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Ricarda Huch nennt ihre "Seifenblasen" scherzhafte Erzählungen. Es liegt in der Tat viel feiner Humor in diesen Geschichten, zugleich aber auch beißende Satire. Dies gilt besonders für den "Lebenslauf des heiligen Wonnebald Pück" und "Das Judengrab". Erstere Erzählung schildert in meisterhafter Ironie den Werdegang eines mangelhaften Priesters, untauglichen Abtes und verschlagenen, lasterhaften Bischofs zum Kirchenheiligen, während "Das Judengrab" mit seinem humorvollen Quid pro quo eine recht beherzigenswerte Illustration kirchlicher Intoleranz darstellt. Auch "Bimbos Seelenwanderungen" werden den Kenner literarischer Finessen befriedigen.
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Seitenzahl: 183
Veröffentlichungsjahr: 2025
Seifenblasen
Drei scherzhafte Erzählungen
RICARDA HUCH
Seifenblasen, Ricarda Huch
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783988681768
Der Text dieser Ausgabe ist abrufbar unter https://www.gutenberg.org/ebooks/33827 und https://www.gutenberg.org/ebooks/31834.
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Lebenslauf des heiligen Wonnebald Pück. 1
Das Judengrab. 56
Aus Bimbos Seelenwanderungen. 70
Über Berge, auf denen der Schnee noch nicht geschmolzen war, ging Lux Bernkule, ein junges verwitwetes Weib, mit ihren zwei Kindern, dem zehnjährigen Brun und der kaum dreijährigen Lisutt, nach dem jenseitigen Orte Klus, der ihre Heimat werden sollte. Es lebte dort der Vater ihres verstorbenen Mannes, Christoph Bernkule, in hohem Alter als Schermäuser oder Maulwurfsfänger, welches Amt ihm ein nettes Einkommen verschaffte, und bei dessen Ausübung ihn die Schwiegertochter mit ihren Kindern unterstützen sollte. Sein Sohn Henne, ihr Mann, hatte mit seinem Vater von jeher in Unfrieden gelebt, so dass er ihm Frau und Kinder niemals vorgestellt, die Ursache davon aber niemals hatte laut werden lassen; da nun der Lux die enge Rechtlichkeit und Hartköpfigkeit ihres Mannes wohl bekannt waren, bildete sie sich ein, dass auch er schuld an dem Zwiespalt getragen haben könnte, und war wohl geneigt, der Einladung des Greises Folge zu leisten, teils aus Neugier, teils aus Mitleid mit seinem einsamen Alter, und schließlich weil sie durch einen mächtigen Gönner, der ihr alles Erdenkliche an Schutz und Begünstigung zusicherte, dazu angeregt wurde. Dies war der Abt des Klosters, in dessen Nachbarschaft ihr Mann Forstgehilfe gewesen war, Wonnebald Pück, der kürzlich zum Bischof von Klus ernannt worden war und, heftig verliebt in die anmutreiche Frau, sie eindringlichst ermunterte, gleichfalls dorthin überzusiedeln, wo sie einzig auf der Welt noch Familienanhang hätte. Einem Ratschlag des alten Bernkule folgend, hatte sie Männerkleidung angelegt und stieg so behände, aber ohne sich zu eilen, den alten Saumpfad hinan, der den Fußgängern diente, mit Hilfe des kleinen Brun einen Karren bald schiebend, bald ziehend, der mit allerlei Kleidern und Hausrat beladen war, und auf dem auch Lisutt, wenn sie müde war, gefahren wurde. An einem hochgelegenen Punkte kreuzte sich der alte, beschwerliche Weg mit der neuen Straße, die für die Eisenbahn gebaut worden war, und es fügte sich, dass die Wanderer dort mit dem Zuge zusammentrafen, der den neuen Bischof seinem Ziele entgegenführte.
