School of Talents 1: Erste Stunde: Tierisch laut! - Silke Schellhammer - E-Book

School of Talents 1: Erste Stunde: Tierisch laut! E-Book

Silke Schellhammer

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Beschreibung

*** Ausgezeichnet mit dem Leipziger Lesekompass 2021 *** Willkommen in der SCHOOL OF TALENTS! In diesem Internat haben alle fantastische Fähigkeiten. Sie können sich verwandeln, Tiere verstehen, Wasser beherrschen ... so was eben! Band 1: Alva kann Tiere verstehen. Alle Tiere. Und Tiere reden sehr LAUT. Doch auf Alvas neuem Internat ist das gar nicht ungewöhnlich. Mala kann Wasser beeinflussen, Till sich schrumpfen und Jonas sogar seine Gestalt wechseln. Fliegende Mitschülerinnen und Kinder, die durch Wände laufen, sind hier ganz normal. Aber warum spricht die kaputte Anzeigetafel in der Cafeteria in Rätseln? Und gibt es auf der Insel wirklich einen Schatz? SCHOOL OF TALENTS Normaler Unterricht? Fehlanzeige! Chaos? An der Tagesordnung! Geheimnisse lüften und Abenteuer erleben? Aber unbedingt! Ein spannendes und lustiges Kinderbuch mit kurzen Kapiteln und vielen Bildern für Mädchen und Jungen ab 8. 

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Silke Schellhammer

School of Talents

Erste Stunde: Tierisch laut!

Mit Bildern von Simona M. Ceccarelli

Willkommen in der SCHOOL OF TALENTS! In diesem Internat haben alle fantastische Fähigkeiten. Sie können sich verwandeln, Tiere verstehen, Wasser beherrschen ... so was eben!

Alva versteht, was Tiere sagen. Doch auf ihrem neuen Internat ist das nichts Ungewöhnliches. Hier haben alle Kinder besondere Talente. Aber warum spricht die kaputte Infotafel in der Mensa in Rätseln? Und gibt es auf der Insel wirklich einen Schatz?

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Leseprobe

„Und? Wie lange hab ich’s geschafft?“, fragte die eine Schulfliege, als sie neben einer zweiten Schulfliege auf der Fensterbank landete.

„Elf Sekunden! Ich bin dran!“, antwortete die andere Fliege und hob ab.

„Okay, aber du musst dich auf seine Nase setzen und ich zähl mit, wie lange es dauert, bis er zuckt!“

Alva beobachtete, wie die Fliege startete und ihren Schulkameraden Marco umschwirrte. Das Insekt zog kleine Kreise um Marcos Ohr. Dann umrundete es seine Nase und schaffte es, darauf zu landen, bevor Marco unwillig den Kopf schüttelte und den Brummer mit der Hand vertrieb.

Die zweite Fliege jubelte, als sie wieder auf der Fensterbank ankam.

„Gewonnen! Das waren mindestens vierzehn Sekunden!“

„Das ist eine Lüge! Es waren nicht mal zehn“, widersprach die erste.

„Das glaub ich jetzt einfach nicht! Vierzehn! Ich hab mitgezählt!“

Die erste Fliege machte einen wütenden Salto.

„Zehn! Oder seit wann kommt nach neun vierzehn, du hirnloses …“

„… Alva? ALVA!“ Die Stimme von Frau Brösengel riss Alvas Aufmerksamkeit vom Streit der beiden Fliegen weg und zurück zum Unterricht. Alva hustete verlegen und richtete sich auf, während ihr Blick zur Tafel wanderte. Was war die Frage gewesen? Es standen fünf Sätze angeschrieben, in denen verschiedene Wörter kunterbunt unterstrichen waren. Keine Chance, daraus abzuleiten, was ihre Lehrerin von ihr wissen wollte.

Regungslos und mit verschränkten Armen stand Frau Brösengel da und ließ ihre Schülerin nicht aus den Augen.

Alva blinzelte und schluckte trocken.

Frau Brösengel begann, mit dem Fuß auf den Boden zu tippen. „Wir warten!“

Tock, tock, tock.

Alvas Blick hüpfte zwischen den Wörtern hin und her. Mit welchem sollte sie ihr Glück versuchen? Vielleicht war „schwimmen“ richtig? Oder „der Hund“? „Meine Oma“?

„Schwimmen“, krähte es plötzlich aus der ersten Reihe.

