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Elin zieht ihre Sandalen aus. Sie genießt das Gefühl des warmen, weichen Sandes unter ihren Füßen. Ihre blonden Haare wehen im leichten Küstenwind. Das Meer glitzert in der Abendsonne. Sie tanzt über den weißen Strand und lächelt voller Glück ...
Henrik sieht der jungen Urlauberin zu und bewundert ihre Leichtigkeit. Schon lange hat er seine Heimatinsel Bornholm nicht mehr in so einem Zauber gesehen wie mit ihr. Denn nach seinem Unfall vor drei Jahren hat er sich verbittert in seinen einsamen Leuchtturm zurückgezogen und sich nur noch auf seine Arbeit als Historiker konzentriert. Doch Elin gelingt es, sein kaltes Herz zu befeuern, und weckt eine vergessene Leidenschaft in ihm. Dabei hat er sich geschworen, mit seinem Handicap niemals wieder einer Frau zur Last zu fallen ...
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Seitenzahl: 140
Cover
Liebesversprechen am kleinen Küstenweg
Vorschau
Impressum
Liebesversprechen am kleinen Küstenweg
Elin gibt alles, um sein kaltes Herz mit neuer Liebe zu befeuern
Von Caroline Thanneck
Elin zieht ihre Sandalen aus. Sie genießt das Gefühl des warmen, weichen Sandes unter ihren Füßen. Ihre blonden Haare wehen im leichten Küstenwind. Das Meer glitzert in der Abendsonne. Sie tanzt über den weißen Strand und lächelt voller Glück ...
Henrik sieht der jungen Urlauberin zu und bewundert ihre Leichtigkeit. Schon lange hat er seine Heimatinsel Bornholm nicht mehr in so einem Zauber gesehen wie mit ihr. Denn nach seinem Unfall vor drei Jahren hat er sich verbittert in seinen einsamen Leuchtturm zurückgezogen und sich nur noch auf seine Arbeit als Historiker konzentriert. Doch Elin gelingt es, sein kaltes Herz zu befeuern, und weckt eine vergessene Leidenschaft in ihm. Dabei hat er sich geschworen, mit seinem Handicap niemals wieder einer Frau zur Last zu fallen ...
Das schaffe ich nicht!, dachte er. Die Fähre legt in ein paar Minuten ab. Nie und nimmer komme ich noch rechtzeitig zum Hafen ...
Henrik Vingegaard musste an sich halten, um das Gaspedal nicht bis zum Anschlag durchzutreten. Das Lenkrad fest umklammert, steuerte er sein Auto knapp unterhalb des Tempolimits über die Chaussee. Dabei streifte sein Blick immer wieder die Uhr neben dem Armaturenbrett.
Unbarmherzig rückte die Anzeige vor, näherte sich der Abfahrtszeit der Fähre und ließ ihm das Blut in den Ohren rauschen.
Die Hammershus fuhr einmal am Tag von Sassnitz nach Rönne. Wenn er die Fähre verpasste, würde er hier stranden und einen ganzen Tag verlieren. Das wäre nach dem unschönen Ausgang seines Arzttermins das passende Ende seiner Reise – aber vielleicht ließ es sich noch abwenden?
Unwillkürlich gab er Gas, blieb jedoch unterhalb des vorgeschriebenen Tempolimits. Das war auch gut so, denn hinter einer langgestreckten Kurve tauchten plötzlich die Rücklichter eines Traktors vor ihm auf, der sich mit Schrittgeschwindigkeit vorwärtsbewegte.
Das darf doch jetzt nicht wahr sein!
Während Henrik den Fuß vom Gas nahm, setzte der Fahrer vor ihm den Blinker. Der Traktor tuckerte auf einen Feldweg und gab die Fahrbahn wieder frei. Wie es schien, hielt dieser Tag doch noch einen Hauch von Glück für ihn bereit.
Henrik beschleunigte und bog an der nächsten Ampelkreuzung rechts ab. Nach mehreren Kurven passierte er das Zollamt und checkte mit dem Code auf seinem Handy ein. Tatsächlich ließ ihn die Schranke noch auf das Fährgelände passieren.
Hieß das, er war doch noch rechtzeitig hier?
Er fuhr weiter und sah kurz darauf die Autofähre vor sich. Das mächtige weiße Schiff bot einen imposanten Anblick. Es war für den Transport von Fracht, Passagieren und Fahrzeugen ausgelegt und ruhte im Wasser wie ein gewaltiger weißer Wal.