Er saß im Speisewagen an einem gedeckten Tischchen und erblickte, wie er gerade ein Glas rotgelben Weines an die Lippen setzte, die fahrenden Leute, die vor dem niedrigen Stationsgebäude standen, dicht aneinandergedrängt in dem beißenden Höhenwind, die Kinder ein Stück Brot in den rotgefrorenen Händen. Seine Augen weilten mit Appetit wie auf einer leckeren Schüssel auf Lux, deren ragende Schlankheit in der losen Jacke und kurzen Pumphose sich schöner als sonst sehen ließ; ihre feinen braunen Haare waren abgeschnitten und hingen in weicher Bewegung um ihr helles Gesicht, das in reizvollem Wechsel bald tiefgreifendes, wägendes Denken, bald betörende Süßigkeit ausdrückte. In ihrem Lächeln, mit dem sie seinen leutseligen Gruß erwiderte, lag mehr Überlegenheit, als Ehrerbietung oder Liebe zugelassen hätten, allein er ärgerte sich weder darüber noch über den trotzigen Blick, den Brun ihm zuwarf, da er nicht zweifelte, dass die Zeit, die ihm lieblichste Vergütung im Überfluss zuteilwerden lassen würde, vor der Tür stände. Mit freundlicher Würde winkte er einen Angestellten des Zuges herbei, händigte ihm zugleich mit einem reichlichen Trinkgeld eine Flasche Wein ein und bedeutete ihm, sie den armen Leuten draußen zu überreichen, und als gleich darauf der Zug sich langsam in Bewegung setzte, bewegte er die Hand majestätisch grüßend gegen die kleine Gruppe.
Während der Bischof, träumerisch speisend, in dem gemütlichen Wagen, der weich wie ein Schlitten dahinsauste, weiterfuhr, malte er sich die mit seiner Beförderung verknüpften Annehmlichkeiten in genussreichen Bildern aus, wobei seine Zufriedenheit nur durch die Sorge beeinträchtigt wurde, ob und wie er sich die Mittel, die seine Lebensführung kostete, würde beschaffen können.
Der Vater von Wonnebald Pück war ein schwerreicher Kaufmann und sowohl dadurch wie durch seinen Verstand und schließlich durch eine vornehme Heirat eine in weiten Kreisen maßgebende Persönlichkeit gewesen. Seine Frau, hübsch und von altem Adel, hatte ihm mehrere Kinder geboren, von denen das jüngste etwa zwölfjährig war, als sie ihm unerwarteterweise noch einmal das Glück, Vater zu werden, in Aussicht stellte. Der bereits ergrauende Mann freute sich doppelt, da das Kind ein Knabe wurde, und erteilte ihm zu beständigem Andenken an die Seligkeit, die seine Ankunft mit sich gebracht hatte, den Namen Wonnebald; doch verwandelte sich seine übertriebene Zärtlichkeit bald in Kummer und Ärger, da der Jüngste die Anlagen eines Taugenichts, Faulenzers, Dummkopfs verriet, während seine älteren Geschwister nicht hervorragend, aber doch leidlich begabt und durchaus rechtschaffen waren. Weder in der Schule noch unter häuslicher Aufsicht lernte er etwas, galt es aber mutwillige Streiche auszuführen oder etwas Verbotenes zu erschleichen, mangelte es ihm nicht an Erfindungsgabe und Pfiffigkeit, so dass, wie übel er auch in allen ernsten und ehrlichen Angelegenheiten bestand, er doch immer frech und guter Dinge und der Zukunft gewiss war. Die Ermahnungen und Drohungen seines Vaters schlugen ihm nicht an, einzig bei seiner Furchtsamkeit konnte man ihn fassen, und zwar wirkte die Angst vor dem Fegfeuer oder Gespenstern weit kräftiger als Angst vor Prügelstrafe oder anderen natürlichen schmerzhaften Folgen seines argen Lebens, denen er durch Glück und schlaue Anschläge zu entrinnen dachte. Wäre aber auch die Strenge seines