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Die sieben badischen Freundinnen sind wieder da. Handtaschenjunkie Sylvia, die ehemalige Schönheitskönigin Ingrid, die bodenständige Lore, Hundeschriftstellerin Susanne, Johanna- Marie mit chronischen Trennungsgedanken, Familienmutter und Hausfrau Elke und das protestantisch-korrekte Nordlicht Gerda treffen sich jede Woche beim Stammtisch "Solo am Sonntag", um die größeren und kleineren Freuden und Sorgen des Alltags miteinander zu teilen. Ob es um Männer geht – "Net dass ich unbedingt einer will. Heutzutag ist e Frau auch allein en Wirtschaftsfaktor" – oder um Kinder – "Diese Einschränkunge im Freizeitbereich!" –, ob um einen Kirchenbesuch – "Gott is hier net. Hier isch's zu kalt" – oder um eine Vernissage ohne Besucher – "Kein Wunder, wenn man jemanden dabeihat, der so negativ ist wie du!" –, die Freundinnen müssen sich gegen die Tücken der heutigen Zeit bewähren. Da ist es tröstlich zu wissen: "Männer vergehe. Schließfächer bleibe!" Die Geschichten sind garniert mit wöchentlichen Wurstsalat- Variationen und mit sprühendem badischen Witz – Eva Klingler begeistert aufs Neue mit ihren vergnüglichen Geschichten nah am Puls der Zeit. Nach "Frauen wie wir" und "Suppengörls" ist "Solo am Sonntag" der dritte Band der beliebten badischen Frauengeschichten.
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Seitenzahl: 214
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Eva Klingler
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Solo am Sonntag
Eva Klingler, geboren in Gießen. Sie studierte in Mannheim Germanistik und Anglistik, absolvierte ein Volontariat beim SWR und arbeitete als Lehrerin, Journalistin und Bibliotheksleiterin. Sie hat über zwanzig Romane, Krimis sowie Satiren in verschiedenen Verlagen veröffentlicht. Heute lebt sie als Autorin und Dozentin mit ihrem Mann in Karlsruhe und Sélestat.
www.evaklinglerkrimis.de
1. Auflage 2016
© 2016 by Silberburg-Verlag GmbH,Schönbuchstraße 48, D-72074 Tübingen.Alle Rechte vorbehalten.Umschlaggestaltung: Christoph Wöhler, Tübingen.Coverfoto: © Sergii Moscaliuk – Fotolia.
E-Book im EPUB-Format: ISBN 978-3-8425-1726-4E-Book im PDF-Format: ISBN 978-3-8425-1727-1Gedrucktes Buch: ISBN 978-3-8425-1463-8
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»Also, Schorsch, kurze Einweisung«, sagt der Hubert, der Wirt des beliebten Lokals »Wurstsalat-Paradies«, zu seinem neuen Oberkellner, einem dünnen, hässlichen Kerl mit einer Miene wie ein schlecht gelaunter Spargel. »Alles ganz normale Leute hier, die Kundschaft. Nur am Sonntag, dahinten an dem runden Tisch, da kommen vielleicht ein paar Granaten, kann ich dir sagen!«
»Wie darf ich das verstehen, Boss?«
»Na ja, ein Frauenstammtisch. Sie nennen sich ›Solo am Sonntag‹, weil sie sonntags alleine sind und sich deshalb hier treffen. Obwohl einige von ihnen Männer haben, aber die sind wahrscheinlich sonntags beim KSC oder machen sonst was Vernünftiges.«
»Schöne Frauen?«
»Mal mehr, mal weniger, eher weniger. Im besten Alter. Reife Früchte. Sie reden und reden. Hab noch nie Kerle so viel reden hören. Vor allem nicht über Handtaschen!«
»Hahaha!«
»Eine hat wohl früher mal richtig gut ausgesehen, ich glaube, sie nennen sie Ingrid. War Schönheitskönigin hinten an der Murg. Und bildet sich heute noch was drauf ein. Aber der Ehemann, ich glaube, der hieß Rolf, meist nennt sie ihn aber den ›heimtückischen Betrüger‹, also der ist ihr entlaufen und jetzt sucht sie was Neues.«
»Wer sucht, der findet!«
