Raumschiff Promet - Sternenabenteuer 02: Geheiligte Spiele - Gerd Lange - E-Book

Raumschiff Promet - Sternenabenteuer 02: Geheiligte Spiele E-Book

Gerd Lange

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Beschreibung

Im Katai-Sektor entdeckt die Besatzung der Promet IV auf einem Mond die Heimatbasis der Mystery. Dort orten sie neben unzähligen bestialischen Tierarten auch eine ungewöhnliche Lebenssignatur. Shalyn Shan betritt die Arena des Todes. Um den Mörder von Peet Orells Vater zu finden, wagen sich Vivien Raid, Arn Borul und Doktor Wong auf eine ungewöhnliche und gefahrvolle Reise. Sie ahnen nicht, wer ihnen dabei nach dem Leben trachtet.

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Andreas Zwengel & Gerd LangeGEHEILIGTE SPIELE

In dieser Reihe bisher erschienen

5101 Andreas Zwengel Mehr als tausend Lichtjahre

5102 Andreas Zwengel & Gerd Lange Geheiligte Spiele

Andreas Zwengel & Gerd Lange

Geheiligte Spiele

Raumschiff PrometSternenabenteuer

Band 2

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannExposé: Thomas Ziegler † & Gerd LangeTitelbild: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-055-0Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Erinnerungsfetzen

Er befand sich wieder auf Feuerechsenjagd. Allein trat er zur größten Mutprobe für jeden Quogoren-Ritter an. Nach vielen Stunden stellte er seine erschöpfte Beute, die sich aber nicht kampflos ergeben wollte. Langsam umkreisten sich die beiden Kontrahenten. Aus dem Himmel fiel ein Netz über den Ritter und seine Jagdbeute. Bevor er die Maschen mit seiner Axt zerschneiden konnte, wurde Schockenergie hindurchgeleitet. Eine Hinterlist, die eines Ritters unwürdig war. Aber sie betrachteten ihn nicht als einen Gegner von Ehre, nicht einmal als einen gleichwertigen Kontrahenten. Für sie war er ein wildes Tier, ein Ungeheuer. Diese Feiglinge ließen die Jagd von Maschinen ausführen. Seelenlosen Fängern, die alles einfingen, was mehr als zwei Beine besaß.

Er erinnerte sich daran, wie sie ihn halb bewusstlos zu einem Käfig führten, und als Nächstes war er im größten Durcheinander erwacht. Überall waren Raubtiere, die sich gegenseitig töten wollten. Er begegnete den beiden K’inga und floh mit ihnen auf ein anderes Schiff, das sich in großer Gefahr befand. Und dann wurde sein Bewusstsein getrübt.

*

Katai-Sektor, an Bord derPromet IV, 16.04.2107, 23:03 Uhr Bordzeit

Sir Klakkarakk richtete sich in der Zentrale der Promet IV auf. Die andauernden Parakon-Schocks hatten ihn in die Knie gezwungen. Um ihn herum lag die Crew des Schiffes in tiefer Bewusstlosigkeit. Die edle Shalyn Shan, die dieses Schiff befehligte, war in ihrem Sitz zusammengesunken.

Die beiden K‘inga, mit denen er von dem Würfelschiff entkommen war, hatte es aus ihren Sitzen gerissen. Sie lagen ebenso am Boden wie der kräftige weißhaarige Mann und der kleine, dicke Mann, der einmal quer durch den Raum gekullert war.

Sir Klakkarakk überzeugte sich, dass die Besatzung noch am Leben war und stand dann unschlüssig herum. Er war von der Situation hoffnungslos überfordert, da er sich mit der Bedienung dieser Technik nicht auskannte.

„... mich jemand?“, ertönte eine Stimme über ihm.

Sir Klakkarakk zuckte zusammen und zog den Kopf ein.

„Hallo ... ich ... auf Interaktion angewiesen, um ...“

„Wer spricht da?“, donnerte Sir Klakkarakk und drehte sich, mit einer Hand auf dem Schwertgriff, suchend um.

„Ihr seid der Quogore ... recht ich habe? Fehlfunktion.“

„Sprecht klar und deutlich!“, befahl der Ritter und straffte seine Gestalt. Er war momentan nicht in der Stimmung, um sich veralbern zu lassen. Er hatte diese Stimme bereits vernommen. Sie kam aus der Decke des Raums und hatte den anderen erklärt, was ein K’inga war. Das hatte er sehr seltsam gefunden. Waren sie am Ende gar keine K’inga?

