1,99 €
Lillian Reed musste den Kerl einfach ansehen. Herr Biedermann persönlich, dachte sie voller Zorn. Nichts an dem Mann ließ darauf schließen, zu was für Taten er fähig gewesen war.
Dabei war er nichts anderes als ein Ungeheuer! Durch die Medien wusste sie alles über ihn: Ein braver Familienvater mit einem guten Job im mittleren Management und einem Häuschen in der Vorstadt.
Lillys Zorn wurde durch einen unbändigen Schmerz verursacht, ihr ganzes Inneres war eine klaffende Wunde. Daran war niemand anderes als die Kreatur auf der Anklagebank schuld. Er hatte ihr die Tochter genommen!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 137
Cover
Der Dämon und seine Hexe
Leserseite
Vorschau
Impressum
Der Dämon und seine Hexe
von Stefan Hensch
Die Hexe warf die langen Haare nach hinten und ging mit lasziven Schritten auf den am Boden kauernden Zamorra zu.
Sein Energieniveau hatte schon beträchtliche Verluste hinnehmen müssen. Er war ihnen völlig schutzlos ausgeliefert.
Kalt lächelnd streckte sie die Rechte erneut aus und schoss einen Strahl aus absoluter Dunkelheit auf ihn ab.
»Stirb, Zamorra!«, raunte sie und führte Ankoriziels Auftrag aus.
Vor 5 Jahren
Lillian Reed musste den Kerl einfach ansehen. Herr Biedermann persönlich, dachte sie voller Zorn. Nichts an dem Mann ließ darauf schließen, zu was für Taten er fähig gewesen war. Wenn man Kowalski auf der Straße oder beim Einkaufen begegnete, hielt man ihn vermutlich für einen freundlichen oder sogar sympathischen Zeitgenossen. Dabei war er nichts anderes als ein Ungeheuer! Durch die Medien wusste sie alles über ihn: ein braver Familienvater mit einem guten Job im mittleren Management und einem Häuschen in der Vorstadt.
Lillys Zorn wurde durch einen unbändigen Schmerz verursacht, ihr ganzes Inneres war eine klaffende Wunde. Daran war niemand anderes als die Kreatur auf der Anklagebank schuld. Er hatte ihr die Tochter genommen!
Allerdings war Lisa nur eines von vier Mädchen, deren Tod man Jeff Kowalski anlastete. Die Beweise waren eindeutig, und die Plädoyers waren fast abgeschlossen. Gerade war der Anwalt des Monsters an der Reihe. Bisher hatte Lillian nichts von seinem Gerede mitbekommen, so sehr wurde sie von ihren Emotionen vereinnahmt. Doch jetzt wollte sie zuhören, was der Anwalt des Angeklagten zu sagen hatte.
»Euer Ehren, sehr verehrte Jury!« Der Rechtsanwalt blickte durch den Saal und machte eine kurze rhetorische Pause.
»Wie wir alle gesehen haben, ist die Beweislast in diesem Fall erdrückend. Als Rechtsanwalt habe ich vor allem meinem Mandanten Mr Kowalski, aber auch dem Gericht gegenüber eine Verpflichtung. In langen Gesprächen während der letzten Nacht konnte ich meinen Mandanten von einem Strategiewechsel überzeugen.«
Ein Raunen ging durch den Saal. Alle Blicke richteten sich auf den Anwalt. Jedermann spürte, dass die Verhandlung in eine ganz entscheidende Phase gegangen war.
Ein Arm legte sich sanft um Lillians Schulter, um ihr Halt zu geben. Es war Jelly, ihre Schwester, die neben ihr saß.
»Mein Mandant Mr Jeff Kowalski übernimmt die volle Verantwortung für die vier hier verhandelten Taten. Wir plädieren trotzdem auf schuldunfähig, da Mr Kowalski unter den Folgen einer starken Persönlichkeitsstörung leidet!«
Im Gerichtssaal brach Unruhe aus, was den Richter zu Ordnungsrufen veranlasste. Als langsam wieder Stille einkehrte, beschäftigte sich der Vorsitzende mit den Unterlagen vor sich.
