Professor Zamorra 1305 - Adrian Doyle - E-Book

Professor Zamorra 1305 E-Book

Adrian Doyle

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Beschreibung

Zu so früher Stunde, kurz nach dem ersten Hahnenschrei, war mit Post nicht zu rechnen, absolut nicht, was Madame Claire veranlasste, ihrer Neugier nachzugeben. Als sie ins Freie trat, erhaschte sie jedoch nur noch einen flüchtigen Blick auf die davoneilende Gestalt. Unmöglich zu erkennen, um wen es sich dabei handelte.
Während sich die Schritte des oder der Unbekannten über das Trottoir entfernten, entdeckte Claire ein unter den Deckel des Briefkastens geklemmtes Stück Papier, das sich als Flugblatt entpuppte. Sie nahm es mit ins Hausinnere und las im Schein der Flurlampe. Auf dem Gesicht der Köchin erschien ein Lächeln ...

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Seitenzahl: 169

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Inhalt

Cover

Der Fluch von Saint-Cyriac

Sonderseiten

Vorschau

Impressum

Der Fluchvon Saint-Cyriac

von Adrian Doyle

Zu so früher Stunde, kurz nach dem ersten Hahnenschrei, war mit Post nicht zu rechnen. Absolut nicht, was Madame Claire veranlasste, nach dem Rechten zu sehen, als sie das Klappern ihres Briefkastens hörte. Als sie ins Freie trat, erhaschte sie jedoch nur noch einen flüchtigen Blick auf die davoneilende Gestalt. Unmöglich zu erkennen, um wen es sich dabei handelte. 

Während sich die Schritte über das Trottoir entfernten, entdeckte Claire ein unter den Deckel des Briefkastens geklemmtes Stück Papier, das sich als Flugblatt entpuppte. Sie nahm es mit ins Hausinnere und las im Schein der Flurlampe. Auf dem Gesicht der Köchin erschien ein Lächeln ...

Wir bedanken uns bei allen Fans für ihre Treue! Auf die nächsten 50 Jahre PROFESSOR ZAMORRA, dem einzigartigen Meister des Übersinnlichen!

DAS WARTEN HAT EIN ENDE !

Unser Dorfkino

öffnet seine Pforten und startet am kommenden Samstag mit dem Klassiker

»16 Uhr 50 ab Paddington«

und Margaret Rutherford in ihrer Paraderolle als schrullige Miss Marple.

Beginn 18 Uhr.

Einlass (stilgerecht) bereits ab 16 Uhr 50.

Für Snacks und Getränke ist gesorgt.

Einen unvergesslichen Abend wünschen

die stolzen Betreiber

Beatrice und Henri Cailot

Madame Claire kannte jeden einzelnen Dorfbewohner, folglich auch die Cailots. Und so nahm es nicht wunder, dass ihr ein erwartungsfrohes »Überredet!« herausrutschte.

Nicht ahnend, wie unvergesslich der beworbene Kinoabend wahrhaftig werden sollte.

Saint-Cyriac

einige Wochen zuvor

Der rostbraune 2CV Fourgonnette rumpelte altersschwach auf den Hof des Cailot-Anwesens und kam mit einem dumpfen Vergaserknall zum Stehen. Als Henri Cailot, inzwischen selbst so ein Oldtimer wie sein Lieferwagen, ausstieg, kam ihm seine Frau Béatrice schon entgegen.

»Endlich!« Sie baute sich vor ihrem Mann auf, stemmte die Fäuste in die Hüften und blies sich eine Haarsträhne aus ihrem vor Verärgerung geröteten Gesicht. »Henri Serge Cailot!« Die Aufzählung all seiner Vornamen leitete ein, was Cailot während der dreistündigen Fahrt, die hinter ihm lag, durchaus vorhergesehen hatte. »Warum bist du nicht an dein verdammtes Telefon gegangen? Ich habe ein Dutzend Mal versucht ...«

»Beruhige dich«, unterbrach er sie sanft. Dass er, wie üblich, nicht aus der Fassung zu bringen war, stachelte ihren Zorn, ebenfalls wie üblich, nur umso mehr an.

