Schreckensnacht am Golden Gate - Jörg Kastner - E-Book

Schreckensnacht am Golden Gate E-Book

Jörg Kastner

0,0
1,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

San Francisco, die große Stadt am Golden Gate, steht in Flammen. Schon bedroht das Feuer das Armeemagazin, dessen Munitionsbestände jeden Augenblick in die Luft fliegen können. Ungeachtet der Gefahr erkämpft sich Jacob Adler einen Weg in das einstürzende Gebäude, um seinen Freund Elihu Brown daraus zu retten. Die Brandstifter sind Männer, die für den »Hai von Frisco« arbeiten. Ein geheimnisvoller, skrupelloser Mann, der alles seiner grenzenlosen Profitgier unterordnet. Und der Irene Sommer und ihren kleinen Sohn Jamie gefangen hält. Als die Brände wider Erwarten gelöscht sind, dringt Jacob ins Allerheiligste des Hais ein, um Irene und Jamie zu befreien. Folge 21 von Jörg Kastners großer Auswanderersaga »Amerika – Abenteuer in der Neuen Welt«. Jörg Kastners große »Amerika«-Saga begleitet die beiden Auswanderer Jacob Adler und Irene Sommer in die Neue Welt. Mit ihnen suchen zahllose Menschen – Verarmte, Verbitterte, Verfemte – eine neue Heimat jenseits des Atlantiks. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten warten auf die Auswanderer viele unbekannte Gefahren: Naturkatastrophen, wilde Tiere, Banditen und Indianer. Zudem tobt in Amerika ein erbarmungslos geführter Bürgerkrieg. Doch trotz aller Bedrohungen durchqueren Jacob und Irene den riesigen Kontinent und begegnen dabei so manch berühmter Persönlichkeit. Jede Mühsal und jedes Abenteuer nehmen die beiden auf sich für ihre neue Heimat – Amerika.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 142

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jörg Kastner

Schreckensnacht am Golden Gate

Folge 21 der großen SagaAmerika – Abenteuer in der Neuen Welt

Roman

Was davor geschah

Als der junge Zimmermann Jacob Adler nach dreijähriger Wanderschaft in seinen Heimatort Elbstedt zurückkehrt, ist dort nichts mehr wie vorher. Seine Mutter ist tot, der Vater und die Geschwister sind angeblich nach Amerika ausgewandert, und seine Verlobte ist mit dem Bierbrauersohn Bertram Arning verheiratet. Von Arning fälschlicherweise des Mordversuchs beschuldigt, verlässt Jacob seine Heimat und schifft sich nach Amerika ein, um nach seiner Familie zu suchen. Aber auch in der Neuen Welt lauern Gefahren auf Jacob und seine Reisebekanntschaft Irene Sommer, die dort den Vater ihres kleinen Sohns Jamie zu finden hofft. Jacob, der Irene insgeheim liebt, begleitet sie auf dem Weg nach Kalifornien, wo sich der von Irene gesuchte Carl Dilger aufhalten soll. In San Francisco entführt der mysteriöse »Hai von Frisco« Irene und verfolgt Jacob bis nach Chinatown, das die Männer des Hais rücksichtslos in Brand stecken.

Kapitel 1 Der Kampf ums Magazin

Es war eine höllische Nacht. San Francisco brannte. Feuer und Rauch verwandelten die Stadt am Golden Gate in einen Ort des Schreckens. Zwischen und auf den vielen Hügeln rund um die große Bucht von San Francisco liefen Tausende von Menschen durcheinander: Amerikaner, Mexikaner, Chinesen, Franzosen, Australier, Deutsche und viele andere mehr. Vielsprachiges Geschrei strengte sich oft vergebens an, das Knistern der gefräßigen Flammen und das Zusammenkrachen verbrennender Gebäude zu übertönen.