Eine breite Heckrampe ermöglichte die Zufahrt in den Bauch des Schiffes. Knapp oberhalb der Wasserlinie zeichnete sich ein blauer Streifen auf dem weißen Rumpf der Fähre ab. Darüber stand – mit ebenfalls blauer Schrift – zu lesen: Bornholmslinjen.
Henrik fuhr an dem Bordershop vorüber und sah die Rücklichter eines Wohnmobils, das auf die Fähre auffuhr. Noch war die Heckklappe geöffnet ... Rasch lenkte er seinen Wagen zu der Rampe und folgte dem anderen Fahrzeug in den Bauch des Schiffes. Jetzt erst gestattete er sich ein Aufatmen.
Er hatte es wirklich und wahrhaftig noch geschafft!
Vorsichtig fuhr er die steile Rampe hinauf zum oberen Fahrzeugdeck. Hier ließ er seinen Wagen hinter dem Wohnmobil ausrollen und schaltete den Motor ab.
Das war knapper gewesen, als ihm lieb war. Sein Termin hatte sich hingezogen, und so konnte er sich glücklich schätzen, dass er die Fähre noch erwischt hatte. In dreieinhalb Stunden würden sie in Rönne anlegen. Dann war er so gut wie daheim.
Vor ihm verließen andere Passagiere ihre Fahrzeuge und begaben sich zu den Passagierdecks. Sie wieselten durcheinander, nahmen Hunde an die Leine oder zählten ihre Kinder durch, bevor sie das Fahrzeugdeck verließen.
Eine Durchsage informierte darüber, dass das Deck gleich geschlossen wurde und ein Verlassen später nicht mehr möglich war. Nun, Henrik hatte nicht vor, die Überfahrt auf dem zugigen Deck zu verbringen. Er zog den Zündschlüssel und erhaschte plötzlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel.
Eine Frau in einem gelben Sommerkleid mit Spaghettiträgern hockte sich neben ein Cabriolet und hielt einen Fotoapparat vor ihr Gesicht. Das Objektiv war auf eine Möwe gerichtet, die auf dem oberen Rand der Windschutzscheibe saß und den Kopf schräg legte, als würde sie auf einen Leckerbissen warten.
Die Unbekannte machte eine Aufnahme. Als sie ihre Kamera sinken ließ, konnte er sie genauer ansehen. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht, in dem leuchtend grüne Augen voller Lebensfreude blitzten. Als die Möwe plötzlich ihre Flügel ausbreitete, verzogen sich die roten Lippen der Unbekannten zu einem unbeschwerten Lachen. Sie hob die Kamera erneut und machte offenbar ein weiteres Foto.
Sein Blick wurde von ihr angezogen wie eine Hummel von einem Lavendelbeet. Die Unbekannte war nicht nur bildhübsch, sondern wirkte auch so unbekümmert, dass sich etwas in ihm sehnsüchtig zusammenzog.
Wann war er zuletzt so unbeschwert gewesen? Wenn er in sich hineinhörte, fühlte es sich an, als würde die Last von fünfhundert Lebensjahren auf seinen Schultern ruhen.
Plötzlich richtete sich die Fremde auf, drehte sich halb zu ihm um und fing seinen Blick auf. Ihr Lächeln vertiefte sich und sie zwinkerte, als würden sie gemeinsames Geheimnis teilen.
Dann lehnte sie sich in ihr Auto, einen orangefarbenen Kleinwagen, holte eine mit bunten Fransen besetzte Umhängetasche hervor und verließ das Parkdeck. Die Vorfreude auf den Urlaub stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Henrik schaute ihr wie gebannt nach.
Lys, das Licht, das war sie.
Er dagegen war Skygge, der Schatten.
Seine Miene verschloss sich, als er sich aus seinem Wagen hievte. Ein qualvolles Ziehen raste von seinem Rücken aus bis in sein rechtes Bein hinunter. Er schulterte seinen Rucksack und schlang die Finger fester um seinen Gehstock.
Gerade, als er sich von seinem Wagen abstoßen wollte, summte das Handy in seiner Tasche, ein eingehender Anruf.
Er ignoriert es.
Denn er wollte nicht reden.
Mit niemandem.
Das Summen brach ab ...
... und begann dann erneut.
Einen Fluch verbeißend, zog Henrik das Telefon aus seiner Tasche. Auf dem Display stand: Poul. Das erklärte die Hartnäckigkeit. Sein Vater war niemand, der sich ignorieren ließ. Ergeben hob Henrik das Handy an sein Ohr.
