Christmas Eve - Angelika Nickel - E-Book

Christmas Eve E-Book

Angelika Nickel

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Beschreibung

Um sich mit dem Tod ihres Verlobten auseinanderzusetzen, begibt sich Laura Mac Allister, zusammen mit ihrem Husky Vivaldi, auf eine Reise mit unbekanntem Ziel. Ihr Weg führt sie in eine verlassene Filmstadt, in der die junge Frau ein Tagebuch findet, das sie kurzentschlossen mit sich nimmt. Auf Grund eines immer stärker werdenden Schneesturms ist sie gezwungen, ihre Reise zu unterbrechen und sich in einem Haus einzumieten, um das sich die Gerüchte ranken. Einem Haus, in dem das Böse bei Nacht erwacht. Auch wenn sie anfänglich dem Ganzen keinen Glauben schenkt, sieht sich Laura von heute auf morgen der Gefahr ausgesetzt, die es zu besiegen gilt, will sie überleben. Zusammen mit einigen Bewohnern von Lonesomevillage nimmt sie den Kampf gegen das Böse auf; und das, kurz vor Christmas Eve. Christmas Eve, der Tag, an dem sich alles entscheiden soll.

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Seitenzahl: 293

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Angelika Nickel

Christmas Eve

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1 Abschied

2 Das einsame Haus

3 Schneegestöber

4 Der Fleck

5 Spuren der Nacht

6 Das kleine Dorf

7 Omas Wollstube

9 Fliegen

10 Christmas Eve

11 Das Phantom

12 Seufzen in der Nacht

13 Die Verlegung

14 Abraham

15 Gerüchte

16 Tom Russel

17 Sumpf des Unheils

18 Die ersten Anzeichen

19 Die Panne

20 Unwillkommene Gäste

21 Der Morgen danach

22 Ein Mörder in natura

23 Wie im Krimi

24 Erste Zeichen von Mary

25 Rufus’ erste Nacht im verbotenen Haus

26 Mitternacht, die Suche beginnt

27 Arobas

28 Unsichtbare Augen

29 Marys Baby

30 Erzählungen

31 Erwachen des Bösen

32 Poltergeister?

33 Die zweite Nacht

34 Emmas Angst

35 Rauchschwaden

36 Arobas erscheint

37 Busters Zeit ist gekommen

38 Wütendes Treiben

39 Angst

40 Die Seelen der Guten

41 Sehnsüchte

42 Mitstreiter

43 Humbug und Scharlatanerie

44 Viel geschieht um Mitternacht

45 Einlass des Bösen

46 Eine Schneekugel über dem

Herrenhaus

47 Mary und Arobas

48 Eingeschlossen

49 Zwei Seelen in einem Körper

50 Todeskampf in der Heiligen Nacht

51 Weihnachten mit Happy End

In Memoriam

Quellenverzeichnis

Anmerkung

Autor

Impressum

1 Abschied

Der Schneesturm wurde immer heftiger.

Laura Mac Allister zog den Schal fester um ihren Hals, stellte den Mantelkragen hoch, und sah sich noch einmal um.

„Bye, Frank. Ich werde dich nie vergessen“, flüsterte sie, mit einem letzten Blick auf Franks Grab.

Frank, der vor drei Monaten noch lachend neben ihr gesessen, zusammen mit ihr gemeinsame Pläne geschmiedet hatte.

Frank, der zur falschen Zeit am falschen Platz war. Frank, der in die Schusslinie zwischen Täter und Polizei geraten war, am Tag des Banküberfalls in der kleinen Filiale der Golden Four Bank. Frank, der dabei von der Kugel des Bankräubers tödlich getroffen worden war.

Frank, Lauras Verlobter, ohne den sie sich ein Leben gar nicht hatte vorstellen können. Frank, den sie seit ihren Kindertagen gekannt, mit dem sie bereits im Sandkasten gespielt hatte, gemeinsam zur Schule gegangen war, und bis vor Kurzem auch gemeinsam studiert gehabt hatte.

Anwälte hatten sie werden, gemeinsam eine Anwaltskanzlei eröffnen wollen. Frank, dessen Ziel es gewesen war, ein neuzeitlicher Robin Hood zu sein. Dessen erstrebtes Ziel es war, Unschuldige solange zu verteidigen, bis ihre Unschuld auch erwiesen war.

Laura wischte die Tränen ab. Sie durfte sich nicht in gestorbene Träume fallen lassen, sie musste ihr Leben neu in den Griff bekommen. An der Uni hatte sie sich eine Auszeit von einem Jahr genommen, zum Leidwesen von Professor Andergast, der in Laura eine angehende Staranwältin, mit glänzender Karriere sah.

Laura fegte den Schnee von ihrem Jeep Chrysler und fuhr nach Hause.

Kaum dass sie die Tür öffnete, hörte sie auch schon ihre Mutter rufen: „Laura, Liebes, bist du das?“

Noch bevor Laura antworten konnte, kam freudig bellend Vivaldi, ihr elf Monate alter Husky, angesprungen. Vivaldi, den Frank ihr eines Tages mitgebracht hatte. Vivaldi, mit dem sie so viele gemeinsame Ausflüge gemacht hatten, und dem es am besten am Strand von New Hampshire gefiel.

„Laura, du solltest nicht immer zum Friedhof gehen. Das bringt Frank auch nicht mehr zurück.“ Irma Mac Allister sah ihre Tochter besorgt an.

