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Als Nesthäkchen der königlichen Familie von Rosavia kann sich Prinz Renford Langston Alder, genannt Wren, das ein oder andere Fehlverhalten erlauben, was er auch schamlos ausnutzt. Er schlägt über die Stränge, wo er nur kann, und ist fürchterlich verwöhnt. Der Einzige, der ihn einigermaßen im Griff hat, ist sein Kammerdiener Thom, der seinen Schützling immer wieder mit strenger Hand auf Kurs bringen muss. Allerdings begegnet Wren den Zurechtweisungen schon seit längerer Zeit mit offensiven Flirtversuchen. Thom ist 16 Jahre älter als Wren und hat sich schon einmal an einem Höhergestellten die Finger verbrannt. Einen Skandal möchte er um jeden Preis vermeiden – wenn Wren nicht so verflucht hartnäckig wäre. Thoms Entschlossenheit wird von dem frechen Prinzen gehörig ins Wanken gebracht und er wüsste auch schon genau, wie er Wren ein paar Manieren beibringen könnte. Allerdings würde eine Affäre mit dem jüngsten Spross des Königshauses nicht nur seinen Job in Gefahr bringen… sondern auch sein Herz. Band 5 der "Rosavia Royals"-Reihe. Buch ist in sich abgeschlossen.
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Seitenzahl: 338
Deutsche Erstausgabe (ePub) Januar 2022
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2020 by E. Davies
Titel der Originalausgabe:
»Barely Regal«
Published by Arrangement with E. Davies
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2022 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock; AdobeStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
Druckerei: CPI Deutschland
Lektorat: Bernd Frielingsdorf
ISBN-13: 978-3-95823-924-1
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Aus dem Englischen von Katie Kuhn
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Klappentext:
Als Nesthäkchen der königlichen Familie von Rosavia kann sich Prinz Renford Langston Alder, genannt Wren, das ein oder andere Fehlverhalten erlauben, was er auch schamlos ausnutzt. Er schlägt über die Stränge, wo er nur kann, und ist fürchterlich verwöhnt. Der Einzige, der ihn einigermaßen im Griff hat, ist sein Kammerdiener Thom, der seinen Schützling immer wieder mit strenger Hand auf Kurs bringen muss. Allerdings begegnet Wren den Zurechtweisungen schon seit längerer Zeit mit offensiven Flirtversuchen. Thom ist 16 Jahre älter als Wren und hat sich schon einmal an einem Höhergestellten die Finger verbrannt. Einen Skandal möchte er um jeden Preis vermeiden – wenn Wren nicht so verflucht hartnäckig wäre. Thoms Entschlossenheit wird von dem frechen Prinzen gehörig ins Wanken gebracht und er wüsste auch schon genau, wie er Wren ein paar Manieren beibringen könnte. Allerdings würde eine Affäre mit dem jüngsten Spross des Königshauses nicht nur seinen Job in Gefahr bringen… sondern auch sein Herz.
Wren
Wren hielt die Luft an, als er draußen auf dem Gang Stimmen hörte. Vorsichtig schlich er vom Nachttisch seines ältesten Bruders weg, auf den er gerade eine Flasche mit Gleitgel gestellt hatte. Geschmacksrichtung Heidelbeer.
Renford war der fünfte Sohn von König Alphonse van Rosavia und durfte sich daher im Palast überall frei bewegen. Die Suiten seiner Brüder waren davon allerdings – rein theoretisch gesehen – ausgenommen.
Die Tür öffnete sich und eine Frauenstimme sagte: »Ich habe schon gefragt, ob ich an diesem Tag arbeiten kann. Es ist Jahre her, seit Rosavia einen so großen Ball veranstaltet hat. Und ich habe gehört, dass dieser heiße Prinz eingeladen ist…«
Die Stimmen wurden wieder leiser und die Tür fiel ins Schloss. Wren schlich auf Zehenspitzen hinter den beiden Palastangestellten her. Als er die Suite verlassen hatte, schlug er die Gegenrichtung ein und schlenderte unauffällig davon, die Daumen in die – jetzt leeren – Taschen geschoben.
Vor einer halben Stunde waren sie noch verdächtig ausgebeult gewesen, gefüllt mit fünf Flaschen Heidelbeergel.
Er hatte das Zeug in einem Sexshop in Alpina, Rosavias Hauptstadt, gefunden und aus Spaß gekauft, um sich damit einen Scherz zu erlauben. Wren wusste, dass der Palast nicht sehr erfreut war, wenn er sich in solchen Läden rumtrieb, aber es war ja nichts passiert. Niemand hatte ihn erkannt. Er musste nur eine warme Mütze aufsetzen, dann konnte er sich unerkannt durch die Stadt bewegen.
Es hatte auch seine Vorteile, der letzte Prinz in der Thronfolge zu sein.
Eine der fünf Flaschen hatte er natürlich in seinem eigenen Schlafzimmer gelassen. Seine Brüder würden noch wochenlang rätseln, wer der Schuldige war. Wren grinste, als er sich die Diskussionen vorstellte.
Er war gerade vor seiner eigenen Suite angekommen, als er von hinten angesprochen wurde und erschrocken zusammenzuckte.
»Eure Hoheit.«
Es war die raue Stimme seines Kammerdieners, Thomas Pierce. Pierce arbeitete schon seit zehn Jahren für den Palast und war mit seinen 35 Jahren jünger als die Kammerdiener von Wrens Brüdern.
Er hätte sich nicht wundern sollen, dass Pierce auch jetzt genau wusste, wo er sich aufhielt. Der Mann hatte selbst hinten Augen. Vermutlich, damit er den sexy Hintern besser bewachen konnte, der seine schwarzen Uniformhosen ausfüllte.
Pierce lächelte freundlich, aber streng. Die kleinen Fältchen auf seiner Stirn verrieten Wren, dass Pierce sich nicht sicher war, wie Wren auf die Nachricht reagieren würde, die er ihm auszurichten hatte. Es musste etwas Offizielles sein, um das Wren sich nicht drücken konnte.
Sie kannten sich schon so lange, dass Wren ihn nur ansehen musste, um ihm eine ganze Welt an Informationen aus dem Gesicht abzulesen. Pierce musste ihn nur auf eine bestimmte Art ansehen und Wren wusste, was er ihm sagen wollte. Umgekehrt funktionierte es genauso. Wenn Wren beispielsweise mit einem Offiziellen reden musste, den er loswerden wollte, sah Pierce ihm das sofort an und fand einen Grund, ihn von dem Mann loszueisen.
