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Mit Naturritualen dem Geist der Tiere begegnen Dieses Buch ist ein "Weg-Weiser" zum Erkunden von uns heute stimmigen rituellen Wegen im geistigen Schamanismus-Feld unserer europäischen Ahninnen mit der Absicht: Begegnung mit dem Geist der Tiere. Tiere als geistige Lehrer und Begleiter werden in der traditionellen Weltsicht des Schamanismus nicht als psychologisch zu interpretierenden Symbole oder als "Besitz" erfahren, sondern als eine spezielle geistige Qualität, die sich in Gestalt eines Tieres zeigt und so für Menschen mit allen Sinnen erfahrbar wird. Diese Erfahrung, die in Verbindung mit einem Geist-Tier führen kann, erfordert Erfahrung, Kreativität und Mut um Wege aus dem in unseren westlichen Kulturen überlieferten alten Natur-Geist-Wissen neu zu entfalten. Vielfältige Sachinformationen und Wahrnehmungs-Übungen regen in diesem Buch an, in Ritualen den Geist der Weltsicht Schamanismus mit seinen vielfältigen Wirklichkeiten wach, bewusst, neugierig, lustvoll und heilsam zu erfahren und zu leben. Die mögliche Begegnung mit einem "Geist-Tier" kann in die tiefe, heilsame und stärkende Erkenntnis der Verbundenheit mit allen Wesen im Lebensgewebe führen
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Seitenzahl: 281
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Dieses Buch soll eine alle Sinne anregende Wahrnehmung eröffnen – nicht nur für die Spurensuche nach Hinweisen auf die geistige Welt unserer europäischen Schamanen-Ahninnen – sondern vor allem auch zum Erkennen neuer, kreativer Wege um schamanische Welten und ihre Geisttiere als Informationsträger entsprechend unserer heutigen kulturellen und gesellschaftlichen Wirklichkeit zu erfahren. Ich möchte anregen und ermutigen, den Geist des Schamanismus mit seinem unendlichen Reichtum an Wirklichkeiten wach, bewusst, neugierig, lustvoll und heilsam zu erfahren und zu leben.Nana Nauwald, 2021
Das leuchtende Tier – eine mythische Orientierungshilfe
Vom Geist der Tiere – eine geflügelte Reise.
Schamanismus - eine Erfahrungswissenschaft
Vom schwingenden, klingenden Geist des Lebens
Eine Feder ist eine Feder – der Kreis öffnet sich
Geistige Spurensuche
Hirschmann und Schlangenfrau – wie wirklich sind Geisttiere?
Vogel-Irritationen
Wenn Geister tanzen...
Maskentanz im Schamanismus
Die Maskentanz-Erfahrung
Von Vögeln, Hirschen und Schlangen als geistige Gefährten im Schamanismus
Wenn die Wildgänse ziehen
Der Sonnenhirsch
Schlangenfrau
Vom Verstehen der Sprache der Geister und Tiere
Schlangenhirsch und Wolfsvogel - eine tierische Trance-Erfahrung
Die Mutter der Tiere
Rituale der Wahrnehmung
Vier Wahrnehmungsübungen
Eine Feder ist mehr als eine Feder - der Kreis schließt sich.
Danksagung
Literatur
Über die Autorin
Märchen und Mythen sind Informationsträger vom Wissen um die Ursprünge, Zusammenhänge und Strukturen vom Leben in seinen vielfältigen Erscheinungsformen durch alle Zeiten der sprachkundigen Menschheit hindurch.
In dem reich gefüllten Mythentopf der alten Kulturen Europas flimmern uns vielfache Anhaltspunkte über das Wissen um die »wirkliche Welt«, die »Anderswelt«, die Welt »hinter, über oder unter der Welt« entgegen. In diesem alten Geisteserbe spielt das Verhältnis von Mensch zum Tier eine zentrale Rolle. Sprechende Tiere, Ehen zwischen Mensch und Tier, in Menschen verwandelte Tiere und in Tiere verwandelte Menschen können aufmerksamen Lauscherinnen auch heute noch von den europäischen Wurzeln des Schamanismus erzählen. Es bedarf oftmals nur winziger Veränderungen der »normalen Wahrnehmungsfilter« um verborgenes Wissen zu erkennen.
Dieses Buch ist ein »Reise-Handbuch« zum Erkunden neuer Wege im geistigen Schamanismus-Feld unserer europäischen Ahninnen mit dem Reise-Ziel: Begegnung mit Geist-Tieren.
Zur Einstimmung auf diese Reise eine Geschichte:
Das leuchtende Tier
Der Herbst hatte seine Nebelschleier über die dichten Wälder der irischen Insel gelegt. Noch lag die Welt im Morgengrau, als sich Fionn mit seinem Gefolge zur Jagd aufmachte. Sie waren schon eine Weile durch das feuchte Herbstlaub gegangen, als sich vor ihnen eine Waldlichtung auftat. Den Männern stockten der Schritt und der Atem, denn auf der Lichtung stand das seltsamste Tier, das je ein Mensch gesehen hatte. Es war von großer Gestalt, hatte den Leib eines schimmernden Hirsches, aber das borstige Fell eines Ebers. Auch sein Kopf war der Kopf eines Ebers, und auf diesem Kopf trug es einen Wald von schwarzen, schlangenähnlich verschlungenen Hörnern. Seine Füße waren von einer Art, wie sie kein Tier unter dem Himmel hat. Aber das allerseltsamste war, dass an jeder Seite seines Leibes ein Mond leuchtete. Fionn besann sich schnell, löste die Hunde von den Leinen und hetzte sie auf das Tier. Laut bellend stürmte die Meute auf das leuchtende Tier zu, da trat aus dem Dickicht des Waldes mit großem Schritt das Rote Weib herzu. Ihre Gestalt war größer als die eines Sterblichen, ihr Haar roter als Karfunkel, durch den das Licht scheint. Ihre Gewänder hatten die Farbe rotglühender Asche und in ihrem Gesicht war die flammende Pracht des Sonnenaufgangs.
