Regenbogenwolkenschauer - Sandra Gernt - E-Book

Regenbogenwolkenschauer E-Book

Sandra Gernt

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Beschreibung

"Er wollte heute Abend nicht allein sein, stellte er gerade fest, und Finn sah aus wie jemand, den man besser nicht allein lassen sollte, auch wenn der Grund dafür unklar war." Elias ist alleinerziehender Vater. Sein Leben dreht sich ausschließlich um seine Tochter und seine kleine Firma. Für Freundschaften oder gar Liebe ist da keine Zeit. Doch dann stolpert Finn in sein Leben, ein Eiskunstläufer, der nach der Profikarriere für eine internationale Eisrevue läuft und bei dem Training, Auftritte und straff durchorganisierte Pläne das gesamte Dasein bestimmen. So hängt der Himmel einerseits rasch voller Regenbögen … und andererseits drohen Wolkenschauer. Sollen sie lieber vernünftig sein, oder dem Herz eine Chance geben? Gay Romance Ca. 68.500 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 335 Seiten.

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Elias ist alleinerziehender Vater. Sein Leben dreht sich ausschließlich um seine Tochter und seine kleine Firma. Für Freundschaften oder gar Liebe ist da keine Zeit.

Doch dann stolpert Finn in sein Leben, ein Eiskunstläufer, der nach der Profikarriere für eine internationale Eisrevue läuft und bei dem Training, Auftritte und straff durchorganisierte Pläne das gesamte Dasein bestimmen.

So hängt der Himmel einerseits rasch voller Regenbögen … und andererseits drohen Wolkenschauer. Sollen sie lieber vernünftig sein, oder dem Herz eine Chance geben?

 

Ca. 68.500 Wörter

Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 335 Seiten.

 

Regenbogenwolkenschauer

 

von

Sandra Gernt

 

 

 

 

 

Für Chrissy Pirols

Weil du ein wunderbarer Mensch bist und ich froh bin, dich kennen zu dürfen

 

Inhalt

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

 

 

 

Kapitel 1

 

„Mach dir keine Gedanken. Bitte! Es ist alles in Ordnung. Ich freu mich riesig für dich!“

Und das tat er wirklich. Er freute sich für Kati, dass sie endlich ihren Wunschtraum erfüllt bekam und Mutter werden durfte. Sie und ihr Mann Lars hatten es zehn Jahre lang versucht, davon zwei mit ärztlicher Unterstützung. Die Hormontherapie, die künstliche Befruchtung, all das hatte viel Zeit, Kraft, Geld, Nerven, noch mehr Kraft gekostet. Im vergangenen Jahr hatte es dann schon einmal geklappt, doch nach neun Wochen war es zur Fehlgeburt bekommen. Nun befand sich Kati in der vierzehnten Woche und es sah alles bombig aus. Diesmal würde es klappen, es würde wunderbar werden!

Elias hatte in den vergangenen Wochen bereits vermutet, dass da was geklappt haben könnte. Kati war sonst nicht der Typ für dick-schwarze Augenringe, die Entschuldigung, dass sie von ihrer Koffeinsucht wegkommen wollte, hatte etwas lahm geklungen – so viel Kaffee trank sie nun auch wieder nicht, die zwei Tassen am Morgen waren kein Grund, plötzlich abstinent zu werden und den Raum verlassen zu müssen, wenn andere Leute ihre schwarze Muntermacher-Brühe tranken. Doch sie hatte eisern dicht gehalten und erst jetzt, nach der Untersuchung heute morgen, die frohe Botschaft verkündet.

Neben der riesigen Freude, dass seine langjährige Angestellte und zugleich beste Freundin ihr Lebensglück komplett machen konnte, war da leider auch eine gehörige Portion Sorge und Wehmut zugleich. Kati hatte immer deutlich gemacht, dass sie kündigen würde, sobald sie Mama werden sollte, damit sie mindestens drei Jahre voll für das Kind da sein konnte und sich auch danach nicht stressen musste. Ob sie jemals zurückkehren würde, stand somit noch nicht fest.

Sie war die gute Perle von Elias‘ Steuerbüro gewesen, seine einzige Mitarbeiterin, die an für sich unentbehrlich war. Wie er ohne sie klarkommen sollte, wusste er beim besten Willen nicht. Allerdings bemühte er sich sehr, bloß keinen einzigen Moment mit dem Lächeln aufzuhören, denn er freute sich wirklich unglaublich für sie und sie hatte jedes bisschen Glück mehr als verdient. Irgendwo wartete hoffentlich eine Ersatzkraft auf ihn, eine tüchtige Person, die vorzugsweise Steuerassistenz gelernt hatte, ihm den Rücken freihalten, seine Termine und ein klein wenig auch sein Leben organisieren konnte. Elias war der Erste, wenn es zuzugeben galt, dass er ziemlich planlos und chaotisch war.

„Es tut mir so wahnsinnig leid, dich im Stich zu lassen“, murmelte sie, umarmte ihn und brach in Tränen aus. Sie war ein wenig wie seine Mama, obwohl sie mit ihren vierzig Jahren nur elf Jahre älter als er war. Klein und mollig, mit kurzen, lockigen, brünetten Haaren, einer regenbogenbunten Brille, immer gut aufgelegt und sehr emotional. Ein Sonnenkäfer, so nannte sie sich selbst und trug vielleicht auch deswegen am liebsten knallgelbe Kleider und umgab sich und ihre Umgebung mit Sonnenblumen und Marienkäfern in sämtlichen Dekorationsformen.

„Du lässt mich nicht im Stich. Du gründest eine Familie!“, entgegnete Elias tapfer. „Und noch bist du da und kannst mir helfen, deinen Nachfolger zu finden.“

„Wir suchen einen knackigen Kerl für dich. Den kannst du heiraten, dann habt ihr ein Familienunternehmen, adoptiert noch ein Baby, kauft euch einen Hund …“ Kati lachte schon wieder und strubbelte ihm durch die strohblonden Haare. Das durfte an für sich niemand auf dieser Welt, ganz besonders nicht Elias‘ Mama. Für Kati machte er eine Ausnahme. Weil sie Kati war. Und schwanger. Und weil sie ihn verlassen würde.