»Thom?«, sagte Wren und drehte sich zu ihm um wie eine Kompassnadel, die ihren Nordpol suchte. Er nannte Pierce immer bei seinem Vornamen, obwohl das dem Protokoll widersprach. Pierce ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Er ignorierte es einfach.
Wren konnte sich noch so viele Streiche ausdenken – und besonders als Teenager war er um neue Ideen nie verlegen gewesen –, aber Pierce blieb unerschütterlich.
»Seine Majestät wünscht, Sie in seinem Büro zu sehen.« Okay. Pierce wusste wirklich mehr, als er sagte.
Wren schmollte. »Jetzt gleich?« Er wollte dabei sein, wenn Sander nach Hause kam und die Flasche fand. Sanders Reaktion war bestimmt die lustigste. Aber wenn sie extra Pierce nach ihm schickten, musste es ernst sein.
»Ich fürchte so, Sir.«
»Weißt du, worum es geht?« Wren stellte sich ahnungslos. Er wollte hören, was Pierce ihm sagen durfte. Pierce hatte seine spezielle Art Wren vorzuwarnen, wenn ihm eine Gardinenpredigt bevorstand. Über das Heidelbeergel konnten seine Eltern noch nichts wissen. Was könnte es also dieses Mal sein? Sein Flirt mit dem neuen Palastdiener? Wren hatte es nicht ernst gemeint, wollte nur sehen, wie der junge Mann rot wurde…
Pierce' Mundwinkel zuckten amüsiert. Es war fast, als könnte er Wrens Gedanken lesen. »Ich glaube, Ihr Vater möchte mit Ihnen über Ihre königlichen Pflichten reden. Sie haben kürzlich Ihren 19. Geburtstag gefeiert und er denkt, es wäre an der Zeit.«
Wren seufzte theatralisch. »Die Galgenfrist ist um. Ich hatte ein Jahr lang meinen Spaß, jetzt legen sie mir die goldenen Handschellen an.« Er ging neben Pierce, der vergeblich versuchte, sich einen Schritt hinter Wren zurückfallen zu lassen. »Vielleicht übertragen sie Ben die Organisation der Partys und Bälle. Oder sie machen ihn zum Oberaufseher der königlichen Weinkeller. Dann könnte ich das Oberkommando über die Armee übernehmen. Schlechter als Ben bin ich bestimmt auch nicht.«
Ben war, im Gegensatz zu Wren, ein fürchterlicher Faulenzer. Wren langweilte sich tödlich, wenn er nichts zu tun hatte. Seit er vor einem Jahr die Schule abgeschlossen hatte, war er auf der Suche nach Beschäftigung. Seine Noten waren nie die besten gewesen, deshalb fiel ein Studium aus. Wren wollte nicht aus Mitleid oder wegen seiner Familienbeziehungen an einer Universität angenommen werden.
Aber er hatte vier ältere Brüder. Leo war der Thronerbe und musste natürlich alles über die Geschichte und Politik Rosavias lernen, damit er immer im Interesse des Landes handeln würde, auch wenn er mit vielem nicht einverstanden war. Sander, dem Zweitgeborenen, ging es ähnlich, nur mit weniger Spaß. Für Diplomatie und Handelsbeziehungen war Jules zuständig, auch wenn er sich ständig darüber beschwerte, nur ein Vorzeigebotschafter zu sein. Der Vierte in der Thronfolge, Ben, sollte später das Oberkommando über die Sicherheitskräfte des Landes übernehmen.
»In der Tat«, sagte Pierce. Wren blieb stehen, als ihm der ungläubige Tonfall seines Kammerdieners auffiel.
»Meinst du nicht? Ich liebe das Militär«, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Dann hätte ich wenigstens etwas zu tun. Du warst doch auch beim Militär. Wie war es dort?«
Pierce sprach nicht oft über seine Zeit beim Militär. Wren wusste so gut wie nichts darüber. Er hatte nur gehört, dass Pierce ein Held gewesen war, bevor er den Job als Wrens Kammerdiener annahm, weil sein Vorgänger in den Ruhestand ging.
»Diszipliniert«, erwiderte Pierce zurückhaltend. »Ich kann natürlich nur für die Offiziersausbildung sprechen. Es ist für die Kinder hochrangiger Familien üblich, dass sie eine Offiziersausbildung machen. Die meisten kommen mit der Disziplin nicht sehr gut zurecht, die dort herrscht.«
Wren lachte auf. »Du könntest bestimmt viel darüber erzählen.«
»In der Tat.« Pierce lächelte schwach. »Viele leiden darunter, dass sie nicht über ihren Tagesablauf bestimmen können. Dass sie sich nicht spontan tätowieren lassen oder anrüchige Etablissements aufsuchen können.«
»Ja?« Wren grinste frech. Thom verstand es, auf Wrens Provokationen zu reagieren. In dieser Beziehung passten sie wirklich gut zusammen. »Ich habe nur ein einziges Tattoo. Jedenfalls zähle ich es als eines.« Er hatte sich an seinem 18. Geburtstag betrunken und Veni, Vidi, Vici auf die Brust tätowieren lassen. Na und? Schließlich war er ein moderner Prinz.
»Es sind zwar drei Wörter, aber grammatikalisch gesehen ist es ein Satz«, stimmte Pierce ihm widerstrebend zu, obwohl er seine Missbilligung nicht ganz verbergen konnte.
Wren klopfte ihm lachend auf die Schulter. »Dann ist das Militär vielleicht doch nichts für mich. Ich hoffe nur, dass ihnen etwas einfällt. Ich will nicht nur den ganzen Tag untätig rumhängen und für die Touristen oder Staatsgäste hübsch aussehen.« Er verzog das Gesicht.
Pierce gab ihm keine Antwort, errötete aber leicht. Vielleicht lag es daran, dass Wren einen so schnellen Gang eingeschlagen hatte.
Sie kamen zum Büro seines Vaters, wo der Privatsekretär des Königs sie begrüßte. Nachdem er Wren angekündigt und ins Büro begleitet hatte, ließ er ihn mit seinem Vater allein.
