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Kelan hat seinen perfiden Plan endlich in die Tat umgesetzt: den verhassten Zamorra und seine ihm anvertrauten Freunde und Gefährten auf grausame Weise zu töten. Sein Orden der Tausend wütet unterdessen in Saint-Cyriac.
Kelan wähnt sich fast am Ziel. Er muss nur noch eines herausfinden: Wohin sind Zamorra und Nicole entschwunden?
Vom Tode auferstanden wird er sie wieder dem Tode zuführen. Diesmal für immer?
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Seitenzahl: 148
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Wege der Unsterblichkeit
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Impressum
Wege derUnsterblichkeit
von Adrian Doyle
Leben und Tod trennt bisweilen nur ein einziger Schritt, wie auch Madame und Monsieur Bouchard leidvoll erfahren mussten.
Ihr Sohn war ihnen vorausgeeilt und hatte sich Nicole Duval in die Arme geworfen. Deren Glücksgefühl, Thierry so unverhofft – und wohlbehalten – wiederzusehen, währte nur kurz. Wusste sie doch, dass die Eltern des Jungen schon vor geraumer Zeit beide in Saint-Cyriac, dem Dorf unterhalb des Châteaus, zu Tode gekommen waren.
Eugène Bouchard hatte dort die Mutter seines Kindes auf bestialische Weise umgebracht und sich anschließend in seinem Wahn selbst gerichtet.
Das Auftauchen der Bouchards hier und jetzt, obwohl seit fast drei Jahren tot und begraben, erinnerte Nicole einmal mehr daran, in welch aberwitziges Kontinuum sie auf ihrer Flucht vor den Tausend gelangt waren. Ein Kontinuum, in dem geheimste Wünsche, aber auch Albträume wahr wurden.
Nur so war die Konfrontation mit Chloe und Eugène Bouchard überhaupt erklärbar: Sie mussten der innigen Sehnsucht des Jungen entsprungen sein, in dieser angsteinflößenden Umgebung Menschen um sich zu haben, die ihn liebten, Und ganz offenbar hatte der unterbewusste Hilfeschrei gefruchtet.
Bis zu diesem Moment jedenfalls, als etwas die Auferstandenen ins Straucheln gebracht und sie zu Boden hatte gehen lassen, wo sie zu Staub zerfielen und von der Oberfläche der unheimlichen Straße, der Zamorra und Nicole seit ihrer Ankunft folgten, regelrecht aufgesogen worden waren.
Thierry, der Zeuge des entsetzlichen Zerfalls wurde, verfiel erst in ein herzzerreißendes Geschrei, dann in hemmungsloses Schluchzen, das gar nicht mehr aufhören wollte. Irgendwann aber schien er sich der immer noch andauernden Umarmung durch Nicole bewusst zu werden und unternahm den Versuch, sich losreißen.
Sie hielt ihn fest, weil sie fürchtete, er könnte sich zu einer Kurzschlusshandlung hinreißen lassen und dabei sich selbst oder anderen Schaden zufügen. Statt sich zu beruhigen, geriet Thierry aber immer mehr in Rage und fing an, mit seinen kleinen Fäusten auf Nicoles Brustbein einzuhämmern.
Zamorra sah sich genötigt, einzuschreiten. Er trat von hinten an Thierry heran und bekam seine Handgelenke zu fassen. »Ruhig, ganz ruhig, Junge«, flüsterte er ihm ins Ohr. »Wir kümmern uns um dich. Niemand will dir etwas Böses. Was gerade passiert ist ...«
Der kleine Bouchard fiel förmlich in sich zusammen. Von einem Moment zum nächsten verließen ihn seine Kräfte. Er verdrehte die Augen und fiel mit einem schweren Seufzer in Ohnmacht.
Nicole ging in die Hocke und brachte ihn gemeinsam mit Zamorra sanft dazu, den erschlafften Körper sitzend gegen ihre Knie zu lehnen. Erst danach ließ sie sich auch auf ihr Gesäß hinab.
