Beneath your Beauty - Mia B. Meyers - E-Book

Beneath your Beauty E-Book

Mia B. Meyers

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Beschreibung

Blair Scott arbeitet als Journalistin bei einem angesagten Londoner Magazin und wird gegen ihren Willen dazu verdonnert, ein Interview mit Keaton Hill – einem langweiligen und verstaubten Wissenschaftler – zu führen. Doch bereits bei ihrem ersten Treffen wird klar, Keaton Hill ist keineswegs verstaubt und unter seiner nahezu perfekten Fassade auch alles andere als gewöhnlich. Schräg? Ja. Irgendwie ungewöhnlich? Ebenso. Aber ganz sicher nicht alltäglich und schon gar nicht langweilig. Nach und nach kommen sich die beiden näher, bis Blair erfährt, dass Keaton das Asperger-Syndrom hat. Eine Bezeichnung, die sie bis dahin allenfalls beiläufig gehört hat, und was sollte das daran ändern, dass sie mit ihm zusammen sein möchte? Aber schon bald merkt sie, dass an Keatons Seite eben doch so manches anders ist und gerät in einen Balanceakt zwischen ihren Gefühlen für ihn und ihren zunehmenden Zweifeln. Kann sie sich wirklich vorstellen, ihr Leben mit Keaton zu verbringen, oder reicht Liebe allein eben doch nicht immer aus?

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Beneath your Beauty

Mia B. Meyers

Erstauflage Januar 2022

Copyright © 2022

Mia B. Meyers

c/o F. Meyer Kleinunternehmen

Hohenbünstorf 41

29587 Natendorf

E-Mail: [email protected]

www.miabmeyers.com

Facebook Autorenseite: Mia B. Meyers Autorin

Covergestaltung: www.sturmmöwen.at

Covermotiv: Shutterstock 776274028

Depositphotos 104940982

Lektorat: Susan Liliales

Korrektorat: www.sks-heinen.de

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit schriftlicher Genehmigung

der Autorin.

Personen und Handlungen dieser Geschichte sind frei erfunden.

Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Ereignissen sind zufällig und unbeabsichtigt.

Markennamen, die genannt werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.

Dieser Roman wurde unter Berücksichtigung der neuen deutschen Rechtschreibung korrigiert.