»Hi, Dad.« Wren ging lächelnd durchs Zimmer und ließ sich auf den prachtvoll verzierten Stuhl fallen, der vor dem Schreibtisch des Königs stand.
König Alphonse war nicht mehr der Jüngste, aber die silbergrauen Haare und die Falten in seinem Gesicht hinderten ihn nicht daran, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Seine Augen funkelten jedes Mal erfreut, wenn er einen seiner Söhne sah. Es war kein Wunder, dass er so beliebt war.
Wren hatte das Büro kaum betreten, da fühlte er sich auch schon besser.
»Renford«, begrüßte sein Vater ihn mit seinem vollen Namen und ignorierte Wrens Grimasse. »Ich hoffe, du hast deinen Geburtstag genossen.«
»Oh ja.« Wren rieb sich grinsend über den Kopf. Sein Kater hatte sich glücklicherweise schon fast gelegt. Er war ein Neujahrsbaby und sein Geburtstag fiel deshalb immer auf den letzten Feiertag, bevor sie wieder ihr normales Leben aufnahmen. »Was willst du von mir?«
»Es wird Zeit, über deine zukünftigen Pflichten zu reden«, kam sein Vater sofort auf den Punkt. »Ich weiß, dass du schon lange darauf gewartet hast, eine… Aufgabe zu bekommen.«
Wren nickte. »Und?«, fragte er aufgeregt und wartete ungeduldig ab. Er war ein Prinz, ein van Rosavia. Wenn es darauf ankam, würde er jede Verpflichtung übernehmen, die seinem Land nutzte.
»Ich habe mich dazu entschieden, dir die Oberaufsicht über die wichtigsten Symbole der Nation zu übertragen.« Sein Vater faltete die Hände und beugte sich über den Schreibtisch. Wren zitterte vor Aufregung. Was immer er auch erwartet haben mochte, die nächsten Worte seines Vaters überraschten ihn trotzdem.
»Die Rosenzucht. Ich übergebe dir die Oberleitung über unsere Rosenzucht.«
Wren blinzelte sprachlos. »Die…?«
Wie bitte? Ich muss mich verhört haben.
Rosen waren die offiziellen Blumen der königlichen Familie und noch wichtiger als Heidelbeeren, die Nationalspeise des Landes. Alles im Palast war mit Rosen bedeckt oder schmeckte nach Heidelbeeren. Manchmal sogar beides. Es war zum Verzweifeln.
Wren sank das Herz in die Magengrube, während sein Vater lächelnd weiterredete, als würde er – wie selbstverständlich – davon ausgehen, dass Wren sich freute. Stattdessen fiel es ihm schwer, seine Enttäuschung zu verbergen und den Worten seines Vaters zu folgen.
»Die Gärtner haben seit Leos Geburt an neuen Züchtungen gearbeitet, die für zukünftige Ehepartner der Familie angemessen sind. Da auf dem Königlichen Ball Leos Verlobung bekannt gegeben werden soll, brauche ich jemanden, dem ich vertraue und der ihn kennt, um die endgültige Auswahl zu treffen und das Zuchtprogramm zu übernehmen. Schließlich seid ihr zu fünft und jeder von euch wird eine neue Rose brauchen, die an seine Hochzeit erinnert. Und dann sind da eure zukünftigen Kinder…«
»Was für ein Mist«, unterbrach Wren ihn wütend und stand so schnell auf, dass der Stuhl beinahe umgekippt wäre. Seine Kehle war wie zugeschnürt. »Warum darf ich nicht auch eine wichtige Aufgabe übernehmen?«
»Das ist eine wichtige Aufgabe«, erwiderte sein Vater ungerührt, als hätte er mit Wrens Reaktion gerechnet.
Und nur zu Recht. Es war schon schlimm genug, von der Familie wie ein Baby behandelt zu werden. Aber… dass sie ihm jetzt auch noch vorspielten, sie würden ihn als erwachsenen Mann ernst nehmen? Dass sie ihm eine Aufgabe übertrugen, die so unwichtig war, dass noch niemand davon gehört hatte? Weil sie glaubten, dass er alles andere vermasseln würde?
Er war ein Idiot gewesen, etwas anderes von ihnen zu erwarten. Zu erwarten, wirklich ernst genommen zu werden.
Nein, sie wollten ihn hier im Palast verstecken, weil sie Angst hatten, er würde sich wieder öffentlich betrinken und tätowieren lassen. Oder was auch immer.
»Wren…«, fing sein Vater an.
Wren war zu wütend, um ihm zuzuhören. Er schüttelte nur wortlos den Kopf, stürmte aus dem Büro und lief über den Flur davon. Pierce heftete sich sofort an seine Fersen.
Das Schlimmste an der Sache war, dass sein Temperamentsausbruch nichts ändern würde. Er musste sich fügen, seine Aufgabe mit einem freundlichen Lächeln und stolz erhobenem Kopf ausführen. So war das, wenn man erwachsen wurde. Besonders, wenn man ein Prinz war.
Weil es sowieso egal war und er eigentlich gar nicht gebraucht wurde.
»Wren.« Pierce' Stimme drang durch den Nebel zu ihm durch, aber sie hörte sich nicht verständnisvoll und beruhigend an, wie alle anderen im Palast mit ihm sprachen. Nein, sie klang streng.
Wren könnte sich zu ihm umdrehen. Das machte er immer, wenn er Hilfe brauchte, um seinen Platz im Leben zu finden. Und es lohnte sich immer, auf Pierce' Ratschlag zu hören – ob Wren mit einem fremden Prinzen ausgehen wollte oder ob er nur ein passendes Geschenk für einen Gast suchte.
»Sie wollen einen verdammten Gärtner aus mir machen«, platzte er heraus und blieb stehen, damit Pierce ihn einholen konnte. Der Flur war menschenleer und niemand konnte sie hören. »Für die Rosenzucht.«
Wenn er noch jünger wäre – zehn Jahre alt oder so – und hätte gerade mal wieder eine Prüfung vermasselt, hätte er jetzt geweint und sich von Pierce trösten lassen. Er vertraute Pierce. Pierce war immer für ihn da gewesen, hatte ihn und seine Gefühle immer ernst genommen.
Aber Wren war kein Kind mehr, also drückte er die Schultern durch und schob die Hände in die Jackentaschen.