»Halt ein, Fionn«, rief sie ihm befehlend zu, »ich verfolge das Tier schon lange.«
Fionn weigerte sich, seine Hunde zurückzurufen, die das Tier wild bellend umsprangen. Da erklärte ihm das Rote Weib, dass es dieses Tier selbst erlegen müsse, um das Leben ihrer drei vom Leuchtenden Tier verzauberten Söhne zu retten. Sie brauche keine Hunde zum Jagen, da sie schneller und stärker sei als jeder Hund. Doch Fionn wollte sich von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen. Da verwandelte sich das Weib in eine große Schlange mit rotglitzernden Schuppen. Auf dem Rücken der Schlange kräuselte sich eine Mähne aus feurigen Ährenbündeln. Immer fester wand sie sich um Fionn, um den es bald geschehen wäre, hätte nicht sein treuer Hund Bran die Schlange angegriffen. Daraufhin fiel die Schlange von Fionn ab und verwandelte sich wieder in das Rote Weib. Mit großen Sprüngen hatte sich das Leuchtende Tier aus der Meute der Hunde befreit und war im Wald verschwunden. Nun jagten das Rote Weib und Fionn gemeinsam hinter dem Tier her. Die Dämmerung brach herein, die Nacht kam und verging – und immer noch verfolgten sie das Tier, dessen Monde einen wundersamen Glanz um sich verbreiteten. In der Kälte des neuen Morgens kamen Fionn und seine Männer endlich näher an das Tier heran, da schüttelte es sich und ein großer Schauer von Blut rieselte auf die Verfolger herab. Als die Sonne hoch am Mittagshimmel stand, da sahen sie das Tier mit langsamer werdendem Schritt zum »Berg des Königs« wanken. Als es den Berg berührte, tat sich eine Öffnung auf und das Tier verschwand im Berg. Da zog das Rote Weib aus seinem Gewand einen Druidenstab, schlug damit an den Berg und der Berg tat sich auf. Das Rote Weib bedeutete Fionn und seinem Gefolge, mit ihr zu kommen. Ihre Gewänder waren verschmutzt und mit Blut bedeckt. Als sie den Berg betreten hatten, erschien ein lichtfarbener Vogel, der sang und flatterte um sie herum und schüttelte goldenen Staub von seinen Flügeln über sie. Zehn Jünglinge traten herzu, brachten Becken mit Wasser für Fionn und seine Leute sowie Gewänder in heiteren Farben für alle. So zogen sie ein in eine weite Halle, die den kalten Glanz des Mondes und die goldene Kraft der Sonne hatte. Hinter der Halle lag das prächtige Gemach des Königs. Dort saß er, herrlich gekleidet und schön anzusehen. Sein Antlitz war leuchtend hell und seine Haare hatten den Glanz eines Rubins. Musikanten saßen ihm zu Füßen und spielten für ihn, Jünglinge tanzten und sangen dazu. Das Rote Weib trat zum König und stellte ihm Fionn und sein Gefolge vor und erzählte ihm von der Jagd auf das Leuchtende Tier. Der König ließ ihnen Wasser vom Land der ewigen Jugend in Kristallbechern kredenzen und befahl dem leuchtenden Tier zu kommen. Es erschien, und voll Staunen sahen Fionn und sein Gefolge, das die verschlungenen, schlangenähnlichen Hörner auf seinem Haupt gewaltig gewachsen waren und auch die Borsten seines Felles auf dem Rücken wie zu einem kleinen Wald verwachsen waren. Die Monde auf den Seiten seines Leibes pulsierten von Licht, und seine Augen leuchteten wie zwei feurige Kohlen. Das Tier verbeugte sich tief vor dem König. Dieser sicherte ihm nochmals seinen Schutz zu, aber das Tier verschmähte ihn. Es sagte, es wolle sich auf seine eigenen Kräfte verlassen. Dann rannte es davon, und somit war des Königs Schutz gebrochen.
Eilends verabschiedeten sich die anderen vom König und stürzten aus dem Berg heraus, dem Tier hinterher. Die Sonne stand schon tief am Himmel als das Tier immer langsamer wurde, das Leuchten seiner Monde schwächer ward und sich Blutspuren auf seiner Fährte zeigten. Da erreichte das Rote Weib das Tier als erste und erlegte es. Gewaltig war der letzte Schrei des Tieres, bevor es zur Erde stürzte und starb. Als Fionn mit seinem Gefolge dort ankam, lag statt des Leuchtenden Tieres ein Mann auf der Erde, der gewaltig wie ein Eichbaum war. Seine Gewänder blendeten sie, denn sie waren von purem Gold. Unzählige Bilder waren in die Gewänder eingewebt – Schlangen, Vögel und fliegende Drachen und ganze Landschaften. Das Haar des Mannes war umwunden von einem Reifen aus Malachit und war wie ein Gebüsch, das sich verzweigte in Büschel, Locken und Knoten. Jedes Büschel, jede Locke und jeder Knoten war von einer anderen Farbe und trug einen Edelstein. Eine Seite des Gesichts war ebenholzschwarz, die andere war weiß. Fionn beugte sich dicht zu dem Mann hernieder und wollte seine Gewänder berühren, da rief ihn das Rote Weib an und warnte vor einer Berührung, da sich in jedem Faden des Gewandes Natterngift verberge. Das Leben ihrer drei Söhne war nun gerettet, sie waren vom Zauberbann des leuchtenden Tieres erlöst. Das Rote Weib schüttete Erde über die tote Gestalt. Da begann der Leib des gewaltigen Mannes zu schrumpfen und sich in ein Blatt zu verwandeln, das der Wind fortwehte.
