Sherlock Holmes - Neue Fälle 27: Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger - Michael Buttler - E-Book

Sherlock Holmes - Neue Fälle 27: Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger E-Book

Michael Buttler

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Beschreibung

Vier spannende und geheimnisvolle neue Abenteuer mit Sherlock Holmes und seinem Freund Doktor Watson erwarten den Leser in diesem Buch.Sherlock Holmes und das blaue KaninchenSherlock Holmes und die schwarzen Beine der MadameSherlock Holmes und die falsche TempeltänzerinSherlock Holmes und der Bengalische Tiger

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Ähnliche


DIE NEUEN FÄLLE DES MEISTERDETEKTIVSSHERLOCK HOLMES

In dieser Reihe bisher erschienen:

3001 – Sherlock Holmes und die Zeitmaschine von Ralph E. Vaughan

3002 – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge von J. J. Preyer

3003 – Sherlock Holmes und die geheimnisvolle Wand von Ronald M. Hahn

3004 – Sherlock Holmes und der Werwolf von Klaus-Peter Walter

3005 – Sherlock Holmes und der Teufel von St. James von J. J. Preyer

3006 – Dr. Watson von Michael Hardwick

3007 – Sherlock Holmes und die Drachenlady von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3008 – Sherlock Holmes jagt Hieronymus Bosch von Martin Barkawitz

3009 – Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall von Gary Lovisi

3010 – Sherlock Holmes und der Hund der Rache von Michael Hardwick

3011 – Sherlock Holmes und die indische Kette von Michael Buttler

3012 – Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic von J. J. Preyer

3013 – Sherlock Holmes und das Freimaurerkomplott von J. J. Preyer

3014 – Sherlock Holmes im Auftrag der Krone von G. G. Grandt

3015 – Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin von E. C. Watson

3016 – Sherlock Holmes und die Geheimnisse von Blackwood Castle von E. C. Watson

3017 – Sherlock Holmes und die Kaiserattentate von G. G. Grandt

3018 – Sherlock Holmes und der Wiedergänger von William Meikle

3019 – Sherlock Holmes und die Farben des Verbrechens von Rolf Krohn

3020 – Sherlock Holmes und das Geheimnis von Rosie‘s Hall von Michael Buttler

3021 – Sherlock Holmes und der stumme Klavierspieler von Klaus-Peter Walter

3022 – Sherlock Holmes und die Geheimwaffe von Andreas Zwengel

3023 – Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3024 – Sherlock Holmes und der Sohn des Falschmünzers von Michael Buttler

3025 – Sherlock Holmes und das Urumi-Schwert von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3026 – Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad von Thomas Tippner

3027 – Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger von Michael Buttler

Michael Buttler

SHERLOCK HOLMESund der Bengalische Tiger

Basierend auf den Charakteren vonSir Arthur Conan Doyle

Michael Buttler wohnt mit seiner Familie und zwei Katzen im Rhein-Main-Gebiet. Er arbeitet als Bankkaufmann bei einem Kreditinstitut.

Anthologien, an denen der Autor beteiligt war, wurden verschiedentlich für den Deutschen Phantastik-Preis nominiert. Im Jahr 2012 war er mit einer Geschichte in dem Buch vertreten, das den ersten Preis gewann.

Zwei seiner historischen Kriminalromane spielen zur Zeit Johann Wolfgang von Goethes in Weimar, weshalb Buttler sie seine ­Goethe-Krimis nennt: Die Bestie von Weimar und Der Teufelsvers.

Weiterhin schreibt der Autor für die Reihe Sherlock Holmes – Neue Fälle des BLITZ-Verlages.

Auf Anfrage steht der Autor gern für Lesungen zur Verfügung.

www.michael-buttler.de

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mario HeyerLogo: Mark FreierVignette: iStock.com/neyro2008Satz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-226-4Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Inhaltsverzeichnis

Sherlock Holmes und das blaue Kaninchen
Sherlock Holmes und die schwarzen Beine der Madame
Sherlock Holmes und die falsche Tempeltänzerin
Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger
Fußnoten

Sherlock Holmes und das blaue Kaninchen

Ich sah mein erstes blaues Kaninchen, als ich von einem Besuch der Brauerei in der Park Street in Southwark auf dem Weg nach Hause ging. Ein ehemaliger Kollege vom St. Bartholomew’s Hospital hatte eine kleine Zusammenkunft organisiert. Vor vielen Jahren waren wir ein kleiner, eingeschworener Kreis Jungärzte gewesen, und alle waren wir damals dabei, die Weichen für unser weiteres Leben zu stellen. Ich war der Einzige unter ihnen, der nicht mehr praktizierte. Der Anlass für unser Wiedersehen war die Rückkehr eines unserer Kollegen, eines mittlerweile erfolgreichen Chirurgen, der vor beinahe zehn Jahre ausgewandert war und in San Francisco mit einigen gewagten und erfolgreichen Operationen für Furore gesorgt hatte.

