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Leben Wildkaninchen in Städten anders als auf dem Land? Wie kommt es, daß sich Sikahirschkühe gerne mit Rothirschen paaren? Wie passen sich Füchse dem Rhythmus des Menschen an? Und was lockt Braunbären in menschliche Nähe? Mitteleuropas Tierwelt ist weder arm an Arten noch an Eigentümlichkeiten. Die Wissenschaft bringt dank modernster Forschungsmethoden oft Überraschendes ans Licht. Das gilt für Wildschweine und Hirsche wie für Fledermäuse oder heimische Vipern und viele andere Bekannte aus Grimms Märchen und Brehms Tierleben. Das zeigen neuere Forschungsergebnisse zahlreicher internationaler Zoologenteams. Eine Rundreise durch die aktuelle zoologische Wissenschaft in 20 verblüffenden Forschungsgeschichten.
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Seitenzahl: 70
Kai Althoetmar
Scheuer Fuchs &
schlaues Wiesel
Neues aus der Fauna Europas
Nature Press
Inhaltsverzeichnis:
1. Der Trend geht zum City-Apartment. Wildkaninchen in Städten hausen ganz anders als auf dem Land, fanden Forscher der Uni Frankfurt heraus.
2. Schwarze Farbe, schneller Tod. Melanismus bedeutet für Aspisvipern in den Alpen Fluch und Segen.
3. Wen die Kreuzotter kreuzt. Hybridisierung zwischen Aspisvipern und Kreuzottern in Frankreich.
4. Durstige Jäger der Nacht. Bayerischer Wald: Auch nährstoffarme Gewässer sind für heimische Fledermäuse überlebenswichtig.
5. Hauptsache Ruhe im Bau. Luchse mit Nachwuchs meiden Menschen um jeden Preis.
6. Erst eingewandert, dann ausgelöscht. In Spanien koexistierten einst zwei Luchsarten. Überlebt hat die Schwächere.
7. Im Winter ist Familientreffen. Je enger Rehe miteinander verwandt sind, desto mehr gesellen sie sich zueinander - außer zur Brunftzeit.
8. Im Süden bleibt es doch am schönsten. Trotz Klimawandel meiden Kormorane Grönlands Norden.
9. Schnell verduftet. Schon der Geruch von Ameisen läßt Spinnen die Flucht ergreifen. Schädlinge verlieren damit Freßfeinde.
10. Das Gesetz des letzten Urwalds. Wildschweine: Wo die Jagd auf Bachen ausbleibt, gesellen sich mehr Keiler zu den Rotten.
11. Im Unterholz ist die Bache sicher. Treibjagden wirbeln die Sozialstruktur von Wildschweinen durcheinander.
12. Nachruf der Evolution. Sikahirsche paaren sich gerne mit Rothirschen.
13. Alt werden die wenigsten. Frankreich: Fallenjagd und Autos gefährden den Bestand von Stein- und Baummarder.
14. Bloß nicht dem Fuchs begegnen. Um ihre Todfeinde zu meiden, jagen Altaiwiesel in Pakistans Pamirgebirge tagsüber.
15. Verkaterte Insel. Azoren: Verwilderte Katzen plündern Seevögelgelege. Forscher sehen nur die Ausrottung als Ausweg.
16. Kleiner Hirsch, großes Problem. Von fünf auf über 50.000: Großbritanniens Muntjak-Plage geht auf wenige ausgesetzte Tiere zurück und droht sich in Kontinentaleuropa zu wiederholen.
17. Landkarte der Angst. Den Tagesrhythmus von Füchsen prägt nicht das Beuteangebot, sondern der Mensch.
18. Friedliche Koexistenz. Der Vormarsch der Goldschakale nach Mitteleuropa muß für Füchse keine Konkurrenz bedeuten.
19. Meister Petz auf der Müllkippe. Braunbären reagieren unterschiedlich auf menschengemachte Nahrungsangebote.
20. Winterbuffet macht müde Bären munter. Zufütterung verkürzt die Winterruhe von Braunbären in den Dinarischen Alpen deutlich.