Überliefert aus Irland
Vor allem sind es die Stimmen der Vögel, die Lehrmeister waren und immer noch sind für Menschen, die aus der Verbindung mit dem Geist der Natur heraus heilsam wirken wollten und wollen. Die Bezeichnung »Flug des Schamanen« und »Seelenflug« für den durch Rhythmus, Klang (...) hervorgerufenen veränderten Bewusstseinszustand des Schamanen, dazu die Feder als rituelles Werkzeug und Vögel aus Metall an sibirischen Schamanengewändern – all das zeugt von der zentralen Wichtigkeit der Verbindung zu Vögeln in der schamanischen Arbeit.
»Das gesamte Tierreich ist also Ausdruck desselben Lebenswillens, der durch alle seine Gestalten hindurchgeht und schöpferisch die Formen hervorbringt, in denen das Leben sich offenbart.«
A.E. Günther (»Totem«, S. 51, Dtsch. Hausbücherei Hamburg)
Die lange Bahnfahrt im Bummelzug durch das bilderbuchschöne Voralpenland hat meinen Körper und meinen Geist in einen tranigen Zustand verrüttelt.
Ich finde mich mit langsam wacher werdendem Blick auf dem kleinen Zielbahnhof meiner Reise wieder. Der Zug rattert aus dem Bahnhof, ein kurzer Blick auf mein Gepäck beruhigt meine aufflammende Besorgnis, ich könne im Rüttel-Tran etwas im Zug vergessen haben. Trommeltasche, der kleine Koffer mit Rasseln und Ritualgegenständen, die Tasche mit meinen persönlichen Dingen – alles steht ordentlich aufgereiht neben mir und scheint, genau wie ich, dem Kommenden erwartungsvoll entgegenzublicken. Eine junge Frau schreitet mit energischem Schritt und wehendem farbenfrohen Gewand zielsicher auf mich zu: meine Gastgeberin für das vor mir liegende Seminar »Vom Geist der Tiere«.
Eine kurvenreiche Straße führt zu dem einsam gelegenen Seminarhof. In besonders engen Kurven streift ein Büschel Federn meinen Kopf, das vom Rückspiegel herab hängt. Ich fixiere die Federn und versuche, sie einem Vogel zuzuordnen. Meine Gastgeberin hat meinen forschenden Blick bemerkt und erklärt stolz: »Das sind Flaumfedern von einer Wildgans. Die Wildgans ist eines meiner wichtigsten Krafttiere.«
Aha. Krafttiere – und nach Wichtigkeit geordnet.
Ich beginne zu ahnen, womit ich auf diesem Seminar konfrontiert werde.
Das Seminarhaus ist wunderschön gelegen, mit einem weiten Blick auf die Berge, die dunkelgrünen Tannenwälder und die leuchtend grünen Wiesen der Voralpen.
Meine erste Empfindung beim Anblick dieser großartigen Landschaft ist: Natur pur. Meine zweite Empfindung ist eine zweifelnde: was ist an dieser durch Jahrtausenden von Menschen zu ihrer Gefügsamkeit gestalteten und kultivierten Landschaft eigentlich noch »Natur«? Versöhnlich schaltet sich mein Verstand ein: jede Erscheinungsform von Leben ist eine Ausdrucksform der »Natur«, von der kleinsten Mikrobe bis hin zum Menschen. Und: solange es den Menschen als willentlich handelndes Geschöpf gibt, so lange hat auch der Mensch versucht, die »Natur« nach seinen Bedürfnissen zu beeinflussen, zu gestalten. Um zu leben und zu überleben hat der Mensch zu allen Zeiten das empfindsame Gleichgewicht der Natur zwischen Leben und Tod gestört.
Ich stoppe meinen Gedankenfluss, richte meine Aufmerksamkeit und meinen Atmen wieder bewusst auf das, was ich wahrnehmen und nicht interpretieren wollte: die mich umgebende Natur. Nun, da mein Gedankenfluss zur Ruhe gekommen ist, höre ich auch das Lied einer Amsel, die sicherlich schon lange aus der nahen Baumgruppe herüberklingt. Und den hohen Ruf des Habichts, der in großen Kreisen über der Wiese seine Bahnen zieht. Sehnsüchtig begleitet mein Blick seinen Flug. Wie gerne wäre ich diejenige, die so hoch oben mit scharfem Blick gelassen die Welt unter sich betrachtet.
Geflügelte Sehnsucht: mit wachem Bewusstsein mich als Teil der Vielfalt von Natur zu erfahren und diese Vielfalt auch aus anderer Sicht als der menschlichen zu erleben – diese Sehnsucht hat mich vor langen Jahren auf den geistigen Weg des Schamanismus geführt. Dieser Weg bestimmt meine künstlerische Arbeit. Diese Erfahrung von vielfältigen Welten, die durch ein lebendiges Informationsnetz miteinander verbunden sind und aufeinander einwirken, hat mich dazu gebracht, meine Erkenntnisse und Erfahrungen nicht über meine künstlerische Arbeit, sondern auch über Seminare und Bücher weiterzugeben.
Deshalb bin ich aus der norddeutschen Heidelandschaft in das Allgäu gefahren, um zusammen mit zu »nicht alltäglichen Wahrnehmungen« bereiten Frauen und Männern dem »Geist« der Tiere zu begegnen.
»Ein Mönch fragt: ‚Was ist eigentlich Geist?’ – ‚Geist’, lautet die Antwort des Meisters. ‚Ich verstehe nicht’, forscht der Mönch weiter. ‚Ich auch nicht’, erwidert ohne zu zögern der Meister.«nach D.T. Suzuki, (1870-1966), einer der bedeutendsten Vermittler des Zen-Buddhismus in der westlichen Welt.