Zamorra wiederum richtete sich vor ihnen auf. Das nächste, was er sah, war der alarmierte Ausdruck auf Nicole, der sich nicht auf das gerade Geschehene bezog, wie gleich darauf deutlich wurde, sondern auf den Prozess, der in diesem Augenblick einsetzte.
Die Verwunderung darüber, dass Thierry sich in all der Zeit, die sein Schicksal für sie im Dunkeln gelegen hatte, nicht die kleinste Spur verändert hatte, immer noch zehn Jahre alt zu sein schien, wich der Verblüffung darüber, dass sein Körper die gerade noch vermissten Anzeichen eines Heranreifens in der Bewusstlosigkeit des Jungen nun zeitrafferschnell nachholte.
Thierry gewann nicht nur an Größe, seine Züge wurden auch zusehends markanter, sodass aus dem Kind in atemberaubendem Tempo ein Teenager wurde. Die Veränderung ging bis zu dem Punkt, den man, dem wahren Lebensalter des Jungen von mittlerweile knapp dreizehn Jahren angemessen, erwarten durfte und nicht endlos weiter, wie Zamorra und Nicole zwischenzeitlich befürchtet hatten. Als der Körper des Jungen sich auf der erreichten Wachstumsstufe stabilisiert hatte, präsentierte er sich als Halbwüchsiger mit dem Potenzial zum Mädchenschwarm ...
... was Nicole erneut daran erinnerte, wo sie waren und wo Thierry schon vor ihnen gewesen war: An einem Ort, an dem nichts von dem, was normalerweise auf einen Heranwachsenden einstürmte – Angenehmes wie Unangenehmes – und in der Pubertät seinen Höhepunkt erreichte, hier für ihn erlebbar gewesen war.
Stattdessen hatte er eine der prägendsten Phasen seines Lebens in unvorstellbarer Isolation verbracht.
Ein rasch anschwellendes, schrilles Pfeifen lenkte sie ab. Es kam aus der Richtung, aus der auch sie gekommen waren, und als sie ihre Blicke dorthin lenkten, entdeckten etwas, das dicht über der Straße wie ein Geschoss auf sie zukam und dabei einen feurigen Schweif hinter sich herzog.
Zamorra und Nicole tauschten Blicke – mehr war nicht nötig, um Einigkeit über die einzig richtige Reaktion auf die nächste Zuspitzung der Situation zu erzielen. In gemeinsamer Anstrengung packten sie Thierry, fassten ihn unter den Achseln und in den Kniekehlen und hetzten auf das nächststehende Gebäude zu, von dem sie sich Deckung versprachen.
Ein Blick über die Schulter genügte jedoch, um ihnen klarzumachen, dass das heranrasende Objekt sie bei gleichbleibender Geschwindigkeit eingeholt haben würde, bevor sie ihr Ziel erreichen konnten. Selbst ohne das Gewicht des Jungen wäre die Strecke nicht rechtzeitig zu bewältigen gewesen.
Als das »Projektil« nur noch Sekunden entfernt war, stellten Zamorra und Nicole ihre Flucht ein.
Zamorra drehte sich dem meteoritenhaften Objekt zu und rief mental nach seinem Stern, auf den er zusätzlich die Innenfläche seiner Hand presste, um seiner verzweifelten Aufforderung Nachdruck zu verleihen, das Amulett möge die Verweigerungshaltung, in der es sich seit der Anomalie-Passage übte, endlich und rechtzeitig aufgeben, weil es vielleicht keine zweite Möglichkeit mehr geben würde, dies zu tun.
Das Ding raste wie ein Marschflugkörper in Vollbeschleunigung auf sie zu.
Was genau es war, blieb bis zum Schluss unklar.
Merlins Stern jedenfalls verweigerte selbst angesichts der immer größer werdenden Dramatik der Situation seine Unterstützung.