»Sie zweifeln hiermit also das Gutachten von Dr. Bruce Greene an, das ihrem Mandaten eine vollständige Zurechnungsfähigkeit attestiert, Mr Saul?«
Der Rechtsanwalt nickte. »Das ist korrekt, Euer Ehren. Mein Mandant ist ein äußerst intelligenter Mensch, der es meisterhaft versteht, sich hinter der Maske der Normalität zu verstecken. Ich berufe mich auf den Fall Walters gegen den Staat Connecticut aus dem Jahr 2003. Ähnlich wie in diesem Fall handelte es sich bei dem Gutachter um einen Psychotherapeuten und nicht um einen Psychiater.«
Lilly Reed schluchzte und schlug sich die Hände vors Gesicht, während erneut Unruhe im Saal ausbrach. Sie hatte es die ganze Zeit geahnt! Dieses Monster würde eine Lücke finden, um noch im letzten Moment den Hals aus der Schlinge zu ziehen.
Ihre Schwester drückte sie fester. »Ganz ruhig, Lilly. Das ist noch nicht das Ende, ganz sicher nicht. Wir finden einen Weg, das verspreche ich dir. Der Kerl wird noch bekommen, was er verdient!« Jelly war selbst Anwältin.
Lillian sah ihre Schwester mit tränenverhangenem Blick an. Dann schüttelte sie langsam den Kopf. »Männer wie er flutschen wie ein Fisch durch die löchrigen Netze unseres Systems!«
Louisville, 1994
Tiffy schlug die Augen auf. Die Fenstervorhänge waren nicht ganz zugezogen, und ein Sonnenstrahl war auf ihr Gesicht gefallen. Zuerst wusste sie nicht, wo sie war. Dann roch sie aber den charakteristischen Weichspüler und hörte auch das Atmen ihrer Schwester Puffy. Zu Hause hatten die beiden Schwestern eigene Zimmer, und nur Oma benutzte diesen Weichspüler mit seinem fast atemberaubenden Aroma. Da erinnerte sich das Mädchen wieder. Sie waren gestern von ihrem Vater hergebracht worden, es waren Sommerferien!
Die Zehnjährige sah zur anderen Seite des Raumes, wo ihre Schwester Puffy noch tief und fest schlief. Tiffy musste lächeln, denn eigentlich hieß ihre Schwester genauso wenig Puffy, wie sie Tiffy hieß. Das waren die Namen, die sie nur zu Hause und in den Ferien benutzten. Ihre Klassenkameraden und Freundinnen nannten sie anders. Beiden Mädchen waren sie aber wichtig, vielleicht weil sie schon verstanden hatten, dass die Welt dort draußen rauer und teilweise auch gefährlich war. Aber diese Welt war jetzt weit weg, schließlich waren sie jetzt bei Oma Tracy. Weiter konnte das Draußen gar nicht entfernt sein!
In diesem Moment öffnete nun auch Puffy die Augen und sah ihre Schwester direkt an. Ihr Blick war klar, und ein Lächeln umspielte die Lippen von Tiffys jüngerer Schwester. »Freust du dich schon auf den Dachboden?«
Puffy nickte. Der Dachboden! Dort verwahrte Oma Tracy ein buntes Sammelsurium von Gegenständen, von denen eigentlich niemand mehr wusste, wo sie herkamen. Opa Hank war Pilot gewesen und hatte von seinen Reisen die verrücktesten Souvenirs mitgebracht, aber so viel konnte ein Mensch allein gar nicht an Gegenständen anhäufen. Oma Tracy sagte immer, dass einiges von den Sachen vielleicht noch vom Vorbesitzer des Hauses stammte. Das machte die Angelegenheit für die beiden Mädchen nur noch interessanter, wenn sie auf einen ihrer Raubzüge gingen. Wer konnte schließlich schon sagen, was da oben alles gelagert wurde?
Durch das Dachfenster fiel Sonnenlicht in den Dachboden und erzeugte ein fast schon mysteriöses Zwielicht. Staubpartikel schwebten in der Luft und reflektierten funkelnd das goldene Licht. Natürlich hätten die Mädchen das Licht einschalten können, aber das hätte ja völlig die gruselige Atmosphäre zerstört. Deshalb blieb die Deckenlampe aus, und die Schwestern mussten mit dem Licht aus dem Dachfenster und dem schwachen Schein ihrer Taschenlampen auskommen.
Waren Puffy und Tiffy ansonsten unzertrennlich, ging hier jede für sich auf die Jagd. Echte Archäologinnen gingen ja auch immer alleine auf Expedition, oder hatte Indiana Jones etwa einen Assistenten?
Tiffy blieb vor einem hohen Schrank stehen. Wie das massive Möbelstück wohl auf den Dachboden gekommen war? Da hatte sich Opa Hank ziemlich viel Mühe gemacht, wenn er es gewesen war. Aber das Mädchen war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher. Hatte der Schrank wirklich schon beim letzten Mal hier gestanden? Sie schüttelte den Kopf. Oma Tracy hatte den Schrank sicherlich nicht alleine hier hochgebracht. Also musste der Schrank schon länger hier stehen.