Gut, dass keiner der Bewohner des nahen bäuerlichen Dorfes, dessen Mittelpunkt eine kleine Barock-Kirche bildet, die Begriffe »nicht-alltägliche Wahrnehmung« und »Geister« hört! Es ist nicht so einfach, diese Begriffe zu erklären ohne Angst, Besorgnis oder Ablehnung in Menschen zu erwecken, die in der Ordnung der christlichen Religionen zu Hause sind. Spinner, Animisten, Tieranbeter, Gottlose – das sind nur einige der Kommentare, die ich in mir vor Jahren bei ähnlichen Erklärungsbemühen habe anhören müssen.
Animismus
Bei den Griechen hieß es zoon - das »lebendige Ding.«
Mit »Animismus« wird heute allgemein eine Weltsicht bezeichnet, die davon ausgeht, dass alles Lebendige eine Seele hat, dass sich der »Atem der Schöpfung« in allem zeigt. Diese Weltsicht schließt auch die Existenz von Geistern ein: Ahnengeister, Totengeister, Naturgeister, Tiergeister.
„Schamanismusist keine Religion, sondern ein Ganzes von ekstatischen und therapeutischen Methoden, die alle das eine Zielverfolgen, den Kontakt herzustellen zu jenem anderen, parallel existierenden, jedoch unsichtbaren Universum der Geister, um deren Unterstützung für die Besorgung der menschlichen Belange zu erwirken.“
Mircea Eliade (1951)
Dank der zunehmenden Popularisierung des Themas »Schamanismus« durch TV, Zeitschriften, Kongresse ist die Toleranz dafür in deutschen Wohnzimmern gewachsen.
Schamanismus umfasst als Grundlage die Anschauung des Lebens als eine aus vielen Lebensfäden verwobene Ganzheit, als Kreislauf. Schamanismus ist keine Religion, hat keine Priester, definiert sich nicht durch ein Glaubenssystem oder Dogmen.
Schamanismus gründet sich auf Erfahrung durch Sinneswahrnehmung. Was man erfahren hat, braucht man nicht mehr zu glauben – durch die Erfahrung »weiß« man es. Alles Wissen bezieht sich letztendlich auf Sinneswahrnehmungen, ob im Wachzustand, Traumzustand, Trancezustand, ekstatischen Zustand, in der Meditation oder Konzentration.
1992 antwortete Lindzja Beldy, eine Schamanin der Nanai, auf die Frage, ob Schamanismus eine Religion ist: »Religion? Das ist etwas, was die Russen haben. Wir haben nur unsere Schamanen.« J.Pentikäinen »die Mythologie der Saamen«, 1997, R. Schletzer Verlag, Berlin
Abbildung: Felszeichnung eines Schamanen im Zustand der Ekstase, umgeben von Tieren, Südsibirien, ca. 2700 v. u. Z.
Die sie umgebenden Natur und ihre daraus wurzelnden Lebensbedingungen und Lebenszusammenhänge bedingen die Vielfalt und die Unterschiedlichkeiten schamanischer Traditionen. Doch ob in Nepal, der Mongolei oder
Südamerika - die zentralen Pfeiler der schamanischen Weltsicht sind die gleichen: Alles was ist, ist miteinander verbunden und steht in Resonanz zueinander; alle Erscheinungsformen der Lebensenergie haben einen »Geist«; der Mensch ist nicht die »Krönung der Schöpfung« sondern steht mit seinen besonderen Fähigkeiten und Gaben im Kreis neben all den anderen Lebewesen und deren besonderen Fähigkeiten und Gaben.
Schamanismus ist geprägt durch die Fähigkeit der Schamanin (und des Schamanen) zum willentlichen Wechsel der Bewusstseinszustände. Auf diesen »Reisen« durch die Bewusstseinswelten will sie Verborgenes zu erforschen, Kommendes zu erkennen, mit geistigen Informationen in Gestalt von »Geistern« umzugehen, unabhängig von gewohnten Zeit- und Raumvorstellungen, losgelöst vom Ego. Und vor allem: das in Trancezuständen erworbene Wissen, die Erkenntnisse aus dem Umgang mit Geistern und geistigen Welten für die Gemeinschaft heilsam anzuwenden.
Schamane/Schamanin
Der Begriff »Schamane« entstammt der Sprache des sibirischen Volkes der Evenki. »saman« – die »mit Feuer arbeiten«, wurden die Männer und Frauen genannt, die Heilrituale leiteten und in Ekstase gerieten.
Über die russische Sprache floss dieser Begriff als »Schamane« in die europäischen Sprachen ein und wurde in den letzten hundert Jahren zu einem übergreifenden Wissenschaftsbegriff für alle kulturellen und religiösen Phänomene, die in indigenen Kulturen beobachtet wurden.
Einige Sprachforscher weisen darauf hin, dass die älteste Wurzel des Wortes »Schamane« auch in dem babylonisch-assyrischen Wort schamasch liegen könnte. Es war der Name des Gottes der Sonne und der Orakel. Vielleicht wurzeln auch die Worte Schamane und schamasch – in dem Sanskritbegriff schaman. Dieser Begriff bezeichnet das Mitgefühl gegenüber Irrenden, Hilfesuchenden und die innere eigene Aufmerksamkeit.
Vielfältig wie die schamanischen Kulturen sind die Bezeichnungen für Schamaninnen und Schamanen: »Von Oben Behauchte« - »Blinde« - »Meister des Feuers« - »der Zitternde«. Schamanismus ist gekennzeichnet durch das Wissen um den Dreiklang der Kräfte des Erschaffenden, des Erhaltenden und des Zerstörenden und durch die sich aus diesem Zusammenspielder Lebenskräfte ergebenen Aufgabe, zum Wohle des Einzelnen und somit zum Wohle der Gemeinschaft diese Kräfte in die Balance zu bringen und in der Balance zu halten.