Was den 72-Jährigen nicht davon abhielt, seine Hände auf die schmalen Schultern seiner drei Jahre jüngeren Frau zu legen und in unverändert freundlichem Tonfall zu versichern: »Du weißt doch, dass ich mit dem neumodischen Kram auf Kriegsfuß stehe. Der Akku ist leer. Bin damit schon losgefahren, tut mir leid. Was gab es denn Wichtiges?«

»Was es Wichtiges gab?« Sie streifte seine Hände ab und trat einen Schritt zurück. »Du warst den halben Tag lang unterwegs wegen dieses fragwürdigen Notartermins! Hattest du nicht auch vor, mit einem Makler durch das Haus zu gehen?« Sowohl Tonfall als auch Mimik blieben ungnädig, während sie sich die Hände an ihrer umgebundenen Küchenschürze abwischte, obwohl sie nicht aussahen, als wären sie nass oder schmutzig. »Da wäre es doch normal, mir mal einen kleinen Zwischenstand zu geben, was du erreichen konntest. Es mag zwar dein Onkel gewesen sein, der dich als Alleinerben eingesetzt hat. Aber sind wir nicht seit mehr als vierzig Jahren verheiratet, und habe ich nicht ein Anrecht zu erfahren ...«

Cailot machte eine beschwichtigende Geste. »Natürlich hast du das. Und natürlich will ich dir nichts vorenthalten. Aber ich hasse diese Portables, das weißt du. Es war kein böser Wille. Und wenn ich dir erzähle, was der Makler mir sagte, wirst du im Zusammenhang mit Tontons Erbe nie wieder das Wort ›blöd‹ in den Mund nehmen.«

Ihre Miene entspannte sich ein klitzekleines bisschen. »Ach ja? Und warum nicht?« Bevor er antworten konnte, blaffte sie ihn noch an: »Und hör auf, ihn Tonton zu nennen. So reden nur Kleinkinder. Du solltest erwachsen genug sein, um ...«

Sein Seufzen brachte sie zum Verstummen, und er beeilte sich, ihre eigentliche Frage zu beantworten.

»Der Notartermin war schnell erledigt. Ich musste nur noch ein paar abschließende Unterschriften leisten, die die Besitzverhältnisse auf mich ...«, er räusperte sich, »... auf uns natürlich, chérie, übertrugen. Danach habe ich mich in der Tat mit dem Makler getroffen, mit dem ich vorab einen Termin vereinbart hatte. Wir sind gemeinsam durch das Gebäude und, um es kurz zu machen, er versicherte mir, dass sein Klient genau das sucht, was Ton... ich meine Onkel Alphonse uns in Ermangelung eigener Kinder vermacht hat. Der Verkauf ist nur noch eine Formalität. Allerdings riet er mir, die Immobilie leerzuräumen beziehungsweise leerräumen zu lassen, weil der Interessent keine Verwendung für das Inventar habe und es die im Raum stehende Verkaufssumme drücken könnte, wenn er alles mitübernehmen und sich selbst um die Entsorgung kümmern müsste.«

Ihre Stirn legte sich in Falten. »Von welcher Summe reden wir?«

»Rate.«

»Ich explodiere gleich.« Sie scharrte mit den Füßen, aber er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass er sie am Haken hatte. »Sechsstellig?«, fragte sie.

Er ließ sie ein paar Sekunden zappeln, bevor er nickte. Sie hatten im Vorfeld immer mal wieder spekuliert, was ein Verkauf der Erbschaft in der Region, in der die Immobilie stand, einbringen könnte. Der Zustand war nicht mehr zeitgemäß, aber die Grundstückspreise in der Innenstadt von Lyon machten das laut – von Beatrice betriebener – Internetrecherche bei Weitem wieder wett.

»Mittlerer sechsstelliger Bereich?«

Er schüttelte zerknirscht den Kopf und freute sich insgeheim über den Schatten, den die Enttäuschung über ihre rosigen Wangen legte.

»Nein?«, fragte sie. »Aber zwei-‍, dreihunderttausend müssten doch drin sein, selbst wenn das Gebäude abgerissen werden müsste und jemand ganz neu bauen wollte!«

Er zuckte mit den Schultern und sagte wie beiläufig. »Sieben-‍, achthundert.«

Sie riss die Augen auf. »... tausend?«

Er lachte und breitete die Arme aus. »Was sonst? Und ja: Euro, keine Kamele oder dergleichen, auch wenn der Interessent aus dem Nahen Osten kommt.«

Sie schüttelte auch den letzten Anflug von Verärgerung ab, mit dem sie ihn empfangen hatte. Stattdessen drückte sie ihm einen dicken Kuss auf die Wange. »Schuft!«, zischte sie nach einem heftigen Durchatmen, was er aber schon nicht mehr ernst nahm und was auch nicht ernst gemeint war, wie der Freudentanz verriet, zu dem sie ihn im nächsten Moment nötigte.