„Nun schau nicht so, als würden die Regenbögen weinen!“, sagte er zu ihr. „Weißt du was? Wir machen für heute Feierabend. Du hast noch so viele Überstunden, Herr Beivers hat seinen Termin eben per E-Mail auf nächste Woche verschoben und ich wollte noch einkaufen. Die restlichen superdringenden Sachen erledige ich heute Abend von zu Hause aus.“

„Das wäre schon toll, verfrüht ins Wochenende zu starten, aber du musst noch die Sache mit der Dame von der Gärtnerei klären, das Finanzamt hat ihr die Konten gesperrt. Und ich hätte vierzehn Mahnungen und zwei Rechnungen zu tippen, und …“

„Du hast einen Mann, der auf dich wartet.“ Elias schnitt ihr gnadenlos das Wort ab. „Das Telefonat führe ich sofort, wenn du durch die Tür bist und den Ordner mit den Mahnungen nehme ich mit nach Hause. Okay? Ich muss die Torte für Ella dringend fertigmachen. Und du, du musst auf die Couch.“

„Ich fühle mich trotzdem ein bisschen mies …“

Es dauerte noch zwei Umarmungen, gutes Zureden und harter, unbarmherziger Nachdruck, bis Elias sie durch die Tür geschoben hatte. Kati war süß, aber in solchen Momenten leider auch ein klein wenig anstrengend. Wie um Himmels Willen sollte er jemals ohne sie zurechtkommen?

Elias erledigte mehrere Telefonate, um seine Klientin zum schnellstmöglichen aus der Zwangsvollstreckung zu befreien, was frühestens Mitte nächster Woche zu erwarten war. Dann packte er sich einen Tragekorb voller Unterlagen und verließ das Büro. Arbeit gab es immer mehr als genug, er könnte auch von jetzt bis Montagmorgen durchackern und müsste keinen Moment befürchten, dass ihm Langeweile drohen würde.

Irgendwann war es allerdings auch mal gut und er musste definitiv noch einkaufen, bevor Ella von der Schule heimkam. Zum Mittagessen würde es heute bloß ein paar schnelle Bananenpfannkuchen geben, damit ihm Zeit blieb, eine tolle Torte zu backen. Seine Tochter wurde morgen sieben und hatte sich eine kunterbunte Motivtorte mit den Figuren aus dem Film „Encanto“ gewünscht. Es war also schon vernünftig, heute frühzeitig das Büro zu verlassen. Freitags waren die Supermärkte sowieso immer überlaufen und Elias musste sich auch nach wie vor ein bisschen zurechtfinden, seit er mit Ella umgezogen war. Die alte Wohnung war sehr viel näher an seinem Büro gewesen, dazu hatte sie günstig in der Innenstadt gelegen. Sämtliche Geschäfte waren fußläufig erreichbar und seine Tochter hatte ebenfalls zu Fuß Kindergarten und später die Schule besuchen können. Der Vermieter war allerdings ein unglaublich unangenehmer Typ, hatte Renovierungen verschleppt, sich nicht darum geschert, ob Wände schimmelten oder Heizungen ausfielen. Als dann einer seiner Klienten erzählte, dass sein Bruder dringend einen Nachmieter für seine Wohnung suchte, hatte Elias sich spontan für eine Besichtigung angemeldet und tatsächlich den Zuschlag erhalten. Vor vier Wochen erst war er mit Ella umgezogen und es fühlte sich noch ein bisschen wie eine Urlaubsbleibe an. Groß und luftig, perfekt isolierte Wände, sodass man die Nachbarn wirklich gar nicht mitbekam, ein großes Bad, ein tolles Zimmer für Ella, ein Arbeitsräumchen für Elias, ein Ballsaal von Wohnzimmer, sein Schlafzimmer war ebenfalls üppig, ein riesiger Balkon … Es war unfassbar schön, so viel Platz zu haben, dazu freundliche Nachbarn, und die Küche hatte er mit alles Schnick und Schnack zum anständigen Preis übernehmen können. Da nahm man den Nachteil gerne auf sich, dass er nun mit dem Auto zur Arbeit musste. Ella fand es sogar spannend, weil sie nun zu den Buskindern gehörte, zu denjenigen, die ein Ticket von der Stadt bekamen und jeden Tag mit einem Riesenpulk anderer Kinder in den Bus steigen durfte.

Elias lächelte bei diesem Gedanken, während er sich in den dichten Verkehr einfädelte. Seine Kleine wurde so schnell groß. Sieben Jahre gab es sie schon, das war absolut krasser Wahnsinn. Er würde ihr die schönste Torte backen, die jemals ein kleines Mädchen bekommen hatte, so viel stand fest! Sie hatte es verdient.

 

 

Vollgeladen mit seinen Akten und den Einkäufen schleppte er sich irgendwie zu dem Aufzug. Es wäre unglaublich vernünftig, das Zeug einfach abzustellen und dann nachher in Ruhe den Knopf für die vierte Etage zu drücken. Leider neigte er nicht immer zur Vernunft und er hatte zudem Angst, dass ihm etwas herunterfiel, sollte er das ganze Zeug abstellen. Selbstverständlich war ihm klar, dass er spätestens vor der Wohnungstür ein Problem bekommen würde. Nachdem er es bloß mit purem Glück heil mit sämtlichen Glasflaschen und Eierpackungen unten durch die Haustür geschafft hatte, wollte er jetzt eigentlich nur noch nach Hause. Mit einigen abenteuerlichen Verrenkungen gelang es ihm zumindest, mit dem Ellenbogen den Knopf für den Fahrstuhl zu drücken. Zum Treppensteigen fehlte ihm definitiv der Ehrgeiz. Ja, Sport war gesund und sicherlich sollte er viel mehr davon in sein Leben integrieren. Heute war allerdings nicht der geeignete Tag dafür.

„Brauchen Sie Hilfe?“, fragte Frau Mierendorf, die alte Dame aus dem ersten Stock.

„Nein Danke, klappt schon!“, rief er, da sich die Türen des Fahrstuhls gerade öffneten.

Natürlich war das gelogen, denn mit dem Ellenbogen kam er beim besten Willen nicht an den passenden Knopf für die vierte Etage. Es war so mühsam gewesen, sich den ganzen Kram auf die Arme zu laden, er wollte es einfach nicht abstellen müssen! Vermutlich würde der Aufzug schon wieder mit ihm nach unten fahren, bevor er sich alles neu aufgeladen hatte und überhaupt, das war dumm, was er hier anstellte.