Prüfend berührte sie das Holz des Möbelstücks, fuhr seine Kanten mit den Fingern entlang. Das Holz war verwittert, aber ansonsten noch gut in Schuss.
Vorsichtig öffnete Tiffy eine Schranktür. Als der Schein ihrer Taschenlampe hineinfiel, zuckte das Mädchen zusammen. Ein Augenpaar starrte ihr aus der Dunkelheit entgegen!
Das Herz von Tiffy raste und schien ihr bis zum Hals zu schlagen.
Nur langsam beruhigte sie sich wieder. Etwas starrte sie tatsächlich aus dem Schrank heraus an, aber es war nicht lebendig. Lächelnd streckte sie die Hand aus und zog einen Teddybären heraus. Im Gegensatz zum Schrank hatte der Bär stärker gelitten. Sein Fell war völlig verstaubt, und er roch auch irgendwie ... alt. Irgendetwas an dem Spielzeug gefiel Tiffy, gab ihr ein gutes Gefühl. Außerdem besaß sie noch keinen Teddybären in ihrem Fundus. Ja, das ist meine Beute!
»Wow!«, stieß Puffy aus.
Mit dem Teddy unter dem Arm flitzte Tiffy zu ihrer Schwester. Auch sie schien fündig geworden zu sein, aber was sie da in den Händen hielt, gefiel Tiffy so gar nicht. »Ein Buch?«, fragte sie mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.
»Ja, ein Buch«, erwiderte Puffy stolz.
Tiffy fühlte eine seltsame Abneigung. Es ging von dem Buch etwas aus, das ihr nicht gefiel. Der Einband war rissig, und eine seltsam altertümliche Schrift prangte darauf.
»Es ist zumindest sehr alt, das steht fest«, sagte Tiffy und schluckte ihr Unbehagen runter.
»Und es hat Opa gehört«, sagte ihre Schwester und zeigte ihr das Exlibris im Buch.
Puffy hatte recht, aber für Tiffy machte es die Sache nicht besser. Oma hatte schon mal erzählt, dass sich Opa früher mit den makabersten Dingen beschäftigt hatte. Das Buch schien dazuzugehören!
»Es sind Geistergeschichten«, frohlockte Puffy.
Das Gesicht des anderen Mädchens verdüsterte sich. »Dann wünsche ich dir viel Spaß damit!«
Puffy schlug das Buch zu. »Wieso, wir können uns ja jeden Abend vor dem Schlafengehen daraus etwas vorlesen?«
Ihre Schwester schüttelte den Kopf. »Ich will mit so was nichts zu tun haben, sonst bekomme ich nur Albträume davon!«
»Na, wen hast du da mitgebracht?«, wollte Tracy Reynolds wissen, als sie ihre Enkelin mit dem Teddybären vom Dachboden herunterkommen sah. Anstelle von Tiffy antwortete ihre Schwester:
»Einen verstaubten und sicher schon halb vermoderten Teddybären.« Das blonde Mädchen verzog abschätzig das Gesicht. »Dafür habe ich etwas viel Tolleres gefunden, Oma. Schau mal hier!« Puffy zeigte Tracy begeistert ihren Dachbodenfund.
Die Oma der Kinder lächelte verunglückt. »Opa Hank hatte so einen Sinn für gruselige Geschichten. Früher hat er all diese Doc-Savage-Hefte gelesen. Hoffentlich ist das nicht zu gruselig für dich, mein Schatz!«
Puffy winkte ab. »Ich bin schon groß, und ich liebe Gruselgeschichten«, sagte das Mädchen und zog das Wort liebe fast schon absurd in die Länge. Dann verschwand sie mit dem Buch ins Wohnzimmer, und Tiffy blieb mit ihrem neuen Freund zurück. Für Tracey sah es so aus, als hätten Puffys Worte sie traurig gemacht. Deshalb ging sie vor ihrer Enkelin in die Knie und betrachtete interessiert den Teddy.
»Weißt du was?«, fragte die Oma ihre Enkelin.