Konnte das Amulett ausschließen, ob es bei dem drohenden Zusammenprall ebenfalls Gefahr lief, zerstört zu werden?
Zamorra gelangte mehr und mehr zu der Überzeugung, dass es dem Artefakt nicht an gutem Willen mangelte, sondern dass es in der Umgebung, in die es mit ihnen gelangt war, schlichtweg seine Kräfte nicht zur Entfaltung bringen konnte.
Als würde die Magie der Straße die des Amuletts ersticken.
»Wir schaffen es nicht!«, rief Nicole.
Und das Geschoss schien sogar noch zu beschleunigen. Kurz, bevor es bei ihnen war, erzeugte es ein Krachen wie von einem Überschallknall.
Während Zamorra und Nicole sich in einer naiven Geste, als könnten sie dadurch wirklich Ungemach von dem Jungen abhalten, schützend über Thierry beugten, beobachtete sie aus den Augenwinkeln, wie ...
... sich etwas unterhalb der Flugbahn aus der Straße erhob und fast gedankenschnell aufwärts stob.
Waren das Raben? Ein ganzer Schwarm der schwarzen Vögel?
Wenn, urteilte Zamorra, der genauer hinsah, waren es überlebensgroße Raben, die sich noch dazu viel schneller bewegten, als er es je beobachtet hatte, wenn sie Raubvögel attackierten, die es wagten, ihnen Gebiete streitig zu machen.
Von der Vorgehensweise erinnerte das, was hier geschah, frappierend an solche Revierverteidigungen. Nur dass der Angriff keinem Eindringling galt, dessen Wehrhaftigkeit klar abzuschätzen war. Und der sich darüber hinaus selbst im Aggressionsmodus befand.
Bis zuletzt blieb unklar, worum es sich bei dem heranjagenden Etwas handelte.
Keinen Zweifel hingegen gab es an dem, was die Attacke der Raben aus ihm machte: Trotz seiner enormen Geschwindigkeit gelang es den aufsteigenden Schwarzgefiederten, ihn abzufangen und sich aus mehreren Richtungen gleichzeitig auf ihn zu stürzen.
Das eigentliche Aufeinandertreffen und der folgende Luftkampf dauerte nicht viel länger als ein Wimpernschlag.
Schemenhaft war zu erkennen, wie die Raben mit den Krallen voraus in das feurige Geschoss eintauchten und nicht etwa darin verbrannten, sondern Batzen aus ihm herausrissen, als wäre es das Fleisch des Dings, das jäh an Tempo verlor ...
... und damit endgültig auch verloren hatte.
In einem Gestöber aus Federn und herabregnender Lava – so hatte es den Anschein – zerfetzten die Rabenvögel, was, so zumindest vermittelte ihr Tun es, es gewagt hatte, in ihr Territorium vorzustoßen.
Die schlussendliche Vernichtung des Störers wurde von Licht- und Geräuscheffekten untermalt, so infernalisch, als hallten sie aus den tiefsten Tiefen eines Höllenlochs herauf.
Dann kehrte schlagartig Ruhe ein. Ohrenbetäubende Stille.
Die Zamorra nicht davon abhielt, sich aufzurichten und sich schnellen Schrittes von Nicole und Thierry zu entfernen.
»Wo gehst du hin? Warte!«
»Bin gleich wieder da.«
»Pass bloß auf, dass sie nicht auch dich attackieren!«
Aus einem für ihn selbst unerfindlichen Grund zog Zamorra dies keine Sekunde in Betracht. »Dazu hätten sie schon früher Gelegenheit gehabt«, rief er über die Schulter. »Sieh doch, wo sie landen.«
Was er damit sagen wollte, war offensichtlich: Dort, wo der Schwarm sich herabsenkte und in die Straße eintauchte, wieder Teil von ihr wurde, waren sie vor nicht allzu langer Zeit noch über den Untergrund aus unbekanntem Material gelaufen. Ohne behelligt zu werden. Obwohl sie einem Angriff sicher nicht mehr entgegenzusetzen gehabt hätten als das Gebilde, das die überlebensgroßen Raben vom Himmel geholt hatten.
