Tobias, ich schreib Dir ein Buch - Angelika Nickel - E-Book

Tobias, ich schreib Dir ein Buch E-Book

Angelika Nickel

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Beschreibung

Tobias zieht mit seiner Familie auf ein Schloss in Schottland. Dort begegnet er dem Geist Schniefer, der seit vier Jahrhunderten ohne seine Vergangenheit herumgeistert. Zusammen mit Tobias und dessen Hund Emilie begibt er sich auf die Suche nach seiner Vergangenheit, wobei die Drei vielen guten, aber auch bösen Gestalten begegnen. Dabei läuft die Zeit gegen sie. Sie ist ihr größter Feind!

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Seitenzahl: 327

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Angelika Nickel

Tobias, ich schreib Dir ein Buch

oder Der geheime Weg in Spiritos Reich

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1: Das Los auf der Straße

Kapitel 2: Kellerseufzen

Kapitel 3: Ein gutes altes Schloss braucht nun mal sein Gespenst

Kapitel 4: Herbys Pizza am Palisandertisch

Kapitel 5: Spiel mit mir

Kapitel 6: Sichtbar gegen unsichtbar

Kapitel 7: Auf der Suche nach Schniefers Vergangenheit

Kapitel 8: Emilie kennt sich aus

Kapitel 9: 13, der Schlüssel passt

Kapitel 10: Baptisè, der Wächter des Zwischenreiches

Kapitel 11: Der geheime Weg in Spiritos Reich

Kapitel 12: Eintritt in eine verzauberte Welt

Kapitel 13: Hexe Pippifax kreuzt den Weg

Kapitel 14: Ducato Castle

Kapitel 15: Das Geheimnis des Stiefels

Kapitel 16: Geisterungerechtigkeit

Kapitel 17: Waschbottich und ein ganz komisches Gefühl

Kapitel 18: Papperlapapp und Zwiebelsack

Kapitel 19: Der Zauberer Vladimir

Kapitel 20: Ein keiner Lichtblick?

Kapitel 21: Feuerweg

Kapitel 22: Otto, der Gapuß, ein Retter in der Not

Kapitel 23: Karuppels Blick in die Venuskugel

Kapitel 24: Stiefel im Sumpf

Kapitel 25: Schloss Märchenstein

Kapitel 26: Geisterstunde

Kapitel 27: Isoldes Gemeinheiten

Kapitel 28: Der verschwundene Schuh

Kapitel 29: Die Furcht des Märchenzauberers

Kapitel 30: Die bösen Mächte

Kapitel 31: Todesmoor

Kapitel 32: Skywitch-Snurf aus den Wolken

Kapitel 33: Schuh-Hänger

Kapitel 34: Der geheime Weg in Spiritos Reich

Kapitel 35: Der Weise Magier

Kapitel 36: Fahrstuhl zum Himmel

Kapitel 37: Reisebegleiter Runzelander Grünknort

Kapitel 38: Der Sechserbus

Kapitel 39: Flüsterraunen des triologischen Affen

Kapitel 40: Rapunzel

Kapitel 41: Der Stinkfuß-Turm

Kapitel 42: Der Wahrheit ist aller Dinge Erde

Kapitel 43: Eine geisterhafte Geburtstagstorte

Nachwort

Danke

Impressum neobooks

Kapitel 1: Das Los auf der Straße

Feuchte, unangenehme Kälte und widerlicher Modergeruch drang Tobias entgegen. Tobias fröstelte. Mit zittriger Hand suchte er nach dem Kellerlichtschalter.

Von oben konnte er seine Familie hören. Lachen und abermals Lachen. Aber auch das Scheppern und Klirren von Geschirr, wie das Rücken von Möbeln hörte der dreizehnjährige Junge. Diese Geräusche erfolgten nicht grundlos, denn heute waren er und seine Familie umgezogen. Endlich. Wie sehr hatte er sich auf diesen Tag gefreut.

Vor drei Monaten hatten seine Eltern zufällig auf der Straße ein Los gefunden. Ein Los mit dem sie zuerst mal so gar nichts anzufangen wussten. Dann, als sie Zuhause waren, sah Herby van de Ströhm, Tobias´ Vater, im Internet nach, um zu sehen, was es mit dem Los auf sich hatte. Herby van de Ströhm brauchte auch nicht lange die Lotteriegesellschaft – Mit Donner und Doria – ausfindig zu machen. Ohne langes Nachdenken schrieb Tobias´ Vater die Losgesellschaft an, teilte dieser die Losnummer des gefundenen Loses mit. Nach zwei Wochen erhielt die Familie Van de Ströhm von der Losgesellschaft eine Gewinnmitteilung. Herby, der es fast nicht fassen konnte, jappte nach Luft. Er hatte das Gefühl zehn Zigaretten auf einmal zu rauchen .Nach Luft ringend rief er nach seiner Frau. Dummerweise stand diese im Treppenhaus und unterhielt sich mit ihrer Nachbarin Renate.

Herby van de Ströhm ging in die Knie. Er bekam keine Luft mehr. Röchelnd schleppte er sich zum Treppenhaus. Kaum verstehbar rief er: »Karin! Karin, schnell!«

Karin van de Ströhm hob ihren Kopf, sah die Nachbarin an und fragte: »Hat mich da jemand gerufen?«

Im selbem Moment rief Herby wieder. Sofort erkannte Karin van de Ströhm, dass irgendetwas nicht stimmte. Während sie schon am Hochrennen war, hob sie für die Nachbarin entschuldigend die Hand und stolperte dabei noch über ihren Mantel, so dass sie sich ganz böse ihren Ellenbogen am Treppengeländer anschlug. »Scheiße!«, stöhnte sie auf und rannte weiter, zwei Stufen auf einmal nehmend. Außer Atem kam sie vor ihrer Abschlusstür an. Ihr Mann lag röchelnd am Boden. Schnell beugte sich Karin über ihn, öffnete ihm die Krawatte, rannte in die Küche und befüllte zwei Gläser mit Wasser. Das eine nahm sie und schüttete es ihrem Mann ins Gesicht, so dass dieser wieder zu sich kam. Dann kniete sie sich neben ihn, zog seinen Kopf in ihren Schoß und hielt ihm das Wasser zu trinken hin. Es dauerte auch nicht lange und Herby kam wieder zu sich. Sein Atem wurde ruhiger. Als er wieder richtig sprechen konnte, sah er seine Frau strahlend an. »Wir haben gewonnen, Karin! Wir haben gewonnen!«