Vaters von Einfluss auf Wonnebald gewesen, so hätte diesen die Torheit der einsichtslosen Mutter sogleich wieder aufheben müssen, die, so anspruchsvoll und unnachgiebig sie übrigens sein konnte, eine Wollust darin fand, sich von ihrem Sohne umgarnen und ausbeuten zu lassen, was er geschickt und freundlich zu tun verstand. Ihr war dabei etwa so zumute, als ob sie im angenehmen Halbschlummer, so dass sie die Töne und Gegenstände nur verschwommen wahrnähme, auf einer Ottomane läge, während das Fell einer schnurrenden Katze sich schmeichelnd an ihr riebe. So traute sie zum Teil seinen Vorspiegelungen, zum Teil seine arglistige Absicht durchschauend, und verharrte beglückt in dem gaukelnden Zwielicht, ja widersetzte sich eigensinnig, wenn ihr Mann oder ihre anderen Kinder sie zwingen wollten, die Wahrheit zu erkennen oder zuzugestehen. Als sich die Schwierigkeit und eigentlich Unmöglichkeit, Wonnebald in irgendeinem Beruf vorwärts zu bringen, zeigte, verfiel sie, mit Vorwürfen wegen ihrer unbesonnenen Erziehung überhäuft, auf den Gedanken, ihn geistlich werden zu lassen, da ihm auf dieser Laufbahn, so hoffte sie, die bedeutenden Verbindungen ihrer adligen Familie zugutekommen würden. Hiergegen sträubte sich der Vater, der die Religion für gut und nützlich, die Kirche aber für faul und verdammlich hielt, allein da er keinen anderen Ausweg wusste und ohnehin einen rechten Zusammenhang des Herzens mit Wonnebald nicht mehr spürte, gab er nach und musste bald gestehen, dass, äußerliches Fortkommen und Ansehen anbelangend, seine Gattin einen guten Griff getan hatte.
Wonnebalds Geist, der sowohl den einfachen wie den höheren Wissenschaften gegenüber unzugänglich geblieben war, nahm glatt und geschwind die religiösen Lehren auf, die ihm auf dem Seminar, das er nun besuchte, beigebracht wurden, so dass seine Mutter mit Fug behaupten durfte, es wäre derselbe einer geweihten Erde vergleichbar, in der kein andrer als der gottgefällige Samen der Theologie gedeihen könnte. Zwar klagten die Leiter der Anstalt nicht selten über unerlaubte Leichtfertigkeiten des jungen Pück, doch pflegten sie, in Anbetracht des strengen Wandels, der späterhin unweigerlich zu führen war, den Jünglingen die Schwächen und Unzuträglichkeiten ihrer Jahre im Allgemeinen hingehen zu lassen, besonders wenn diese sich mit so viel Talent und Fleiß in kirchlichen Dingen vertrugen wie bei Wonnebald. Besonders glänzte seine Kunst der heiligen Darstellung, insofern er nämlich beim kirchlichen Amtieren ebenso viel Pomp und Weihe wie kindliche Demut in seine Gebärden zu legen wusste, so dass, noch ehe er jemals öffentlich aufgetreten war, der Ruf aufkam, er werde sich dereinst zu außerordentlichen Würden erheben.
Wonnebalds Mutter warf sich unter dem Eindruck dieser Ereignisse mehr und mehr auf die religiöse Seite, besuchte eifrig die Kirche, verkehrte mit Geistlichen, machte Stiftungen und Schenkungen und war durch nichts mehr zu erbittern, als wenn ihr Mann und ihre Kinder Verwunderung darüber äußerten, wie sie bisher ganz ohne religiöse Bedürfnisse und Veranstaltungen gelebt habe, was sie bestritt. Bei den Besuchen ihres Sohnes befliss sie sich eines bescheidenen und hingebenden Benehmens, dessen Früchte er in liebenswürdiger Harmlosigkeit pflückte, wie er denn überhaupt alles Gute genoss, ohne sich und andre durch Zweifel oder Bedenklichkeiten irgendeiner Art zu stören.