„Ist schon gut, Mom. Ich komme darüber hinweg. Irgendwie … Eines Tages.“ Laura sah ihre Mutter mit ihren großen braunen Augen an. „Ich fahre gleich.“

„Hast du dir das auch ganz genau überlegt? Laura, du bist erst fünfundzwanzig, du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Und die Uni, warum …“

„Mom, ich habe mein Studium nicht geschmissen. Ich habe mir lediglich ein Jahr Auszeit genommen. Ich muss zur Ruhe kommen. Mein Leben neu sortieren. Alle meine bisherigen Pläne, sie waren alle zusammen mit Frank geplant.“ Sie wischte die neuaufkommenden Tränen weg. „Nun bin ich alleine. Jetzt muss ich alles neu überdenken, neu ordnen.“

„Was gibt es da zu bedenken, Laura? Du wolltest immer studieren, Anwältin werden. Das war dein großer Traum. Hast du das völlig vergessen?“

„Nein, Mom, das habe ich nicht. Und dennoch brauche ich jetzt Zeit, einfach nur für mich.“ Sie strich Vivaldi übers Fell. „Wärst du bitte so gut und würdest in meiner Wohnung nach dem Rechten sehen? Und die Pflanzen gießen.“

„Sicher, aber … Laura, überleg‘ es dir doch noch einmal. Du weißt, in diesem Haus ist immer ein Zimmer für dich frei.“

„Ja, ich weiß. Danke, Mom.“ Sie ging in die Küche, schenkte sich einen Kaffee ein und setzte sich an den Tisch. Vivaldi folgte ihr, um gleich danach wieder davon zu trotten.

„Vivaldi nehme ich mit, um den brauchst du dich nicht zu kümmern.“

„Du nimmst ihn mit? Weißt du überhaupt schon, wohin du willst? Und ob dort Hunde erlaubt sind? Laura, du weißt, nicht jeder erlaubt die Haltung eines Haustiers. Und Vivaldi ist auch nicht gerade als klein und zierlich zu bezeichnen.“

„Mom, er ist ein Husky. Huskies sind keine Rasse, die dazu geboren sind, klein und zierlich zu bleiben.“ Laura stand auf, pfiff Vivaldi zu sich, anschließend verabschiedete sie sich von ihrer Mutter.

„Fährst du noch in deine Wohnung?“

„Nein, ich habe meine Koffer bereits gepackt. Alles schon im Wagen verstaut.“ Sie umarmte ihre Mutter. „Mach‘ dir keine Sorgen um mich. Ich weiß schon, was ich tue. Außerdem bin ich nicht allein. Ich habe Vivaldi bei mir.“

„Laura, es ist bald Weihnachten …“

Laura schüttelte den Kopf. Leise, sagte sie: „Nein, Mom, dieses Weihnachten werde ich alleine verbringen.“

„Ruf an, bitte, Laura, versprich mir, dass du anrufst.“

„Ja, wenn ich mich danach fühle. Aber vorerst rechne nicht damit. Ich muss einfach zu mir selbst wiederfinden, und dabei muss ich alleine sein. Versteh’ das doch bitte, Mom.“

„Ich versuch' ’s. Versprochen.“

Laura lächelte ihrer Mutter noch einmal zu, dann verließ sie das elterliche Heim, in dem sie so viele Jahre ihres Lebens verbracht hatte, bis sie sich, zusammen mit Frank, eine große Drei-Zimmer-Wohnung genommen hatte. Eine Wohnung, in der sie an jeder Ecke Franks Nähe zu spüren glaubte. Eine Wohnung, in die sie zurzeit nicht zurück wollte.

Sie öffnete die Hecklade und Vivaldi sprang hinein, gleich danach fuhr sie los, mit unbekanntem Ziel. Sie wollte sich einfach überraschen lassen, wohin ihr Weg sie führen, zu welch‘ neuen Erkenntnissen sie kommen würde.

Irma Mac Allister sah ihr nach, bis sie mit ihrem zitronengelben Jeep an der Straßenecke rechts abbog, und sie ihre Tochter nicht mehr sehen konnte.

2 Das einsame Haus

Laura pausierte drei Tage in Salem. In einer spärlichen Dorfgaststätte mietete sie sich für diese drei Tage ein Zimmer. Vivaldi war kein weiteres Problem, da der Besitzer der Gaststätte nebenbei noch Hundezüchter war, und es ihn von daher nicht störte, dass sie einen Husky mit auf ihr Zimmer nahm.

„Er darf nur die anderen Gäste nicht belästigen, Mam“, erklärte er ihr, doch damit war für ihn das Thema Hund auch bereits erledigt.

Gemeinsam mit Vivaldi durchstreifte sie eine alte Filmstadt, die schon lange nicht mehr fürs Filmen genutzt wurde.

„Wenn ich Sie wäre, würde ich es mir gut überlegen, ob ich die alte Filmstadt besuche. Es gibt Leute, die behaupten, dass es in ihr spuken soll“, hatte sie Roger Watt, der Besitzer der Gaststätte, in der sie wohnte, gewarnt, bevor sie sich zu der alten Stadt aufgemacht hatte.

„Ich werde mich vorsehen“, hatte Laura geantwortet, und es war ihr sogar gelungen, ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern.

Die Filmstadt lag einsam und verlassen da.

Ein Teil der Stadt sah aus, als wären hier die Western mit John Wayne zustande gekommen, wieder andere erinnerten an Krimikulissen.

Eine der Straßen sah öde und tot aus. Die meisten Häuser waren in sich zusammengefallen. Nur ein Haus stand noch, ganz alleine und einsam am Ende der Straße.

Laura nahm Vivaldi an die Leine und ging auf das Haus zu. Je näher sie kam, desto mehr hatte sie das Gefühl, als würde sie beobachtet. Sie drehte sich um, doch niemand war da. Niemand hinter noch vor ihr. Sie schüttelte den Kopf. „Alles nur Einbildung“, sagte sie sich, und ging zielstrebig auf das Haus zu.