Den Abschluss des heutigen Tages bildete also die Einkehr in die Brauerei, wo wir bei einem Rundgang einiges lernten. Im Anschluss durften wir natürlich auch eine Kostprobe nehmen. Nun, was soll ich sagen, es blieb nicht bei einer. Am frühen Morgen wiesen sie uns die Tür.

Es war spät, es war dunkel, und es war ein kalter Novemberabend. Um einen klaren Kopf zu bekommen, ging ich ein paar Straßen allein und hoffte, an der London Bridge Station ein Hansom Cab zu erwischen, das mich zur Baker Street bringen würde.

Wie erstaunt war ich, als mir an einem Antiquitätengeschäft, an dem ich vorbeikam, ein himmelblaues ­Kaninchen begegnete. Es war in Lebensgröße mit dem Seitenprofil an eine Hauswand gemalt worden. Es glänzte im Schein der Laterne, die sich nur wenige Schritte entfernt befand.

„So viel hast du doch nicht getrunken, Watson“, murmelte ich vor mich hin. Es konnte sich unmöglich um ein Delirium tremens handeln. Zugegeben, ich trank gern einen Brandy oder einen Whisky, doch alles in Maßen und nie mehr als drei Gläser an einem Abend. Dazu mischte ich den Whisky hin und wieder mit Soda auf, woraufhin Holmes sich einmal lakonisch äußerte: „Drei Gläser Whisky bleiben drei Gläser Whisky, gleichgültig, wie viel Wasser Sie hinzugeben.“

Heute war ich über einige Stunden hinweg in der Brauerei nicht über fünf Pint hinausgekommen, war also nicht betrunken und noch in der Lage, aufrecht vor der Wand zu stehen und das blaue Kaninchen anzustarren.

Ich schloss die Augen, zählte langsam bis drei und öffnete sie wieder.

Das Kaninchen war noch da.

Ich trat näher heran und erkannte, dass das Kaninchen im Schein der Laterne glänzte.

„Frische Farbe“, murmelte ich und fuhr mit dem Finger vom Ohransatz bis zu den Hinterläufen. Ich starrte auf den blauen Fleck an meinem Finger, wischte ihn mit einem Taschentuch ab und schaute mich um.

Hier war alles ruhig. In meiner unmittelbaren Nähe waren keine Passanten unterwegs. So blieb ich mit meinen Überlegungen allein. Gab es wirklich Menschen, die einfach etwas mit Farbe an Hauswänden schmierten? Zum Spaß? Sollte das ein weiterer Beweis für die Verrohung unserer Sitten sein? Oder war dieses fragwürdige Kunstwerk vom Besitzer des Hauses selbst angebracht worden? Nun, dann hatte ich die Hauswand verschandelt, denn der Weg, den mein Finger durch die noch nicht ganz trockene Farbe genommen hatte, war deutlich sichtbar. Vielleicht war es dann besser, sich schnell zum nächsten Droschkenplatz zu begeben.

Ich wandte mich um und lief weiter. Darauf wollte ich erst einmal einen Whisky trinken. Und das tat ich besser zu Hause, in der Hoffnung, dort keinem Kaninchen, geschweige denn einem blauen zu begegnen.

Als ich entsprechend spät die Räume in der Baker Street betrat, schlief mein Freund Sherlock Holmes bereits. Ich verzichtete auf mein Getränk, denn ich war ordentlich durchgefroren. Und so ging ich schlafen.

Am nächsten Morgen nahm ich mein Frühstück allein zu mir. Sherlock Holmes war bereits ausgegangen. Mrs Hudson brachte mir frischen Toast und Eier.

Ich bat unsere gute Seele noch, meine Wäsche zum Reinigen zu geben, und schnappte mir die Morgenzeitung, die auf dem Beistelltisch lag und von Holmes offenkundig bereits durchgesehen worden war. Er sortierte die Seiten nach einer ihm genehmen Reihenfolge. Das, was ihm wichtig erschien, lag stets oben. Überrascht stellte ich fest, dass es dieses Mal die Firmenannoncen getroffen hatte. Er hatte die Reklame eines Schreiners mit einem Stift eingekreist.

Hatte Holmes etwa vor, ein neues Möbelstück anfertigen zu lassen? Ich dachte an die vielen Stapel Zeitungen und die anderen Papiere, die in seinem Schlafzimmer auf dem Boden herumlagen, sodass es einem Hindernislauf gleichkam, sein Bett oder seinen Wäscheschrank zu erreichen, und begrüßte daher Holmes’ Vorhaben.

Ich arbeitete mich zu den lokalen Nachrichten durch und fand einen Artikel, der mich an den gestrigen Abend denken ließ.