Inhalt

Vorwort

1. Er hat – halt dich fest – keine Lust

2. Heißer als Fondue-Fett

3. Bumssabel

4. Psychopathen-Kaffee

5. Sie sind exakt drei Minuten zu spät!

6. Bin ich die Einzige, die sich fragt, was daran so dramatisch ist?

7. Und das funktioniert?

8. Wir werden heute nicht miteinander schlafen

9. Es klingt, als würden zwei Aale miteinander ringen

10. Manches kann er also doch interpretieren

11. Du siehst aus wie eine BiFi

12. Die Personifizierung meiner Erwartungen und dann hast du den Mund aufgemacht

13. Wer bestimmt, wie man Hawaii-Toast isst?

14. Hast du schon mal ein Dickpic von Keaton bekommen?

15. Ich spüre es daran, wie du mich ansiehst, wenn du denkst, dass ich es nicht merke

16. Bedeutet das, dass ich immer Kompromisse werde machen müssen?

17. Ist das so? Reicht Liebe wirklich für alles aus?

18. Er wird doch wohl nicht?

19. Nun ja, die Wände sind sehr hellhörig

20. Man kann nur enttäuschen, wem man auch etwas bedeutet

21. Letztlich sollte sich jeder von uns immer nur eine Frage stellen …

22. Elegant wie eine Herde neugeborener Flusspferde

23. Die schrecklichste und unromantischste Liebeserklärung

24. Dieses Lachen, das sie eigentlich gar nicht ernst meint

Epilog

Danksagung

Über Mia B. Meyers

Vorwort

Liebe Leser*innen,

wer meine Bücher kennt, der weiß, dass ich immer aus Sicht beider Protagonisten schreibe. Aber wie überall gibt es auch hier ein erstes Mal. In dieser Geschichte erzähle ich erstmals nicht aus der Sichtweise von Keaton, der männlichen Hauptperson. Wenn ich aus der Perspektive eines Charakters schreibe, dann muss ich mich in diesen hineinversetzen können. Zugegeben ist es ohnehin nicht immer ganz leicht, sich als Frau in einen Mann hineinzudenken – mir zumindest sind Männer bis heute ein unergründliches Individuum –, aber mich als »normaler Durchschnittsmensch*« in Keaton hineinzuversetzen, erschien mir unmöglich. Personen mit dem Asperger-Syndrom haben ihre gänzlich eigene Logik, die sich jemandem wie mir auch nach allumfassender Recherche nicht erschließt, und deswegen möchte ich es mir hier nicht herausnehmen, seine Gedankengänge wiederzugeben. Ich wollte nichts untertreiben, noch weniger überspitzen und schon gar nicht irgendetwas ins Lächerliche ziehen. Daher war für mich seit dem ersten getippten Wort klar, dieses Buch wird nur aus Blairs Sicht – die der weiblichen Hauptperson – verfasst.

Ich hoffe dennoch, die Geschichte um Blair und Keaton wird euch gefallen und ich wünsche euch ganz viel Spaß beim Lesen.

Eure Mia

*In der Fachliteratur werden Personen ohne Asperger-Syndrom als neurotypische Menschen bezeichnet. Um nicht zu viele Fachausdrücke zu benutzen, habe ich diese Bezeichnung im Text jedoch nur selten benutzt.

1

Er hat – halt dich fest – keine Lust

Scheiße, ich bin schon wieder zu spät dran.

Ich nehme dem Fahrer des Fords die Vorfahrt, lenke meinen Wagen in die Tiefgarage des Verlagshauses und bringe ihn mit quietschenden Reifen direkt neben dem Fahrstuhl zum Stehen. Eigentlich gehört der Parkplatz einem der Chefredakteure, aber er wird es schon verstehen. Das hier ist schließlich ein Notfall.

Ich springe aus dem Auto, hole meine High Heels aus dem Kofferraum, die ich gegen die Winterstiefel tausche, die ich zum Fahren trug, und raffe den roten Wollmantel vor der Brust zusammen. Hier in der Garage ist es noch zugiger als draußen. Nicht, dass ich es toll fände, wenn mir im Sommer bei 35 Grad der Schweiß – du weißt schon wo – herunterläuft, aber diese Kälte, bei der die Zähne gar nicht so schnell klappern können, wie man friert, ist auch nicht so meins. Ja, erwischt. Ich bin einer der Menschen, die ständig übers Wetter meckern.

Endlich im etwas wärmeren Fahrstuhl angekommen, fahre ich mir grob mit den Fingern durch die langen dunklen Haare, die eigentlich in wunderschönen Wellen über meine Schultern fallen sollten. Uneigentlich hängen sie wegen der nassen Kälte wie angenagelte Bretter von meinem Kopf. Die Mühe mit dem Lockenwickler hätte ich mir schenken können. Der Fahrstuhl gibt ein trauriges Jaulen von sich, was bedeutet, ich bin in der siebten Etage angekommen. Vor zwei Jahren war das Jaulen noch ein vornehmes Ping und alle vier Monate erinnert irgendjemand den unmotivierten Hausmeister daran, es doch wieder auf den ursprünglichen Zustand zu bringen. Den interessiert das aber nicht und mich eigentlich auch nicht. Ich streiche noch schnell den schwarzen Bleistiftrock glatt und schon öffnen sich die Türen.

Emilia, die Empfangsdame von All in zuckt den Kopf anklagend zur Seite und tippt auf ihre Armbanduhr.

Ja ja, ich weiß. Eilig ziehe ich den Wintermantel aus und hole mein Smartphone aus der Handtasche.

»Ist er schon da?«, flüstere ich und sie deutet mit dem Kopf auf die Milchglaswand zu ihrer Rechten. »Er telefoniert noch.«

»Gott sei Dank«, stoße ich erleichtert aus. Er ist in diesem Fall Clive, der Chefredakteur und wenn er eins nicht mag, dann … Vergesst das, Clive mag eigentlich so ziemlich gar nichts, dementsprechend auch keine Unpünktlichkeit zu unseren Montagmorgen-Meetings.