Der Vorgarten war verwildert, ein Baum durch einen Blitzschlag zerstört worden, so dass sich seine toten Äste gekrümmt zu Boden neigten.

Laura stieg die Stufen zur Veranda des Hauses hoch. Bei jedem ihrer Schritte knarrte die Holztreppe, als wollte sie jeden Moment unter ihren Füßen zusammenbrechen.

Die Tür war offen und schlug klappernd gegen den Türrahmen. Als Laura das Haus betrat, sah sie nicht, dass sich im Stockwerk darüber, die Gardine bewegte.

Im Haus hing ein muffiger Geruch. Abgestanden. Es roch, wie ein Haus miefte, das schon lange nicht mehr bewohnt war.

Laura sah sich um. Die Diele war groß, der Teppich von den Motten zerfressen.

Sie lief weiter zum Wohnzimmer, sah hinein. An der einen Wand stand eine alte Standuhr. Laura lächelte. Sie stellte sich vor, wie es gewesen sein musste, als die Uhr noch zu jeder Stunde ihren lauten Glockenschlag hatte ertönen lassen.

Sie lief die Treppe zum nächsten Stockwerk hoch. Wieder knarrten die Stufen unter ihren Schritten.

Eine Tür schlug laut zu. Laura erschrak. Sie verlangsamte ihren Schritt. Am Ende der Treppe angekommen, sah sie sich um. Am Flurende stand ein Fenster offen und kalter, eisiger Wind drang herein.

„Da haben wir den Grund fürs Türzuschlagen“, sagte sie erleichtert zu Vivaldi. „Wie konnte ich nur auf den Gedanken kommen, dass, außer uns beiden, hier noch jemand ist.“ Sie ging auf die Tür zu, die sich ihr am nächsten befand. Langsam öffnete sie sie. Feiner Geruch nach Wäschestärke erfüllte den Raum. Das Zimmer sah aus, als wäre es gerade gesäubert worden. Kein Staubkörnchen war zu sehen.

Auf einem kleinen runden Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch. Laura lief darauf zu. Die aufgeschlagene Seite war handbeschrieben. Eine steile Schrift, die auf einen erfolgsorientierten Menschen schließen ließ, füllte die Seiten aus. Laura blätterte darin. Nirgends stand ein Name des Verfassers. Laura war sich nicht sicher, ob es sich bei dem Buch um ein Tagebuch oder ein handgeschriebenes Manuskript handelte. Kurzentschlossen steckte sie es in ihre Tasche. Sie war sich sicher, dass niemand das Buch jemals vermissen würde.

Danach verließ sie das Haus wieder. Auch dieses Mal sah sie nicht, wie im oberen Stockwerk, in dem Zimmer, in welchem das Buch gelegen hatte, sich die Gardine aufs Neue bewegte.

„Jetzt endlich bekomme ich die Möglichkeit …“, stöhnte eine geisterhafte Stimme, in der Erleichterung mitschwang.

Augen, die Laura nicht sah, und ihr dennoch erneut das Gefühl gaben, beobachtet zu werden, sahen ihr zu, wie sie davonlief, durch all die Straßen, bis hin zu ihrem Wagen. Beobachteten, wie sie das Buch in ihren Jeep legte, um gleich darauf mit ihm davonzufahren.

3 Schneegestöber

Der Sturm wurde heftiger und heftiger, und Laura wusste, nicht mehr lange und sie wäre gezwungen anzuhalten und eine Übernachtungsmöglichkeit für sich und Vivaldi zu suchen.

Als sie, trotz hochtourig kreisenden Scheibenwischern, kaum noch etwas sah, hielt sie am Straßenrand an. Sie stieg aus, hatte dabei allerdings große Mühe, die Tür zu öffnen. Schneeflocken trieben ihr in die Augen, fielen auf ihre Jacke. Suchend sah sie sich um. In der Mitte der Straße blinkte ein rotes Transparent, dessen Buchstaben zum Teil ausgefallen waren. Zusammen mit Vivaldi lief sie darauf zu. Sie öffnete kurz entschlossen die Tür und ging hinein.

Eine ältere Frau kam ihr entgegen. Als sie Laura sah, schlug sie die Hände zusammen. „Mein Gott, was treibt Sie denn hierher? Und“, sie schluckte, „diese Ähnlichkeit …“

„Wie bitte?“, fragte Laura und blickte verwundert zu der alten Frau hin.

„Nichts. Es ist nichts. Nehmen Sie es meiner Frau nicht übel. Sie glaubt immer wieder, Menschen zu sehen, die ihr vor langer Zeit einmal, begegnet sind.“ Der ältere Mann, der ebenfalls den Laden betreten hatte, legte der Frau den Arm um die Schultern. „Wahrscheinlich erinnern Sie sie an jemanden. Es ist ein Teil ihrer Krankheit. Unheilbar.“

„Oh. Das tut mir leid“, antwortete Laura.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte er, während er nochmals zur Tür lief, sie öffnete und hinaussah. „Sie sollten nicht mehr allzu lange unterwegs sein; der Sturm wird immer heftiger. In den Nachrichten haben sie sogar schon davon gesprochen, dass es sein kann, dass heute Nacht der Strom ausfällt.“ Er sah sie mit betrübtem Blick an.

„Bloß nicht. So viele Kerzen habe ich gar nicht, wie ich dann bräuchte“, erschrak sich die alte Frau, und schaute sich, wie suchend, im Laden um.

