Schule auf dem Irrweg - Klaus Dreymann - E-Book

Schule auf dem Irrweg E-Book

Klaus Dreymann

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Beschreibung

Schule auf dem Irrweg Bilanz eines Gesamtschullehrers

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Bilanz

Folgerung

Begründung

Schulpraxis Wissensvermittlung

Beispiele für erforderliche Erziehung an der Schule:

5.1 Stärkung des Selbstwertgefühls und Aufbau des sozialen Netzes

5.2 Übung gegen Ablehnung von Unbekanntem, Andersartigem und Fremdem

5.3 Lernen, sich gegenseitig zu loben und es ertragen, gelobt zu werden

5.4 Gegenseitiges Vertrauen durch Erfahrung ausprobieren und erlernen

5.5 Lernen lernen

Aktuelle Mängelbetrachtung

Kurzzusammenfassung/Forderung

Vorwort:

Wenn ich die Symptome richtig deute: Zunahme von Aggressivität und Gewalt, rechtsextremistische Gesinnung, Terrorismus und Amokläufe, Anstieg des Drogenkonsums und geringer werdende Qualifikationen von Schulabgänger /innen, sehe ich die Ursachen dafür mit Sicherheit in einer nicht mehr funktionierenden Erziehung in vielen Familien. Dieses Problem lässt für mich nur eine Lösung zu – die Schule muss die Erziehungsaufgabe professionell übernehmen.

Die Kinder verbringen an einer Ganztagsschule zehn Stunden täglich. Zieht man acht Stunden für Schlaf ab, bleiben noch sechs Stunden für Körperpflege, Nahrungsaufnahme und Freizeitgestaltung. Die größte zusammenhängende Zeit verbringen die Kinder also in der Schule.

Lehrkräfte werden aber nach wie vor überwiegend für die Wissensvermittlung ausgebildet. Dass dieses Studium ein erziehungswissenschaftliches genannt wird, ist gelinde gesagt ein Witz!

Bis zum ersten Jahrzehnt der Jahrtausendwende hat Schule noch in etwa funktioniert, weil die Erziehung im Elternhaus als Basis der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen noch der gesellschaftlichen Entwicklung folgen konnte. Das ist inzwischen offensichtlich in vielen Fällen nicht mehr der Fall.

Andere Voraussetzungen durch weniger gut oder gar nicht erzogene Kinder und Jugendliche führen aber zu einem anderen Anspruch an Bezugspersonen an den Schulen, die professionell mit diesen zunehmenden Defiziten umgehen können und durch ihre Ausbildung die Familienerziehung ergänzen oder im Extremfall völlig ersetzen können. Die nach wie vor herrschende Vorstellung, einzelne Problemschüler/innen könnten durch Spezialisten, gesondert vom Rest der jeweiligen Lerngruppe, erzieherisch behandelt und danach wieder integriert werden, entspricht inzwischen nicht mehr den aktuellen Erfordernissen. Die Anzahl gesellschaftlich nur noch schwer integrierbarer Schüler/ innen nimmt ständig zu und das Ziel, sie zu reintegrieren funktioniert besser mittels gruppendynamischer Prozesse innerhalb in einer festen Lerngruppe über den Zeitraum mehrerer Jahre.

Ich war von 1974 bis 2011 Lehrer an einer achtzügigen Gesamtschule bis zum Abitur im Bezirk Spandau in Berlin, mit rund 1300 Schüler/innen und 100 Lehrkräften. Zusätzlich war ich mehrere Jahre Fachseminarleiter in der Lehrerausbildung, außerdem von Anfang an gewählter Vertrauenslehrer der Schüler/innen.

Der Schwerpunkt meiner Fachseminartätigkeit lag in der Suchtprophylaxe, weil es in Berlin ein zunehmendes Drogenproblem gab, und alle Lehrkräfte mit erlernten suchtprophylaktischen Fähigkeiten sollten an ihren Schulen entsprechend mit ihren Klassen umgehen, um Drogenkonsum vorzubeugen.

Schon damals ergaben einschlägige Studien zum Thema Sucht einen zentralen Begriff in der Suchtprophylaxe – das Selbstwertgefühl. Kurz gefasst: Ein Mensch mit hohem Selbstwertgefühl hat viel weniger Bedarf, ein Rauschmittel zu konsumieren als jemand mit geringem Selbstwertgefühl.

Das Training der Lehramtsanwärter/innen, die bei mir und den anderen fünf Seminaren teilnahmen, erstreckte sich über zwei Tage. Es war Pflicht und musste beim späteren Examen anhand eines Scheins nachgewiesen werden.

Wir Fachseminarleiter/innen hatten dazu eine Spezialausbildung absolviert und trafen uns zwischendurch immer wieder regelmäßig, um unsere Erfahrungen mit den Seminaren auszutauschen.

Und schon dabei urteilten wir unter uns, dass die Lehramtsanwärter/innen in drei Gruppen eingeteilt werden mussten:

Ein Drittel waren gute Lehrkräfte mit erzieherischem Talent, ein Drittel könnte es sein, wenn man sie in dieser Richtung ausbilden würde, und ein Drittel gehörte auf keinen Fall an die Schulen!

Alle waren sie nur über ihr Fach und die jeweilige Fachdidaktik an den Universitäten ausgebildet worden. Keine Spur von Erziehungswissenschaftlichem Studium.