Es ging dabei und drei Einbrüche, die alle eine ähnliche Handschrift trugen und am Vortag begangen worden waren. Es hatte zwei Antiquitätenhändler und ein Auktions­haus getroffen. Dabei wurden jeweils uralte Exponate entwendet, die allerdings nicht von großem Wert waren. Ein kupferner Kelch, reichlich verbeult, hieß es in dem Artikel, sei eines der Beutestücke gewesen. Bei dem zweiten handelte es sich um eine Hochzeitstruhe, eine sogenannte glory box, die angeblich etwa vierhundert Jahre alt sein sollte. Sie hatte in einem Lagerraum gestanden und darauf gewartet, wieder hergerichtet zu werden. Die Schnitzereien waren angabegemäß kaum noch zu erkennen. Immerhin seien die geschmiedeten Beschläge noch vorhanden, ebenso das Kastenschloss.

Der dritte Einbruch, jener in dem Auktionshaus, galt einem Goldring, auf dem ein himmelblauer Saphir gefasst war. Hierbei handelte es sich zweifelsohne um das wertvollste Stück.

Alle drei Einbrüche wurden in einem engen Zusammenhang gesehen, denn sie wiesen eine absonderliche Gemeinsamkeit auf: Am Ort des Geschehens hinterließen die Täter das Abbild eines blauen Kaninchens.

Ich runzelte die Stirn und las weiter.

,Obgleich bei einem der markanten Zeichen offenbar mit einem Finger einmal durchgewischt worden war, geht Inspektor Gregson von Scotland Yard von ein und derselben Diebesbande aus.‘

Ich überflog noch einmal die Orte des Geschehens und musste feststellen, dass ich den Dieben der glory box beinahe über den Weg gelaufen wäre.

Unten wurde die Haustür geöffnet, und ich hörte die Stimme meines Freundes Holmes gedämpft etwas sagen, das ich nicht verstand. Jemand kam nach oben zu unseren Räumlichkeiten. Ich hörte vorsichtige Schritte auf der Holztreppe.

„Vorsichtig, guter Mann“, hörte ich Holmes sagen. „Stoßen Sie nirgends an, sonst wird Ihnen unsere Vermieterin die Ohren lang ziehen.“

Jemand brummelte eine Antwort.

Ich stand auf und öffnete die Tür zu unserem Salon.

Ein stämmiger Kerl mit einer runden Holzplatte in den Armen, die etwa vier Fuß im Durchmesser maß, schwankte mir auf der schmalen Treppe entgegen. Immer wieder schaute er nach rechts oder nach links, ob er nicht gegen die Tapete oder das Geländer schrammte. Hinter dem Mann erkannte ich die hochgewachsene Gestalt meines Freundes.

„Doktor Watson!“ Er wirkte gut gelaunt. „Es trifft sich hervorragend, dass Sie da sind und uns Einlass gewähren. Dann brauche ich mich nicht an unserem tüchtigen Helfer vorbeizudrängen, um die Tür zu öffnen.“

Der Mann mit der Holzplatte erreichte die letzte Stufe. Ich sprang zur Seite, um ihm Platz zu machen.

„Bitte legen Sie das gute Stück auf den Tisch hinten am Fenster.“

Der Mann trat auf den leer geräumten Tisch zu, auf dem Holmes gelegentlich seine chemischen Experimente durchführte. Erst jetzt bemerkte ich, dass dort aufgeräumt war. Das geschah äußerst selten.

Nun hatte ich einen freien Blick auf meinen Freund und sah die Eisenkette in seinen Händen. Was hatte das nur zu bedeuten?

„Vielen Dank, guter Mann“, sagte Holmes. „Wenn Sie mir nun noch die kleine Kiste nach oben schaffen könnten, dann wäre ich Ihnen sehr verbunden.“

Der Mann nickte und trabte wieder nach unten.

„Was ist denn das, Holmes?“, wollte ich wissen. „Falls Sie an eine neue Tischplatte denken, so muss ich Ihnen sagen, dass sie die falsche Form hat und zu klein ist.“

„Ich werde mich als unredlicher Antiquitätenhändler versuchen“, gab er fröhlich zurück, legte die Kette leise rasselnd neben der Holzplatte ab und rieb sich die Hände, als könne er es kaum erwarten, mit dem, was er vorhatte, loszulegen.

Mittlerweile kam der Mann wieder nach oben. Dieses Mal trug er eine handliche Holzkiste ohne Deckel in den Händen. Ich erhaschte einen Blick auf den Inhalt, konnte aber nicht alles erkennen. Ich vermeinte, ein Stück Leder zu sehen, mindestens zwei Töpfe mit Farbe. Auf jeden Fall aber ragte ein gerollter Bogen festen Papiers heraus. Das sah mir ganz so aus, als wolle sich Holmes einer Bastelarbeit widmen.

Mein Freund drückte seinem Helfer eine Münze in die Hand und sagte: „Herzlichen Dank.“

Der Mann tippte mit einem Finger an seine Stirn und machte sich davon. Ich ging ihm hinterher und schloss die Salontür.

„Sie waren bei einem Schreiner“, sagte ich, um etwas zu sagen.

