsächlich sind die individuellen Emissionen statistisch gesehen so gut wie ohne Bedeutung. In Milliarden auftretend allerdings verursachen genau sie die globale Erwärmung. Das sagen die Daten. Gar nichts zu tun ist jedoch genau das Problem – sich also selbstgefällig zu geben und sich machtlos zu fühlen wird genauso wenig funktionieren.

»Was sollen wir tun?« möchte eine Last abgenommen bekommen. Welche? Es möchte von der Last der Angst und der Unsicherheit befreit werden. Daten generell, und umso mehr Daten zur Erderwärmung, haben mit Angst und Unsicherheit zu tun. Das liegt daran, dass sie statistischer Natur sind. Man wird niemals beweisen können, dass x tatsächlich y bedingt. Allenfalls kann man sagen, dass dies zu 99 Prozent wahrscheinlich ist. Zum Beispiel werden die Muster, die in der Wolkenkammer des Large Hadron Colliders, des Teilchenbeschleunigers am CERN in Genf, auftreten und als Beleg für das Higgs-Boson dienen, die Existenz dieses Elementarteilchens nicht völlig beweisen können: dieses »nicht völlig« bezieht sich lediglich auf einen winzigen Bruchteil von einem Zehntelprozent der Wahrscheinlichkeitsspanne. Bei genauer Überlegung ist das besser, als die Dinge einfach zu behaupten, denn damit führt man Dinge der Beobachtung zu, die real sind, und zudem bedeutet es, dass die Behauptung nicht mit der Androhung von Gewalt gleich welcher Art untermauert werden muss. Ein Higgs-Boson existiert, nicht weil der Papst uns nötigt, daran zu glauben, sondern weil es aufgrund der Muster, die die Physiker in den Daten erkennen können, so gut wie unwahrscheinlich ist, dass es nicht existiert. Genau das tun Wissenschaftler: Sie suchen in den Daten nach Mustern. Nach Mustern Ausschau zu halten ist eine Sache, die sich weit mehr, als man für möglich halten mag, mit der Liebe zur Kunst vergleichen lässt. Mehr dazu später.

Wahrheitlichkeit

Datum heißt einfach »das, was gegeben wird«. Daten (lat./engl. data) ist die Pluralform des Supinums von lateinisch dare, geben; Aspekte von Dingen, die uns, wenn wir sie beobachten, gegeben werden. Wenn wir eine Waage zur Hand haben, können wir Daten über das Gewicht von Äpfeln sammeln. Haben wir einen Teilchenbeschleuniger, können wir Daten über die Protonen in einem Apfel sammeln. Daten sind nicht das Gleiche wie Fakten, und schon gar keine Interpretationen von Fakten. Um eine Tatsache, ein Faktum, zu erhalten, braucht es zwei Dinge: Daten und die Interpretation dieser Daten. Dies klingt kontraintuitiv, denn wenn es um Wissenschaft geht, denkt unsere Alltagssprache sehr altmodisch über Fakten. Die Alltagssprache stellt sich Fakten vor wie einen Barcode, wie etwas, das man von den Dingen ablesen kann; als etwas Offensichtliches. Ein wissenschaftliches Faktum aber ist nicht offensichtlich. Und genau deshalb muss man Experimente anstellen, Daten sammeln und diese Daten interpretieren.

Man beachte, dass weder Daten noch Interpretationen die eigentlichen Dinge sind, über die wir Daten sammeln und die wir interpretieren. Ein Faktoid ist eine (in der Regel) kleine Datenmenge, deren Interpretation es als wahrhaftig erscheinen lässt. Es ist wahrheitlich (truthy), um das sinnige Vokabular des amerikanischen Komikers Stephen Colbert und seine Wortparodie Wahrheitlichkeit (truthiness) zu verwenden. Es klingt nach Wahrheit, oder wie Wissenschaftler mitunter sagen, es ist wahrheitsähnlich.