Obwohl er sich durch sein umgängliches Betragen und vergnügtes Gesicht bei seinen Lehrern und Vorgesetzten beliebt gemacht hatte, waren diese doch nicht ohne Sorge, wie seine eher zu- als abnehmenden fleischlichen Wesenseigentümlichkeiten sich mit dem geistlichen Berufe vertragen sollten, und führten ihn deshalb mit äußerster Beschleunigung durch alle Bildungsgrade bis zur Weihe, in der Meinung, dass durch die mystische Handlung das niedrig Stoffliche, was ihm leider noch anklebte, mehr oder weniger entzündet und verklärt werden würde.
Indessen wurde eine augenblickliche Wirkung nicht bemerkbar, vielmehr entfaltete er seine fröhlichen Triebe, nachdem er Benefiziat in einem kleinen entlegenen Dorfe geworden war, erst recht, als wäre nach mannigfacher Entbehrung nun die schöne Zeit der Ernte herbeigekommen. Was er durchaus nicht lassen konnte und mochte, war, mit hübschen Weibern, wenn es irgend anging, Liebschaften anzuknüpfen, wodurch er die Bauern nicht wenig ärgerte, und da er ihnen dazu noch dadurch anstößig wurde, dass er sich so viel wie möglich Hühner, Eier und Butter schenken ließ, hielten sie mit lautem Tadel seiner Predigten nicht zurück, die kurz, hohl und unnütz wie Seifenblasen über ihren Köpfen zerplatzten. Der Bischof, zu dessen Regiment er gehörte, sah sich genötigt, Wonnebald einen Vorhalt zu machen über den Leichtsinn, mit dem er seinen Beruf auffasste, worauf dieser sich damit entschuldigte, dass das kleine Dorf ihm keine seinem Geiste angenehme Nahrung gewährte, und dass er deshalb den gröberen Zerstreuungen nachginge, die es ihm darböte, ferner, was die Predigt beträfe, dass die Bauern sich zu seiner Höhe nicht aufschwingen könnten, er zu ihrer Dummheit sich nicht herablassen möchte. Hierauf bildete sich die Ansicht, es würde das Beste sein, den jungen Mann an eine bessere Stelle zu setzen, wo seine Vorzüge mehr zur Geltung kämen, seine lasterhaften Gewohnheiten aber teils weniger auffielen, teils wegen der beständigen Überwachung durch Gleichstehende und Vorgesetzte sich mehr in ein schützendes Dunkel verkriechen würden. Solche Erwartungen enttäuschte jedoch Pück, der nunmehr Pfarrer in einer größeren Stadt wurde, vollständig, indem er der vermehrten Gelegenheit zu Lust und Wonne nicht widerstehen konnte und es weit ausgelassener trieb als zuvor, so dass an Abhilfe ernstlich gedacht werden musste.
In derselben Stadt war der Sitz eines Weihbischofs, der, gelehrt und sittenstreng, an dem ungebührlichen Betragen Wonnebalds einen großen Anstoß nahm und sich häufig über ihn so ereiferte, dass er ihn gern mit Schimpf und Schande aus der Kirche ausgestoßen hätte. Doch überlegte er sich, dass der leidige Mensch einen reichen und hochansehnlichen Familienanhang habe, der ein so scharfes Vorgehen übel aufnehmen würde, und ferner, dass es der Kirche einen schlechten Leumund bereiten könnte, wenn man erführe, dass ein unwissender, untüchtiger und gewissenloser Mensch wie Pück es bis zum Pfarrer hatte bringen können. Unter seinen Augen aber wollte er solche Leichtfertigkeit sich nicht breitmachen sehen und betrieb deshalb seinen Übergang in ein Kloster, so die Verantwortung für seine schamlose Aufführung von sich abladend, aber nicht ohne ihn mit nachdrücklichen