Parker lässt den "Vielfraß" springen - Günter Dönges - E-Book

Parker lässt den "Vielfraß" springen E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! In diesem Drehgestell befanden sich diverse Ansichtskarten, die ihre Halterungen verließen und wie riesige Schneeflocken durch die Halle wirbelten. Der Chefportier des Hauses, ein gestandener Mann, den so leicht nichts erschüttern konnte, schluckte beeindruckt und brachte sich in Deckung, da Lady Agatha sich erneut ihrem Butler widmete. »Ich werde langlaufen«, kündigte sie unternehmungslustig an, »ich werde meinen Kreislauf in Schwung bringen, Mr. Parker. Ich rechne damit, daß Sie mich begleiten werden.« Die totale Unordnung, die sie angerichtet hatte, übersah sie souverän. Sie schien auch nicht die Gäste wahrzunehmen, die hinter den Sesseln volle Deckung genommen hatten. Munter schob sie ihre beeindruckende Fülle zur Drehtür, und Parker ahnte bereits im vorhinein, daß mit weiteren Zwischenfällen zu rechnen war. Agatha Simpson war wohl kaum willens und in der Lage, ihre Ski durch diese ein wenig komplizierte Tür zu bringen. Sie ging auch sofort in den Clinch mit dieser Tür, verklemmte und verhakte die Langlaufbretter, wurde leicht gereizt, riß und zerrte nun an ihnen, um sich durch die Türsektoren zu bringen. »Ein unmögliches Hotel«, grollte sie verärgert, als sie stecken geblieben war. »Wenn Mylady sich vielleicht für wenige Augenblicke gedulden mögen«, bat Josuah Parker, »man wird die Tür zusammenfalten.« Parker ließ sich auch jetzt nicht aus der Ruhe bringen. Der etwas über mittelgroße, alterlos wirkende Mann, der den Hauch eines Bauchansatzes zeigte, stand schon seit Jahren in Diensten der ungewöhnlichen Dame und wunderte sich über nichts mehr. Er war das Urbild eines hochherrschaftlichen britischen Butlers, hatte ein glattes, ausdrucksloses Gesicht und benützte eine Art Kunstsprache der Höflichkeit, die man im Blut haben mußte. Josuah Parker hatte keine Mühe, die Tür passierbar zu machen. Er wurde dabei vom Chefportier und den Gästen in der Hotelhalle bewundernd beobachtet.

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Butler Parker – 188 –

Parker lässt den "Vielfraß" springen

Günter Dönges

In diesem Drehgestell befanden sich diverse Ansichtskarten, die ihre Halterungen verließen und wie riesige Schneeflocken durch die Halle wirbelten. Der Chefportier des Hauses, ein gestandener Mann, den so leicht nichts erschüttern konnte, schluckte beeindruckt und brachte sich in Deckung, da Lady Agatha sich erneut ihrem Butler widmete.

»Ich werde langlaufen«, kündigte sie unternehmungslustig an, »ich werde meinen Kreislauf in Schwung bringen, Mr. Parker. Ich rechne damit, daß Sie mich begleiten werden.«

Die totale Unordnung, die sie angerichtet hatte, übersah sie souverän. Sie schien auch nicht die Gäste wahrzunehmen, die hinter den Sesseln volle Deckung genommen hatten. Munter schob sie ihre beeindruckende Fülle zur Drehtür, und Parker ahnte bereits im vorhinein, daß mit weiteren Zwischenfällen zu rechnen war. Agatha Simpson war wohl kaum willens und in der Lage, ihre Ski durch diese ein wenig komplizierte Tür zu bringen.

Sie ging auch sofort in den Clinch mit dieser Tür, verklemmte und verhakte die Langlaufbretter, wurde leicht gereizt, riß und zerrte nun an ihnen, um sich durch die Türsektoren zu bringen.

