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Ein Feuer, das in dir brennt. Eine Göttin, die auf Rache sinnt. Ein Vergessener, der in den Schatten lauert. In Erendals Osten brechen Kämpfe aus, die nicht nur das Land, sondern auch die Göttinnen bedrohen. Auf dem Weg zu den sagenumwobenen Drachentürmen gerät Tindra zwischen die Fronten. Freunde werden zu Feinden, und Feinde wollen sie als Verbündete gewinnen. Die gefürchteten Krieger aus den Nebelreichen hingegen formieren sich zu dieser Zeit, um zu einem finalen Schlag auszuholen, der den anderen Völkern auf ewig im Gedächtnis bleiben wird - falls sie überleben …
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Inhaltsverzeichnis
Glossar
Prolog
Abschied
Flammentanz
Weite
Gottesfürchtig
Todesatem
Quelle
Marionette
Furcht
Sumpflande
Überfall
Hündchen
Egoist
Wissen
Überfall
Befragung
Opfer
Nomadenweg
Käferschreie
Opferfeuer
Täuschung
Drachenturm
Blondchen
Heimreise
Selbstachtung
Entscheidung
Berggrollen
Wasserdrache
Fähigkeiten
Schwärze
Preis
Schattenreich
Freude
Gespräche
Erbe
Vergessen
Abtrünnige
Djord
Segen
Ausgelöscht
Enttäuschung
Erinnerung
Angriff
Entzweigerissen
Danksagung
Leseprobe: Im Bann des Gedankenlesers
Impressum
Andrea Ego
Schmiedefeuer
Die Schatten von Mra’Theel 1
Im Herzen der Schweiz, wo ich herkomme und es leckere Schokolade, gute Messer und unglaublich schöne Berge gibt, läuft vieles ein wenig langsamer und anders. Ich liebe unser Tal und die Berge rundherum, die schrulligen Leute und den Herbstwind.
Wir Schweizer werden ohne „ß“ gross. Weil ich unser Schriftbild schön finde, stolz auf diese Schweizer Eigenheit bin und vor allem die Vielfalt der deutschen Sprache liebe, verwende ich konsequent „ss“.
Ich danke euch allen schon im Voraus für das Verständnis, was die Rechtschreibung angeht, und wünsche trotzdem ein schönes Leseerlebnis.
Die Völker
Menschen: Sie leben in Kerase und Erendal. Ihre Gesellschaft ist einfach strukturiert. Ihre Felder versorgen die Bewohner von Mra’Theel weit über die Landesgrenzen hinaus mit Nahrungsmitteln. Zudem ist das Mittelgebirge bekannt für seine Bodenschätze. Die Länder sind allerdings weder besonders angesehen noch einflussreich.
Irin: Sie gelten als die am weitesten entwickelte Art in Mra’Theel und bevölkern das Land Vehni. Ihr Hang zu Forschung und technischer Entwicklung lässt die Städte zu Wissenshochburgen werden. Neben den Wissenschaften unterhalten sie eine angesehene Armee.
Kvor: Die Kvor sind zwar kleiner als Menschen, aber durch ihre gedrungene Statur zäh und überraschend ausdauernd. Sie gelten als friedliebendes Volk, das sich an den Küsten und in den Hügeln von Kvora niedergelassen hat. Ihre Leidenschaft gehört dem Bergbau, selbst einige Dörfer sind in den Berg gebaut.
Larhun: Die Larhun sind gefürchtete Krieger, gross und massig, und ein streitsüchtiges Volk, das sich nicht darauf einigen konnte, unter einem Banner zu gehen. Sie leben in den Nebelreichen, umgeben von Nebel, Bergen und Hügeln. Das Leben konzentriert sich auf wenige Stadtstaaten und ein paar Höfe rundherum. Die raue Lebensweise und die aufbrausende, kämpferische Art verhindern jeden Kontakt zu Mra’Theels Ländern.
Die Götter
Seylani: Als Göttin der Liebe, des Lebens, des Tages und des Krieges wird die blonde Göttin mit dem entschlossenen Ausdruck in den Augen verehrt. Ihr werden wilde Feste und das Lachen zugesprochen. Bei jungen Frauen ist sie äusserst beliebt. Sie gilt als unnachgiebig und hart, aber auch als gerecht.
Doana: Doanas Haut und Augen sind so dunkel wie die Nacht, die sie verkörpert. Als Göttin des Todes, der Ruhe und der Dunkelheit findet sie weniger Anhänger als ihre helle Schwester, dennoch wird sie geschätzt. Sie beendet einen Tag und läutet den nächsten ein, lässt Altes vergehen und Neues erblühen. Ihr grösstes Versprechen ist das eines Neuanfangs.
Der Graue: Der männliche Gott wird nur noch in den Nebelreichen angebetet, in denen der Nebel und die Welt dazwischen bei jedem Atemzug präsent sind. Er ist gerüstet, aber friedliebend. Wenn es notwendig ist, greift er zu den Waffen und lässt sich nicht bremsen, aber er selbst beginnt keinen Kampf. Nur wenige kennen ihn auch unter dem Namen Herrwhig.
Der Vergessene: Der Gott, dessen Antlitz auch in den alten Tempeln nicht mehr erkennbar ist, wurde vergessen. In ihm wohnt Schwärze und er sinnt auf Rache. Seine Anhänger sind jene, die in den Augen der Göttinnen keinen Gefallen finden: Gesetzlose, Abtrünnige und Freiwild. Niemand kennt ihn, sein Name ist nicht überliefert, doch in den Nebelreichen wird er gefürchtet.
Als Leserin bin ich keine Freundin davon, bei jedem neuen Städtenamen zur Karte am Anfang des E-Books zu springen und wieder zurück. Deshalb habe ich auf meiner Webseite die Karte samt Glossar zum Herunterladen und Ausdrucken hochgeladen.
https://andreaego.jimdo.com/bücher/buchvorstellung-schattenwanderer-1
Es ist nur eine Flamme.
Seit ich das blutrote Feuer auf seinen Schultern, in seinen Augen gesehen habe, versuche ich mir das einzureden. Nur eine Flamme. Doch sie bedeutet so viel. Dass er ihrem Volk angehört und mich belogen hat. Sie erklärt den Hass, die Abneigung in seinen Augen. All die Wut in seinen Bewegungen.
Doch sie schweigt darüber, weshalb ich so viel nachdenke – über ihn, über sein Feuer und sein Leben. Ich habe gesehen, was er in seiner Kindheit erlebt hat. Noch jetzt muss ich leer schlucken, um nicht zu weinen. Ob sein Zorn allein im Tod seiner Mutter begründet liegt?
Ich möchte hinter seine Fassade blicken, ihn kennenlernen, ihm sagen, wie dankbar ich bin – glücklich. Doch meine Wünsche verwirren mich, denn er ist ein Arschloch und die Dunkelheit in seinen Augen macht mir Angst. Es ist keine seelenlose Dunkelheit, kein abgrundtiefes Loch – es ist eine leuchtende Schwärze. Ein unheilvolles Glühen. Es brennt in ihm und verzehrt ihn von innen. Die Dunkelheit erinnert mich an das Feuer, das zwischen seinen Fingern aufflackert und mich das Fürchten lehrt.
Es macht mir Angst.
Er macht mir Angst.
Nicht seine Blicke oder die unreife Art, sondern der Hass, der ihn von innen zerfrisst. Vielleicht ist das die brennende Schwärze seiner Augen. Doch ich fürchte, dass noch viel mehr dahintersteckt.
Er sieht keine Schönheit mehr, hat keinen Grund zum Leben. Noch stolpert er von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht, und sein Glück entwischt immer. Irgendwann wird er einfach nicht mehr aufstehen, denn Hass ist kein Grund, um sich zu erheben.
Ich habe Angst um ihn. Und das macht mir noch mehr Angst.
Das Einzige, das ich für ihn tun kann, ist, Doana um einen Neuanfang für ihn zu bitten. Sein nächstes Leben soll ein schönes werden.
Tindra
Die Sonne wärmte ihr Gesicht und kitzelte sie in der Nase, als Tindra in den herbstfeuchten Morgen trat. Staunend hielt sie in der Bewegung inne, als sie sich streckte, und beobachtete, wie der frische Wind über die Hügel strich. Das Gras wogte mit einem leisen Rauschen, schluckte, reflektierte und brach das morgendliche Licht.
In diesen ersten Sonnenstrahlen hatte sie Steinwacht noch nie gesehen. Vielleicht lag es daran, dass ihr letzter Tag hier angebrochen war. Sie würde erst wieder zurückkehren, wenn ihre Eltern – insbesondere ihre Mutter – nicht mehr hier lebten.
Ihre Mutter hatte sie verstossen, da sie Freiwild war – eine Frau, die das von den Göttinnen gegebene Geburtsrecht abgelehnt hatte. Obwohl sich Tindra des Risikos bewusst gewesen war, hatte sie nach dem Schwert gegriffen und sich verteidigt. Sie hatte keine andere Wahl gehabt. Nun stand sie in der Gesellschaftsordnung sogar unter den Männern, die tagein, tagaus durch die Minen hinter Steinwacht wanderten und ungeschliffene, staubige Rubine zutage förderten.
Ein jeder konnte mit ihr machen, was er wollte. Für sie galten keine Gesetze, kein Gericht konnte über sie urteilen. Sie durfte sich nur wehren – und das würde sie auch tun.
