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Es ist, als wären wir zwei Gegensätze wie Flut und Ebbe, Sonne und Mond oder Himmel und Erde. Jeder existiert für sich und doch gehören wir zusammen – sind ein Ganzes. Shane war der Mann, mit dem Chloe eine Familie gründen wollte. Ihre einzige Liebe und ihr größtes Glück, bis er in einer folgenschweren Nacht zu ihrer bittersten Enttäuschung wurde. Rigoros verbannt sie Shane daraufhin aus ihrem Leben und mit ihm alles, was sie an ihre unbeschwerte Zeit erinnert. Zehn Jahre später heiraten gemeinsame Freunde und plötzlich steht er wieder vor Chloe. Sofort erneut voneinander fasziniert, versucht Shane, sie an das Gute zu erinnern. Doch reicht es Chloe, dass sie ihm zwar verzeihen, aber nicht vergessen kann? Und was, wenn mitten in der schwersten Entscheidung, die sie je treffen musste, auf einmal alles ganz anders kommt? Enthält explizit beschriebene Liebesszenen. Das Buch ist in sich abgeschlossen. 290 Taschenbuchseiten.
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Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Epilog
Da war doch noch etwas …
Danksagung
Über den Autor
Erstauflage April 2021
Copyright © 2021
Mia B. Meyers
c/o F. Meyer Unternehmen
Hohenbünstorf 41
29587 Natendorf
Covergestaltung: www.sturmmöwen.at
Covermotiv: Shutterstock.com
Lektorat: Susan Liliales
Korrektorat: www.sks-heinen.de
Alle Rechte vorbehalten!
Nachdruck, auch auszugsweise,
nur mit schriftlicher Genehmigung
der Autorin.
Personen und Handlungen dieser Geschichte sind frei erfunden.
Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Ereignissen sind zufällig und unbeabsichtigt.
Markennamen, die genannt werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.
Dieser Roman wurde unter Berücksichtigung der neuen deutschen Rechtschreibung korrigiert.
Liebe Leserin, lieber Leser,
um einer eventuellen Enttäuschung vorzubeugen, möchte ich dich an dieser Stelle vorwarnen.
Vermutlich werden sich meine Protagonisten stellenweise sehr speziell ausdrücken. Sie lieben klare Worte, zu denen auch der ein oder andere Kraftausdruck gehört.
Und ja, dem ist – ganz unabhängig von ihrem Alter oder ihrem beruflichen Erfolg – so.
Alle meine Protagonisten sind fiktional und dürfen es somit. Darüber hinaus, wer weiß schon, wie die oberen Zehntausend wirklich miteinander reden?!
Sollte schon dieses Vorwort nicht deinem Geschmack entsprechen, wird es leider auch der Rest nicht tun. Das würde ich zwar sehr bedauern, aber Geschmäcker sind nun einmal verschieden.
In diesem Fall muss ich mich an dieser Stelle leider von dir verabschieden. Ansonsten wünsche ich dir ganz viel Spaß beim Lesen und hoffe sehr, dass es dir gefallen wird.
Deine Mia
An: Chloes Kolumne
Von: Ein empörter Leser
Betreff: Schlagen Sie Misandrie nach!
Jeden Sonntag, an dem ich Ihre vor Verachtung strotzende Kolumne lese, schmerzen meine Augen, so sehr muss ich sie verdrehen. Für den Fall, dass Sie den Begriff Misandrie nicht kennen, und bei Ihrer einfältigen und nahezu obszönen Ausdrucksweise gehe ich davon aus – es bedeutet so viel wie Männerhass. Vielleicht gehören Sie mal ordentlich durchgenommen? Dann geht es Ihnen auch wieder besser.
Mit unfreundlichen Grüßen
ein empörter Leser
Beim letzten Satz pausiere ich mit der Kaffeetasse vor meinem Mund und ziehe eine Augenbraue hoch. Nicht dass mir derlei Leserbriefe als Reaktion auf die Kolumne neu sind, aber das ist Intelligenz auf Nanobasis. Sich einerseits über meine einfältige Ausdrucksweise echauffieren und dann als sinnvolle Entgegnung gegen Männerhass mit einem derart sexistischen Spruch kontern. Anscheinend ist der empörte Leser auch nicht sehr viel wortgewandter als ich.