»Ein unmögliches Hotel«, grollte sie verärgert, als sie stecken geblieben war. »Wenn Mylady sich vielleicht für wenige Augenblicke gedulden mögen«, bat Josuah Parker, »man wird die Tür zusammenfalten.«

Parker ließ sich auch jetzt nicht aus der Ruhe bringen. Der etwas über mittelgroße, alterlos wirkende Mann, der den Hauch eines Bauchansatzes zeigte, stand schon seit Jahren in Diensten der ungewöhnlichen Dame und wunderte sich über nichts mehr. Er war das Urbild eines hochherrschaftlichen britischen Butlers, hatte ein glattes, ausdrucksloses Gesicht und benützte eine Art Kunstsprache der Höflichkeit, die man im Blut haben mußte.

Josuah Parker hatte keine Mühe, die Tür passierbar zu machen. Er wurde dabei vom Chefportier und den Gästen in der Hotelhalle bewundernd beobachtet. Unter diesen Gästen befand sich ein Mann, der vielleicht fünfundvierzig Jahre zählte. Dieser schlanke und sportlich aussehende Typ hatte das Gesicht eines Fuchses, schnelle, flinke Augen und einen schmalen Mund.

Er lächelte mokant über Lady Agatha, die endlich die Tür hinter sich lassen konnte, wobei allerdings eine kleinere Scheibe der Drehtür zu Bruch ging. Der Mann schlenderte hinüber zur Rezeption und winkte dem Chefportier, der sich die dicken Schweißperlen von der Stirn wischte.

»Stammgäste?« erkundigte sich der Mann beiläufig.

»Lady Agatha Simpson mit ihrem Butler«, erwiderte der Chefportier, »Mylady entschied sich für einen Winterurlaub.«

»Wann wird sie das Haus abgerissen haben?« fragte der Gast ironisch weiter.

»Sir, bitte«, gab der Chefportier zurück, »Sie wohnen in einem grundsoliden Haus.«

»Die Lady ist Witwe?« lautete die nächste Frage des Gastes.

»Witwe und passionierte Amateurdetektivin, Sir«, gab der Chefportier zurück, »Mylady ist sehr erfolgreich, wie man hört.«

»Danach sieht sie wirklich aus«, spöttelte der Mann mit dem schmalen Gesicht, nickte dem Chefportier zu und schlenderte in die Tiefe der Halle zurück, in der noch immer Unruhe herrschte. Die Gäste erholten sich nur langsam von dem Erlebnis, das sie hatten. Der Mann, der sich bei dem Chefportier erkundigt hatte, verschwand in einer Telefonzelle und rief eine Nummer im nahen Pontresina an.

Er machte einen gespannt-ungeduldigen Eindruck, als er auf den Anschluß wartete.

*

Mylady befand sich in ihrem Element. Der Butler hatte ihr geholfen, die Skibindungen anzulegen. Sie stand nun auf den schmalen Langlaufbrettern, die sich unter ihrem nicht unbeträchtlichen Gewicht tief in den weichen Pulverschnee drückten. Agatha Simpson blickte den sanften Hang hinunter und nahm augenscheinlich Maß. Sie sah auf diesem Hang vor dem Hotel eine Vielzahl von schnee- und sportbegeisterten Menschen, die noch keine Ahnung von dem hatten, was bald auf sie zukam.

»Sie wollen mich wirklich nicht begleiten, Mr. Parker?« fragte die ältere Dame ihren Butler. Sie bedachte ihn mit einem fast mitleidigen Blick. »Geben Sie schon zu, daß Sie von diesem Sport überhaupt nichts verstehen.«

»Ein Meister in der Kunst des Wedelns, Mylady, dürfte meine bescheidene Wenigkeit mit Sicherheit nicht sein«, lautete Parkers Antwort, »zudem fehlt es an der sportlichen Kleidung, wenn man darauf aufmerksam machen darf.«

Parker untertrieb keineswegs.

Wenn er auch seinen schwarzen Covercoat im Hotelzimmer zurückgelassen hatte, so trug er immerhin noch einen schwarzen Zweireiher, schwarze Straßenschuhe, einen Eckkragen und einen schwarzen Binder. Auf seinem Kopf saß ein ebenfalls schwarzer Bowler oder auch Melone genannt. Am angewinkelten linken Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm, der hier ausgesprochen deplaziert wirkte.

»Nun denn, Parker, ich werde mich der weißen Pracht in die Arme werfen«, kündigte Agatha Simpson enthusiastisch an und bohrte die beiden Skistöcke energisch in den Schnee.