»Nicht unbedingt, Schorsch. Dann ist da eine, die ist ein bisschen naiv. Lore heißt sie. So ein Pummel. Du erkennst sie, weil sie breitestes Badisch spricht. Ich glaub, die kann nichts anderes. Wenn sie nicht da ist, lachen die anderen über sie. Die sucht auch.«
»Suchen die alle nach Männern?«
»Nein, die Schicke nicht. Hat rote Haare auf dem Kopf und welche auf den Zähnen. Die ist mit sich zufrieden. › Sylvia mit den Handtaschen‹ hat dein Vorgänger zu der gesagt. Hat jedes Mal ne andere Handtasche dabei und immer schicke Klamotten. Aber die hat ne scharfe Zunge, musst ein bisschen aufpassen. Die blickt durch.«
»Merk ich mir, Boss.«
»Und dann haben wir noch die Frau Autorin. Brillenschlange, mausgraues Haar. Wichtig, wichtig. Die ist nicht immer dabei. Susanne Löffler. Schreibt Bücher, du glaubst nicht, über was!«
»Kerle?«
»Nee, Schorsch, würd sie wohl gerne. Hunde. Die schreibt Bücher, in denen sie beschreibt, wie sie mit ihrem Köter spazieren geht. Man glaubt es nicht, aber es gibt Leute, die das kaufen.«
»Echt jetzt, Boss?«
»Wenn du Essen bringst, musst du bei einer aufpassen, die Elke heißt. Die ist nämlich tatsächlich verheiratet und kocht daheim wie besessen für ihre Familie. Und meint, sie kann alles besser. Vor allem die Saucen! Meckert immer mal wieder. Aber bei der weiß ich manchmal nicht, ob sie es nicht faustdick hinter den Ohren hat. Wenn sie sich herrichtet, sieht sie ganz passabel aus.«
»Ach so. Stille Wasser sind tief, Boss, was?«
»Du blickst durch, Schorsch. Das gefällt mir. Und dann wär da noch eine andere, groß mit kurzen Haaren, die hat wohl einen Typen zu Hause, ich glaub, er heißt Torsten, aber sie ist immer nur am Meckern, er würd dauernd vor dem Computer sitzen.«
»Na und? Was soll er sonst machen?«
»Ja, ich versteh das auch nicht. Immer will sie mit ihm was unternehmen und ausgehen. Kino. Museum. Die soll doch den armen Kerl in Ruhe lassen. Sie hat schon so einen komplizierten Namen: Johanna-Marie. Bis der sie gerufen hat, ist das Essen kalt.«
»Hahaha. Das ist gut, Boss! Sind das alle?«
»Fast. Dann ist da noch eine, die ist zum Schreien komisch. Gerda heißt sie, aber alle nennen sie »Geerda«. Die kommt aus dem Norden, ich glaub Lübeck, und die hat immer Kostümchen an und Blazer und redet von irgend so einem Pastor, ich glaub, Stüveking heißt der. Man könnt sich kugeln. Und was man alles macht und nicht macht und wie die Leute, wie sagt sie immer … hier unten so sind.«
»Und die kommen jeden Sonntag?«
»Nicht immer alle vollzählig, aber ja, einige sind immer da. Glücklicherweise bestellen sie aber jetzt alle unseren guten Wurstsalat des Tages. Einige von denen haben wohl mal ne Zeitlang vegetarisch gegessen, aber diese Unsitte haben sie wieder abgelegt, was ich so raushöre. Neumodischer Kram. Und …«
»Ja, Boss?«
»Hör gut zu, was die reden. Mach ich auch. Unauffällig, verstehst du. Immer um den Tisch rum. Ob sie noch was brauchen. Getränke? Brezeln? Und dabei die Ohren gespitzt. Da kannst du nämlich trotzdem was lernen. Über die Frauen.«
»Was denn?«
»Bist du schon verheiratet?«
»Nein, Boss. Ich seh mich noch um. Und Sie?«
»Reden wir nicht drüber. Also, mach mal den Wurstsalat für heute fertig. Zu deinem Einstand klassische Art. Lyoner. Gurke. Zwiebel.«
»Gibt’s denn noch andere Wurstsalate, Boss?«
»Das kommt auf deine Phantasie an. Und darauf, was wir gerade in der Küche haben. Alles kann ein Wurstsalat sein. Wart’s ab.«
Heute trifft sich eine leider nur im übertragenen Sinne abgespeckte Runde am Stammtisch »Solo am Sonntag«, bestehend aus Hundebuchautorin Susanne, der norddeutschen Pietistin Gerda und der naiven Lore. Die schicke Sylvia, die modisch und auch sonst meistens ein bisschen Pep in die Runde bringt, wird gegen später erwartet.