Von Füchsen und Wieseln
Leben Wildkaninchen in Städten anders als auf dem Land? Wie kommt es, daß sich Sikahirschkühe gerne mit Rothirschen paaren? Warum haben Spinnen Angst vor Ameisen? Und was lockt Braunbären in menschliche Nähe? Mitteleuropas Tierwelt ist weder arm an Arten noch an Eigentümlichkeiten. Die Wissenschaft bringt dank modernster Forschungsmethoden oft Überraschendes ans Licht. Das gilt für Wildschweine und Hirsche wie für Fledermäuse oder heimische Vipern und viele andere Bekannte aus Grimms Märchen und Brehms Tierleben. Das zeigen neuere Forschungsergebnisse zahlreicher internationaler Zoologenteams.
Die in diesem Band vorgestellten Forschungsstudien haben Wissenschaftlerteams im renommierten Journal of Zoology der Zoologischen Gesellschaft London veröffentlicht. Der Autor hat - als einziger deutschsprachiger Wissenschaftsjournalist - über diese Forschungsarbeiten in deutschen, österreichischen und Schweizer Medien berichtet. Das vorliegende Buch ist eine Sammlung dieser Feldforschungsgeschichten, die die komplexen und akademischen englischsprachigen Fachchinesisch-Texte der Biologen in eine auch für Laien verständliche Form und Sprache überträgt und daraus „erzählte Zoologie“ gestaltet. Hintergrundinformationen zu den behandelten Tierarten und Auszüge aus Interviews mit den Forschern ergänzen die Texte, die den Leser auf eine verblüffende Rundreise durch die zoologische Wissenschaft im Bereich der Fauna Europas mitnehmen.
Der Trend geht zum City-Apartment
Wildkaninchen in Städten hausen ganz anders als auf dem Land, fanden Forscher der Uni Frankfurt heraus.
Landflucht, Verkleinerung der Familienverbände und eine Vorliebe für eher smarte „Stadt-Apartments“ - was der moderne Mensch vorlebt, findet im Leben mitteleuropäischer Wildkaninchen seine Entsprechung. Forscher der Universität Frankfurt am Main und der Jagdschule Frankfurt Wildtiermanagement haben untersucht, wie sich die Lebensweise wilder Kaninchen verändert hat und wie die Tiere ihre Baue den Gegebenheiten städtischer Lebensräume angepaßt haben. Ergebnis: Stadtkaninchen legen kleinere, dafür aber je Hektar mehr Baue an als ihre Artgenossen auf dem Land, verteilen ihre unterirdischen Heime gleichmäßiger in die Landschaft und leben in kleineren Familienverbänden zusammen (Journal of Zoology, Band 295, S.286).
Für ihre Studie untersuchte das Team um Madlen Ziege von der Uni Frankfurt Kaninchenbautne und -kolonien an insgesamt sechzehn Standorten in Frankfurts Zentrum, am Stadtrand sowie in angrenzenden ländlichen Gebieten. Die Kaninchen wurden im Auftrag der Stadtverwaltung von örtlichen Jägern gejagt, um die Bestände in Schach zu halten. Die Jäger setzen dabei Frettchen ein, domestizierte Iltisse, die auf Kaninchenjagd spezialisiert sind. Die Forscher nutzten die Jagd, um anhand der aus den Ausgängen fliehenden Kaninchen zu ermitteln, wie viele Kaninchen in einem Bau leben und wie groß und komplex der Bau ist - was an Lage und Zahl der Ausgänge festzumachen ist.
Die Forscher erklären den Trend zu kleineren Verbänden und Höhlensystemen mit verschiedenen Faktoren. Ein Grund: In großen Kaninchenverbänden ist im Winter der Energieverlust pro Kopf geringer als in kleinen Gruppen. In Städten bedürfen die Tiere dieses energetischen Vorteils aber nicht, da dort die Durchschnittstemperatur meist höher ist als auf dem Land - was vor allem der Tallage von Städten, aber auch Industrie und dichter Besiedlung geschuldet ist.
Während die Agrarindustrie auf dem Land vielfach nur landschaftliche Monotonie hinterlassen hat, bieten Ballungsräume anpassungsfähigen Tieren Ressourcen und mosaikartige Lebensräume mit Parks, Gärten und Friedhöfen. „Kaninchen sind dafür bekannt, große Gruppen zu bilden, wenn die Ressourcen knapp sind“, heißt es in der Studie. „Aber in deutschen Städten sind offenbar weder Nahrung noch Plätze für Kaninchenbauten knapp.“ Die Populationen von Kaninchen in Städten sind über die Jahrzehnte entsprechend gestiegen.