Ich höre Schritte, die sich meinem Schreibtisch nähern, und, kurz bevor ich jemanden ausmachen kann, ein theatralisches Räuspern – Beth. Bewusst gelangweilt lehne ich mich in den Bürostuhl zurück, sehe an der Trennwand hinter meinem Computerbildschirm nach oben und nippe am Kaffee. »Kann ich dir irgendwie helfen, Beth?«
Sie hält die aktuelle Ausgabe der Important an Trivial vor sich ausgestreckt – natürlich die Seite meiner Kolumne – und jede Wette, sie liest gleich daraus vor. Als wüsste ich nicht am besten, was da steht.
»Komplimente sind wichtig, deshalb wende sie nicht zu sparsam an. Sage dem Mann, wie stattlich er ist, auch wenn er wie Gollum auf Entzug aussieht. Lobe seine sportliche Figur, selbst wenn er vom Fitnessstudio weiter entfernt ist als vom Nasenhaartrimmer, und lobe seine Eloquenz, obwohl er denkt, dass Kackbratze ein bildungssprachliches Wort ist.
Wenn er hingegen mitteilt, dass man bei deinem Hintern schon genauer hinsehen muss, um zu erkennen, wo die Beine beginnen, oder er deinen neuen Rock lobt, der an der Nachbarin aber bestimmt geiler aussehen würde, sei damit zufrieden und bedanke dich höflich. Du weißt doch: Männer können ihre Gefühle nicht so zeigen. Richtig harte Kerle – und deiner ist genau so ein Exemplar – sagen nichts Nettes. Wozu auch? Eine gute Frau will keine freundlichen Worte hören und ist genügsam.«
Sie blinzelt höhnisch mit ihren falschen Wimpern, deren Spitzen bis an die perfekt geformten Augenbrauen reichen. Das nennt sich Microblading, wenn ich mich recht erinnere. Beth schreibt wie ich eine Kolumne für IaT – der führenden Frauenzeitschrift Englands –, daher weiß ich auch die Sache mit ihren Brauen. Sie berichtet über Beauty, ich hingegen schreibe über die Spitzfindigkeiten zwischen Männern und Frauen.
»Eine gute Frau ist genügsam? Was ist denn das für eine Scheiße?« Erzürnt streckt sie mir zur Unterstützung das Klatschblatt entgegen. Also noch mal: Als wüsste ich nicht am besten, was da steht.
»Das nennt sich Sarkasmus. Kennst du nicht«, spotte ich und mustere ihre perfekt rot manikürten Fingernägel. Schnell stelle ich die Tasse ab und schiebe meine Hände unter die Oberschenkel, damit Beth sie nicht sieht. Eigentlich ist mir vollkommen egal, was diese schlechte Kopie einer Barbiepuppe über meine ungemachten Nägel denkt, aber eben nur eigentlich.
»Hat Mark dir schon die Statistik vom letzten Wochenende geschickt? Da ist meine Kolumne doch tatsächlich mal besser angekommen als deine.« Ihr Mundwinkel zuckt, auch wenn sie versucht, es zu unterdrücken. Das Ärgerliche ist, dass ich genau weiß, wie sie sich gerade fühlt. Seit Beth und ich relativ zeitgleich bei IaT anfingen, stehen wir im stetigen Konkurrenzkampf um die meisten Zugriffe auf unsere Zeitungsspalte. Dass es für die meistgelesenen Artikel des Monats noch einen nicht unerheblichen Bonus gibt, spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. Nein, zwischen uns beiden geht es um etwas anderes: Ehre oder so einen Kram. Dennoch würde die Arbeit ohne den Wettbewerb mit Beth nur halb so viel Spaß machen. Aber ehe ich sie das wissen lasse, fresse ich lieber eine Packung Rasierklingen, würge sie wieder hoch und verschlinge sie ein zweites Mal. Und nein, das ist keineswegs übertrieben.
Für gewöhnlich habe ich ihr gegenüber mit meiner Kolumne einen minimalen Vorsprung, aber da sie mir auch nie dazu gratuliert, werde ich mir eher die Zunge abbeißen, als sie zu beglückwünschen.