Die Anwärter/innen, die aber eine erzieherische Qualifikation und eine dazugehörige, charismatische Persönlichkeit mitbrachten, hatten das offensichtlich in ihrer persönlichen Sozialisation erworben.

Sie hatten auch selbst ein starkes Selbstwertgefühl und wussten sofort, worauf es bei der Stärkung des Selbstwertgefühls ihrer Schüler/innen ankam. Wir mussten sie eigentlich nur mit bestimmten Trainingseinheiten versorgen und diese mit ihnen im Seminar auch einmal anwenden.

Die anderen – speziell die letzte der drei Gruppen – wollten nur mit ihrer „linken Gehirnhälfte“ an das Thema Suchtprophylaxe heran. Sie wollten wissen, woran man Drogenkonsum bei Jugendlichen erkennt und was man dann macht. Sie waren auch der Überzeugung, dass Aufklärung und Abschreckung die richtigen Methoden seien, um Jugendliche vom Konsum abzuhalten.

Schon als Schüler sah ich in unserem Biologiebuch eine Seite mit Farbfotos eines Raucherbeins. Das sollte uns wohl alle abschrecken. Mit 14 oder 15 fingen wir aber alle an zu rauchen!

Das ist im übrigen nach wie vor die untaugliche, aber von verantwortlichen Regierungskreisen bevorzugte Methode, mit zunehmendem Rauschmittelkonsum umzugehen.

Interview mit dem Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz am 02.07.2019 in einem TV-Sender:

„Es geht auch heutzutage immer noch um Suchtprävention, und damit ist Aufklärung und Umgang mit Drogenkonsumenten gemeint. Eine Arbeit, die von außerschulischen Spezialisten gemacht werden soll. Lehrkräfte sollen diese Arbeit nicht noch zusätzlich machen.“

Mal ein konstruiertes Beispiel, um die Untauglichkeit dieser Methode zu veranschaulichen:

Als Jugendlicher in der Pubertät habe ich vielleicht noch ein geringes Selbstwertgefühl – nicht mehr Kind, noch nicht Erwachsener, eine sehr labile Schwebesituation. Als Pubertierender interessiert mich aber neuerdings das "andere Geschlecht". Mit geringem Selbstwertgefühl traue ich mich aber nicht, in einem Club ein Mädchen anzusprechen, das mir gefällt. Stattdessen gehe ich in ihre Nähe und frage "Hast du mal Feuer?"

Die Zigarette ist hierbei eben eine hilfreiche "Krücke" für ein bestimmtes "Gebrechen". Wenn andererseits im Unterricht oder sonstwo die Gefährlichkeit des Rauchens beschrieben oder als Abschreckungsfoto gezeigt wird, kommt das gegen das Pubertätsverlangen nicht an. Es sind zwei verschiedene Ebenen. Die Verstandesebene wird in unserem Beispiel im Club ausgeschaltet.

Heutzutage muss man aber davon ausgehen, dass ein geringes Selbstwertgefühl eben nicht nur zu Drogenkonsum führt, sondern ebenso oder auch alternativ zu den oben genannten Defiziten.

Amokläufer, Menschen mit rechtsextremistischem Weltbild, IS-Sympathiesanten, Gewalttäter u.ä. sind in der Regel Menschen mit geringem Selbstwertgefühl, ohne ausgeprägte Empathiefähigkeit und oft Einzelgänger. „Wer sich immer weiter isoliert und Sozialkontakte vermeidet, lässt sich leichter von niedrigen Instinkten leiten.“

(→ Jörg Schindler, Der Spiegel 12, 2019, S. 13 ff.)

Fest steht inzwischen, dass früh erfahrene Ablehnung, keine Anerkennung und Sicherheit, zu einem geringen Selbstwertgefühl führen können. Viele dieser Menschen entwickeln ein negatives Menschenbild und reagieren auf jene, die anders sind als sie, mit Abwertung, Ablehnung oder Hass.

Die innere Stärke und Unabhängigkeit von gut erzogenen Kindern hingegen, macht sie auch relativ unabhängig von autoritären Strukturen.

Wie kann und muss die Wissensvermittlungsinstitution Schule nun darauf reagieren?

1. Bilanz

Die bisherigen Lehrkräfte sind oft nicht geeignet. Ich unterstelle ihnen zwar hehre Ziele und löbliche Absichten, allerdings reichen Absichten nicht per se aus, wenn man das Instrumentarium zu seiner erfolgreichen Anwendung nicht mitbringt.

Die erforderliche Didaktik zur Vermittlung von Wissen an Lernende wird an den Universitäten gut gelehrt. Aber die Umsetzung unter heutigen „Frontbedingungen“, wenn also die nötige Lernbereitschaft wegen diverser, erziehungsbedingter Defizite nicht vorhanden ist, stellt viele Lehrkräfte vor unerwartete Probleme.

Der Praxisschock beim ersten Versuch, vor einer Klasse zu unterrichten, ist heutzutage größer denn je.

Ich möchte auch nicht behaupten, dass alle Schüler/innen diese zunehmenden Defizite in ihrer Erziehung erfahren haben, aber es reicht heutzutage schon, wenn wenige innerhalb einer noch nicht ausbalancierten Gruppe diese Schwerpunkte setzen und die Atmosphäre dominieren.