»Mylady sollten diese Absicht vielleicht nicht zu wörtlich nehmen«, bat Josuah Parker in seiner höflichen Art.

»Schieben Sie mich an, Mr. Parker«, verlangte sie, als die schmalen Bretter unter ihren Schuhen sich nicht rührten, obwohl sie sich kraftvoll abdrückte.

»Mit Myladys Erlaubnis.« Parker trat hinter seine Herrin und wuchtete sie mit der rechten Schulter aus dem Schnee. Diese Arbeit war nicht gerade leicht, wie sich zeigte. Es kostete den Butler einige Mühe, bis er Agatha Simpson an den Rand des sanften Hügels geschoben hatte. Als ihre Fülle sich dann endlich langsam in Bewegung setzte, stieß die ältere Dame einen Jauchzer aus und beschleunigte ihre Fahrt durch intensive Stockarbeit. Ihre beträchtliche Masse wandelte sich in ungestüme Energie um, als sie mit immer schneller werdender Fahrt nach unten donnerte.

Sie richtete einigen Flurschaden an.

Skiläufer, die sich ahnungslos auf dem Hang tummelten, sahen sich plötzlich einer Erscheinung gegenüber, die Panik auslöste. Lady Agatha war nicht in der Lage, die einmal eingeschlagene Richtung zu ändern. Sie stieß warnende Töne aus, ruderte mit den Armen und Skistöcken in der Luft herum und rammte ohne Schwierigkeiten einige Sportler, die nicht schnell genug den Weg geräumt hatten.

Ein Skilehrer, der mit einer Anfängergruppe auf der Mitte des Hangs übte, war nicht mehr in der Lage, seine Schüler zu warnen. Mylady säbelte den halben Kurs um, nahm dann Richtung auf den Gittermast eines Skilifts, fuhr haarscharf an ihm vorüber, visierte eine kleine Tanne an, die sich unter schwerer Schneelast duckte, rauschte über sie hinweg und riß dabei einige kleinere Äste ab, warf diese von sich und hielt dann auf die kleinen Holzhütten zu, die als Heuschober dienten. Die Straße hinter diesen Holzschuppen war übrigens sehr belebt. Ganze Autoschlangen waren auf dem Weg nach St. Moritz.

Es kam, wie es kommen mußte.

Lady Agatha hatte sich einen dieser Holzschuppen als endgültiges Ziel ausgesucht und war vom Kurs nicht mehr abzubringen. In der Wahl dieses Heuschobers bewies sie allerdings taktisches Geschick, denn zum Hang hin war der Schuppen geöffnet. Ein Landwirt aus der näheren Umgebung war damit beschäftigt, Heu auf einen Hörnerschlitten zu packen.

Er stieß einen eidgenössischen Fluch aus, als er Lady Agatha auf sich zukommen sah, hechtete zur Seite und blickte dann fassungslos auf das menschliche Geschoß, das dicht an ihm vorüber im Heuschober verschwand. Es dauerte eine Weile, bis Lady Agatha wieder vor der Hütte erschien. Sie war unverletzt, doch die Pudelmütze hatte sich verschoben. Lady Agatha war über und über mit Heu bedeckt und glich einem Grizzlybären, der nach einem Opfer suchte.

»Mußten Sie unbedingt hier Ihren Heuschober hinstellen?« grollte die ältere Dame den Bergbauern an, der kein Wort verstand. Der Mann aber begriff instinktiv, daß er sich den Unmut dieser Erscheinung zugezogen hatte. Er bekreuzigte sich und trat die Flucht an.

Lady Agatha wischte an ihrem eigenwilligen Skidreß herum und kniff die Augen zusammen, als sich ein kleiner Schlitten in rasanter Fahrt näherte. Auf diesem Schlitten saß Josuah Parker, der sich wegen der Geschwindigkeit die Melone mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms festhielt. Mit einem eleganten Schwung hielt Parker dann knapp vor Lady Agatha, stieg vom Schlitten und lüftete überaus höflich die Kopfbedeckung.

»Mylady sind mit den Schneeverhältnissen zufrieden?« erkundigte sich der Butler.