Es gibt heute den klassischen Wurstsalat mit Lyoner, Gurke und Zwiebeln.
Das Gespräch dümpelt dahin. Wendet sich schließlich dem Thema »Sex and Karlsruhe City« zu.
Susanne behauptet mutig, sie erkenne es, wenn zwei Leute »nix mehr mitenanner habe außer de gegeseitige Renteansprüch!« Und sie setzt noch eins drauf: »Mer sieht des Mensche an, wenn sie noch richtigen, wilden Sex habe.«
»Über so etwas spricht man nicht!«, meint Gerda beleidigt. »Pastor Stüveking …«
»Der hat’s wahrscheinlich auch schon lang nicht mehr mit Madame Stüveking getrieben und wird’s auch nicht mehr tun, bis die Halligen untergehen«, unterbricht Susanne roh.
Gerda schüttelt den Kopf. Was haben nur alle in der Runde immer gegen den blassen, frommen Gottesmann aus dem protestantischen Nooorden?
Susanne steigert sich rein. »Ich seh des. Als Autorin. Ich hab dafür en Blick. Des junge Pärle dort, die sehe beide nach nix Besonnerem aus, sin aber froh, dass sie sich irgendwie gefunde habe. Die habe noch kein Sex, aber bald knallt’s. Er guckt sie nämlich noch so scheu an, des hört dann später auf. Und sie hat noch Vorfreud in de Auge.«
»Susanne!«
»Und die zwei dahinne, die habe garantiert seit Jahren nix mehr mitenanner. Er guckt ins Lokal, sie an ihm vorbei an die Wand. Ihr Händ versuche sich aus’m Weg zu gehe, ihr Knie habe Angst vor der Berührung.«
»Man muss doch nicht in einer öffentlichen Gaststätte …«
»Doch, Gerda. Da komme zwei, die habe e frisch gemachtes Baby dabei. Die hatte also logisch gerechnet was bis vor etwa 11 Monat, aber in letzter Zeit, seit der Schreihals da is, geht nix mehr. Sie hat kein erotische Fraueaugeaufschlag mehr, die hat nur noch en reine Mutterblick.«
»Das ist doch normal!«
»Nee, des is die Eintrittskart fürs Scheidungsgericht! Net heut, net morge, aber dann.«
»Susanne!!«
»Ich kenn mich halt aus.«
Der Wirt bringt noch Apfelsaft und Wein.
»Aber die beide, die jetzt reinkomme … Herrschafte, die habe noch Feuer im Gebälk. Mer sagt ja, dass gute Ehepaare sich mit der Zeit immer ähnlicher werde, und des is bei dene der Fall. Der Ausdruck in de Auge. Genau gleich. Mer sagt ja, Paare suche sich immer gegeseitig nach der ähnliche Position auf der Attraktivitätsskala aus. Und des stimmt bei dene. Groß, schlank, rötliche Haar. Und wie die sich angucke. Intensiv. Und vertraut. Und die habe sich viel zu erzähle. Lebhafte Unnerhaltung. Guck. Mer sagt, dass Unnerhaltung des beschte Vorspiel für geilen Sex isch. Die falle nachher tabulos übernanner her. Und wie er spielerisch nach ihrer Hand greift und sich den Ring ansieht, den er ihr geschenkt hat. Für was wohl? Die sin so vertraut mitenanner, da passt kei Blatt zwische Arsch und Hinnern. Also, die beide mache’s noch. Ich kenn mich aus.«
»Das ist eindeutig kein Thema für einen Damenstammtisch«, verkündet Gerda routinemäßig. »Meine Frau Mutter hätte den Tisch verlassen.«
»Oh, Gerda. Deine Frau Mutter hat diese Welt verlassen. Krieg dich ein. Ach, hallo, da kommt die Sylvia, die versteht mich.«
Sylvia samt neuer mauvefarbener Handtasche hat ihren Auftritt. Reibt sich die Hände.
