Rück - Angelika Nickel - E-Book

Rück E-Book

Angelika Nickel

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Beschreibung

… eigentlich ein Weihnachtsmärchen (oder gar ein Weihnachtswunder?) Von seinem Vater verstoßen, zieht sich Jo immer mehr zurück. Sein Lieblingsort, an dem er sich einigermaßen sicher und geborgen fühlt, ist der Dachboden. Still leidet der Junge vor sich hin. Rück, der Seelen-Leider, dessen Aufgabe es ist, leidenden Kindern zu helfen, macht es sich, zusammen mit Tannbaum Blau und Sternschnuppe, zur Aufgabe, dem Jungen zu helfen. In einer phantastischen Wunderlandwelt findet Jo zu seiner Unbeschwertheit und seinem Vater, zurück. Bis dahin jedoch ist ein weiter Weg. Für alle. Sogar die Hilfe des Weihnachtsmannes ist hierfür vonnöten.

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Seitenzahl: 97

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Angelika Nickel

Rück

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1 - Rück

2 - Sternschnuppe

3 – Rübe, der Elf

4 – Hinter der Himmelspforte

5 – Kleiner Jo

6 – Der Dachboden

7 – Mirko

8 – Ein Weihnachtsbaum

9 – Zauberhafter Glanz

10 – Alleine

11 – Das fremde Mädchen

12 – Erste Veränderungen

13 – Sternentanz

14 – Weihnachtswunder

15 – Der Schreihals

16 – Schneemann Werner Frostbeulchen

17 – Die Doppelgänger

18 – Glücklich und unbeschwert sein

19 – Zusammengeführt

gewidmet

geschrieben

Autor

Impressum neobooks

1 - Rück

Die Pfote ruhte auf seinem Kopf. Es war, als konnte das Tier all das Leid, das vorherrschte, nicht länger ertragen.

Der alte Mann stützte sich auf seinen Stock. Schwerfällig lief er zum Feuer, und bückte sich nach einem Holzscheit, mit dem er das sterbende Feuer aufs Neue antrieb, den kleinen Raum mit Wärme zu durchfluten.

Tannbaum Blau war alt. Sehr alt sogar. Niemand wusste recht zu sagen, wie alt er war. Er selbst verschwieg es. Musste er sogar. Hätte er sein wahres Alter verraten, hätten ihn die Leute entweder für einen Narren oder aber für das, was er war, gehalten, nämlich für einen Mann des Zauberhaften.

Nein, Tannbaum war kein Zauberer. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinne.

Der alte Mann war ein Hüter. Der Hüter Rücks.

Seelenleid zu spüren und aufzufinden, war die Aufgabe der beiden.

Da es recht viel davon in der Welt gab, hatte weder Tannbaum Blau noch Rück allzu viel Zeit, sich auszuruhen.

Die kurze Zeit, die ihnen blieb, verbrachten die Zwei meist damit, vor dem Feuer zu hocken und sich zu wärmen.

Gequälte Seelen sendeten eine Kälte aus, die beide frieren ließ, so dass sie immer bestrebt waren, ihre Körper aufzuwärmen, in der wenigen freien Zeit, die sie hatten.

Tannbaum zog den verschrammten Sessel näher an das Feuer heran. Einige der Steine, die um das Feuer herum lagen und darauf achteten, dass die Flammen nicht zu übermütig wurden und auch nicht aus dem Steinkreis heraustanzten, waren aschenschwarz. Jeden Morgen war der Mann damit beschäftigt, auf den Knien einher rutschend, die Steine von der Asche zu säubern und sie blank zu schrubben, um dass sie abends gleich wieder von Asche übersät waren.

Mit dem Fuß schob der Alte den Hocker zu sich und legte beide Füße darauf. In seinen grünen Socken war ein Loch. Im rechten. Der Fußnagel guckte, wie neugierig daraus hervor, und wärmte sich am knisternden Feuer.

Aus Tannbaums Pfeife kam Rauch. Er hatte sie soeben entzündet. Die Pfeife im Mundwinkel, lehnte er sich zurück. Doch in seinem Gesicht lag keine Entspannung. Seine Miene war angespannt. Er lehnte sich zu dem Tier hinunter, das sich neben seinen Sessel gelegt hatte, und strich ihm über den Kopf. »Nicht mehr lange und es ist wieder so weit. Spürst du es auch schon?«, fragte er das Tier.

Der schwarze Kopf hob sich zu dem Alten hin. Leidend war der Blick des Tieres. Auch das Tier spürte das Leid bereits.

Doch bis auf ein paar Wenige, war nur Tannbaum in der Lage, an ihm die Veränderung wahrzunehmen und zu erkennen.