Schritte erklangen, beschämt über seine merkwürdige Hampelei wandte Elias den Kopf.

„Äh – du kommst klar?“

Finn Hoffmann stand vor ihm und grinste amüsiert. Er wohnte in der obersten, also der sechsten Etage. Elias hatte ihn beim Einzug kennengelernt, da hatte Finn ihm einige Kartons nach oben getragen und er grüßte stets freundlich, wenn sie sich irgendwo begegneten. Der Kerl hatte ein hinreißendes Lächeln, was ihm vermutlich bewusst war, denn auch sonst war er ein aufregender Hingucker. Nordisch blond, wunderschöne dunkelblaue Augen, genau wie Elias selbst eher mittelgroß, dafür extrem straff und schön gebaut – er war Eiskunstläufer und besaß die entsprechend durchtrainierte, sehr schlanke Tänzerfigur. Mit internationalen Wettkämpfen hatte er nichts mehr zu tun, diese Profizeiten lagen hinter ihm. Stattdessen arbeitete er für eine Eislaufrevue und trat mehrmals die Woche abends mit seinem Ensemble auf.

Das war spannend und unglaublich interessant und … verdammt noch mal unwichtig.

Denn Finn war seines Wissens nach weder schwul noch bi und falls doch, dann garantiert nicht an einem bisexuellen, alleinerziehenden Vater interessiert, der als Steuerberater sowieso superlangweilig und zudem noch ein ganzes Stück älter als Finn war.

Es gab also keinen Grund für das sehnsüchtige Ziehen in den unteren Körperregionen, egal wie gut dieser Mann auch aussehen mochte, wie sympathisch sein Lächeln und die gesamte Art waren. Sehnsucht hegte Elias dennoch. Es war schlichtweg verdammt lange her, dass er mit jemandem das Schlafzimmer geteilt hatte, der kein Kleinkind und mit ihm blutsverwandt war. Egal wie dumm es sein mochte, diese Sehnsucht war einfach da. Es kostete ihn seine gesamte Selbstbeherrschung, Finn nicht dämlich anzustarren, dieses hübsche Gesicht und die fantastische Figur zu bewundern und sich Dinge auszumalen, die nie passieren würden.

„Vierte Etage, ja?“ Finn drückte ohne weiteres Aufheben den Knopf und lachte unbekümmert. „Sieht nach jeder Menge Arbeit aus. Früh dran heute, ja?“

„Hm.“ Elias versuchte es mit einem Lächeln, das vermutlich zur schauderlichen Grimasse geriet, und zuckte mit den Schultern. Manchmal fehlten ihm die Worte, er hatte nie zu den schlagfertigen Typen gehört. Vermutlich war es besser so. Wenn Finn ihn für einen sprechfaulen Schwachkopf hielt, würde er nicht versuchen, sich mit ihm anzufreunden.

„Lass mich dir helfen, das sieht ziemlich schwer aus.“

Ohne weitere Diskussion nahm Finn ihm zwei der Einkaufstaschen ab. Elias nickte dankbar, froh, ein wenig seiner Last abgeben zu können. Nun spannte sich die dunkle Jacke allerdings über Finns Schultern und sorgte dafür, dass das Sehnsuchtsziehen noch viel heftiger wurde. War das nicht lächerlich? Sie standen kaum zehn Sekunden nebeneinander im Fahrstuhl und schon musste Elias über Platznot in der Jeans und Hitze im Bauch nachdenken. Lächerlich!

Er gab sich darum einen Ruck und versuchte es erneut mit dem Lächeln.

„Dank dir, du hast mich gerettet, Mann“, sagte er.

„Nich‘ dafür. Kann schon mühsam werden, wenn man Arbeit und Haushalt und kleines Kind jonglieren muss, hm? Was hast du denn mit dem ganzen Fondant vor?“ Finn wies mit dem Kopf zu der Stofftasche, die er im Arm hielt, und die vor lauter Fondant und Lebensmittelfarbe, Backkakao, Kuvertüre und anderen Backutensilien schier überquoll.

„Ella wird morgen sieben und sie wünscht sich eine Motivtorte mit Disneyfiguren.“ Mittlerweile waren sie in Elias‘ Etage angekommen und ausgestiegen. Statt die Taschen zurückzugeben, marschierte Finn einfach neben ihm her, offenkundig entschlossen, ihm die Einkäufe in die Wohnung zu tragen. Wie man das als freundlicher, hilfsbereiter Nachbar eben machte.

Seltsam verlegen balancierte Elias den roten Tragekorb auf einem Bein, kramte die Wohnungsschlüssel hervor und schloss auf, während er hastig überlegte, ob es innen gerade angemessen unpeinlich war. Halbwegs ordentlich genug, um Fremde hineinlassen zu wollen.

„Ich bin beeindruckt, dass du so was kannst“, sagte Finn. „Also Motivtorten herstellen. Das ist schon eine Kunst! Ich müsste so ein Ding vermutlich bestellen und liefern lassen, ich kann gar nicht backen. Oder kreativ etwas mit den Händen herstellen.“

Unwillkürlich blickte Elias ihm auf die Hände. Sie waren eher schmal für einen Mann, dafür langfingrig, und sie wirkten stark und sehr geschickt. Klavierspielerhände, wie man so schön sagte. Unvorstellbar, dass solche Hände nicht auch sehr feinsinnige Arbeiten übernehmen könnten.