„Deswegen bin ich hier. Ich muss für heute Nacht für mich und meinen Hund eine Übernachtungsmöglichkeit finden. Der Sturm ist in der letzten Stunde immer schlimmer geworden, der viele Schnee, so dass die Straßen schon fast nicht mehr passierbar sind.“ Laura streifte die Handschuhe ab, während sie fragend zu dem Mann hinblickte.

Stirnrunzelnd warf er nochmals einen Blick hinaus auf die Straße, sah den dahinfegenden Schneesturm, und nickte. „Ja, allerhöchste Eisenbahn, dass Sie von der Straße runterkommen.“ Sein Blick war auf sie gerichtet. „Nun, Zimmer habe ich keine. Seit meine Frau krank ist, seit der Zeit vermieten wir nicht mehr. Das Einzige, was ich Ihnen anbieten kann, ist das einsame Haus am Villageende. Nur, ich sage Ihnen gleich, es ist lange nicht mehr bewohnt worden, von daher, Sie müssten bestimmt erst einmal sauber machen, lüften und all das.“

„Das stört mich nicht weiter. Verfügt das Haus auch über Strom?“

„Es verfügt über alles, was man braucht.“ Er ging und holte den Schlüssel für das Haus. … und über vieles mehr, dachte er, und betrachtete Laura dabei nachdenklich.

„Was soll es kosten?“, erkundigte Laura sich.

Er winkte ab. „Machen Sie sich darüber vorerst keine Sorgen. Wichtig ist, dass Sie, während der Zeit dieses höllischen Schneetreibens, sicher unter sind.“

Er händigte Laura den Schlüssel aus, und Laura fuhr im Schritttempo, an die von ihm beschriebene Stelle. Dabei sah sie die bunten Lichter, die hinter einigen Fenstern brannten und Weihnachten ankündigten.

Sie parkte ihr Auto vor dem Haus, dessen Fassade sie kaum noch sehen konnte, dermaßen hatte der Schneesturm an Kraft zugenommen, geradeso, als wollte er, dass sie nicht weiter als bis zu diesem Haus gelangte.

Sie holte eilig ihren Koffer aus dem Wagen, und kämpfte, zusammen mit Vivaldi, gegen den Schneesturm an, um die wenigen Stufen zum Haus hochzugehen.

Entgegen den Vorwarnungen des alten Mannes, roch es in dem alten Haus weder abgestanden noch muffig. Eher so, als wäre jeden Tag jemand zum Lüften gekommen.

Lauras Finger suchten im Dunkeln nach dem Lichtschalter. Es flackerte kurz, gleich danach war die Diele in ein spärliches Licht gehüllt. Doch Laura reichte es, um etwas zu sehen.

Gemeinsam mit ihrem Husky ging sie durchs ganze Haus, machte überall Licht an, und sah sich um.

In der oberen Etage gab es ein Schlafzimmer; sie vermutete, dass es einst, als Gästezimmer genutzt worden war. Dennoch war es nichts weiter, als einfach nur eine Ahnung von ihr.

In diesem Zimmer wollte sie die Nacht verbringen. Morgen, bei Tage, würde sie sich dann endgültig für eins der Zimmer entscheiden.

Laura zog die Schultern zusammen. Ihr war kalt. Sie suchte die Tür zum Keller und entfachte das Kellerlicht. Anschließend stieg sie die Stufen hinunter, um auch noch die Heizung in Betrieb zu setzen.

Der Keller roch modrig, der Boden war wie von Ruß übersät. Doch Laura brauchte nicht lange, und sie fand, was sie suchte. Nach einigen Versuchen sprang der Heizkessel an. Er dröhnte und rumorte, als wollte er seiner neuerlichen Inbetriebnahme, widersprechen.

Laura verließ den Keller wieder, schloss die Kellertür hinter sich und suchte gleich darauf, die Küche auf. Sie öffnete den Kühlschrank, der ebenfalls wie frisch gesäubert roch. Wer immer hier als Letzter gewohnt haben mochte, es musste ein reinlicher Mensch gewesen sein, denn nichts wies auf ein länger leergestandenes Haus hin, eher so, als hätte der Bewohner das Haus gerade erst verlassen.

Sie nahm die Packung Eier und den Toast, die ihr der Ladenbesitzer mitgegeben hatte, suchte den Toaster in der Vorratskammer und buk für sich und Vivaldi Rühreier mit Speck auf Toast. Dazu trank sie Instantkaffee, den sie ebenfalls von dem alten Mann bekommen hatte.

Nach dem Essen räumte sie das Geschirr in die Spülmaschine, zog sich ihren dickgefütterten Mantel über und wagte sich noch einmal, mit Vivaldi einige Schritte vors Haus zu tun.

Der Schneesturm war unterdessen noch heftiger geworden, so dass Laura immer wieder die Augen schließen musste, wollte sie nicht, dass ihr die dicken Schneeflocken in die Augen stoben.

Den Blick aufs Haus gerichtet, strahlte es einladende Wärme und Gemütlichkeit aus, in dieser bitterkalten Dezembernacht.

Laura nahm sich vor, unabhängig davon, ob der Schneesturm noch länger anhalten würde, einige Tage, bis Weihnachten, das Haus anzumieten, und hier Heiligabend zu verbringen. Sie würde gleich morgen die Straße zurücklaufen, und sehen, dass sie in einem der Geschäfte weihnachtliche Dekoration kaufte, um die Tage ihres Hier seins so angenehm als möglich zu machen. Auch wenn sie über Franks Tod hinwegkommen musste, so liebte Laura Weihnachten, und wollte sich den Geist der Weihnacht erhalten, auch wenn der Verlust um Frank, ihr das diesjährige Weihnachten sehr schmerzlich sein lassen würde.

Laura ging mit Vivaldi zurück ins Haus. Sie schloss die Tür hinter sich, legte den Riegel vor, und lief mit Vivaldi nach oben.