Als Arin aus dem Haus ihrer Schwester trat, näherten sich seine Schritte. Für diese eine Nacht hatten sie bei ihr Unterschlupf gefunden. Der Blick des dunkelblonden Boten wanderte wie der ihre über die in morgendliche Stille gehüllte Landschaft. »Bereit?«
Einen Moment nahm sich Tindra, ehe sie bestimmt nickte und sich mit einem schiefen Lächeln zu ihm umdrehte. Arin betrachtete sie mit einem Blick aus sanften blauen Augen, den sie nicht so recht deuten konnte, aber froh darum war. Wenigstens er nahm sie für voll. Ungeduldig wischte sie sich über die Wangen, als der Schmerz über den Abschied in ihrer Brust aufglühte. »Verdammt«, fluchte sie leise.
Nur einen Moment zögerte Arin, dann legte er die Arme tröstend um sie und drückte sie an sich. »Es ist nicht leicht, sein Zuhause gehen zu lassen«, murmelte er an ihrem Kopf.
Seine Worte und die Wärme seines Körpers liessen sie tief einatmen, ein wenig entspannen. Dennoch wusste sie, dass sie sich nicht für immer hinter seinen Armen verstecken konnte. Dafür ging man in Mra’Theel zu hart mit Frauen wie ihr um. Entschieden schob sie ihn von sich weg.
Warum fühlte sie sich dennoch so elend? Sie versuchte sich an ihrem zweiten Lächeln heute, doch wie das erste wollte es ihr nicht so recht gelingen. »Steinwacht ist nicht mein Zuhause.« Auch wenn sie die letzten Jahre hier gelebt hatte, wirklich wohlgefühlt hatte sie sich nie. Um ihm keinen weiteren Grund zur Sorge zu geben, wandte sie sich von ihm ab.
Trotz Müdigkeit hatte sie nach dem gestrigen Dorffest kaum geschlafen. Immer wieder sah sie Sunyu vor sich, wie er sie betrachtete. Dunkle Augen, in denen ein Feuer glühte, die Intensität, mit der er sie angesehen hatte, sodass ihr heiss und kalt zugleich wurde. Er ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Eine Mischung aus Überraschung, Bewunderung und Unsicherheit, vielleicht auch ein wenig Trauer war ihr entgegengeschwappt, und sie hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als sich an ihm vorbeizuschleichen. Vielleicht ahnte er, dass sie nicht hierbleiben konnte, immerhin wusste er um die konservative Haltung ihrer Mutter.
Am liebsten wäre sie zu ihm nach Hause gegangen und hätte ihn gefragt. Bei Tageslicht grummelte die Angst nicht ganz so stark. Doch nachdem der eben erst ausgebildete Schmied sie selbst von sich gestossen hatte, als sie ihn aus den Reichen der Larhun befreit hatte, konnte sie bei ihm nicht auf ein offenes Ohr hoffen. Er würde sie höchstens auslachen. Sie war doch nur Freiwild. Niemand, dem man Respekt schuldete.
Freiwild … Wie sehr sie dieses Wort hasste.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, hatte sie sich heute Morgen nicht in ein Kleid gezwängt, wie es sich für eine Frau gehörte, sondern eine ärmellose, oberschenkellange Tunika übergezogen. Darunter trug sie ein Hemd und Hosen. So war auf den ersten Blick klar, was sie war. Keine normale Frau trug Hosen. Niemand würde das Schwert an ihrer Hüfte übersehen. Jeder sollte auf den ersten Blick erkennen, was sie war – und gewarnt sein. Doch auch ohne sichtbare Zeichen wusste jeder mit festem Glauben an Doana und Seylani, dass sie das Geschenk der Göttinnen nicht mehr bewahrte.
Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln. Sie kannte einen guten Schmied in der Nähe, der ihr bestimmt eine Waffe empfehlen konnte.
Als Tindra und Arin schwer beladen vor dem geschlossenen Eingangstor der Schmiede standen, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Vielleicht hätte sie sich besser aus dem Staub machen sollen, ohne sich zu verabschieden. Insgeheim wusste sie, dass es richtig war, ihrem Lehrmeister Lebewohl zu sagen, doch das machte es nicht einfacher.
Sie hasste Abschiede. Ihr ganzes Leben lang hatte sie von Freunden und Orten Abschied nehmen müssen, alles war gekommen und wieder gegangen. Auch wenn sie Steinwacht nicht mochte, hatte sie an keinem anderen Ort der Welt so viel Zeit verbracht. Endlich lebten ihre Eltern an einem Ort, an dem sie blieben. Diesen nun wieder zu verlassen, fiel ihr deutlich schwerer als erwartet.
Nach einem Seitenblick zu Arin klopfte sie an. Rasch näherten sich schwere Schritte und das Tor wurde von innen geöffnet.
Der breit gebaute Schmied wirkte müde und erschöpft, doch als er Tindra erkannte, hellten sich seine Augen auf. Ein breites Grinsen zeigte sich auf Juangs Gesicht. Er breitete die Arme aus, um sie an sich zu drücken, und schnitt ihr damit die Luft ab. Ihr Brustkorb schmerzte, doch sie liess es geschehen. Dankbar sog sie den scharfen Geruch ihres Lehrmeisters ein. Für eine lange Zeit würde es das letzte Mal sein, dass sie ihn sah, wenn nicht gar für immer.
»Tindra, mein Mädchen«, murmelte er an ihrem Haar, ehe er sie losliess.
Peinlich berührt von seiner Zuneigung senkte Tindra den Kopf. Sie hatte nicht einmal geahnt, wie sehr sie ihm ans Herz gewachsen war, seit sie im Sommer die Ausbildung begonnen hatte. Dass er seine Gefühle nun so offen zeigte, ehrte sie – und drehte schmerzlich die Speerspitze in ihrer Brust, die sich gestern Abend eingenistet hatte, als ihre Mutter sie aus dem Haus verwiesen hatte. Sie würde von hier verschwinden, musste ihn verlassen.
Als sie den Blick wieder hob, wischte sich Juang über die Augen und verschmierte damit Russ auf seiner ledrigen Haut. Sie wagte ein schwaches Lächeln.
»Ich habe mir Sorgen gemacht. Und Vorwürfe! Bei Seylani, ich habe mir solche Vorwürfe gemacht.« Fassungslos schüttelte er den Kopf, erwiderte ihr Lächeln jedoch.
Tindra schluckte und wandte den Blick ab. »Es ist alles gut«, log sie, um ihren Lehrmeister zu beruhigen. Doch für sie war nichts gut, ihre Mutter hatte sie verstossen. »Ist Sunyu da?«
Juang kratzte sich am Kopf und bat sie in den Hof, indem er zur Seite trat und in Richtung des Steintisches nickte. »Er ist mit dir verschwunden, seither habe ich ihn nicht mehr gesehen. Das ganze Dorf hat von nichts anderem mehr gesprochen. Sie haben Sunyu Vergehen angedichtet …« Er schüttelte den Kopf abermals, als könnte er nicht glauben, dass sein Schützling ihr auch nur ein Haar krümmen würde.
Tindra wusste genau, was er damit sagen wollte. Zu viele Leute hatten sie am Fest darauf angesprochen. »Er hat mir nichts getan«, versicherte sie ihm mit einem ehrlichen, offenen Lächeln und nahm Platz.
Der Schmiedemeister warf die Stirn in Falten, als er sie musterte. Offenbar fiel ihm erst jetzt auf, dass sie sich nicht der Norm entsprechend gekleidet hatte. Wie bei den meisten anderen auch blieb sein Blick einen Moment länger als nötig an ihrem Schwert hängen. Doch im Gegensatz zu ihnen sah er ihr direkt in die Augen und statt Erstaunen oder Unglaube zeigte sich tiefer Schmerz in seinen Gesichtszügen. Seine Schultern sackten zusammen und mit dem Ausatmen verlor Juang seine Körperspannung, die ihn so beeindruckend machte. »Es tut mir so leid.«
Dankbar nickte Tindra. Dass er ihr keine stummen Vorwürfe machte, es hinnahm und sie dennoch als sein kleines Mädchen sah, liess das Zittern erst gar nicht aufkommen. Wenn ihr Gegenüber sie mit diesem abfälligen Blick musterte, abwog, was möglich war und was nicht, befiel sie eine innere Unruhe.
»Meine Mutter hat mich verstossen. Ich kann nicht hierbleiben. Deshalb werde ich Arin auf seinen Reisen begleiten.« Tindra warf dem Boten einen flüchtigen Seitenblick zu.
Juang musterte Arin nur einen Moment, ehe er sich wieder Tindra zuwandte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass seine Augen jemals so hoffnungslos gewesen waren wie in diesem Moment. »Du gehst?«
Sie nickte.
Zitternd holte er tief Luft, dann setzte er sich auf die Bank. »Und Sunyu wird zurückkehren?«
Tindra lächelte erleichtert. Wenigstens in diesem Punkt musste sie ihren Lehrmeister nicht enttäuschen. »Er ist mit uns hierhergekommen. Ich denke, er wird sich morgen pünktlich zur Arbeit melden.«
»Mit euch?« Sein Blick streifte Arin erneut.
Tindra nickte, ehe sie die Geschehnisse der vergangenen Tage zusammenfasste. »Nachdem du uns nach Hause geschickt hast, haben uns Schattenkrieger aufgelauert und durch ein magisches Tor gebracht. Sunyu ermöglichte mir die Flucht, doch er blieb in den Nebelreichen zurück. Ich wäre nicht mit mir selbst im Reinen gewesen, hätte ich ihn in Grimsvik versauern lassen. Ich musste einfach versuchen, ihn zu retten. Also haben wir uns auf den Weg gemacht und ihn befreit. Mit seiner Hilfe« – Tindras Blick huschte rasch zu dem feinen Gesicht des Boten – »habe ich ihn gefunden, und wir konnten fliehen.«
Arin hatte ihr das Versprechen abgenommen, dass sie niemandem den Grund für seine Hilfe verriet. Wenn die Irin oder Kvor erfahren würden, dass er eine wichtige Nachricht verloren hatte, würden sie nach ihm suchen und ihn nicht ungeschoren davonkommen lassen. Deshalb hielt er es für besser, wenn niemand davon wusste.