„Wer bist du?“, fragte Sir Klakkarakk.

„Ich Kip bin, Bordcomputer der Promet IV.“

„Ein sprechendes Schiff?“

„Ich ... eine künstliche Intelligenz.“

„Immerhin eine Intelligenz, auch wenn deine Worte gerade schwer zu verstehen sind.“

Es knackte laut in der Leitung. „Entschuldigung. Ich musste einige Verbindungen erneuern, die bei unserer Reise durch das Wurmloch Schaden genommen haben.“

„Wir sind durch das Loch eines Wurms gereist?“ Sir Klakkarakk ging davon aus, dass diese Maschine jetzt kein Interstar mehr verwendete, denn die Worte ergaben für ihn keinen Sinn.

„Man nennt ein Wurmloch auch Einstein-Rosen-­Brücke. Es handelt sich um eine Verbindung zwischen weit entfernten Regionen des Universums. Wie ein Wurm, der sich durch einen Apfel frisst und so beide Seiten miteinander verbindet.“

Sir Klakkarakk blickte skeptisch zur Decke. „Ich fürchte, du hast mehr Schaden genommen, als du ahnst.“

„Negativ“, widersprach Kip sachlich. „Ich habe das Schiff stabilisiert und damit begonnen, die Schäden zu beheben. Leider ist es mir noch nicht gelungen, die Sicht nach draußen wieder herzustellen.“

Sir Klakkarakk nickte. „In diesem Fall leistest du gute Arbeit, Maschinenstimme.“

„Aber wir müssen der Besatzung helfen.“

„Richtig. Sag mir, was ich tun soll, Maschinenstimme.“

„Du darfst mich gerne Kip nennen. Ich nehme an, du kennst dich nicht mit moderner Technik aus.“

„Mir ist bewusst, dass es fliegende Schiffe gibt“, sagte Sir Klakkarakk mit gewissem Stolz.

„Gut, gehen wir es anders an. Wir müssen die Besatzung auf die Krankenstation bringen, damit sie versorgt werden kann und schnell wieder auf ihren Posten ist.“

Sir Klakkarakk sah sich die Besinnungslosen an. „Mit wem soll ich anfangen?“

„Die Medo-Station kann vollautomatisch agieren, aber wir sollten mit der Bordärztin beginnen.“

Der Quogore blickte ratlos drein.

„Die Frau, die mit dir gekommen ist“, erklärte Kip.

Also nahm Sir Klakkarakk zuerst Vanessa Modesta vom Boden auf und anschließend mit dem zweiten Armpaar Shalyn Shan. Mit beiden Frauen ging er durch das Lamellenschott und betrat den Schwebekanal, mit dem er schon bei seiner Ankunft gereist war. Die Maschinenstimme Kip lenkte ihn zu dem Bereich, in dem die medizinische Versorgung stattfand.

*

ProjektNemesis,Wüste Sahara, Trou au Natron-Hochebene, 16.04.2107

„Kommen Sie weiter!“, rief der Guide. Seine Aussprache hatte einen eigentümlichen Akzent, der für einen Toubou sehr ungewöhnlich war. „Wir müssen das Camp erreichen, bevor die Dunkelheit einsetzt.“ Der Beduine winkte Arn Borul und Vivien Raid von der Anhöhe aus zu, die er vor ihnen erklommen hatte.

Es war schwieriger als gedacht, sich im Wüstensand aufwärts zu bewegen, weil ihre Füße bei jedem Schritt tief einsackten. Und bei jedem Auftreten knirschte der Sand. Merkwürdiger Weise verschwanden jedes Mal, wenn sie die Füße hoben, die Kuhlen im Sand sofort wieder und hinterließen nicht die geringsten Spuren.

Vivien Raid stöhnte auf und holte Schwung, um ihren massigen Leib bergauf zu bewegen.

„Darf ich dir helfen?“, fragte der Moraner seine Begleiterin. „Du hast ganz schön zugelegt. Für diesem Marsch ist deine Körperfülle mehr als hinderlich.“ Er reichte Vivien die Hand.

Sie lächelte ihn an und nickte dankend. „Das macht mir genauso zu schaffen wie dir dein Alter. Nachher zum Krater wird es hoffentlich nicht so beschwerlich sein. Wenn es nur nicht so heiß wäre, und unser Lotse uns nicht so antreiben würde.“

„Das ist Teil von Dr. Wongs Plan, um uns fit zu machen für das, was demnächst kommen wird. Also reg dich nicht auf“, mahnte Arn. „Du willst nicht wirklich, dass es hinterher heißt: Die Institutsleiterin für interstellare Forschungen hat bereits beim ersten Testlauf schlapp gemacht.“

Vivien amüsierte sich über die Fistelstimme des Moraners, mit der er den letzten Satz ausgesprochen hatte, während sie beim nächsten Schritt aufwärts vergeblich versuchte, sich mit der freien Hand etwas Luft zuzufächeln.