Sofort strahlte Frau Brösengel den Schüler überglücklich an. „Sehr gut, Carlos“, lobte sie das nervige Wunderkind, das zwar erst acht war, aber schon mit Alva in der vierten Klasse saß. Und als wäre das nicht schlimm genug, war es auch noch Alvas Bruder.

Alva sank an die Lehne ihres Stuhls zurück.

Den Rest des Unterrichts starrte sie an die Tafel und kämpfte mit den Tränen. Dabei tat sie so, als ob sie die Fliegen auf der Fensterbank nicht streiten hören konnte.

Wieder mal. Wie immer gab sie vor, ein normales Mädchen zu sein. Ein absolut durchschnittliches Mädchen, für das Fliegen nur summten, Frösche quakten und Hunde bellten.

Alva seufzte. Leider hörte sie ganz genau, dass sich die Fliegen auf der Fensterbank laut anbrüllten. Und sie verstand auch, was sie sich gegenseitig an den Kopf warfen. Unmöglich, da NICHT zuzuhören.

Und es waren nicht nur die Fliegen. Auf dem Baum vor dem geöffneten Fenster des Klassenzimmers erzählten sich zwei Eichhörnchen Witze. Und zwar wirklich gute Witze. Alva biss sich auf die Lippe, um nicht laut loszulachen.

Leider konnte Alva nicht beweisen, dass sie Tiere verstand. Wenn sie richtig mit ihnen sprechen könnte, wäre es vielleicht anders. Dann könnte Alva die Fliegen bitten, einen Kopfstand zu machen oder so, und wenigstens ihre Familie würde ihr glauben. Oder zumindest nicht mehr behaupten, Alva hätte einfach nur sehr, sehr viel Fantasie und würde sich das alles nur ausdenken.

Alva hatte ihren Eltern fest versprechen müssen, mit niemandem in der Schule über ihre „wilden Einfälle“ zu reden. Weil sie sonst keine Freunde finden würde, hatten sie gesagt. Und Alva hielt sich daran. Kein Wort verlor sie je über die Stimmen in ihrem Kopf. Trotzdem wollte keiner mit einem Mädchen befreundet sein, das wirkte, als wäre sein Kopfradio auf volle Lautstärke gedreht.

Alva versuchte immer, normal zu wirken. Ehrlich. Sie strengte sich echt an!

Aber Tiere redeten einfach unheimlich viel.

Nach der Schule verkroch sich Alva in ihrem Baumhaus. Dort konnte sie in Ruhe Hausaufgaben machen. In ihrem Zimmer wäre Carlos alle fünf Minuten aufgetaucht, um sich zu wundern, dass sie immer noch nicht mit Mathe fertig war.

Im Baumhaus gab es keine Besserwisser und niemanden, der Alva besorgt musterte, so als hätte sie eine Vollmeise XXL. Hier war sie für sich. Meistens zumindest.

Doch heute war echt nicht ihr Glückstag. Ein Ameisentrupp lief direkt neben dem Haus auf einem Ast entlang. Die Tiere unterhielten sich über einen toten Käfer, den ihre Späher weiter oben entdeckt hatten. Alle redeten durcheinander und übertrafen sich mit Mutmaßungen darüber, wie groß ihr Fund sein würde.

Außerdem hüpfte seit einigen Minuten eine plärrende Amsel durch den Baum:

„Achtung! Achtung! An alle Vögel: Es befindet sich eine Katze auf dem Boden. Amseleltern, achtet auf eure Kinder! Achtung!“

Alva saß im Schneidersitz und versuchte, eine Textaufgabe zu lesen. Nett von der Amsel, andere Vögel zu warnen. Aber musste es echt in dieser Daueralarmschleife sein?

Alva hielt sich die Ohren zu. Es nutzte nichts. Sie konnte die Amsel immer noch hören.

„Achtung! Achtung! Katzenalarm! Sie liegt unter dem Busch und bewegt sich nicht! Achtung! Vor Landungen auf dem Rasen wird gewarnt!“

Alva schaute runter in den Garten. Merlin, der Kater ihrer Nachbarn, lag tatsächlich dösend unter einem Busch. Während er sich rekelte, murrte er verschlafen:

„Halt endlich den Schnabel.“

Doch die ausgeflippte Amsel dachte nicht daran.