Die Ausrufe der Franzosen, in San Francisco oft abfällig Keskydes genannt, klangen selbst in Panik noch wie Liebeserklärungen. Mexikaner und spanischstämmige Kalifornier riefen in ihrer Verzweiflung die Heilige Maria und eine Menge weiterer Heiliger an, auf Spanisch natürlich. Und immer wieder erscholl das Geschnatter der Chinesen, das für ungewohnte Ohren stets aufgeregt klang. Jetzt aber überschlugen sich die Stimmen der Asiaten geradezu.

Sie hatten auch Grund dazu. In Chinatown, dem Chinesenviertel von San Francisco, war die Feuersbrunst ausgebrochen, die sich nun fast über die halbe Stadt erstreckte. Wäschereien und Werkstätten, Restaurants und Spelunken, Opiumhöhlen und Kaschemmen, alles war ein Raub der Flammen geworden.

Familien wurden auseinandergerissen. Väter, Mütter und Kinder rannten suchend durch die Straßen, schrien die Namen ihrer gesuchten Lieben und beteten zu ihren Göttern, die Vermissten mögen nicht von Flammen verzerrt, im dichten Rauch erstickt, unter den verkohlten Trümmern begraben sein.

Das sich nach allen Seiten ausbreitende Feuer trieb die Menschen weiter. Sie konnten nicht lange an einem Ort verweilen, in der Hoffnung, ihre Lieben zu treffen. Die Waberlohe sprang von Dach zu Dach und überfiel Straßenzug um Straßenzug.

Die Löschbemühungen der Bevölkerung, die überall Ketten gebildet hatte, um schnell Wassereimer um Wassereimer an die Feuerfront zu bringen, hielten den Brand nicht auf. Sie führten im besten Fall zu einer Verzögerung. Zeit genug, bedrohte Straßen zu evakuieren.

Auch der unermüdliche Einsatz der zahlreichen Feuerwehrkompanien konnte daran nichts ändern. Wäre es ihnen gelungen, den Brandherd frühzeitig einzukreisen, hätten die Männer von Broderick One, Protection Two, Social Three und all der anderen Freiwilligenverbände mit ihren starken Spritzen eine reelle Chance gehabt.

Aber sie mussten ihre Kräfte zu sehr zersplittern. Die silbern schimmernden Wasserstrahlen, die sich aus den Schläuchen ins Flammenmeer ergossen, verwandelten sich dort allzu schnell in die sprichwörtlichen Tropfen, die auf heiße Steine fielen.

Schuld an der Misere, dem schnellen Ausbreiten des Feuers, waren Louis Bremer und seine Gangsterbande, die für den berüchtigten und geheimnisvollen Hai von Frisco arbeiteten. Auf der Suche nach dem deutschen Auswanderer Jacob Adler, seinem Freund Elihu Brown und der Chinesin Susu Wang, die eigentlich Wang Shu-hsien hieß und unter ihren Landsleuten als ›Königin von Chinatown‹ bekannt war, hatten sie überall in der Chinesenstadt Feuer entzündet.

Die weißen Gangster wollten es den verhassten Chinesen zeigen. Außerdem schien dieses Handeln ganz im Sinne des Hais zu sein, in dessen Auftrag Bremers Männer eine Nacht zuvor bereits versucht hatten, das Viertel der sich dem Hai widersetzenden Chinesen niederzubrennen.

*

Fluchend stand Henry Black am Fenster seines Büros und sah hinunter auf den riesigen Portsmouth Square, die Lebensader San Franciscos.

Man schrieb den März des Jahres 1864. Während weiter östlich die gnadenlosen Schlachten des Bürgerkrieges tobten, in dem Amerikaner gegen Amerikaner, Freund gegen Freund und oft auch Bruder gegen Bruder kämpften, befand sich die große Stadt an der amerikanischen Westküste mal wieder im Goldrausch.

In ganz Frisco pulsierte das Leben. Der Portsmouth Square mit seinen vielen und großen Vergnügungspalästen war das Herz der aufgewühlten Stadt.