Ohne viel Aufhebens laufe ich so schnell es meine Neun-Zentimeter-Absätze zulassen geradeaus in das Großraumbüro, in dem mir sofort die typische Duftmischung aus Kaffee, dem Duftspender auf der Fensterbank, fettigen Pommes und kaltem Schweiß entgegenschlägt. Ich schlängle mich durch den schmalen Gang, der von je vier Tischen links und rechts gesäumt ist. Momentan sind nur zwei der acht Arbeitsplätze besetzt.

»Na, Blair, auch schon da?«, kommt es von Jonah, ohne dass er von seinem Bildschirm aufblickt. Er sieht genauso aus, wie ich mir einen übereifrigen Jahrespraktikanten wie ihn vorstelle: klein, übergewichtig mit einem pausbäckigen Gesicht und einer Art Pagenschnitt mit extrem krausen Locken.

Ohne auf ihn zu reagieren, laufe ich den schmalen Gang weiter bis zum letzten Schreibtisch auf der rechten Seite, hänge den Mantel über den Bürostuhl und schleudere die Handtasche in die große untere Schublade. Noch schnell den PC einschalten. Wenn Clive hier vorbeikommt, sieht es auf die Art zumindest so aus, als ob ich meinen Arbeitstag schon gestartet hätte. So kalt mir auch gerade noch war, so warm ist mir jetzt. Dadurch dass irgendjemand im Team die Thermostate morgens bis zum Anschlag hochdreht, herrschen hier oft Temperaturen wie in einem Brutkasten. Ich zupfe an meiner weißen Bluse, um einen Hauch Luft an meine Haut zu fächeln, und höre Clive, wie er im Empfangsbereich etwas zu Emilia sagt. Jetzt aber los in den Besprechungsraum.

Ich sprinte weiter in den Flur, von dem aus man in die Küche, auf die Toilette und den Besprechungsraum gelangt, in dem wir jeden Montagmorgen unsere Meetings halten – und es ist Montag. Ich stürme in den Raum, knalle die Tür hinter mir zu und setze mich auf den freien Stuhl neben Lilly, die nicht nur meine Kollegin, sondern ebenso meine beste Freundin ist. Sie sieht von ihrer Zeitung – der letzten Ausgabe der All in – auf und schiebt mir einen der Kaffeebecher zu, die vor ihr stehen. Hach, sie ist einfach die Allerbeste. Lächelnd greife ich danach und schaue kurz zu Ben und Dan, die jedoch so in ihre Telefone vertieft sind, dass sie mein Kommen gar nicht registrieren. In der nächsten Sekunde wird die Tür so heftig aufgestoßen, dass der Windzug mir eine Haarsträhne ins Gesicht weht – Clive.

»Was habt ihr für mich?«, kommt er gleich zum Punkt, zieht sich den letzten freien Stuhl vom Tisch und dreht ihn, um sich verkehrt herum darauf zu setzen und sich mit den Armen auf der Lehne abzustützen. Wie immer meldet sich Ben, um ein Thema für die nächste Ausgabe vorzuschlagen. Das ist aus zweierlei Gründen schräg. Zum einen sind wir nicht mehr in der ersten Klasse und dürfen auch sprechen, ohne uns vorher zu melden, und zweitens ist Ben stets – wirklich ausnahmslos immer – der Einzige, der etwas zu sagen hat.

Clive verdreht die Augen und macht eine wegwerfende Handbewegung, woraufhin Ben seine Rede schwingt. Gelangweilt greife ich nach meinem Telefon, halte es unter den Tisch, sodass die anderen es nicht sehen, und öffne die Dating-App. Nicht, dass ich ernsthafte Hoffnung hätte, zwischen all den Universaldilletanten hier meinen Mister Right zu finden, aber das Hin und Her wischen der Fotos vertreibt mir die Zeit in diesen Meetings. Oh, nett. Ich schiele kurz zu Clive und zurück auf das Bild meines Telefonbildschirms – gar nicht mal schlecht. Der Typ sieht aus wie eine jüngere Version von Clive und der ist auf skurrile Art attraktiv. Dabei ist er mit sechzig gar nicht mehr in meiner Altersklasse, hat eine zu hohe Stirn, die Nase ist zu breit und sein Mund ist irgendwie komisch geformt. Dennoch hat er etwas, das reizvoll ist. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass er ein Arschloch ist und ich erwiesenermaßen eine Schwäche für ebendiese habe.