»Gut, dass uns die Nachbarn nicht sehen können«, sagte er mit Blick auf die umliegenden Hofgebäude, die gegen die angrenzenden Häuser abschirmten. »Die würden uns wohl für nun endgültig verrückt erklären.«

»Und wenn schon!«

Ihr Strahlen übertraf seine kühnsten Erwartungen, und ein warmes Gefühl wie lange nicht mehr breitete sich in Cailots Brust aus. »Du siehst gerade genauso aus wie das junge Mädchen, das ich damals zum Tanzen ausführte. Du weißt schon, welche Nacht ich meine ...«

Und ob sie es wusste. Neun Monate später war ihr Ältester, der wie seine Geschwister aus Saint-Cyriac fortgezogen war, zur Welt gekommen, davor hatten sie noch schnell vor den Altar treten müssen.

Es waren andere Zeiten gewesen.

Die Uhr würden sie nicht zurückdrehen können, aber vielleicht würde ihnen, wenn alles glattging, die Summe, die der Makler in Aussicht gestellt hatte, die letzten Jahre ihres Rentnerlebens doch noch in nicht mehr für möglich gehaltener Weise versüßen.

Aber außer den großen Wünschen gab es auch noch kleinere, und einer davon hatte gerade erst bei der Besichtigung der geerbten Immobilie Gestalt in Henri Cailots Hirn angenommen.

Die schlagartig gehobene Laune seiner zunächst noch verprellten Frau ermutigte ihn dazu, sie jetzt gleich, an Ort und Stelle, mit seiner Idee zu konfrontieren.

»Kommst du?«, fragte er und wandte sich dem Heck seines Fourgonnette zu, hinter dessen Flügeltüren sich verbarg, was er aus der Stadt mitgebracht hatte. Nicht nur als Andenken an seinen Onkel, das er vorhatte in der Scheune zu lagern oder als Dekormittel einzusetzen, sondern ...

Die Türen schwangen quietschend auf, und Béatrices Augen weiteten sich. »Grundgütiger! Was willst du denn damit?« Nicht nur stimmlich verfiel sie wieder in das Verhaltensmuster, mit dem sie ihn empfangen hatte.

Bevor die Stimmung kippte, weihte Henri sie in seine Pläne ein. »Du weißt, wie vernarrt ich in alte Filme bin. Nicht dieses schreckliche Zeug, mit dem sie heutzutage den Markt überschwemmen, nein, die Juwelen, die die großen Regisseure uns hinterlassen haben, als Kino noch Unterhaltung war und nicht nur aus Psychodramen und Hochgeschwindigkeitsszenenwechseln bestand. Die Schauspieler damals beherrschten ihr Handwerk noch, brachten Pointen auf den Punkt, ohne dass sie durch Spezialeffekte oder bombastische Musik unterstützt werden mussten ...« Er seufzte. »All die Klassiker, die wir beide so lieben. Wie oft haben wir sie auf dem kleinen Fernseher in der guten Stube und manchmal, selten, auch auf der großen Leinwand in der nächsten Stadt geschaut?«

Der Ausdruck ihres Gesichts wurde wieder weicher bei seinen Worten. Sie nickte sogar. Aber nur, um gleich darauf kopfschüttelnd zu sagen: »Ich verstehe nicht ganz. Erklär es mir. Du hast nicht vor, diesen monströsen Projektor ...«, sie zeigte auf den ausladendsten der Gegenstände, die Henri von seinem Ausflug mitgebracht hatte, »... in unser Wohnzimmer zu stellen und ...«

»Nein, nein!«, unterbrach und beruhigte er sie. »Das wäre verrückt. Es fehlt ja auch noch die passende Leinwand, und der Abstand zwischen ihr und dem Projektor muss viel größer sein, als wir es in unserer Stube hinbekämen!«

Ihre Erleichterung war spürbar. »Na Gott sei Dank! Aber ...«

»Wenn es uns an etwas auch schon vor der Erbschaft nicht mangelte, dann war es ...«

Er wartete nicht wirklich ab, bis sie antwortete.