»Wo haben wir gewonnen? Haben wir mal wieder `nen Fünfer, weil Ihr falsche Zahlen aufgeschrieben habt, oder wie? Ist ja nichts Neues, dass ihr Zahlen aufschreibt, die wir dann letztendlich doch nicht getippt haben. Oder haben Margot und ich gewonnen, mit so `nem dämlichen Dreier wohl mal wieder.«

»Nein, Karin, nein. Unser Los. Wir haben mit dem gefundenen Los gewonnen. Die Lotteriegesellschaft, sie hat es mir gerade mitgeteilt.« In Erinnerung an den Gewinn begann Herby schon wieder zu röcheln. Daraufhin zog Karin ihn an den Armen hoch und schleppte ihn in die Küche, wo er sich sofort auf einen Stuhl fallen ließ. Mit fahrigen Fingern hielt er Karin das ausgedruckte Mail der Lotteriegesellschaft hin. Karin van de Ströhm nahm es ihm ab und las. Noch während des Lesens griff sie neben sich, suchte mit zittrigen Händen die Lehne des Stuhles. Sie ließ sich auf ihn fallen. Sie konnte es nicht fassen. Sie las und las, aber an dem Text änderte sich nichts.

Ganz groß stand da geschrieben:

Sehr geehrte Familie Van de Ströhm,

wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass Sie mit Ihrem Los unseren Jackpot geknackt haben. Bitte setzen Sie sich mit uns in Verbindung, damit wir einen Termin für die Gewinnübergabe, sowie einen Fototermin, mit Ihnen vereinbaren können.

Die Gewinnsumme beträgt 5.000.000 Euro.

Natürlich wäre es in Ihrem eigenen Interesse, wenn Sie das Geld auf ein Konto überweisen lassen wollten.

Teilen Sie uns bitte innerhalb von 14 Tagen mit, wie die weitere Verfahrensweise sein soll.

Mit freundlichem Gruß

Hans im Glück

Donner und Doria (Lotteriegesellschaft)

Karin holte tief Luft. »Das Los auf der Straße?! Jetzt brauch ich drei Bier und fünf Schnäpse.« stöhnte sie, dabei rannen ihr Tränen die Wangen hinunter.

»Lass uns heute Abend essen gehen, wir alle: Du, ich, und, und, und. Auch Stefanie, Sabine und Tobias. Und Martina und Carsten. Ach, Carmen und Uwe rufen wir auch an. Am besten auch noch Liz und Sena. Und wenn Du willst auch Geli.« Schlug Herby van de Ströhm vor.

»Klar, Du willst schon wieder leichtsinnig werden. Nee, lass mal gut sein, hinterher ist das nur ein ganz großer Betrug. Lass uns erst mal mit Donner und Doria in Verbindung setzen, sicher ist sicher. Und wenn wir das Geld haben, dann, dann geben wir ganz groß essen. Schottland. Damit´s auch mal gleich nach was aussieht.«

»Du immer mit Deinem Pessimismus.« klagte Herby.

»Was Du Pessimismus nennst, das nenne ich Vorsicht.« konterte Karin.

Doch Karin van de Ströhms Vorsicht war unnötig und absolut unbegründet. Es dauerte nicht eine Woche, da waren die Van de Ströhms tatsächlich Neuzeitmillionäre.

Und sie taten es tatsächlich: Sie fuhren mit der ganzen Familie, sowie den Freunden nach England und speisten im Ritz. Blieben dort sogar noch für ein langes Wochenende. Was lag da ferner, als sich alte Schlösser, auch in Schottland, anzusehen?

Und ohne, dass sie es eigentlich vorhatten, fanden die Van de Ströhms ein altes Schloss, in das sie sich von Anfang an verliebten... Wie der Zufall es wollte, stand das Schloss zum Verkauf und die Van de Ströhms entschieden kurzerhand nach Schottland, in dem das wunderschöne alte Schloss lag, umzuziehen. Sehr zum Leidwesen der Freunde aus Deutschland, die dort zurückblieben.

So kam es, dass sich Tobias auf den Weg zum Keller machte, während seine Familie am Einziehen war. Da er nicht allzu viel helfen konnte, und auch nicht wollte, zog er es vor, das große Schloss ein bisschen näher anzusehen. Sein Zimmer, das hatte er sich bereits ausgesucht, alles andere konnten nun seine Eltern und Schwestern machen. Denn deswegen hatte ein Bruder doch Schwestern, bei Jana und Alexander war das doch auch so, oder etwa nicht?

Kapitel 2: Kellerseufzen

»Was mach ich denn jetzt nur? Geh ich runter oder gehe ich in die große Parkanlage?«, sagte Tobias zu sich. Er wusste nicht, ob er sich tatsächlich in diesen großen modrigen Gewölbekeller traute. Wer weiß, womöglich gab es da unten Ratten, und denen wollte er eigentlich nicht begegnen.

- Emilie, ich hole Emilie, dann bin ich nicht so alleine -, dachte der Junge und schloss die Kellertür wieder hinter sich. Somit konnte er die Geräusche nicht mehr hören. Leises Seufzen dran durch die langen und dunklen Kellerräume. Es hörte sich an, als würde der Keller weinen. Leise, fast so, als sollte es niemand sonst hören.