Das Telefon vibriert und ich öffne WhatsApp, Dylan, meine letzte Dating-Bekanntschaft schreibt.

Ich wollte mich noch einmal für das wunderschöne Wochenende bedanken und hoffe, dass wir das bald wiederholen. Wie wäre es heute Abend? Kochen bei mir?

Ich starre sekundenlang auf die Nachricht und schließe sie dann, ohne zu antworten. Wie ich gerade erst betonte, stehe ich eher auf die Arschlochfraktion, die einem früher oder später das Herz bricht. Dylan war nett, zuvorkommend, höflich, fragte nach meinen Interessen und hielt mir die Tür auf. Alles genau so, wie wir es in den Liebesromanen immer lesen, und dennoch ist er noch etwas anderes – langweilig. Ich will jemanden, der meine Haut zum Prickeln bringt, der es schafft, mich mit einem ausgesprochenen Satz die Wände hochgehen zu lassen, und es im zweiten vollbringt, dass ich wieder herunterkomme. Ich möchte einen Mann, der mich in Sphären hebt, die andere nur durch bewusstseinserweiternde Mittel erreichen, und das alles am besten noch, ohne dass er mich anrührt. Ja, das will ich. Ist das wirklich zu viel verlangt?

»Ja«, dröhnt Lillys Stimme in mein Bewusstsein, als würde sie damit auf meine Frage antworten und stößt mir mit dem Ellenbogen derart heftig gegen den Arm, dass ich mein Telefon fallen lasse. »Sie ist noch nicht ganz wach«, witzelt Lilly weiter und deutet mir an, nach vorne zu sehen.

»Wunderbar. Blair, Sie übernehmen den Wissensfritzen«, verkündet Clive und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. Das ist das unmissverständliche Zeichen, dass das Meeting beendet ist. Er, Ben und Dan verlassen den Raum, sodass nur noch Lilly und ich zurückbleiben.

»Lass mich raten, du hast keinen Schimmer, was wir besprochen haben?«, will sie wissen, möglicherweise ist es aber auch eine Feststellung.

Ich schaue sie hilflos an, presse die Lippen zusammen und beuge mich nach meinem Telefon. »Vielleicht kannst du mir auf die Sprünge helfen? Nur oberflächlich, das meiste habe ich mitbekommen«, lüge ich und Lilly nickt wissend.

»Klar.« Wir stehen auf und machen uns auf den Rückweg ins Großraumbüro. »Du sollst das Interview mit dem Blutspurenanalysten Keaton Hill übernehmen. Dan hat dich mit seinen Blicken am liebsten umgebracht, er wollte das eigentlich bekommen.«

»Blutspurenanalysten?«, wiederhole ich und verziehe das Gesicht. »Das klingt irgendwie … blutig.«

»Er hat einige Jahre bei der Metropolitan Polizei in London gearbeitet, bevor er als Dozent an die Uni ging, die auch das Interview vereinbart hat. Es geht erst mal nur darum, Termine auszumachen, da dieser Keaton Hill es nicht an einem Nachmittag abwickeln möchte. Weil er – halt dich fest – keine Lust hat.«

Ich kneife die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und schüttle irritiert den Kopf. »Er hat keine Lust?«

»Richtig.«

Perplex schaue ich Lilly hinterher, bis sie sich an den Tisch auf der anderen Seite des Ganges setzt, und ziehe mir meinen Stuhl ebenfalls heran. Ein ausrangierter MPD-Mitarbeiter, der mittlerweile als Dozent etliche Studenten ermüdet. Das klingt gar nicht mehr blutig, sondern extrem langweilig. Mir fallen direkt ein Dutzend andere Themen ein, über die ich lieber schreiben würde. Das Paarungsverhalten gleichgeschlechtlicher Bonobos oder so was. Ich erwecke den Bildschirm mit einer Bewegung der Computermaus zum Leben, rufe Google auf und gebe »Keaton Hill London« in die Suchleiste ein. 1,9 Millionen Suchergebnisse, ich schürze anerkennend die Lippen. Zumindest das World Wide Web findet meinen öden Auftrag interessant. Gedankenlos fällt mein Blick auf den rechten Bildschirmrand, an dem ein Bild von ihm prangt, und ich reiße instinktiv die Augenbrauen nach oben – oh, là, là …