Gemächlich packte sie ihren Koffer aus. Danach holte sie das Buch, das sie aus der Filmstadt mitgenommen hatte, aus der Tasche und legte es auf den Nachttisch. Anschließend ging sie ins Bad und wusch sich mit kaltem Wasser, da die Heizung noch nicht lange genug in Betrieb war, um das Wasser erhitzt zu haben.

Unterdessen müde geworden, legte sie sich schlafen. Als sie die Augen schloss, sah sie Franks Gesicht vor sich. Lachend, vor Freude strahlend. Es war der Tag, als er ihr Vivaldi mitgebracht hatte. Laura weinte. Sie drehte sich auf den Bauch, vergrub ihr Gesicht im Kissen, das einen feinen Geruch von Jasmin verströmte, und weinte sich in den Schlaf.

So bemerkte sie nicht, dass sich das Buch öffnete, die Seiten umblätterten, und sich ein großer schwarzer Tintenfleck auf einer der Seiten bildete.

4 Der Fleck

Nachts um drei glühte die Heizung auf Hochtouren.

An der Tür bewegte sich der vorgelegte Riegel und öffnete sich lautlos.

In Lauras Zimmer hob Vivaldi den Kopf, sah hoch zu dem Buch und spitzte die Ohren.

Die Buchstaben des Buches pulsierten, die aufgeschlagenen Buchseiten lagen wie in einen Flammennebel gehüllt, da, während sich der schwarze Fleck blutrot verfärbte.

Der Keller war erfüllt von einem Raunen, das an ängstlich wimmernde Stimmen bei stürmischer See, erinnerte. Schatten hoben sich vom rußgeschwärzten Kellerboden ab und zogen zur Treppe hin. Langsam zogen sich die Stufen hoch und schlängelten sich unter dem winzigen Spalt der Kellertür hindurch.

Vivaldi jaulte, lief zur Zimmertür und blieb mit gefletschten Zähnen, knurrend davor stehen.

Von all dem, bemerkte Laura nichts. Sie schlief tief und fest, wie schon lange nicht mehr seit Franks Tod.

Flüsternde Stimmen entflohen den Buchseiten, das Zimmer war in brennendes Orange gehüllt. Doch Laura schlief. Tief und fest.

Von der Eingangstür bewegte sich ein Schatten nach oben, hin zu Lauras Zimmer. Ohne die Tür zu öffnen, betrat er den Raum. Blieb vor Lauras Bett stehen, während Vivaldi winselnd aufjaulte.

Laura fuhr hoch. Vivaldis Jaulen hatte sie geweckt. Orientierungslos schaute sie sich um.

Die Buchseiten lagen wieder so da, wie Laura selbst, das Buch hingelegt hatte, so dass sie den Fleck, der sich unterdessen wieder schwarz umgefärbt hatte, nicht bemerkte.

Das Klopfen der Heizung drang in ihre Ohren. Ein Geräusch, das sie frösteln ließ.

„Still, Vivaldi! Das ist nichts weiter, nur die alte Heizung. Wahrscheinlich gehören die Ventile einmal richtig entlüftet, damit dieses grauenvolle Geräusch aufhört. Doch werden wir das auf gar keinen Fall mitten in der Nacht machen. Vielleicht kann ich ja auch morgen irgendwo einen Klempner auftreiben, der sich das alte Ding einmal ansieht, und mit etwas Glück, auch noch reparieren kann.“ Sie beugte sich zu dem Hund hinunter und redete beruhigend auf ihr ein. Anschließend legte sie sich wieder hin, schloss die Augen und schlief auch nach wenigen Minuten wieder ein.

Die Gestalt vor ihrem Bett hatte Laura nicht bemerkt. Auch nicht, dass sie die Hand auf das Buch legte, als Laura wieder in Schlaf gefallen war. Die Buchstaben zitterten rötlich auf, und erneut verfärbte sich der Fleck in glühendes Rot.

5 Spuren der Nacht

Als Erstes fiel ihr Blick auf den Wecker. Es war kurz nach sieben. Sie streckte sich. Ihre Füße lugten unter der Bettdecke hervor. „Puh, ist das kalt! Vivaldi, hast du nicht aufgepasst? Kann es sein, dass die Heizung heute Nacht ausgefallen ist?“ Sie beugte sich zu Vivaldi hinunter, der vor ihrem Bett lag und mit seinen unschuldigen Hundeaugen zu ihr hochschaute; dabei strich sie ihm übers Fell.

Nachdem sie aufgestanden war, ging zum Fenster und schob es hoch. Bittere Kälte, klare, eiskalte Luft drang herein.

„Frische Luft muss sein, Vivaldi. Komm, wir gehen in den Keller und sehen nach der Heizung.“ Sie öffnete die Tür und ging nach unten. Auf der Mitte der Treppe blieb sie verwundert stehen. Sie besah die schmutzigen Flecken, die auf einigen der unteren Stiegen zu sehen waren. Eigenartig, wunderte sich Laura, das ist mir gestern Abend gar nicht aufgefallen. „Werden wir später wohl doch noch putzen müssen.“ Sich nichts weiter dabei denkend, setzte sie ihren Weg zum Keller fort.

Sie zog die Kellertür auf und tastete mit den Fingern nach dem Lichtschalter. Vorsichtig stieg sie hinunter und sah nach dem Heizkessel. „Komisch. Das muss der Sturm gewesen sein, der den Heizkessel ausgeweht hat.“ Mit geschickten Fingern schaltete sie den alten Kessel wieder an. Sofort gluckerte und dröhnte es. „Gut so. Jetzt werden wir hoffentlich bald wieder warm haben.“ Zufrieden, das Problem derart schnell gelöst zu haben, ging wieder nach oben.