»Hej, was gibt es?«
Das Grunzen von Schweinen im Hintergrund antwortete ihm. Dann meldete sich eine raue, etwas kratzige Stimme.
»Bist du gut auf der Fähre angekommen, mein Junge?«
»Ja. Mit Ach und Krach habe ich es noch geschafft.«
»Gut. Gut. Wir freuen uns, wenn du wieder zu Hause bist. Und wir sind gespannt zu erfahren, wie es bei Dr. Thierfelder gelaufen ist. War er zufrieden mit dir?«
»Leider nicht.« Henrik sah keinen Grund, die grimmige Wahrheit aufzuschieben. »Er hat mich gründlich untersucht und schließlich dasselbe gesagt wie die Ärzte vor ihm: Er sieht keine Möglichkeit, mir mit einer Operation zu helfen.«
Im Hörer blieb es sekundenlang still. Das Schweigen verriet, wie schwer sein Vater an der Neuigkeit zu schlucken hatte.
Henrik war es nicht anders gegangen, als der Spezialist seine letzte Hoffnung auf eine Behandlung zerschlagen hatte.
»Gar keine Möglichkeit?«, hakte sein Vater schließlich nach.
»Nein. Er denkt, der Eingriff wäre zu riskant und würde mir mit ziemlicher Sicherheit mehr schaden als nutzen. Damit ist er der dritte Arzt, der mir das sagt. Ich sollte es wohl endlich akzeptieren.«
»Das tut mir wirklich leid, Henrik. Ich hatte gehofft ...« Sein Vater schwieg kurz, dann fuhr er fort: »Komm doch morgen zum Abendessen zu uns. Deine Mutter macht den Fischeintopf, den du so liebst. Danach setzen wir beide uns hin und reden über die Überraschungsparty zu ihrem Geburtstag. Bei der Planung brauche ich deine Hilfe.«
»Da fragst du den Falschen, fürchte ich. Ich war ewig auf keiner Party.«
Die Wahrheit war, dass er lieber eine Handvoll Nägel kauen würde, als sich auf einer Party blicken zu lassen. Seit dem Unfall blieb er am liebsten für sich.
Erneut kam eine Durchsage über die Lautsprecher und verkündete, dass das Parkdeck jetzt geschlossen wurde.
»Hör zu, ich muss mir einen Platz auf dem Passagierdeck suchen«, sagte er. »Wir reden morgen weiter, ja?«
»Ja, natürlich. Und ... Henrik? Bitte gib auf dich acht.«
»Das mache ich. Wir sehen uns morgen. Grüß Mama von mir.«
Henrik verabschiedete sich, schob sein Handy in die Tasche und ging unter dem steten Klopfen seines Gehstocks zum Ausgang des Parkdecks.
Er hatte ein Buch mit dänischen Sagen in seiner Tasche. Damit wandte er sich nun der Ruhezone zu. Er lief vorbei an fröhlich plaudernden Urlaubern, spürte das Summen und Vibrieren des Schiffes und sehnte die Ankunft herbei – und seine Ruhe.
Vor ihm lagen drei Stunden und zwanzig Minuten bis zum Zielhafen Rönne. Diese Zeit kam ihm schier endlos vor. Wenn diese Fahrt bloß schon vorbei wäre!
♥♥♥
Wenn diese Fahrt bloß ewig währen würde!
Elin lehnte sich über die Reling, hielt ihr Gesicht in den Fahrtwind und schloss genießerisch die Augen. Der Seewind war wunderbar kühl und schien ihre Haut zu streicheln.
Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, wie die Insel Rügen allmählich zurückblieb und immer kleiner wurde, während die Hammershus eine Spur aus Gischt in das blaue Wasser der Ostsee malte, das im warmen Sonnenlicht verheißungsvoll glitzerte.
Wie herrlich, ging es Elin durch den Kopf. Sie könnte ewig so weiterfahren ...
Etwas strich feucht und zutraulich über ihre Wade und riss sie aus ihren Gedanken. Sie senkte den Blick und bemerkte einen weißen Terrier, der sie beschnupperte und dabei so freundlich wedelte, dass sie ihm nicht böse sein konnte. Stattdessen hob sie ihren Fotoapparat und machte ein Bild von ihm, wie er aus seinen dunklen Augen treuherzig zu ihr aufsah.
»Du bist ja ein Hübscher.« Sie ließ ihn an ihrer Hand schnuppern, bevor sie sich bückte und ihn streichelte.