2

Heißer als Fondue-Fett

Als ich meinen Abschluss machte, habe ich mir geschworen, nie wieder einen Fuß in eine Universität zu setzen, und da stehe ich nun. In einer Warteschlange vor der Information und schaue durch das Fenster, das sich über die gesamte rechte Front des Gebäudes erstreckt, auf den Innenhof. In Filmen wird einem der Campus immer als parkähnliche Grünanlage verkauft, dabei ist es in den meisten Akademien in London genauso wie hier. Statt Rasen gibt es Betonlandschaft, so weit das Auge reicht. Wenn man Glück hat, steht zwischendurch mal ein Pflanzkübel, in dem größtenteils aber auch nicht mehr steckt als die Kippenstummel derer, die heimlich schnell eine rauchen und keine Lust haben, in die dafür vorgesehenen Raucherbereiche zu laufen.

»Was kann ich für Sie tun?«, spricht mich eine der Damen hinter der dicken Glasscheibe an und ich gehe näher heran, damit die wartenden Besucher nach mir aufrücken können.

»Ich habe um 14:00 Uhr einen Termin mit Keaton Hill.«

Die dunkelhaarige Frau erinnert mich ein bisschen an meine ehemalige Dozentin Ms Small. Wie die Small hat die Gute ihre Haare in einen dermaßen strengen Dutt gelegt, dass ich mich frage, wie sie lachen will, wenn alles so stramm nach hinten gezogen ist.

»Gehen Sie den Gang hier links durch, bis ganz zum Ende. Hörsaal 42.«

Hörsaal 42? Ehe ich nachfragen kann, beugt die mit dem straffen Zopf sich zur Seite und winkt den Kerl hinter mir heran. »Der Nächste bitte!«

Ich schiebe die Henkel der Handtasche etwas höher auf meine Schulter und nehme wie befohlen den Gang auf der linken Seite. Unterdessen ziehen Studenten grüppchenweise an mir vorbei.

Waren die Wege früher eigentlich auch schon so extrem lang oder ist es mir nur nie so aufgefallen, weil ich damals eher Sneaker statt High Heels trug? Mein Unterbewusstsein erinnert mich daran, dass es abgesehen davon einfach an dem Umstand liegen könnte, dass ich alt werde, aber das schiebe ich rigoros beiseite.

Die Tür des Hörsaals steht offen, sodass ich direkt hineingehe und die überwiegend besetzten Stuhlreihen auf der linken Seite sowie das leere Podium zur rechten sehe. Ähm nein, das kann nicht sein, ich muss mich vertan haben. Ich gehe wieder in den Flur, schaue auf das Türschild, ob ich auch wirklich im richtigen Saal bin und tatsächlich, es ist die 42. Zu eng gebundene Frisuren beeinflussen offenbar das Denkvermögen. Anders kann ich mir nicht erklären, warum diese Möchtegern-Hilfsarbeiterin an der Information mich in eine Lesung mit diesem Keaton Hill schickt. Ich wollte doch nur Termine ausmachen. Genervt werfe ich einen Blick auf meine Armbanduhr und reibe mir über die Stirn. Was soll’s? Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mir auch eine Vorlesung von ihm anhören und direkt ein paar Notizen machen.

Die ersten fünf und die letzten zwei Reihen sind restlos besetzt, sodass ich mich für eine der mittleren entscheide und mich einige Plätze von den echten Studentinnen entfernt hinsetze. Gedankenlos überfliege ich ein paar der Kritzeleien auf der langen Tischreihe, die an den Rückenlehnen der Sitzreihe vor mir befestigt ist. Hoffentlich kleben sie nicht immer noch ihre Kaugummis darunter. Beinahe muss ich über mich selbst die Augen rollen. Nein, natürlich nicht. Die Hochschüler im Jahr 2022 sind allesamt so wohlerzogen, dass sie nie … Ich stocke, als ich den Namen meines Interviewpartners in das Holz geritzt entdecke.