„Katzenalarm! An alle! Höchste Gefahr auf dem Boden! Achtung! Achtung! Das ist keine Übung!“

So ging es nicht. Höchste Zeit, dass Alvas Ohren eine Pause bekamen. Sie kramte unter einem Kissen nach der Schachtel mit den Ohrstöpseln. Sie versteckte sie dort, damit ihre Mutter sie nicht fand. „Alva, jetzt lass doch endlich diesen Blödsinn!“, schimpfte die sonst. „Das tut deinen Ohren überhaupt nicht gut!“

Die Stöpsel fühlten sich an wie kleine Marshmallows. Während Alva sie zwischen den Fingern drehte, damit sie dünner wurden und in ihre Ohren passten, schaute sie in den Garten. Ihre Mutter saß auf der Terrasse und las Zeitung. Auf der Wiese spielte Carlos mit Muffin, dem Hund der Familie. Ihr Bruder wedelte mit einem Tennisball vor Muffins Nase rum. Muffin sprang wild hin und her und bellte dabei: „Ball! Ball! Ball! Ball!“, bis Carlos endlich warf. Der Hund bekam das aber nicht mit und starrte nur die leere Hand an.

Die Amsel erweiterte ihre Warnhinweise:

„… vom Hund geht keine Gefahr aus! Er ist zu doof, einen Ball zu jagen! Achtet auf die Katze!“

Mittlerweile waren die Stöpsel, die Alva zwischen ihren Fingern gerollt hatte, nicht viel dicker als ein Kabel und sie steckte sie sich in die Ohren. Langsam quollen sie auf. Die Amsel, der Hund, die Katze, die Ameisen und jedes andere Tier in Hörweite verstummte. Die lärmende Welt wurde ausgeblendet und zurück blieb …

Ruhe.

Niemand redete. Kein Laut. Absolute Stille.

Alva atmete erleichtert aus. Dann machte sie sich wieder an ihre Schularbeiten. Und auf einmal verstand sie die Textaufgaben. Erkannte, wonach gefragt war, und wusste, wie sie es rechnen musste. Die Hausaufgaben waren in null Komma nix erledigt.

Alva legte die Schulhefte weg und nahm ein Buch aus ihrer Tasche. Endlich konnte sie weiterlesen!

Kaum hatte sie die Seite gefunden, auf der sie zuletzt mit dem Lesen aufgehört hatte, flogen ihre Augen schon über den Text. Die Heldin des Buches, die berühmte Schatzsucherin Hanni Schliemann, hatte in einer Felsenhöhle eine geheimnisvolle runde Metallplatte entdeckt. Alva war sich sicher, dass Hanni damit das große Rätsel des Buches knacken würde. Alvas Finger raste die Zeilen entlang. In ihrem Kopf versuchte sie, alle Hinweise zusammenzusetzen.

Gerade schien die Lösung zum Greifen nah, da wurde Hanni die Scheibe gestohlen. Oh, nein! Was würde sie jetzt tun?

Alva brauchte einen Moment, um zu bemerkten, dass jemand sie am Bein zupfte. Unwillig verließ sie Hanni Schliemanns Abenteuer und drehte sich zur Strickleiter des Baumhauses um. Sie sah ihre Schwester Fiona über den Rand gucken. Fiona bewegte zwar den Mund, doch Alva konnte sie nicht hören.

„Hä, was ist denn?“, fragte Alva und zog die Stöpsel aus den Ohren.

„Du sollst zum Abendessen kommen“, wiederholte Fiona und verschwand.

Tatsächlich stand die Sonne bereits tief über den Bäumen. Alva hatte die Zeit vollkommen vergessen.

Sie packte das Buch weg und kletterte nach unten. Dort wartete ihre Schwester auf sie.

„Onkel Thomas ist da“, verkündete Fiona und verdrehte die Augen.

„WAS?“ Alva rümpfte die Nase, als würde etwas absonderlich stinken.

Niemand mochte Onkel Thomas. Er war der Bruder von Alvas Mutter und manchmal echt irgendwie unheimlich. Redete kaum, lachte nie und starrte einen oft an, als hätte man etwas Schlimmes ausgefressen. Seine beste Eigenschaft war eigentlich, dass er nie zu Besuch kam.

„Ist etwas passiert?“, fragte Alva deshalb.

„Glaub nicht. Aber er will über Nacht bleiben.“

„Auch das noch“, murrte Alva.

