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Vor ihm in der Dunkelheit schrak etwas auf und stob davon.
Etwas, das nicht hätte da sein dürfen.
Kelan de Saint-Cyriac erstarrte; ein paar Herzschläge lang nur, in denen jedoch droben an der Oberfläche Minuten verstrichen, wenn nicht Stunden.
Der Untergrund des Nazca-Plateaus barg ein gewaltiges, in vielerlei Hinsicht sogar monströses Geheimnis. Hier tickten die Uhren völlig anders als im Rest der Welt ...
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Seitenzahl: 139
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Das Ende einer Ära
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Impressum
Das Endeeiner Ära
von Adrian Doyle
Ferne Vergangenheit
Nazca, 1563
Vor ihm in der Dunkelheit schrak etwas auf und stob davon.
Etwas, das nicht hätte da sein dürfen.
Kelan de Saint-Cyriac erstarrte; ein paar Herzschläge lang nur, in denen jedoch droben an der Oberfläche Minuten verstrichen, wenn nicht Stunden.
Der Untergrund des Nazca-Plateaus barg ein gewaltiges, in vielerlei Hinsicht sogar monströses Geheimnis. Hier tickten die Uhren völlig anders als im Rest der Welt ...
Ein Kuriosum, dessen Ursprung Kelan nie zu seiner Zufriedenheit hatte ergründen können, geschweige denn es in seiner absurden Mechanik durchschauen. Was ihn aber nicht davon abgehalten hatte, sich das Phänomen zunutze zu machen.
So war das Versteck entstanden, die letzte Ruhestätte der gesegneten Tausend.
Hinter ihm wieherte das Pferd, das er mit der gebotenen Vorsicht die steilen Stufen hinabgeführt hatte, um es später unversehrt in den gleichen Zauber zu weben wie sich selbst.
Später – wenn er das Bad beendet hatte, würde er das Reittier brauchen, um wieder in die bewohnten Küstengebiete zurückzukehren und das nächstbeste Schiff in die Alte Welt zu besteigen. Deshalb konnte er es nicht oben am Eingang an einen Pfahl gebunden zurücklassen. Bis zu seiner Rückkehr wäre es elend krepiert, und er hätte nur noch ein abgenagtes Gerippe vorgefunden. Nein, die Mitnahme in die Tiefe war unabdingbar.
Wie das Wiehern bewies, hatte offenbar auch der treue Rappe etwas von dem mitbekommen, was in seinem Herrn alle Alarmglocken zum Läuten gebracht hatte. Viel mehr als den enteilenden Schemen eines großen Vogels hatte Kelan nicht erkennen können; was an sich schon eine Unmöglichkeit darstellte. Der Vogel hätte das magische Siegel am Eingang in die Unterwelt in dem Moment durchstoßen müssen, als er es vorübergehend aufgehoben hatte, um die Steinstufen hinabzusteigen; etwas, das nicht unbemerkt von ihm geblieben wäre. Ein früherer Besuch, der das Eindringen des Vogels ermöglicht hätte, kam auch nicht infrage, denn obwohl die Zeit an diesem mythischen Ort so viel langsamer verstrich als draußen, waren in den Jahren, die er nicht mehr hier gewesen war, mindestens Wochen vergangen.
Kein Lebewesen, das nicht selbst über magische Kräfte verfügte, hielt es so lange ohne Wasser und Nahrung in der Tiefe aus. Zwar existierte ein kleiner Vorrat an Proviant und Trinkwasser, beides von Kelan deponiert, aber auch so verschlossen, dass ein Vogel nicht hätte darankommen können.
Kopfschüttelnd ob dieses Rätsels setzte er sich wieder in Bewegung, wobei er dem Stern an seiner Brust den Befehl erteilte, den von ihm gestreuten Lichtschein auszuweiten, sodass auch entferntere Bereiche des Stollens der Dunkelheit entrissen wurden.
Einen Steinwurf voraus wurde der Übergang vom Stollen in eine gewaltige Höhle sichtbar; dahinter lag die uralte Nekropole, die Kelan vor nun gut dreihundert Jahren mit seinen Getreuen genauso vorgefunden hatte, wie sie sich noch heute präsentierte. Die hier wirkenden Kräfte hatten auch die Architektur für die Ewigkeit konserviert.