Empfehlungen auszurüsten. In dieser und ähnlicher Art rückte Wonnebald mühelos empor und wurde etwa fünfundvierzigjährig Abt eines Klosters, das in schöner, waldreicher Gegend abseits vom Verkehr der großen Welt gelegen war. Immerhin gab es in der Nachbarschaft des Klosters mehrere große Güter, deren Besitzer mit dem geselligen Abte in freundliche Beziehungen traten und im Verein mit welchen er sich bald das Leben so genussreich einzurichten wusste, wie es nach seinem Sinn war. Umsonst freilich gelangte er weder zu den üppigen Speisen noch zu den Zärtlichkeiten der Frauen, vielmehr gab er dafür so viel Geld aus, dass er sich auf das Spielen verlegte, wobei er im Ganzen mehr verlor als gewann und seine Lage noch verschlimmerte. Was er von seinen inzwischen verstorbenen Eltern geerbt hatte, war bereits aufgebraucht, und die Geschwister, die ihm öfters Geld vorgestreckt, aber stets vergeblich auf Wiedererstattung gedrungen hatten, weigerten sich durchaus, ihm nochmals beizuspringen; so kam er dazu, den Gutsbesitzern abzuborgen, was er ihnen nicht abgewinnen konnte, und ihnen ebenfalls nichts davon zurückzuzahlen. Dies verdross die Herren, die alle nacheinander an die Reihe kamen, mehr und mehr und vergällte ihnen das Zechen und Bechern mit dem Abte, ja manchen unter ihnen fiel es jetzt auf, dass er kein Gottesmann wäre, wie er sein sollte, und sie setzten ihn daheim und öffentlich mit deutlichen Anspielungen herunter. Im Kloster selbst hatte er alle diejenigen auf seiner Seite, denen ein gemächliches Leben über alles gefiel, einige aber, die aus Frömmigkeit oder galliger Gemütsart den Freudentaumel nicht mitmachen wollten, missbilligten ihn durch schweigende Zurückhaltung oder verklagten ihn böswillig, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot.
Diese Zustände bewirkten mit der Zeit, dass Wonnebald zuweilen von seinen Oberen Sendbriefe mit Vorwürfen und Drohungen erhielt, über deren Beantwortung er seufzte und schwitzte, ohne doch etwas Rechtes zustande zu bringen, wodurch er auf den Gedanken kam, die Arbeit einem geschickten Kopf zu übertragen, der ihm ergeben wäre. Dies auszuführen, war aber nicht leicht, denn er wollte sich weder den Klosterbrüdern noch den Gutsnachbarn anvertrauen, sondern am liebsten einem einfachen, armen Manne, der ihn womöglich für einen übel verleumdeten, ehrwürdigen Kirchenvater ansähe und außerdem durch kleine Belohnungen in Abhängigkeit zu halten wäre. Unter den Bauern und Tagelöhnern, die in der Gegend wohnten, war ihm indessen keiner bekannt, der gescheiter als er selbst gewesen wäre, doch fiel ihm ein, einmal von einer Frau gehört zu haben, die mit zierlicher Handschrift wundervoll zu schreiben verstände und für die ganze Bauernschaft ringsum ausfertigte, was an Schreibereien vorkäme, sei es in Liebessachen oder beim Handel oder vor Gericht. Wonnebald, der unter den Frauen und Mädchen übrigens gut Bescheid wusste, hatte sich die Bekanntschaft der Lux Bernkule, denn um diese handelte es sich, aus mehreren Gründen bisher entgehen lassen: einmal, weil er die gelehrten Weiber verabscheute und sodann weil er wusste, dass sie eines Jägers Frau war, eines strengen, aufbrausenden Mannes, der überdies auf die Geistlichkeit nicht gut zu sprechen war.