Unweit des Bereichs, wo sie spurlos im leuchtenden Grau der Straße verschwunden waren, blieb er neben einem der Batzen stehen, die hier aufgeschlagen und nicht, wie die Raben, vom Boden absorbiert worden waren.
Zamorra ging daneben in die Hocke und tippte die blutige Masse vorsichtig mit dem Zeigefinger an.
Dann kehrte er zu Nicole und dem immer noch ohnmächtigen Thierry, der von dem Spektakel nichts mitbekommen hatte, zurück.
»Was hast du gemacht? War das ein Fragment des Geschosses, das sie auseinandergenommen und ... wie soll ich sagen ... auf so eigenwillige Weise entschärft haben?«
Nachdenklich antwortete er: »Wie du bestätigen wirst, sah das Geschoss aus, als bestünde es aus reiner Energie. Eine einzige feurige Lohe ohne erkennbaren festen Kern. Aber du hast auch gesehen, wie die Geflügelten sich darauf stürzten und ihre ›Beute‹ trotz dieses Eindrucks zu fassen kamen. Demnach muss es sich doch um etwas Festes und damit Greifbares gehandelt haben.«
»Was hast du gefunden? Wie sah das Überbleibsel, zu dem du gegangen bist, aus? Konntest du seine Natur bestimmen?«
Er nickte. »Fleisch«, erwiderte er. »Es sah aus wie ein mit roher Gewalt aus einem Torso gerissenes, blutiges Stück Fleisch.« Auf ihre Bestürzung reagierend, fügte er hinzu: »Aber was will das schon heißen an einem Ort wie diesem.«
Außer diesem Zwischenfall beschäftigte sie auch nach wie vor der Auftritt der gefakten Bouchards, von denen sie nur annahmen, dass es sich um Ausgeburten von Thierrys Phantasie und Sehnen handelte. Gesichertes Wissen war dies längst nicht.
»Die vermeintlich mit den Leichen unserer Freunde gespickte Wildnis auf dem Weg hierher lässt sich mit der Theorie vereinbaren, dass es Einbildungskraft – in diesen speziellen Fällen die unsere beziehungsweise die von Thierry – brauchte, um die bisherigen Funde und Entdeckungen aus dem zu erschaffen, was die Umgebung offenbar uneingeschränkt zur Verfügung stellt. Warum die Bouchards bei der Begegnung mit uns nicht länger von Thierry aufrechterhalten werden konnten, weiß ich nicht.«
Zamorra zuckte mit den Schultern. »Die Raben passen nicht so richtig in deine Theorie. Thierry kann sie nicht erschaffen haben, dazu müsste er, denke ich, bei Bewusstsein sein. Und wir beide ... Natürlich dachten wir, unser letztes Stündlein habe – schon wieder, bin ich fast geneigt zu sagen – geschlagen und das mag vieles ausgelöst haben, aber dass unser Verstand ausgerechnet mit Raben auf das Feuerprojektil reagiert hätte ...« Er schüttelte den Kopf. »Wäre das ein adäquates Mittel, das dir in der Situation eingefallen wäre?«
Sie schüttelte den Kopf, schürzte die Lippen und sagte leise: »Stellt sich die Frage, wessen Vorstellungskraft sie denn dann entsprungen sind. Raben. Du hast schon recht. Es hätte imposantere Kreationen gegeben, die man der Bedrohung hätte entgegensetzen können.«
Da er darauf auch keine Antwort hatte, wandte sie sich Thierry zu, dessen Kopf sie in ihren Schoss gebettet hatte. »Was machen wir jetzt – auch mit ihm?«
»Wir bringen ihn in das Haus, aus dem er und seine ›Eltern‹ kamen.« Sein Blick schweifte in die Richtung zurück, wo nicht nur ein blutiger Batzen über die Straße verstreut lag. Das Rätsel, worum es sich dabei ursprünglich gehandelt und wer sich hinter der Feuerlohe versteckt hatte, blieb fürs Erste ungelöst. Vielleicht, auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering schien, wusste Thierry etwas darüber. Aber um das in Erfahrung bringen zu können, musste er erst einmal zu sich kommen und den erlittenen Schock so weit überwinden, dass mit ihm gesprochen werden konnte.