Nur wenige Jahre nach der Entdeckung des Mirakels hatte er den Verrat an den Tausend begangen, der nicht nur sein Leben auf den Kopf gestellt hatte. Seither dämmerten die Getäuschten in der Totengleiche dahin, einem traumlosen Verharren, in dem der Herzschlag so verlangsamt war, dass er gar nicht mehr ertastet werden konnte.
Ich müsste mit ihnen hier liegen. So war es beschlossen und von mir versprochen.
Keine Wiederkehr an diesen Ort, bei der sein Gewissen ihn nicht wieder und wieder daran erinnerte, welche Schuld er auf sich geladen hatte. Aber es fühlte sich längst nicht mehr so schmerzhaft an wie in den Anfängen.
Nicht nur die Zeiten hatten sich geändert, sondern auch er. Schon seit Langem wusste er, dass er und seine Ritter den falschen Ideen gefolgt waren, weil sie meinten, die Welt vor sich schützen zu müssen.
Vor dem Höhleneingang blieb er noch einmal stehen, um zu lauschen.
Das Geräusch, das seinen Argwohn geweckt hatte, war nicht wieder aufgeklungen, sodass Kelan sich fragte, ob er es sich vielleicht nur eingebildet hatte, weil ... nun, weil sein Verstand allmählich Schaden nahm. Immerhin war er inzwischen älter als jeder Mensch vor ihm; zumindest war er nie jemandem von annähernd so hohem Alter begegnet. In Sagen und Legenden kamen mitunter Personen vor, von denen behauptet wurde, sie würden quasi alterslos die Zeiten durchwandern. Aber abgesehen von den Abnormitäten, die er, wo immer er sie antraf, ohne Zögern ausrottete – dämonisches Gezücht, der Dunklen Brandung angehörig –, war er nie einem Mann oder einer Frau begegnet, die für sich in Anspruch nehmen konnte, in vergleichbarer Weise gegen die Zeit gefeit zu sein wie er.
Und er war weit herumgekommen. Kein Kontinent, den er noch nicht betreten hätte; selbst die Eishöllen hoch im Norden und tief im Süden hatte er ausgekundschaftet. Stets mit Unterstützung seines Sterns, bisweilen auch in Gesellschaft eines Faktotums, das er mit einem der in seinem Besitz befindlichen Amulette ausstattete; nicht, um es gleichberechtigt ihm gegenüber zu machen, sondern im Gegenteil um sich seiner unbedingten und bedingungslosen Treue zu versichern. Denn er hatte früh gelernt, mit seinem Amulett auch die anderen vom Ersten erschaffenen und in Umlauf gebrachten zu kontrollieren.
Der Gedanke an den Schöpfer der tausend Amulette, die im 12. Jahrhundert dazu geführt hatten, dass der Orden »wider die Armageddonjünger« überhaupt gegründet worden war, um die Menschheit von den Tyrannen der Dunklen Brandung zu befreien, veranlasste Kelan, die Innenseite seiner Hand auf das lichtspendende Artefakt zu legen und den Puls zu fühlen, der im Gleichklang mit seinem Herzen darin pochte.
Für kurze Zeit verdeckte er das Sternlicht, und um seine Hand bildete sich eine Aureole, wie er sie im Großen bei mehreren Verfinsterungen der Sonne in verschiedenen Erdteilen hatte beobachten können. Bereits in seiner Funktion als Ordensführer und später als Verwahrer der Sternamulette hatte er früh Kenntnis vom heliozentrischen Weltbild erhalten, aber nie den Ehrgeiz verspürt, den Irrtum der Kirche und anderer Obrigkeiten zu korrigieren, die nicht wahrhaben wollten, dass die Erde nur ein Planet unter vielen war und mit ihren Geschwistern die Sonne umlief, nicht umgekehrt.
Das geozentrische Weltbild mit der Erde als Mittelpunkt des Universums war selbst heute noch, zwanzig Jahre nach Veröffentlichung von Nikolaus Kopernikus' »De revolutionibus orbium coelestium«, mit dem er die Naturwissenschaft revolutionierte, nicht in allen Köpfen als die einzig wahre Lehre angekommen.