„Backen macht mir Spaß“, sagte er und marschierte voraus in die Küche. Zum Glück hatte er die Spülmaschine bestückt und auch sonst gab es nichts, wofür er sich akut schämen müsste. Ein bisschen Unordnung hier und da war okay, man durfte ruhig sehen, dass in dieser Wohnung Menschen lebten und vier Wochen nach Einzug war es auch kein Problem, wenn noch drei, vier Umzugskartons im Flur herumstanden. Darin befand sich Dekokram, lauter Zeug, das er mal geschenkt bekommen hatte und nun nicht mehr gebrauchen konnte. Er haderte mit der Entscheidung, ob er es an den Straßenrand stellen sollte, mit einem Schild „zum Mitnehmen“, oder es lieber direkt in die Tonne kloppen sollte. „Ich finde es sehr entspannend, zu kochen und zu backen“, fuhr er fort. „Etwas herzustellen, das man sofort nutzen und genießen kann, verstehst du? Ich koche gerne experimentell und international. Leider mag meine Tochter am liebsten Pizza und Nudeln mit Tomatensauce, darum kann ich mich gar nicht so oft richtig austoben, wie ich das eigentlich möchte. Na ja. Egal. Beim Backen darf ich jedenfalls aus dem Vollen schöpfen, da geht sie mit, sie liebt süßes Zeug.“

„Welches Kind nicht?“ Finn reichte ihm lächelnd die schweren Taschen an, sobald Elias den Tragekorb auf den Küchentisch gestellt hatte. Ihre Hände berührten sich für einen Moment und Elias zuckte unwillkürlich. Das fühlte sich aufregend gut an und er musste sich zusammenreißen, um ihn nicht gleich noch mal anzufassen, diesmal bloß mit Absicht. Vielleicht sollte er Ella mal für ein Wochenende bei seinen Eltern unterbringen und auf die Piste gehen. Dampf ablassen. Sex war ein Bedürfnis, man sollte es nicht ewig unterdrücken, sonst wurde der Körper … Nun ja. Unruhig. Und bedürftig. Und irgendwie lächerlich. Nicht, dass er je auf die Piste gegangen wäre.

„Deine Ella ist jedenfalls zu beneiden“, sagte Finn und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die marmorierte Arbeitsplatte. „Ich finde es toll, dass du dir so viel Mühe gibst, obwohl du ja mehr als genug Arbeit hast. Sie wird sich garantiert über ihren Kuchen freuen.“

„Ich hoffe es mal sehr. Wie aus dem Katalog oder dem Fernsehen sehen die bei mir natürlich nicht aus. Aber mit einer Schoko-Kirschfüllung kann man erst mal nicht viel falsch machen, Biskuit schmeckt immer toll und ist einfach, und wenn die gewünschte kunterbunte Deko nicht nach Plan gelingt, mache ich eben noch mehr Marzipanblumen drauf.“ Elias räumte rasch die Einkäufe weg und schaffte es dabei, Finn kein einziges Mal zu berühren. Drauf konnte er fast schon stolz sein, denn ja, mittlerweile war ihm ziemlich heiß.

Eigentlich erwartete er, dass sein Nachbar sich allmählich verabschiedete. Stattdessen sah der ihm neugierig beim Einräumen und Sortieren zu, nahm die Packung mit den Lebensmittelfarben in die Hand und las die Inhaltsstoffe und betrachtete auch die Aufdrucke auf den Fondantpackungen.

Er roch gut.

Männlich herb und irgendwie … frisch. Zitronig vielleicht? Jedenfalls sehr, sehr angenehm. Es war vermutlich ein Duschgel, kein Herrenparfüm, und es passte hervorragend zu ihm. Subtil, keineswegs aufdringlich. Elias mochte es nicht, wenn Menschen zu stark nach Chemie und Duftstoffen rochen. Bei Finn war es perfekt. Wenn er könnte, wie er wollte, würde er ihm die Nase in den Nacken stecken und einfach schnuppern.

Himmel hilf! Es wurde stetig schlimmer. Zum Glück klingelte Finns Handy. Nach einem Blick drückte er den Anrufer weg, streckte sich, gähnte. Offenbar war dies das Signal zum Aufbruch gewesen.

„Schickst du mir ein Foto von der Torte, wenn sie fertig ist?“, fragte er. „Ich bin total neugierig, was du zauberst.“

„Öh … Ich hab deine Nummer gar nicht, sonst gerne“, stammelte Elias verlegen.

„Kein Problem, warte.“ Finn kramte in der Innentasche seiner Jacke und zog einen Kuli und eine Autogrammkarte raus, ein signiertes Studiofoto von ihm. „Hm, normalerweise hab ich immer irgendwo Einkaufszettel. Das Ding hat einen Knick, aber ist ja sowieso nur für die Nummer.“ Rasch notierte er die Zahlen auf der Rückseite. „Bitte nicht weitergeben“, sagte er und grinste strahlend. „Bin natürlich kein Superpromi, oder überhaupt irgendein Promi, aber nach den Shows wollen manche Mädels anbändeln und das kann schon mal nervig werden.“

„Um Gottes Willen, ich gebe nie Nummern ungefragt weiter“, sagte Elias, nahm das Foto an sich und schaffte es, unverbindlich lächelnd zu nicken. Sein Nachbar gab ihm die Handynummer. Völlig normale Sache. Sowieso sehr praktisch, falls man mal gegenseitig die Wohnung hüten wollte, Post reinholen, Pakete annehmen, Topfpflanzen gießen. Solche Sachen. Wie gute Nachbarn es eben füreinander taten.

„Okay! Ich muss los. Viel Erfolg!“

„Danke noch mal für deine Hilfe“, murmelte Elias mit Verspätung.

„War mir ein ehrliches Vergnügen.“ Finn winkte lächelnd und marschierte dann zur Wohnungstür, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er hatte jedenfalls sehr vergnügt geklungen, und zugleich sehr ernsthaft.

Verdammt, es war peinlich, so überhitzt auf einen ganz normalen Mann zu reagieren. Ja, ein überaus attraktiver junger Mann, der zudem Single war und zumindest prominent genug, um Autogrammfotos in seiner Jacke zu horten, auf die er seine Handynummer schreiben konnte. Trotzdem peinlich. Vielleicht unterhielt Finn ja eine flammende Beziehung mit einer seiner Kolleginnen. Oder er ging jeden Abend mit einer der Zuschauerinnen der Show nach Hause? Tatsache war, Elias wusste gar nichts über ihn und es gab keinen Grund, ihn derartig anzuschmachten.

Dafür gab es sehr viele Gründe, sich endlich mit der Torte zu beschäftigen, denn Ella würde bald nach Hause kommen und hungrig sein.

Mit einem Seufzen machte sich Elias ans Werk.

 

 

Das Schwimmtraining war um eine Stunde vorverlegt worden, wodurch die auch sonst sehr knappe Mittagspause praktisch weggefiel. Finn kannte das, er ärgerte sich darum nicht, auch wenn sämtliche anderen Trainingseinheiten des Tages dadurch ebenfalls durcheinandergerieten. Normalerweise kam er nicht zwischendurch nach Hause, was mit einer nervtötenden Busfahrt verbunden war. Heute war er der Anweisung des Trainers gefolgt, die eben schon wieder umgeworfen worden war. An manchen Tagen lief es eben chaotisch ab. An den meisten aber wurde das Training straff durchorganisiert und plangemäß durchgezogen. Schließlich waren sie kein Provinztheater, sondern eine internationale Größe im Showbusiness.