Die Aussicht, sich wieder mit kaltem Wasser waschen zu müssen, erschien ihr zwar nicht allzu verlockend, dennoch blieb ihr letztendlich nichts anderes übrig, als sich in ihr Los zu fügen. Zu warten, bis der Kessel den großen Wassertank erhitzt haben würde, dazu verspürte sie nicht die geringste Lust.

Als sie wieder an den Spuren der Nacht vorbeikam, blieb sie erneut stehen und strich mit den Fingern darüber. Sie sah auf den Schmutz, zerrieb ihn zwischen den Fingern. Kopfschüttelnd, lief sie weiter. „Ruß, auf der Treppe, wie der dahinkommt?“, fragte sie sich.

Als sie mit der Morgentoilette fertig war, ging sie vor die Tür, und war über die Schneemassen, die sich in der Nacht angesammelt hatten, mehr als sprachlos. „Tja, da wird uns nachher nichts anderes übrig bleiben, als ins Dorf zu laufen.“

Nach dem Frühstück verbrachte sie mit Vivaldi eine Viertelstunde draußen, in der eisigen Kälte.

Vivaldi genoss den Schnee. Mit der Schnauze wühlte er darin herum.

Auch Laura tat die frische, klare Morgenluft gut, auch wenn es bitterkalt war, und ihre Ohren von der Kälte schon wehtaten.

Dass sich die Gardine ihres Zimmers bewegte, merkte sie auch hier nicht. Und hätte sie es gesehen, hätte sie es sicherlich auf einen Luftzug zurückgeführt.

6 Das kleine Dorf

„Das gefällt dir, Vivaldi.“ Lächelnd sah Laura ihrem vorausspringenden Husky zu, wie sich seine langen Beine einen Weg durch die hohen Schneemassen wühlten. Wie gut, dass du ein Husky bist, dachte Laura, somit ist der viele Schnee keine allzu große Mühsal für dich. Laura zog ihren Schal hoch zu ihrem Gesicht. Die Luft war klar, doch bitterkalt.

Als Laura und Vivaldi das kleine Dorf endlich erreichten, taten ihr die Waden weh, als wäre sie über Stunden, steile Berghänge hochgeklettert. Sie blieb stehen und sah die Straße entlang, während Vivaldi unaufhörlich weiterlief.

Die Straße schaute aus, wie aus einem Weihnachtsmärchen entliehen. Überall lagen Schneeberge, die bis zu den Knien reichten. Von den Dorfbewohnern jedoch fehlte jede Spur. Auf Laura machte es den Eindruck, als hätten sich die Bewohner des Dorfes am gestrigen Abend alle in ihre Häuser geflüchtet, um sich vor dem Schneegestöber in Sicherheit zu bringen.

Nur an ganz wenigen Stellen wiesen Spuren darauf hin, dass bereits vor ihr jemandes Füße, die Schneemassen bezwungen hatten.

Der Schneesturm der vergangenen Nacht hatte nachgelassen und es schneite nur noch wenig.

Nochmals sah Laura sich um. Versuchte, von einigen der Schilder, die ruhig über den Einkaufsläden hingen, die Namen abzulesen. Langsam ging sie weiter in das kleine Dörfchen hinein, von dem sie bisher noch nicht einmal den Namen kannte.

Über einem der Läden stieg dichter Rauch aus dem Kamin. Laura hielt ihre Nase in die Luft und schnupperte dabei wie ein Hund. „Ein Bäcker. Dort muss eine Bäckerei sein“, sagte sie, und nahm sich vor, vor Verlassen des Dorfes, der Bäckerei einen Besuch abzustatten und Brot und Gebäck für die nächsten Tage einzukaufen. Als sie am Geschäft des Bäckers vorbeikam, lud der gefüllte Brötchenkorb, der im Schaufenster ausgestellt war, zum Betreten des Ladens ein. Auch die cremefarbene Marzipantorte sah sehr verlockend aus. Mehr jedoch konnte Laura von dem Laden nicht ausmachen, da der größte Teil der Fensterscheibe, beschlagen war. Laura lief weiter, denn sie war auf der Suche nach einem Geschäft, in welchem sie einige Weihnachtsartikel kaufen konnte, um das Haus, das sie zurzeit bewohnte, ein klein wenig mit weihnachtlicher Atmosphäre zu erfüllen. Weihnachten, wie sehr liebte sie es. Und wie schmerzlich würde es doch dieses Jahr für sie sein. Das erste Weihnachtsfest, seit Jahren, das sie ohne Frank verbringen musste. Wieder sah sie Franks Gesicht vor sich. Erneut füllten sich ihre Augen mit Tränen. Frank. Niemals wieder würde es ein Weihnachten, mit ihm zusammen, geben.

Laura blieb stehen, und suchte in ihrer Manteltasche nach einem Taschentuch. Sie wischte sich die Tränen von den Augen und schnäuzte sich. „Das Leben, Laura Mac Allister, muss weitergehen. Du musst einen Weg für dich finden, damit klarzukommen!“, forderte sie sich selbst auf, und sah auch in diesem Moment wieder Franks Gesicht vor sich, und wie er ihr aufmunternd zunickte.

Entschlossen ging Laura weiter, während sie versuchte, auf andere Gedanken zu kommen, und die erneut aufsteigenden Tränen, zu unterdrücken.

7 Omas Wollstube

Die Türglocke läutete so leise, als wäre sie des Läutens im Laufe der Jahre müde geworden.

Zusammen mit Vivaldi, betrat die junge Frau den kleinen Laden. Wohlige Wärme hüllte sie auch gleich ein. Die Wärme tat ihr gut, nach all der Kälte im Freien. Sie öffnete ihren Mantel und nahm den Schal ab.