Mister Hill ist heißer als Fondue-Fett

Kurzerhand nehme ich mein Telefon aus der Handtasche und schieße ein Foto. Wer weiß schon, ob ich es nicht für meinen Artikel gebrauchen kann? Während ich es wieder wegstecke, lasse ich den Blick die Sitzreihen entlangwandern und muss unwillkürlich lächeln. Offenbar ist dieser Mister Hill wirklich ein Frauenmagnet. Anders lässt sich kaum erklären, dass die ersten fünf Reihen, bis auf eine Ausnahme, nur von Frauen besetzt sind. Verstohlen schaue ich über die Schulter und wie ich es mir dachte, hinten sitzen die Männer.

Die Tür zum Hörsaal knallt zu, sodass mein Blick automatisch dorthin schwenkt, und ich erstarre.

»Hallo zusammen«, begrüßt Keaton Hill die Anwesenden, woraufhin ein Raunen durch die Reihen geht. Ich sollte es nicht, will es auch nicht und doch registriere ich jede einzelne geschmeidige Bewegung des dunkelhaarigen Dozenten. In Kombination mit seiner rauchigen Stimme kann ich nichts dagegen tun, als ihn mir in eine andere Umgebung zu träumen: Mit den Knien auf meinem Schlafzimmerteppich, nackt und ich auf allen vieren vor ihm. Oh Gott, Schluss damit. Hör sofort auf, so etwas zu denken! Ich schüttle den Kopf und schärfe meinen Blick.

Er legt seine Tasche auf dem Lehrerpult ab und öffnet über sein iPad eine Keynote-Präsentation, dessen Deckblatt großflächig an die Wand projiziert wird – »Analytische Chemie«. Na bravo, das klingt schon wie ein Narkosemittel. Er fügt noch etwas Weiteres hinzu, das ich aber schon nicht mehr beachte. Meine Aufmerksamkeitsspanne hatte bereits früher Probleme, sich auf derart Trockenes zu konzentrieren, vor allem, wenn sich direkt daneben etwas viel Interessanteres befindet. Keaton Hill klickt sich durch die Präsentation und erklärt irgendwelche synthetischen Abläufe, die darauf erkennbar sein sollen. Ich verstehe nicht ein Wort, hänge aber trotzdem an seinen Lippen. Mit der Stimme könnte er die Bedienungsanleitung für einen Toaster vorlesen und ich würde nicht eine Sekunde die Ohren auf Durchzug schalten. Womit ich nicht allein sein dürfte, wenn ich mir die Damen der vordersten Reihen genauer ansehe.

Ich stütze die Ellenbogen auf dem Tischbrett ab und mein Kinn in die Hand, während ich Keaton folge, wie er von einer Seite des Podiums zur anderen geht. Seine dunklen Haare liegen kreuz und quer auf dem Kopf, als sei er nach dem Aufstehen nur kurz mit den Fingern hindurchgefahren. Ob sie sich so weich anfühlen, wie sie aussehen? Die Szene auf dem Teppich schiebt sich automatisch wieder vor mein inneres Auge, sodass ich mich ruckartig gerade hinsetze. Meine Gedanken sollten wirklich nicht solche Wendungen annehmen, dennoch kann ich nicht anders, als ihn weiter zu mustern. Von hier oben lässt es sich schwer einschätzen, aber ich schätze, dass er relativ groß ist, und unter dem dunklen Hemd zeichnet sich deutlich ab, dass er trainiert ist. Nicht extrem, jedoch genug, um aufzufallen. Jede Wette, dass er ein angedeutetes Sixpack hat. Vielleicht sollte ich den netten Dylan vom Wochenende noch mal kontaktieren, damit er meine übereifrige Libido etwas ins Lot bringt? Wobei er leider überall nett war, auch beim Sex. Nicht, dass ich auf diesen BDSM-Kram stehen würde, das ist eher Lillys Ding, aber dieses ständige »Ist es so angenehm?« fand ich dann doch irgendwie abturnend.