Fiona nickte zustimmend.

„Hallo“, begrüßte Alva Onkel Thomas, als sie auf der Terrasse ankamen. Sie versuchte, sich unauffällig auf den Platz neben ihrer Mutter zu schieben.

Keine Chance. Onkel Thomas unterbrach sofort das Gespräch, stand auf und streckte Alva die Hand entgegen.

„Alva. Hallo.“

Oh, sogar mit Händeschütteln.

Onkel Thomas’ stechende blaue Augen starrten ihr fast ein Loch in die Stirn.

Alva war echt froh, als Papa mit einer Salatschüssel in der Hand auf der Terrasse erschien. „Kann ich dir noch was helfen?“, fragte sie und wand schnell ihre Hand aus der ihres Onkels.

„Nein, Fiona bringt gleich die Lasagne und dann können wir loslegen.“

Als Alvas Schwester mit der dampfenden Auflaufform rauskam, saßen schon alle um den Tisch. Alvas Vater verteilte das Essen auf den Tellern. Alva goss allen Wasser ein und setzte sich dann auf ihren Platz. Als sie aufsah, bemerkte sie, dass Onkel Thomas sie musterte. Alva runzelte die Stirn. Hatte sie Tintenflecken im Gesicht?

In diesem Moment zuckten Onkel Thomas’ Mundwinkel und er sah weg. Doch Alva hatte es genau gesehen. Onkel Thomas hatte geschmunzelt!

Nach dem Essen half Alva ihrem Vater dabei, die Spülmaschine einzuräumen. Laut klirrend flogen Messer und Gabeln in den Besteckkorb. Alva war wütend. Während des Essens hatte Carlos von ihrem Vormittag in der Schule erzählt … und kein Detail ausgelassen. Ihre Mutter hatte Alva besorgt mit Fragen gelöchert und Carlos und Fiona rissen einen Tierwitz nach dem anderen.

„Was sitzt auf dem Baum und ruft Aha?“, hatte Carlos grinsend gefragt.

Fiona hatte laut losgeprustet. „Komm, Alva, das musst DU doch wissen! Ein Uhu mit Sprachfehler.“

Haha. Total witzig.

Noch schlimmer wurde es, als Onkel Thomas sie angesprochen hatte.

„Lass dich nicht ärgern“, hatte er beiläufig gesagt und sie dabei wieder angestarrt.

Der hatte gut reden. Sie hätte ihn gerne gefragt, ob er wusste, wie man sich als Oberspinner der Familie fühlte. Aber dazu fehlt ihr der Mut. Deshalb hatte sie es nur gedacht. Aber extrem vorwurfsvoll!

„Schatz, kannst du die Messer etwas sorgsamer einräumen? Das sind keine Wurfspeere. Wir brauchen unser Besteck noch“, ermahnte Papa sie. Alvas Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück.

Onkel Thomas brachte die letzten Teller rein. Aus den Augenwinkeln sah Alva, wie er ihrem Vater zunickte.

„Ich … äh … warte … muss mal schnell Mama was fragen“, sagte Papa viel zu laut und verließ schon fast fluchtartig die Küche.

Alva schaute ihm verwundert nach. Dann konzentrierte sie sich wieder auf ihre Aufgabe. Onkel Thomas lehnte an der Küchenzeile und beobachtete sie. Worauf wartete er?

„Ich möchte mit dir reden“, sagte er, als würde er ihre stumme Frage beantworten. „Ich weiß nämlich sehr wohl, wie man sich als Oberspinner der Familie fühlt.“

Alva fiel fast das Glas aus der Hand. Sie schnappte laut nach Luft.

Konnte Onkel Thomas etwa Gedanken lesen?

„Ja, kann er!“, antwortete Onkel Thomas seelenruhig.

Nun landete das Glas scheppernd im Korb der Spülmaschine. Wie in Zeitlupe hob Alva den Blick. Alles um sie herum schien zu verschwinden. Sie sah nur noch Onkel Thomas, der an der Küchenzeile lehnte und sie nicht aus den Augen ließ. Meine Güte! Das konnte doch nicht sein!

„Und das von einem Mädchen, das die Sprache der Tiere versteht“, entgegnete Onkel Thomas kopfschüttelnd.

Alva fühlte sich, als würde der Boden unter ihr schwanken. Halt suchend klammerte sie sich mit einer Hand an die Kante der Küchenzeile.