Es dauerte nicht lange, dann war Tobias wieder zurück. Er hatte sich eine schwarze Windjacke und Gummistiefel angezogen. Neben ihm lief Emilie, die kleine Hündin. Erneut öffnete Tobias die Kellertür. Dieses Mal fand der auch sofort den Lichtschalter. Emilie fiepte, drehte sich um und wollte zurücklaufen, aber Tobias rief sie zurück: »Nichts da, Emilie, wir beide gehen jetzt mal da runter und sehen uns an, was es da unten alles gibt. Wer weiß, vielleicht hat das Schloss ja auch Geister. Immerhin sind wir in Schottland, von dort sind schon viele Geister, Gespenster und Ungeheuer gekommen, zumindest im Fernsehen. Stell Dich nicht so an, Emilie, Du bist doch der Hund von uns beiden, also musst Du auch mutig sein, oder etwa nicht?« Damit zog er Emilie an ihrem Halsband und der champagnerfarbene Hund lief notgedrungen mit Tobias die, vom Zahn der Zeit, ausgetretenen Kellerstufen hinunter. Als Tobias merkte, dass es dem kleinen Hund schwer fiel die hohen Steintreppen zu laufen, nahm er ihn kurzerhand auf den Arm und trug Emilie hinunter.

Als sie unten ankamen, hatte Tobias plötzlich das Gefühl nicht mehr alleine im Keller zu sein. Doch so sehr er sich auch umsah, er konnte nichts außer einer Unmenge an Gewölbegängen erkennen. »Dann bleibt uns nichts anderes übrig als mal einfach drauf loszulaufen. Was meinst Du, Emilie? Ist mir aber auch egal. Wir beide gehen jetzt mal sehen, was es hier unten zu finden gibt.«

Er ließ Emilie wieder zu Boden und dann lief er los. Emilie folgte ihm nur widerwillig, das bezeugte sie ihm auch mit ständigem Knurren.

Irgendwann war Tobias durch so viele Gänge gelaufen, dass er schon gar nicht mehr wusste, wie er zurückkommen konnte. Gerade als er wieder zurück wollte, hörte er ein Seufzen. »Kellerseufzen? Hast Du schon mal davon gehört, Emilie, dass Wände und Keller seufzen können?« Er sah seinen Hund an, aber Emilie knurrte nur.

»Ach, schade, dass wir nicht bei – Peter Schmutz – und in – Philosophia – sind, dann könntest Du mir jetzt wenigstens antworten. Aber was soll´s, irgendwie müssen wir ja zurückfinden.« redete er mit seinem Hund. Gerade als er sich umdrehen wollte, hörte er das Seufzen erneut. Tobias blieb stehen. Er horchte. Neugierde womöglich einem Geist zu begegnen. Langsam versuchte er auf das Geräusch zuzugehen. Er hatte keine Ahnung, ob er das Richtige tat, noch nach was er suchen sollte. Seine Füße bewegten sich so langsam, dass er fast nur im Zeitlupentempo von der Stelle kam.

Tobias erschrak. Etwas hatte seine Füße gestreift. Verängstigt sah er sich um. Er konnte gerade noch den Schwanz einer Ratte erkennen, die hinter einem Tunnelbogen verschwunden war.

»Wenn die schon so frech ist und mir über meine neuen Treter rennt, dann gehen wir der mal hinterher. Wer weiß, die weiß vielleicht wie wir hier wieder rauskommen. Los, Emilie, leg mal einen Zahn zu. Denk dir einfach, du wärst ein Windhund, dann geht das schon besser. Los, Emilie, stell dich nicht so an.«

Aber egal was Tobias auch sagte, Emilie war kein bisschen mehr angetan, von dem was sie hier unten tun sollte. Da sie ein Hund war, blieb ihr allerdings nichts anderes übrig als Tobias zu folgen, denn alleine wollte sie hier unten auch nicht bleiben.

Tobias lief immer schneller, so dass Emilies kurze Beine ihm fast nicht mehr folgen konnten. Als Tobias bemerkte, dass Emilie nicht nachkam, rannte er wieder zu ihr zurück, hob sie hoch, um erneut wieder loszurennen. Dann endlich hatte er den Tunnelgang erreicht, von dem er glaubte, dass in diesem die Ratte verschwunden war. Tobias blieb stehen und sah hinein. Auch, wenn hier das Kellerlicht ebenfalls schwach leuchtete, sehen konnte Tobias deswegen dennoch nicht sehr viel. Egal wohin er sah, die Ratte schien verschwunden. Der Junge drehte sich um, ließ seinen Hund wieder auf den Boden und sagte: »Emilie, wir versuchen den Weg zurück zu finden. Jetzt kannst Du mal zeigen was für ein guter Spürhund Du bist. So, jetzt geh mal voraus und ich lauf Dir nach. Und wenn Du den Weg nicht findest, dann verspreche ich Dir, dass Du heute kein Abendessen bekommen wirst. Merk Dir das.« dabei dachte er – und ich bekomme dann auch kein Nachtessen –. Bei diesem Gedanken bemerkte er wie hungrig er bereits war. Tobias hatte keine Ahnung wie lange er bereits in diesem muffigen Kellergewölbe war, aber eins wusste er, um dieses ganz zu inspizieren, dazu würde er viele Tage brauchen. Und vor allem musste er sich beim nächsten Mal Markierungsmarken mitbringen, damit er wieder zurückfinden würde.

Emilie, die ganz stolz war, endlich mal zeigen zu können, was für ein guter Hund in ihr steckte, hatte den Ausgang schneller gefunden, als Tobias geglaubt hätte. Dabei hatte sie sich nicht ein einziges Mal verlaufen.

Als Tobias die Kellertreppe sehen konnte, atmete er auf.

– Gerettet – , dachte er und zu Emilie sagte er: »Hab

ich´s doch gewusst, dass ich mich auf Dich verlassen kann. Komm her, Emilie, ich trag Dich die Treppen hoch.«

Als wenn Emilie den Jungen verstanden hätte, kläffte sie freudig. Dummerweise übertönte sie durch ihr Kläffen das Kellerseufzen, das sich ganz in ihrer Nähe befand.

Die Kellertür quietschte beim Öffnen und ließ sich auch sehr schwer öffnen, aber Tobias war ein starker Junge und so hatte er nach einigen Mühen die Tür offen.

Hätte sich Tobias umgesehen, oder auf Emilie reagiert, die plötzlich jämmerlich winselte, dann wäre ihm aufgefallen, dass er nicht allein den Keller verließ...

Ein fast nicht sichtbarer Schatten folgte Tobias und seinem Hund..., hinauf zum ersten Stockwerk, hinein in dessen Zimmer...