Schamanismus ist eine seit Jahrtausenden bestehende geniale Mischform aus Naturwissenschaft, Medizin, Psychotherapie und Theater, verboten und verfolgt, verunglimpft und belächelt - und immer noch lebendig, in neuen Formen und auf neuen Wegen. Besonders der Umgang mit nicht-sichtbaren Wirklichkeiten und Kräften, den »Geistern«, ist in unserer individualisierten, nicht auf ein gemeinsames geistiges Weltbild bezogenen Technikgesellschaft ein heikles Thema, mit vielen Ängsten und Vorurteilen besetzt.
Immer neue Theorien aus den Bereichen der Physik erobern sich einen respektablen Platz in unseren Wissenschaftssystemen, zum Beispiel die Wurmlöcher oder die Stringtheorie. Haben Sie schon einmal ein Weltraum-Wurmloch gesehen oder mit einem String Kontakt aufgenommen? Wieso sollte es unglaubwürdiger, naiver, verschrobener, befremdlicher, rückständiger sein mit der Vorstellung und der Wirklichkeit von Geistern zu leben als mit der Wirklichkeit von Wurmlöchern im Weltall? Beweise? Beweise beweisen nur, was man eigentlich schon weiß und deshalb beweisen will. Man kann ja schwerlich durch Beweise etwas nachweisen, was man nicht weiß – oder? Ist der Beweis von etwas Sichtbarem zugleich der Beweis für die Abwesenheit von etwas Nicht-Sichtbarem? Halten wir uns als Menschen für so allwissend und allmächtig, dass wir uns anmaßen, die Wahrheiten und Maßstäbe von »Sein« und »Nicht-Sein« festzulegen? Schon ein kurzer historischer Rückblick auf die Entwicklung von Menschheit, Weltsichten und Vorstellung von Lebenszusammenhängen in den letzten Jahrhunderten kann bei diesen Überlegungen sehr regulierend wirken.
Es ist beruhigend und auch ein Hoffnungsträger für unsere Menschenerde, dass Astrophysik, Quantenphysik und die Tatsache, dass ein Küken immer noch aus einem Ei schlüpft, nebeneinander bestehen und sich sogar mehr und mehr auf eine Vorstellung vom Urgrund des Lebens beziehen.
»Die Seelen der Tiere tanzen im Himmel: So erklären manche Inuit und Indianer das Polarlicht am Himmel über Alaska. Andere sehen in den Lichterscheinungen die Geister gefallener Feinde. Finnen glauben, ein Polarfuchs wirbele mit seinem buschigen Schwanz den Schnee auf, in dem sich dann das Licht breche. Alles ganz plausible Erklärungen.
Angeblich aufgeklärte Wissenschaftler meinen dagegen, die Aurora Borealis entstehe durch elektrisch geladene Partikel von der Sonne, den so genannten Sonnenwind, der vom Magnetfeld der Erde eingefangen werde. Dort kollidierten die Ionen mit Gasen in der Atmosphäre und brächten diese zum Leuchten.Wenn das mal keine unglaubwürdige Science Fiction ist.«
Frankfurter Rundschau, 5. 02.05
Schwingung, Klang sind nicht mehr nur in den alten Mythen der Kulturen die Energien, aus denen sich alle Formen des Lebens gebildet haben. Auch einige der »visionären Denker«, die zumeist im Bereich der Physik zu Hause sind, können sich ein Schwingungsfeld als den Urgrund der Schöpfung vorstellen.
Noide (samischer Schamane) mit Trommel
Schamaninnen/Schamanen in Kulturen, die noch im Schamanismus leben, stellen sich dieses Ur-Schwingungsfeld nicht vor –sie wissen darum. Sie verbinden das »persönliche« Schwingungsfeld in ihrer Ritualarbeit mit den Schwingungsmustern der Bewusstseinsfelder durch ihr eigenes, absichtsvolles Singen, Rezitieren, Pfeifen, Tanzen, Trommeln, Rasseln.
Ob in Nepal, der Mongolei oder am Amazonas – Schamaninnen/Schamanen wissen um die Macht und Wirkung ihrer »Zaubergesänge«, in denen sie sich mit den »Liedern«, den Informationen von Pflanzen, Tieren und Geistern verbinden. Alles Lebendige hat sein besonderes Lied, seine besondere Schwingung. Das ist der eigentliche Kern schamanischer Arbeit: Die Schamanin/der Schamane verbindet sich, ausgehend von der Kenntnis um das »eigene Schwingungsfeld«, mit dem »Schwingungsfeld der Informationen«, die benötigt werden für die heilerische, seherische Arbeit. Diese Informationen können von allen Lebensformen vermittelt werden, auch von den nicht-sichtbaren. In den indigenen schamanischen Traditionen sind der Geist der Tiere und Pflanzen die wichtigsten Informationsvermittler.
»Der Begriff der Information, wie er von Physikern gebraucht wird, hat selbstverständlich seinen Hintergrund in der materiellen Welt, der Welt der Fakten. Der Begriff kann jedoch analog auf eine dritte Dimension, die Welt des Geistes, übertragen werden. Denn eine Information ist nicht nur eine Mitteilung oder ein bestimmtes Wissen, sondern auch der Gehalt einer Nachricht. Information wird nur wirksam, wenn sie auf einen Empfänger trifft und bestimmte Aktionen auslöst. »Informationen bestehen aus Unterschieden, die einen Unterschied machen.« (Gregory Bateson 1984, 123) Sie kann zwar als Code gespeichert werden, doch auch dieser Code muss von einer geeigneten Quelle, z. B. durch Abtastung durch einen Laserstrahl, aufgeschlüsselt und transformiert werden. Dieser Vorgang ist vergleichbar mit der Entschlüsselung der Impulse aus der Sinneswelt oder geistiger Impulse aus der Dimension des Geistes. Das menschliche Bewusstsein, das mit den materiellen, neurologischen Funktionen und so mit der Dimension der energetischen Welt vernetzt ist, transformiert geistige, nichtsinnliche Information in ein bewusstes Verstehen.