Ein karges Lächeln umschmiegte Kelans Mundwinkel, als er sich vor Augen führte, dass in seiner Kindheit noch der Irrglaube vorgeherrscht hatte, bei der Erde handele es sich um keine Kugel, sondern eine Scheibe. Seefahrende Entdecker waren damals noch mit der Sorge in unbekannte Weiten aufgebrochen, bei Unachtsamkeit mit ihren Kähnen über den Rand der Welt zu geraten und in bodenlose Tiefe hinabzustürzen. Der Orden hatte mit Hilfe der errungenen Sternamulette früh Einblick in die wahren Zusammenhänge erhalten und war noch vor Christoph Kolumbus in die Weiße Finsternis aufgebrochen, wie die bis dato unentdeckten Gebiete im Sprachgebrauch der Tausend genannt worden waren. So lange bis die offizielle Kartographierung ihnen die Namen verliehen hatte, die in der Gegenwart kursierten. Die vermessenen Spanier nannten den Grund und Boden, der ursprünglich den Paracas und später den Inka gehört hatte, inzwischen hochtrabend »Vizekönigreich Peru«.
Für Kelan zu sperrig. Aber nichts, was ihn jetzt hätte kümmern müssen.
Momentan beschäftigte ihn viel mehr das Rätsel, was genau ihn vorhin aufgeschreckt hatte und wohin dieses geflügelte Etwas verschwunden war. In der Richtung, in die es geflohen war, gab es nur noch die Nekropole mit ihren die Wände bedeckenden Wabenkammern, die ursprünglich die Verstorbenen der Paracas beherbergt hatten. Und eine kindhafte, der Magie mächtige Hüterin, die erst hatte überwunden werden müssen, um diesen Ort annektieren und für die Ordensbelange nutzen zu können.
Kelans Blick richtete sich auf die in der Bodenmitte befindliche Kuppel, den Aufbewahrungsort der wertvollsten Ordens-Insignien. Drei Truhen waren dort aufgestellt, und eine jede enthielt hunderte von silbern schimmernden Amuletten, die in den falschen – oder richtigen – Händen bei Bedarf ganze Reiche aus den Angeln heben konnten. Die Schläfer hatten sich noch mit ihnen niedergelegt, aber später, nachdem entschieden war, dass Kelan sein Versprechen brechen und sich nicht ebenfalls in die Totengleiche begeben würde, war er von Wabe zu Wabe gegangen und hatte die Amulette eingesammelt. Beim nächsten Besuch hatte er die Truhen mitgebracht und die Sterne gleichmäßig darüber verteilt.
Seither bediente er sich, wann immer nötig, nicht nur aus diesem einzigartigen Fundus, sondern nutzte die geballte Magie, die ihm innewohnte, um seinen Körper darin zu baden und die Uhr, die in ihm tickte, vergleichbar dem zu verlangsamen, was die Nekropole vermochte – ohne sich aber dauerhaft in ihr aufhalten zu müssen. Die Sternamulette ermöglichten es ihm, fremde Magie mit eigener zu vermischen und Kelans Alterungsprozess für die Spanne mehrerer Jahre zu stoppen.
Danach musste er ein neues Bad nehmen, was auch der Grund dieses Besuches war.
Inzwischen hatte er ein Gespür dafür entwickelt, wann der Bewahrungszauber nachließ und er ihn auffrischen musste. Aber selbst wenn er einmal nicht rechtzeitig hier eintraf, um die Konservierung seiner Physis nahtlos fortzusetzen, kamen schlimmstenfalls ein paar neue Fältchen und Kerben auf seinem Gesicht hinzu. Einmal war er um Monate zu spät hier eingetroffen, Umständen geschuldet, an denen selbst er nichts hatte ändern können. In seiner Unerfahrenheit hatte er gefürchtet, sein Körper könnte nach dem Erlöschen des Zaubers schlagartig all die Jahre einfordern, um die er bis dahin betrogen worden war – was der Verwandlung in ein Totengerippe gleichgekommen wäre –, aber es hatte sich herausgestellt, dass die Alterung nur dort angesetzt und fortgeschritten war, wo sie irgendwann gestoppt worden war.
Kelan begab sich in die Kuppel und inspizierte die Truhen. Sie unangetastet vorzufinden – auch was ihren Inhalt anging –, beruhigte ihn, erklärte aber immer noch nicht die Anwesenheit des beobachteten Vogels, der vor ihm geflohen war und sich – falls es nicht doch auf eine Sinnestäuschung hinauslief –, nur in einer der Wabengrüfte der Nekropole verstecken konnte.
