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Luca könnte kaum glücklicher sein: Endlich steht ihre Hochzeit mit ihrer Jugendliebe Adrian kurz bevor. Noch dazu findet die Feier auf den Klippen von Howth statt. Dem Ort, in dem ihre beste Freundin Kate vor kurzem die Rainbow-Hearts-Library übernommen hat. Luca reist zunächst alleine in das irische Fischerdorf und fühlt sich in der Bücherei ihrer Freundin gleich wie zu Hause. Allerdings steckt sie schon bald bis zum Hals in Hochzeitsvorbereitungen und Adrian ist ihr im fernen München keine große Hilfe. Luca fühlt sich zunehmend allein gelassen. Bedeutet ihm dieser freudige Tag so wenig?
Als Emilio, ein guter Freund von Kate, Luca für die Planung seine Hilfe anbietet, nimmt sie die nur allzu gern an. Allerdings werden ihr die Unterschiede zwischen dem desinteressierten und festgefahrenen Adrian und dem spontanen und kreativen Emilio immer bewusster. Obwohl sie sich dagegen wehrt, kommt Luca dem charmanten Italiener während der Vorbereitungen näher. Bald muss sie sich eingestehen, dass ihr Herz und ihr Verstand nicht unbedingt einer Meinung sind ...
Der zweite Band der Reihe um die liebenswerte Bücherei der Herzen!
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Seitenzahl: 402
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Epilog
Danksagung
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Luca könnte kaum glücklicher sein: Endlich steht ihre Hochzeit mit ihrer Jugendliebe Adrian kurz bevor. Noch dazu findet die Feier auf den Klippen von Howth statt. Dem Ort, in dem ihre beste Freundin Kate vor kurzem die Rainbow-Hearts-Library übernommen hat. Luca reist zunächst alleine in das irische Fischerdorf und fühlt sich in der Bücherei ihrer Freundin gleich wie zu Hause. Allerdings steckt sie schon bald bis zum Hals in Hochzeitsvorbereitungen und Adrian ist ihr im fernen München keine große Hilfe. Luca fühlt sich zunehmend allein gelassen. Bedeutet ihm dieser freudige Tag so wenig?
Als Emilio, ein guter Freund von Kate, Luca für die Planung seine Hilfe anbietet, nimmt sie die nur allzu gern an. Allerdings werden ihr die Unterschiede zwischen dem desinteressierten und festgefahrenen Adrian und dem spontanen und kreativen Emilio immer bewusster. Obwohl sie sich dagegen wehrt, kommt Luca dem charmanten Italiener während der Vorbereitungen näher. Bald muss sie sich eingestehen, dass ihr Herz und ihr Verstand nicht unbedingt einer Meinung sind …
JANA SCHIKORRA
Für meinen Sohn.
Ich habe immer an Wunder geglaubt,und du bist meines.
Das größte von allen.
In Luca Winklers Augen trug die Sonne über Howth am heutigen Samstag ihr schönstes Gewand. In einen goldenen Schimmer gehüllt, der sogar den wenigen am Himmel stehenden Wolken einen magischen Schein verlieh, wachte sie wie eine flirrende Schutzpatronin über Klippen und Meer.
Obwohl es nur wenige Monate her war, dass sie Katherine Madigan besucht hatte, wurde Luca bei diesem Anblick klar, wie sehr sie das irische Küstendorf vermisst hatte. Das Plätschern der Wellen an den Hafenmauern, den alten Leuchtturm am Ende des Piers, den Anblick der vielen, in sanfter Brise schaukelnden Boote, den aus den Pubs und Restaurants strömenden Geruch nach gebratenen Meeresfrüchten und anderen Delikatessen, den Geschmack von Salz und Freiheit auf ihren Lippen …
Und natürlich ihre beste Freundin, die in diesem Moment auf das Bahnhofsgebäude zugeeilt kam, vor dem Luca mit ihrem roten Rollkoffer stand und das rege Treiben auf der Promenade beobachtete.
»Lu! Entschuldige die Verspätung!«
Atemlos und strahlend zugleich kam Katherine vor ihr zum Stehen und schloss sie sogleich in eine feste Umarmung. Der vertraute blumige Duft und das Kitzeln der üppigen braunen Haarpracht an ihrer Wange entlockten Luca ein fröhliches Glucksen.
»Es ist so schön, dich zu sehen«, murmelte sie ihrer Freundin in die Flechtfrisur, noch ehe sie sich voneinander lösten und einander voller Zuneigung betrachteten.
Katherine wirkte so ausgeglichen und glücklich, dass Luca beinahe das Herz überquoll. Außerdem sah sie einfach hinreißend aus: Eine tiefe Bräune überzog ihre Haut und ließ ihre grünen Augen funkeln wie Amethyste. Die sonst eher braunen Haare waren von Sonne und Meer deutlich aufgehellt worden.
Sie war schon immer schön gewesen, dachte Luca, doch seit ihre Freundin in Howth lebte, besaß ihr Gesicht eine ganz neue, fast überwältigende Vollkommenheit.