»Mit dem Schnee schon«, gab sie unwirsch zurück, »aber nicht mit der Piste, Mr. Parker. Nichts als Hindernisse. Ich werde mit der Kurverwaltung reden müssen. Erinnern Sie mich daran.«

Sie wollte noch einiges hinzufügen, doch in diesem Moment explodierte ein Stück Holzbohle dicht neben ihr. Splitter wirbelten durch die Luft, und Butler Parker handelte blitzartig. Er warf sich gegen seine Herrin, die im weichen Schnee keinen festen Halt besaß und beförderte sie zusammen mit sich hinter den Hörnerschlitten. Als Lady Agatha protestieren wollte, füllte ihr Mund sich mit Schnee.

*

»Man geruhte, auf Mylady zu schießen«, sagte Parker wenig später, als er die ältere Dame hochhievte.

»Man hat auf mich geschossen?« Sie sah ihren Butler entgeistert an und schüttelte dann den Kopf. »Das glaube ich einfach nicht. Ich habe schließlich nichts gehört. Sie haben mich absichtlich in den Schnee gestoßen!«

»Darf man sich erlauben, Myladys Aufmerksamkeit auf den Einschuß in der Bohle hinzuweisen?« Parker hatte seine Herrin losgelassen und zeigte mit der Schirmspitze auf den frischen Einschuß.

»Eine Unverschämtheit«, kommentierte Agatha Simpson jetzt den Schuß, »so schlecht war die Schußfahrt doch nun wirklich nicht. Im Grund hatte sie sogar Klasse, nicht wahr, Mr. Parker?«

»Myladys Kunst in der Handhabung von Skibrettern ist als einmalig zu bezeichnen«, behauptete Parker. In seinem glatten Gesicht rührte sich kein Muskel. »Mylady sollten übrigens davon ausgehen, daß man die Schußfahrt mit diesem Mordanschlag nicht zu kommentieren gedachte.«

»Man hat tatsächlich auf mich geschossen.« Sie stand kopfschüttelnd vor der Bohle und studierte den Einschuß.

»Unter Verwendung eines Schalldämpfers, Mylady, falls dieser Hinweis erlaubt ist.«

»Man will mich also wieder mal umbringen«, sagte sie und machte einen durchaus selbstzufriedenen Eindruck, »für die Unterwelt bin und bleibe ich ein rotes Tuch.«

»Präziser könnte man es nicht ausdrücken, Mylady.«

»Ist man mir von London bis hierher nach St. Moritz gefolgt?«

»Solch eine Möglichkeit sollte man auf keinen Fall ausschließen, Mylady«, gab Parker zurück, »es könnte aber auch sein, daß bereits Anwesende Mylady per Zufall ausmachten und die Gelegenheit beim sprichwörtlichen Schopf zu fassen gedenken.«

»Wir sind doch erst seit zwei Tagen hier«, meinte die ältere Dame, »und das Hotel habe ich kaum verlassen.«

»Dieses Haus erfreut sich großer Beliebtheit, Mylady«, sagte Josuah Parker, »der Schütze konnte entweder bereits im Haus wohnen, oder aber einer der Tee- und abendlichen Partygäste wurde auf Mylady aufmerksam.«

»Das ist ja alles sehr schön«, freute sie sich, »ich dachte schon, ich müßte hier in den kommenden vierzehn Tagen nichts als Sport treiben. Ich wittere eine Abwechslung.«

»Die durchaus tödlich verlaufen kann, Mylady.«

»Ich werde die Ermittlungen sofort aufnehmen«, erklärte Lady Agatha energisch. »Klären Sie alle Details, Mr. Parker!«

»Wie Mylady zu wünschen belieben.« Josuah Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Die zuständigen Schweizer Behörden sollen nicht verständigt werden?«

»Auf keinen Fall«, wehrte die Detektivin sofort ab, »das würde nur unnötige Schlagzeilen bedeuten. Sobald ich diesen Fall gelöst habe, können Sie die Behörden von mir aus verständigen.«

»Mylady haben die Absicht, die Schußfahrt hinunter ins Tal fortzusetzen?« fragte Parker und deutete weiter nach unten.