Kapitel 3: Ein gutes altes Schloss braucht nun mal sein Gespenst

»Tobi, na, was machst Du?« Tobias´ Mutter öffnete, nach kurzem Anklopfen, die Tür zu Tobias´ Zimmer, und streckte ihren Kopf herein.

»Komm doch rein, Mama. Was stehst Du da und siehst mich an, als wenn Du ein Hausierer wärst und Dich nicht herein traust? Oder willst Du mir `was verkaufen?« Tobias lief zu seiner Mutter, öffente die Tür weit und zog sie in sein Zimmer.

Karin van de Ströhm grinste ihren Sohn an. Wie stolz sie auf ihn war. Es hatte ja auch viele Kinder und fünf Mädchenschwangerschaften gebraucht, ihren so ersehnten, Sohn geboren hatte. So war es nicht weiter verwunderlich, dass Tobias, zumal er auch noch das Nesthäkchen war, immer ein klein wenig mehr durfte als seine Schwestern. Doch das störte die Mädchen nicht weiter, denn weitläufig versuchte Karin van de Ströhm ihren Kindern gegenüber dennoch fair und gerecht zu sein, ihnen allen gleich gerecht zu werden.

»Hier, setz Dich doch auf mein Bett. Ach, sieh mich nicht so an, ich muss eben die anderen Sachen erst noch auspacken und einräumen.« sagte Tobias zu seiner Mutter, als er ihren skeptischen Blick sah.

»Du hast ja auch wohl noch so gar keine Zeit gehabt, wie? Nimm dir mal ein Beispiel an Deinen Schwestern, die sind alle in ihren Zimmern und toben sich aus und räumen dabei ihre Kisten aus.«

»Dann ärgern sie mich wenigstens nicht. Und wen stört es schon, ob ich jetzt oder morgen auspacke?«

»Mich, Tobias, mich stört es. Heute ist es schon zu spät, aber morgen früh wirst Du gleich nach dem Frühstück Dein kleines Hinterteil in Bewegung setzen und hier alle Deine Kartons auspacken und wunderschön in Deine Schränke einsortieren. Und wenn ich das nächste Mal hier rein komme, dann erwarte ich, dass Dein Tisch und Deine Stühle freigeräumt sind, dass ich, Dein altes Mütterlein...«

»Du bist kein altes Mütterlein, Mama. Du bist meine liebe Mama.« fiel Tobias seine Mutter ins Wort.

»An diesen Satz werde ich Dich bei passender Gelegenheit erinnern.« lachte Karin van de Ströhm. Danach stand sie von Tobias´ Bett auf. Tobias´ Mutter war ungefähr 158 cm groß, etwas rundlich, und immer um ihre Kinder besorgt. Als sie bereits zur Tür raus war, drehte sie sich nochmals um und sagte zu Tobias: »Ich hoffe, dass wir uns verstanden haben. So! Und nun tu was und in einer halben Stunde bist Du unten in unserem Diningroom, da gibt’s dann nämlich was zum Essen, und danach mein Sohn, damit wir uns gleich richtig verstehen, wird auch nicht mehr allzu lange gespielt, sondern geschlafen. Wie Du weißt, Tobias, braucht man seine Kräfte, um ein, sein Zimmer auf – und einzuräumen. Und mittlerweile bist Du alt genug, um das auch alleine zu können.«

»Du könntest mir aber doch dabei helfen...«

»Sehe ich vielleicht aus wie – Helferlein –? Auch nicht wie Daniel Düsentrieb. Dann tut es mir leid, so wie es aussieht bleibt es nur an Dir alleine.«

»Mensch, Mama, Du musst doch auch mich verstehen. Immerhin leben wir jetzt in einem alten Schloss. Da liegt es doch ganz nahe, dass ich auf der Suche nach dem Schlossgespenst bin.« Tobias war zu seiner Mutter hingelaufen und sah sie, um Verständnis bittend, an.

»Tobias, auch wenn wir jetzt auf einem Schloss leben, so heißt das doch nicht, dass wir in einem Schloss mit einem Gespenst leben. Das sind doch nichts als Geistergeschichten. So etwas gibt es doch nur in Filmen und Märchen, Tobias. Aber das solltest Du doch mittlerweile wissen.«

»Ich will aber, dass wir ein Schlossgespenst haben, und am besten auch noch ein paar Hexen und Zauberer.«

»Das kannst Du Dir abschminken. Es gibt in der Wirklichkeit keine Geister und keine Zauberer, oder was auch immer.«

»Ich will aber, dass es die gibt.« bettelte Tobias seine Mutter an, geradeso, als hätte diese es in der Hand Geister und Hexen real werden zu lassen.

Karin sah ihren Sohn nachdenklich an, dann hatte sie eine Idee. »Weißt Du was, Tobias, wenn Du unbedingt in diesem Schloss von Geistern, Hexen und Zauberern umgeben sein willst, dann rufen wir morgen Deine Patentante an, die soll Dir ein Buch schreiben. Soll sie uns doch hier leben lassen und eine Geschichte für Dich erfinden, die maßgeschneidert ist. So richtig für Dich, wie Du es gerne hättest. Vielleicht schreibt sie Dir ja ein Buch. Fragen kostet ja nichts. Na, was hältst Du davon?«

»Ja, das kann ich tun. Aber trotzdem will ich hier ein richtiges Gespenst und einen richtigen Zauberer finden. Und ich werde es Dir beweisen, dass es hier so `was gibt. Ein gutes altes Schloss braucht nun mal sein Gespenst, basta.« Tobias sah seine Mutter an und dachte – hoffentlich habe ich den Mund jetzt nicht zu voll genommen. Ich muss einen Zauberer finden, damit sie mir glaubt. Damit unser Schloss auch etwas ganz Besonderes ist. Außerdem sieht dieser alte Kasten auch ganz doll nach Gespenstern aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier so etwas nicht geben soll –.

Kapitel 4: Herbys Pizza am Palisandertisch

Tobias erschien, wie seine Mutter von ihm erwartete, eine halbe Stunde später im Esszimmer des Schlosses. Auch wenn seine Mutter es, wie sie es nannte – es sich besser anhörte, und auch viel besser nach England, nach Schottland, passte –, so war der Diningroom dennoch nichts anderes als ein sehr, sehr großes Esszimmer.