In diesem Sinne ist die eigentliche spirituelle Welt eine Welt der »Qualität«, die im Grunde keinem der menschlichen Existenzzustände entspricht. Raum und Zeit spielen hier keine Rolle, es ist die Welt der Möglichkeit, der Intelligenz und Kreativität. In religiösen Theologien wird Geist meist mit Gott gleichgesetzt. Sowohl Information als auch Geist sind weder materiell bzw. substanziell noch energetisch. Es ist eine Qualität, die Wirkungen hat. Diese könnte auch als »Welt der schöpferischen Intelligenz« bezeichnet werden, als eine transfinite Welt (im Sinne von Georg Cantors transfiniten Zahlen) ohne Substanz. Die Einflüsse oder Impulse aus dieser Welt werden von Menschen nur indirekt über die körperlichen Funktionen wahrgenommen.«
Aus: Bruno Martin, Das Lexikon der Spiritualität
Auch in den aus den alten Schamanismuswurzeln neu wachsenden Richtungen und Gruppierungen der europäischen spirituellen Landschaft, bildet die bewusste Beziehung zum Geist der Pflanzen und Tieren den zentralen Fokus. Es erfordert Erfahrung, Kreativität und Mut, neue Wege mit dem alten Wissen aus schamanischen Gemeinschaften zu gehen, ohne die Riten und Vorstellungswelten anderer Kulturen zu imitieren. Die Wirklichkeiten unserer hoch technisierten Wirtschaftskulturen werden nicht von der Geisteswelt des Schamanismus bestimmt. Wir leben nicht in vom Schamanismus geprägten Gemeinschaften. Wir leben in einem anderen Umfeld von »Natur« als unsere frühen Ahninnen oder Menschen in traditionellen, indigenen Gemeinschaften. Wir leben in einer vom Wert des Individualismus und Materialismus bestimmten Gesellschaft.
Wir leben mit dem Verlust der »Wildheit«, die wir uns nur noch in möglichst abgesicherten Ausnahmezuständen oder in kreativen Prozessen gestatten. Dieser Verlust an Möglichkeit der direkten Erfahrung der uns eigenen Anteile von »wilder Natur« hat die Sehnsucht nach Begegnung mit dem »Geist des Tieres« als uns unterstützende, schützende und stärkende Qualität wachsen lassen und neue Wege der Erfahrung geöffnet – nicht nur auf Seminaren.
Das Verhältnis des Menschen zum Tier kann angesichts der Tatsache, dass wesentliche Überlebensmöglichkeiten der Tiere auf dem Schoß und in den Fabrikationshallen der Menschen liegen, ungeahnte Wendungen nehmen. Vom Tier als Gegner im Dschungel hat sich ohnehin schon eine Verschiebung zum Beispiel zum Tier als unbewusstes Gesicht unserer Stammesgeschichte vollzogen. Die freudige Begrüßung des Tieres wird heute, wo sie immer weniger werden (abgesehen von Massenproduktionen) leichter fallen.
Detlef B. Linke, »Kunst und Gehirn, Die Eroberung des Unsichtbaren, S.212
Neue Wege zur Erfahrung von den besonderen Lebensqualitäten zu beschreiten, die uns über Tiere vermittelt werden können, ist nicht leicht in der Wirklichkeit unserer von sichtbarem Erfolg bestimmten Gesellschaft.
In ihr wird das Verhältnis zu Tieren vorrangig von folgenden Aspekten bestimmt:
Nutzverhältnis
Romantisierendes »Walt Disney« Verhältnis
Therapeutisches Verhältnis
Naturschutz-Öko-Verhältnis
Philosophisch-weltanschauliches Verhältnis
Diese Aspekte machen einen Großteil des kulturellen Gepäcks derjenigen aus, die sich auf der Suche nach »Natur-Erfahrungen« auf den Weg machen.
Das Zusammenleben mit Haustieren fördert Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen. Ein etwas anderer Blick auf das Thema Haustiere wirft dennoch so einige Zweifel auf: »Ca. 23 Millionen Schmusetiere leben derzeit in deutschen Haushalten. Die meisten dieser Tiere leben bei Familien, sind also nicht unbedingt ein Zeichen für vereinsamte Singles. »Tiere ermöglichen eine gefühlsbetonte Lebensweise. Der Mensch wünscht sich, so zu werden, wie er sich vorstellte zu sein, bevor ihn die Wirklichkeit überrannte, bevor ihm Grenzen gesetzt wurden«, sagt die Psychologin Hanna Rheinz. »In 90% der Fälle ist es ein Verbrechen, diese Tiere zu halten«, so die Verhaltenstherapeutin Andrea Kleist.«
Chrismon-Zeitschrift, 09/2004
Jährlich werden in Deutschland ca. 4.35 Milliarden Euro für Heimtierfutter ausgegeben – an erster Stelle stehen dabei Katzen, gefolgt von Hunde, Ziervögeln, Kleintieren, Zierfischen. Zwei Milliarden!Lebensmittelpraxis.de/handel-aktuell
Hin und her gerissen zwischen der Vertrautheit des »kulturellen Gepäcks« und den heute so leicht zu erlangenden, verlockenden Informationen über die Wirklichkeiten des lebendigen Schamanismus indigener Völker ist es nicht leicht, einen unseren Lebensrealitäten entsprechenden, authentischen Weg zu finden. Es ist sicherlich hilfreich, dabei einen Blick auf die frühe Beziehung von Mensch-Tier in Europa zu werfen, um eine Ahnung davon zu gewinnen, was es für die von uns oft mit romantisierender Sehnsucht betrachteten frühzeitlichen Menschen hieß, mit den Tieren und von Natur bestimmten Lebensbedingungen ihrer Zeit zu leben.