„Woher …? Was …?“, stotterte sie. Tausend Fragen rasten ihr durch den Kopf. Konnte er wirklich Gedanken lesen? Hatte er mitbekommen, dass Alva beim Abendessen von einer Eule bemitleidet wurde, weil keine Maus in der Lasagne war? Wusste er, dass Alva ihn eigentlich nicht leiden konnte?

„Ja, ich kann es wirklich. Ja, das hab ich mitbekommen und ja, ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst. Aber mach dir deshalb keine Sorgen“, beantwortete Onkel Thomas ohne sichtbare Regung Alvas gedachte Fragen.

Um nicht laut aufzuschreien, presste Alva ihre Lippen fest zusammen. Verzweifelt dachte sie: „27! 27! Blau! Blau! Blau! 27! 27!“

„Blau und 27? Ist das ein Test?“, erkundigte sich Onkel Thomas mit hochgezogener Augenbraue.

Iiiih! Das war total schräg!

„Wenn du auch etwas sagen würdest, wäre es vielleicht weniger schräg“, schlug Onkel Thomas vor.

Alva nickte zustimmend. Zu mehr war sie nicht in der Lage. Sie musste sich unheimlich konzentrieren, NICHT daran zu denken, wie gruselig sie ihn fand.

„Seit wann verstehst du Tiere?“, wechselte Onkel Thomas das Thema. Der sachliche Klang seiner Stimme hatte etwas Beruhigendes. Alvas panisches Gehirn fuhr langsam runter.

„Keine Ahnung. Schon immer, denke ich“, sagte sie zögernd.

„Alle Tiere?“

„Nicht alle, aber viele.“ Alva wurde bewusst, dass sie sich immer noch an die Küchenzeile krallte. Sie löste ihren Griff, öffnete und schloss mehrfach ihre schmerzende Hand.

„Kannst du auch mit ihnen sprechen?“, fragte Onkel Thomas weiter.

„Nein, nur hören, was sie sagen“, antwortete Alva. „Weiß Mama, dass du Gedanken lesen kannst?“, wollte sie jetzt von Onkel Thomas wissen.

„Nein“, antwortete er kaum hörbar, ging schnell durch den Raum und schloss die Küchentür.

Ein bisschen spät, fand Alva, aber wenn er meinte, dass jetzt der Moment für Geheimhaltung war, bitte!

Sie sah, wie Onkel Thomas’ Mundwinkel zuckten, als müsste er ein Grinsen unterdrücken. Oh, ja! Mist! Gedanken lesen! Da musste man echt aufpassen.

„Warum weiß sie nichts davon?“, hakte Alva schnell nach.

„Das müsstest DU doch am besten verstehen. Wir sind den anderen unheimlich.“

„Wir?“ Niemals hätte Alva sich träumen lassen, dass Onkel Thomas und sie ein WIR sein könnten.

„Ja, wir. Du hast ein besonderes Talent, wie ich auch.“

„Ich hab was?“

„Ein TA-LENT“, wiederholte Onkel Thomas noch einmal langsam.

„Okaaaay“, antwortete Alva gedehnt.

„Menschen wie du und ich können etwas, das nicht als normal gilt“, erklärte Onkel Thomas.

„Nennt man das nicht hochbegabt?“, wollte Alva wissen.

„Nein“, widersprach Onkel Thomas. „Hochbegabung wird vom Schulsystem erfasst. Wir können Dinge, die in der Schule nicht so gefragt sind.“

„Wie Gedanken lesen oder Tiere verstehen?“, vergewisserte sich Alva.

Onkel Thomas nickte zustimmend. „Wie Gedanken lesen, Tiere verstehen oder noch vieles andere!“

„Dann … gibt es noch mehr … wie UNS?“ Alva konnte kaum glauben, was sie da fragte.

„Oh, ja.“

„Woher weißt du das?“

„Ich leite die SCHOOL OF TALENTS, das Internat, auf dem sie unterrichtet werden.“ Onkel Thomas klang richtig stolz und zum ersten Mal sah Alva ihn lächeln. Allerdings fand sie SCHOOL OF TALENTS einen echt protzigen Namen.

„Neben dem normalen Unterricht lernen unserer Schüler und Schülerinnen dort, ihre Talente zu benutzen und zu verbessern.“

„Wie? Noch mehr Tiere hören?“ Das war ja eine superdoofe Idee.