Der Schmiedemeister kratzte sich seinen ergrauenden Bart, schien etwas sagen zu wollen, nickte dann jedoch nur. Noch einmal betrachtete er Tindras Schwert, bevor er aufstand und für einige Augenblicke im Rüstungsraum hinter der Schmiede verschwand. Als er wieder zu ihnen trat, trug er ein Schwert in der Hand. Im Gegensatz zu der Waffe an ihrer Hüfte wirkte es geradezu filigran, wenn nicht gar zerbrechlich, und es war deutlich länger.
Staunend stand sie auf und legte die Hand auf das Schmuckstück. Das Heft wies feine Verzierungen auf, die nur ein wahrer Meister aus dem Metall zu formen vermochte. Diese Klinge hatte sie nie im Fundus ihres Lehrmeisters entdeckt. Er musste sie an einem ganz speziellen Ort aufbewahrt haben.
Juang nickte in Richtung ihres Schwertes. »Eine Schmiedin sollte nicht mit einer minderwertigen Waffe durch die Gegend spazieren.« Er zwang sich zu einem schiefen Lächeln, wandte den Blick ab und starrte an ihrem Kopf vorbei auf die Mauer hinter ihr.
Als sich Tindra abwandte, schmerzte ihr Herz bei jedem Schlag. Schon heute Morgen, als sie ihrer Schwester Lebewohl gesagt hatte, hatte sich in ihrem Leben ein tiefer Riss aufgetan. Nun verliess sie den einzigen Platz in Steinwacht, den sie liebte. Hier war sie aufgeblüht und hatte ein Kunstwerk erschaffen: Einen Schlüssel mit magischen Fähigkeiten und Verzierungen, die so filigran waren, dass es aussah, als würden sie ineinander verschmelzen.
Wenn sie die Schmiede verliess, liess sie auch den einzigen Menschen hinter sich, der sie mit ihrer Liebe zu Metallen so akzeptierte, wie sie war. Dabei ging es um so viel mehr als nur ums Schmieden: die Weltanschauung, die Suche nach ihrem Platz in Mra’Theel, das Meiden von Menschenansammlungen und Getratsche. Nicht einmal Arin ging so natürlich mit ihrer speziellen Art um wie Juang.
»Pass auf dich auf, mein Mädchen.«
Tindra sah den Schmerz über ihren Verlust in seinen Augen glitzern. Schon länger hegte sie den Verdacht, dass Juangs Lehrlinge ihm aufgrund der eigenen Kinderlosigkeit so sehr ans Herz gewachsen waren, dass er sie wie seine eigenen behandelte. Sich von ihm verabschieden zu müssen, liess ihr Herz schwer in einem langsamen Takt schlagen.
Vor der das Anwesen umgebenden Mauer ertönten aufgeregte Stimmen. Tindra wandte den Kopf zum Tor, das im selben Moment aufschwang und gegen die Mauersteine knallte, obwohl es sich nur träge öffnen liess – in der Regel.
»Juang, sie sind unterwegs. Wir müssen …« Liang, Sunyus bester Freund, hielt inne, als er Tindra und Arin bemerkte.
Ihre Blicke kreuzten sich und Tindra zuckte innerlich zusammen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie ihn angehimmelt, ganz am Anfang, als sie in Steinwacht angekommen war – neben dem Jungen mit den haselnussbraunen Augen, den sie zu lange nicht mehr wiedergesehen hatte. Doch das war vorbei. Dennoch reagierte sie noch immer auf diese dunklen, mandelförmigen Augen, die stets ein verwegenes Lächeln zu umspielen schien. Nun wirkte er ungewohnt ernst, die Augenbrauen waren so stark zusammengezogen, dass sie sich über der Nasenwurzel berührten.
Zu gern hätte Tindra in seinem grimmigen Gesicht gelesen, doch Liang überraschte sie, als er sich an sie wandte. »Was machst du denn hier? Und was soll diese Aufmachung?« Als müsste er seine Worte erklären, schweifte sein Blick einmal von oben nach unten und wieder zurück.
Sie stellte sich gerade hin und reckte das Kinn. »Wir gehen schon«, sagte sie und wandte sich an Arin, der ihrem Beispiel folgte. Vor den Augen aller Anwesenden befestigte sie das Schwert, das sie von Juang erhalten hatte, an ihrem Gürtel.
»So war das doch nicht gemeint«, beeilte sich Liang nach dem Schreck zu sagen. »Ich meinte nur …« Er schluckte.
Liang hatte sie in den letzten Jahren beinahe ebenso mies behandelt wie Sunyu, deshalb genoss sie es gar ein wenig, wie er mit sich rang.
»Du bist Freiwild?« Das waren bestimmt nicht die diplomatischen Worte, nach denen er gesucht hatte, dennoch schien ihm ein Stein vom Herzen zu fallen.
Tindra nickte mit einem Lächeln, das selbstsicherer wirkte, als sie sich fühlte. »Und stolz darauf«, entgegnete sie, auch wenn es nicht stimmte.
Einen Wimpernschlag brauchten seine Gesichtszüge, bis sie ihm vollends entglitten. »Aber ich habe gestern mit dir getanzt.«
Allein die Tatsache, dass er sie aufgefordert und mit unsicheren Schritten über die Tanzfläche geführt hatte, rückte die Zeit seit dem Schulabschluss in ein neues Licht. Vielleicht war sie noch die Neue in Steinwacht, aber sie war nicht mehr Ziel aller Gehässigkeiten. Dass sich nun einige auch noch für sie zu interessieren schienen, überforderte sie ein wenig.
Vielleicht hätte sie sich Steinwacht gegenüber offener zeigen sollen, dann wäre sie auch aufgenommen worden. Doch das war nun nicht mehr von Belang. Das Dorf war für sie Vergangenheit.
Seine Verwirrung liess ihr Grinsen nur noch breiter werden. »Jetzt kannst du im ganzen Dorf damit prahlen, dass du mit Freiwild getanzt hast.« Hoch erhobenen Hauptes schritt sie an ihm vorbei und genoss sein Entsetzen. Man rühmte sich nicht damit, Freiwild den Abend verschönert zu haben. Ob seine Bestürzung an der Tatsache lag, dass er mit Freiwild getanzt hatte oder dass er das nicht bemerkt hatte, konnte sie nicht erkennen. Dennoch verschaffte es ihr so etwas wie Genugtuung.
Als sie schon beim Tor angelangt waren, hörte sie Liangs Räuspern. »Warte.«
Überrascht hielt Tindra inne. Damit hatte sie bei Doana und Seylani nicht gerechnet. Liang, neben Sunyu der grosse Schwarm des Dorfes, hatte sie tatsächlich darum gebeten, zu warten? Langsam drehte sie sich zu ihm um. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, also schwieg sie.
»Bist du gut?« Er nickte in Richtung ihrer Schwerter.
Tindra zog die Augenbrauen zusammen. Was sollte sie auf diese Frage antworten, da sie bis vor wenigen Tagen kaum einem Schwerthieb hatte ausweichen können? »Gut genug.«
Er warf einen Blick zu Juang, einen nächsten durch das Tor, dann trat er auf sie zu und fixierte sie mit schmalen Augen. »Die Männer aus dem Osten sind unterwegs. Wenn sie uns angreifen … Gegen diese Bastarde können wir jede Hilfe gebrauchen.« Bei seinen Worten ballte er die Hände zu Fäusten und trat mit jedem Wort einen Schritt auf Juang zu.
Auch wenn sich bei dem Wort Bastard ein Knoten in ihrem Magen bildete, versuchte sich Tindra auf den Inhalt von Liangs Worten zu konzentrieren.
»Was ist denn los?«, erwiderte Juang müde und trat mit grimmigem Ausdruck näher. »Geht es schon wieder um die Angriffe? Begreift ihr denn noch immer nicht, dass uns die Drachentürme der Irin schützen?«
Tindra hatte schon unzählige Legenden über die Drachentürme gehört. Jedes Kind in Mra’Theel kannte sie. Den Erzählungen nach begrenzten sie die bewohnten Gebiete Erendals und Vehnis gegen die geheimnisumwobenen Drachenberge. Die von Legenden umrankten Türme wehrten jeden Angriff ab, der von den Bergen her über den Kontinent hinwegzubranden drohte, und verfügten über geheime Magie, die bei einer Attacke Drachen gegen die Invasoren sandte.
Liang verdrehte die Augen. »Ein erster Angriff steht uns kurz bevor. Noch heute werden die Kvor hier einfallen. Wir können jede Hilfe gebrauchen, die wir finden können.«
Arin kam Tindra mit seiner Frage zuvor. »Was ist los?« Er war sichtlich verwirrt, als sein Blick zwischen Juang und dem bewaffneten jungen Mann hin und her zuckte und schliesslich an Liang haften blieb. »Niemand kommt an den Drachentürmen vorbei«, wiederholte er mit leicht gerunzelter Stirn Juangs Aussage.