»Brrr, kalt draußen. Hei, Mädels. Sorry, kein Parkplatz. Karlsruh halt. Sogar am Sonntag. Warum könne die Badener net daheim bleibe! Ich bestell mer erst was. Wie heißt der Neue? Aha, also: Schorsch, e Weinle! Worüber habt ihr geredet?«
Schorsch, der Kellner, grinst.
Gerda sieht sich um, leise: »Über den ehelichen Verkehr, den die Leute hier in dem Lokal angeblich haben oder nicht haben. Sylvia, ich muss dich morgen einmal persönlich sprechen …«
»Ja, Gerda, schon gut. Ihr habt also mal wieder über Sex geredet. Wer macht’s und wie?«
»Im ganze Lokal nur die zwei da drübe. Die falle, laut Susanne, nachher übernanner her!«, verrät Lore neidisch und deutet auf das Paar, dessen Unterhaltung immer leidenschaftlicher wird.
»Das stimmt!«, sagt Sylvia trocken. »Ich kenn die zwei. Des sin Sandy und Peter aus Malsch drübe. Und die falle wirklich übernanner her. Das heißt, ihre Anwält erledige das. Des sind Geschwister und die streite seit Jahre ums Erbe. Häusle. Grundstücke. E Waldstückle. Schmuck. Ringe, die sie angeblich der sterbende Mutter vom Finger gerisse hat. Total verfeindet. Dass ihr des net merkt. Die sehe sich doch total ähnlich.«
»Schorsch?«
Susanne bestellt sich noch e Weinle. Grad beim Sex kann mer sich täusche.
Immer noch eher kühle Januarstimmung im »Wurstsalat-Paradies«.
Man serviert den klassischen Wurstsalat von letzter Woche, mit Kressehäubchen, und deshalb heißt der Wurstsalat jetzt auch »Frische Brunnenkresse auf einem Lyoner-Bettchen«.
Lore stochert nur drin herum. Sie hat nach einem deprimierenden Blick auf ihr Geburtsdatum beschlossen, dass sie endgültig nicht mehr länger ein einsamer Single sein möchte, der krampfhaft vorspielt, er sei gar kein einsamer Single. Und tut aber erst mal so, als sei sie eigentlich einst eine ganz coole Socke gewesen.
Mit rauchiger Stimme verkündet sie jetzt am »Solo-am-Sonntag«-Stammtisch: »Mädels, mer habe viel Spaß gehabt, aber es wird nun wirklich Zeit.«
»Spaß, du?«, fragte Johanna-Marie sarkastisch. »Wann? Letzthin an Silvester? Ich weiß, dass du dir da die alten Folgen von der ›Schwarzwaldklinik‹ angeschaut hast.«
»Ja. Oder nein. Egal. Jetzt, wo’s aus ist mit dem …« Lore beugt sich vor und flüstert: »Ihr wisst schon, mit der Susanne ihrem Nachbar, der, der mich hübscher gefunde hat als die Susanne.« Lauter: »Also, aufs Alter möcht ich jedenfalls net allein sein!«
»Wir sind doch auch noch da! Alle für einen, einer für alle.«
Lore mustert die vertraute Runde, in der nur noch die Susanne fehlt.
»Danke sehr. Aber in dem Fall zählt ihr net. Ihr seid halt nur Freundinne. Also auch Fraue. Ich brauch aber en Mann, der mich betreut.«
»Meinst du jetzt einen Kerl oder einen Altenpfleger?« Sylvia lacht.
Ingrid schüttelt den einst schönheitspreisgekrönten Kopf. »Egal, was du suchst. Da find sich keiner. In unserem Alter gibt’s nix mehr. Den Saisonschlussverkauf hast du glatt verpasst. Wo willst du da noch einer auftreibe? Ich hab alles durch: Kino. Volkshochschul. Galerieeröffnunge. Konzerte. Kirchebesuche. Sogar Beerdigunge. Nix. Net mal mehr Lesbe sin zu kriege.«
»Beerdigungen? Du gehst gezielt auf Beerdigungen?« Gerda schüttelt den Kopf. Im Badischen sind die Leute anders, das weiß sie längst, aber so anders?