Sie trugen den Jungen zu dem Haus, das rudimentäre Ähnlichkeit mit dem ehemaligen Heim der Bouchards in Saint-Cyriac hatte. Nur der Garten samt darin befindlichem Baumhaus fehlte.
Die Tür stand noch so offen, wie die Familie sie beim Hinaustreten hinterlassen hatten.
»Bist du auch gespannt, wie sich Thierry als Innenarchitekt gemacht hat?«, fragte Nicole, die Zamorra den Vortritt ließ, sodass er rückwärts und sie vorwärts eintrat.
»Für mich zählt nur eins«, antwortete er und blieb auf der Schwelle noch einmal für einen Moment stehen, »dass uns keine unliebsame Überraschung erwartet. Dir ist bestimmt auch schon aufgefallen, dass es davon hier nur so wimmelt.«
Derweil auf
Château Montagne
Kelan de Saint-Cyriac ignorierte die herabbaumelnde Strickleiter, um in den Kronenbereich der großen Eiche im Schlossgarten zu gelangen, aus dem ihn seltsam getaktete Impulse fast wie ein Ruf angelockt hatten.
Etwa fünf Meter über Erdbodenniveau materialisierte er im Innern des Baumhauses, das vor kurzem noch auf der Abschussliste gestanden hatte. Zamorra hatte es trotz seiner nie ganz geklärten Entstehungsgeschichte lange geduldet.
Der Mord an Gyungo Tensöng hatte das geändert. Aber bevor die ins Auge gefasste Beseitigung des ominösen Konstrukts aus nie gepflanztem Baum und darin befindlichem Spielhaus in die Tat umgesetzt hatte werden können, war es zur finalen Auseinandersetzung zwischen den Schlossbewohnern und dem Orden der Tausend gekommen.
Kelan und seine Ritter hatten die ehemalige Ordensburg im Handstreich »zurückerobert«. Bis auf Zamorra und dessen ebenfalls in Magie versierter Gefährtin hatte es keine Überlebenden gegeben.
Auch Stunden nach dem Entkommen beider in das Ganglabyrinth und die Gewölbe, die sich vom Schlosskeller aus bis weit in den Berghang hinein erstreckten, hatte Kelan noch nicht verdaut, dass sich ihm nicht nur die schon tot Geglaubten entzogen, sondern dass sie auch den Urstern mitgenommen hatten; das Amulett, aus dem der Erste, wie die Tausend ihn nannten, dereinst tausend gleichwertige Amulettkopien erschaffen hatte.
Und mochten sie auch tatsächlich dem Original ebenbürtig sein, so haftete dem Urstern doch ein Nimbus an, der von keiner Kopie je erreicht werden würde.
Kelan wollte ihn schon allein, um ihn bis in alle Zukunft vom Orden als das Artefakt verehren lassen zu können, ohne das es nie zur Gründung ihres Bundes gekommen wäre.
Ein Verschwinden Zamorras und seiner Gefährtin, wenn es denn auf Nimmerwiedersehen gewesen wäre – und die Umstände, unter denen es geschehen war, legten dies durchaus nahe –, hätte er vielleicht noch akzeptieren können und es dabei bewenden lassen. Aber den Verlust des Ursterns konnte und würde er nicht akzeptieren. Und damit stand außer Frage, dass er nicht müde werden würde, die Diebe, die ihn auf ihrer Flucht mitgenommen hatten, zu jagen, ganz gleich, wo sie sich vor ihm zu verstecken versuchten.