Auch wenn der Laden nicht das war, was sie suchte, so hatte sie sich dennoch dazu entschlossen, ihn zu betreten. Möglicherweise konnte der Inhaber des Ladens ihr sagen, wohin sie gehen musste, um einige Artikel Weihnachtsdekoration, zu bekommen. Langsam ging sie weiter in den Laden hinein. „Hallo? Ist da jemand?“, rief sie, nachdem niemand auf das Läuten des Glöckchens reagierte.

„Bin gleich da. Einen kleinen Moment noch“, kam es zurück. „Sehen Sie sich schon einmal um“, forderte eine ältere Frauenstimme, Laura auf.

Laura sah sich um. Rings um sie herum waren Regalfächer mit Wolle befüllt. In einer kleinen Nische standen alte Milchkannen, aus denen Stricknadeln herausragten. Weiter hinten war eine Tür offen. Laura ging darauf zu, und wagte es sich, hineinzusehen. Im Zimmer dahinter saß ein Junge, vielleicht elf Jahre alt, und las.

Eine gebückt gehende alte Frau kam den Flur entlang. Als sie Laura sah, rief sie: „Kommen Sie rein, wir beißen nicht. In unserem Dorf sehen wir das nicht so engstirnig. Bei uns darf man auch hinter die Geschäftsräume sehen.“

„Guten Tag. Entschuldigung, dass ich hier einfach so eindringe.“

„Kein Grund zur Entschuldigung. Wie ich schon sagte, in unserem Dorf nehmen wir’s nicht ganz so genau. Kommen Sie, folgen Sie mir in die Küche.“ Sie schnupperte. „Riechen Sie das? Meine Plätzchen. Muss sie erst herausholen, sonst verbrennen sie noch. Danach habe ich Zeit, mich um Sie zu kümmern.“ Sie winkte Laura, um dass sie mit ihr kommen, ihr folgen sollte.

Laura nickte und folgte der Frau in die Küche.

„Rufus, wirst du wohl gefälligst Guten Tag sagen, wenn Fremde unseren Laden betreten.“ Die Ladenbesitzerin warf einen strengen Blick zu dem Jungen am Tisch hin. Doch der ließ sich nicht weiter stören. Zu interessant war das, was er am Lesen war. Er konnte seine Augen dem Buch lassen.

An Laura gewandt, brummte die ältere Frau: „Das müssen Sie verstehen. Normalerweise ist er nicht so. Aber er hat lange auf dieses Buch gewartet. Und jetzt, da er es endlich hat, legt er es einfach nicht mehr aus der Hand.“ Liebevoll strich sie dem Jungen durch sein dichtes dunkelbraunes Haar.

„Aber das macht doch nichts“, antwortete Laura, mit einem verständnisvollen Blick auf den Jungen, der nun endlich zu ihr herübersah, ihr kurz zunickte, um sich auch gleich wieder, seinem Buch zu widmen.

„Er ist eben, wie er ist. Einer seiner Vorfahren muss eine Ratte gewesen sein. Wie sonst sollte er sich zu solch einem Bücherwurm entwickelt haben.“

„Eine Ratte? Ich verstehe nicht …“ Laura sah die ältere Frau verwundert an. Ob sie senil ist?, überlegte sie, doch als die Frau ihr antwortete, musste sogar Laura lachen, und schämte sich, ihrer Gedanken wegen.

„Nun ja. Rufus, er ist eine Leseratte. Deswegen, das mit den Vorfahren. Ist ein Witz, zwischen ihm und mir. Zudem“, sie zwinkerte dem Jungen zu, „hält er sich sogar eine Ratte als Haustier; von daher liegt der Gedanke doch gar nicht einmal so fern.“

„Was liest du, wenn ich dich das fragen darf?“, erkundigte Laura sich, interessiert. „Ich lese auch gerne, und auch viel, wenn es meine Zeit erlaubt.“

Der Junge hob den Kopf. Strahlend nannte er ihr den Buchtitel.

„Das ist doch von dieser bekannten Kinderbuchautorin. Ist erst vor einer Woche rausgekommen, und natürlich habe ich es Rufus auch sofort kaufen müssen. Soll der erste Band von insgesamt drei sein, glaube ich“, erklärte die alte Frau.

„Ja. Ist spannend. Will und Jacob …“

Laura legte den Finger auf den Mund. „Wenn es derart spannend ist, Rufus, solltest du mir besser nichts verraten. Wer weiß, vielleicht möchte ich dieses Buch irgendwann einmal, selbst lesen.“

Verwundert schaute Rufus auf. „Du? Bist du nicht schon viel zu alt für solche Bücher?“

Laura schüttelte den Kopf. Immerhin, als begeisterte Leserin, sagte ihr der Name der Autorin natürlich etwas. Sie besaß einige ihrer Bücher und hatte auch eine DVD, von einer Trilogie, die verfilmt worden war.

„Wie oft muss ich dir noch sagen, Rufus, dass man Fremde nicht mit Du anspricht!“, ermahnte die ältere Frau den Jungen.

Laura lächelte sie an, gleich darauf zwinkerte sie verschmitzt, Rufus zu. „Aber das macht doch nichts. Ganz so alt bin ich ja nun auch noch nicht. Wie alt bist du, Rufus?“

„Dreiviertelzwölf“, antwortete der Junge, ohne sich beim Lesen, unterbrechen zu lassen.

„Rufus!“ Die ältere Frau hob mahnend ihren Zeigefinger.