»So habe ich es auch verstanden.« Pierce nahm ihn am Arm und führte ihn zu seiner Suite zurück. Seine Anwesenheit legte sich wie eine warme Decke über Wrens verzweifelte Wut.
Er schluckte. »Ich kann es nicht ablehnen, nicht wahr? Ich muss den Job annehmen.« Es waren nur noch sechs Monate bis zum Königlichen Ball. Die Vorbereitungen würden bald beginnen. Wenn sie in seine Suite zurückkamen, würden dort wahrscheinlich schon ein Paar Gummistiefel und passende Gartenhandschuhe auf ihn warten.
Mit einer solchen Beleidigung hätte er niemals gerechnet.
Er wäre mehr als glücklich gewesen, sein Leben in den Dienst des Landes zu stellen. Stattdessen musste er jetzt seinen Stolz runterschlucken und seine Zeit damit verbringen, ein unbedeutendes Relikt ihrer Landestradition zu pflegen.
Wren sah Pierce die Antwort auf seine Frage schon an, bevor der auch nur ein Wort gesagt hatte. »Ja«, flüsterte Pierce. Und dann sagte er noch etwas und Wren wurde wieder leichter ums Herz. »Aber nicht allein.«
Wren atmete tief durch. Ihm fiel kaum auf, dass er Pierce' beruhigende Atmung nachahmte. »Nein«, flüsterte er mit Tränen in den Augen. »Nicht allein.«
Thom
»Ich verstehe. Die Kämmerei wird sich zu gegebenem Zeitpunkt melden. Der Palast dankt Ihnen für Ihren Dienst. Guten Tag«, spulte Thomas Pierce die übliche Routine an Bedeutungslosigkeiten ab, bevor er das Gespräch beendete.
Er seufzte und drückte sich die Hand an die Stirn. Thomas hatte sich mittlerweile an diese Gespräche gewöhnt. Drei Lehrer hatte er auf diese Art schon verabschieden müssen. Innerhalb weniger Monate.
Sein Prinz war gestern miserabler Laune gewesen, als er nach dem Unterricht in die Suite zurückkam. Er hatte geschimpft und von Thom verlangt, den Mann sofort zu feuern und einen besseren Lehrer zu finden.
Thom hatte nur noch wenige Optionen. Der Job war anstrengend und verlangte viel. Daraus machte er kein Hehl, wenn er sich diskret in den üblichen Kreisen nach Interessenten umhörte. Biologie, Botanik, Genealogie, Farbenlehre, Kunstgeschichte und Landesgeschichte – das alles waren die wesentlichen Voraussetzungen für Wrens neue Aufgabe.
Thom ärgerte sich nicht über Wren. Nach fast zehn gemeinsamen Jahren – die Wren meistens in der Schule verbracht hatte – wusste er genau, was der Prinz brauchte und liebte.
Lernen hatte Wren noch nie Spaß gemacht. Er hasste es, über Büchern sitzen zu müssen. Und da er weniger Verantwortung trug als seine älteren Brüder, hatte die Familie seinen Mangel an Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft immer toleriert.
Thom hatte herausgefunden, dass Wren am besten mit etwas einfühlsamer Disziplin zu lenken war.
Aber die meisten Lehrer verstanden das nicht. Sie ließen sich entweder durch Wrens Status einschüchtern und konnten sich nicht durchsetzen, oder sie gaben sich zu viel Mühe und behandelten ihn wie einen normalen Schüler, ohne auf seine außergewöhnlichen Lebensumstände Rücksicht zu nehmen.
»Was soll ich nur tun?«, murmelte er und rieb sich frustriert übers Gesicht.
Es gehörte zu seinem Job, immer zu wissen, was Wren brauchte. Die dritte Entlassung innerhalb kürzester Zeit lag ihm schwer auf dem Gewissen. Er sah sie als persönliches Versagen an.
Thom streckte sich und sah sich in seinem Büro um. Dann drehte er den Stuhl zum Fenster und schaute auf den Garten hinaus. Sein Büro lag direkt neben Wrens Suite in dem Flügel des Palasts, der unmittelbar an die Rosengärten angrenzte.
Wren war schon oft dort unten gewesen, seit der König ihn über seine neue Aufgabe unterrichtet hatte. Er war allerdings nie sehr lange geblieben. Die alltägliche Pflege der Gärten – Unkraut rupfen, wässern, bestäuben, Setzlinge einpflanzen – wurden von den Palastgärtnern erledigt.
Wren sollte nur die Theorie lernen, die hinter den Familientraditionen steckte. Er sollte alles über Rosenzucht lernen, sie beaufsichtigen und entscheiden, welche Züchtungen weiterentwickelt werden sollten.
Was hatte König Alphonse sich nur dabei gedacht, als er Wren diese Aufgabe übertrug? Selbst Thom wusste, dass Rosenzucht nicht gerade geeignet war, die Fantasie und Energie eines 19 Jährigen lange zu fesseln.
Der arme Wren war am Boden zerstört gewesen, weil er sich danach gesehnt hatte, eine wichtige Aufgabe für den Palast zu übernehmen. Aber bei fünf Prinzen in der Familie war es nicht einfach, für alle eine angemessene Aufgabe zu finden – von den ständigen Empfängen und Partys abgesehen, die sie besuchen mussten, um ihre Familie zu repräsentieren.
Bis zum Königlichen Ball waren es nur noch zwei Monate. Thom erhielt ständig Nachfragen, wie weit es mit Wrens Ausbildung stand. Viele warteten angespannt darauf, dass er entschied, welche Rose Leos Verlobung symbolisieren sollte. Vorher konnten die Einladungskarten nicht gedruckt werden, die Dekorationen nicht in Auftrag gegeben werden. Alles hing von der Rose ab, für die Wren sich entschied.
Bisher hatte Thom ihn von dem Druck ferngehalten, der auf ihm lastete. Lange würde das allerdings nicht mehr gut gehen.
Thom stand auf und ging zum Fenster, um den Gärtnern bei ihrer Arbeit zuzusehen. Er zog am Hemdkragen und spielte mit den Knöpfen seiner schwarzen Weste, während er sich darüber den Kopf zerbrach, wie er den richtigen Lehrer für Wren finden sollte. Von seiner Wahl hing verdammt viel ab.