Langsam macht mich ihr penetrantes Starren nervös, irgendwie muss ich sie loswerden. Ich greife wieder nach meinem Kaffee und kneife angestrengt die Augen zusammen, als würde ich einen imaginären Punkt in Beths Gesicht fixieren. Es funktioniert und sie wird zusehends hibbeliger, streicht sich durch die langen blonden Haare und über die Nase. Höchstens noch fünf Sekunden und sie wird wortlos davonstürmen. Schätzungsweise ins nächste Bad, um in ihrer makellosen Visage nach einer sichtbaren Hautpore oder Gott bewahre einem sich unbefugt aufhaltenden Haar zu fahnden. Drei. Zwei. Schon eilt sie los und hinterlässt eine feine Duftwolke ihres Parfüms, dessen Namen ich genau genommen auch kennen könnte, wenn ich ihre Rubrik aufmerksamer studieren würde. Ja doch, ich lese sie, jede einzelne. Selbstverständlich nur zu Recherchezwecken unter Konkurrenten. Nicht, weil mich interessiert, wie sie sich ihr Intimhaar mit einer Paste aus Zucker herausreißen lässt und laut einer Kollegin dabei schrie, als würde man ihr mit einer Zange die Zehennägel ausreißen.
Unwillkürlich schüttelt es mich und ich öffne meine Datei mit dem Text für kommenden Sonntag – eher dem nicht vorhandenen Text. Grübelnd stütze ich den Kopf in die Hände – dämlicher empörter Leser! Ich wünschte, solche Briefe würden an mir abprallen wie Pingpongbälle an einer Tischtennisplatte, aber so ist es leider nicht. Verunsichert kaue ich am Ende eines Bleistifts und drücke zwei Finger auf mein nervös zuckendes Augenlid, als mein Smartphone über die Schreibtischplatte in Richtung Tastatur vibriert. Skeptisch hebe ich den Blick, schaue auf das Display und schlagartig geht es mir besser. Ich nehme das Gespräch an und drehe mich schwungvoll mit dem Bürostuhl herum, sodass ich den nervig zuckenden Cursor nicht sehen kann, der darauf wartet, dass ich endlich etwas schreibe.
»Alison, hey«, begrüße ich meine beste Freundin seit Highschool-Zeiten und klemme das Telefon zwischen Ohr und Schulter.
»Heyyy«, fiepst sie schrill, sodass ich kurz zusammenzucke, wodurch der Hörer herunterrutscht und ich ihn wild hektisch, als würde ich einen Schwarm Bienen vertreiben, auffange.
Das Telefon wieder am Ohr überblicke ich das Großraumbüro, in dem sich neben meinem noch vierzehn andere Arbeitsplätze befinden. Alle hinter halbhohen Trennwänden versteckt, sodass wir uns nicht anschauen können. Vereinzelt höre ich das Tippen auf Tastaturen, ein Drucker springt an und es tuschelt jemand. Wahrscheinlich, weil derjenige unerlaubt Privatgespräche führt – so wie ich gerade.
»Okay, was ist los?«, spreche ich das Erste aus, was mir einfällt, und Alison lacht künstlich, was meine Vermutung betätigt.
»Ich habe gerade deine Kolumne gelesen und fand sie großartig.«
Jetzt bekomme ich wirklich Angst. »Du hasst meine Artikel. Was ist los, Alison?«
»Hassen ist ein so großes Wort.«
»Alison!«
Am Ende der Leitung klopft es gleichmäßig und ich kann sie förmlich vor mir sehen, wie sie ihre Atemübungen macht und mit den Fingern auf einem Gegenstand herumtrommelt. Das macht sie immer, sobald sie etwas aussprechen muss, das ihr schwerfällt. »Es gibt wunderbare Neuigkeiten, zumindest für Adam.«
Ich ziehe überrascht die Augenbrauen hoch. Was ist an guten Nachrichten so verkehrt, selbst wenn sie für Adam … Prompt fällt meine Kinnlade herunter und ich spüre, wie mir alles Blut aus dem Kopf weicht. Hektisch flackert mein Blick durch den Raum und bleibt kurz an Mark – unserem Chefredakteur – hängen. Eigentlich ist dies der Moment, an dem ich dieses Gespräch schnell beenden und mich endlich an die Arbeit machen sollte – eigentlich. Ich schlucke so trocken, dass es mich nicht wundern würde, wenn Alison es am anderen Ende der Leitung hören kann.
»Wie …« Räuspernd drehe ich mich wieder zum Schreibtisch herum und stütze die Ellenbogen darauf ab. »Wie lautet diese wunderbare Neuigkeit?«, will ich flüsternd wissen.