„Ist ja schon gut, Oma. Ich bin elf. Aber nicht mehr lange. An Silvester habe ich Geburtstag, da werde ich zwölf.“

„An Silvester? Das ist aber toll. Da werden ja jedes Jahr für dich Raketen abgefeuert.“ Laura setzte sich zu Rufus an den Tisch.

„Das sagt Oma auch immer.“

„Tja, deine Oma weiß, wovon sie spricht.“ Laura tat es gut, endlich wieder auf andere Gedanken zu kommen. Zumal Rufus auf sie einen sehr symphatischen Eindruck machte.

„Ich bin seine Uroma. Aber das macht nichts. Mich nennen ohnehin alle Oma. Selbst die Leute im Ort. Deswegen auch der Name meines Ladens, Omas Wollstube.“ Die Urgroßmutter wandte sich ab. Eilig lief sie zum Backofen und holte das Blech mit den Weihnachtsplätzchen aus dem Ofen. „Das war knapp.“ Sie sah Laura an. „Sie sehen aus, als würden Sie eine Tasse Kaffee gut vertragen können.“

„Gerne. Danke.“ Laura zog den Mantel aus und hängte ihn über die Stuhllehne.

„Und du, Großer, möchtest du ein bisschen Wasser schlappern?“ Oma strich Vivaldi über den Kopf. Sie gab dem Hund Wasser, danach setzte sie sich mit, an den Tisch. „Der Kaffee ist gleich fertig.“

„Danke.“

„Sind Sie neu im Dorf, oder befinden Sie sich nur auf der Durchreise?“, erkundigte sich die ältere Frau.

„Uns beide hat der Schneesturm überrascht, so dass wir gezwungen waren, Halt zu machen und uns ein Quartier zu suchen.“ Laura tätschelte Vivaldi, ohne den Blick von Rufus‘ Urgroßmutter abzuwenden.

„Tatsächlich? Wo, sind Sie abgestiegen? Soweit ich weiß, gibt es seit Jahren in unserem Dorf keine Übernachtungsmöglichkeiten für Fremde.“

„Ich bewohne zurzeit das Haus, am Ende des Dorfes.“

Das Gesicht der alten Frau versteinerte. „Wo sind Sie abgestiegen? Dort hinten, dort in dem Haus?“

„Ja. Was ist so schlimm daran?“, fragte Laura verwundert, nachdem der entsetzte Gesichtsausdruck der alten Frau, nicht aus ihrem Gesicht verschwand.

„Hab’ ich mich eigentlich schon vorgestellt?“, lenkte die Urgroßmutter, von Lauras Frage ab. „Ich bin Emma Green. Ich gehöre, seit ich denken kann, in dieses Dorf. Ganz selten, dass ich von hier einmal rausgekommen bin.“

„In dem Haus soll es spuken, sagen die Leute“, sagte der Junge, ohne den Blick zu heben.

„Rufus!“

„Aber, Oma, wenn es doch stimmt. Auch Opa Sam hat das gesagt. Und du weißt es auch“, verteidigte Rufus sich.

„In welchem Haus spukt es?“, fragte Laura, und es kam ihr vor, als würde sich eine eiskalte Hand auf ihren Rücken legen.

„Na, wo schon. In dem Haus, in dem du wohnst.“ Rufus schaute verunsichert zu seiner Uroma hin. „Wenn es doch aber stimmt, Oma.“

„Niemand kann sagen, ob es stimmt, Junge. Es sind“, sie suchte nach Worten, während sie Laura fast entschuldigend ansah, „nichts weiter, als Gerüchte. Gerede, von Leuten, die nichts Besseres zu tun haben, als solche Geisterkamellen in die Welt zu setzen.“

„Aber, Oma, du selbst hast dich doch erst letzte Woche mit Opa Sam darüber unterhalten, dass seit einiger Zeit nachts wieder Geräusche von dem Haus kommen würden.“

Emma Green hustete verlegen. „Nun ja, ich wollte Opa Sam nicht enttäuschen, deshalb …“

„Bitte, Mrs. Green, versuchen Sie nicht, mir etwas vorzuenthalten. Wenn es Gerüchte um das Haus gibt, dann wäre es gut, wenn Sie mich sie wissen ließen. Immerhin, ich habe vor, dort einige Tage zu bleiben.“ Lauras Blick lag bittend, auf Emma Green gerichtet.

„Ich weiß nicht …“ Emma stand auf. Holte Tassen, Zucker und Milch und stellte alles zusammen, auf den Tisch. Anschließend nahm sie die Kaffeekanne von der Maschine und befüllte die Tassen. „Für dich, Rufus, nur halb Milch, halb Kaffee. Wie immer. Ohne Ausnahmen.“

„Ach, Omi …“

„Nein. Wie immer!“ Sie stellte die Kanne zurück. Setzte sich und sah Laura nachdenklich an. „Ich wüsste nicht, was es bringen sollte, wenn ich Ihnen von den Gerüchten erzähle. Es würde Sie nur unnötig in Angst versetzen. Und wozu? Immerhin, Sie haben diese Nacht, allem Anschein nach, unbeschadet in dem Haus verbracht. Von daher …“ Sie winkte ab. „Nein, ich glaube nicht, dass Sie dort ernstlich in Gefahr sein werden.“

Als Laura etwas erwidern wollte, ging das Türglöckchen, und ein alter Mann rief: „Emma? Rufus? Seid ihr da? Habt ihr schon die Neuigkeit gehört, dass seit gestern, jemand in dem Spukhaus wohnt?“ Sam McLoyd betrat die Küche und hielt verschreckt inne, als er Laura sah.

Emma stand auf, zeigte auf den letzten freien Platz am Tisch. „Setz‘ dich, Sam. Du willst doch sicher auch einen Kaffee.“