Katherine seufzte. »Ich freue mich so, dass du hier bist. Komm, gehen wir. Doran und Ivy haben gebacken. Nusskuchen. Sie meinten, du hättest ihnen bei deinem ersten Besuch im letzten Jahr gesagt, dass du den am liebsten isst. Und ich dachte immer, du würdest Kirsche lieber mögen. Schande über mich.«
Luca spürte, wie sich ihre Wangen vor Rührung röteten. »Was? Extra für mich? Gott, die zwei sind einfach zu lieb.«
Sie hatte die älteren Herrschaften bei ihrem ersten Besuch im Fischerdorf sofort lieb gewonnen. Vor allem Doran Donnelly, zu dem Katherine ein inniges freundschaftliches Verhältnis pflegte, war ihr damals nach nur wenigen gemeinsamen Stunden ans Herz gewachsen. Mit seiner edlen Kleidung, den Hüten und dem Spazierstock wirkte der alte Mann stets, als wäre er aus der Zeit gefallen. Luca mochte seinen eigenwilligen Stil ebenso wie seine aufmerksame, offene Art. Doch auch Ivy, die mit ihrer besten Freundin Brianna und deren Nichte Sophie eine örtliche Boutique besaß, war ihr positiv in Erinnerung geblieben. Immer schwer mit Schmuck behangen und vom Scheitel bis zur Sohle herausgeputzt, besaß auch sie eine liebenswerte Eigenwilligkeit.
»Sind sie«, stimmte Katherine zu, »aber der Rest freut sich genauso auf dich. Roxanne ist schon seit Tagen ganz hibbelig. Und Terry möchte dich unbedingt beim nächsten Spoil-Five-Turnier dabeihaben. Nur dass du vorgewarnt bist.« Grinsend schnappte sie sich den Griff des Rollkoffers und schlug den Weg in Richtung Ortszentrum ein.
»Hey«, protestierte Luca, »du bist doch nicht mein Packesel.«
»Aber deine Trauzeugin. Und somit dafür verantwortlich, dass es dir gut geht. Eine entspannte Braut ist eine glückliche Braut. Daran erinnert Doran mich schon, seit du die Einladungen verschickt hast. Er denkt wohl, ich nehme meinen Job nicht richtig ernst.«
Trauzeugin. Braut.
Bis zur Hochzeit waren es nunmehr zwei Wochen – dreizehn Tage, um genau zu sein –, und doch konnte Luca immer noch nicht recht glauben, dass sie und Adrian sich in Kürze tatsächlich das Jawort geben würden. Seit sechs Jahren gingen sie nun schon gemeinsam durchs Leben – mit einundzwanzig Jahren hatten sie einander in einem Münchner Nachtclub kennengelernt. Adrian war der erste Mann gewesen, den Luca in ihr Herz gelassen hatte, und würde nun ganz offiziell auch der letzte werden.
Wobei »offiziell« in diesem Fall relativ war, denn standesamtlich würden sie erst im Winter heiraten – am Todestag von Adrians Opa, der im vergangenen Jahr kurz vor Weihnachten überraschend verstorben war. Luca hätte die Reihenfolge gern andersherum gehabt: zuerst das Bürokratische inklusive Namenswechsel (sie würde fortan Luca Hofmann heißen), dann die freie Trauung mit anschließender Feier. Denn in Irland war es sogar möglich, nach vorheriger Anmeldung im Standesamt rechtsgültig durch einen staatlich zugelassenen Trauredner, einen sogenannten Solemniser, zu heiraten. Adrian aber hatte sich, abgesehen von dem für ihn so wichtigen Datum im Dezember, vor allem für die älteren Gäste, deren Englisch nicht besonders gut war, eine Rede in seiner Muttersprache gewünscht. Luca respektierte diesen Wunsch – nicht zuletzt, weil Adrian sich seinerseits einverstanden erklärt hatte, in Howth zu feiern. Bis Luca das kleine Küstendorf im letzten Herbst das erste Mal besucht hatte und seinem Zauber unwiderruflich verfallen war, hatten sie nämlich vorgehabt, sich ein Gutshaus in einem Münchner Vorort zu mieten und ihre Party dort auszurichten.
Luca lächelte. »Oh, ich bin mir sicher, keiner nimmt diesen Job ernster als du.«
Es stimmte. Katherine hatte sich von Anfang an so leidenschaftlich in die Hochzeitsvorbereitungen gestürzt, dass es Luca manchmal vorkam, als wäre sie selbst nicht einmal ansatzweise aufgeregt genug. Während sie der Zeremonie, die in der mittelalterlichen Burg Howth Castle stattfinden sollte, größtenteils entspannt entgegenblickte, war Katherine in Sachen Planung nicht zu bremsen gewesen. Emsig hatte sie Brautmodengeschäfte abtelefoniert, Listen mit Floristen und Konditoren erstellt und nach Feierabend in der Bücherei bis tief in die Nacht hinein Deko gebastelt – nicht, ohne Luca über alle Fortschritte auf dem Laufenden zu halten.