Tiffy presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
»Ich hole mal eine weiche Bürste und etwas Backpulver!«
»Backpulver?«, fragte Tiffy entsetzt. »Willst du Eusebius etwa in den Backofen stecken?«
Tracy schmunzelte. »Nein, mein Schatz. Backpulver ist ein altes Hausmittel, um schlechte Gerüche zu beseitigen!«
Tiffy folgte ihrer Oma in die Küche. Dort bekam der Teddybär ein Wellnessprogramm, das sich gewaschen hatte. Als sie fertig waren, sah Tracy ihre Enkelin an. »Was meinst du? Eusebius sieht fast wie neu aus, oder?«
Das Mädchen nickte begeistert. »Und er riecht auch nur noch ganz wenig!«
Tracy räumte die Bürste und das Backpulver wieder in den Schrank. Danach sah sie auf die Küchenuhr und zwinkerte Tiffy verschwörerisch zu. »Wollen wir uns heute eine Pizza machen?«
»Ja, Oma!« Tiffy jubelte vor Freude.
Die Oma nickte. »Dann frag mal deine Schwester, was sie auf der Pizza haben will!«
Tracy Reynolds lachte. Ihre Schwiegertochter Sandy hatte angerufen. Sie wollte wissen, wie es ihren Töchtern ging. Tracy mochte ihre Schwiegertochter, ihr Sohn Rick hatte ein gutes Händchen bei der Auswahl seiner Ehefrau gehabt. Oder war es genau andersherum gewesen? Tracy wusste es nicht, aber es war ihr auch egal. Sandy war eine patente Frau, die für die Mädchen eine gute Mutter war. Insgeheim bedauerte Tracy es sogar, dass sie ihre Schwiegertochter nicht häufiger sah. Rick hatte eine Stelle in Seattle bekommen, die Strecke war kein Katzensprung. Deshalb hatte Tracy schon öfter daran gedacht, das Haus aufzugeben und auch nach Seattle zu ziehen. Aber bisher hatte sie sich zu keiner endgültigen Entscheidung durchringen können.
»Was machen die Kinder?«, wollte Sandy am anderen Ende der Leitung wissen.
»Heute Morgen mussten sie sofort hoch auf den Dachboden!«
Sandy seufzte. »Erinnere die beiden Prinzessinnen aber bitte an unsere Abmachung. Jeder darf nur eine Sache mit nach Hause bringen, sonst wachsen wir hier nämlich wirklich so langsam zu!«
Ein feines Lächeln umspielte Tracys Lippen. »Die Damen haben sich schon entschieden. Tiffy hat einen uralten Teddybären aufgetrieben, den ich völlig vergessen haben muss. Er war total verstaubt, aber wir haben ihm eine ganz besonders intensive Pflege angedeihen lassen.«
Sandy schmunzelte. »Nun gut, die Kleine hat wirklich keinen Teddybären. Mr Brown ist irgendwann verloren gegangen. Das war ein richtiges Drama, wie du dir vorstellen kannst.«
Tracey konnte sich das sehr gut vorstellen. Sie erinnerte sich noch sehr gut an Ricks Kindheit. Verlorene Spielzeuge waren das Allerschlimmste gewesen. Aber hatte Rick der Teddy gehört? Die alte Frau konnte sich definitiv nicht mehr daran erinnern. Seltsam!
»Und was hat Puffy ergattert?«
Tracy kicherte leise. »Rick hat dir ja sicher erzählt, dass sein Vater eine gewisse Leidenschaft für makabre Dinge hatte. Puffy ist eines seiner Bücher in die Hände gefallen, ein in ziemlich mitgenommenes Leder gebundener Schinken. Geistergeschichten oder so was in der Art.«
Seattle, Frühjahr 1995
Dr. Wagner war jetzt schon eine ganze Zeit bei Puffy im Zimmer. Während Sandy Reynolds bei der Untersuchung dabei war, wartete Rick mit seiner Tochter Tiffy im Wohnzimmer.
»Warum hat Puffy überhaupt die Masern bekommen? Wir sind doch beide geimpft worden?«
Rick sah seine Tochter an und schüttelte den Kopf. »Das wüsste ich auch gerne, Schatz. Aber vielleicht erklärt uns das Dr. Wagner.«
Die beiden hörten, wie die Kinderzimmertür geöffnet wurde.
»Das Telefon steht gleich um die Ecke, Dr. Wagner«, hörten sie die Stimme von Sandy. Kurz darauf knarrten die Dielen im Flur, als der Arzt zum Telefon ging.
Das hatte nichts Gutes zu bedeuten, das wusste Tiffy sofort. Auch das Gesicht ihres Vaters sprach Bände.