Jede Wette, dass Dozent Keaton fester zupacken kann. Jemand, der beruflich etwas derart Langweiliges behandelt, braucht doch sicher anderweitig ein Ventil, um Druck abzulassen. Automatisch wandert mein Blick zu seinen Händen, von denen ich auf die Entfernung aber leider auch nicht allzu viel erkenne. Oh Gott, er zeigt auf mich.

Mein verdammtes Herz hämmert augenblicklich derart heftig gegen meinen Brustkorb, dass er es sogar sehen müsste, und meine Handflächen werden klatschnass, als hätte ich sie gerade unter einen Wasserhahn gehalten. Was will er denn von mir? Weiß er, dass ich die Journalistin bin, mit der er heute ein Treffen hat? Hinter mir ertönt eine männliche Stimme, woraufhin Keaton nickt und den Daumen nach oben reckt. Oh, ähm. Alles klar, er hat gar nicht auf mich gezeigt. Peinlich berührt rutsche ich in meinem Stuhl herunter, um mich möglichst klein zu machen, und beiße mir auf die Unterlippe. Das ist so blöd, dass ich lachen muss.

Eine Viertelstunde später ist die Vorlesung beendet und während die männlichen Kommilitonen den Raum verlassen, strömen die Frauen in Scharen zu Keaton ans Rednerpult, um ihn mit irgendwas zu behelligen. Ich verwette zwanzig Pfund darauf, dass nicht eine von ihnen ein wirklich fachliches Anliegen hat. Der erste Schwung verschwindet, sodass ich aufstehe, meine Handtasche nehme und langsam die Stufen zur Plattform heruntergehe. Kurz bevor ich mich in die Schar aus Frauen einreihe, ruft ein älterer Herr mit Halbglatze und Wohlstandsbäuchlein meinen Namen.

»Miss Scott, ich muss mich für die Unannehmlichkeiten dieser Vorlesung entschuldigen. Mister Hill konnte es heute leider nicht einrichten, frühzeitig hier zu sein, um Sie zu empfangen.« Mein Gesprächspartner sieht abschätzend in die Richtung des Lehrerpults und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, Keaton wollte einfach nicht eher hier sein und Zeit für mich haben. »Ich bin William Wood, Rektor dieser Universität.« Er schüttelt mir die Hand und deutet dann an, gemeinsam zu Keaton gehen zu wollen. »Ich hoffe, Sie können sich in Geduld fassen«, fährt er fort und streicht sich dabei lachend die rote Krawatte glatt, die etwas zu kurz für seinen Bauch ist und weit über seinem Nabel endet. »Mister Hill ist … Nun ja, wie sage ich es? Speziell.«

Ich schaue ihn verständnislos an und schüttle den Kopf. »Speziell?«

Mister Wood streicht sich ein paar Haarsträhnen über die Glatze und schürzt die Lippen. »Sie werden sich schon verstehen. Leider muss ich auch bereits weiter, aber sollten Sie irgendwelche Fragen haben, dann …« Er lässt den Satz bewusst unausgesprochen und eilt wieder davon. Okay. Irritiert wende ich mich Keaton zu, der gerade die letzte Studentin abfertigt, und ich flitze die übrigen Meter im Laufschritt zu ihm.

»Mister Hill? Ich bin Blair Scott, vom Magazin All in. Wir haben einen Termin.«

Er schaut auf die Armbanduhr, flüchtig zu mir und packt dann emsig seine Tasche weiter ein. »Ich habe jetzt keine Zeit.«

Ähm, wie bitte? Ich beobachte kurz sein akribisches Packen und lache verwirrt. Was soll ich auch sonst tun? »Genau genommen hatten wir den Termin bereits um zwei.«

Er schaut wieder auf seine Uhr. »Es ist 15:30 Uhr. Wenn wir den Termin um zwei hatten, können wir ihn demzufolge nicht jetzt haben.«

Er greift nach seiner Tasche und sieht mich zum ersten Mal an, zumindest glaube ich das.

---ENDE DER LESEPROBE---