Ingrid erklärt: »Ja. Große Auswahl an Herren. Zunächst der Witwer selbst. Verletzlich. Aber das hält nur ganz kurz. Mer muss ihn abpasse, bevor die Lebenslust wieder erwacht. Dann wird er wie alle und will lieber was Junges. Dann gibt’s Freunde vom Witwer. Brüder der Verstorbene. Und die allgemein weiche Stimmung am offene Grab, die neue Bindunge fördert. Gedanke an die Einsamkeit und de Herbst vom Lebe. Da könnt also schon was gehe.«
»Sterben denn so viele heiratsfähige Leute in deinem Bekanntenkreis?«
Gerda würde sich jetzt gerne bekreuzigen, wenn sie nur katholisch wäre. Aber sie kommt aus dem Norden und aus dem Einflussbereich des guten, braven, stinklangweiligen Pastors Stüveking und ist deshalb evangelisch bis in den maritimen Blazer hinein.
»Des net. Aber es gibt ja noch die BNN und die Todesanzeige … Wenn warum oder zu früh drübersteht, könnt’s interessant sein.« Ingrid lacht freudlos.
Allen verschlägt es die Sprache angesichts dieses teuflischen Plans.
So trifft Susanne, die nun etwas verspätet hereinschneit, eine verdutzte Freundinnenrunde an. Sie setzt sich, ruft »Schorsch, a Weinle!« über die Schulter und weist Paul seinen angestammten Platz neben Sylvias neuer Handtasche zu.
»Des brauch ich alles net. Die Antwort ist da vor uns!«, sagt die Lore jetzt entschlossen und deutet auf Susannes Hund Paul, der sich gerade zusammenkringelt, weil er weiß: Das hier wird lange dauern.
»Wieso?« Susanne schält sich aus ihrem Mantel, während sie mit der anderen Hand nach dem Weinglas greift, das Schorsch ergeben vor sie hinstellt.
Ein Schluck und die Tagträume könnten jetzt eigentlich beginnen: Sie wird dieses Jahr einen ganz großen Roman schreiben, das spürt sie. Und in diesem Roman wird kein einziger Hund vorkommen. Sie ist mehr als Paul.
Lore stört: »Der Hund. Mit Hund lernt mer Männer kennen. Des is weithin bekannt.«
Susanne böse: »Ich geh viermal am Tag mit ihm raus. Und warum hab ich dann noch keinen?« Sie wirft drohende Blicke um sich. Wehe, wer die falsche Antwort gibt! Und dann vorsorglich: »Net dass ich unbedingt einer will. Heutzutag ist e Frau auch allein en Wirtschaftsfaktor.«
Lore macht den Mund auf und macht ihn bald wieder zu, weil ihr keine Antwort einfällt.
Dafür weiß Sylvia aber Bescheid: »Weil du Schriftstellerin bist. Des riecht nach was Besonderem. Und Männer wolle keine besondere Fraue, sondern ganz normale, so wie ihre Kusinen oder ihre Schwestern. Alles andere schmeckt für sie nach intellektuelle Überstunde. Abends, wenn sie daheim sind und endlich ihr Ruh habe wolle. Nur nix lese müsse. Oder gar drüber diskutiere. Das is Spitzgras für Kerle ab … naja … ab vierzig. Spätestens.«
Lore reist weiterhin als Anhalterin im Land der Fantasie umher. »Ein Mann, der dir abends die geschwollene Füßle eincremt, der dich im Krankehaus besucht und der mit dir gute Gespräche …«
»Ich kündige jetzt des Frau-mit-Herz-Abo für dich, Lore. Des sin Träum aus de 50er Jahre. Außer dene gute Gespräche natürlich. Die gab’s damals und heut net. Kein Mann will des.«
Lore lässt sich aus ihrem Land der Fantasie so schnell nicht vertreiben. »Leih mir dei Hundle, Susanne. Nur mal en Mittag. Am Freitag. Nee, besser am nächschte Sonntag. Um die Mittagszeit. Ich zieh des neue geblümte Kleid vom C & A an und geh mit Paul im Schlossgarte auf und ab und auf und ab, bis was passiert. Abends kann ich euch dann berichte.«
Beim nächsten Stammtisch »Solo am Sonntag« sieht eine gespannte Clique die Lore wieder.