„Nicht nur, mein guter Watson. Ich werde mich einem besonderen Projekt widmen. Allerdings, das muss ich eingestehen, könnte es zeitweilig etwas laut werden.“

„Ich bin ja einiges gewohnt, Holmes. Es wird mir schon nichts ausmachen.“

Er legte mir eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß das zu schätzen.“

Dann ging er zu seinem Arbeitstisch, holte ein Stück Papier heraus, auf das er einiges gekritzelt hatte, und vertiefte sich in seine Notizen.

Ich hatte schon oft erlebt, wie sich Holmes voller Eifer in eine Sache stürzte. Ich fragte mich, ob das mit einem neuen Fall zu tun hatte, hatte aber auch gelernt, dass ich in dieser Phase seiner Konzentration kein Wort aus ihm herausbringen würde. Also ließ ich ihn in Ruhe seiner Tätigkeit nachgehen und machte mich ausgehfertig. Nach dem gestrigen Abend würde mir ein bisschen frische Luft guttun.

Als ich später wiederkam, hörte ich unten an der Haustür bereits einen eigentümlichen Krach: Es knallte und rasselte. Mrs Hudson stand am Fuße der Treppe, die zu unseren Räumlichkeiten nach oben führte. Ihre Arme fuhren immer wieder hinauf und hinab, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie sich die Ohren zuhalten oder ob sie die Hände empört in die Hüften stemmen sollte.

„Was ist denn hier los?“, fragte ich.

Erneut erklang das Geräusch von oben, dann wurde etwas ratternd über den Fußboden geschoben, bis es ein weiteres Mal knallte.

„Gut, dass Sie da sind, Doktor Watson“, meinte unsere Vermieterin. „Vielleicht beruhigt er sich wieder, wenn Sie bei ihm sind. Oder Sie spritzen ihm etwas.“

„Hatte er einen Besucher, der ihn so aufbrachte?“

Knall. Rassel.

„Ach nein, bis vor zehn Minuten war alles ruhig.“

„Ich gehe wohl mal besser nach oben.“

„Tun Sie das, Doktor Watson. Und bitte, sorgen Sie dafür, dass er nicht die ganze Einrichtung auseinandernimmt.“

Nach diesen Worten malte ich mir in den schlimmsten Bildern aus, wie unsere gemeinsame Wohnung wohl aussehen mochte. Ich eilte hinauf und riss die Tür auf.

Holmes stand friedlich über seiner Holzplatte und setzte gerade einen Bohrer an. Er schaute nicht auf, sondern fing sogleich damit an, die Kurbel ein paar Mal zu drehen. Dann zog er den Bohrer heraus und wiederholte die Prozedur an anderer Stelle.

Zufrieden stellte ich fest, dass außer Holmes’ Arbeitstisch kein Möbel anders stand, wie es zu stehen hatte.

„Wie ich sehe, geht es Ihnen gut“, sagte ich laut genug, dass Mrs Hudson es unten hören konnte.

Holmes reagierte nicht, sondern griff nach einem der Lederriemen, die er besorgt hatte, und begann, ihn in eine Vorrichtung einzufädeln, die auf der runden Holzplatte angebracht war. Das Leder wirkte alt und speckig, war an ein paar Stellen brüchig.

Ich schloss die Tür und trat näher.

„Das ist aber ein ganz schön alter Fetzen“, bemerkte ich wie beiläufig.

Ohne aufzusehen, antwortete Holmes: „Nicht wahr? Ich habe es von einem Kutscher. Es ist altes Zaumzeug.“

Holmes schnalzte mit der Zunge, dann schob er seine Hand in die befestigten Lederriemen und hielt die Platte wie einen Schild vor sich.

„Das wird gehen“, murmelte er.

„Gehen Sie auf einen Kreuzzug, Holmes?“, wollte ich wissen und fragte mich, ob ich mir nun doch langsam Sorgen um den Gesundheitszustand meines Freundes machen musste.

Holmes grinste, dann sprach er pathetisch: „Für Recht und Ordnung ziehe ich schon sehr lange in die Schlacht, mein lieber Watson. Das wissen Sie doch.“

Nun legte er die Holzplatte wieder ab, dieses Mal auf die Seite, die er gerade bearbeitet hatte.

Er nahm einen der beiden Farbtöpfe, öffnete ihn und griff nach einem breiten Pinsel. Ich schaute ihm dabei zu, wie er die komplette Seite der Platte mit weißer Farbe bestrich. Dann riss er die Fenster auf.

„Das muss erst einmal trocknen“, sagte er. „Und jetzt habe ich Hunger.“ Dabei rieb er sich die Hände.

Während er sich an dem kalten Braten, den ihm Mrs Hudson heraufgebracht hatte, gütlich tat, fragte ich ihn, was das Ziel seines Tuns sei. Er lachte mich fröhlich an und sagte: „Ich gehe unter die Fälscher.“ Das war alles, was ich zu hören bekam.