Lux war das Kind einer Nonne, einer vornehmen und hochgebildeten, in allerlei Künsten geübten Dame, die einen schon vor ihrer Einkleidung ihr vertrauten Liebhaber auch im Kloster noch öfters gesehen und eine Tochter geboren hatte, und der eine nachsichtige Äbtissin gestattete, dass das Kind unter den Bediensteten des Klosters aufwachsen durfte. Zwar durfte sie mit ihrer Mutter nur flüchtig verkehren und ihr auch nie, obwohl ihr das gegenseitige Verhältnis nicht verborgen blieb, den Mutternamen geben, doch hatte sie Gelegenheit, mancherlei zu lernen und sich zu bilden, und benutzte sie willig, wie denn überhaupt ihrem gesunden Geiste von allen Seiten Nährendes und Heilsames zugeflogen kam. Manches Mädchen wäre unter so heiklen Umständen vergrämt und vergrillt geworden, Lux indessen war mild und heiter geartet, durchschaute die Dinge und die Menschen, ohne sich an ihnen zu ärgern, und verlangte nicht viel, außer dass man sie anständig und freundlich behandelte, denn sie war empfindlich gegen harte oder unschöne Berührungen, wie ihr denn überhaupt ein gewisser Hang für anmutige Lebensformen angeboren war. Trotzdem verliebte sie sich, als sie achtzehnjährig war, in den Jäger Henne Bernkule, der ein Mann ohne gebildete Sitten war, was freilich in der Zeit der Werbung, wo die Leidenschaft seine kräftige Schönheit veredelte und immerwährender Sonntag in ihren erwartungsvollen Herzen herrschte, leicht übersehen werden konnte. Später sah sie allerlei Gebärden und Gewohnheiten an ihm, die mit ihrem Schönheitssinn nicht in Einklang waren, doch hatte sie ihn deswegen nicht weniger lieb, sondern lachte zuweilen darüber oder denn es rührte sie. Peinlich war es ihr, wenn ihr Mann, was er gern tat, über die schlechten Menschen schimpfte, insbesondere über die Geistlichkeit, wobei er immer dieselbe Beweisführung und dieselben Ausdrücke anwendete, und zwar erging er sich am bittersten über das Kloster, in dem sie aufgewachsen war, nicht zum wenigsten eben deswegen, weil sie sich dort, bevor sie etwas von ihm wusste, zufrieden gefühlt hatte.
Nun wollte es das Glück des Abtes, dass der Forstmann im Kampfe mit einem Wilderer verwundet wurde und starb, gerade zu der Zeit, als er der Hilfe seiner Frau bedürftig wurde, die er nun ohne Furcht zu sich bescheiden konnte, um ihr sein Ansinnen auseinanderzusetzen. Der Anblick der großen, mit stiller Lieblichkeit sich bewegenden Frau und ihrer sanft lächelnden Augen machte ihn fast ein wenig verlegen, da er sie sich anders vorgestellt hatte; aber sein Anliegen betreffend, flößte ihm die Art ihrer Erscheinung sogleich die Überzeugung ein, dass sie alles Erforderliche verstehen und auch tun würde. Sie hörte auf eine solche Weise zu, dass die Worte des Sprechenden ihr von selbst entgegenkamen und er fließender und einleuchtender, als er selbst geglaubt hatte, die Angelegenheit erklären konnte: wie er mit Geschäften überladen und dazu an einem bösen Gliederfuß leidend sei, so dass er die Feder nicht stramm führen könne, wie er von Unruhstiftern verleumdet, und wie verdrießlich ihm, einem friedfertigen Priester, solches Gezänk sei, so dass er herzlich dankbar sein würde, wenn ein einsichtiger und verschwiegener Freund den hässlichen Briefwechsel, wie es ihn gut dünkte, erledigte. Lux sagte vergnügt und bescheiden, sie habe alles verstanden und werde das Ding zur Zufriedenheit des Abtes ausführen, brachte auch wirklich in Bälde ein Schriftstück zustande, das Wonnebald mit behaglichem Stolz als seines abschickte. Zur Liebe hielt der Abt die Witwe nicht geeignet, da sie nichts weder von der drallen und schnippischen noch von der süßlich weinerlichen Frauenart hatte, die er bevorzugte; sie kam ihm unscheinbar vor, und er sah es für eine schöne Leutseligkeit seinerseits an, dass er ihr trotzdem eine gewisse Annehmlichkeit zubilligte. Einer Ähre glich sie wirklich mit schlankem, biegsamem, stolzem Halme, die keine prangenden Blüten trägt, aber