»... Platz!«, vollendete er für sie. »Die Scheune böte sich perfekt an. Ich verspreche, dich nicht damit zu behelligen. Ich werde es ganz alleine auf die Beine stellen. Wobei du natürlich jederzeit willkommen bist mit anzupacken, wenn du das denn willst ...«

»Böte sich perfekt an wofür?«

»Es wäre ein Traum. Das viele Geld mag ja schön und gut sein. Aber das hier ...«, er zeigte auf das Inventar, das er aus dem hinterlassenen Kino seines im gesegneten Alter von 97 Jahren verstorbenen Onkels mitgebracht hatte, »... wäre fürs Herz. Und wir könnten anderen ebenfalls etwas Gutes tun. Wir sind doch nicht die Einzigen, die sich für die Schinken von früher begeistern. Béa, denk nach. Das hier könnte ein regelmäßiger Treffpunkt für den Ort werden. Nicht nur für die alten Knacker. Es gibt so viele Filme, die auch Familien mit kleinen Kindern ein Lachen ins Gesicht zaubern ...«

Ihr Blick verhieß nichts Gutes. Henri sah seine Felle davonschwimmen. Doch dann trat unverhofft die Frau, in die er sich vor so langer Zeit verliebt hatte, hinter dem imaginären Vorhang ihres Mienenspiels hervor, und er hatte das Gefühl, dass sie von innen heraus leuchtete, als sie mit den Schultern zuckte und sagte: »Warum eigentlich nicht? Wie lange dränge ich schon, du bräuchtest ein Hobby. Eins, das dich ganz und gar ausfüllt. Dein ...«, sie seufzte, »... unser Kino wird ja wohl auch mal Ruhezeiten und Betriebsferien haben. Dann können wir immer noch durch die Weltgeschichte reisen und die Reichtümer verprassen, die uns winken. Wann willst du anfangen? Und wie kann ich dir helfen?«

Und so kam es, dass schon ein paar Wochen später ...

»Was machst du denn mit mir?«

Henri Cailot tat nur so, als missfiele ihm, was seine Frau mit ihm veranstaltete. Sie hatte eines ihrer bunten Halstücher so verdreht, dass sie ihm damit die Augen verbinden konnte.

»Würde ich es dir jetzt schon sagen, bräuchte es die Binde nicht mehr. Und was wäre das für eine Überraschung?«

Er brummte. »Habe ich nie erwähnt, dass ich Überraschungen hasse?«

»Jetzt hab dich nicht so. Du wirst es nicht bereuen.« Sie zurrte den Knoten hinter seinem Kopf fest und ignorierte den leisen Protest, als sich ein paar Haare darin verfingen. »Sei keine Memme. Du tust, als hätte ich dir ganze Büschel ausgerissen. Und jetzt genug gejammert, hak dich bei mir unter und vertrau mir.«

»... sagte der Henker, als er dem Delinquenten die Augen verband und zum Schafott führte«, scherzte Cailot.

»Unverbesserlich«, zischte Béatrice. »Ich verliere gleich die Geduld – verdirb es nicht.«

Er gab sich geschlagen und verkniff sich weitere Kommentare, um sie nicht ernsthaft auf die Palme zu bringen. Vorsichtig ließ sich von seiner Frau über den Hof zur angrenzenden Scheune führen, in der früher Heu und Stroh für das Milchvieh gelagert worden waren. Goldene Zeiten, wie Cailot fand. Ob er aber unter den heutigen Bedingungen noch einmal den Mut gehabt hätte, den Weg zu gehen, dem sich seine Kinder nicht ohne Grund verweigert hatten, wusste er nicht. Die Bürokratie und ihre Verordnungen hatten ihm in den letzten Berufsjahren schon manches verleidet, und besser geworden war es nicht, würde es nie mehr werden.

Er hoffte, dass kein Amtsschimmel auf die Idee kommen würde, ihm auch noch Vorschriften machen zu wollen, wie er mit seinem Hobby umging. Aber er war guter Dinge, weil er keinerlei monetäre Absichten verfolgte. Doch neben dem Fiskus gab es ja auch noch so putzige Behörden wie die Bauaufsicht, und wenn die wollte, konnte sie alles zunichtemachen.

Aber dafür hätte es getreu der alten Binsenweisheit »Wo kein Kläger, da kein Richter« einer Anzeige bedurft, und wenn Saint-Cyriac für etwas stand, dann für eine funktionierende Dorfgemeinschaft.

In all den Wochen, seit publik geworden war, was die Cailots auf ihrem Privatgrund bauten, hatte das Ehepaar nicht eine Stimme vernommen, die sich negativ darüber geäußert hatte. Abgesehen von ein paar Leuten, denen es mehr oder weniger egal war, um welche Attraktion das kleine Dorf bereichert werden sollte, gab es allenthalben nur Zuspruch.