Je näher das Leid dem Tier kam, umso mehr veränderte es sich. Das Leid, es kam näher und legte sich um es herum, bis Rück vollends davon eingesponnen war. Er musste es spüren, dieses Leiden. Nur auf diese Weise war Rück in der Lage, dem Leidenden zu helfen. Es waren immer Kinder, die Rücks Hilfe bedurften. Das allerdings wussten auch nur einige Auserwählte.

Das Tier, wie ein Hund sah es aus. Struppiges schwarzes Fell, an einigen Stellen schimmerte es braun. Mit weißen Streifen war es durchzogen. Doch bei genauem Hinsehen erkannte man, dass das Weiß eigentlich grau war. Grau, von dem vielen Leid, welches der Hund in all den Jahren schon erlebt und gelitten hatte.

Je tiefer das Leid saß, um so ausgezehrter kam Rück daher. Mitunter konnte er sich nur schleppend fortbewegen. Er brauchte das leidende Kind, um wieder auf die Beine zu kommen. Das Kind und er, wie eine kleine Einheit waren sie miteinander verbunden, bis Rück das Kind aus seinem Leid befreit und geheilt hatte. Erst dann konnte der Hund wieder von dannen ziehen, sich neben das Feuer in Tannbaums bescheidener Hütte legen, und darauf warten, dass wieder ein Kind in Not war und seine Hilfe brauchte.

Heute war es wieder soweit. Nicht mehr allzu lange und ihn würde der Schmerz wie eine Feuersbrunst durchziehen und ihn von Tannbaum fortzugehen, zwingen. Oftmals begleitete der Mann das Tier auch, war er letztendlich der Wächter des Seelenhundes, wie er Rück im Stillen für sich nannte.

»Ach, Rück«, stöhnte er, »warum muss es nur all dieses Leid geben?« Er zwang seinen Blick hin zu seiner Uhr. Auch die war etwas Besonderes. Nicht auf den ersten Blick. Nein, das wäre zu verräterisch, zumal sich ab und an, Wanderer in die kleine Hütte verirrten, und die durften nicht wissen, wer der alte Mann war. Von daher war auch die Uhr nicht auf den ersten Augenblick als das zu erkennen, was sie war: Eine Uhr, die zwar die Zeit aufwies, aber auch das Leid aufzeigte. Je dunkler sich ihre Farbe färbte, desto näher kam das Leid auf Rück zu.

»Einen Tag vor Heiligabend, Rück.« Der Mann hob dem Hund einen Knochen hin. »Du solltest dich stärken. Nicht mehr lange, und wir müssen wieder los.« Kopfschüttelnd, murmelte er: »Ausgerechnet auch noch zur Weihnachtszeit. Das dürfte es nicht geben. Schon gar nicht, im Monat des Fests der Liebe und des Friedens.«

Rück nahm den Knochen und zernagte ihn. Zuerst zog er das anhaftende Fleisch davon ab.

2 - Sternschnuppe

Es war fast nicht zu hören, das sachte Klopfen an der Tür.

Rücks Ohren stellten sich auf, und Tannbaum Blau erhob sich aus dem Sessel. Mit der einen Hand stützte er sich auf seinen Stock auf. Er schlurfte zur Tür und öffnete sie. »Sternschnuppe, habe mir schon gedacht, dass es nicht mehr lange braucht, bis du an unsere Tür klopfst«, begrüßte er das Mädchen, das draußen vor der Tür stand.

»Guten Abend, Tannbaum«, erwiderte das Mädchen seinen Gruß, und lief an ihm vorbei, hinein in die Hütte. »Hallo, Rück. Es ist wieder so weit. Du musst einem Kind helfen«, sagte das Mädchen traurig und hockte sich neben dem Hund auf den Boden.

Rück leckte dem Mädchen über die nackten Füße; danach nagte er weiter an seinem Knochen.

»Stärke dich, Rück. Lass dir Zeit damit. Es reicht, wenn wir bis Mitternacht aufbrechen«, sagte das Mädchen zu dem Tier.

»Sternschnuppe, möchtest du einen Tee?«, fragte der alte Mann.

Das Mädchen nickte, und der Alte ging und holte einen Becher.

Über dem Feuer hing ein kupferner Kessel, daraus schenkte er Tee in den Becher für das Mädchen ein, und reichte ihn ihr.

Dankend nahm sie den Becher an und trank auch gleich daraus. »Diese Nacht ist zwar nicht sonderlich kalt, dennoch friert es mich«, sagte sie, und wärmte an dem Becher ihre zierlichen Hände.

Der Alte nickte. »Ich weiß, Sternschnuppe, auch du leidest mit den Kindern mit, und das lässt dir kalt werden.« Mit den Händen stützte er sich an den hölzernen Sessel-Knäufen ab und ließ sich in den Sessel hineinfallen.

Sternschnuppe langte zu einem der Feuersteine hin, auf dem Tannbaum die Pfeife abgelegt hatte, und reichte sie ihm.