Liang warf ihm einen abschätzenden Blick zu. »Die Drachen sind tot. Nichts hat die Bastarde aufgehalten. Nur dank der Steppe hat sich ihre Zahl dezimiert.« Er wandte sich dem Schmiedemeister zu. Offenbar hoffte der junge Bäcker bei Juang auf mehr Verständnis. »Sie sind hierher unterwegs. Wir brauchen Waffen.«
Tindra wusste, wie sehr ihr Meister eine Schlacht verabscheute, wohingegen er einen tänzerisch gefochtenen Kampf liebte. Er sorgte sich um die Jugend im Dorf und war vielleicht der Einzige, der über Kriegserfahrung verfügte. Juang würde die verlangte Ausrüstung nicht herausrücken.
Der alte Mann kratzte sich am Bart und wich Liangs Blick aus. »Eine Schlacht ist keine Lösung.«
Hart lachte Liang auf. »Wenn wir uns nicht wehren, werden sie uns dem Erdboden gleichmachen.«
Juangs Stimme zitterte, seine Augen spien Feuer. »Was, wenn wir fallen? Steinwacht wird ausgelöscht.« Der untersetzte Schmied ging einige bedachte Schritte auf den jungen Mann zu und blieb erst dicht vor ihm stehen. Obwohl er kleiner war, wich Liang zurück. »Was sollten sie schon in Steinwacht suchen? Rubine? Dann überlasst ihnen die Minen! Eure Frauen? Die Gesetze von Seylani und Doana schützen auch sie. Niemand wird es wagen, den Zorn der Göttinnen heraufzubeschwören. Sie wachen über ganz Mra’Theel.« Juang warf Tindra einen bedauernden Seitenblick zu, der ihr einen leisen Stich ins Herz sandte. »Die Einzige hier, die sich fürchten muss, verlässt uns.« Mit einem tiefen Atemzug drehte er sich wieder zu Liang um. »Wir haben nichts, was sie wollen. Sie werden hierherkommen, sich die Bäuche vollschlagen und verschwinden. Geben wir ihnen, was sie verlangen, sind wir ein paar Schweine und einige Fässer Bier ärmer. Wenn wir uns ihnen in den Weg stellen …« Er beendete den Satz nicht, wohl in der Hoffnung, dass Liang den Gedanken selbst weiterspinnen konnte.
»Sie dürfen nicht hierhergelangen! Wir müssen sie aufhalten, bevor sie Steinwacht erreichen«, begehrte dieser jedoch auf und trat einen Schritt auf den Schmied zu.
Juang seufzte. »Ich sende niemanden mit meinen Waffen in den sicheren Tod. Es gibt eine Handvoll Männer in Steinwacht, die mit einem Schwert umzugehen und einen Dolch zu führen wissen. Du gehörst nicht zu ihnen. Also verschwinde hier und wage es nicht noch einmal, mich nach Waffen zu fragen.« Die Augenbrauen des Schmiedemeisters zogen sich so weit zusammen, dass sie sich in der Mitte berührten und einen bedrohlichen Schatten über seine Augen warfen.
»Aber …«
»Verschwinde!«
So wütend hatte selbst Tindra Juang noch nicht gesehen. Normalerweise strahlte er eine Ruhe aus, die ihresgleichen suchte, vieles prallte an ihm ab. Ging es jedoch um Kinder und junge Erwachsene, wurde er weich. Sie warf ihrem Meister einen langen Blick zu, bis Arin sie flüchtig am Arm berührte. Sie sollten sich auf den Weg machen.
Liang trat unter dem Bogen hindurch und machte sich an den Abstieg. Noch in Hörweite warf er einen wutentbrannten Blick zurück und murmelte einen unverständlichen Fluch.
Tindra drehte sich zu ihrem Meister um. Auch ohne ein Wort verstanden sie sich, wussten, dass dieser Abschied vielleicht für immer war.
Juang brachte die Distanz zwischen ihnen mit grossen Schritten hinter sich und schloss sie in eine feste, fast schmerzhafte Umarmung. »Pass auf dich auf, Tindra. Ich werde dich vermissen.«
Froh, dass sie das Gesicht an seiner Brust verstecken konnte, holte sie tief Luft und wartete, bis sein Hemd ihre Träne aufgesogen hatte. Sie wollte nicht von ihm Abschied nehmen. Das hier war der einzige Ort in Steinwacht, an dem sie sich wohlfühlte, ihre kleine Zuflucht.
Sie dachte an Liang, an seine Wut und das Unverständnis, das sein Wunsch in ihr auslöste. Sie wollte Steinwacht und seine Bewohner auch schützen, sosehr sie sich auch immer weit weg von hier gewünscht hatte, doch ein Kräftemessen mit Kriegern konnten sie nicht überleben.
Über so viel Dummheit konnte sie nur den Kopf schütteln. Wer wollte schon einen Kampf, vielleicht gar Krieg? Dennoch lösten seine Worte nicht nur Unverständnis, sondern auch Sorge in ihr aus. Ihre liebsten Menschen lebten hier: ihre Eltern, ihre Schwester, Juang, Sunyu …
Erschrocken hielt Tindra in ihrer stummen Aufzählung inne. Sunyu gehörte nicht zu ihren liebsten Menschen. Er war gar kein Mensch – jedenfalls kein richtiger.
Sie seufzte leise. So dumm konnte wohl nur sie sein. Wie Arin zu Beginn ihrer Reise schon gesagt hatte, reiste niemand für einen Bekannten in die Nebelreiche.
Der Bote setzte sich in Bewegung, Tindra folgte ihm. Je länger sie wartete, desto schwerer würde ihr der Abschied fallen.
»Wir müssen nach Osten«, flüsterte er. »Ich muss die Türme sehen.«
Tindra warf ihm einen verwirrten Blick zu. Eigentlich hatten sie sich dazu entschlossen, die Sache mit der Nachricht, die ihm gestohlen worden war, mit den Irin zu klären. Bei ihrem Besuch in Grimsvik hatte der Bote das Schreiben nicht zurückholen können. Der Versuch, es wieder an sich zu nehmen, hatte ihn in den Kerker befördert. Nun musste er sich seinen Auftraggebern erklären.
Mit den Augen folgte sie Liang, der zwischen den Häusern verschwand. »Kennst du dort ein magisches Tor?«
Er schüttelte den Kopf.
Sie schloss die Augen. Wieder durch Feindesland, schon wieder dieses Versteckspiel, diese ständige Angst, die Ungewissheit.
Sunyu
Mit einem tiefen Seufzen erhob sich Sunyu aus dem bequemen Sessel und streckte die Glieder. Nachdem Bram und er erst im Morgengrauen durch Grimsviks Tore in die Stadt geritten waren, hatte er sich erst einmal einen ruhigen Morgen unter der Bettdecke gegönnt. Erst als Vilgrim, der Fürst dieser verfluchten Stadt, ihn am Mittag besucht und auf seine neuen Aufgaben hingewiesen hatte, hatte er sich brummend an den Schreibtisch gesetzt.
Er war Schmied, kein Taktiker. Er mochte keine Kriegsstrategie studieren, auch wenn er zugeben musste, dass es spannender wurde, je tiefer er sich in die Materie grub. Er sah sich die Aufzeichnungen seines Vaters Eskild durch, von dem die Larhun glaubten, er wäre tot.
Dieser war auch gestorben. Aus dem Schmied, der Grimsviks Heere von Sieg zu Sieg geführt hatte und die Nebelreiche fast geeint hätte, war ein einsamer Säufer in einem langweiligen Dorf geworden. Es war besser, wenn sie dachten, Eskild weilte nicht mehr unter den Lebenden.
Mit einem Seufzen wandte sich Sunyu wieder den Notizen seines Vaters zu, suchte die Bücher, wenn er einen Hinweis zu ihnen fand, studierte Karten und überlegte sich die Schwachpunkte verschiedenster Taktiken, bis ihm der Kopf rauchte. Es war alles auf den grossen Plan ausgelegt, den er für die Nebelreiche vorgesehen hatte. Er wollte die Fürstentümer unter einem Banner einen. Selbst seine Strategien hatte er danach ausgerichtet. Es gab keine Ideen für Schlachten gegen die Larhun, dafür jedoch einige, die sich mit der Vernichtung von weniger starken Völkern auseinandersetzten – und das erstaunlich gründlich.
In Gedanken noch bei der Umsetzung einer Idee, bei der Eskild die Gegner abgelenkt hätte, um mit einem Teil seiner Truppen im Rücken des Feindes anzugreifen, schlenderte Sunyu auf den Balkon. Dieser umrahmte den Innenhof und liess den Blick auf einen schattigen Garten mit Brunnen frei. Noch hatte er vermutlich nicht alle Geheimnisse des Anwesens gelüftet, doch was er bis jetzt wusste, reichte ihm.
Er besah sich den Garten und beruhigte sich dabei ein wenig, auch wenn sich die unerklärbare Sehnsucht in seinem Brustkorb nicht minderte. Der nicht mehr wegzudenkende Nebel schwebte ausnahmsweise weit über seinem Kopf, sodass der Wildwuchs im Innenhof beinahe ohne beklemmende Atmosphäre dalag.
An einer Ranke neben seinem Kopf streckte sich eine dunkle Mernabeere dem spärlichen Licht entgegen. Einen Augenblick zögerte er, dann pflückte er sie. Tindra hatte gesagt, sie könne vielleicht seinen Drachen heilen. Die Tätowierung der magischen Kreatur erstreckte sich von seiner Brust bis zum Hals und tanzte – sie hatte getanzt. Seit der Schlacht gegen ein Kriegsschiff der Kvor trennte ein Schnitt den Flügel des Drachen fast gänzlich. Der Tanz war einseitig, wenn nicht gar erstorben. Das mächtige Wesen würde nie mehr vollständig heilen.