„Kommen Sie schneller!“, trieb der Beduine erneut die zwei einzigen Teilnehmer seiner Expedition an, die darauf­hin an Tempo zulegten. Der Mann stand oben auf dem Kamm der Sanddüne und stützte sich auf seinen Wanderstab. Das um seinen Leib geschwungene Gewand, das traditionelle Thawb, bedeckte den gesamten Körper einschließlich des Kopfes und ließ nur die Augenpartie frei. Obwohl eine leichte Brise wehte, bewegte sich das Tuchgewand des Fremdenführers eigenartigerweise nicht im Wind.

Diese letzte von drei Anhöhen mussten sie überwinden, dann war nach den Schilderungen von Dr. Wong die Hochebene erreicht, die zum Kraterrand führte. Dort, wo es zum Trou au Natron herabging, befand sich das provisorische Zwischencamp, das erste Ziel ihrer ungewöhnlichen Reise.

Die letzten zwanzig Meter bis oben legten Vivien und Arn schweigend zurück, nur begleitet von den Geräuschen des Windes, ihrer Schritte und ihres eigenen Atems. Als sie endlich nebeneinander oben standen, stützte sich Vivien vornüber gebeugt mit den Händen auf ihren Knien ab. Dabei fiel sie beinahe durch das Gewicht ihres Rucksacks vornüber. Zum Glück war der Moraner rechtzeitig zur Stelle, um zu helfen. Für Vivien war es eine ungewohnte Situation, ihren Körper nicht vollends unter Kontrolle zu haben, und deshalb war sie dankbar für Arns Hilfestellung. Natürlich machte sich hier oben die spürbar dünnere Luft bemerkbar. Das Tibesti-Gebirge war der höchste Punkt der gesamten Sahara und noch immer kaum erforscht.

„Langsam, Vivy“, flüsterte Arn ihr zu, denn auch er war außer Atem geraten. „Wenn du wieder fit genug bist, schau dich mal um. Hier stimmt etwas nicht. Unser Guide ist spurlos verschwunden. Obwohl es hier nichts gibt, wo er sich verstecken kann.“

Vivien benötigte etwas Zeit, um sich an die flirrende Hitze der Nachmittagssonne zu gewöhnen und ihre Atmung wieder zu normalisieren. Erstaunt blickte sie in die weite Hochebene, die sich vor ihr erstreckte. Ein völlig ebenes Plateau aus Lavagestein, auf dem sich in Jahrtausenden eine dicke Schicht aus Wüstensand abgelagert hatte. In einiger Entfernung befanden sich ein paar dürre Bäume, die in der Gluthitze des Nachmittags kaum Schatten spenden konnten. Viel interessanter wirkten dagegen einige Felsen, die sich in der Ferne bizarr ­auftürmten. Sie bildeten zusammenhängende Blöcke und vereinzelte in die Höhe ragende Felsnadeln, die teilweise im Sonnenlicht rot schimmerten. Das waren die ehemaligen Bergspitzen des Gebirgsmassivs, das einst von der Lava des Vulkans Toussidé überflutetet wurde. Dieses Gebiet mussten sie heute durchqueren.

Die in diesem Teil der Wüste lebenden Nomaden nannten sich in ihrer Sprache Toubou, was übersetzt ­Felsenmenschen bedeutete. Im Moment war weit und breit kein Kamel, kein Nomade und auch nicht ihr ortskundiger Beduine zu sehen.

„Außer uns ist niemand hier.“ Vivien drehte sich im Kreis. „Aber der Kerl kann sich nicht in Luft aufgelöst haben. Er war eben direkt vor uns und hat uns angetrieben. Verstehst du das?“

Arn zuckte wortlos mit den Schultern, während Vivien ihren Expeditionsrucksack vom Rücken nahm und ihn als Sitzgelegenheit nutze. Sie genehmigte sich einen kräftigen Schluck des mit Elektrolyten angereicherten Getränks aus einer ihrer Wasserflaschen.