Nachdem er sich von der Unversehrtheit seines Schatzes überzeugt hatte, verließ Kelan die Kuppel wieder und ließ seinen Blick prüfend über die Wände wandern.
Wie erwartet konnte er den Eindringling mit bloßem Auge nicht ausfindig machen. Aber es gab andere Mittel.
Andere Augen.
Sein Geist schlüpfte in das Amulett vor seiner Brust und begleitete die Welle purer Magie, die er in die Nekropole entließ. Sie durchdrang Stein und andere Hindernisse, als wären sie nicht existent, streichelte über die Leiber der Schläfer, die in voller Rüstung der Ewigkeit entgegendämmerten und kroch in die tiefsten Winkel und Risse des Basalts, aus dem die Paracas einst einen Ort geformt hatten, um ihren Göttern zu huldigen. Kein Spalt, der Kelans Fühlern entging – und dennoch, ein Erfolg war seinem Bemühen nicht beschieden.
Wohin kann es verschwunden sein? Es kann sich nicht in Luft aufgelöst haben. Also hat doch mein Verstand mich genarrt.
Es war die naheliegende, aber auch schrecklichste Erklärung. Weil sie nicht weniger als die Zukunft infrage stellte.
Seine Zukunft.
Hatte er nicht ewig leben, ewig die Welt mitgestalten wollen? Ein Verlangen, das sein Stern doch erst geweckt hatte und seither schürte, jede verfluchte Stunde, jedes verstreichende Jahr ...
Da!
In einer der Wabenöffnungen, einem der Zugänge, bemerkte er eine Bewegung. Noch schattenhafter als die des fliehenden Vogels, aber Kelan griff nach jedem Strohhalm, wenn es darum ging, den eigenen Verdacht zu entkräften, nicht mehr Herr seiner Sinne zu sein.
Der Weg, der zu der betreffenden Gruft führte, war so seltsam wie alle Wege, welche die Waben untereinander verbanden und dabei keine Rücksicht auf die Naturgesetze nahmen. Auch dies ein Indiz für die mächtige Magie, die hier wirkte und keinerlei Ähnlichkeit mit der Kraft hatte, die in das Sternamulett vor seiner Brust gepresst war.
Noch bevor Kelan die Wabe betrat, wusste er, welchem Getreuen sie als Ruhestätte diente.
Deshalb fiel es ihm schwer, an einen bloßen Zufall zu glauben, der den Vogel ausgerechnet hierher gelenkt haben sollte.
Von allen Ordensrittern stand dieser hier ihm am nächsten.
Thibaut, dachte Kelan. Und entschied, den Vogel, so er ihn tatsächlich darin antraf, für die Verletzung der Totenruhe (auch wenn es genaugenommen keine war) unerbittlich zu bestrafen.
Aber als er eintrat, sah er sich erneut genarrt. Die Wabe war viel zu klein, um darin ein Versteck zu finden, bot gerade einmal der armierten Person Platz, die sich auf ihr Steinmuldenbett gelegt hatte.
Thibauts Züge zeichneten sich selbst mit geschlossenen Augen und im Schlaf durch jenes Charisma aus, dem Kelan schon als Halbwüchsiger verfallen war; verfallen in der Weise, dass er jedes Wort seines Lehrmeisters wie ein trockener Schwamm aufgesogen und sich verinnerlicht hatte, um sein größtes Ziel zu erreichen: Mitglied der Ritterschaft zu werden, der schon sein Vater angehört und sie federführend mitgeprägt hatte.
Kelan hieb frustriert mit der flachen Hand gegen die Steinwandung der Gruft. Der dumpfe Klang, den er dem Basalt entlockte, schien ihn zu verhöhnen.
Er sammelte sich und nahm auf der Kante des Blockes Platz, der Thibaut als Lager diente. Der Ordensritter hatte die behandschuhten Hände vor der Brust überkreuzt. Darunter ruhte zum einen sein Stern, aber auch der Schaft seines Schwertes, dessen Klinge nach unten zeigte.
Ein Impuls seines, Kelans, Amuletts hätte genügt, die Totengleiche aufzuheben. Und obwohl es kein Betreten der Nekropole gab, bei dem er seinem Vertrauten von einst keinen Besuch abstattete, hatte er sich nie dazu hinreißen lassen, der Sehnsucht nachzugeben, ihn wieder als vollwertigen Ordensbruder neben sich zu haben. Er vermisste die Streitgespräche ebenso wie die ausgelassenen Trinkgelage oder die gemeinsamen Kämpfe gegen das Gezücht der Dunklen Brandung.