„Nein, in deinem Fall wäre das eher: weniger Tiere hören.“

Für einen Moment blieb Alva die Spucke weg.

„Oder auch gar keine?“ Ihr hoffnungsvoller Tonfall klang etwas jämmerlich in ihren Ohren. Sie ließ Onkel Thomas nicht aus den Augen.

Er wippte nachdenklich mit dem Kopf. „Ja, wäre möglich.“

Alvas Herz machte einen Hopser. „Wie lernt man das?“, wollte sie von Onkel Thomas wissen. Und wie schnell geht das?, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Das geht leider nicht über Nacht. Talente sind eng mit Gefühlen verbunden. Sie werden von Wut, Ärger, Übermut oder Freude gesteuert.“ Onkel Thomas machte eine Pause und sah sie eindringlich an. „Ich bin nicht zufällig hier“, redete er weiter. „Deine Eltern machen sich Sorgen. Sie glauben, du hast deine Fähigkeiten nur erfunden.“

„Ja, ich weiß.“ Alva ließ den Kopf hängen.

„Sie glauben auch, dass ich eine Schule für … Kinder mit Lernproblemen leite. Als sie mich angerufen haben, war mir gleich klar, dass du zu uns gehörst.“

Alva kämpfte den Impuls nieder, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen. Auf keinen Fall gehörte sie zu Onkel Thomas und seiner schrägen Schule! Im nächsten Moment senkte sie erschrocken den Blick. GEDANKENLESER!

Doch sollte ihr Onkel ihre Gedanken gehört haben, ließ er sich nichts anmerken.

„Diese anderen Kinder in der Schule, hören die auch Tiere sprechen und können Gedanken lesen?“, fragte Alva weiter.

„Oh, wir haben da alle möglichen Talente. Manche können fliegen, manche durch Wände gehen, manch andere sich verwandeln …“, zählte Onkel Thomas auf.

„Wie? Und wenn einer bei euch wütend wird, dann flattert er als Fledermaus durch die Luft?“

„Oder als Flugsaurier.“

„Flug-sau-ri-er“, wiederholte Alva langsam. Sie stellte sich einen Drachen vor, dessen Feuerstrahl Frau Brösengels Löckchen versengte. Diese Idee gefiel ihr.

„Wir versuchen eigentlich, keine Frisuren in Brand zu setzen“, machte Onkel Thomas ihren schönen Traum zunichte.

„Echt jetzt? Also, wenn ich mich in einen feuerspeienden Drachen verwandeln könnte …“

„… dann würdest du alles dafür tun, dass niemand das herausfindet!“ Der scharfe Ton von Onkel Thomas’ Stimme trieb Alva die Röte ins Gesicht.

„Aber warum denn?“, fragte sie eingeschüchtert.

Onkel Thomas’ Miene wurde wieder weicher. „Es gibt nicht nur nette Menschen, Alva. Ein Kind mit übernatürlichen Kräften lebt in großer Gefahr. Seine Fähigkeiten könnten ausgenutzt werden, es könnte entführt werden, seine Familie könnte bedroht werden …“ Onkel Thomas unterbrach sich selbst und räusperte sich, bevor er das Thema wechselte: „Alva, es ist überaus wichtig, dass man sein Talent trainiert. Es beherrschen lernt. Ich habe deinen Eltern angeboten, dich als Schülerin aufzunehmen. Zur Probe, nur für ein paar Wochen. Dann kannst du dir alles anschauen und überlegen, ob du bleiben möchtest.“

Alvas Herz klopfte wie verrückt. Reflexartig schüttelte sie den Kopf. Sie wollte nicht auf Onkel Thomas’ seltsame Freak-Schule gehen! Sie konnte sich außerdem kaum vorstellen, nicht mehr zu Hause zu wohnen.

Doch die Aussicht, keine Tiere mehr verstehen zu müssen, war wirklich verlockend. Und es wäre nur für ein paar Wochen, hatte Onkel Thomas gesagt.

Wenn das wirklich reichte, sollte sie es dann nicht versuchen?

Alva atmete tief ein und fasste einen Entschluss.

Sie würde auf Onkel Thomas’ Flugsaurierschule lernen, wie man alle Tiere stumm schalten konnte. Danach würde sie wieder nach Hause kommen und alles wäre so wie vorher.

Nur, dass sie nicht mehr die Verrückte war.