Nachdem Béatrice ihn durch das geöffnete Schiebetor ins Innere der früheren Scheune gelenkt hatte, blieb sie mit ihm an der Stelle stehen, von der aus er ihre Überraschung mit einem Blick erfassen konnte.

Hier erst nahm sie ihm die Binde ab.

Aber er machte sich einen Spaß daraus, die Augen weiterhin fest geschlossen zu halten.

»Jetzt sieh schon hin, sonst nehm ich sie wieder weg!«

Cailot wusste, wann es Zeit war, mit den Mätzchen aufzuhören. Bevor seine Frau auf die Idee kam, wieder seine sämtlichen Vornamen hervorzukramen, tat er ihr lieber den Gefallen, zumal sie angekündigt hatte, dass er sich über ihre Überraschung freuen würde – zumindest hoffte sie das.

Cailot öffnete die Augen und ließ seinen Blick durch die Scheune wandern, die als solche kaum wiederzuerkennen war. In den letzten Wochen hatte sie sich unter der tatkräftigen Mithilfe nicht nur seiner Frau, sondern auch von Freunden und Bekannten zu dem gemausert, was anfänglich nur als Wunschbild in Cailot existiert hatte. Dank der großen Unterstützung aus der Gemeinde war sein Traum viel schneller realisiert worden, als von ihm und Béatrice vorsichtig veranschlagt. Unter den Unterstützern waren sogar Ortsgrößen wie André Goadec vom gleichnamigen Weingut, der ihnen mehrmals und unentgeltlich einen seiner Lastwagen zur Verfügung gestellt hatte, wodurch nicht nur die Anzahl der Fahrten zum alten Kino seines verstorbenen Onkels erheblich reduziert hatte werden können, nein, sie hatten auch größeres Mobiliar wie ganze Sitzreihen ziemlich zusammenhängend nach Saint-Cyriac an ihren neuen Wirkungsort transportieren können. Auch die Großleinwand, die inzwischen auf ein neues Gerüst aufgespannt im hinteren Teil der Scheune ihren festen Platz gefunden hatte und von den originalen Brokatvorhängen aus dem Nachlass gesäumt wurden, wäre in Cailots fast schon antikem 2CV-Lieferwagen unmöglich unterzubringen gewesen.

Cailot wusste gar nicht, wohin er seinen Blick zuerst lenken sollte. Er hörte nur Béatrices allmählich ungeduldig werdende Stimme, die mehrfach »Falsche Richtung!« sagte, bis der Groschen endlich fiel.

Zu beiden Seiten der Sitzreihen hingen gerahmte Bilder, deren volle Bedeutung sich Cailot erst erschloss, als er näher an sie herantrat. Dann aber fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, und er musste sogar ein paar Tränen verdrücken.

»Was du dir für eine Arbeit gemacht hast ... Jetzt begreife ich erst, warum ich dich immer mal wieder mit dem Fotoapparat habe herumlaufen sehen!«

»Ich dachte, es würde unser Projekt abrunden.« Sie trat eng neben ihn und genoss die Würdigung ihres Tuns sichtlich.

»Überraschung gelungen?«, fragte sie.

Er zog sie eng an sich heran und küsste sie auf die Stirn. »Mehr als gelungen.«

Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen bildeten chronologisch den Arbeitsfortschritt ab, von den ersten Räumungsarbeiten bis zu dem Zustand, in dem das privat initiierte Kino sich hier und heute präsentierte.

»Ohne dich hätte ich es nie geschafft – du hast mich immer wieder bestärkt, wenn es mir über den Kopf zu wachsen drohte. Und jetzt ist es fast ein Palast geworden.« Henri Cailot schnalzte mit der Zunge, wie er es oft tat, wenn er allerbester Laune war. »Nein, das ist das falsche Wort. Es wirkt eher behaglich wie ein Nest. Man möchte sich in die Sessel lümmeln und sich einfach nur in andere Welten, andere Leben entführen lassen. Das, was Kino schon immer ausgemacht hat. Träumen.« Er nickte seiner Frau zu. »Das hier erinnert mich an meinen ersten Kinobesuch überhaupt. Ich war acht. Unfassbar ...« Sein Blick kehrte sich nach innen, um Erinnerungsbilder abzurufen, die dort wie in einem speckigen alten Bilderalbum mit dünnem Pergaminpapier zwischen den einzelnen Seiten abgelegt waren.