»Du weißt ja, wie enttäuscht Adam war, dass sein bester Freund nicht hier ist. So sehr, dass er sogar komplett auf einen Trauzeugen verzichten wollte.«
Alison macht eine Pause und wartet auf eine Erwiderung von mir, aber ich kann nicht. Ich lege mir eine Hand auf den Mund, spüre den kalten Schweiß auf meiner Oberlippe und schüttle kaum merklich den Kopf. Bitte sage nicht, was ich befürchte, dass du es sagen wirst.
»Chloe?«
Ich möchte etwas einwenden, ein fröhliches »Sprich doch weiter«, oder dass ich mich für Adam freue. Aber nichts davon kommt mir über die Lippen. Bilder, die ich nicht sehen will, schießen mir wie Geistesblitze durch den Kopf.
»Ich bin noch dran.« Meine Stimme gleicht eher einem Fiepen und ich bin nicht sicher, ob Alison mich überhaupt gehört hat.
»Versprich mir, dass es nichts daran ändert, dass du meine Trauzeugin bist? Bitte, Chloe, ich stehe das nicht ohne dich durch.« Ich nicke. Ziemlich clever, da sie das am Telefon auch so gut sehen kann. »Shane kommt zurück nach London, schon diese Woche.« Ein Schauer durchzuckt mich und ich schlinge die Arme um meinen Körper. »Seine Firma möchte in London expandieren und da immer klar gewesen ist, dass er eines Tages zurückkommen will …«
Urplötzlich sind alle anderen Geräusche verschwunden. Kein Tuscheln, kein dröhnendes Mahlwerk der Kaffeemaschine und keine ratternden Drucker – nur noch das Blut, das durch meine Ohren rauscht. Die Wände des Raumes scheinen auf mich zuzukommen und mir langsam die Luft abzudrücken. Shane – der Mann, der mein Herz zertrampelt hat wie andere eine lästige Küchenschabe, und dessen Überreste ich noch heute mühsam zusammensuche.
12 Jahre zuvor
»Diese Halloweenparty wird sooo aufregend!«, kreischt Alison dermaßen laut, dass ich zusammenzucke und mit dem Eyeliner einmal quer über mein Augenlid male. Super.
Genervt verziehe ich den Mund, befeuchte ein Kosmetiktuch und versuche zu retten, was zu retten ist.
»Meinst du, das Kostüm wird Adam gefallen?« Ich mustere sie durch den Spiegel und rümpfe die Nase. Den kleinen Restfetzen Stoff kann man eigentlich kaum als Verkleidung bezeichnen, das Bekleidendste sind noch ihre Overknees mit Absätzen für den garantierten Knöchelbruch. Sie will Julia Roberts’ Rolle in Pretty Woman darstellen, womit wohl klar wäre, als was Adam »kostümiert« ist. Richard Gere oder besser gesagt der stinkreiche Edward.
»Wahrscheinlich wird er wie immer kaum die Finger von dir lassen können.« Ich zwinkere Alison zu und lehne mich wieder zum Spiegel vor, um den Lidstrich auf ein Neues zu probieren.
Adam ist bereits auf dem College und bietet neben dem Studium Nachhilfestunden an, um seine Finanzen aufzubessern. Vor zwei Monaten zwangen Alisons Eltern ihr den Zusatzunterricht auf, was zuerst ein Riesentheater war. Keine vier Wochen später unterrichtete Adam sie nicht nur in Algebra, sondern ebenfalls in der menschlichen Anatomie. Ich freue mich für die beiden, vor allem weil auch ich Adam sehr gerne mag. Aber ihre ständigen Speichelkonferenzen und das Rumgefingere unter dem Tisch nerven schon manchmal ein bisschen.
»Übrigens Adams bester Freund kommt heute auch. Sie kennen sich bereits seit Kindertagen und gehen auf dasselbe College.«
»Super«, leiere ich herunter und verdrehe die Augen. Womit wir beim nächsten Punkt wären. Alison und Adam entgeht ebenfalls nicht, dass ich bei ihrem Ringelpiez mit Anfassen stets unfreiwillige Zeugin bin und wollen mich daher am liebsten irgendwo unterbringen. »Ich bin noch bedient von seinem Kommilitonen, der mit den Spuckfäden im Mundwinkel. Während ihr euch gegenseitig die Mandeln untersucht habt, musste ich seinem hochphilosophischen Monolog folgen, warum Luke Skywalker aus Star Wars am offensichtlichsten Ort des Universums vor seinem bösen Vater Darth Vader versteckt wurde. Dabei kenne ich die Filme nicht einmal.«
»Du übertreibst«, gibt Alison lachend zurück, was ich unkommentiert lasse. Ich übertreibe nicht, ganz im Gegenteil: Ich erspare mir weitere Einzelheiten.