Aber das reichte nicht, die tiefe Scham zu überwinden, die in ihm brannte, weil er Thibaut nach dessen Erweckung keine Minute darüber hätte hinwegtäuschen können, dass er den geleisteten Schwur gebrochen und sich als Einziger von ihnen nicht an die Abmachung gehalten hatte, die Welt vor dem Gift zu schützen, das die Sterne auf ihre Träger übertrugen.
»Aber wer weiß, was die Zukunft bringt«, murmelte er selbstvergessen. »Wenn, bist du der Erste, den ich neben mich hole, wenn sich meine Ambitionen eines Tages wandeln sollten und du wieder einen Platz in meinen Plänen hättest ...«
Er erhob sich und löste die Hand vom Körper des schweigenden Mannes.
Ohne noch einmal einen Blick zurückzuwerfen, verließ er die Wabe und kehrte zum Boden des Domes zurück.
Nachdem weder Augenschein noch Amulettmagie eine Spur des Eindringlings erbracht hatten, sah Kelan seine Möglichkeiten erschöpft, das Phantom noch aufzuspüren.
Was blieb, war die Absicht, weshalb er nach Nazca gekommen war, in die Tat umzusetzen.
Das magische Bad zu nehmen, das ihm für weitere Jahrzehnte seine Vitalität – die körperliche zumindest – bewahrte und das Altern auf Distanz hielt.
Er wandte sich der Kuppel zu, ihrem Eingang.
Aber etwas verhinderte, dass er sie betrat.
Jemand ...
... der in diesem Moment aus ihr heraustrat ...
... und ihn ungläubig zurückprallen ließ.
»Du?!«, hörte er sich stöhnen.
Thibauts Züge verwandelten sich in eine hassverzerrte Grimasse. Dann warf er sich Kelan mit ausgestrecktem Schwert entgegen, und ein Kampf auf Leben und Tod entbrannte.
Gegenwart
Gyungo Tensöng spürte, dass sich das Traumgespinst, in dem er sich verfangen hatte, gravierend von früheren unterschied. Noch befremdlicher, noch bedrohlicher als die vorausgegangenen Albträume empfing es ihn, sog ihn gleichsam in sich auf. Der Schauplatz indes war gleichgeblieben. Hier hatte er im wirklichen Leben neue Heimat und Wirkungsstätte gefunden: Château Montagne.
Aus dem tibetischen Hochland hatte es Tensöng nach Frankreich verschlagen, an die Loire. Und nach einigen Anlaufschwierigkeiten fühlte er sich inzwischen nicht nur angekommen, sondern – viel wichtiger – auch wieder gebraucht. Der Schlossherr Zamorra ließ keine Gelegenheit verstreichen, ihm zu versichern, dass Dank für das Exil, das er dem Mönch gewährte, unangebracht sei. Er vergelte seinem alten Lehrmeister lediglich, was er seiner Meinung nach ihm schuldig sei. Denn immerhin, so das Credo des Professors, habe der Tibeter ihn vor langer Zeit Dinge gelehrt und in Zauber eingeführt, deren Wert und Nutzen sich vielfach erwiesen habe und nicht mit Gold aufzuwiegen sei.
Aus Tensöngs Sicht verhielt es sich genau umgekehrt: Wenn jemand in des anderen Schuld stand, dann er in der des Parapsychologen. Er hatte es immer als Privileg erachtet, den Franzosen an dem Geheimwissen teilhaben lassen zu dürfen, über das er als Lama verfügte; nie davor und nie mehr danach hatte er einen so wissbegierigen und noch dazu fähigen Schüler unter seinen Fittichen gehabt.
Aber die besonderen Anlagen, die Zamorra in die Wiege gelegt worden waren, beinhalteten nicht nur Segen, sondern fast zwangsläufig auch Fluch.
Und Verpflichtung. Sie geboten es dem Parapsychologen, sich einem Feind entgegenzustellen, von dessen Existenz nur wenige Menschen so sicher wussten wie er: den Mächten des Chaos, den Herren und Dienern jener Gefilde, die gemeinhin Hölle genannt wurden.