durch die bald silbern aufglänzende, bald blau und lila schattende Farbe und den würzereichsten, belebendsten Geruch jeden Wanderer anzieht und unwiderstehlich gewinnt. Zu seiner eignen Verwunderung musste sich der Abt bald gestehen, dass er in außergewöhnlich hohem Grade in Lux verliebt war, und obwohl er annehmen durfte, dass sie eine so ganz unverdiente Zuneigung ohne Zögern reichlich erwidern würde, fand er doch nicht sogleich eine Wendung, um aus der geschäftlichen Region in die menschlich gefühlvolle überzugehen. Nach kurzer Zeit indessen hatte er sich so weit ermannt, dass er sich ihr mit zutraulicher Zärtlichkeit näherte, aber sie wehrte ihn freundlich ab, indem sie erklärte, sie sei Mutter zweier Kinder und erst kürzlich Witwe geworden und nicht in der Verfassung, dergleichen Scherze zu dulden oder gar auszutauschen. Der Abt meinte, die wohlwollende Äußerung seiner Dankbarkeit dürfe sie sich immerhin gefallen lassen, hielt sich aber doch seitdem zurück, da seine Kenntnis des weiblichen Geschlechts ihm riet, sich in diesem Falle nicht aufzudrängen, sondern klüglich die Annäherung der Stolzen abzuwarten. Inzwischen besuchte er sie zuweilen in ihrer Wohnung, um sich mit ihren Kindern zu befreunden, womit er aber nicht viel Glück hatte; denn Brun zeigte sich umso trotziger, je schmeichelnder die Liebenswürdigkeit des Abtes ihn zu gewinnen suchte, und die kleine Lisutt machte sich wohl seine Beflissenheit zunutze, indem sie ihn Greifen und Verstecken spielen ließ, dass er schwitzte, schalt ihn jedoch Tropf und Faulpelz, weil er nicht hurtig genug auf die Spiele einging, und drehte ihm den Rücken, sowie sich ein besserer Kamerad einfand.
Lisutt hatte dunkelblondes, ein wenig gelocktes Haar, das auf beiden Seiten der rundgewölbten Stirn auf den festen Hals fiel, einen winzigen Mund, der stets etwas offenstand, und eine winzige Nase, die dem runden Gesicht den Ausdruck von Ahnungslosigkeit und Sicherheit verliehen, mit dem es unbekümmert in die Welt blickte. Der Abt hatte für die Süßigkeit dieser vollkommenen Lebensknospe keinen Sinn, und wenn er Kindern auch nichts zuleide tat, wünschte er doch im Herzensgrunde, dass sie alle der Kuckuck holte, als etwas, was schwirrend und blutsaugend um einen herum wäre wie Mücken im Hochsommer. Zuweilen ärgerte er sich auch über Lux, dass sie diese Kinder hatte und sich so kostbar machte, anstatt die liebe lange Zeit mit ihm zu genießen, aber der Groll erhitzte nur seinen Wunsch, sie zu besitzen und alsdann zur Strafe für ihre Widerborstigkeit recht kurz am Zügel zu halten. Obwohl er im Allgemeinen mit vollen Händen spendete, um vergnügte und ergebene Gesichter um sich zu sehen, belohnte er Lux für die Schreiberdienste, die sie ihm leistete, nur kärglich; denn er meinte, sie sei schon allzu hochfahrend und müsse womöglich durch Geldmangel in Demut und Abhängigkeit erhalten werden.
Unterdessen blieb der Geldmangel des Abtes fortwährend derselbe, und da einer von seinen Gläubigern, der sich selbst in misslicher Lage befand, eigensinnig auf sein Recht pochte und ihn mit bösartigen Drohungen verfolgte, beschloss er, die zudringliche Habgier desselben müsse, es koste, was es wolle, gesättigt und sein eigner Beutel wiederum gefüllt werden. Die Verzweiflung befruchtete seine Erfindungsgabe: beim Anblick eines starken, blank abgesogenen Gänsebeines kam er auf den Gedanken, dasselbe könne füglich auch einem anderen Lebewesen, beispielsweise einem Menschen angehört haben, und wenn es einerseits bedauerlich sei, dass es einen Teil eines unwürdigen Vogelgerippes anstatt eines Heiligenleibes bilde, als welches es angebetet werden, Wunder verrichten und viel Geld einbringen könnte, so sei anderseits nichts dagegen einzuwenden, wenn ein denkender Kopf es als verschollenen Knochen eines hervorragenden Märtyrers ausgäbe, und müsste sowohl die Kirche wie die Laienwelt demselben für eine so glückliche Eingebung dankbar sein.