Der Moraner tat es ihr gleich. Danach suchte er mit der Zoomfunktion seiner Schutzbrille die Ebene vor ihm nach Anzeichen von Leben ab. „Du hast recht, Vivy. Absolut keine Spur von dem Beduinen. Weder von ihm noch von sonst irgendjemand“, stellte er fest.

„Nicht mal irgendein Krabbeltier!“ Viviens Atem­frequenz normalisierte sich nach dem anstrengenden Aufstieg wieder.

„Dann sind wir nun wohl völlig auf uns allein …“ Arn wurde durch ein lautes Fauchen unterbrochen. „Was war das?“

„Klang wie eine Katze“, antwortete Vivien.

„Wie eine sehr große Katze“, ergänzte Arn.

Einen Moment lauschten sie beide, aber sie hörten nur den Wind und das leise säuselnde Rascheln des Wüstensandes auf der Ebene.

„Wir müssen weiter, wenn wir vor Einbruch der Dämmerung die Felsen und das Nachtlager erreichen wollen.“

„Na, dann mal los“, antwortete Vivien. Beide machten sich wieder marschbereit.

Schweigend gingen sie nebeneinander her, die Blicke vor sich auf den flachen Boden gerichtet. Nur das Knirschen ihrer Schritte auf dem Sand war wieder zu hören. Mit der Zeit ließen sie die vereinzelten Bäume hinter sich und kamen den bizarren Felsformationen aus Bimsstein und Basalt immer näher.

„Merkwürdig, dass nicht mal die Salzschürfer der ­Toubou unterwegs sind, um das Natroncarbonat aus dem Kessel zu holen“, sagte Vivien und zog ihre ­Kopfbedeckung tiefer, um sich vor der Sonne zu schützen.

„Caldera“, antwortete Arn. „So heißt der Kessel. Das hat mir Rufus genau erklärt. Das Trou au Natron ist eine Einsturz-Caldera. Die entsteht, wenn …“

Rufus Braunlich war der Assistent von Dr. Song Wong, dem Leiter des HTO-Projektes Nemesis, deren Höhepunkt diese mehrteilige Exkursion darstellte.

„Verkneif es dir, mich mit Erklärungen zu überhäufen, Arn. Ich werde erleben, was das ist, wenn wir dort sind. Und wenn mir das nicht reicht, kann ich hinterher Rufus, den Doktor oder notfalls auch dich fragen.“

„Bei deinem Job als Institutsleiterin solltest du schon etwas mehr Interesse für wissenschaftlich fundierte Details aufbringen“, meinte Arn.

„Alles zur rechten Zeit. Ich bin sowieso der Meinung, Lukas Hagen wäre für diesen Exkurs besser geeignet gewesen. Schließlich ist er Tronik-Fachmann wie Doktor Wong. Mich wundert es momentan viel mehr, dass nirgends im Sand Spuren oder Gegenstände von anderen Lebewesen zu finden sind.“

„Mich nicht, wenn auch wir keine hinterlassen. Du hast recht, Professor Hagen hätte dafür sicherlich eine simple Erklärung. Aber er ist zurzeit nicht verfügbar“, sagte Arn.

Mitten im Gehen blieb Vivien stehen. „Da liegt etwas auf dem Boden“, sagte sie und ging in die Knie. Mit wenigen Handgriffen legte sie im Sand einen Gegenstand frei.

Auch Arn bückte sich und schaute auf die keilförmige, mit einem Strichmuster versehene Keramikscherbe, die Vivien freigelegte und vorsichtig hochhielt.

„Das ist hier gar nicht so selten“, dozierte er. „Das sind Überbleibsel aus Zeiten, als es hier feuchter war. Vor etwa fünftausend Jahren lebten hier nicht nur viel mehr Menschen, sondern auch …“

„Eine Raubkatze“, sagte Vivien.

„Das weiß ich nicht. Aber Nashörner und Giraffen.“

„Dort lauert eine schwarze Raubkatze, Arn“, flüsterte Vivien, ließ die Scherbe fallen und deutete auf etwas, das sich seitlich von ihnen befand.

Arn schaute in dieselbe Richtung und sah das Tier in etwa hundert Metern Entfernung. Der Moraner schaltete die Vergrößerung seiner Schutzbrille ein und zoomte das Bild des Raubtieres heran. „Der Körperform nach ist das ein schwarzer Gepard mit eigenartigen Flecken“, flüsterte auch er.

Das Tier verharrte vollkommen unbeweglich mitten auf der Wüstenebene und lauerte sprungbereit. Bei jedem Atemzug der Großkatze glänzten die dunklen Flecken leicht irisierend auf dem schwarzen Fell.