Finn war noch nicht lange Teil der Eislaufrevue, bis vergangenen Herbst hatte er noch auf Profilevel gearbeitet, war zu internationalen Wettkämpfen angetreten. Die Olympiateilnahme mit neunzehn war der Höhepunkt seiner Karriere gewesen. Nun gut, mit den Medaillenrängen hatte er da nichts zu tun gehabt, die Russen und Amerikaner waren ihm davongelaufen. Das lag an den sehr viel härteren Trainingsmethoden, denen sich die Läufer in anderen Ländern unterzogen. Methoden, über die bloß hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurde. Sechzehnjährige Kinder dazu anhalten, tagelang gar nichts zu essen und möglichst wenig zu trinken, während sie zehn, zwölf Stunden am Tag abwechselnd auf dem Eis standen, Fitness- und Flexibilitätstraining, Balletteinheiten, Schwimmen und Choreographiestunden absolvierten … Jeder wusste, dass dies vernichtend für Körper und Geist war.

Bei Finn hatte der Wille, absolut alles zu geben, wirklich alles, auch seine Gesundheit und seine Zukunft, nicht ganz ausgereicht. Er war einmal Europameister geworden, bei Olympia zumindest auf Rang sechs als Einzelläufer gelandet, bei einer Weltmeisterschaft Platz drei in der Teamwertung. Das war gut genug, um einen Platz in einer renommierten Eislaufrevue zu erhalten. Natürlich nicht als Leader, er gehörte zu den austauschbaren Läufern, die in Gruppen auftraten. Auch das war allerdings schon hochanspruchsvoll, jeder von ihnen war ein einstiger Profi, und wer nicht mindestens einen Titel erringen konnte, brauchte sich gar nicht zu bewerben.

Das Training war nach wie vor sehr straff, aber weit entfernt von Vernichtung. Ausdauer, Kraft und Fitness sowie Beweglichkeit waren gefragt, natürlich auch Figurentraining auf dem Eis. Auch die Essenspläne waren hart. Eiskunstläufer mussten leicht, flink, nach Möglichkeit eher klein und hoch beweglich sein. Man brauchte Muskelkraft, um sich in die Höhe zu schnellen, um als Mann eine Partnerin stemmen zu können. Dicke Muskelpakete würden allerdings die Beweglichkeit hemmen, darum benötigte man bereits eine gewisse genetische Grundlage neben der Willenskraft und einem möglichst frühen Start, um in diesem Sport voranzukommen.

Die Opfer, die man von frühester Kindheit an brachte, waren groß. Jeden Morgen um spätestens fünf Uhr aufstehen, trainieren, auf dem Weg zur Schule die letzten Hausaufgaben vom Vortag erledigen, nach dem Unterricht weitertrainieren, auf dem Weg nach Hause ein bisschen lernen, Essen, schlafen. An den Wochenenden Wettkämpfe, erst ganz kleine, rasch auf internationaler Ebene. Das gesamte Leben rotierte um das Eislaufen, alle seine Freunde stammten aus dem Sport. Seine Eltern waren ehemalige Profis, darum war Finn wie selbstverständlich in diese Welt hineingewachsen. Druck von dieser Seite hatte es wenig gegeben. Seine Eltern hatten ihm beide immer wieder gesagt, sie würden ihn zu nichts zwingen, er könnte jederzeit aussteigen. Sie waren stolz auf seine Erfolge, stolz, weil er auch nach dem Ende der Karriere noch in diesem Beruf verblieben war. Für sie war es schließlich ebenfalls mit großen Opfern verbunden gewesen, ihn auf seinem Weg zu begleiten. Da sie auch in dieser Welt aufgewachsen waren, war es für sie selbstverständlich gewesen. Trotzdem spürte er, wie sehr die beiden es mittlerweile genossen, einfach mal an den Wochenenden auszuschlafen, nicht bei jedem Happen, den sie aßen, die Kalorien zu zählen, den Proteingehalt zu prüfen, eher zu verzichten, wenn irgendwelche Zweifel bestanden.

„Finn! Schläfst du, oder was sollte das da gerade sein?“, brüllte der Trainier, als Finn die Schwimmbahn beendet hatte. Mario war ein Kampfterrier, klein, drahtig, bissig. Man konnte es ihm nie recht machen, es war immer zu wenig, egal wie sehr man sich bemühte. Darum verschwendete Finn auch keinen Atem für Ausreden oder Entschuldigungen, ruckte lediglich seine Schwimmbrille zurecht und kraulte dann die nächste Bahn. Diesmal konzentriert und angestrengt. Es machte keinen Spaß, sich anbrüllen zu lassen und als einer der Neulinge in der Truppe hatte er noch einiges zu beweisen.

 

 

Elias umarmte seine Tochter ein letztes Mal, küsste sie lächelnd und winkte ihr nach, als sie jubelnd und hüpfend mit ihrem Rucksack zur Tür hinauseilte.

Das Lächeln verging ihm sofort wieder und er marschierte zum Küchenfenster. Von dort aus konnte er den Parkplatz sehen, der zum Haus gehörte. Der rote Sportwagen seiner Ex war nicht zu verfehlen.

Louisa war zuverlässig, sie holte Ella stets pünktlich zu den Wochenendbesuchen ab, rief immer lange genug vorher an, wenn es mal wieder nicht klappte, schickte die dicken, reichlich gefüllten Geschenkpakete für die passenden Anlässe mindestens eine Woche im Voraus, damit sie auch ja rechtzeitig da waren. Sie arbeitete in der Reisebranche, war mit einem neuen Mann liiert, der ebenfalls dort tätig war. Die beiden verdienten immens gutes Geld, in einem Monat etwa doppelt so viel wie Elias in einem Jahr. Dazu waren sie viel unterwegs, reisten nach London, Prag, New York und Dubai, hatten interessante Freunde, besuchten Opern und Konzerte, waren stolz auf ihre schicken Autos und das riesige Haus und hatten für eigene Kinder einfach keine Zeit.