Der Einfall versetzte Wonnebald in eine behaglich prickelnde Erregung, so dass er, um die Stimmung gehörig auszukosten, sogleich seinen vertrautesten Genossen, den Pater Eulogius, rief und eine Karaffe voll des erlesensten Weines in den kleinen erkerartigen Ausbau bringen ließ, den der sinnige Erbauer des Klosters hatte anbringen lassen, um von dort aus das Untergehen der Sonne hinter den dunkeln Wäldern zu betrachten. Hierauf setzten sich die Männer in die beiden breiten geschnitzten Stühle, die die Nische ausfüllten, und besprachen lächelnd und flüsternd, wie die heimliche Sache, deren Bedeutsamkeit dem Eulogius augenblicklich einleuchtete, möglichst glaubwürdig und ersprießlich könne ausgerichtet werden. Wie sie zuweilen zwischen dem Plaudern die Gläser hoben, einen bedächtigen Schluck nahmen und, die Augen halb schließend, sich zurücklehnten, fielen ihre Blicke auf ein altes Gemäuer, das den nächsten Hügel bekrönte und von dem die Legende berichtete, es sei ein Überbleibsel des ersten Klosters, das der Stifter in grauer Vorzeit errichtet habe, das aber später von wilden Völkern, Hunnen oder Türken, zerstört sei, worauf das neue im Tale, größer und prächtiger als jenes, auferbaut worden sei. Zwischen diesen Trümmern, meinten Wonnebald und Eulogius, könnte der auserkorene Knochen schicklicherweise aufgefunden werden, ja es sei eigentlich hochwahrscheinlich, dass das ganze Gerippe des heiligen Krauti, so hieß der sagenhafte Stifter, dort oben begraben liege und schon längst würde aufgefunden sein, wenn man nur fleißiger nachgespürt hätte. Bereits stand es dem Abte fest, dass das jüngste Kind der Lux beim Spielen das Gebein zufällig finden sollte, indem die Zutageförderung der Reliquie durch unschuldige Kinderhand das hohe Ereignis desto lieblicher einkleiden würde.
In manchen Einzelheiten gingen die Meinungen des Abtes und des Paters auseinander, besonders hielt es der letztere für notwendig, einen echt menschlichen Knochen zu benutzen, da ein tierischer von aufgeklärten Nörglern möglicherweise als solcher erkannt und beanstandet werden könnte, wogegen der Abt, der über alle Maßen abergläubisch und furchtsam war, einwandte, dass man ein menschliches Gerippe nicht angreifen und verkleinern dürfe, da der Geist desselben einen sonst bei Nacht verfolgen würde, welcher Plage er sich durchaus nicht aussetzen wolle. Außer dieser gab es noch andre Schwierigkeiten: so musste der zweifelsüchtigen Welt bewiesen werden, dass der wunderbar entdeckte Knochen vom heiligen Krauti herstamme, und es wollte sogleich überlegt sein, ob ein gleichfalls auszugrabender Siegelring mit Namen oder eine Urkunde oder eine Offenbarung besser zum Zwecke diente. Es mussten noch mehrere Zusammenkünfte in der von der Abendsonne rötlich vergoldeten Nische stattfinden, bis alle Punkte erledigt waren, was endlich in zufriedenstellender Weise so geschah, dass man sich auf den Knochen eines ausgewachsenen Schweines einigte, der durch gewisse Wunder und Zeichen als der des frommen Stifters sollte beglaubigt werden.
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