»Entschuldigen Sie, wenn unser Krümel Sie erschreckt hat«, meldete sich eine brüchige Stimme.
Elin drehte sich um und entdeckte ein weißhaariges Paar, das dicht beieinander an der Reling stand.
»Keine Sorge, das hat er nicht. Ich glaube, Ihr Krümel wollte nur Hallo sagen.«
»Das mag wohl sein. Er schließt gern neue Bekanntschaften.« Der Senior blickte auf ihre Kamera. »Sind Sie Fotografin?«
»Ja. Eigentlich bin ich auf dem Weg in die Ferien, aber bei reizvollen Motiven kann ich nicht an mich halten.«
Sie blickte auf das Paar, das die faltigen Hände ineinander verschlungen hatte. Beide mochten die achtzig bereits hinter sich gelassen haben. Der Mann hatte einen gepflegten weißen Bart und trug einen Hut auf dem Kopf, die weißen Haare der Frau waren kinnlang geschnitten und ließen ihre wachen blauen Augen frei.
»Verzeihen Sie mir, Sie beide sehen so wunderbar harmonisch aus. Darf ich Sie vielleicht fotografieren?«, fragte Elin.
»Nur zu.« Ein Lächeln blitzte in den Augen des Mannes.
Elin hob ihre Kamera und machte einige Aufnahmen. »Waren Sie schon einmal auf der Insel Bornholm?«
»Nein, noch nie, aber wir wollten immer gern mal dorthin. Und jetzt haben uns unsere Kinder die Reise zu unserer goldenen Hochzeit geschenkt.«
»Sie werden bestimmt eine wunderbare Zeit haben. Meine allerherzlichsten Glückwünsche zu Ihrem Ehrentag.« Elin ließ ihren Fotoapparat sinken. »So lange zusammen zu sein, das schaffen nicht viele Paare. Darf ich fragen, was Ihr Geheimnis ist? Streiten Sie beide sich niemals?«
»O doch«, erwiderten beide wie aus einem Mund. Sie sahen sich an und lachten, bevor die Frau ergänzte: »Aber wir gehen nie im Bösen schlafen. Vorher sprechen wir uns immer aus. Man soll keinen Zank mit ins Bett nehmen. Das hat uns meine Mutter vor der Hochzeit geraten, und daran haben wir uns immer gehalten.«
Elin nickte bedächtig und dachte daran, dass ihre Beziehungen noch nie länger als ein paar Monate gedauert hatten. Dabei sehnte sie sich nach einem Band, das stärker war und länger hielt, aber es war ihr bisher noch nicht gelungen, ein solches zu einem anderen Menschen zu knüpfen. Und erzwingen, nein, erzwingen ließ es sich nicht.
Sie wünschte dem älteren Paar eine gute Reise, dann stieß sie sich von der Reling ab und schlenderte über das Schiff. Sie sog die Geräusche, Gerüche und Gespräche in sich auf und ließ sich davon treiben. Von Zeit zu Zeit fing sie einen Moment mit ihrer Kamera ein und spürte ihr Herz voller Vorfreude klopfen.
Es war ihr fünfter Jahrestag. Vor wenigen Tagen hatte ihr Onkologe bestätigt, dass sie den Krebs besiegt hatte. Seit genau fünf Jahren war sie frei von bösartigen Zellen. Sie durfte sich als geheilt betrachten.
Für Elin Grund genug, um sich etwas Gutes zu tun und einen Urlaub zu gönnen. Ihr Ziel war schnell ausgemacht: Das milde Wetter mit den meisten Sonnenstunden Dänemarks hatte Bornholm den Beinamen »Sonneninsel« eingebracht. Dort wollte sie gern hin, also hatte sie sich kurzentschlossen ein Hotelzimmer und eine Passage mit der Fähre gebucht.
Sie war gespannt auf die Eindrücke, die sie erwarten würden. Und sie freute sich auf die Gelegenheit, Dänisch zu sprechen. Ihr Vater stammte aus Dänemark und war der Liebe wegen nach Mecklenburg gezogen. Elin war zweisprachig aufgewachsen, fand in ihrem Alltag aber nur selten die Gelegenheit, Dänisch zu sprechen. In ihrem Urlaub wollte sie sich kopfüber in die Sprache stürzen.
Eine Durchsage verkündete, dass der zollfreie Einkauf nun geöffnet hatte. Elin ignorierte es und blieb an Deck.
Je weiter sie hinausfuhren, umso kräftiger wehte der Wind. Elin genoss den Blick über die aufgepeitschten Wellen ... bis ihr ein anderer Passagier mit einer Waffel mit dänischem Softeis in der Hand entgegenkam.