»Bin ich kaputt!« Lore lässt sich auf einen Stuhl fallen.
Offenbar ist sie immer noch Single. Paul liegt in der Ecke und öffnet auf Zuruf nur ein Auge.
Lore seufzt, während sie den Wurstsalat des Tages mit Mais und Bohnen zu sich nimmt.
Susanne ist empört: »Lore, des erlaub ich net mehr! Du ruinierst ja mein Hund mit deine liebestolle Ausflüg! Der ist ja ganz fertig! Und ich hab bald en Auftritt in der Futterschüssel in Bruchsal. Da muss er fit und jugendlich-dynamisch aussehe! Selbstoptimierung gibt’s heutzutage auch für Hunde. Die Konkurrenz is groß. Kürzlich hat sich en Cavalier King Charles um Pauls Job beworbe. Mit Ohre so groß wie die vom echte Prinz Charles.«
»Genau, Selbstoptimismus. Also, ich erzähl euch von heut Mittag. Ich hab also regelmäßige Pause auf alle mögliche Bänk gemacht. Schon aus gewisse Gründ.« Lore leert mit vielsagendem Blick ein Glas Mineralwasser auf einen Zug.
»Hat es denn wenigstens was gebracht?«
»Also. Ich hab alles angesproche, was irgendwie männlich war und sich am annere End von einer Leine befunde hat. Einer hat echt gut ausgsehe, so en graumelierte Lockekopf, kreativ und sportlich, richtiges Alter, hat aber sei Töchterle dabeigehabt. Macht nix, denk ich. Krieg ich gleich e fertiges Kind mit dazu. Aber zu dem Mädle gibt’s auch e Mutti, hat er dann ganz müd erzählt, und bald e Brüderle. Sie liegt bereits in de Fraueklinik. En annerer hatte en Kampfhund mit Maulkorbzwang dabei. Auf seinem T-Shirt ist gestande: ›Es liegt nicht an dir. Ich hasse alle!‹ Einer mit em ganz goldige Chihuahua war schwul und war grad auf ’m Weg zu sei’m neue Freund. Und einer, so en großer dunkler Typ, hat gesagt, sein Hund ist ihm lieber als Mensche. Von Mensche hat er nämlich genug. Von Fraue sowieso. Ich fand’s auch eigeartig, dass er Plastikhandschuh und en Mundschutz getrage hat. En annerer war froh, dass sein Hund so treu war, als er im Knast gesesse is, und der Letzte, den ich getroffe hab, hat sich den Hund nur ausgeliehe, um Fraue kennezulerne.«
»Des hätt doch gepasst. Von der Motivation her.«
»Ja, mir habe uns auch länger unterhalte. Aber dann hat er gesagt, er will im Alter net allein sein und dass es auch günstiger ist, wenn mer sich e Zimmer im Betreute Wohne zusamme nimmt. Oder e Polin teilt.«
»Ja und?«
»Aber er will was Junges, mit der er sich die Polin teilt. Was ihn auch bestimmt bei beschter Gesundheit überlebt. Net, dass er sie noch pflege muss und die Polin hinnerher ganz allein bezahle müsst.«
»Ach je. Gibt’s so was wirklich! Und sonst ist nix passiert?«
»Ich hab aber am See hinte e total nette Frau kennegelernt. Ich hab ihr gesagt, des ist der Hund von ner Schriftstellerin. Da war se gleich sehr interessiert, während dene Männer des total wurscht war. Sie will demnächst zu deine Lesunge komme. Sie is beruflich Krankeschweschter. Mir habe gleich Adresse ausgetauscht. Wiebke heißt se. Wenn ich mal was bräucht, könnt ich sie jederzeit anrufe.« Lore seufzt. »Seht ihr. Ich denk grad um. Fraue sin halt doch die bessere Altersversorgung! Außerdem lernt mer leichter welche kenne, die gut aussehe, kei erkennbare Psychopathe sind und sonntagmittags Zeit habe.«
»Ebe!«, sagt Ingrid düster. »Lesbisch müsst mer sein!«
Der »Solo-am-Sonntag«-Stammtisch tagt. Die Stunde ist fortgeschritten. Ein ohnehin grauer und kühler Tag ist zum kalten Abend geworden. Die zweite Runde Viertele ist bereits fast getrunken. Nur die Autofahrerinnen sitzen mürrisch vor einem Mineralwasser.