In den meisten ländlichen Gegenden Europas nehmen indes die Bestände an Wildkaninchen seit Langem ab. Ein wichtiger Grund ist neben zwei artspezifischen Seuchen die Intensivierung der Landwirtschaft. Auf der Iberischen Halbinsel, der Ursprungsheimat der Kaninchen, steht die Art bereits auf der Vorwarnliste der Weltnaturschutzunion.
Die Wissenschaftler folgern, daß Wildkaninchen von der Mosaikstruktur städtischer Landschaften stark profitieren, weil sie dort leichter gute Plätze für Baue finden als auf dem Land. Ihr Bedürfnis nach Deckung und Nahrung sei für die Tiere in den Nischen der Städte gut zu stillen. Zudem sind manche ihrer Freßfeinde in Städten gar nicht oder kaum präsent, seien es Luchs, Wolf sowie manche Marder- oder Greifvogelarten.
Schwarze Farbe, schneller Tod
Melanismus bedeutet für Aspis-Vipern in den Alpen Fluch und Segen.
Wer in den Alpen beim Wandern auf eine ungewohnt dunkel gefärbte Schlange trifft, sollte nicht gleich eine Schwarze Mamba vor sich wähnen. Die für Menschen eher mäßig gefährliche Aspisviper, die normalerweise ein Zackenmuster auf braunem oder hellgrauen Grund trägt, tritt in den Alpen häufig in rein schwarzer Gestalt auf. Melanismus nennt man im Tierreich dieses Phänomen der Schwarzfärbung.
Wissenschaftler der Universität Lausanne und der in Neuchâtel ansässigen Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (KARCH) untersuchten in den Voralpen, welche Auswirkungen Melanismus auf die auch Juraviper genannte Vipera aspis hat.
Die vor allem in Frankreich, Italien und der Schweiz verbreiteten Lauerjäger leben sowohl im Flachland als auch in Höhen bis über 2.000 Metern. In Deutschland kommt die Schlange nur im äußersten Südwesten des Schwarzwalds vor. In der Schweiz ist Schwarzfärbung bei Aspisvipern besonders verbreitet.
„Die Haut melanistischer Individuen reflektiert weniger Licht und erwärmt sich schneller“, schreiben die Wissenschaftler um Sylvain Dubey im Fachblatt Journal of Zoology (Band 290, S. 273). „Die optimale Körpertemperatur wird leichter erreicht als bei helleren Individuen.“ In eher kälteren Bergregionen hat das Folgen: Einerseits haben die schwarzen Exemplare mehr Zeit für die Jagd, können daher schneller wachsen und sich erfolgreicher vermehren, andererseits können sie sich schlechter vor Feinden verbergen, worunter ihre Jagdeffizienz leidet.
Wie sich die Vor- und Nachteile konkret auf Bergpopulationen der Aspisviper auswirken, untersuchten die Forscher im Kanton Waadt und im Berner Oberland. Dazu fingen sie im Waadtland 128 Vipern ein, wovon mehr als zwei Drittel melanistisch waren. Im Berner Oberland waren es von 153 nur 37 Prozent.
In beiden Gegenden waren gezackte Vipern in höheren Lagen überrepräsentiert. Aufgrund ihrer Musterung sind sie auch oberhalb der Baumgrenze gut getarnt und vor Raubvögeln wie Bussard und Kolkrabe halbwegs geschützt.
Im eher offenen Habitat im Berner Oberland in Höhen bis 1.960 Metern fanden die Forscher einen Zusammenhang zwischen Höhenlage, Farbe und Körperlänge heraus: Bei den melanistischen Vipern nimmt auch die Körperlänge mit der Höhenlage ab. Die Lebenserwartung sinkt, je höher das Habitat liegt. Viele dunkle Vipern erreichen dort nicht das Erwachsenenalter. Grund ist auch hier, daß die schwarzen Exemplare außerhalb der Wälder von Freßfeinden leicht zu entdecken sind.