Ella war ein Unfall gewesen. Ein Fehler, den Louisa nicht hinnehmen wollte. Das hübsche, natürliche Mädchen, das sie damals im Studium noch gewesen war, mit dem Elias sich eine Zukunft, eine eigene Familie aufbauen wollte, war in dieser Schwangerschaft spurlos verschwunden. Louisa wollte keine Kinder, sie wollte Karriere. Sie wollte Partys, sie wollte leben, reisen, feiern, bewundert werden. Darum war sie auch absolut erleichtert gewesen, als Elias sich bereiterklärt hatte, Ella allein aufzuziehen. Für Louisa war das perfekt! Sie konnte gelegentlich die Wochenendmama spielen, süße Fotos von ihrer hübschen Tochter auf Instagram posten, teure Geschenke verteilen und ab und an gönnerhaft einen größeren Betrag auf Elias‘ Konto überweisen. Für die Unkosten.

Hätte er ein kleines bisschen mehr Stolz, würde er ihr das gesamte Geld zurückgeben und sich verbitten, jemals wieder mit Almosen bedacht zu werden. Wäre er nur einen Hauch konfliktfreudiger, würde er Louisa mit dem Anwalt drohen, sollte sie jemals wieder Fotos von ihrer Tochter ins Internet stellen. Wäre er emotional gefestigter, würde es ihm überhaupt nichts ausmachen, dass Ella sich so unglaublich darauf freute, die Nacht vor ihrem Geburtstag bei Louisa und Max schlafen zu dürfen.

Natürlich würden die zwei es sich nicht nehmen lassen, mit Ella shoppen zu gehen, ihr unsinnig teure Designerschuhe oder Ohrstecker aus echtem Gold mit kleinen Brillanten zu kaufen, mit denen ein solch junges Mädchen doch gar nichts anfangen konnte. Und selbstverständlich bekam Ella von den beiden ein großes Barbiehaus mit allem Schnick und Schnack und Schnösel geschenkt, während Elias versuchte, eine Encanto-Motivtorte zu basteln und ihr ansonsten zwei Kinderbücher schenkte.

Er wusste, wie viel mehr es zählte, dass er jeden Tag für Ella da war. Er kochte ihr Essen, statt mit ihr ins Restaurant zu gehen. Er las ihr Bücher vor, kontrollierte ihre Hausaufgaben, brachte sie zum Arzt, hätschelte sie durch Erkältungen und Magen-Darm-Grippen, trocknete ihre Tränen, wenn sie sich mit ihrer besten Freundin gezankt hatte, stritt sich mit ihr über das Aufräumen, fuhr sie zum Trampolinverein, bei dem sie sich einmal die Woche austoben durfte. Er war ihr Papa. Und Louisa bloß Glitzer und Glamour und Gelegenheitsmama, die selbst diesen Job lästig fand und auf keinen Fall mehr Zeit und Verantwortung investieren wollte.

Trotzdem hatte Ella vor Begeisterung und Vorfreude gejubelt, als sie erfuhr, dass sie heute spontan zu ihrer Mama durfte, weil Louisa und Max morgen Vormittag nach Venedig reisten und deshalb keine Zeit für die Kindergeburtstagsparty hatten.

War es okay, sich wie ein garstiger Unhold zu fühlen? Weil er seinem eigenen Kind nicht gönnte, heute wie eine Prinzessin verwöhnt zu werden, von einer Frau, der alles andere wichtiger als die eigene Tochter war, die das Kind bloß als süße Kulisse für ihre eigenen Zwecke missbrauchte und sich einen Scheiß dafür interessierte, was für ein Mensch Ella eigentlich war. Weil sie mit der unromantischen, sehr harten Alltagsrealität, die das Leben mit einem Kind bedeutet, überhaupt nichts zu tun haben wollte. Weil sie halt eine blöde Kuh war und Elias viel lieber den Tag genutzt hätte, um mit Ella gemeinsam die Torte zu backen. Weil es schäbig war, als langweiliger, hart um seine Existenz kämpfender Steuerberater nie in der Lage zu sein, seiner Tochter diesen Luxus zu bieten, den Ella leider total schön fand.

Er war ein vernünftiger Mann. Natürlich würde Ella in einigen Jahren durchschauen, dass ihre Mutter nichts als eine schöne Fassade war. Das war nicht Ellas Schuld, Elias hätte sich einfach nie in diese Frau verlieben dürfen. Er hätte damals erkennen müssen, wie oberflächlich sie war, es war ganz allein sein Fehler gewesen. Nicht einmal Louisa konnte er da wirklich einen Vorwurf machen, die war eben so, hatte auch nie behauptet, etwas anderes zu sein.

Also musste er aufhören, sich Dinge zu wünschen, die er nicht haben konnte, und keine Energien verschwenden, neidisch und missgünstig zu sein. Ella sollte ihren heutigen Tag bei Mama genießen. Und morgen würden sie gemeinsam ihren Geburtstag feiern, zusammen Elias‘ wie auch Louisas Eltern, die sich riesig auf ihr großes Enkelmädchen freuten, mit seinem Bruder, der seine Nichte vergötterte, mit Torte und großem Abendessen und Familie. Am Sonntag würde Elias dann mit Ella und drei ihrer Freundinnen in ein Funbad fahren, wo die Mädels sich einen schönen Tag machen durften. Auch das war nicht aufregend, kein großer Luxus. Dafür war es richtig und es tat Ella gut. Alles war so, wie es sein sollte. Kein Grund, sich in irgendeiner Weise zu ärgern oder schlecht zu fühlen!

Elias biss sich also die Lippe beinahe blutig im Bemühen, sich nicht zu ärgern, rührte Schokoladencreme und kochte Kirschen und stapelte Biskuit und dekorierte bunte Blumen und formte aus Marzipan und Internetvorlagen die Disneyheldinnen nach, die Ella so toll fand.

Als er fertig war, fotografierte er den Kuchen von allen Seiten und schickte die Bilder seiner Mutter, die ihn eifrig für seine ruhige Hand und seine Kreativität lobte. Auch Kati freute sich über die Fotos. Und bevor er zu lange zögern konnte, fügte Elias auch Finn hinzu und zeigte ihm sein Machwerk. Schließlich hatte sein freundlicher Nachbar ihn ausdrücklich darum gebeten, nicht wahr?