Alle haben etwas gegessen, aber die meisten haben heute keine Lust auf Wurstsalat gehabt. Sylvia: Salat wegen der Linie. Ingrid: Risotto, keiner weiß, warum. Vielleicht hat sie ein Auge auf einen italienischen Risottokoch geworfen. Lore: Huhn mit Pommes, weil sich ein Huhn zu Hause für einen Single sonst nicht lohnt, und Elke: Braten mit Soße, weil sie wissen will, wie der hier schmeckt und ob sie etwas lernen kann, was sie aber nicht glaubt.
Gerda hat Matjes bestellt und die Nase gerümpft, als er kam: »Kann man hier unten nicht bestellen! Nicht süß genug.« Sie sagt »be-s-tellen« und rührt noch extra Zucker in die Sauce.
Johanna-Marie hat als Einzige den Wurstsalat des Tages bestellt, weil er aus einer hübschen Mischung von handlichen Miniwienerle und Minikarotten besteht.
»Das würd dem Torsten auch schmecken. Da trifft er mit der Gabel blind immer was zu essen und muss die Augen nicht vom Bildschirm nehmen.«
Ingrid hat noch etwas zu erzählen und muss es hastig loswerden: »Du, der Marius, ja, der aus dem Kreativlade vorn am Kreisel, ja, den ich mag … Der ist aber nicht treu und wird’s auch nie sein, das sagt er jeder Frau gleich von Anfang an und deshalb mach ich mir nix aus ihm, denn für einen untreue Kerl hätt ich auch mit meinem eigene Mann zusammebleibe könne, jedenfalls hat er mir e tolle Gschicht erzählt. Eine Gschicht von seiner Lebensform. Und die Lebensform nennt mer ›polyamor‹.«
Alle kichern.
Ingrids Mann Rolf hat sie für eine Saunabekanntschaft namens Gaby verlassen. Nachdem er Gaby lange genug nackt gesehen hatte, wollte er wissen, wie sie in T-Shirt und Jeans aussieht, und da war’s um ihn geschehen gewesen.
»Ich kenn nur Polycolor für mei Haar. Polyamor?«, fragt Lore, die leider monoamor ist oder vielmehr »gar nicht amor«.
»Ja, die Polyamoren habe viele Partner und keiner is eifersüchtig. Aber die muss mer halt auch erst auftreibe, die viele Partner, mit denen man dann polyamor sein kann. Der Marius lernt jedenfalls im Internet immer reife Fraue kenne. Und da war jetzt eine, die hat mit ihm vereinbart, dass sie sich in em total abgedunkelte Hotelzimmer treffe und miteinander schlafe, ohne sich jemals gesehe zu habe. Ist des net toll? Nur Berührunge und geflüsterte Wörter. Schmutzige Wörter. Gib’s mir. Ja, ja, ja, du Tier … so in der Art.«
»Sooo schmutzig? Wow. Und?«
»Na ja, und dann hatte sie also Sex, und es war super, sagt er, total intensiv, und am andere Morge will er mit ihr frühstücke und dann sieht er, dass sei Gespielin e Politesse is, die er schon mal als ›fette Bordsteinnutte‹ bezeichnet hat. Als sie ihm nämlich en Strafzettel in der Karlstraß unter die Scheibewischer geklemmt hat, obwohl er grad angsprunge kam und geloge hat, er wär mit seim kleine Bub beim Notarzt gewese. Jeder weiß doch, dass der Marius nur e Siamkatz hat.«
»Na ja, jetzt hat das ›Gib’s mir‹ wenigstens e neue Bedeutung. ›Gib mir den Strafzettel‹«, versetzt Sylvia trocken.
»Und?« Gerda tut zwar immer sehr protestantisch-prüde, aber jetzt will sie doch wissen, wie es ausgeht.