Nach dem Königlichen Ball, wenn Leos Verlobung offiziell war, würde die Rose die Einladungskarten zu Leos Hochzeit zieren. Die Menschen würden sich um Setzlinge reißen, um sie in ihre Gärten zu pflanzen. Sie würden in den Gärten und den Herzen der Menschen wachsen und gedeihen, so wie die Liebe des neuen Paares.
Thom war es während seiner Ausbildung zum Offizier immer schwergefallen, aus Büchern zu lernen. Es erschien ihm zu theoretisch und er hatte sich wohler gefühlt, wenn er seine eigenen Erfahrungen sammeln und daraus lernen konnte.
Die Routine und Disziplin der Ausbildung hatten ihm geholfen. Er hatte immer gewusst, wer über und wer unter ihm stand. Die Hierarchie des Militärs hatte den Stress reduziert. Das war auch im Palast der Fall. Thom hatte hier seinen Platz gefunden. Er war nicht nur Wrens Kammerdiener, er führte und lehrte ihn auch.
Halt. Ihm kam eine Idee.
Er klopfte leise mit dem Fingernagel an die Fensterscheibe. Es war eine verrückte Idee, aber vielleicht würde sie gerade deshalb funktionieren.
Was, wenn er selbst Wren unterrichtete?
Schließlich hatte er in den letzten beiden Monaten viel über Rosen gelernt. Er musste schließlich immer mehr wissen als sein Schüler – egal, worum es ging. Also hatte er abends in seinem Zimmer gesessen und gelernt, was er über die Rosenzucht wissen musste. Sicher, er war kein Botaniker. Er wusste nicht viel über die wissenschaftlichen Hintergründe der Rosenzucht. Aber dafür verstand er seinen Schützling und wusste, wie man Wren am besten motivierte.
Und im Gegensatz zu den Experten, die an Wren gescheitert waren, würde er seinem Schüler nicht das Gefühl vermitteln, ein ahnungsloser Idiot zu sein. Jedes Mal, wenn er Wrens wütendes Gesicht sah, setzte Thoms Beschützerinstinkt ein. Deshalb war es ihm auch nicht schwergefallen, diese arroganten Besserwisser wieder zu entlassen.
Er war noch nie in diese Rolle geschlüpft, aber andererseits handelte es sich nicht um eine formelle Ausbildung. Man musste kein Professor der altehrwürdigen Universität von Alpina sein, um den Wachstumszyklus von Rosen zu verstehen. Und wenn Wren – neben der Theorie – auch etwas praktische Erfahrung bekam, würde er bestimmt mehr Spaß am Lernen finden.
Thoms Puls flatterte vor Nervosität. Er drehte sich zögernd zur Tür um. Sollte er Wren fragen, was er von der Idee hielt?
Das Schlimmste, was ihm passieren konnte, war, dass Wren ihn auslachte. Dann konnte Thom immer noch so tun, als hätte er nur einen Scherz machen wollen, bevor er sich auf die Suche nach dem nächsten Lehrer begab.
Am besten wäre, gleich ins kalte Wasser zu springen, bevor ihn der Mut wieder verließ. Thom drückte die Schultern durch und machte sich auf den Weg. Wren müsste mittlerweile vom Joggen zurück und wieder in seiner Suite sein.
Thom klopfte an die Tür und wartete ab, bis das übliche Herein ertönte. Als er die Suite betrat, musste er seine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht auf den Anblick zu reagieren, der sich ihm bot. Er schluckte.
Der Prinz lag ausgestreckt auf dem roten Plüschsofa. Über der Lehne hing ein verschwitztes T-Shirt. Wren trug nur noch seine engen Shorts, die wenig der Fantasie überließen.
»Hey, Thom«, sagte der Prinz und wischte sich mit der Hand übers Gesicht. »Du hast Glück, dass ich schon zurück bin.« Als ob Thom ihn nicht gehört hätte, als er vor wenigen Minuten am Fenster vorbeigelaufen war.
Wrens nackte Brust glänzte vor Schweiß. Er hatte vor einem Jahr damit angefangen, den Tag mit Joggen zu beginnen. Thom, der schon Mitte 30 war, beneidete ihn um seinen jungen Körper, der schon wenige Monate nach Beginn des Trainings bemerkenswerte Muskeln ausgebildet hatte.
Nicht, dass es eine angemessene Reaktion von ihm war. Er sollte sich für Wrens Körper nur interessieren, wenn er ihm dabei helfen musste, sich für formale Anlässe anzukleiden. Der Prinz war nur halb so alt wie er selbst und… na ja. Thom war sein Kammerdiener. Mehr nicht.
»Bestens.« Thom neigte kurz den Kopf. »Ich habe einen Vorschlag für Sie«, sagte er dann und sah Wren an.
Wren setzte sich sofort interessiert auf. »Ja?« Er griff nach dem Hemd und wischte sich damit das Gesicht ab. »Erzähl.«
Es beruhte auf Gegenseitigkeit – so, wie Thom Wren alles aus dem Gesicht ablesen konnte, hörte der Prinz Thom sofort an, wenn es interessante Neuigkeiten gab. Und er wurde seinem Spitznamen – Wren war das englische Wort für Zaunkönig – gerecht und ließ nicht locker, bis er Thom jedes Detail entlockt hatte.
»Es geht um Ihre Ausbildung«, erklärte Thom verständnisvoll. Wren sah ihn besorgt an. Er hatte mehr als genug Erfahrung darin, für seine schlechten Noten gerügt zu werden.
»Ja?«, fragte er mit banger Stimme.
»Sie wissen vielleicht schon, dass ich mir in den letzten Monaten Kenntnisse über die Rosenzucht angelesen habe.« Thom fing an zu schwitzen. Hörte sich das an, als könnte er schneller lernen als Wren? Schnell ruderte er zurück. »Natürlich nur oberflächlich. Aber ich glaube, es reicht aus, wenn Sie sich eine weniger wissenschaftliche Kenntnis über das Thema aneignen. Vielleicht wäre es sogar besser, das Problem praktisch anzugehen. Wir könnten mit den Gärtnern reden, uns die Hände schmutzig machen. Eine Rose für Prinz Leopold aussuchen und uns nach dem Ball, wenn es keinen Druck mehr gibt und wir mehr Ruhe haben, das theoretische Wissen aneignen, das für die Rosenzucht erforderlich ist.«
Wren trommelte mit den Fingern auf die Sofalehne. »Du schlägst also eine Abkürzung vor. Das Langweilige überspringen. Direkt mit dem Interessanten anfangen.« Er schnaubte. »Falls Rosenzucht überhaupt interessant sein kann.«
Wenigstens hörte Wren ihm zu und dachte über seinen Vorschlag nach. Thom neigte amüsiert den Kopf. »Ich verlasse mich dabei ganz auf unsere Stärken, Eure Hoheit. Es hält uns den Palast aus dem Nacken und gibt uns eine Pause. Keine Bücher mehr und keine emeritierten Professoren, die gefeuert werden müssen.«
»Oh ja«, wimmerte Wren, stand auf und umarmte Thom erleichtert. »Keine staubtrockenen Unterrichtsstunden mehr, in denen ich mich vergeblich bemühe, die verschiedenen Bodenarten auswendig zu lernen? Danke. Vielen, vielen Dank.« Er stöhnte vor Freude.