Da aber wurde es tricky. Denn ihnen dorthin zu folgen, wohin sie sich abgesetzt hatten, hatte sich – bisher zumindest – als Ding der Unmöglichkeit erwiesen.
Was an der Natur des Fluchtpunkts lag.
Eine Anomalie von noch rätselhafterer Herkunft als das Baumhaus, in das Kelan sich begeben hatte, um den Ursprung der Signale auf den Grund zu gehen, die ihn über sein Sternamulett erreicht hatten. Natur und Ursprung der Impulse hatte ihm die handtellergroße, mit Glyphen und Tierkreiszeichen übersäte Scheibe, die er an einer Kette um den Hals trug, nicht vermittelt.
Daraufhin hatte er sich entschieden, der Quelle auf den Grund zu gehen, weil die aktuelle Lage Versäumnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit bestrafte. Und er hatte sich schon einen Kardinalfehler geleistet, der den beiden eigentlich schon besiegten Hauptfeinden doch noch die Flucht ermöglicht hatte, als sie nach menschlichem Ermessen bereits tot gewesen waren. Tot und gedemütigt.
Aber sie hatten den Spieß umgedreht, hatten ihn gedemütigt – und sich in einer Weise aus dem Staub gemacht, die es Kelan zwar ermöglicht hatte, ihrer Spur zu folgen. Das Geheimnis, wie sie sich seinem und dem Zugriff der anderen Tausend hatten entziehen und in die Gewölbe fliehen können, war warf noch immer ungelöste Fragen auf. Nicht einmal der sonst so bewährte Einsatz von Sternmagie hatte die Fliehenden rechtzeitig genug aufspüren können, um sie zu stoppen und das Versäumte – ihre erfolgreiche Ermordung – nachholen zu können.
Kelan schob die Erinnerungen beiseite, nahm stattdessen den eng begrenzten Raum in Augenschein, in den die Teleportation ihn versetzt hatte.
Die schlichte Einrichtung im Innern des Baumhauses war auf das Kind abgestimmt, für das sie gezimmert worden war: Für den Jungen, an dessen Existenz Kelan nicht unerheblichen Anteil hatte, auch wenn er Thierrys Mutter nie zu seinen Beglückerinnen gezählt hatte. Dafür aber die Ururgroßmutter des Mannes, der der Vater und Erzeuger des Knaben war, in dessen Adern das Blut Kelans kreiste. Was möglicherweise die Entfaltung der Gabe begünstigt hatte, mit der Thierry Bouchard nach dem Tod seiner Eltern von sich reden gemacht hatte.
Bei Baum und Baumhaus handelte sich – ähnlich wie bei den Amuletten – um eine 1:1-Kopie von etwas, das genauso noch heute im Garten von Thierrys ehemaligem Elternhaus in Saint-Cyriac stand. Und vieles sprach dafür, dass Thierry die Kopie allein kraft seiner übernatürlichen Gabe geformt und ihr Bestand verliehen hatte.
Kelan hatte seinen Abkömmling (tatsächlich war er bereit gewesen, ihn an Sohnes statt bei sich aufzunehmen) aus dem Château und der Obhut Zamorras zu sich ins Versteck entführt, um ihn in seinem Sinne zu er- und großzuziehen.
Doch Thierry hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, hatte sich auf und davon gemacht.
Kelan erlegte sich auch beim Gedanken an den undankbaren Bastard keine Zurückhaltung auf und fluchte in einer Derbheit, die sich angeblich in der Gegenwart, in der er angelangt war, nicht mehr geziemte.
Beeindruckte es ihn?
Er lachte mit solcher Aggressivität, dass es sich anhörte, als würde ein Raubtier knurren. Ein Markenzeichen von Rufus Agadir, seinem Inkognito, mit dem er die Jahrhunderte durchschritten hatte, die dem Gang seiner Ordensbrüder in die Totengleiche gefolgt waren.
Er schob die Erinnerung an Nazca und selbst an das Biest