»Sie raus aus’m Bett, ins Bad, in ihr Uniform geschlupft und fort war se. Als er sich erholt hat, die Hotelrechnung bezahlt hat und runterkomme is, klebt en fetter Strafzettel an seim Auto. »Verkehrsuntüchtig« hat sie noch mit der Hand draufgschriebe. Darf mer des? E Dokument verändere?«
»Un? Is er jetz geheilt von dem Polydingsda?«
»Der Marius geht jetzt jedenfalls nur noch ins Parkhaus! Des kommt insgesamt billiger.«
Susanne hat ein Problem und das teilt sie mit dem Sonntagsstammtisch, der gerade durchaus angetan einen Drei-Sterne-Wurstsalat aus Rinderfiletstreifen und Apfelstückchen zu sich nimmt. Draußen herrscht feuchtkühles Erkältungswetter, da können die Apfelvitamine nicht schaden.
Susanne: »Ihr alle seid ja in irgendwelche Büros und schafft zu festgelegte Zeite. Wollt ich nie. Ich bin wie en Adler, der frei über eure kleinkarierte Bürowelte kreist.«
Der selbsternannte Adler bestellt sich bei Schorsch noch einen Wein. Sinnt nach.
»Wenn mer aber freiberuflich ist, dann braucht mer mehr Disziplin als der Normalmensch, also als Fraue wie ihr. Deshalb hab ich beschlosse, hinfort früher aufzustehe. Des is gut für den Biorhythmus un außerdem verlängert mer damit die Lebenszeit.«
»Wieso?«, fragte Lore. »Und was ist des: hinfort?«
»Das ist gutes Deutsch für ›von jetzt an‹. Ein schöner alter Ausdruck, der bei unserer sprachlich degenerierte Jugend ausgestorben ist, aber wir Autore kenne den noch, denn wir Autore sind die Hüter der Sprache. Schriftsprach.«
Elke, die als Einzige in der Runde über eine sprachlich degenerierte Jugend verfügt, hört gedanklich, wie Joanna zu ihrem Bruder sagt: »Hey, du Nerd, lass mich hinfort in Ruh mein Döner essen oder ich till aus!«
Elke seufzt in Gedanken. Bald ist Elternabend und sie wird wieder nichts Erfreuliches über ihre Brut hören. Vielleicht ist ja der attraktive Vater jenes Jungen da, der kürzlich im Medienraum heimlich 2000 Kopien von seinem Schülerausweis gemacht hat, damit der Mathelehrer später keinen Toner für die Kopie der Klassenarbeit mehr vorfindet. Ein Tag Schulverweis! Joanna hatte nur kommentiert: »Hat der ein Glück, echt, ey!«
Susanne entwickelt indessen ihre Theorie weiter.
»Also: Normalerweise schläft mer von … sage mer 23 Uhr bis morgens um sieben. Des sin acht Stund. Steh ich um fünf auf, was um die trübe Jahreszeit natürlich net einfach is, hab ich jeden Tag 2 Stunden mehr Lebenszeit. Des sin, wenn mer e paar Tag wie Krankheit un so weglässt, 700 Stunden mehr Lebenszeit pro Jahr. Wenn mer des durch 24 teilt, dann is klar, dass mer etwa 30 Tage mehr lebt. Also den Gegenwert von 30 Tag.«
Alle starren Susanne an. So schnell kann keine mitrechnen. Nicht nach zwei Viertele.
»Ich steh in Zukunft um haargenau 5 Uhr auf, verlängere dadurch mei Lebe arithmetisch und kann mehr schaffe! Kreativ gesehe.«
»Echt?« Wer anders als Lore könnte diese Frage gestellt haben!
Susanne steht tatsächlich am folgenden Montagmorgen um genau 6.21 Uhr auf. Reißt das Fenster zur Straße auf, die noch fast im Dunkeln liegt. Und schaut dennoch Dinge, die sie noch nie geschaut hat.
Beispielsweise die Zeitungsfrau. Eine derbe, verhärmte Frau mit struppigem Haar, die von einem Köter mit ähnlicher Frisur begleitet wird.
Susanne findet, dass es ihrer schriftstellerischen Authentizität gut täte, wenn sie sich mit genau dieser Frau jetzt unterhalten würde.
Bemühtes Hochdeutsch: »Ist das nicht sehr anstrengend, so früh aufzustehen?«
Die Frau starrt Susanne erstaunt an. »He? Wieso?«
Der Hund, der wohl noch niemals erlebt hat, dass sein Frauchen angesprochen wird, knurrt und zeigt ein paar gelbe, krumme Zähne.