„Langsam aufrichten.“ Arns Stimme glich einem Murmeln.

Wie in Zeitlupe erhoben sich die beiden, ohne den Blick von dem Jäger zu lassen, der sie wohl schon länger als einzige Beute weit und breit fixiert hatte.

„Wohin?“, fragte Vivien.

„Nach links, die Felsen sind viel näher.“

„Wir lassen die Rucksäcke hier und nehmen nur die Burster mit“, schlug Vivien vor. Die Burster waren eine neue Spezialentwicklung der HTO speziell für das Projekt Nemesis.

„Gute Idee“, stimmte Arn zu.

Vorsichtig nahmen sie ihr Gepäck von den Schultern und stellten es so vor sich, dass es wie eine Barriere zwischen ihnen und der Raubkatze wirkte. Eine viel zu kleine Barriere, die nichts taugte. Das wussten sie beide.

Der Gepard stieß ein wütendes Brüllen aus.

Vivien zog den Burster und eine große Dose der Verpflegung aus ihrem Marschgepäck. „Rindfleisch“, sagte sie leise. Mit einem Druck auf die Öffnungs­automatik schwang der Deckel auf, und Vivien schüttelte den Inhalt platschend neben ihren Rucksack auf den Sand.

„Du meinst, damit kannst du das Vieh aufhalten?“, fragte Arn.

„Hast du was Besseres?“

Arn musste die Antwort schuldig bleiben, denn in diesen Moment raste der Gepard wie ein schwarzer Blitz in ihre Richtung los. Mit den Burstern in den Händen ergriffen Arn und Vivien die Flucht und rannten auf die Felsgruppe links von ihnen zu. Schnell gerieten die beiden außer Atem. Obwohl sie sich nicht mehr mit ihrer Expeditionsausrüstung abplagen mussten, wurden sie immer langsamer. Als ihr Jäger die beiden Rucksäcke erreichte, hatten sie nicht einmal ein Fünftel der Strecke zu den Felsen zurückgelegt. Doch sie hatten Glück. Der Gepard bremste ab und ließ sich von der nicht gerade großen Fleischportion ablenken.

Auch Arn und Vivien blieben stehen. „Es ist aussichtslos, die Felsen erreichen wir nie. Seitenstiche!“, rief Vivien.

Arn konzentrierte sich mit der maximalen Vergrößerung seiner Brille auf das Tier. „Er frisst nicht, schnuppert nur daran. Und er wird ständig von einem Insekt umrundet.“

Im Gegensatz zu Arn blickte Vivien in die andere Richtung, hinüber zu den Basaltfelsen. Auch sie nutzte die Zoomfunktion ihrer Brille. „Da ist er wieder, unser Beduine. Gut getarnt zwischen den Felsen. Schaut zu uns rüber. Er hat gemerkt, dass ich ihn beobachte.“

„Vielleicht kann er uns helfen?“

„Ich glaube kaum. Er bewegt seinen Wanderstab mit den Händen. Als ob er etwas steuert oder lenkt.“

Der Gepard richtete sich wieder auf und visierte erneut seine ursprüngliche Beute an.

„Schwarze Geparden gibt es nicht, soweit ich weiß. Auch nicht in der Sahara“, sagte der Moraner leise. „Und die echten jagen nicht tagsüber, sondern sind nachtaktiv und meiden die Tagesshitze.“

„Du meinst, der ist nicht echt?“

Inzwischen setzte sich die Großkatze wieder in Bewegung. Da die beiden Wesen nicht mehr flüchteten, konnte sie sich ihrer Beute sehr sicher sein.

„Nicht echt und offensichtlich gelenkt von unserem Beduinenführer dort hinten.“ Arn war sich sicher. „Dann ergibt auch dieses Insekt Sinn. Es ist ein ungewöhnlich geformter Funkempfänger, genauso wie auch der Gepard ungewöhnlich ist.“

„Wir sollten beide genau im Blick behalten, die falsche Katze und den Nomaden“, schlug Vivien vor. „Los, Rücken an Rücken!“

Sie stellten sich gut sichtbar mit erhobenen Burstern auf und lehnten sich gegeneinander. Das war ein deutliches Signal an ihre Gegner, dass Vivien und Arn sie durchschaut hatten.