»Ich bin fertig«, mit den Worten schlage ich meine Lidschattenpalette zu, stehe schwungvoll auf und stelle mich vor den Spiegel, sodass ich mich im Ganzen ansehen kann. Okay, viel mehr als Alisons Kleid verstecken die rot-goldene Korsage und der blaue Minirock auch nicht. Da hauen selbst die ellenbogenhohen Handschuhe und die bis über das Knie reichenden Stulpen nichts raus.
»Wow.« Alison nimmt die Tiara-Krone und schiebt sie in meine langen dunklen Haare, die sich in großen Wellen über meinen Rücken ergießen. »Also Wonderwoman, schnapp dir mal dein Lasso, damit wir loskönnen.«
Bereits als wir aus der Haustür treten, trägt der leichte Wind das schwache Dröhnen von Bässen zu uns herüber. Adam zu kennen, hat noch etwas Gutes, seine Eltern und er wohnen keine zwanzig Häuser von mir entfernt. Wir überqueren die Straße und sehen etliche Zweier- und Dreiergrüppchen, die als Schneewittchen, Vampir oder Zombie mit uns in die gleiche Richtung strömen. Je näher wir dem Haus kommen, desto lauter hallt die Musik, durchmischt mit dämonischem Lachen. Wir gehen um die letzte Hecke und jetzt ist es nicht mehr zu übersehen. Schatten wandern auf der Fassade des Gebäudes und künstlich erzeugte Blitze tanzen über dem Dach, die durch laut zischendes Donnern der Musikanlage untermalt werden. Nicht, dass ich viel für Halloween übrig habe, aber das finde selbst ich cool.
Alison wird immer schneller, um endlich zu Adam zu kommen, und ich muss mich bemühen, nicht schon wieder die Augen zu verdrehen.
Eine Stunde später sitze ich auf einem Barhocker vor dem provisorischen Tresen aus Paletten und drehe mein drittes Cocktailglas zwischen den Händen. Alison ist nur kurz mit Adam nach oben verschwunden, um sich sein Zimmer anzusehen, als wüsste sie nicht längst, wie es aussieht. Eins muss ich Adam lassen: Offenbar hat er Stehvermögen oder aber sie ziehen ein langes Vorspiel vor.
Ein Duftgemisch aus Zitrone und Leder umnebelt mich, sodass ich zur Seite sehe, direkt in strahlend grüne Augen, die von dichten langen Wimpern umgeben sind.
»Ich hatte gehofft, dich zu treffen«, sagt der dazugehörige Typ und ich rücke etwas zurück, um ihn genauer zu betrachten. Rabenschwarze Haare, kantiges Gesicht, breite Statur und definitiv wie Adam im Collegealter.
Ich lächle entschuldigend. »Kennen wir uns?«
»Nein.« Er grinst und blickt langsam an mir herunter, was meine Haut unwillkürlich kribbeln lässt. Beinahe, als würde er mich nicht nur ansehen, sondern anfassen.
»Ah.« Mehr gebe ich nicht von mir und wende mich wieder dem Strohhalm des Getränks zu.
»Ich bin William Marston«, erklärt er und deutet an seinem Vierzigerjahre-Outfit herunter, als sei damit alles gesagt.
»Ach so, der«, entgegne ich übertrieben genervt, habe aber keine Ahnung, wer das sein soll.
»Shane, dasselbe noch mal?«, ruft der Rothaarige hinter dem Tresen und greift direkt nach einer Whiskeyflasche. William Marston heißt also eigentlich Shane. Ich schürze die Lippen und gehe im Kopf alle Namen durch, die mir etwas sagen, seiner gehört nicht dazu.
»Marston war der Erfinder von Wonderwoman«, schwadroniert er weiter, was ich mit einem Nicken registriere. Das sagt mir nichts, der Schöpfer selbst aber schon.