Dem Tag zu Ehren hatte Herby van de Ströhm, Tobias´ Vater, sein Küchenhandtuch umgebunden und eine Riesenpizza für alle gemacht. Anfänglich hatte er genau deswegen eine große Auseinandersetzung mit seiner Frau, die nämlich der Ansicht war, dass er nicht zu kochen, sondern Hand an den Umzug anzulegen hätte. Mit vielen Worten jedoch war es Herby gelungen, seine Frau davon zu überzeugen, dass sie für diese Dinge Möbelpacker, Auspacker und Schlosspersonal hätten. Nur, sie hatten noch kein Schlosspersonal. Karin konnte sich bisher mit dem Gedanken, Personal einzustellen, noch nicht so ganz anfreunden. Sie war der Meinung, dass, wenn alle Hand anlegen würden, sie so etwas auch nicht bräuchten. Dummerweise stand sie mit ihrer Meinung so ganz alleine da. Ihre Familie fand es bei Weitem schöner, wenn sie Personal haben würden, das sie bedienen würde. So musste sie sich der Mehrheit beugen, so dass in den nächsten Tagen Vorstellungsgespräche angesagt waren, bei denen sie selbstverständlich auch zugegen sein und mitentscheiden wollte.

So saßen sie alle um einen sehr großen schwarzen Palisanderholztisch herum, dem sie die vielen Jahrhunderte seines Daseins anzusehen waren. Es war ein Tisch, an dem sie mit vielen Gästen würden tafeln können. Er war in seiner Farbe tiefes dunkles Braun, fast schwarz. Durchzogen war er mit ganz vielen Kratzspuren, Einkerbungen, aber auch Verfärbungen von umgefallenen Rotweinzinnbechern.

Als Karin diesen Tisch gesehen hatte, war sie sofort in ihre Mittelaltergedanken versunken. Sie alle hatte sie hier sitzen sehen: Die Arthurrunde, Merlin und all die großen Alchimisten, deren Geist auch heute noch anwesend zu sein schien. Von daher, wenn man diese Gefühle und Gedanken von Karin van de Ströhm kannte, war es nicht weiter verwunderlich, woher Tobias´ Vorliebe und Verlangen nach einem Schlossgespenst kam. Auch wenn sie dies immer so abtat. Es war das Blut, das sie verband, die Vorliebe für das Mystische, das Unerklärliche und das Forschen der alten Weisen.

Die Familie saß am Tisch und sie aßen mit Begeisterung von Herbys Pizza. Herbys Pizza am Palisandertisch.

Herby trank dazu eiskalte Cola, während die Geschwister mit Orangenlimonade ihre Gläser gefüllt bekamen.

Karin hatte in einem der antiken Schränke einige wunderschöne Zinnbecher entdeckt. Einen davon hatte sie herausgenommen, gespült und sich in diesen ein schönes kaltes Bierchen eingegossen.

Der Abend verlief harmonisch und mit viel Gelächter. An den Gedanken von nun an stolze Schlossbesitzer zu sein, mussten sie sich jedoch alle erst noch gewöhnen.

Der Einzige, der damit hervorragend zurecht kam, war Tobias. Aber schon alleine der Gedanke, so dringend das Schlossgespenst finden zu müssen, machte es ihm leicht sich als Schlossjunker zu sehen.

Die Schwestern, sie waren in dieser Hinsicht noch ein bisschen unsicher, denn sie hatten ihre Freunde zurücklassen müssen und nun mussten sie sich erst wieder neue schaffen, finden. Das gefiel den Mädchen weniger. Aber, Gott sei Dank, gab es ja die Erfindung des Internets, der Handys und der Telefone. So konnten sie zumindest so den Kontakt weiterhin erhalten. Und wer weiß, vielleicht würden die Eltern ja auch mal Fahrkarten sponsern, so dass sei ihre Freunde einladen konnten. Allerdings hatten sie in dieser Hinsicht sich bisher noch nicht getraut ihre Eltern auf Sponsoring anzusprechen.

Kurz vor Mitternacht verabschiedeten sich die einzelnen Familienmitglieder und auch Tobias musste, gegen seinen Willen, zu Bett.

Kapitel 5: Spiel mit mir

Zornig warf Tobias die Tür hinter sich zu.

»So eine Scheiße, warum muss ich jetzt ins Bett? Ich bin doch noch nicht mal müde!«, schimpfte der Junge vor sich hin. Voller Wut ging er ins Badezimmer, das sich angrenzend an seinem Zimmer befand. Er putzte, schrubbte, seine Zähne, dann warf er seine Klamotten quer durchs Bad. Anschließend machte er die Dusche an und stieg darunter. Lange ließ er das Wasser über sich laufen. Die Wärme des Wassers ließ die Duschkabine beschlagen, so dass Tobias auch nicht lange brauchte, bis er auf die Idee kam, Gespenster und Hexen auf die angelaufenen Duschkabinenwände zu malen. Doch dann fiel ihm ein, dass seine Mutter gesagt hatte, dass es das alles nur in Märchen geben würde. Erneut stieg der Zorn in ihm auf. Mit der Handfläche wischte er die Figuren wieder weg, dann verließ er die Dusche, trocknete sich ab und besah sich im Spiegel. – Ein kleines Bäuchlein hast du ja schon –, dachte er. Aber dann grinste er seinem Spiegelbild entgegen und hüpfte in seinen Superman-Schlafanzug. Anschließend ging er in sein Zimmer. Er lief zum Fenster und sah hinaus. Aber außer der großen Parkanlage konnte er nichts sehen, was gespenstisch oder hexisch aussah. Seufzend ging er in sein Bett und ließ sich in dieses hineinfallen. Vom Bett aus sah er all seine vielen Kartons, die er morgen auspacken musste. – Ich werde mal Stefanie fragen, vielleicht hilft sie mir ja dabei? –, überlegte er. Dann drehte er sich zur Wand und zog sich die Decke über den Kopf.