Thom durchfuhr es feuerheiß. Er riss sich zusammen, hob unbeholfen die Hände hinter Wrens nacktem Rücken. Es war unmöglich, die Hitze zu ignorieren, die von Wrens Körper ausging. Wrens Atem kitzelte ihn am Ohr.
Es war ihm auch vorher schon schwergefallen, professionell zu bleiben. Aber jetzt, mit Wren in den Armen, der sich an ihn presste und ihm leise ins Ohr stöhnte?
Thom legte ihm vorsichtig die Hände auf den Rücken. Nur kein Skandal!
»Es ist mir ein Vergnügen«, war die einzige Antwort, die ihm einfiel. Es hätte bessere gegeben. Angemessenere. Er hätte sich zum Beispiel dafür entschuldigen können, bisher noch nicht den richtigen Lehrer gefunden zu haben.
Wren trat einen Schritt zurück. Es war nicht weit genug. Er stand immer noch direkt vor Thom und die Hitze, die von seinem verschwitzten Körper ausging, war mehr als spürbar.
Dem Protokoll nach hätte Thom stehen bleiben und es Wren überlassen sollen, den Abstand zwischen ihnen zu bestimmen. Aber das konnte er nicht zulassen.
Wren hob den Kopf und sah ihm in die Augen. Thom hielt seinem Blick einige Sekunden lang stand, dann neigte er den Kopf und trat einen Schritt zurück. Der Prinz wollte ihn nur aus der Fassung bringen. Das durfte Thom nicht zulassen.
Seit ungefähr einem Jahr – besonders seit Wrens letztem Geburtstag – hatte sich Wrens Verhalten geändert. Er hatte angefangen, mit Thom zu flirten. Und er hatte damit Erfolg. Thom fiel es zunehmend schwer, ihn zu ignorieren.
Er konnte nicht sagen, ob Wren es ernst meinte, ob er ihn nur provozieren wollte – wie er es mit jedem machte – oder ob er herausfinden wollte, welche Wirkung er auf Thom hatte.
Und diese Wirkung ließ sich nicht leugnen.
Thom suchte verzweifelt nach einer Entschuldigung, sich Wrens Blick zu entziehen. Er hörte Wasser rauschen und drehte sich nach dem Geräusch um. »Oh, das ist mein Bad«, sagte Wren, drehte sich ebenfalls um und schlenderte zum Badezimmer. Er schob dabei den Daumen in den Bund seiner Shorts, um sie auszuziehen.
Verdammt. Thom starrte an die Wand.
»Ich werde alles Nötige veranlassen, Eure Hoheit«, sagte er und verbeugte sich hinter Wrens Rücken.
Er hatte Wren schon oft nackt gesehen. Bei seinem Job ließ sich das nicht vermeiden. Aber seit einem Jahr kam es ihm vor, als würden zwischen ihnen die Funken sprühen. Aus dem Jungen, den Thom so lange gekannt hatte, war ein Mann geworden. Es waren nicht nur das Alter und der muskulöse Körper, den Wren seinem Training verdankte. Es war auch sein Verhalten, das sich geändert hatte und reifer geworden war.
Der jüngere Wren hätte einen Wutausbruch bekommen und sich geweigert, am Unterricht teilzunehmen und mehr über die Rosenzucht zu lernen. Jetzt war das anders. Er war immer noch frustriert über die Lehrer und den Palast, aber er wollte lernen. Er wollte Verantwortung übernehmen und das Richtige für sein Land tun.
Und ich muss mir daran ein Beispiel nehmen und auch das Richtige tun, rief sich Thom in Erinnerung. Er atmete tief durch, drehte sich auf dem Absatz um und ging.
Man sollte annehmen, dass sein Job ihn zum glücklichsten Mann Rosavias machte. Thom kannte sich mit Öffentlichkeitsarbeit aus und hatte ein gutes Verhältnis zur Presse. Es war nur allzu offensichtlich, dass der jüngste Spross des Königshauses jetzt erwachsen und auf dem besten Weg war, in die Fußstapfen seiner Brüder zu treten und ein Sexsymbol zu werden. Thom fühlte sich dadurch irritiert. Er war sogar regelrecht frustriert.
Aber das würde er niemals zugeben.
Er durfte sich keine Freiheiten herausnehmen. Selbst ein harmloser Kuss auf die Wange ging schon zu weit. Es wäre ein Vertrauensbruch.
Trotzdem hätte er sich am liebsten vor dem Prinzen aufgebaut und ihn zurechtgewiesen. Er war sich sogar ziemlich sicher, dass Wren sich danach sehnte. Es war eine berauschende Vorstellung, aber Thom schämte sich dafür.
Wren war ein unverbesserlicher kleiner Rotzbengel, der genau wusste, was er mit Thom anstellte, wenn er sich vor ihm auszog oder ihn nach Sexshops fragte. Irgendjemand musste ihn einfach an die Hand nehmen. Aber dieser Jemand war nicht Thom. Aus vielen – bedauerlichen – Gründen nicht.
Vermutlich lag Wrens Verhalten nur an den Hormonen und würde sich wieder legen. Wren hatte noch nie Sex gehabt, obwohl er im Laufe des Jahres einige Male ausgegangen war. Er sehnte sich nach mehr, hatte sich aber noch nie die Mühe gemacht, es zu suchen und zu finden. Und wenn er Thom wieder um Rat bat, würde Thom ihn geben, auch wenn es ihn um den Verstand brachte. Thom wusste, was Wren brauchte. Er hatte es schon immer gewusst.