Aber in dieser Nacht war es anders als sonst, wenn der ausgelassene Lärm bis in die frühen Morgenstunden erscholl. In Scharen verließen die Goldgräber und sonstigen Vergnügungssuchenden jetzt die großen, hell erleuchteten Häuser. Auch das größte und beeindruckendste Gebäude, das von Henry Black geleitete Golden Crown, bildete keine Ausnahme.

Ohne ihre Gläser auszutrinken, rannten die Gäste aus dem Saloon mit der langen Bar. Männer, die auf den Goldfeldern monatelang keine Frau gesehen hatten, ließen die überraschten Tanz-Girls mitten im Lied stehen. Ohne auf ihren möglichen Gewinn zu warten, sprangen die Glücksritter von den Spieltischen auf. Ihre möglicherweise erfolgsträchtigen Blätter blieben liegen. Und einsam drehte sich die Roulettekugel. Im Hotel, das seine Zimmer auch stundenweise vermietete, lag manches Freudenmädchen plötzlich allein im zerwühlten Bett.

Henry Black und seinem Geschäftspartner, dem Hai von Frisco, würde so mancher Dollar entgehen, der in dieser Nacht noch in den Kassen des Golden Crown geklingelt hätte. Dort unten liefen die Menschen aufgeschreckt über den Portsmouth Square und durch die Clay Street. Schuld daran war ein Wort, ein Ruf, der zu dieser Stunde von Mund zu Mund flog und die ganze Stadt beherrschte:

»Feuer!«

Die ehrbaren und die weniger ehrbaren Bürger hatten jetzt anderes zu tun. Die eigene Familie war plötzlich wichtiger als die Dirne oder das Tanz-Girl. Das eigene Haus zu retten war ungleich bedeutender, als eine amüsante Nacht im Golden Crown zu verbringen.

Und die Goldgräber wollten eilends ihre Ausrüstungen und Tiere in Sicherheit bringen, die sie teuer bezahlt hatten und ohne die sie das Reichtum und Glück verheißende Edelmetall niemals finden würden. Dass die meisten von ihnen auch mit Maultieren, Spitzhacken und Waschpfannen nicht erfolgreich sein würden, lag für die vom Gold geblendeten Männer jenseits ihrer Vorstellungskraft.

Black zog die hohe Stirn in Falten und blickte mit zusammengekniffenen Augen über die Dächer hinweg.

Die Menschen hatten sich beim Bau ihrer Häuser den zahlreichen Hügeln angepasst, zwischen ihnen, auf sie und an die Hänge gebaut. Deshalb wirkte der Blick auf die Dächer, als schaue man aufs Meer hinaus. Die Wellenberge und -täler bestanden aus Dächern – aus Stein und aus Holz.

Das rote Glühen, das dem Nachthimmel eine unnatürliche Helligkeit verlieh, war der Vorbote eines anderen Meeres. Des Feuermeeres, das sich über das Meer aus Häusern und Dächern ergoss, um es zu verschlingen.

Als Black dieses intensive Glühen sah, das ständig stärker wurde und sich über mehr und mehr Teile der Stadt ausbreitete, wusste er, dass die Panik der Menschen berechtigt war. Black hatte, seit er am Golden Gate lebte, wie man die Meerenge zwischen der Bucht von San Francisco und dem Pazifik nannte, schon einige Brände gesehen, aber keiner war so schlimm wie dieser gewesen.

Fast sah es so aus, als wolle die sich ausbreitende Glut auch vor dem Stadtzentrum nicht haltmachen, nicht vor dem Portsmouth Square und nicht vor dem Golden Crown.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke: Lag in der Richtung, aus der das Feuer kam, nicht die Chinesenstadt? Dorthin war dieser Giftzwerg Louis Bremer mit seinen Männern geritten, auf der Suche nach dem Auswanderer Adler und der als Verräterin verdächtigten Susu Wang.

Blacks klobige Finger nestelten die an einer goldenen Kette hängende Uhr aus einer Westentasche. Auch die Uhr war aus Gold, besetzt mit funkelnden Edelsteinen. Routiniert schnippte Blacks Daumen den Deckel hoch.