Sunyu biss in die Beere und verzog das Gesicht, als der säuerliche Saft seinen Gaumen erreichte und mit einem pelzigen Film überzog. Beim dürren Arsch der Seylani und ihrem schwarzen Zeh, das konnte doch niemals heilende Kräfte entfalten! Die angebissene Frucht warf er achtlos in die Tiefe, bevor er sich mit einem wütenden Brummen umdrehte. Wieso dachte er auch immerzu an Tindra? Sie war weg, es war vorbei. Es hatte niemals angefangen.
Sollte er sie jemals wiedersehen, wären sie Feinde. Deswegen hoffte er, dass sie wenigstens diese Chance nutzen und in Steinwacht bleiben würde. Solange er hier war, konnte er ihre Sicherheit dort garantieren. Oder solange Vilgrim seine Meinung nicht änderte.
Nachdem die Larhun sie wegen des von Tindra geschmiedeten magischen Schlüssels entführt hatten, hatte er ihr die Flucht ermöglicht. Doch statt sich in Sicherheit zu bringen, hatte sich die blonde Schmiedin zu seiner Befreiung aufgemacht. Ihr lag nichts an ihm, sie hatte es nur ihrem schlechten Gewissen zuliebe getan.
Er schloss die Augen. Mit ihren Fähigkeiten war Tindra nicht uninteressant für die Führerinnen der vier Länder und die Reiche der Larhun. Der einzige Grund, weshalb sie nach Steinwacht zurückkehren konnte, war er selbst. Er hatte sich zu den Bedingungen des Schattenfürsten an Grimsvik gebunden. Im Gegenzug hatte der klein gewachsene Larhun versprochen, Tindra kein Haar zu krümmen.
»Dafür sorgt der Trupp, den du bei ihr gelassen hast, du verfluchtes Arschloch«, murmelte Sunyu mit vor Sarkasmus triefender Stimme in den Garten. Die Worte verhallten ungehört.
Mit langsamen Schritten begab er sich ins Haus, um sich umzuziehen. Der Fürst hatte ihn zu sich gerufen, und es wurde Zeit, dass er sich bereit machte. Er wollte zusammen mit ihm und der Offizierin Kirjana nach Kleifar reisen, um die dortige Fürstin von einem noch geheimen Plan zu überzeugen.
Am Palasttor liessen die Wachen Sunyu mit einem misstrauischen Blick passieren. Er konnte es ihnen nicht verübeln, immerhin war bekannt, dass er Tindra und ihren verfluchten Freund Arin befreit hatte. Dass Vilgrim ihn dennoch in seiner Streitmacht wissen wollte, versetzte viele in Staunen, einige reagierten gar argwöhnisch. Zu Recht, wie er selbst fand.
Wie immer wirkte der Palast kühl und leer, als würde niemand darin wohnen. Die Wachen hielten sich in den zahlreich vorhandenen Wandverstecken verborgen. Nur selten hörte er das Scharren eines Schuhs hinter einer Steinmauer, das seine Vermutungen bestätigte. Auch wenn nicht viele tagsüber in den Gemäuern patrouillierten, wusste Sunyu, dass sie da waren. Sie befanden sich in den Schatten, verteilten sich geschickt und machten damit trotz ihrer wuchtigen Schultern dem Ruf der Larhun als Meister der Schatten alle Ehre. Selbst ein Ochse würde schreiend vor ihnen davonrennen, würde er erkennen, wozu sie in der Lage waren. Nicht einmal zu fünft konnten sich Menschenkrieger gegen einen einzelnen Larhun behaupten. Allein diese Tatsache erlaubte eine Vielzahl … faszinierender Gedankenspiele.
Vilgrim erwartete Sunyu zusammen mit seinen Offizieren und Befehlshabern in dem viel zu grossen Amtsraum. Seine dunklen, schulterlangen Locken verbargen das Gesicht, doch die leise Stimme fuhr Sunyu durch Mark und Bein. In ein Gespräch vertieft hob der Fürst nur flüchtig den Blick, dann richtete er das Wort sofort wieder an Bram. Der ranghöchste Offizier würde die Stellung in Grimsvik halten, solange Vilgrim das südlich gelegene Kleifar besuchte.
»Wir haben auf dich gewartet«, begrüsste der Fürst ihn, nachdem er seine Befehle ausgegeben und Bram diese mit einem Nicken zur Kenntnis genommen hatte.
Sunyu wich seinem Blick aus und betrachtete stattdessen das Relief von Mra’Theel in der Mitte des runden Tisches. Die vier Länder und die Reiche der Larhun waren mit ihren Bergen, Seen und Flüssen abgebildet.
Kirjanas Schwert zeigte auf eine Inselgruppe vor Grimsvik, die jedoch so weit entfernt lag, dass Sunyu sie noch nie von der Stadt aus gesehen hatte. Was bedeutete das? Mit dem Besuch in Kleifar konnte das kaum in Verbindung stehen. Die Stadt lag weit im Süden und war damit die kälteste in ganz Mra’Theel. In einem oder zwei Zyklen des Blauen Mondes hätten sie kaum mehr eine Chance, dorthin zu gelangen, da die Wege schneebedeckt und dadurch unpassierbar wären. Hier hielt der Winter zuverlässig Einzug. Im Moment musste deshalb alles andere warten, auch ein Inselbesuch.
»Ich hatte zu tun.« Sunyu entschied sich für die Wahrheit. Ihm fiel keine Ausrede ein.
Zweifelnd hob Fürst Vilgrim eine Augenbraue, doch dann zeigte sich dieses charakteristische, dünne Lächeln auf seinen Lippen, das Sunyus Brust erkalten liess.
»Ich habe die Aufzeichnungen meines Vaters studiert«, lenkte Sunyu ein.
Der Fürst hob eine Augenbraue und seine Augen weiteten sich. Er wirkte ehrlich überrascht, auch wenn Sunyu das kaum für möglich hielt. Dass sich sein Schützling tatsächlich mit Kriegstaktiken auseinandersetzen würde, damit hatte Vilgrim offenbar nicht gerechnet. Die unverhohlene Überraschung löste in Sunyu Genugtuung aus.
Fürst Vilgrim fasste sich rasch wieder. Diese Selbstbeherrschung war beneidenswert. »So wirst du es unter meinem Kommando weit bringen.«
Fest blickte Sunyu in die kalten Augen des Fürsten. »Das ist mein Ziel.«
Das Lächeln auf Vilgrims dünnen Lippen wurde breiter, fast ein wenig belustigt. Mit demselben Ausdruck wandte er sich der Karte zu und zeigte auf eine weite Ebene im Süden des Kontinents.
Inzwischen wusste er, dass der Ort in den Reichen der Larhun lag. Bis vor Kurzem war ihm Mra’Theels Geografie schleierhaft gewesen. All die gezeichneten Karten hatten kein inneres Bild zu erzeugen vermocht, doch diese genaue Abbildung mit den Bergen, Seen und Ebenen wog das Verpasste in seiner Ausbildung mehr als auf.
»Da liegt Kleifar. Wir werden zwei Tage unterwegs sein. Kirjana und zehn ihrer Männer begleiten uns. Vermutlich wird sie die Verhandlungen an meiner statt führen.«
Sunyu hob eine Augenbraue und betrachtete die Offizierin. Auf der Strasse wäre sie ihm mit ihren braunen, streng nach hinten gebundenen Haaren, den hellen Augen und dem breiten Gesicht nicht aufgefallen. Doch die Art, wie ihre Lippen Worte formten und ihnen ein verführerisches Kribbeln mit auf den Weg gaben, machte aus der unscheinbaren Frau eine gefährliche Mischung aus Verführung und scharfer Klinge.
Sunyu riss sich von der Erinnerung an ihre Stimme los. »Wenn die Fürstin von Kleifar nicht mit einem Fürsten diskutieren will, wird sie bei Freiwild höchstens die Nase rümpfen«, wandte er ein.
Kirjana grinste breit. »Weshalb nimmst du an, dass ich keine Hofdame mimen kann?«
Ihre Stimme versetzte sein Blut in Wallung. Ganz bestimmt war sie nicht die Art von Frau, die ihn bis in sein Innerstes zu verzaubern vermochte, aber sie löste in ihm ein bisher unbekanntes Verlangen aus. Wie immer musste er sich darauf konzentrieren, sie nicht zu lange anzustarren. Schon einmal hatten sich die anderen Offiziere darüber lustig gemacht, ein zweites Mal würde ihm das nicht passieren.
Sunyu reckte das Kinn leicht nach vorn. »Freiwild stinkt drei Manneslängen gegen den Wind.«
Kirjanas Mund umspielte ein wissendes Lächeln. »So wie dein Mädchen?«
Sunyu brummte. Wie er das Wort Freiwild hasste. Und erst dein Mädchen. Seit er hier angekommen war, sprachen sie von Tindra, als hätte sie jemals ihm gehört. Dabei war sie nicht mehr als eine Bekannte, deren Lachen ihn an das seiner Mutter erinnerte. »Kannst du denn eine Hofdame mimen?«, lenkte er die Aufmerksamkeit zurück auf das eigentliche Gespräch.
»Versprichst du mir, dass du dabei nicht über mich herfällst?« Ihre Lippen blieben leicht geöffnet, als würde sie ihn einladen. Es fehlte nur noch, dass sie sich auf die Unterlippe biss oder mit der Zunge darüberfuhr.