Oh, sie liebte dieses Eis, also machte sie sich auf die Suche nach dem Eisstand. Der war dicht umlagert, aber nach einer Weile hielt Elin ihr Eis in der Hand, wandte sich um ... und stieß, als das Schiff plötzlich schlingerte, gegen einen Mann, der hinter ihr am Imbiss stand. Ein Klecks Softeis landete prompt auf seinem Hemd.
Er stieß ein unwilliges Brummen aus.
»Oh, entschuldigen Sie bitte.« Erschrocken hob Elin den Kopf zu dem Mann.
Er war ein Stück größer als sie und blickte so finster, als hätte sie ihn soeben zum Duell gefordert.
Unwillkürlich wanderte ihr Blick weiter – über sein weißes Hemd, das sich um seine breiten Schultern spannte, die braunen Hosen und das geflochtene Lederband an seinem Handgelenk. Ein dunkler Bart zierte sein Gesicht. Seine Augen waren braun und blickten unter dichten Brauen ausgesprochen finster drein.
Als er sich den Klecks Eis vom Hemd wischte, fiel ihr Blick auf seine Hände – kräftige, gepflegte Hände waren es, die ein seltsames Kribbeln durch ihren Körper sandten.
Doch sein Blick ließ sie seufzen. »Es tut mir leid um Ihr Hemd. Darf ich es wieder gutmachen und Sie zu einem Eis einladen?«
»Nicht nötig!« Er wandte sich ab und trat, auf einen Gehstock gestützt, vor den Imbissstand.
Er bestellte sich einen Kaffee, ohne Elin anzusehen. Offenbar war die Unterhaltung für ihn beendet. Als er den Kaffee bezahlt hatte, nahm er sein Getränk entgegen und ging zielstrebig davon.
Er war unbestreitbar attraktiv, und seine Attraktivität wurde durch den Gehstock eher noch betont. Elin sah ihm nachdenklich nach. Er hatte etwas an sich, das sie berührte, auch wenn sie nicht hätte sagen können, was es war. Doch offenbar war er an einer näheren Bekanntschaft keineswegs interessiert.
Sie fragte sich, ob es in seiner Vergangenheit etwas gab, das ihn so verschlossen gemacht hatte.
Nachdenklich kehrte Elin zur Reling zurück. Während der Wind mit dem Rock ihres Sommerkleides spielte, verzehrte sie ihr Eis und erhaschte nach einer Weile einen Blick auf einen Windpark, der weit, weit draußen in der Ostsee lag. Gewaltige Windräder reckten sich aus dem Wasser in den Himmel. Elin machte einige Aufnahmen, während sie daran vorbeifuhren.
Als es ihr in der Sonne zu warm wurde, suchte sie sich einen Platz auf dem sonnenabgewandten Deck und beobachtete das Spiel von Wind und Wellen auf dem Meer.
In der Ferne zeichneten sich die Umrisse von Land ab, gewannen bald an Kontur und ließen Elin nach Luft schnappen.
Sie näherten sich der Insel Bornholm!
Ihr Handy stieß einen Piepton aus und signalisierte den Erhalt einer WhatsApp-Nachricht.
Elin warf einen Blick auf das Display.
Hallo, Weltreisende! Ist alles gut an Bord oder soll ich einen Trupp Rettungsschwimmer losschicken, um dich aus der Ostsee zu fischen?
Ein Lächeln huschte über Elins Gesicht. Die Nachricht kam von Samira. Die warmherzige Krankenschwester war nach ihrer Operation für sie da gewesen und hatte verhindert, dass Elin von ihrer Angst verschlungen wurde. Inzwischen zählte sie zu ihren besten Freundinnen.
Noch ist die Fähre nicht gesunken, schrieb sie zurück. Ich genieße die Fahrt und fühle mich wie auf einer Minikreuzfahrt.
Dann bin ich beruhigt, antwortete ihre Freundin postwendend. Sind denn schon ein paar attraktive Piraten in Sicht?
Elin lachte leise und tippte: Jack Sparrow hat sich leider noch nicht blicken lassen.
Zu schade! Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Sollte dir auf Bornholm ein netter Single-Mann über den Weg laufen, der ein großes Herz und kein Problem mit Schichtdiensten hat, bring ihn mir gern mit.
Ich werde sehen, was ich tun kann. Reicht notfalls auch eine Schachtel Lakritz als Mitbringsel?