Mit einem unwilligen Grunzen stellte der wuchtige Geschäftsmann fest, dass Bremer schon seit geraumer Zeit überfällig war. Was konnte ihn und seine Männer so lange in Chinatown aufhalten?

Der Brand? Gab es vielleicht sogar eine Verbindung zwischen dem Feuer und Louis Bremer?

Der verschlagene kleine Mann, der bislang zu den wichtigsten Unterführern in der Organisation des Hais gehört hatte, erwies sich in jüngster Zeit als zunehmend unzuverlässig. Erst verkaufte er Jacob Adler an einen Walfänger, statt den Auswanderer dem Hai zu übergeben. Dann hatte Bremer Adler und seinen Seemannsfreund endlich gefangen, ließ beide aber entkommen.

Der stiernackige Mann holte tief Luft und stieß einen langen Seufzer aus. Entgegen seiner Hoffnung spürte er danach nur wenig Erleichterung. Schuld an seiner bedrückten Stimmung war nicht nur Bremer, sondern vor allem der Mann, der da oben thronte.

Black legte den Kopf weit in den Nacken, sodass sich hinten dicke Fettwülste abzeichneten. Dort oben hockte der Mann, der alle Fäden von San Franciscos Unterwelt in die Hand zu bekommen hoffte.

Wie die Spinne im Netz.

Die Spinne?

Nein, der Hai!

Ein leichtes Zittern überfiel den sonst so abgebrühten Henry Black bei dem Gedanken, dem heimlichen Herrscher über San Francisco einen weiteren Fehlschlag melden zu müssen.

Black kannte seinen Herrn und Meister inzwischen gut genug, um dessen Reaktion einschätzen zu können. Auch wenn Bremer die Schuld am Misserfolg traf, der Hai würde es Black spüren lassen. Black war die rechte Hand des Hais, sein ausführendes Organ – und sein Blitzableiter.

Der ehemalige Besitzer und jetzige Geschäftsführer des Golden Crown ging zu seinem Schreibtisch, zog eine tiefe Lade heraus und entnahm ihr eine bauchige Brandy-Flasche. Er füllte das fleckige Glas auf dem Schreibtisch bis über die Hälfte. Er brauchte die wärmende, beruhigende Flüssigkeit, um das Zittern aus seinem Leib zu vertreiben. Er machte sich nicht einmal die Mühe, die Flasche wieder zu verkorken.

Hastig setzte er das Glas an die Lippen, da stürzte jemand nach nur kurzem Anklopfen ins Zimmer.

Für einen Augenblick hatte Black, beeinflusst durch seine um den Hai kreisenden Gedanken, geglaubt, der Hai hätte Buster geschickt, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Der kahlköpfige Schwarze, der Leibwächter des Hais, hatte Black erst am vergangenen Tag verprügelt, als dieser über Susu Wang, den Schützling des Hais, hergefallen war.

Als Black seinen Irrtum erleichtert erkannte, hatte er vor Schreck schon den halben Inhalt seines Glases über die Weste vergossen. Er wusste nicht, worum er mehr trauern sollte, um das teure Kleidungsstück oder um den teuren Brandy.

»Bremer, du verdammter Hund, kannst du nicht ordentlich anklopfen?«

Der Zorn über die Art, wie der kleine Mann mit dem Rattengesicht in sein Büro platzte, und über das lächerliche Bild, das Black dem anderen mit dem verschütteten Brandy bot, ließ den großen, wuchtigen Mann die Erleichterung darüber vergessen, dass Bremer endlich zurück war.

Bremer schob die zu große Melone in den Nacken und wischte mit dem Jackenärmel über seine Stirn. Seine Bewegung war langsam, fast fahrig. Sie drückte Erschöpfung aus.