Tobias war fast eingeschlafen, als er ein Weinen hörte. Ein fast unhörbares, aber sehr trauriges Weinen. Irgendwie hatte Tobias das Gefühl, dieses Weinen heute schon einmal gehört zu haben. Nein, es war nicht heute, es war gestern. Gestern, als er mit Emilie unten im Keller war. Genau da hatte er dieses Heulen schon mal gehört. Tobias warf die Decke von sich und setzte sich aufrecht in seinem Bett hin. Er sah sich in seinem Zimmer um, doch er konnte nichts sehen. Enttäuscht zuckte er mit den Schultern und legte sich wieder hin. Gerade als er wieder am Einschlafen war, hörte er eine traurige Stimme.

»Warum legst Du Dich wieder hin? Ich versuche schon den ganzen Tag Dich auf mich aufmerksam zu machen. Gut, zuerst nicht, da habe ich versucht mein Weinen zu unterdrücken, aber das gelang mir nicht. Immerhin, wie auch, ich weine ja schon seit vierhundert Jahren, da gibt man das nicht von heute auf morgen auf. Aber jetzt, jetzt bin ich hier bei Dir und Du beachtest mich so gar nicht. Dabei habe ich doch heute gehört, wie Du Deine Mutter erzählt hast, dass Du mich suchst. Und hier bin ich. Aber jetzt siehst Du nicht einmal nach mir. Im Gegenteil, Du tust gerade so, als sei ich Luft, als gäbe es mich gar nicht. Als wenn ich gar nicht hier wäre. Aber ich bin hier, genau hier! Komm, spiel mit mir. Warum willst Du nicht mit mir spielen?« Immer lauter weinte die Stimme.

Tobias sprang, wie von der Tarantel gestochen, aus seinem Bett. Er drehte sich in seinem Zimmer, als wäre er sein Kreisel. Mit schnellem Blick versuchten seine Augen sein Zimmer zu durchforschen. Aber er konnte nur verschwommen sehen. Schnell griff er zu seinem Nachttisch und zog seine Brille zu sich her, setzte sie auf. Nun war seine Sicht klarer. Aber erkennen konnte er dennoch nichts. Für Tobias sah noch immer alles gleich aus.

Dann, dort drüben in der Ecke, was war das? War es Nebel? Hier, in seinem Zimmer? Unmöglich. Doch was sonst konnte es sein? Hatte seine Mutter womöglich einen ihrer hauchdünnen Vorhänge hier aufgehängt? Bloß nicht, denn diese Dinger hatte er noch nie leiden mögen. Plötzlich hörte er es wieder. Das Weinen.

»Spiel mit mir, Junge. Warum willst Du nicht mit mir spielen? Ich bin hier, hier drüben. Siehst Du nicht, ich sitze auf Deinem Bett.«

»Wer bist Du? Und auf meinem Bett kann ich mal gar nichts sehen. Zeig Dich doch, wenn Du da bist. Immerhin hast Du ja mich angesprochen, und nicht ich Dich.« rief Tobias in den Raum hinein, wobei er seinen Blick nicht mehr von seinem Bett ließ.

»Du kannst mich nicht sehen? Soll das heißen, dass ich in den vergangenen vierhundert Jahren unsichtbar geworden bin? Oh nein, bloß nicht. Wie sollen wir denn dann miteinander spielen können, wenn Du mich gar nicht sehen kannst?« Das Weinen wurde lauter und verzweifelter.

»Woher soll ich das wissen? Du willst doch mit mir spielen, jetzt, mitten in der Nacht. Dann musst Du Dir auch überlegen, wie ich Dich sehen kann. Du kannst mich doch sehen, oder etwa nicht?«

»Ja, Tobias, ich kann Dich sehen. Aber was kann ich nur tun, um dass auch Du mich sehen kannst?« Erneutes Klageweinen durchdrang Tobias´ Zimmer.

Tobias war froh, dass das Schlafzimmer seiner Eltern ganz weit in einem anderen Flügel des Schlosses lag, denn bei dieser Heulerei hätte es ansonsten nicht lange gedauert und seine Mutter wäre ihm auf der Matte gestanden. Und wie hätte er ihr das Ganze erklären sollen? Womöglich mit – Mama, hier ist ein Geist. Ich kann ihn zwar nicht sehen, aber er heult an einem

Stück? – Das hätte sie ihm niemals geglaubt, dazu kannte er seine Mutter zu gut. Im Gegenteil, dann wären die Es-gibt-keine-Geister-Belehrungen aufs Neue wieder losgegangen. Und darauf hatte er keine Lust. Wenn er dieses Thema wieder aufnehmen würde, dann wäre es erst in dem Moment, in dem er ihr das Gegenteil würde beweisen können.

»Ich kann Dich nicht sehen. Vielleicht bist Du ja auch nur zu spät dran, denn die Geisterstunde ist doch bereits vorbei.« flüsterte Tobias in Richtung seines Bettes.

Wieder ertönte lautes jämmerliches Weinen. Noch wehleidiger, noch trauriger.

Tobias lief zu seinem Bett hin. Auch wenn er nach wie vor niemanden auf seinem Bett sehen konnte, so tat ihm dieser Jemand doch leid. Beim Näherkommen stellte er fest, dass er wieder etwas Nebelartiges sah. Tobias blieb stehen, betrachtete sich das Ganze genauer. Die Schwaden woben immer um ein und den selben Punkt. Tobias kniff die Augen zusammen. Konnte es sein? Konnte es tatsächlich sein, dass hinter, unter, den Schwaden sich die Gestalt eines Jungen hervorschälte, ausmachte? Tobias ging noch näher an sein Bett, noch dichter zu dem Nebel hin. Ja, es war ein kleiner Junge, der sich unter diesem versteckte.

»Du musst diesen Nebel um Dich herum abstellen, dann kann ich Dich auch richtig sehen, hörst Du?«, schlug Tobias dem nebeleingehüllten Wesen vor.

»Glaubst Du, dass ich das kann? Hab ich Dir eigentlich schon gesagt, wie ich heiße?«, fragte die Stimme von seinem Bett.