Unsere frühen Ahnen lebten in einer gefahrvollen Welt, inmitten einer unendlich üppigen Fauna, inmitten gewaltiger Tiere. Mammuts, Riesenhirsche, Höhlenbären, Höhlenlöwen, Adler, Rentiere und Moschusochsen haben in den Menschen der Frühzeit sicherlich nicht das Gefühl der Überlegenheit über die Tiere aufkommen lassen.
610 v.u.Z. lehrte der griechische Philosoph Anaximandros, dass der Mensch von anders gearteten Geschöpfen abstammen müsse, da alle Tiere sich leicht ihren Unterhalt verschaffen können, nur der Mensch nicht.
Schamanismus ist ein Erfahrungssystem, das sich auf Beobachtung und Erfahrung bezieht. Beobachtung der Tierwelt und die Erfahrung der Begrenztheit der menschlichen Überlebensfähigkeiten sind sicherlich die ersten »Bausteine«, aus denen sich der naturbezogenen, geistige »Freistil«-Schamanismus entwickelte. Was konnte der Mensch der Frühzeit im Verhältnis zu den Fähigkeiten der Tiere, mit denen er seine Welt teilte? Jedes Tier hatte ein schützendes Kleid – der Mensch war nackt. Viele Tiere konnten schneller laufen als der Mensch, konnten besser schwimmen, tauchen, auf Bäume klettern, in die Lüfte fliegen. Tiere konnten weiter sehen, bei Nacht sehen, besser hören, riechen, beißen, länger ohne Nahrung überleben als der Mensch. Die Menschen erkannten, dass Tiere über eine Lebensmacht verfügen, die sie nicht hatten. Sie mussten ein Geheimnis in sich haben, einen Zauber kennen.
Tiere waren kraftvolle, magische Wesen. Der Mensch fand heraus, dass er etwas von dieser Magie und Kraft auf sich übertragen konnte. Er tötete das Tier, aß sein Fleisch und war danach gestärkt, überlebensfähiger – wie das Tier. Das Fell des Tieres wärmte und schützte ihn – ein Schritt weiter auf dem
Weg des Überlebens dank des Tieres!
»Erfahrung ist nicht das, was einem Menschen geschieht. Es ist das, was ein Mensch aus dem macht, was ihm geschieht.«
Aldous Huxley
Durch Beobachtung und Nachahmung erlernten unsere Ahninnen nicht nur Techniken des Überlebens von den Tieren. Sie erfuhren unmittelbar eine »Verwandtschaft«, erfuhren den Geist des Lebens, der sich in unterschiedlichen Manifestationen zeigt.
In vielen der überlieferten »alten Geschichten« sind es Tiere, die den Menschen das Wissen gaben über die heilende Wirkung von Pflanzen, vom Anbau von Pflanzen und auch das Geschenk des Gesangs und des Tanzes. In den nordischen Völkern ist es häufig der Adler, der den Menschen schamanisches Wissen bringt und sie lehrt, Feste zu feiern. Viele dieser Gaben, so heißt es, wurden auf den Ratschluss der Tiere den Menschen gebracht, die Mitgefühl mit den Menschen hatten, die ohne die Hilfe der Tiere nicht lebensfähig gewesen wären.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Menschen der Frühzeit die Tiere als ihresgleichen ansahen, nur zu anderen Stämmen zugehörig.
Nach griechischer Vorstellung schuf Prometheus aus Lehm und Wasser den Menschen. Er fügte jeder Menschenseele eine Eigenschaft eines Tieres, einer Tierseele dazu. Athene nahm den Menschen auf ihren Schild, hob ihn hoch und entzündete am Sonnenwagen des Helios einen Zweig. Mit diesem brennenden Zweig entflammte sie den Menschen zum Leben.
Diese Anschauung hatte nichts mit »Vermenschlichung« zu tun. Es war ein Denken, wie es noch bis in unsere Zeit hinein bei einigen indigenen Völkern lebendig ist:
Ein Tier kann größer oder kleiner, schwächer oder stärker sein als der Mensch, es kann dem Menschen fremde Lebensgewohnheiten und fremdes Aussehen und Fähigkeiten haben – es ist genau so ein Geschöpf des Lebens wie der Mensch. Auch die Tiere leben in Familien und Stämmen mit verschiedenen Sprachen und Gewohnheiten. Sie sind anders, das ist der einzige Unterschied zwischen den Tierstämmen und den Stämmen der Menschen.
Diese Vorstellung bezieht auch die »Welten der Toten« mit ein, so wie mir von einem alten, traditionell arbeitendem Schamanen des Volkes der Shipibo in Peru erzählt wurde: «Wenn ein Tier stirbt, dann geht es in ein Land, in dem alle Tiere von seiner Art leben. Jede Tierart hat ihre eigene Landschaft. Dort sieht es aus wie in dieser Welt, aber die Tiere haben dort keine Not.«
Hinter der Auffassung, dass Tiere und Menschen »Wesen« unterschiedlicher Stämme sind steht die Ansicht, dass jedes »Wesen« sich durch besondere »Wesenseigenschaften« auszeichnet. In welcher »Form« diese »Wesensqualitäten« erscheinen, unterliegt keiner Einschränkung.
Jedes Lebewesen kann sich in einen der vielen Erscheinungsformen von Leben verwandeln, da jedes Wesen alle Aspekte in sich trägt.
In einigen der sehr alten Geschichten aus der Frühzeit der Menschheit ist oft nicht erkennbar, ob ein Wesen als Tier oder als Mensch handelt. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch nicht mehr phantastisch oder märchenhaft, sondern folgerichtig, dass Tiere und Menschen auch Ehen eingehen und Kinder aus dieser Verbindung entstehen können.