Hastig wandte er den Blick ab und suchte Vilgrims eisblaue Augen. Die würden seine Gedanken wieder abkühlen. »Wird die Fürstin von Kleifar die List nicht durchschauen?«
Vilgrim zuckte mit der Schulter. »Zweifelsfrei wird sie mich erkennen. Aber sie hält sich vom Geschehen im restlichen Mra’Theel fern. In ihren Augen kann Kleifar nichts geschehen, da eine feindliche Armee vorher jedes andere Reich der Larhun erobern müsste – es sei denn, eines der Reiche greift an. Und bei uns ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Frau einen Mann vom Fürstenthron stürzt, insbesondere da kein Mann das Recht hat, auf einem Thron zu sitzen.«
Sunyu horchte auf. »Aber die einzelnen Reiche verfügen nur über begrenzte Streitkräfte. Wenn ein Fürstentum ein Heer mit mehr als wenigen Hundert Soldaten aufstellen kann, ist das eine beachtliche Leistung. Das Einzige, das die vier Länder davon abhält, die Reiche der Larhun zu erobern, ist die Angst vor der Übermacht.«
»Und dass das Land unwirtlich ist und sich deshalb ein Kriegszug nicht lohnt«, ergänzte Bram.
Vilgrim nickte und warf Sunyu einen unergründlichen Blick aus verengten Augen zu. »Bis jetzt.«
Der junge Schmied horchte auf und stellte sich gerader hin. In den Büchern seines Vaters stand immer wieder die Frage nach dem Warum. Vielleicht hatte er aus dem Studium der Unterlagen nur gelernt, nach dem Grund für einen Kampf zu fragen, und wie man seine Krieger motivierte und davon überzeugte, mit Freuden ihr Leben zu lassen.
»Die Königinnen und Edeldamen in Mra’Theel gelüstet es nach der Tar-Seide. Sie ist ihnen nach den Zöllen zu teuer. Ausserdem verunsichert es sie, dass wir im Gegensatz zu ihnen Schwarzpulver besitzen.« Mit einer weichen Bewegung griff der Fürst nach einer Schale mit Beeren und schob sich ein paar davon in den Mund, als diskutierten sie über das Wetter und nicht über einen Hinterhalt.
Sunyu nickte. Nachdem er die Kraft des Schwarzpulvers am eigenen Leib erfahren hatte, konnte er sich die Angst davor nur zu gut vorstellen. »Wie steht es um die Streitkräfte der Larhun?«
Bram lachte bitter, während sich Vilgrims Augen noch ein Stückchen weiter verengten. »Das muss dich nicht kümmern. Nicht jetzt«, wiegelte der Fürst ab. An seiner Haltung konnte Sunyu erkennen, dass das Thema für ihn damit beendet war.
»Wenn ich wirklich helfen soll, muss ich wissen, wie viele Männer uns zur Verfügung stehen, welche Ausbildung sie genossen haben, auf welche technische Unterstützung wir zurückgreifen können. Ich brauche …«
»Nichts«, unterbrach Vilgrim ihn eisig. »Du brauchst rein gar nichts. Ich sage dir, was du zu tun hast. Ich sage dir, wie du es zu tun hast. Und ich bestimme, welches Wissen ich dir dafür zur Verfügung stelle.« Er machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr: »Du musst dir mein Vertrauen erst erarbeiten, Bastard. Sobald wir aus Kleifar zurückkehren, wirst du dich an die Arbeit machen und Rüstungen nach Eskilds Skizzen anfertigen. Sicherlich kannst du mit seinen Aufzeichnungen etwas anfangen.« Sein schmales Grinsen reichte nicht ganz bis zu den Augen. »Und irgendwann hast du dir mein Vertrauen vielleicht verdient.«
Sunyu schluckte leer. Die Erinnerung an seinen Vater, in dessen Fussstapfen er trat, obwohl er immer genau das Gegenteil hatte tun wollen, liess sein Herz schneller schlagen. Eskild hatte seine Mutter umgebracht und Sunyus Leben in den dürren Arsch der hellen Göttin Seylani verwandelt. Mit Mühe verkniff er sich ein Knurren.
Fast ebenso hart wie der Name seines Vaters traf ihn das offene Misstrauen des Fürsten. Natürlich hatte er sich gefragt, weshalb ihm die Larhun so sehr vertrauten, doch es lag nicht am Vertrauen. Es war allein die Aussicht auf Macht und Einfluss, die den Fürsten antrieb. Um dies zu erreichen, hatte Vilgrim ein Pfand in der Hand, das er niemals aufs Spiel setzen würde: Tindra. Sie war Sunyus Schwachstelle, ihre Sicherheit der einzige Grund, weshalb er hierblieb und sich den Larhun unterjochte. Ihr Leben bedeutete seine Knechtschaft.
Beim Blinzeln liess er die Augen einen Moment zu lange geschlossen. Sein Traum von einem ruhigen Leben in seiner eigenen Schmiede schmolz dahin. Je länger er sich unter der Herrschaft des Fürsten befand, desto mehr würde dieser ihn an sich binden. Es gab keine Aussicht auf Ruhe, auf Abstand. Immer würde Vilgrim einen Grund nennen können, um ihm seinen Willen aufzuzwingen.
Innerlich seufzte Sunyu auf, schaffte es aber gerade noch, es nicht nach aussen zu tragen. Stattdessen streckte er den Rücken durch und begegnete Vilgrims Blick mit derselben Entschlossenheit, die der Fürst an den Tag legte. »Und was wird meine Aufgabe am Hof der Fürstin sein?« Selbst ihn überraschte der unverhohlene Trotz in seiner Stimme.
Das Lächeln auf Vilgrims Gesicht wurde nur scheinbar freundlicher, die Kälte dahinter war noch immer präsent und deutlich zu spüren. »Ich will dich kennenlernen.«
Lächerlich. Bei Seylanis faulendem Zeh, dieser Mann schien ihn in- und auswendig zu kennen. Es war nicht nötig, dass er so lange mit ihm unterwegs war. Sunyus Zeit wäre weit besser investiert, wenn er sich an die Arbeit für die Rüstungen machen könnte: Material organisieren, Legierungen und Temperaturen testen, erste Modelle erstellen. Auch wenn er den Fürsten für das bewunderte, was er erreicht hatte, so empfand er keine Sympathie für ihn.
»Ausserdem kann dich Kirjana unterwegs einige wichtige Dinge lehren.«
Daher also wehte der Wind. Vilgrim wollte, dass er die Taktiken seiner Armee aus erster Hand lernte, so wie schon einmal. Als Sunyu daran zurückdachte, erfasste ihn ein eisiger Schauer und sein Herz schlug einen schnelleren Takt an. Die Augen der Käfer zwischen ihren riesigen Scheren hätte er lieber vergessen, stattdessen lebten sie in seinem Inneren neu auf. Was für eine Scheisse.
»Was machen wir mit den Kvor?«, fragte Sunyu, um sich selbst abzulenken.
Wenn er sich nicht täuschte, versteifte sich der Fürst, während er ihn wütend musterte. »Welche Kvor?«
»Jene, die Kirjana willkommen geheissen haben.« Sunyu streifte die Offizierin mit einem bedeutungsschweren Blick. Hatte sie ihrem Herrn etwa nichts davon gesagt? Bestand eine Fehde zwischen den beiden? »Als du mich mit Kirjana ausgesandt hast, um die Küste in Richtung Norden zu begutachten, entdeckten wir ein Kriegsschiff der Kvor. Sie ankerten in einer Bucht nicht weit von hier. Einhundert Soldaten, vielleicht ein paar mehr, gut ausgebildet und mit hervorragender Rüstung.« Er bildete sich ein, wenigstens darüber ein Urteil abgeben zu können. »Mit ihnen gingen drei gigantische Käfer an Land. Sie waren so gross, dass eine Handvoll Kvor locker auf ihre gepanzerten Rücken passten. Die Viecher sind mit Scheren und einer ekligen Säure bewaffnet. In der Nacht krochen sie aus ihren Verstecken hervor und überfielen uns. Wir waren zehn, aber sie zählten keine fünf Mann Verlust.«
Als Sunyu an die Säure zurückdachte, die seine rechte Gesichtshälfte und den Unterarm so verätzt hatte, dass keine Frau ihn jemals freiwillig mehr ansehen würde, brummte er. Unwillkürlich hob er die Hand an die Wange, die unter der leichten Berührung brannte. Nicht nur, dass er ein Bastard war, er war auch hässlich. Verunstaltet. Es wäre besser gewesen, wenn er in jener Nacht mit den anderen gestorben wäre.
Vilgrims Blick wechselte von ihm zu Kirjana und wieder zurück. »Wieso erzählt mir das niemand?« Seine Stimme zitterte, über der Nase bildete sich eine tiefe Falte, die sich bis in die Mitte der ansonsten glatten Stirn zog.
Sunyu zuckte unbeeindruckt mit den Schultern, während sein Blick die verführerische Kriegerin streifte. Innerlich lachte er sich kaputt. »Ich muss ja nichts wissen, also muss ich auch nichts sagen. Offensichtlich hast du deine Offiziere nicht im Griff.«
Kirjana schüttelte den Kopf. »Ich war bewusstlos.«
Vilgrim setzte sich auf einen Stuhl, schloss die Augen und massierte sich die Stirn. »Wie konnte es nur so weit kommen?«, flüsterte er mehr zu sich als zu jemand Speziellem. »Was hast du dir dabei gedacht?«
»Nichts«, mischte sich Bram ein und grinste breit, trat aber einen grosszügigen Schritt nach hinten, als eine erste Flamme aus Vilgrims Hand nach dessen Haaren griff.