Da beschleunigte der Gepard wieder und raste auf sie zu. Es vergingen nur wenige Sekunden, bis das Tier nah genug war und zum finalen Sprung ansetzte. Es flog auf Arn zu, der sich blitzschnell zur Seite warf, um so Vivien freie Schussbahn zu geben. Dabei rief er: „Über dem linken Ohr!“

Vivien drehte sich in die Flugbahn der Raubkatze hinein und schoss mit dem Burster auf das linke Ohr des Angreifers. Mit einem lauten Knall zerplatzte das vermeintliche Insekt. In Wahrheit ein elektronisches Fluggerät von der Größe und Form einer Piri-Piri-Schote.

Arn erwartete den Zusammenprall mit dem schwarzen Tier und duckte sich. Dabei hielt er beide Arme schützend über seinen Kopf. Der einzige Aufprall, den er spürte, war sein eigener auf dem Wüstenboden. Sandfontänen schossen an allen Seiten seines Körpers in die Höhe und bedeckten ihn im Herabfallen.

Im Gegensatz zu Arn sah Vivien, wie sich der Körper des schwarzen Gepards in Sekundenbruchteilen mitten im Sprung entstofflichte, bevor er Arn erreichte. Er hörte einfach auf zu existieren.

Arn hatte bei dem Sturz seine Kopfbedeckung und den Burster verloren. Er richtete sich wieder auf, schüttelte sich den Sand aus dem langen Silberhaar und fand nach kurzer Suche seine Mütze und die Waffe wieder.

„Wir haben richtig vermutet. Der Gepard war gesteuert. Vielleicht eine Art Alter-Ego-Programm, wie wir es benutzen. Ich habe sein Steuermodul getroffen“, hörte er Vivien sagen.

Arn benötigte etwas Zeit, um wieder zu sich zu kommen. „Was ist mit dem Beduinen?“, rief er nach einer Weile.

„Weg. Wieder über alle Berge. Wer mag wohl hinter seinem Alter Ego stecken?“, fragte Vivien, während sie Arn half, den Sand aus seiner Kleidung zu klopfen. Schließlich musste sie sogar lachen. „Wie fühlt man sich als panierter Moraner?“

„Besser als ein toter Moraner“, antwortete er ernst. „Du weißt, dass wir beide außerhalb der Kunstwelt der Ultranet-­Operatortronik sofort tot gewesen wären, wenn der Gepard uns hier erwischt hätte.“

„Daran habe ich überhaupt nicht mehr gedacht. Für mich ist alles so real, als ob wir tatsächlich in der Sahara wären.“

„So real wie die Spuren meines Sturzes auf dem Wüstenboden? Sieh hin, auch davon ist nichts mehr zu sehen“, bemerkte Arn.

In der beginnenden Dämmerung setzte leichter Regen ein, der auch nicht real war.

„Mir geht es genauso wie dir, Vivien. Mir kam zu keinem Zeitpunkt der Gedanke, dass wir uns in einer Scheinwelt befinden. Wir dürfen unsere Aufgabe bei diesem Teil des Projekts nicht vergessen. Wir müssen im Zwischenlager die Returner abholen, die Rufus dort hinterlegt hat.“

„Und auch nicht das Gesamtziel. Adamson!“, erinnerte ihn Vivien. „Wir müssen endlich den Mörder von Harry T. Orell und seiner Frau dingfest machen.“

Das war das Zeichen zum Aufbruch. Sie machten sich trotz des Regens auf den Weg, um ihre Rucksäcke einzusammeln und das Nachtlager oberhalb des Trou au ­Natron zu erreichen.

Unterwegs fiel ihnen auf, dass diese Ebene im Gegensatz zu vorher an mehreren Stellen deutlich sichtbare Fehler aufwies. Immer wieder brachen in der Landschaft und am Himmel für wenige Sekunden Teile der Projektion in sich zusammen und gaben die Sicht auf die Gitter­strukturen der Programmierung frei. War das eine direkte Folge der Vernichtung der schwarzen Raubkatze? Sie konnten es nur vermuten. Vielleicht konnte ihnen Dr. Wong oder sein Assistent Rufus Braunlich nach ihrer Rückkehr ins Labor mehr dazu sagen.

In der Dämmerung sah Vivien auf dem Weg zum Nachtlager in der Ferne den Beduinen wieder. Sie schaltete sofort ihre Expeditionsbrille von Sonnenschutz auf Nachtsicht und aktivierte die Zoomfunktion, um ihn hinter den sich nun immer häufiger auftürmenden Felsen nicht aus den Augen zu verlieren.

Es dauerte nicht lange und sie bemerkte an dem Knauf seines Wanderstabs