Mensch-Tier-Verbindung im Schamanismus Europas
Im schamanischen Mythenkreis Europas nimmt das Liebesverhältnis zwischen Mensch und Tier einen großen Raum ein. Am deutlichsten sind die Spuren einer Mensch-Tierverbindung in den Überlieferungen aus den nordischen Kulturen zu erkennen. Sie berichten von dieser Verbindung in viererlei Weise:
1. Jedes Tier ist auch ein Mensch. Das Tier kann jederzeit sein Tierkleid ablegen, um auch sichtbar als Mensch zu erscheinen. So geschieht es in der Geschichte vom Rotfinkmann: Ein alter Mann findet beim Holzschlagen im Wald einen kleinen Rotfink. Als er ihn nach Hause bringt, verwandelt sich der Rotfink in einen jungen schönen Mann mit roten Haaren. Sie nahmen ihn an Sohnes statt an, und er wuchs und reifte außergewöhnlich schnell. Der Rotfinkmann nahm sich eine Frau, die von seiner Verwandlungsfähigkeit wusste und deshalb das Federkleid verbrannte. In dem Moment, als das Federkleid im Feuer verbrannte, war auch der Rotfinkmann verschwunden. Die Suche nach ihrem Mann ist ein spiritueller Reifungsweg, an dessen Ende die Frau ihren Rotfinkmann in Menschengestalt wiederfindet (sibirisches Märchen)1.
2. Ein Tier ist mehr als ein Mensch, weil es sich willentlich von der Erde lösen kann (der Schamanen-Schwanenmythos)
3. Ein Mensch kann seine alte Tiergestalt wieder annehmen und zurück zu seinen Tier-Verwandten gehen.
Bei einem Zweig des Volkes der Tungusen, den Dolganen, wird in einer Geschichte von der Sehnsucht eines jungen Menschenmädchens nach dem Dasein als Tier geschildert: Als die Tochter eines Mannes erwachsen war, weinte sie ununterbrochen. Auf die Fragen nach dem Grund ihres Weines antwortete sie ihrem Vater nicht. Nach einer Woche des Weinens sprach der Vater zu ihr: »Liebling, was bedrückt dich eigentlich? Willst du dich etwas in eine Dämonen verwandeln, oder in ein Landtier oder vielleicht in einen Bär?« «Ich will ein Bär werden«, sagte die Tochter. »Nun, so werde ein Bär«, sagte der Vater zu ihr. Da verwandelte sie sich in einen Bären. Später, als dieser Bär getötet wurde, fand man unter seinem Fell den Armreif der Tochter.
4. Ein Mensch heiratet eine Tierfrau oder einen Tiermann, sie bekommen Kinder mit besonderen Fähigkeiten. Davon berichtet eine Erzählung der Giljaken: «Der erste Mensch wurde in dem Dorfe Rui geboren. Einst ging er auf den Fischfang. Er fing den Wassermutterfisch, paarte sich mit ihm und warf ihn wieder lebend in das Meer. Am nächsten Tage ging er wieder auf den Fischfang, fing wieder den Wassermutterfisch, paarte sich mit ihm und warf ihn wiederum lebend in das Meer zurück. Viele Male tat der Giljake so, erzählte aber niemand davon. Im Sommer gebar der Wassermutterfisch einen Knaben und warf ihn auf den Ufersand. ... Nach einem Jahr war der Knabe bereits vollständig erwachsen.«2
Beim Volk der Sami auf der russischen Halbinsel Kola wird die Mythe vom Wildren-Mann erzählt, der halb Mensch, halb Tier gewesen sein soll. Die Mutter dieses Wildren-Mannes war eine Schamanin, die sich in ein Wildren-Weibchen verwandeln konnte und in dieser Gestalt mit dem Vater des Wildren-Mannes, einem richtigen Wildren, zusammenkam. Das aus dieser Beziehung entsprungene Kind war der Wildren-Mann. Innerhalb seiner Hütte hatte er eine Menschengestalt, außerhalb der Hütte war er ein Wildren. Er war der Stammvater der Kola-Sami.
Zirka 35.000 Felsmalereien, bis zu 2000 Jahre alt, gibt es in Höhlen des San-Volkes in Südafrika, im Drakensberg Park. Einige zeigen Mischwesen - halb Mensch, halb Tier.
Diese Verbindung war möglich, weil alle Wesen als nicht getrennt voneinander gesehen wurden. Unabhängig von ihrer Erscheinungsform wurden Mensch und Tier in ihrer spirituellen Essenz, ihrem »Geist« als unterschiedlich, aber gleichwertig empfunden. Diese Auffassung beinhaltet ein Höchstmaß an Abstrahierung, eine Loslösung von der Verhaftung an der materiellen Erscheinung, ein Erkennen des »Geistes« der materiellen Erscheinung. Ob sich eine bestimmte Qualität – wie zum Beispiel »Fruchtbarkeit« als kreativer Aspekt, »Schönheit«, »Fürsorge«, »Weisheit«, »Klugheit« über die Erscheinung »Bär« oder »Adler« oder »Schlange« in die Welt einbringt, spielt dabei keine Rolle.
In europäischen und auch sibirischen Mythen ist es vor allem die Geschichte der sich in einen Menschen verwandelnden Schwanenjungfrau, die aus großer Sehnsucht heraus wieder in die Erscheinung des Schwans zurückkehrt.
Freiwillig für eine bestimmte Zeit Mensch zu werden, gehörte danach in der Vorstellung der alten schamanischen Kulturen des heutigen Europas und Sibiriens zur Lebensform aller Wesen. Aber lebenslang Mensch sein zu müssen, widersprach dieser Lebensform.
»Ihr seid irdische Wesen und bleibt auf der Erde, ich aber stamme aus dem Himmel und fliege dorthin zurück«, ruft die über ihrem Heim schwebende Schwanenfrau den Zurückbleibenden zu.
Fliegende Schwäne mit Mädchen
In den späten Volksmärchen des christlichen Europas wurde dann die Geschichte der Verwandlung von Wesen immer zu dem einzig denkbaren Schluss hin geführt: ehelich-irdische Gemeinschaft als »Erlösung« aus der als qualvoll empfundenen Tiergestalt.