Später am Tag nahm Holmes die Arbeit wieder auf.

Während ich in meinem Sessel saß und in diversen Büchern lustlos schmökerte, schielte ich gelegentlich zu Holmes hinüber und sah, wie mein Freund eine ­Schablone auf die Holzplatte legte. Erneut nahm er Pinsel und Farbe zur Hand. Dann pausierte er wieder. Offenbar musste die neue Farbe ebenfalls trocknen.

Am Abend ging ich wieder aus und fragte Holmes, ob er mitkommen wolle. Ich erzählte ihm von einem Laientheater, das gute Kritiken erhalten hatte, und das ich einmal besuchen wollte.

„Doktor Watson!“, rief er begeistert, „Das ist eine hervorragende Idee und rundet das Bild ab.“

„Welches Bild, Holmes?“

„Wohin fahren wir?“

Ich nannte ihm die Adresse.

„Ah, das ist in der Nähe des Grand Surrey Kanals“, bemerkte er. „Den Hansom und die Karten spendiere ich.“

„Das ist aber freundlich von Ihnen.“

Er winkte ab. „Ich rechne das mit den Spesen ab.“

Die Fahrt ging quer durch London und dauerte eine Weile. Da Holmes keine Anstalten machte, mich nach dem Laienstück zu fragen, nahm ich das Gespräch auf.

„Holmes, Ihre Andeutungen machen mich neugierig. Da sind einige Fragen, die mir auf der Seele liegen.“

„Und auf der Zunge, nehme ich an. Ich ahne, welche das sein könnten, Watson. Doch ich muss Sie um ein wenig Geduld bitten. Sie werden alles erfahren, wenn es so weit ist. Wenn ich Ihnen meine Gründe für mein Tun zu früh verrate, dann könnte das einiges verderben.“

„Aber Holmes, ich würde Ihnen doch nie in die Parade fahren.“

„Nicht wissentlich, Watson, und das weiß ich zu schätzen.“

Holmes hatte eine Art an sich, mich neugierig zu machen, die in mir eine gewisse Gereiztheit hervorrief.

„Welches Stück wird gegeben?“

„Es ist eine Variante des Sommernachtstraums.“

„Eine Variante?“

„Eine fortschrittliche, will ich meinen. Alle männlichen Rollen werden in weibliche getauscht und umgekehrt.“

Holmes rieb sich die Hände. „Revolutionär, will ich sagen. Und erschwerte Bedingungen für die Schauspieler, behaupte ich. Eine interessante Möglichkeit, schauspielerisches Talent unter Beweis zu stellen. Sehr gut. Wieder einmal werden Sie mir bei meiner Arbeit vermutlich nicht unwesentlich weiterhelfen.“

Vermutlich nicht unwesentlich? Auch wenn dieses Lob recht eigenartig klang und ich nicht die Spur einer Vermutung hatte, um was es ging und mein vermutlich nicht unwesentlicher Beitrag aus diesem Grund ein Produkt des Zufalls war, konnte ich mir eine gewisse Freude nicht verkneifen.

Der Abend verlief recht kurzweilig. Shakespeares Komödie gewann durch den Rollentausch an Charme und Witz. Besonders hervor tat sich die Schauspielerin, welche die Rolle Pucks spielte. Der Diener beziehungsweise die Dienerin des Elfenkönigs Oberon beziehungsweise der Königin Oberine war flink und bewegte sich geschickt, obgleich es sich bei der Schauspielerin um eine Frau handelte, die aufgrund ihres Auftretens, ihrer ernsten Ausstrahlung, die im Gegensatz zu ihrer Rolle stand, ebenso gut eine stolze Maria Stuart hätte abgeben können.

Das Publikum war begeistert. Ich war begeistert. Holmes war – ich kann es nicht anders sagen – ekstatisch. Noch nie hatte ich ihn für eine Sache so entflammt gesehen wie an diesem Abend. Er lachte, klatschte und sparte nicht an Bravo-Rufen. Hierfür wartete er nicht das Ende einer Szene ab, sondern verlieh seiner Leidenschaft auch während des laufenden Spiels einen so mitreißenden Ausdruck, dass andere Theaterbesucher mit einstimmten. Und so war ich bald von der Inszenierung und von Holmes’ Verhalten eingenommen.

Kaum war der Vorhang am Ende des Stückes gefallen, hielt sich Holmes nicht mit weiteren Bekundungen seiner Begeisterung auf. Er sprang auf, drängte sich wieselflink durch die Reihe und war schon durch eine Seitentür verschwunden, bevor ich wusste, was geschah.

Der Vorhang öffnete sich noch einmal, und die Schauspieler holten sich ihren hochverdienten Lohn ab: das Getöse des Applauses. Also blieb ich an meinem Platz und klatschte, was meine Hände hergaben.