 

 

„Wow, das sieht ja super aus!“ Aaina beugte sich näher heran, um das Foto von der Motivtorte besser betrachten zu können. Pinkfarbenes Fondant bedeckte den Kuchen, hunderte winzige, kunterbunte Marzipanblumen zogen sich über die eine Seite, modellierte Marzipanfiguren von den Heldinnen des Disneyfilms Encanto saßen elegant auf der anderen Seite. Mirabelle und ihre Schwestern sahen vielleicht nicht tausendprozentig genauso aus wie in dem Film, kamen allerdings nah genug heran, um sie auf einem Blick identifizieren zu können. Wunderhübsch war es auf jeden Fall und ein sehr persönliches Geschenk sowieso.

Finn hatte keine Vorstellung, wie viel Arbeit so etwas machte, doch da mittlerweile über sechs Stunden vergangen waren, seit er Elias mit den Einkäufen geholfen hatte, konnte er es zumindest ahnen. Hoffentlich wusste das Geburtstagskind diese irrsinnige Mühe auch zu schätzen, all die Liebe, Energie, Kraft und Zeit, die ein liebevoller Papa da investiert hatte.

„Von wem ist das?“, fragte Aaina neugierig.

„Von einem meiner Nachbarn“, erwiderte Finn möglichst gleichmütig, was Aaina hinnahm, ohne weiter nachzuhaken. Sie war indischer Abstammung, war bis vor drei Jahren für Großbritannien als Profi gestartet und erst vor einem Jahr zurück nach Deutschland gekommen – obwohl ihre Familie bereits seit Jahren hier lebte. Das war etwas komplizierter, im internationalen Sportgeschäft allerdings keineswegs selten. Da viele von Finns Kollegen eher schlecht bis gar kein Deutsch sprachen, unterhielt er sich vollkommen selbstverständlich auf Englisch mit ihnen, Aaina gehörte ebenfalls dazu. Sie hatten gerade die letzte kurze Pause, bevor es noch einmal kurz aufs Eis ging.

Pause bedeutete dabei, dass sie stillsitzen und trinken durften. Es bedeutete außerdem, dass Madame Butterfly sie ungehemmt umflattern durfte. Die Chef-Kostümdesignerin hatte natürlich einen normalen Namen, aber niemand nannte sie Ute oder Frau Haase. Sie wog grob geschätzt hundertfünfzig Kilo, war laut, hektisch, bunt und stets dramatisch. Es war dieser Hang zum Drama, der ihr den Spitznamen eingebracht hatte, denn natürlich war sie keine zarte, japanische Geisha.

„Finn!“, sagte sie streng. „Mit dir habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen, mein Lieber! Du hast das Pilzkostüm bei deinem letzten Auftritt beschädigt und mir nichts davon gesagt!“

„Ich weiß nichts von einer Beschädigung, tut mir leid“, murmelte er möglichst unterwürfig. Es könnte zu einem gefährlichen Ausbruch führen, wenn er der Madame ernstlich zu widersprechen versuchte, und das Risiko ging niemand ein, der noch klar bei Verstand war.

„An der Hüfte! Ein zwei Zentimeter langer Riss auf der rechen Seite! Das merkt man doch! Versuch ja nicht, dich herauszureden, du warst einfach zu faul!“

„Es tut mir wirklich sehr, sehr leid und es wird niemals wieder vorkommen“, versprach er. Madame Butterfly schnaubte lediglich und suchte sich bereits ein neues Opfer, das sie zur Schnecke machen konnte. Während der Show hatte Finn vielleicht dreißig Sekunden, um aus dem Pilzkostüm zu schlüpfen und das Koboldkostüm überzustreifen, bevor es zurück aufs Eis ging. Die aktuelle Produktion war eine bezaubernde Abenteuerreise durch eine Märchenwelt, die natürlich auch im Liebesglück endete. Zwei junge Leute, ein Mann und eine Frau, die einander vollkommen fremd waren, fuhren mit dem Zug und stiegen an einem verlassenen Bahnhof aus. Dort standen sie verloren herum, bis ein neuer Zug kam und sie unverhofft in eine märchenhafte Welt entführte, mit tanzenden Pilzen und Vogelschwärmen, wilden Monstern und vielen anderen wunderschönen Elementen, die in Gruppentänzen und fantasievollen Kostümen auf dem Eis dargestellt wurden. Das Paar floh erst einzeln, dann gemeinsam, und zum Schluss fanden sie sich in Liebe und wurden zu den Königen der Märchenwelt gekrönt, wie es von Beginn an ihre Bestimmung war. Die Geschichte war einfach, was sie sein musste, da sie ohne Erzähler auskam, getragen nur von den Tänzen und der Musik. Die Aufführung kam extrem gut an, jede Vorstellung war ausverkauft.

Finn gehörte mit zu den Pilzen, den Vögeln, den fliegenden Fischen, zu einem Flüsterwald und einer Gruppe von Waldtrollen. Außerdem fuhr er bei den beiden Szenen mit, in denen die Züge über das Eis geschoben wurden, und bei mehreren kurzen Einsätzen als Kobold, in denen sich das gesamte Ensemble draußen befand und mit kleinen Tanzeinlagen im Hintergrund hielt, während das Hauptpaar seine Schlüsselszenen hatte – sie waren da quasi die Deko. In etwa vergleichbar mit den winzigen Marzipanrosen auf dem Kuchen.

Er fand es total schön, dass Elias ihm tatsächlich ein Foto von dieser Torte geschickt hatte, die ja etwas sehr Persönliches war, ein Geschenk für seine Tochter. Beinahe war es für ihn, als würde er Finn einladen, an diesem Geschenk teilzuhaben, obwohl das nun wirklich ein alberner Gedanke war.

Rasch tippte er eine Textnachricht, er musste in zwei Minuten wieder zurück aufs Eis.

 

„Wow! Das sieht fantastisch aus, was für eine Fummelarbeit! Du kannst stolz auf dich sein. Ella wird sich vor Freude überschlagen, das ist einfach toll geworden.“

 

Er wollte sein Handy gerade wegpacken, als er sah, wie Elias eine Antwort tippte.