Augenblicklich erfüllte Kälte den Raum, schien alle Wärme zu vertreiben. Obwohl dort gierig eine Flamme züngelte, war sie kälter als der Winter in Steinwacht.
Das Feuer um den Fürsten wurde stetig heller und kälter. Der kleine Larhun erhob sich und ging auf Sunyu zu, seine Augen glühten. Mit jedem Schritt loderten die Flammen höher und der Zorn des Herrschers wurde spürbarer. Kälte streifte Sunyus Wange und überbrachte ein Versprechen von Zerstörung und Pein.
Sein Innerstes zog sich schmerzhaft zusammen. Während Sunyu aus den Augenwinkeln beobachtete, wie Kirjana Brams Beispiel folgte und zurücktrat, blieb er selbst ruhig stehen. Er zwang sich dazu, standhaft zu bleiben. Unbeeindruckt. Angst war sein grösster Gegner und gleichzeitig seine stärkste Waffe. Er musste ihrer Herr werden.
Sunyu hatte gewusst, der Kampf ihrer beider Flammen würde eines Tages kommen, nur hatte er nicht damit gerechnet, dass es so bald geschehen würde. Er schluckte. Sein Herz hämmerte hart in der Brust, viel schneller noch als der Hammer seines Lehrmeisters Juang, wenn dieser Stahl für ein Messer vorbereitete. Dennoch wich Sunyu dem Blick des Fürsten nicht aus. Sein eigenes blutrotes Feuer begehrte auf, wehrte sich. Es wollte gegen die fremden Flammen angehen. Dunkel, verheissungsvoll, zerstörerisch. Es war sich sicher, gegen Vilgrim bestehen zu können, doch Sunyu zweifelte daran.
Bis zu jenem Tag, an dem Tindra und er von den Larhun entführt worden waren, hatte er die Macht in sich unterdrückt. Vilgrim dagegen hatte Jahre seines Lebens damit zugebracht, mit der Flamme zu spielen, und hielt seine Männer und Frauen damit in Schach. Er beherrschte sie.
Die Flamme war der Grund, weshalb keiner einen Angriff auf den Fürsten riskierte. Wer die Flamme in sich trug, wurde gemeuchelt. Sunyu hatte es in den Aufzeichnungen seines Vaters gelesen, einer der letzten Einträge, die dieser geschrieben hatte. Für einen winzigen Moment hatte er sich eingebildet, Eskild war seinetwegen mit seiner Mutter aus Grimsvik geflüchtet. Einen Wimpernschlag lang hatte er geträumt, dass er seinem Vater etwas bedeutete. Weil er das Feuer in sich trug. Weil er eine Gefahr für den Fürsten darstellen könnte.
Unter Aufbietung all seiner Willenskraft hielt Sunyu die lodernde Wut in sich zurück. Die Flammen wehrten sich mit einem wilden, heissen Wirbel, als sie seine Absicht erkannten, und stemmten sich gegen ihn. Doch im Gegensatz zum Fürsten von Grimsvik hatte er sein ganzes Leben nichts anderes getan, als sich gegen den fremden Willen in sich zu wehren, und so fiel es ihm leicht, das blutrote Feuer unter Kontrolle zu halten.
»Du hast es nicht für nötig befunden, mich über die Kvor vor unseren Mauern zu informieren?« Vilgrims Stimme zitterte im Takt seiner Flammen, die bei seinen Worten noch höher stoben.
Sunyu gab sich Mühe, betont locker mit den Schultern zu zucken. »Kirjana wusste davon. Sie ist deine Vertraute, nicht ich. Ich bin noch nicht einmal Teil deiner Streitkräfte.« Ein kaum sichtbares Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Sollte der Fürst ruhig denken, dass ihn seine Spielchen nicht beeindruckten.
Vilgrim senkte die Stimme noch weiter. »Sie war verletzt.«
Ein erster Ausläufer der Flammen peitschte gegen Sunyus Wange und hinterliess winterliche Kälte in Form eines hauchdünnen Schnittes. Einen Moment lang spürte er seine Haut nicht mehr, bis sie prickelnd aus der Betäubung erwachte und brennendem Schmerz wich.
»Sie war verantwortlich, hat aber leichtfertig das Leben ihrer Soldaten aufs Spiel gesetzt.« Sunyus Augen verengten sich bei dem Gedanken daran, wie herablassend sie ihn behandelt und alle Warnungen in den Wind geschlagen hatte. Auch wenn er sich zu beruhigen versuchte, zitterte seine Stimme. Aber besser, seine Stimme zitterte, als dass sein Feuer erschien. Er nahm Vilgrim jede Möglichkeit, etwas zu erwidern. Seine leise Stimme donnerte wie ein drohendes Versprechen durch den Raum. »Wir hatten die perfekte Gelegenheit, die Kvor auszuschalten, doch Kirjana hat sie ignoriert. Die Winzlinge waren in einer Bucht tief unten, die Wände zu steil und steinig, um hinaufzuklettern. Nur ein einziger Pfad führt dort hinauf, doch Kirjana wollte weder angreifen noch Wachen aufstellen.« Sunyu verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Solange deine Offiziere so einen Mist entscheiden, musst du dich nicht wundern, wenn du innerhalb weniger Tage einen Grossteil deiner Armee verlierst!«
Es war reine Spekulation. Sunyu kannte die Grösse von Vilgrims Heer nicht, doch in einer Stadt wie Grimsvik liessen sich nur wenige Soldaten rekrutieren, glaubte er den Aufzeichnungen seines Vaters. In den beiden Kämpfen, in die Sunyu verwickelt gewesen war, waren dreissig Soldaten gestorben. Teuer ausgebildete Männer, die Vilgrim verloren hatte. Allzu viele konnten nicht mehr übrig sein.
Vilgrim hielt inne, ihm stockte der Atem. Zweimal wollte er etwas sagen, unterbrach sich jedoch selbst. An seinen Flammen war die Verunsicherung nur überdeutlich zu erkennen, für einen Augenblick schienen sie sogar kleiner zu werden, doch dann loderte das Feuer erneut auf, eisig und erbarmungslos. Wütend griff es nach Sunyu, leckte an seinem Atem, an der Haut, an den Bewegungen, als würde er in einem Raum ohne Zeit und Richtung schweben. Feuer überall.
Es kostete ihn alle Mühe, seine eigenen Flammen im Zaum zu halten. Immerzu drängten sie an die Oberfläche, wollten die Macht des Fürsten in sich aufnehmen, doch Sunyu zwang sie zu einem Schattendasein in seinem Inneren. Dasselbe Schattendasein, das ihnen von Anbeginn zugeteilt gewesen war. Sobald er es zeigte, würden die eisblauen Flammen die seinen fressen und Sunyu unvorstellbare Qualen bescheren. Ein Fürst in den Reichen der Larhun verfügte ganz sicher über grössere Flammen, über mehr Macht als ein Bastard. Und das blutrote Feuer war das Einzige, das Sunyu noch geblieben war. Er wollte es nicht verlieren, also musste er es schützen, verstecken, wie seine Mutter es ihm verinnerlicht hatte.
Schliesslich nahm der richtungslose Sog um Sunyu herum ab. Langsam fand er aus dem hellen Feuer in den kargen Raum zurück. Vilgrim starrte ihn aus vor Entsetzen aufgerissenen Augen an, Kirjana und Bram standen die Münder offen wie dummen Hühnern.
»Hast du ernsthaft gedacht, deine Spielchen könnten mich beeindrucken?«, fragte Sunyu mit betont ruhiger Stimme. Er hoffte, dass ihm das die Angst des Fürsten einbrachte – oder wenigstens ein Fünkchen Respekt.
Das Spielchen, das der Herrscher zur Perfektion beherrschte, wollte Sunyu auch lernen: das Spiel mit der Angst. Mit der Macht. Mit Manipulationen. Und er wollte sich als guter Lehrling erweisen.
Arin
Arin wartete, bis der junge Mann aus Steinwacht zwischen den niedrigen Häusern verschwunden war, ehe er seine eigenen Schritte beschleunigte. Er wollte nicht beobachtet werden, wie Tindra und er bewaffnet aufbrachen. Das würde nur Öl ins Feuer schütten. Zudem bestand die Gefahr, dass ihnen unbeholfene Jugendliche folgten.
Unscheinbar schlängelte sich der Weg zwischen den letzten Hügeln des Mittelgebirges hindurch, um am Fluss Rem entlangzugehen oder in einer Baumgruppe zu verschwinden. Tindra war in ihre eigenen Gedanken versunken, und er holte sie nicht ins Jetzt zurück.
Angespannt warf er einen Blick über die Schulter, kurz bevor sie um einen Hügel bogen und den Überblick über das eben zurückgelegte Stück Weg verloren. Er fühlte sich beobachtet, gar verfolgt, doch er konnte niemanden entdecken. Mit zu schmalen Schlitzen verengten Augen wandte er sich dem vor ihnen liegenden Weg zu, lauschte, wie Kiesel unter seinen Schuhen knirschten, auch wenn nur vereinzelte Steinchen lose waren.
Im Augenwinkel sah er Metall aufblitzen und erstarrte. Sein Kopf schnellte herum, suchte die Umgebung ab. Eine Waffe? Ein Schwert vermutlich. Oder ein Fernglas, um sie zu beobachten.
Tindras Schritte verstummten. Offensichtlich hatte auch sie aus ihrer Traumwelt in die Wirklichkeit zurückgefunden. »Was ist los?«, fragte sie mit ihrer weichen Stimme, die seinen Bauch warm werden liess.