Überhaupt machte der kleine Mann einen reichlich mitgenommenen Eindruck. Schmutz und Ruß befleckten sein Gesicht, seine Hände und seinen ohnehin nicht sonderlich beeindruckenden, weil schon reichlich abgetragenen und speckigen Anzug. Aber da waren noch andere Flecken, kleine dunkle Spritzer. Es sah aus wie getrocknetes Blut.

»Verflucht, Henry, wenn du mitgemacht hättest, was ich heute erlebt habe, würdest du auch nicht auf gesellschaftliche Formalitäten achten.« Er blickte begehrlich auf die noch offene Brandy-Flasche. »Ein Doppelter von deiner Hausmarke würde mir jetzt auch guttun.«

Black war noch immer sauer auf den anderen und beschloss, den Wink mit dem Zaunpfahl zu ignorieren. Er stellte das klebrige Glas an den Rand des Schreibtisches, fischte mit spitzen Fingern ein weißes Taschentuch hervor und rieb erst seine mit Alkohol benetzten Hände und dann seine Weste ab.

»Dein Durst kann warten«, knurrte Black. »Erzähl mir lieber, was los ist. Vor allen Dingen sag mir, wo Adler und der chinesische Engel stecken!«

»Irgendwo an der Grenze zu Chinatown, nehme ich an.«

Bremer quetschte die Antwort widerwillig hervor. Sein Zögern drückte aus, dass er lieber etwas anderes oder überhaupt nichts gesagt hätte. Aus Angst vor dem Hai.

»Ir-gend-wo?«, wiederholte Black bedächtig, und jede Silbe drückte wachsenden Unglauben aus. »An der Grenze zu Chinatown? Jedenfalls nimmst du das an?«

Wütend schleuderte der ehemalige Hufschmied das zerknüllte Tuch zu Boden, trat hinter dem Schreibtisch vor und baute sich vor dem anderen auf.

Keinem der beiden war zum Lachen zumute, gleichwohl gaben sie ein komisches Bild ab. Der große, massige, fast aus seinem Anzug quellende Henry Black, der sich in seiner Wut noch zusätzlich aufplusterte, und der kleine Louis Bremer in dem zu großen Anzug wirkten wie Vater und Sohn. Black war dabei der Vater, der ein donnerndes Strafgericht über seinen Sohn niedergehen ließ.

»Wir haben unser Bestes getan, sie zu erwischen«, verteidigte sich Bremer und berichtete von dem Überfall auf Sun Chengs Wäscherei, von der Inbrandsetzung Chinatowns und von den Ereignissen in Reverend Humes Waisenhaus.

Als Bremer mit seinem Bericht zu Ende war, herrschte für zwei, drei Minuten Schweigen.

Wie sehr Black aufgewühlt war, zeigten nur seine in ihrer Größe an Schaufelblätter erinnernden Hände, die sich beständig schlossen und öffneten. Als benötige der Geschäftsführer des Golden Crown diese krampfartige Bewegung, um seine Erregung abzuleiten.

Wie mühsam es für ihn war, sich unter Kontrolle zu halten, verriet auch seine vibrierende Stimme, als er schließlich sagte: »Louis, dieser verdammte Auswanderer ist dir innerhalb weniger Stunden dreimal durch die Lappen gegangen! Erst hier, als er, schon gefesselt, im Schuppen lag. Dann in Chinatown, in der Wäscherei. Und schließlich in diesem Waisenhaus, wo er schon wieder dein Gefangener war. Bist du dir klar, was das heißt?«

»Ich … weiß nicht …«, sagte der kleine Mann zögernd.