Noch zweimal wiederholte sich das Spektakel, dann wurde das Licht höher gedreht. Die Besucher schlurften murmelnd durch die Reihen nach draußen. Hin und wieder lachte jemand. Ein Spaßvogel ahmte den eselsohrigen Liebhaber, der heute eine eselsohrige Liebhaberin gewesen war, nach, während er darauf wartete, dass er weitergehen konnte. Seiner Begleiterin war dies sichtlich peinlich.

Ich schloss mich der Prozession an und wartete im Foyer auf meinen Freund. Ein leichter Groll kam in mir auf. Wo steckte Holmes nur?

Nachdem ich eine ganze Weile allein in einer Ecke herumgelungert hatte, kam schließlich ein Herr in einer abgetragenen und zu großen Livree auf mich zu und bat mich zu gehen, weil er den Haupteingang abschließen wolle.

„Ich warte noch auf einen Freund“, gab ich zu bedenken. „Ich glaube, er wollte zu den Schauspielern.“

„Dann kommt er heute nicht mehr nach Hause“, sagte mein Gegenüber und zwinkerte mir zu. „Ist ja so ein eigenes Volk, diese Schauspieler, selbst wenn sie am nächsten Tag wieder im Büro sitzen oder in der Fabrik arbeiten.“ Er machte eine weibische, schwingende Geste mit seiner Hand, die ich nicht verstand. Ich musste ratlos auf ihn wirken, denn er klopfte mir schließlich auf die Schulter. „Aber das muss nichts heißen, junger Freund.“ Sein Nicken sollte wohl aufmunternd wirken. Meine Ratlosigkeit nahm dagegen noch zu.

„Wenn er doch noch kommt, dann aus dem Künstlereingang. Ich für meinen Teil mache jetzt Feierabend und gehe nach Hause. Morgen früh stehe ich nämlich schon wieder in der Werkstatt.“

Das verstand ich. Bei einem Laientheater waren auch die Platzanweiser und Kartenabreißer Menschen, die noch einem richtigen Beruf nachgingen. Aus diesem Grund nickte ich und trat nach draußen.

Der andere löschte das Licht, schloss die Tür ab und war schon die Straße hinab gelaufen, bevor ich nach dem Künstlereingang fragen konnte. Also lief ich einmal ums Gebäude und fand eine fadenscheinige Holztür auf der Rückseite. Sie war abgeschlossen. Durch die Risse im Material und durch die nicht schließenden Kanten drang kein Licht. Trotzdem klopfte ich.

Es tat sich nichts.

Und so stand ich auch hier noch eine Weile hilflos herum. Mit jeder Minute, die verstrich, nahm mein Groll gegen Holmes zu. Ich fragte mich, was ihn bewogen haben könnte, mich einfach zu vergessen.

Schließlich war ich es leid, weitere Lebenszeit sinnlos hier zu vergeuden. Ich gab es auf, in der dunklen Gasse auf ihn zu warten und begab mich auf den Heimweg.

In unserer Wohnung angekommen, machte ich zuerst Licht, dann schürte ich das Feuer und legte noch zwei Scheite auf. Es würde kühl werden diese Nacht, und ich wollte keinesfalls ins Bett gehen, bevor Holmes nicht nach Hause kam. Und wenn das bedeutete, dass ich in meinem Sessel einschlief.

Mein eigener Lesestoff war mir mittlerweile ausgegangen, sah man einmal von den Zeitungen ab, die wir regelmäßig hereinbekamen. Doch die würden mir bis zur Morgenausgabe nichts Neues bieten. Also griff ich nach etwas von Holmes’ Stapel. Es war ein Heft. Erst als ich in meinem Sessel Platz genommen hatte, wurde mir bewusst, dass es in Deutsch abgefasst war. Dinglers Polytechnisches Journal hieß das Heft, das von 1892 datierte, also schon vor fünf Jahren erschienen war. Ich wusste, dass mein Freund diese Sprache ganz passabel beherrschte. Ich hatte jedoch größere Schwierigkeiten. Das eine oder andere Wort verstand ich, wenn es ausgesprochen wurde, manches auch, wenn ich es schwarz auf weiß vor mir hatte, mich heute Abend aber darin zu üben, dazu hatte ich keine große Lust. Gleich auf der ersten Seite prangte mir Werbung für eine Maschinenfabrik aus Chemnitz entgegen. Gleichgültig blätterte ich das Heft durch, erkannte kaum etwas, was mich interessierte, studierte eine Weile Zeichnungen von Dampfmaschinen, die wohl bei einer Ausstellung in Frankfurt 1891 vorgestellt worden waren. Schließlich begann ich mich zu langweilen, und ich legte das Heft wieder auf seinen Platz. Nun schlenderte ich zu Holmes’ Arbeitstisch und betrachtete das, was er dort liegen hatte. Das runde Holzstück, das vor nicht langer Zeit neu ausgesehen hatte, befand sich nun in einem bemitleidenswerten Zustand. Es hatte viele Dellen, einige Ecken waren abgeplatzt. Und in der Mitte prangte, ich konnte es kaum glauben, ein blaues Kaninchen, ähnlich dem, das ich in der Nacht zuvor gesehen hatte.