Er zwang sich zu einem Lächeln, als er die mit dürrem Gras bewachsenen Hügel ein letztes Mal musterte. »Alles in Ordnung«, log er. Dabei glaubte er nicht, dass sein Gefühl oder das eben Gesehene Hirngespinste waren.
Es war genauso real wie damals, als er die Nachricht von Königin Thea in den Reichen der Irin entgegengenommen hatte, um sie nach Kvora zu bringen. Der kalte Atem war derselbe, die Bedrohung. Doch er konnte keinen Grund erkennen, weshalb ihnen eine Truppe Larhun auflauern sollte, oder besser, wieso sie nicht gleich angriffen. Tindra und er hätten sich nicht verteidigen können, ihre Schwerter waren zu langsam. Ausserdem beunruhigte ihn die Stille. Kein Vogel pfiff, kein Hase huschte an ihnen vorbei ins nächste Gestrüpp, als würde eine dunkle Bedrohung nur darauf warten, das vorbeiziehende Leben zu vernichten.
Tindra sah ihn mit zur Seite geneigtem Kopf an, versuchte, sich aus seinem Verhalten einen Reim zu machen. »Worüber machst du dir solche Sorgen?«
Als er überrascht blinzelte, zeigte sich ein schwaches Lächeln auf ihren roten Lippen und das Muttermal auf der Wange wanderte näher zum Auge. Wie gern würde er darüberstreichen, doch er unterliess es. Sie standen kurz davor, Feindesland zu betreten – oder zumindest ein Gebiet, in dem es vor Feinden nur so wimmelte. Da durften sie sich nicht von Kleinigkeiten ablenken lassen.
Er seufzte und beschleunigte seine Schritte. So schnell wie möglich wollte er weg von hier. »Die Ruhe. Es ist zu still. Es ist, als wäre …« Er hielt mitten im Satz inne, als sie aus dem Wald traten und eine Horde Männer erblickten. Noch waren sie so weit entfernt, dass sie sie zwischen den Baumstämmen vermutlich nicht entdeckten, doch sicher konnten sie sich nicht sein. Geistesgegenwärtig packte er Tindra an der Hand und zog sie unter die Bäume zurück.
Er versteckte sich hinter einem breiten Baum. Wenn er sich nicht täuschte, bestand der lose marschierende Haufen hauptsächlich aus Kvor. Ihre niedrigen, aber breiten Körper verschwanden beinahe komplett in dem Staub, den ihre Füsse aus dem Boden klopften. Heiteres Lachen liess die Stimmung erahnen.
»Ein unorganisierter Haufen«, murmelte Arin mehr zu sich selbst, als an Tindra gewandt. »Fünfzig Männer, die meisten Kvor. Eine Handvoll Irin ist auch dabei. Ich bin mir sicher, sie gehören keinem Heer der Länder an, dafür sind sie zu … wild durcheinandergewürfelt.« Er unterdrückte ein Seufzen, um Tindra nicht unnötig zu sorgen.
»Sie kommen von Osten, dort gibt es kein Land mehr, dem sie angehören könnten. Und in Steinwacht gibt es nichts, das sie wollen könnten. Wieso sind sie dann hier?«, flüsterte Tindra, auch wenn es keinen Sinn hatte, leise zu sein. Bei dem Gegröle, das die Männer veranstalteten, hätte sie auch laut lachen können.
Arin verengte die Augen weiter, um weitere Details erkennen zu können. »Ich weiss es nicht. Aber ich möchte ihnen nicht begegnen.« Aus den Augenwinkeln sah er Tindras Nicken. Wenigstens war sie damit einverstanden.
»Werden sie Steinwacht angreifen?«
Mit der Antwort liess er sich einen Moment Zeit. Er kannte die Antwort. Weit und breit lag kein Dorf, das sie plündern konnten, das ihren Hunger stillen konnte. Auch wenn Juang die Gefahr heruntergespielt hatte, bedeutete es dennoch, dass Steinwacht auch bei einem kurzen Aufenthalt von einigen Kriegern ein paar Jahre daran zu beissen hätte. Saatgut würde aufgefressen, die diesjährige Ernte ruiniert. Das traf auch auf ein Dorf zu, welches hauptsächlich von Rubinen aus den Minen lebte.
Schliesslich holte er tief Luft. »Sie sind vermutlich hungrig und wollen eine Nacht in weichen Betten schlafen«, wich er der Frage aus, auch wenn er so angespannt blieb wie bisher.
Auf seiner Wange spürte er Tindras zweifelnden Blick. »Was bedeutet das für Steinwacht? Für meine Familie, Juang und Sunyu?« Ihre Stimme war so misstrauisch, wie er es noch nie an ihn gerichtet erlebt hatte. Ahnte sie, dass er schwindelte?
Langsam drehte er sich zu ihr und wartete, bis ihre Augen nicht mehr grünes Feuer spien, sondern zu einem frühlingshaften Wogen im frischen Laub der Bäume wurden. Er suchte nach den richtigen Worten, wollte ihr klarmachen, dass ihre Anwesenheit in Steinwacht keinen Unterschied machte, wenn diese Männer dort sein würden – ausser für sie selbst. Doch es fiel ihm unheimlich schwer, sie anzulügen. »Sie werden leiden«, sagte er deshalb knapp. »Wenn die Leute nach Juangs Ratschlag handeln, dann werden sie zwei oder drei Jahre hungern und Lebensmittel und Saatgut einkaufen müssen. Wenn sie sich ihnen in den Weg stellen …« Diesen Satz wagte er nicht zu vollenden.
Sie biss sich auf die Unterlippe, um ihre Möglichkeiten abzuschätzen. »Wir müssen ihnen helfen. Wir müssen diese Männer loswerden. Oder in eine andere Richtung schicken.«
Arin schüttelte den Kopf. »Wie denn?«
Übermütig blitzten ihre Augen auf. »Du hast doch eine ganze Armee, die du aus dem Nichts rufen kannst.« Sie zwinkerte ihm zu und streifte kurz das Heft ihres Schwertes. »Und wir erledigen den Rest.«
Überrascht hob er die Augenbrauen. »Wir allein gegen fünfzig Soldaten?«
Sie blinzelte. »Vorhin hast du noch von einem unorganisierten Haufen gesprochen.«
»Was aber nicht heisst, dass sie keine militärische Ausbildung durchlaufen haben.« Er fixierte sie mit seinem Blick. Die Männer waren für einen Wimpernschlag vergessen. »Sie haben vielleicht Bärte anstelle von glatt rasierten Wangen, sie lachen und marschieren nicht in Reih und Glied, aber ein jeder von ihnen ist ein erfahrener Kämpfer, der bis zum letzten Atemzug das Schwert schwingen wird. Das ist keine Vergnügungsreise, das ist ein Angriff.«
»Wir können Steinwacht nicht im Stich lassen!« Ihre Stimme klingelte in seinen Ohren, sodass Arin fürchtete, der Trupp könnte sie hören. Doch ein Blick in die Richtung der fremden Männer liess nicht darauf schliessen.
Arin versuchte, sie an den Schultern zu packen, doch sie wich aus. »Tindra, bitte, sei doch vernünftig. Wir …«
»Meine Familie lebt dort! Juang und Sunyu und …«
Arin schnaubte und warf die Hände in die Luft. »War ja klar, dass du den Bastard wieder ins Spiel bringst. Denkst du etwa den ganzen Tag an ihn? Er hasst dich, Tindra, also vergiss ihn.« Er fuhr sich über den Nacken und versuchte damit, sich zu beruhigen, doch der gewünschte Effekt blieb aus.
Sie funkelte ihn zornig an. Ferner konnte sie ihm nicht sein. »Du bist ja nur eifersüchtig«, murmelte sie.
Um sie nicht anzuschreien, holte er tief Luft. »Und wenn es so wäre?« Obwohl ihre Worte seine Gefühle hochkochen liessen, hörte er sich erstaunlich ruhig an. Schon seit ihrem ersten Treffen faszinierte sie ihn. Dass sie ihm nicht mehr als reservierte Freundschaft entgegenbrachte, schmerzte angesichts der Tatsache, dass sie einen Bekannten aus den Reichen der Larhun befreit hatte. »Dann entscheide du«, schlug er vor, als sie ihn nur mit geweiteten Augen ansah. »Sag du, was wir jetzt tun, und ich werde dir gehorchen. Schliesslich bist du eine Frau.«
Innerhalb eines Wimpernschlags schien die Welt um Tindra herum zusammenzufallen. Sie schluckte, starrte ihn nur an, bis sie den Blick senkte. Es kitzelte ihn in den Fingern, sie weiter zu provozieren, sie aus der Reserve zu locken, doch er wusste, wie kindisch das war.
Als sähe sie die fremden Männer zum ersten Mal, starrte sie sie an. Vermutlich versuchte sie, die Informationen mit dem Anblick in Einklang zu bringen, einen unorganisierten Haufen als ausgebildete Krieger zu sehen. Sie griff nach einem Ast, der nur noch wenige Blätter trug, und krallte die Finger hinein. »Sunyu ist in Steinwacht. Und Juang. Sie werden die Stellung schon halten.« Ihre Stimme hörte sich gespielt zuverlässig an und schmerzte Arin tief in seinem Inneren.
Dennoch war er froh, dass sie einlenkte und eine von Vernunft getragene Entscheidung traf. »Vielleicht sollten wir uns als Kvor tarnen, damit sie nicht gleich Verdacht schöpfen.«
Sie hob eine Augenbraue und sah ihn skeptisch an. »Kvor. Aus Steinwacht. Weisst du eigentlich, wie ungewöhnlich das ist?«