»Der Hai wird dich in der Luft zerreißen!«, fuhr Black fort. »Und mich auch, weil er mich für dein Versagen verantwortlich macht!«

»Ich kann doch nichts dafür, dass …«

Black ließ den anderen nicht ausreden. »Natürlich kannst du etwas dafür, zum Henker! Du hättest die Gefangenen sorgfältiger bewachen lassen müssen. Und in der Wäscherei bist du ziemlich plump vorgegangen. War doch klar, dass Adler und die Chinesin gewarnt sind, wenn ihr draußen eine große Schießerei veranstaltet.«

»Sollten wir uns von diesen verfluchten Gelbhäuten mit ihren Stöcken, Ketten und Messern fertigmachen lassen?«

»Das hat keiner verlangt, Louis. Ihr hättet einfach nur geschickter vorgehen und keine Feldschlacht veranstalten sollen. Was ich aber überhaupt nicht verstehe – weshalb bist du ohne Adler und Susu Wang zurückgekommen? Du weißt doch, dass der Hai die beiden haben will!«

»Wir konnten nichts mehr machen. Das Feuer hat sich unerwartet rasch ausgebreitet. Überall waren flüchtende Menschen und die Feuerwehr. Wenn wir die beiden zu schnappen versucht hätten, wäre die Gefahr zu groß gewesen.«

»Die Gefahr?« Black lachte rau und unecht. »Dadurch, dass du Adler und die chinesische Hure hast entwischen lassen, hast du uns erst in Gefahr gebracht. Er ist die größte Gefahr!«

Er blickte an die Decke.

Bremer verstand sofort, wen der andere meinte. Der kleine Mann zwang sich zu einem Grinsen, das optimistisch wirken sollte, aber verunglückt ausfiel.

»Du wirst ihm die Sache schon erklären, Henry. Du kommst doch so gut mit ihm aus.«

Henry Blacks Antwort bestand in einer Explosion seines Körpers. Der schwere, massige Mann bewegte sich mit einer Gewandtheit, die angesichts seiner Leibesfülle für Bremer völlig überraschend kam. Der Geschäftsführer holte mit der Rechten schwungvoll aus und schlug den Handrücken in das Rattengesicht.

Die Wucht des unerwarteten Schlages ließ Bremer quer durchs Zimmer taumeln. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Die Melone war längst von seinem Kopf gerutscht.

Als der kleine Mann auf dem Holzboden lag, fühlte sich seine rechte Wange, wo ihn Blacks Hand getroffen hatte, erst vollkommen taub an. Die Taubheit verschwand schnell und machte einem schmerzhaften Brennen Platz.

In Bremers Mund machte sich ein seltsam süßlicher Geschmack breit. Der Geschmack von Blut. Blut rann auch aus dem rechten Nasenloch, am Mundwinkel vorbei am Kinn herunter und tropfte auf das ehemals weiße, inzwischen mehr graue Hemd.

Black baute sich vor dem am Boden liegenden Mann auf und brüllte: »Du verdammte kleine Ratte! Was glaubst du, wen du vor dir hast? Meinst du, nur weil der Hai den Ton angibt, singt Henry Black bloß noch im Chor? Ich lasse mich doch nicht vom Hai zerfetzen, nur weil du zu feige bist, einen jungen Dutch und ein Schlitzaugen-Girl zu fangen! Von dir lasse ich mich nicht hereinlegen!«

Er beugte sich zu Bremer hinunter, die gewaltigen Hände zu Klauen verformt. Er wollte sie um Bremers dürren Hals legen und dem Rattengesichtigen zeigen, wie schnell er, Henry Black, dem Leben des Unterführers ein Ende bereiten konnte.

Doch er kam nicht dazu. Bremer war schneller und zog seinen sechsläufigen Pepperbox-Revolver aus einer Jackentasche. Als Black in die sechs dunklen Mündungen blickte, hatte der andere auch schon mit gefährlichem Klicken den Hahn gespannt.

»Du fasst mich nicht noch mal an, Henry, nicht auf diese Weise!«, keuchte Bremer und stieß die Pepperbox so weit vor, bis sie sich dicht vor dem feisten Gesicht des Geschäftsführers befand. »Schlag mich nur noch einmal, Henry. Würg mich nur. Und liebend gern schicke ich dich in die Hölle. Da hilft dir auch kein Hai!«

Blacks Hände befanden sich in unmittelbarer Nähe von Bremers Hals. Der wuchtige Mann hätte nur zudrücken müssen, um die Lebensluft aus dem Körper des anderen zu pressen.