 

„Danke für das Kompliment und deine Hilfe heute. Soll ich dir morgen ein Stück aufheben? Es gibt auch noch ein großes Blech Apfelstreuselkuchen und es wird sowieso zu viel für uns alle sein. So viel Verwandtschaft kommt gar nicht zu Besuch.“

 

Die Hilfe war selbstverständlich gewesen. Seine Eltern hatten ihn jedenfalls nicht zum Stoffel erzogen, wenn man sah, dass jemand eine helfende Hand benötigte und man hatte die Zeit und die Möglichkeit zuzupacken, dann tat man das gefälligst auch.

 

„Hm – vielleicht ein winziges Stück Apfelkuchen … Mein Essensplan ist ja leider superstreng. Und ich habe gern geholfen, das war absolut selbstverständlich.“

 

Er mochte Elias. Seine ruhige Art. Dieser Mann war kein Nerd, nicht sozial verklemmt oder irgendwie schrullig. Einfach bloß ein Typ, der seine Männlichkeit nicht alle dreißig Sekunden in den Vordergrund schieben musste, zuhören konnte, sich alleinerziehend um seine Tochter kümmerte und zudem selbständig arbeitete, also gut organisiert und fleißig war. Elias war wohltuend, nicht so empfindlich wie viele von Finns Kollegen. Auf seine stille Art war er zudem recht attraktiv, wie Finn fand. Er würde verdammt gerne mal mit ihm ausgehen und ihn näherkennenlernen, doch natürlich wäre es sinnlos, einen Heterokerl mit Kind anzugraben. Sich locker mit ihm anfreunden sollte ja hingegen kein Problem sein. Gute Nachbarn hatte man nie genug. Freundliche Bekannte auch nicht. Ob noch mehr daraus werden konnte, etwa eine echte Freundschaft, daran wollte Finn gar nicht denken. Immerhin musste er sechs Tage die Woche voll und den siebten Tag halb trainieren, an mindestens drei Tagen trat er auf, was bei zwei bis drei Aufführungen täglich neben dem Training keine Kleinigkeit war. An diesen Tagen fiel er um manchmal bereits halb elf tot ins Bett. An den Wochenenden ausgehen war nicht drin, er konnte sich weder Partys noch Alkohol erlauben. Kino war quasi schon das Höchste der Gefühle, wenn es um gemeinsame Unternehmungen ging. Vielleicht noch ein Spieleabend. Finn hatte noch nie echte Freunde oder Partner gehabt, die nicht aus seiner Welt stammten. Als Teenie hatte er ein, zweimal Sex mit Mädels aus seiner Schule, die ihn einfach bloß toll fanden, weil er Profisportler war. Da hatte er allerdings schnell herausgefunden, dass ihm so etwas zu dumm war, er wollte keine Groupies.

 

„Ein winziges Stück Apfelkuchen sollte gar kein Problem sein. Ich stelle es für dich beiseite. Natürlich ohne Sahne.“

 

Elias benutzte einen Lach-Emoji, was Finn mit einem Herz-Emoji beantwortete. Hoffentlich war das nicht zu aufdringlich? Er tat sich da manchmal etwas schwer, wenn es keiner von seinen Kollegen war. Bei denen war es üblich, Herzen bei Textnachrichten regnen zu lassen, was gar nichts zu bedeuten hatte.

Er wartete noch einen Moment, ob Elias ihm noch etwas schreiben würde. Der hatte natürlich viel zu tun, wenn er jetzt noch einen Blechkuchen backen und alles für den Verwandtschaftsbesuch morgen vorbereiten musste, damit sein Töchterchen auch glücklich war.

„Finn! Schwing deinen faulen Arsch hier runter!“, brüllte Mario die Zuschauertribüne hinauf. Die Pflicht rief, und das mit Nachdruck. Dann mal auf! Finn liebte die Passage, die er gleich mit Aaina als Partnerin laufen durfte, darum beeilte er sich, zurück aufs Eis zu kommen. Überhaupt, er hatte den besten Job der ganzen Welt. Die paar Einschränkungen, die es deswegen gab, konnten daran nichts ändern.

 

 

Kapitel 2

 

Elias schnibbelte vor sich hinseufzend die Äpfel zu kleinen Raspelstückchen, während der Hefeteig vor sich hinging und die Streusel bereits in einer Schüssel warteten.

Auch wenn er es liebte zu backen, allmählich ging ihm die Lust aus, nachdem er bereits so viele Stunden an der Motivtorte gearbeitet hatte. Ihm taten die Füße weh und er musste noch die Bücher einpacken, die Küche putzen, die Wohnung besuchertauglich trimmen und sich um die Mahnungen kümmern, die wirklich dringend morgen früh zur Post mussten, damit sie vorzugsweise Montag schon bei den säumigen Klienten ankamen. Er arbeitete schließlich nicht für Luft und Liebe!

Wäre Ella hier, könnte sie ihm einige Handgriffe abnehmen, etwa die Spülmaschine ausräumen oder schnell das Wohnzimmer saugen. Sie war schon recht selbständig für ihr Alter und liebte es, ihm zu helfen. Manchmal hatte er deswegen ein schlechtes Gewissen. Eine Sechsjährige, oder vielmehr, eine baldige Siebenjährige, konnte zwar auch schon mal mit anpacken, aber sie sollte nicht zur Ersatzmutti herangezogen werden. Elias wünschte sich, dass seine Kleine stark und selbstbewusst aufwachsen sollte und später mal als Ingenieurin oder Managerin ihre Frau stand. Sich behauptete, ohne dabei oberflächlich und egoistisch und gefühlskalt wie ihre Mutter zu werden. Es gab schließlich noch ein Zwischending zwischen „Ich opfere mich für die Menschheit auf und gebe vollkommen selbstlos alles, was ich habe, und verlange nie etwas für mich selbst“ und „Ich bin eine eiskalte Karrierefrau, interessiere mich nur für mich selbst, die Welt kreist um meinen Bauchnabel und Geld ist ein adäquater Ersatz für echte Beziehungen.“

Aber wie machte man das so ganz genau? Wie zeigte man Kindern den Weg, damit sie starke, selbstbewusste Erwachsene wurden, die es nicht nötig hatten, sich ihre Sympathie kaufen zu lassen? Wie wurde man ihnen als alleinerziehender Vater bestmöglich gerecht, wenn man nun mal viel und hart arbeiten musste? Ja, sein kleines Mädchen war ein tolles Kind, überhaupt gar keine Frage.

---ENDE DER LESEPROBE---