»Vielleicht später«, meinte sie, »Sie können mich ins Hotel zurückbringen. Ich glaube, meine Bretter sind zu Bruch gegangen. Keine Qualität übrigens. Zu meiner Zeit, als ich hier den Wintersport mitbegründete, gab es solchen Ausschuß noch nicht.«

»Mylady könnten den Sessellift zum Hotel benutzen.«

»Und wie komme ich zu diesem Sessellift?«

»Falls Mylady geneigt sind, sich meiner Wenigkeit anzuvertrauen, könnte man den Rodelschlitten bis hinunter zur Talstation benutzen.«

»Sie haben hin und wieder gute Ideen«, sagte sie, »oder brauchbare, um genau zu sein. Sie können hinter mir Platz nehmen, ich werde Ihnen zeigen, wie man rodelt.«

»Mylady bestehen darauf?« Ein blitzschneller Anflug von Sorge huschte über das Gesicht des Butlers.

»Nun machen Sie schon«, drängte sie energisch, »Ich werde Sie sicher zur Talstation bringen.«

»Meine Wenigkeit würde sich niemals erlauben, daran zu zweifeln«, behauptete der Butler, der natürlich ahnte, daß da wieder mal einiges auf ihn zukam.

*

»So fährt man einen Rodelschlitten, Mr. Parker«, stellte die wintersportbegeisterte Dame zehn Minuten später fest und übersah souverän die Schnee-Bar, die sie zusammengefahren hatte. Sie nahm überhaupt nicht zur Kenntnis, daß die beiden Barkeeper, von Flaschen und Gläsern umgeben, sich aus der weißen Pracht hervorarbeiteten.

Die Gäste an der Schnee-Bar hatten sich bereits von ihrem Schock erholt und unterhielten sich mehr oder weniger lautstark über die Geschicklichkeit der Lady Agatha. Sie alle hatten sich praktisch im letzten Augenblick in Sicherheit gebracht und waren so dem Rodelschlitten gerade noch entgangen.

»Myladys Technik ist bewunderungswürdig«, erklärte Josuah Parker, »aber vielleicht auch ein wenig kostspielig.«

»Wieso kostspielig?« Erst jetzt musterte sie das, was sie angerichtet hatte.

»Man wird von Mylady einen gewissen Schadensersatz fordern«, vermutete Josuah Parker. Er hatte sich seine verrutschte Melone längst wieder zurechtgerückt und sah korrekt wie stets aus.

»Ich denke nicht daran, auch nur einen Penny zu zahlen«, entrüstete sich die ältere Dame, »warum mußte man diese Schnee-Bar auch ausgerechnet hier aufbauen.«

Sie setzte sich in Bewegung und kümmerte sich nicht weiter um den Rodelschlitten, der nicht mehr so wie vor Antritt der Fahrt aussah. Er war sehr ramponiert worden und bestand eigentlich nur noch aus den Kufen und einigen angesplitterten Sitzstreben. Parker begab sich hinüber zu einem der Barkeeper, der sich aus dem Schnee befreit hatte und sich gerade einige Oliven aus dem Haar pflückte, die von der Bar stammten. Der Butler überreichte dem noch immer irritierten Mann seine Visitenkarte.

»Möglicherweise werden Sie einen gewissen Verlust beklagen«, schickte der Butler voraus, »senden Sie die Rechnung an die hier angegebene Adresse. Mit alsbaldiger Begleichung dürfen Sie fest rechnen.«

Parker folgte seiner Herrin, die ungestüm das nahe Dorf ansteuerte und auf ein Café zuschritt, das einen exklusiven Eindruck machte.

»Diese Bergluft macht Appetit«, stellte Agatha Simpson fest, »ich denke, Mr. Parker, ich werde einen zweiten Imbiß zu mir nehmen.«

»Mylady haben den Mordanschlag auf Myladys Leben vergessen?« wollte der Butler wissen.