Unten ging die Tür, dann stieg jemand die Treppe hinauf. Ich erkannte die Schritte, begab mich wieder zu meinem Sessel und machte es mir dort bequem.

Holmes trat herein. „Doktor Watson! Gut, dass Sie nicht gewartet haben.“

„Doch, ich habe gewartet, viel zu lange, wie ich meine.“

„Das tut mir leid.“

„Es ist spät. Wo waren Sie?“

„Ich hatte Geschäftliches zu tun, mein lieber Freund.“

Ich erhob mich wieder. „Und ich gehe jetzt zu Bett. Ich bin so müde, ich sehe wieder blaue Kaninchen“, sagte ich halb im Scherz.

„Warten Sie, Watson! Wo haben Sie blaue Kaninchen gesehen? Wo sind Sie entlanggekommen?“

„Nein, Holmes.“ Ich freute mich, ihm ein Schnippchen zu schlagen. „Es war, als ich dort vorn ans Fenster trat. Da sprang mich eines von Ihrem Arbeitstisch aus an. Beinahe zumindest.“

Holmes lachte. „Da haben Sie mich aber drangekriegt.“

Erst jetzt erzählte ich ihm von meiner tatsächlichen Begegnung mit einer dieser Zeichnungen an der Hauswand.

„Hm“, machte Holmes, „mit ein bisschen Glück hätten Sie die Diebe erwischen können.“

„Vielen Dank für Ihr Zutrauen in meine Person, doch es müssen mehrere gewesen sein, wenn ich an die große Kiste denke, also hatte ich wohl eher Glück, dass diese Burschen mich nicht aufmischten. Was haben Sie vor, Holmes? Sie versuchen, diese Diebstähle aufzuklären, nicht wahr?“

„Sie liegen richtig. Und wenn ich Sie brauche, mein lieber Watson, dann werde ich Sie wie immer rechtzeitig davon in Kenntnis setzen und hoffen, dass Sie es ermöglichen können, an meiner Seite zu stehen. Ich kümmere mich jetzt noch ein bisschen um Farbtopf und Pinsel.“

„Sie wollen diesem Ding auf Ihrem Arbeitstisch den Anschein geben, es sei sehr alt, nicht wahr?“

„Bravo, Watson. Wenn Ihre Sinne bei Müdigkeit immer so geschärft sind, dann sollte ich Ihnen hin und wieder den Schlaf entziehen“, meinte Holmes belustigt.

„Aber Sie streichen das Ding, obwohl Sie es schon beschädigt haben. Das ist die falsche Reihenfolge.“

„Nein, Watson. Es ist ein Trick.“

„Oh?“

„Da jeder halbwegs an Antiquitäten interessierte Laie erkennen wird, dass dieses Ding, wie Sie es nennen, nicht alt ist, gebe ich ihm den Anschein, als sei es schlecht restauriert worden.“

Mit diesen Worten legte er sich eine Schürze um und öffnete einen Farbtopf.

Ich seufzte und ging in mein Schlafzimmer. Wenn die Zeit reif war, so würde ich schon erfahren, was in Holmes’ genialem Kopf vor sich ging.

Drei Tage später, die gefälschte Antiquität war am Vortag aus dem Haus geschafft worden, fragte mich Holmes beiläufig: „Mein lieber Watson, möchten Sie mich heute auf eine Auktion begleiten?“

„Gibt es denn interessante Stücke zu sehen?“, fragte ich.

„Die Exponate sind sehr auserlesen. Sie erinnern sich noch an den Todesfall von vor drei Monaten?“

„Sie meinen die Nichte von Sir Archibald, dem berühmten Völkerkundler? Ihr Name ist mir entfallen.“

„Oh, der ist auch nicht von Bedeutung. Das Anwesen erfährt einen Ausverkauf. Der Erlös für die ganze Einrichtung soll an einen Damenstift fallen. Er nennt sich … warten Sie … ach, solche unwichtigen Dinge kann ich mir nicht merken.“

Das war der Augenblick, in dem ich spätestens hell­hörig hätte werden sollen. Holmes vergisst nie etwas, wenn es auch nur am Rande von Bedeutung wäre. Und so hätte ich schlussfolgernd können, dass ihn die eigentliche Auktion auch nicht im Geringsten interessierte, sondern dass er anderes im Sinn hatte, was ihn vollauf beschäftigte.

„Nun, warum nicht?“, antwortete ich unbekümmert. Ich mochte es, alte und außergewöhnliche Exponate zu studieren. Wenn eine Versteigerung dazu geeignet wäre, dann jene, bei der es um die Besitztümer eines Kalibers wie Sir Archibald ging.