Es war ganz einfach: Wren provozierte und weigerte sich, die Erwartungen zu erfüllen, die in ihn gesetzt wurden. Aber innerlich sehnte sich der Prinz nach Halt und festen Grenzen, auch wenn ihm das nicht immer bewusst sein mochte. Und, dass er auf ältere Männer stand, war nicht zu übersehen.
Der Prinz würde irgendwann mit einem seiner vielen königlichen Cousins ausgehen und vielleicht ein kurzes Verhältnis haben. Und dann, nach einiger Zeit, würde er feststellen, dass er – Titel hin oder her – ein frecher Rotzbengel war, der sich nach der festen Hand eines Daddys sehnte, die ihn zügelte.
Und wehe, wenn dieser Mann sich nicht gut um den jungen Prinzen kümmerte. Thom würde ihm jeden einzelnen Knochen im Leib brechen. Wenn er etwas hasste, dann waren das schlechte Doms.
Thom marschierte auf direktem Weg in sein Büro, schloss hinter sich die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Er fuhr sich mit der Hand über den harten Schwanz, der sich in der Hose abzeichnete, drückte leicht zu und schloss die Augen.
Im Büro war es still. Nur der kleine Springbrunnen auf Thoms Schreibtisch plätscherte leise vor sich hin. Thom holte tief Luft. Jetzt waren nicht die Zeit und der Ort, um sich seinen Fantasien hinzugeben.
Das war eine Grenze, die er nicht überschreiten durfte.
Später, versprach er sich schuldbewusst. Seine Gedanken und Fantasien gehörten ihm. Niemand musste erfahren, was in seinem Kopf vor sich ging. Niemand musste erfahren, wie sehr er sich nach Wrens Hingabe sehnte.
Niemand musste davon erfahren, solange er sich klare Prioritäten setzte und seine Pflichten erfüllte. Solange er dem Prinzen, der königlichen Familie und seinem Land diente. Das musste für ihn an erster Stelle stehen.
Nur das. Immer.
Wren
Draußen war es noch fast dunkel. Von Sonnenaufgang zu sprechen, wäre jedenfalls verfrüht gewesen. Wren grummelte vor sich hin, als er die Bettdecke zurückschlug.
Pierce hatte darauf bestanden, dass es so früh sein müsste. Er hatte Wren nicht widersprochen, war nicht laut geworden und hatte ihm auch keinen Befehl erteilt. Er hatte den Termin einfach in Wrens Kalender eingetragen und Wren hatte ihm dabei zugesehen.
Es fiel ihm schwer, nicht im Bett liegen zu bleiben und mit Ladysmith zu kuscheln. Ladysmith war die schwarze Katze aus dem Tierheim, von der Wren adoptiert worden war. Sie schlief manchmal bei ihm im Bett. Ihre Lieblingsbeschäftigung war es, sich im Palast auf die Suche nach dem maximalen Chaos und Lärm zu machen. Anders ausgedrückt: Sie versuchte ständig, sich in die Küche zu schleichen. Ladysmith war eine der ersten Katzen, die er aus dem Tierheim gerettet und mit in den Palast gebracht hatte.
Er kraulte sie hinter den Ohren und schob sie zur Seite. Sie schnappte nach seiner Hand.
Wren schmollte. »Wie gemein«, sagte er und stand schnell auf, um ihren Klauen zu entkommen.
»Uff. Was soll ich…« Er verstummte, als er ins Ankleidezimmer kam. An dem Haken an der Wand hing eine neue Hose. Sie sah bequem und strapazierfähig aus, ganz anders als seine üblichen Jeans.
Wren musste lachen. Natürlich. Natürlich hatte Pierce schon gewusst, dass er keine passende Kleidung hatte, um den Tag im Rosengarten zu verbringen, wo er der Gärtnermeisterin bei der Arbeit zusehen und ihr helfen sollte.
Er entschied sich für eine enge Unterhose, damit alles an Ort und Stelle blieb, wenn er auf dem Boden kniete und in der Erde wühlte. Dann zog er sich die neue Hose an und knöpfte sie zu. Obwohl er in den letzten Monaten einiges an Muskeln zugelegt hatte, passte sie perfekt.
Uff. Der Gedanke, dass Pierce so genau über seinen Körper informiert war – ihn also genau beobachten musste –, trieb ihn in den Wahnsinn. Vermutlich war Pierce über alles informiert, worüber man informiert sein konnte. Bis auf eines. Nämlich, dass Wren sich bis über beide Ohren in ihn verknallt hatte.
Es war unmöglich, von dem Mann nicht fasziniert zu sein. Aber je mehr Wren ihn neckte, umso mehr hielt Pierce sich an sein verdammtes Protokoll. Was wiederum dazu führte, dass Wren sich noch mehr Mühe gab, diese unerschütterliche Mauer des Anstands niederzureißen, mit der Pierce sich umgab.
Er wedelte sich mit einer Socke Luft zu, als er sich vorstellte, wie das Gesicht von Pierce aussehen würde, wenn er ausnahmsweise Gefühle zeigen würde. Leidenschaft vielleicht. Begehren. Wren nahm sich fest vor, es eines Tages herauszufinden.
Oh. Wenn man an den Teufel denkt, klopft er prompt an die Tür. Er erkannte das typische Klopfen von Pierce. Es überraschte ihn nicht, denn die anderen Bediensteten würden nicht damit rechnen, dass Wren so früh schon wach war.
Wren war dem Mann dankbar, dass er sein Versprechen hielt und ihm dabei half, sich in seine neuen Pflichten einzuarbeiten. Sie waren nicht so bedeutend wie die Pflichten seiner Brüder, die sich um neue politische Allianzen bemühten oder so. Aber Pierce nahm ihn deswegen nicht weniger ernst.
»Komm rein, Thom«, rief er, immer noch verschlafen und nur halb bekleidet.
»Eure Hoheit«, begrüßte ihn Pierce kurz darauf von der Tür zum Ankleidezimmer. Er stand direkt auf der Schwelle – eine wohldurchdachte Entscheidung, um nicht in die Privatsphäre des Prinzen einzudringen.