»Danke«, murmelte er und legte sich die Pfeife zwischen die Lippen.

»Morgen ist Weihnachten«, flüsterte Sternschnuppe.

Der alte Mann nickte, und Rück knurrte.

»Es ist traurig, dass die Menschen selbst in dieser Zeit, keine Rücksicht nehmen. Wie kann man nur ein Kind dermaßen leiden lassen?« Traurig legten sich seine Augen in Sternschnuppes Blick.

»Ich weiß es nicht«, sagte sie leise. »Niemand sollte irgendwen leiden lassen oder Schmerzen zufügen.«

»Ja, da hast du Recht.« Er strich sich übers Kinn. »Doch leider ist dem nicht so.«

Sternschnuppe stand auf. »Darf ich mir nachschenken?«, fragte sie, und wartete die Antwort des alten Mannes ab.

»Sicher, bedien‘ dich nur«, antwortete er, und zeigte mit der Hand zum Kessel hin. »Es ist genügend da.«

Um Sternschnuppes Mund lag ein Lächeln, als sie zum Feuer hin lief.

Mit jedem Schritt, den sie machte, verlor sie kleine Sterne, die ihren Weg hinter ihr säumten.

»Ich weiß, dass dein Tee dir niemals ausgeht«, sagte sie leise, während sie sich den Becher neu auffüllte.

»Sicher weißt du das«, bestätigte der alte Mann. »Doch du weißt auch, dass das unser Geheimnis bleiben muss«, erinnerte er sie.

»Alles, was wir tun, muss unser Geheimnis bleiben«, antwortete sie daraufhin und setzte sich wieder neben Rück.

Die auf dem Boden liegenden Sterne waren wieder verschwunden. Sie hatten sich wieder an Sternschnuppes Füße zurückgezogen, wohin sie auch gehörten.

»Wie lange ist es her, seit du das letzte Mal an meine Tür geklopft hast?«, fragte der Mann. Den Kopf angelehnt an die hohe Rückenlehne des Sessels, die Augen geschlossen, und an der Pfeife schmatzend, saß er da. Er wollte die wenige Zeit der Ruhe, die sie noch hatten, in Stille genießen. Keiner von ihnen wusste im Vorneherein zu sagen, wie lange Zeit sie eine Mission in Anspruch nehmen würde. Manchmal ging es recht schnell, doch es kam auch vor, dass es langwierig war, ein Kind von seinem Leid zu heilen. Wenn es nur die Kinder wären, die zu heilen waren, wäre es eine ziemlich einfache Aufgabe gewesen. Doch da sie sich auch gleichzeitig dem Verursacher des Leids annehmen mussten, meist tat dies Tannbaum, war es schon vorgekommen, dass sie viele Monate zu tun hatten, an nur einem Fall.

»Was nutzt mir all mein Können, Sternchen«, Sternchen nannte er das Mädchen oft, meist dann, wenn er in sich ging und nachdachte, »wenn es mir doch nicht gelingt, all das Elend aus der Welt zu entfernen?«

»Hör doch auf, Tannbaum, dich zu grämen.« Das Mädchen sah zu ihm auf; hockte sie doch bereits wieder neben Rück. »Wir können nicht das Leid der Menschheit auf unsere Schultern packen«, sagte sie, und auch ihre Stimme klang traurig. »Dennoch haben wir doch das Wissen, dass es uns zumindest gelingt, ein paar Wenige, die unserer Hilfe bedurften, erlöst zu haben, von ihrem Leid. Und wir werden es weiterhin tun.« Sie tätschelte die Hand des Mannes. »Wir werden auch in Zukunft Kindern helfen.« Ein aufmunterndes Lächeln legte sich um ihren Mund und spiegelte sich auch in ihren Augen, als sie Tannbaum zuversichtlich zunickte.

»Ich weiß. Dennoch: Warum können wir nicht das gesamte Leid aus der Welt verbannen?«

»Das fragst du mich, Tannbaum. Du kennst doch die Antwort darauf selbst.«

Traurig war die Gebärde des alten Mannes, als er nur stumm nickte.

»Niemand ist in der Lage, all das Leiden von der Menschheit zu nehmen. Und dennoch, Tannbaum, genau wie ich, weißt auch du, dass es immer wieder Wunder gibt.«

Rück hatte seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt und sie streichelte über sein Fell, als sie weitersprach: »Und für einige der gequälten Kinder, sind wir das Wunder. Das tut doch auch gut, Tannbaum, das zu wissen«, versuchte sie, den alten Mann zu trösten.

»Es gäbe mir ein noch besseres Gefühl, könnte ich allen helfen.« Das Stöhnen, das sich zwischen seinen Lippen aus seinem Mund herausquetschte, von endloser Qual war es gezeichnet.