Ich überschlug in Gedanken meinen finanziellen Spielraum und war von dem Ergebnis schnell ernüchtert. Es würde wohl beim Studieren bleiben. Möglicherweise ergab sich aber doch die Gelegenheit, ein einzelnes interessantes Buch zu erstehen.

Wir machten uns auf den Weg. Vom Bahnhof King’s Cross aus ging es Richtung Norden. Der Zug war reichlich voll. Wir fanden zwei Sitze in einem Abteil direkt an der Tür, als der Zug schon anfuhr. Das war ungewöhnlich für diese Uhrzeit.

Die Zugfahrt verlief ruhig. Und wenn ich das sage, so meine ich das im wahrsten Sinne des Wortes. Außer den Geräuschen, die der Zug auf seiner Fahrt verursachte, war kein Laut während der gesamten Fahrt zu hören. Nun weiß ich, dass mein Freund Holmes ein großer Schweiger sein kann. Häufig war er dann in Gedanken und rauchte seinen Tabak weg, als ginge es darum, die Ernte eines ganzen Jahres innerhalb kurzer Zeit auszulöschen.

Aber auch die anderen Passagiere sagten kein Wort. Sie starrten aus dem Fenster oder zu Boden, auf ihre Schuhe, als wollten sie jeden Blick auf einen Mitreisenden tunlichst vermeiden.

Sie waren äußerst fein, teilweise sogar festlich, gekleidet. Und saßen wie wir nicht in der ersten Klasse. Das fand ich seltsam, doch ich wollte nicht versuchen, dieses Rätsel zu lösen.

Die Fahrt kam mir länger vor, als sie war.

Als wir unser Ziel fast erreicht hatten, standen beinahe alle Passagiere auf und stiegen mit uns aus. Insgesamt mochten es knapp über fünfzig Leute sein, mit denen wir über den Bahnsteig gingen.

Auch auf dem kleinen Bahnhof fiel mir etwas Ungewöhnliches auf. Hinweisschilder wiesen darauf hin, wie man zu dem Anwesen gelangte, wo die Versteigerung stattfinden würde.

Wenn wertvolle Gegenstände einer betuchten Persönlichkeit vor gediegenem und zahlungskräftigem Publikum unter den Hammer kommen sollten, dann geschah das normalerweise nicht auf diese plakative Art und Weise.

Der Strom der Menschen wandte sich dem angegebenen Weg zu, den auch wir einschlugen.

„Holmes, diese Leute wollen alle zu Sir Archibalds Herrenhaus“, platzte es aus mir heraus.

„Das ist offensichtlich, mein lieber Watson.“

Droschken waren an diesem abgelegenen Bahnhof nicht zu bekommen, und so mussten all die feinen Leute mit ihrer teuren Kleidung den staubigen Weg entlanggehen. Nicht einer schimpfte darüber, was mir sehr seltsam vorkam. Diese Leute waren doch Besseres gewohnt und ließen das – so kannte ich das – bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre Umgebung spüren.

„Da vorn, rechter Hand, sehen Sie die Dame mit dem hellgrünen Kleid?“

„Ja, Doktor. Was ist mit ihr?“

„Nun, sowohl Dame als auch Kleid kommen mir bekannt vor.“

„Ist es so?“

„Und ich könnte schwören, dass ich den Kerl, der in unserem Abteil am Fenster saß, schon einmal gesehen habe. Allerdings ohne Bart. Aber diese Augen und die Lachfalten an den Seiten, all das kommt mir bekannt vor.“

„Vielleicht hat der Herr einen Verwandten, mit dem Sie schon einmal zu tun hatten. Und die beiden sehen sich ähnlich.“

Holmes wirkte ausgesprochen vergnügt.

„Ich weiß nicht, Holmes, das ist eine Mutmaßung, die nicht typisch für Sie ist. Immerhin sind Sie jetzt ­gesprächiger. Wenn meine Irrtümer dazu beigetragen haben, dann soll es mir recht sein. Obwohl ich den Hut der Dame, die ganz vorn geht, schon einmal gesehen habe. Die Veilchen und Pfauenfedern waren in genau derselben Weise arrangiert. Nur der Stoff war ein anderer.“

„So, mein lieber Watson“, unterbrach mich Holmes, als sei er meiner Rede überdrüssig und wollte das Thema wechseln, „haben Sie denn vor, einen günstigen Einkauf zu tätigen, wenn sich die Gelegenheit bietet?“

„Sie wird besonders günstig sein müssen, richtig preiswert sozusagen. Und wie steht es mit Ihnen? Immerhin hat es Sie zu dieser Auktion hingezogen.“

„Ich interessiere mich für ein besonderes Exemplar.“

„Ach, wirklich?“

„In der Tat. Der Auktionskatalog wurde vor zwei Tagen veröffentlicht. Man konnte ihn für einen günstigen Preis erstehen.“

„Ich habe ihn gar nicht liegen sehen.“

Holmes zuckte mit den Schultern. „Ein Zufall.“