»Nein, hast Du nicht. Aber ich hab Dir ja auch nicht gesagt, wie ich heiße. Und da ich hier wohne, sollte ich mich wohl zuerst bei Dir vorstellen. Ich bin Tobias van de Ströhm. Meine Familie und ich sind erst vorgestern hier eingezogen. Und was hat Dich hierher verschlagen?«

»Ich wohne auch hier und schon viel länger als Du. Seit über vierhundert Jahren. Und mein Name ist Schniefer...«

»Schniefer? Das ist aber ein komischer Name...«

»Den haben mir die Geister der Vergangenheit gegeben, weil ich immerzu am Heulen bin, deswegen Schniefer, denn wenn sie immer mit mir schimpfen, die Geister, dann versuche ich das Heulen zu unterdrücken und dann schniefe ich, weißt Du«

»Es gibt hier noch mehr Geister? Und Du kannst sie sehen?«

»Nein, ich kann sie nur hören, aber sehen kann ich sie nicht. Du bist seit vierhundert Jahren die erste Gesellschaft, die ich habe.« weinte der Geist.

»Ach, das ist aber schade. Schniefer, sagst Du? Du hast doch aber bestimmt auch einmal einen anderen Namen gehabt, damals als Du noch gelebt hast. Oder hast Du gar nicht gelebt? Bist Du schon immer ein Geist gewesen? Sag, komm erzähl mir ein bisschen mehr von Dir, das interessiert mich nämlich brennend.« bat Tobias den Geist Schniefer.

»Gelebt? Doch, ich glaube schon, dass ich auc hmal gelebt habe, so wie Du, aber dann...«

»Was, Geist Schniefer, was war dann? Los, rede, ich habe nicht jeden Tag die Gelegenheit etwas über Geister zu erfahren. Los, erzähl´, rede, was meinst Du, was willst Du mit – aber dann – sagen?« Tobias stand vor seinem Bett und redete zu diesem, zumindest hätte es auf jeden anderen, der ihn so hätte sehen können, so gewirkt.

»Ich weiß es nicht mehr so genau. Immer, wenn ich versuche mich daran zu erinnern, dann fühle ich mich ganz schlecht und alles um mich herum wird dunkel. Ich habe schon so oft versucht von den anderen Geistern etwas mehr zu erfahren, aber sie legen dann immer ganz erschrocken ihre Geisterfinger auf ihre Geistermünder und flüstern hinter diesen hervor, dass ich schweigen soll, dass ich das Unheil nicht noch mehr heraus provozieren soll...«

»Aber, Du kannst doch die anderen Geister gar nicht sehen.«

»Ja, aber ich kann sie fühlen. Und Geister fühlen anders, weißt Du? Geister fühlen sehend...«

»Schweigen sollst Du? Das sind aber komische Regeln bei Euch Geistern. Ja, und was machst du dann, Schniefer?«

»Was ich dann mache, willst Du wissen, Tobias? Was sollte ich denn dann schon machen? Ich habe dann immer geschwiegen, bis heute. Aber jetzt bis ja Du da, da habe ich wenigstens jemanden, der mit mir redet. Vielleicht spielst Du ja auch mal mit mir.«

Hoffnungsvoll sahen die Geisteraugen durch den nebenlartigen Smog, der sie umgab.

»Ja, wenn Du willst, dann können wir auch mal zusammen spielen. Aber zuerst solltest Du mal versuchen für mich richtig sichtbar zu werden. Aber nur für mich, nicht für die anderen, denn die brauchen Dich vorerst nicht zu sehen. Und wenn Du erst mal sichtbar bist, dann sollten wir mal versuchen herauszufinden, wer Du mal warst, wie Du geheißen hast.«

»Wie glaubst Du denn, dass ich mich sichtbar machen soll?«, fragte der Geist.

»Das weiß ich auch nicht, denn ich bin bisher noch nie ein Geist gewesen, noch einem begegnet. Aber wenn ich Du wäre, dann würde ich mal versuchen ganz gest daran zu denken sichtbar werden zu wollen, wer weiß, vielleicht klappt das dann ja auch. Und wenn nicht, dann hast Du ja noch ganz viele Stunden zum Üben, denn ich muss jetzt erst mal schlafen, denn was glaubst Du, was später los sein wird, wenn ich nicht rechtzeitig wach werde und mein Zimmer nicht in Ordnung bringe?! Also, lass mich jetzt bitte schlafen. Du kannst ja mal das Sichtbarwerden üben...«

»Aber wie soll ich das denn machen? Ich kann mich doch gar nicht selbst sehen.«

»Schniefer, komm, ich mach Dir mal die Badezimmertür auf, dort drinnen ist ein großer Spiegel. Vor dem kannst Du ja mal üben. Und wenn Du dann sichtbar bist und es frühestens sieben Uhr morgens ist, dann darfst du mich auch wieder wecken.« Tobias wollte gerade aus seinem Bett, als Schniefer sagte: »Du brauchst mir nicht die Tür öffnen, ich komme auch so hindurch. Nur aus dem Kellergewölbe, da ist es mir nie gelungen herauszukommen, aber dorthin bin ich ja auch versperrt worden...«

»Du meinst mit Sicherheit eingesperrt worden. Nicht versperrt. Aber hör zu, ich muss jetzt unbedingt schlafen, Schniefer. Bitte, geh Du jetzt ins Bad und später reden wir weiter. Uns wird schon einfallen, wie Du sichtbar werden kannst. Aber jetzt: Gute Nacht.«

Schniefer verließ Tobias´ Bett und war im nächsten Moment in Tobias´ Badezimmer verschwunden und versuchte vor dem Spiegel Erscheinungsübungen. Aber so sehr er sich auch anstrengte, es gelang ihm nicht. Er konnte sich nicht im Spiegel sehen. Traurig setzte er sich in die Duschkabine und schlief ein.

Auch Tobias brauchte, trotz seinem abenteuerlichen Nachterlebnis, nicht allzu lange, bis er eingeschlafen war. In dieser Nacht träumte er von Geistern, von ganz vielen Geistern, die im Schloss seiner Eltern umherspukten und die versuchten Schniefer zu fangen, ihn wieder im Kellergewölbe einzusperren.