»Natürlich nicht«, antwortete sie, »aber was besagt das schon? Das bin ich doch gewöhnt.«

»In der Menge der Touristen, Mylady, könnte solch ein Anschlag leicht wiederholt werden und zum Erfolg kommen.«

»Papperlapapp, Mr. Parker, Sie sehen wieder mal Gespenster«, erklärte sie mit Nachdruck, »der Mörder wird es nicht wagen, eine Agatha Simpson auf offener Straße anzugreifen.«

Parker war da zwar völlig anderer Meinung, doch er wiederholte seine Warnung nicht mehr. Er kannte seine Herrin seit Jahren und wußte genau, daß sie störrisch sein konnte wie ein altgedienter Maulesel. Der Butler blieb dicht hinter der älteren Dame und musterte die vielen Wintersportler, die die schmale Dorfstraße, auf der man sich inzwischen befand, bevölkerten. Dennoch war er froh, als Mylady endlich im Café war. Er dirigierte sie unauffällig in eine Nische, die gerade frei wurde und bestellte dann zwei Kaffee.

»Und ein Frühstück, meine Beste«, fügte Agatha Simpson hinzu und bedachte die Haustochter mit einem fast freundlichen Blick. Dann lehnte sie sich zurück und musterte ihre nähere Umgebung.

Es gab in diesem Café sehr viel zur Schau gestellte Mode, sonnengebräunte Menschen, Gefallsüchtige und Angeber. Man bewegte sich ein wenig stolz und von sich eingenommen, machte in Selbstdarstellung und zeigte, daß man auf der Sonnenseite des Lebens stand.

»Wahrscheinlich alles talmi«, mokierte sich Lady Agatha und deutete ungeniert auf eine füllige Vierzigerin, die einen ungemein auffälligen und toll geschnittenen Skianzug und noch mehr Schmuck trug.

»Mrs. Gloria Builtman«, antwortete Parker, »Mylady werden gleich festgestellt haben, daß der Schmuck echt ist.«

»Wer ist Gloria Builtman?« fragte Agatha Simpson gedehnt und nicht gerade leise.

»Die Witwe des vor einiger Zeit verschiedenen Theo Builtman, Mylady«, erläuterte der Butler, »Mrs. Builtman besitzt einige ansehnliche Fabriken im Bereich der amerikanischen Konservenindustrie.«

»Schnickschnack«, sagte Parkers Herrin abfällig, »aber der Schmuck ist tatsächlich echt, wie ich ja gleich sagte.«

Das stimmte zwar keineswegs, aber eine Lady Agatha Simpson gestand grundsätzlich keinen Fehler ein und mußte stets recht behalten. Bevor Josuah Parker antworten konnte, erschien ein kleiner Junge am Tisch, lachte Lady Simpson an und legte dann einen Brief auf den kleinen Marmortisch. Als Parker nach ihm greifen wollte, zog der Junge den Brief schnell wieder an sich und grinste. Parker opferte eine Münze in Schweizer Landeswährung, bekam dann den Brief und las die Anschrift.

»Für Mylady«, sagte der Butler, während der Junge bereits wieder in Richtung Ausgang verschwand.

»Für mich?« Sie griff in die Brusttasche ihres eigenwilligen Skianzugs, holte ihre Stielbrille hervor und klappte sie auseinander. Dann prüfte sie die Anschrift, fetzte ungeduldig den Umschlag auf und überlas die wenigen Zeilen.

»Von einem Vielfraß«, sagte sie dann, während ihre Wangen sich röteten, »diese Kreatur rät mir, St. Moritz schleunigst zu verlassen, falls mir mein Leben lieb wäre. Das ist eine Unverschämtheit!«

*

»Buchstaben, Mylady, die mit einer Schablone geschrieben wurden«, stellte der Butler fest, nachdem auch er das kurze Schreiben überlesen hatte.

»Mit einer Schablone?« gab sie zurück. »Was vergegenwärtige ich mir darunter?«

»Eine Art Lineal aus Kunststoff, Mylady, in das Buchstaben eingestanzt wurden«, sagte Parker in seiner höflich-geduldigen Art, »man braucht diese Buchstaben nur nach Belieben mit einem geeigneten Schreibgerät nachzuziehen.«

»Ich weiß«, gab sie schnell zurück, »ich kenne so etwas natürlich. Hatte ich schon mal mit einem Vielfraß zu tun? Wie male ich mir den wohl aus?«