Wren winkte ihn herein. »Welches Hemd? Das mit dem Blumenmuster? Damit man sieht, dass ich… mich für Blumen interessiere? Dass ich ein verwöhnter Grünschnabel bin, von dem man nicht allzu viel erwarten kann?«
Schließlich war er in der Schule schon ein Versager gewesen und die letzten Monate waren auch nicht viel besser gelaufen. Er konnte sich kaum daran erinnern, was ihm seine Lehrer einzutrichtern versucht hatten. Sobald er auch nur den Hauch von Frustration in ihren Gesichtern erkannt hatte, war seine Unsicherheit wieder zum Vorschein gekommen und hatte ihn daran erinnert, wie unbegabt und unfähig er war.
Die Gärtnermeisterin des Palasts hatte schon vor seiner Geburt hier gearbeitet. Wie konnte er so arrogant sein, ihr Anweisungen zu erteilen? Er hatte weder die Ausbildung noch die Erfahrung dazu.
Aber offensichtlich wurde das von ihm erwartet. Er musste sich auf Pierce verlassen und sich seiner Führung anvertrauen, wenn er sie nicht beleidigen wollte.
Pierce' Mundwinkel zuckten amüsiert. »Ich würde Ihnen zu diesem Hemd raten«, sagte er und griff an Wren vorbei in den Schrank. Sein Arm hätte Wren beinahe berührt, aber er war zu sehr Profi, um das zuzulassen.
Wren fühlte die Nähe, als Pierce den Kleiderbügel von der Kleiderstange nahm. Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, dann drehte Pierce sich wieder um und trat einen Schritt zurück. Es war ein großer Schritt, aber er war nicht groß genug, um beleidigend zu sein.
Wren atmete zischend aus und betrachtete das Hemd, das Pierce sich vor seinen schlanken, muskulösen Körper hielt. Er war etwas kräftiger und fünf oder sechs Zentimeter größer als Wren. Genau, wie Wren es liebte. Oder… Mist. Es war eigentlich eher so, dass Wren Männer liebte, die Thom ähnlich sahen.
»Sicher«, murmelte er abgelenkt und drehte sich um, während Pierce das Hemd vom Bügel nahm. Dann streckte er wortlos die Arme aus und hielt still, damit Pierce es ihm anziehen konnte.
Es war eines seiner ältesten, einfachsten Hemden und das schlampigste Hemd, das er besaß, weil in seinem Schrank nichts erlaubt war, was Flecken oder Risse aufwies. Es wäre einfach verschwunden.
»Das macht klar, dass Sie keine Angst davor haben, sich schmutzig zu machen.« Thom fuhr ihm mit den Daumen über den Rücken und zog das Hemd glatt.
Wren schaute in den Spiegel. Er konnte den Blick nicht mehr abwenden, als er Thom hinter sich stehen sah. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken und für einen kurzen Moment stockte ihm der Atem.
Am liebsten würde ich mich mit dir schmutzig machen. Wren schluckte. Sein Puls fing an zu rasen, als er Pierce' Hand auf dem Rücken spürte. Sein Schwanz reagierte ebenfalls und die Beule in der Unterhose ließ sich nicht mehr verbergen.
Wren konnte nicht sagen, wann genau es passierte, aber zwischen ihnen öffnete sich eine Tür, die sich nicht mehr schließen ließ. Und jetzt, nachdem Wren sich dessen bewusst war, gewann jede noch so kleine Handlung plötzlich an Bedeutung.
Sie hatten in den letzten Monaten kein Wort über die Spannung verloren, die zwischen ihnen in der Luft lag. Sie hatten sogar alles getan, um sie sich nicht anmerken zu lassen.
Und sie hatten vermieden, sich in die Augen zu sehen. So wie jetzt. Bis jetzt. Wren war wie gelähmt von Thoms Blick. Thom legte ihm so leicht die Hände auf die Schultern, dass Wren sie zwar im Spiegel sehen, aber kaum fühlen konnte, als sie ihm das Hemd gerade zogen.
Er sehnte sich danach, die starken Hände zu spüren.
Thom neigte nur den Kopf und trat einen Schritt zurück. Dann verließ er den Raum und schloss leise hinter sich die Tür. Seine Professionalität brachte Wren ins Wanken. Hatte er sich nur eingebildet, was eben geschehen war?
Nein, das war unmöglich. Sein Blut rauschte immer noch gen Süden.
Wren konnte es kaum aushalten, dass er seine Gefühle für Thom nicht zum Ausdruck bringen durfte. Ihn zu necken, war die eine Sache. Ihn aber zu bitten, das Begehren zu stillen, das ihm durch die Adern schoss? Das war eine ganz andere. Das war ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Er war so frustriert wie nie zuvor. Ihm war zum ersten Mal aufgefallen, wie gut sein Körper zu Thoms passte. Sie waren zum ersten Mal ganz allein gewesen, in dem kleinen Raum, vor dem Spiegel stehend und so früh am Morgen, dass der Rest des Palasts noch schlief.
Ob ich noch Zeit habe, das Problem zu lösen, bevor er es merkt? Wren schüttelte schnell den Kopf, bevor er den Gedanken zu Ende bringen konnte. Nein.
Die Vorstellung, dass Thom ganz genau wusste, was er auf der anderen Seite der Tür trieb? Er wurde von einer merkwürdigen Erregung gepackt, die er sich selbst nicht recht erklären konnte. Vor Scham lief er feuerrot an.
Guter Gott, es ist nicht auszuhalten… Wren kniff sich ins Bein und knöpfte das Hemd zu. Jetzt musste er erst diesen Tag hinter sich bringen. Dann, wenn er wieder allein war, konnte er in Ruhe darüber nachdenken, was mit ihm los war.
Um sich abzulenken, rief er sich die rudimentären Fakten über Bodenarten und Pflanzenschädlinge ins Gedächtnis zurück, an die er sich noch erinnern konnte. Es funktionierte. Als er sich angezogen hatte, passte auch die Hose wieder.
Wren ging ins Wohnzimmer zurück, wo Pierce auf ihn wartete. Pierce verbeugte sich leicht und ging zur Tür, um ihn in die Rosengärten zu begleiten.
Auf ihrem Weg durch den Gang hörten sie das Klirren von Geschirr und laute Stimmen. Waren das die Diener, die das Frühstück vorbereiteten? Und wenn ja, für wen? Wren war um diese Zeit normalerweise noch nicht auf den Beinen und wusste deshalb nicht, wer es sein könnte.