»Dr. Wagner. Ich habe hier eine zehnjährige Patientin. Maserninfektion trotz Impfschutz, sie zeigt seit zwei Tagen Symptome einer bakteriellen Superinfektion.«
Schweigen. Tiffy wusste nicht, was der Arzt mit dem Begriff Superinfektion meinte. Super war doch gut? So wie bei Superman? Doch Rick Reynolds' Gesicht verdüsterte sich sogar noch weiter.
Etwa zwanzig Minuten später kam der Krankenwagen und holte Puffy ab, um sie in die Seattler Kinderklinik zu bringen.
Tiffy war natürlich mit ihren Eltern ins Krankenhaus gefahren, um bei Puffy sein zu können. Im Auto hatte ihre Mutter erklärt, was mit ihrer Schwester los war und warum ein Superinfekt etwas sehr Gefährliches war.
Aber als die Familie im Krankenhaus ankam, erwartete sie ein Schock. Puffy hatte auf dem Weg ins Krankenhaus das Bewusstsein verloren und war sofort auf die Intensivstation verlegt worden.
Jetzt standen sie vermummt in weißen Kitteln, Hauben, Handschuhen und Mundschutz neben dem Bett des bewusstlosen Mädchens. Für Tiffy sah es so aus, als würde sie nur schlafen. Aber sie wusste, dass der Eindruck täuschte.
»Mein Name ist Dr. Alan Cooley. Sie sind die Eltern der Patientin?«
Der stämmige Mann im weißen Kittel war wie aus dem Nichts im Zimmer aufgetaucht. Vermutlich war er im Nachbarraum gewesen und hatte sie gehört.
Sandy Reynolds nickte stumm.
»Dr. Wagner hat absolut richtig gehandelt. Bei Ihrer Tochter ist es zu einer weiteren Komplikation gekommen. Die Superinfektion hat eine schwere Gehirnhautentzündung ausgelöst. Das ist auch die Ursache für das Koma.«
Sandy Reynolds schluckte hart, ihre Kehle war staubtrocken. »Sie können das doch sicher behandeln?«
Der Mundschutz des Arztes ließ nur den Blick auf die Augen frei. Die Reaktion alarmierte die Mutter.
»Wir geben Ihrer Tochter hochdosiertes Antibiotikum. Mehr können wir momentan nicht tun.«
Bleiernes Schweigen breitete sich im Krankenzimmer aus. Doch sowohl Rick Reynolds als auch seine Frau spürten, dass der Arzt noch etwas sagen wollte.
»Verstehen Sie mich nicht falsch, Mrs Reynolds. Aber die kommende Nacht wird sehr entscheidend für Ihre Tochter. Es wäre vielleicht besser, wenn jemand von Ihnen hier im Krankenhaus bleiben würde.«
Das Ehepaar sah sich stumm an. Vermutlich hatte der Arzt Tiffy schonen wollen, deshalb hatte er es bei unausgesprochenem Subtext belassen. Die bittere Wahrheit lautete, dass ihre Tochter die nächste Nacht vielleicht nicht überleben würde!
Tiffys Mutter blieb im Krankenhaus, um dort in einem Schlafraum in der Nähe der Intensivstation zu übernachten. Vom Krankenhauspersonal bekam sie alles Nötige für die Nacht, sodass Rick mit seiner Tochter Tiffy nach Hause fahren konnte.
Die Heimfahrt und das anschließende Abendessen verliefen schweigsam. Rick standen die Sorgen ins Gesicht geschrieben, und auch Tiffy spürte die zentnerschwere Last, die alles unter sich zu zerquetschen drohte.
Später im Bett starrte Tiffy in die Dunkelheit. Unter der Tür des Kinderzimmers drang heller Lichtschein hindurch. Ihr Dad konnte wohl auch nicht schlafen. Intuitiv wusste das Mädchen jetzt auch, was los war: Ihr Vater wartete auf einen Telefonanruf. Wenn das Telefon klingelte, würde etwas unbegreiflich Furchtbares über sie alle hineinbrechen. Sie wusste auch, was es war, aber etwas in ihr weigerte sich, es zu verstehen.
Nach einer Weile schaltete das Mädchen die Bettlampe ein. Tiffy konnte einfach nicht schlafen, ständig musste sie an ihre Schwester denken. Plötzlich hatte sie einen Kloß im Bauch. Ob sie Puffy jemals wiedersehen würde?
Es schnürte ihr die Kehle zu. Hilfesuchend sah sie Eusebius an.
»Hilf mir bitte, Eusebius«, flüsterte sie.
Das Mädchen schluchzte.