Shane werden drei Cosmopolitan und ein Whiskey hingestellt, sodass ich nicht anders kann, als zu grinsen. »Wie ich hörte, war dieser Marston mit mehr als nur einer Frau liiert.« Ich deute mit dem Blick auf die Cocktails, die vermutlich für weibliche Begleiterinnen gedacht sind. »Ist das Teil deines Kostüms?«
Er lacht, wobei er den Kopf leicht zurücklehnt, und ohne dass ich es beeinflussen kann, stimme ich mit ein.
»Da hatte der gute William mir einiges voraus, ich habe nicht einmal eine Liaison. Meine Liebe ist und bleibt nur Wonderwoman.« Er zwinkert mir zu und mein Herz macht einen kleinen Hüpfer. Ob wegen der Geste oder doch eher, weil er offenbar Single ist, kann ich noch nicht sagen. Anstatt die Getränke wegzubringen, setzt er sich auf den freien Hocker neben mir und greift nach dem Whiskey. »Haben wir uns schon einmal gesehen?«
Ich berichte von Alison, die zu Adam gehört, und Shane runzelt die Stirn.
»Dann bist du Chloe?«
Ich kneife ein Auge zusammen und versuche, abschätzend auszusehen. »Du bist aber nicht der ominöse beste Kumpel von Adam, dessen Bekanntschaft ich heute Abend uuunbedingt machen sollte, oder?«
Er lacht wieder dieses offene Lachen und präsentiert seine geraden weißen Zähne. »Der bin ich dann wohl«, erwidert er und hält mir seine Hand entgegen. »Ich bin Shane und freue mich nach diversen Damen, die ich bereits uuunbedingt kennenlernen sollte, zum ersten Mal aufrichtig darüber.«
Hoffentlich grinse ich nicht ganz so breit, wie ich befürchte, und lege meine Hand in seine. In der nächsten Sekunde halte ich den Atem an. Shanes Händedruck ist weich, beinahe zögerlich und … elektrisierend. Jedes einzelne Härchen auf meinen Armen richtet sich auf. Zum Glück ist es so schummrig, dass er es nicht erkennen könnte, selbst wenn er hinsieht. Stattdessen bohren sich unsere Blicke ineinander und in meinem Bauch formt sich eine warme Spirale, die mit jeder Drehung größer wird. Himmel Chloe, reiß dich zusammen, du kennst diesen Typen kaum zehn Minuten. Ohne meine Hand loszulassen, deutet er auf meine breiten Armbänder.
»Marston dachte sich für Wonderwoman natürlich auch ein Kryptonit aus, wie es jeder Superheld hat.« Ich habe keine Ahnung, wovon er redet, und die Verkleidung lediglich gewählt, weil Wonderwoman eine untypisch starke Frau darstellt. Bisher hat mich der Hintergrund der Figur auch nicht interessiert, aber Shanes Stimme könnte ich die ganze Nacht anhören, sodass ich ihm signalisiere, weiterzureden. »Wenn ein Mann ihre Armbänder aneinanderkettete oder sie fesselte, verlor sie alle ihre Kräfte.«
Shane sieht von meinen Armen auf und sucht erneut meinen Blick. So eindringlich, dass ich mir einbilde, er könne bis in den hintersten Winkel meines Denkens sehen. Hilfe, hoffentlich nicht! Sonst erkennt er womöglich, dass ich uns gerade wild knutschend auf irgendeine einsame Couch in diesem Haus wünsche.
»Also Chloe, verrätst du mir, was dein Kryptonit ist?«
Ich öffne die Lippen, sage jedoch nichts und verliere mich in seinen Augen. Noch nie habe ich einen derartig kitschigen Gedanken gehabt und doch formt er sich völlig ohne mein Zutun. Er … er könnte mein Kryptonit sein.
Es ist doch einfach un-fass-bar. Ich werfe mir selbst einen möglichst tadelnden Blick über den Spiegel zu. Natürlich ist mir bewusst, wie bescheuert es ist, dass ich inzwischen das vierte Outfit anprobiere und es unzufrieden zurück in den Kleiderschrank schleudere. Das liegt aber nicht, wie man vielleicht meinen könnte, daran, dass ich Shane heute zum ersten Mal seit zehn Jahren wiedersehe und ihm gefallen möchte – nein, ganz sicher nicht. Vielmehr will ich ihm zeigen, dass das, was er getan hat, und unsere Trennung mir rein gar nichts anhaben konnten.
Seufzend sinke ich auf die Bettkante und fahre mir mit den Händen durch die Haare, wo ich sie im Nacken liegen lasse.