»Ich gebe zu, ich war anfangs skeptisch. Aber du hast mich mit deinem Enthusiasmus angesteckt. Ich liebe ja auch Filme. Unser Geschmack ist da sehr ähnlich. Und ein eigenes Kino – wer hat das schon. Die Einrichtung hat ja jetzt auch kein Vermögen verschlungen.« Sie zwinkerte ihm zu. »Was gut ist, da dein vielgepriesener Makler trotz vollmundiger Versprechungen noch keinen liquiden Käufer an Land gezogen hat.«

Nicht einmal der kleine Seitenhieb konnte Cailot die Laune vermiesen. Zumal Béatrices Kritik berechtigt war. Inzwischen glaubte auch er, dass er eher an einen Filou als an einen seriösen Vertreter der Immobilienbranche geraten war. Aber da es ihn noch nie sehr dringend aus Saint-Cyriac fortgetrieben hatte, fiel es ihm relativ leicht zu akzeptieren, dass der in Aussicht gestellte Reichtum noch ein Weilchen auf sich warten lassen würde. Falls es überhaupt jemals dazu kam.

Er schüttelte die Gedanken ab und widmete sich wieder dem Hier und Jetzt. Erst vor zwei Stunden war ein ortsansässiger Elektrikermeister vom Hof gefahren, nachdem er die Technik ein letztes Mal inspiziert und für funktionsfähig erklärt hatte. Und sicher; kein ganz unwichtiger Punkt, denn niemand wollte riskieren, dass unsachgemäße Verkabelung oder ein Kurzschluss in den Endgeräten zu einem Brand führten, der schlimmstenfalls Menschenleben gefährden und das nahe Wohngebäude miterfassen konnte.

Während Cailot mit seiner Frau entlang der stoffdekorierten Wände mit den Bildern schlenderten, die die verschiedenen Bauphasen dokumentierten, konnte er seine Vorfreude kaum noch im Zaum halten.

»Dann steht dem großen Tag ja nichts mehr im Weg, was meinst du?«

Béatrice nickte. »Siehst du den Stapel dort drüben auf dem Tisch, an dem wir zur Premiere Sekt ausschenken werden?«

»Was ist das? Blätter. Bedruckt. Aber von hier aus kann ich nicht lesen, was draufsteht.«

»Es steht genau das drauf, was draufstehen soll. Aber ist nur ein Haufen Papier. Lässt sich alles noch ändern. Ich dachte nur, warum unnötig warten, wir sind so weit. Und selbst über den Eröffnungsfilm haben wir uns schon seit Langem geeinigt. Die Spulen liegen seit Tagen neben dem Projektor, du musst sie nur noch auffädeln.«

Sie sah zu, wie Cailot das oberste Blatt vom Stapel herunternahm und las, was Béatrice vorbereitet hatte.

Angespannt wartete sie auf seine Reaktion, die unmissverständlich ausfiel: »Besser ... besser hätte ich es nicht formulieren können! Du bist auch in Sachen Werbung ein Naturtalent! Kommenden Samstag – das ist ... das ist ja schon in ...«

»... drei Tagen«, bestätigte sie. »Wer kommen will, wird auch kurzfristig Zeit finden, es zu tun. Ich weiß aus unzähligen Gesprächen, dass viele es nicht mehr abwarten können.«

»Genau wie ich!« Cailot ließ das Flugblatt auf den Tisch zurückfallen, fasste seine Frau ungestüm an der Taille und hob sie voller Übermut hoch ...

... um im nächsten Moment schmerzhaft erfahren zu müssen, dass sein Körper nicht mehr alles protestlos mitmachte, was sich ein Kindskopf wie Cailot einfallen ließ.

Unverrichteter Dinge setzte er Béatrice wieder ab.

»Hast du dir wehgetan?«, fragte seine Frau, die sofort gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte. »Schlimm?«

Er schüttelte den Kopf, hielt sich aber den Rücken. »Notfalls stellen wir für Sonnabend ein Bett neben den Projektor. So leicht lasse ich mich nicht unterkriegen.«

»Wenn, dann muss es aber breit genug für beide Cailots sein«, erwiderte sie keck. »So und jetzt suche ich mir jemanden, der mir hilft, die Flyer im Dorf zu verteilen. Du bleibst schön hier und schonst dich! Zur Eröffnung willst du doch fit sein!«

Cailot blickte seiner Frau nach, wie sie mit den Flyern in der Hand aus der Kinoscheune eilte, und kaum war sie außer Sichtweite, verschwand das Leuchten, das er mühsam aufrechterhalten hatte, aus seinem Gesicht und die Schultern fielen herab.

»Merde!«