In dieser Nacht schlief Tobias so unruhig, dass er am Morgen, wenn er erwachen würde, sich mit Sicherheit darüber wundern würde, weshalb das Bettzeug, die Bettwäsche, von seinen Federbetten gezogen war. Denn durch sein Hin- und Herdrehen, kam er an die Knöpfe der Bettwäsche, so dass diese durch die Knopflöcher rutschten. Und so war es für die Bezüge ein Leichtes von den Kissen und Decken herunterzurutschen.

Kapitel 6: Sichtbar gegen unsichtbar

als Tobias am nächsten Morgen erwachte, war er sich nicht mehr so sicher, ob er Schniefer in der Nacht tatsächlich getroffen hatte, oder ob nicht doch alles nur ein Traum gewesen war.

Sich in seinem Zimmer umsehend, konnte er so gar nirgends eine Nebelschwade, die auf Schniefers Anwesenheit hätte schließen lassen, erkennen.

Etwas enttäuscht, nun doch alles geträumt zu haben, ging er ins Badezimmer, um sich für den Tag fertig zu machen.

Nach dem Zähneputzen stieg er in die Duschkabine und machte das Wasser an. Im nächsten Moment schrie es: »Wasser, igitt! Ich habe so lange in modrigen Wasserperlen leben müssen. Mach das Wasser aus, oder lass mich wenigstens hier raus, bitte!«

»Schniefer? Bist Du das? Gibt es Dich also doch!«, rief Tobias freudig erregt. Schnell drehte er den Wasserhahn zurück, so dass das Wasser auf der Stelle mit dem Fließen aufhörte.

»Danke. Jetzt kannst Du es wieder anmachen. Ich bin jetzt wieder draußen. Ich warte dann hier in dem Waschtrog, oder was immer das für ein Teil sein mag, auf Dich.« rief ihm Schniefer zu.

»Darf ich also jetzt wieder duschen? Gut, dann gehst Du aber raus, immerhin bin ich ja ganz nackt. Und da hast Du mir gegenüber wohl einen Vorteil. Geh bitte ins mein Zimmer. Ich komme auch gleich.« rief Tobias dem Geist zu. Ganz schnell schäumte er sich mit dem Duschgel ein, wusch es wieder ab. Hüpfte aus der Dusche, trocknete sich wieder ab und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Wozu einen Kamm nehmen, wenn es die Finger auch taten. Schnell rannte er in sein Zimmer zurück und suchte Schniefer.

»Na, bist Du fertig? Das ist schön, dann können wir ja jetzt spielen.« rief der kleine Geist Tobias zu.

»Schniefer, ich kann dich aber immer noch nicht sehen. Und so lange ich Dich nicht sehen kann, so lange können wir auch nicht miteinander spielen. Also mach dich sichtbar, während ich beim Frühstücken bin.«

»Frühstücken? Oh, da komm ich mit und danach können wir immer noch üben, das mit meinem Sichtbarwerden. Los, auf was wartest Du noch? Komm, ich hab schon so lange nicht mehr gefrühstückt!«, bettelte der kleine Geist.

»Mensch, Schniefer, wenn meine Mutter Dich sieht, was meinst Du, was da erst los ist...«

»Wie kann mich Deine Mutter sehen, wenn Du mich doch auch nicht sehen kannst?«, fragte Schniefer irritiert.

»Ach, ja, Du hast Recht. Also dann, lass uns frühstücken gehen, aber beiß´ mir nicht zu große Stücke vom Brot ab, sonst riecht meine Mutter womöglich doch noch Lunte.«

»Großes Geisterversprechen.« jubelte der Geist.

Somit machten sich die beiden ungleichen Freunde hinunter ins Frühstückszimmer, auch so einen Raum barg das Schloss, und Tobias holte sich eine Tasse mit warmer Schokolade und drei Scheiben braungebrannten Toast.

»Ja, Tobias, was ist denn mit Dir los? Du machst ja heute Bisse, als wenn Du zwei Münder hättest. Macht Dich die schottische Luft so hungrig? Dann musst Du Dich aber auch mehr bewegen, denn wenn Du von jetzt an jeden Tag so futterst, dann können wir Dich in einem halben Jahr zum Bowlingturnier anmelden...«

»Tatsächlich? Mensch, das ist doch klasse. Ich wollte schon immer mal Bowling spielen.«

»Ja, aber Du machst einen Denkfehler. Du würdest an dem Turnier nicht als Spieler, sondern als Bowlingkugel teilnehmen. Und das findest Du doch bestimmt gar nicht lustig, oder?« Karin versuchte ihr Gesicht in die Form einer runden Bowlingkugel zu bekommen und gleichzeitig die Augen wie – Schreibers Süßbückling – zu verdrehen.

Tobias sah sie vorwurfsvoll an: »Ich bin keine Bowlingkugel und ich werde auch niemals zu einer solchen werden, merk Dir das, Mama.« dann drehte er seinen Kopf zur Seite und flüsterte: »Schniefer, ich hab´s Dir doch gesagt, dass sie es merken wird. Hör jetzt endlich auf so große Bissen von meinem Toast abzubeißen.«

»Wenn es aber doch so gut schmeckt. Geh mal und hol uns mal noch ein paar Würstchen, am besten auch noch Rührei...«

»Wirst Du jetzt endlich still sein, Schniefer...«

»«Tobias, mit wem redest Du denn da?, fragte Karin van de Ströhm ihren Sohn und sah ihn mit Stirnrunzeln an. Sie machte sich rechte Sorgen um ihn. Ob ihm Schottland und dieses Schloss wohl doch nicht so gut taten? Sie wollte auf gar keinen Fall, dass ihr Sohn in eine Phantasiewelt einglitt. Jetzt saß er bereits am Tisch und redete mit Unsichtbaren. Als wenn es sichtbare Unsichtbare geben würde. – Sichtbar gegen unsichtbar, was für ein Schwachsinn –, dachte Karin.

Zu Tobias sagte sie: »Sechs Scheiben Toast, vier Würstchen, und jetzt noch eine Ladung Rührei. Sag mal, wohin isst Du das denn?«