Katherine warf sich lachend den langen Zopf über die Schulter. »Wo du recht hast … Es macht mich ja wirklich ein bisschen verrückt, dass ich in der Bücherei noch nichts machen kann. Aber immerhin wissen inzwischen alle Leser Bescheid, dass ich am Freitag vor der Hochzeit zu Vorbereitungszwecken geschlossen habe.«
Luca schüttelte schmunzelnd den Kopf. Katherine hatte ihr bereits Fotos von dem Aushang geschickt, der an Schaufenster und Tresen der Rainbow-Hearts-Library pinnte: Achtung, Achtung! Geänderte Öffnungszeiten aufgrund dringend anstehender Hochzeitsvorbereitungen für den großen Tag meiner allerbesten Freundin: Am 20.07. keine Leihe, keine Rückgabe und kein Verkauf. Mahngebühren werden selbstverständlich ausgesetzt.
Im Anschluss an die in der Burg stattfindende freie Trauung sollte es zunächst auf die Klippen gehen, wo Cadan Fotos von Brautpaar und Hochzeitsgesellschaft schießen würde. Danach wollten sie, gemeinsam mit der Truppe rund um Mr Donnelly, in der Rainbow-Hearts-Library feiern. Für die Umgestaltung des Raumes würden sie allerdings weit mehr Zeit benötigen als einen Abend, weswegen Katherine vorgeschlagen hatte, bereits am Donnerstag nach der Schließung anzufangen und sich am Folgetag freizunehmen.
»Ich verdiene dich nicht. Jetzt gehen dir meinetwegen auch noch Einnahmen flöten.«
Katherine winkte ab. »Die hole ich schon wieder rein. Die Teilnehmerliste für den nächsten Schreibabend platzt aus allen Nähten. Wahrscheinlich, weil alle von mir wissen wollen, wie deine Feier war. Und außerdem«, sie imitierte ein empörtes Hüsteln, »kann sich nun wirklich niemand beschweren. Ich hatte seit der Wiedereröffnung zwei Tage Urlaub. Zwei! Da bin ich in etwa gleichauf mit Adrian, oder?«
Sie verließen die Promenade in Richtung des Ortsinneren.
Hier in den schmalen, sanft ansteigenden Straßen mit ihren zauberhaften Häusern herrschte eine angenehme sommerliche Stille.
»Ja«, seufzte Luca, »das kommt hin. Aber lange muss er ja zum Glück nicht mehr durchhalten.«
Da sie selbst noch ausreichend freie Tage zur Verfügung und für diese so besondere Zeit sogar einige Wochen unbezahlten Urlaub genommen hatte, war sie mit Adrian übereingekommen, bereits eher nach Howth zu kommen. Immerhin war er noch in ein wichtiges Projekt eingespannt, das ihm kaum einmal eine freie Minute gönnte. Ebenso wie der überschaubare Rest der Familie und die langjährigsten gemeinsamen Freunde, würde er am frühen Morgen vor dem Tag der Party anreisen, während der zweite Teil der Gäste voraussichtlich erst am Abend oder am folgenden Morgen eintraf. Am Montag nach den Feierlichkeiten sollte es dann in die gemeinsamen Flitterwochen gehen – fast einen ganzen Monat lang würden sie ihr Defizit gemeinsamer Zeit ausgleichen und es sich auf Kreta, ihrer liebsten aller griechischen Inseln, gut gehen lassen, und auch danach lagen in München noch ein paar gemeinsame Tage vor ihnen.
»Das stimmt. Und wenn er erst mal hier ist, ist sein ganzer Stress bestimmt ganz schnell vergessen.« Kate lächelte und blieb vor einem beschaulichen Haus mit hellblauem Anstrich und einer mit Muscheln verzierten Tür stehen. Obwohl sie Luca ohne zu zögern direkt bei sich im Haus einquartiert hätte, hatte diese sich ein Zimmer im Seashell gebucht – jenem Hotel, das Katherine ihr bereits bei ihrem letzten Besuch in Howth empfohlen hatte. Vor allem, weil sie Kate die nächtliche Zweisamkeit mit ihrem Freund Cadan nicht nehmen wollte. Am Ende würde sie vermutlich dennoch die meiste Zeit bei ihrer Freundin verbringen, doch so blieb ihr immerhin theoretisch die Möglichkeit eines Rückzugs.
»Also: Ab ins Hotel, dein Gepäck abladen und dann zu mir, ja? Dein Kuchen wartet.«
Lucas Magen antwortete mit einem vernehmlichen Knurren, und die Wärme kroch zurück in ihre Glieder. »Einverstanden.«
Eine Katzenwäsche und ein nettes Gespräch mit Mae, der Empfangsdame des Hotels, später bogen Luca und Katherine endlich in die vertraute, leicht ansteigende Straße zur Rainbow-Hearts-Library ein.
Es dauerte nicht lange, bis das breite Schaufenster der Bücherei in Sicht kam und Lucas Herz von einer wilden Wiedersehensfreude geflutet wurde. Mit den Händen die Sonne von den Augen abschirmend, warf sie einen Blick hinein.
Alles sah noch genauso hinreißend aus wie im Februar, als sie es Adrian voller Begeisterung gezeigt hatte: die mit Buchstaben verzierte Theke, die bis unter die Decke reichenden dunklen Regale, die gemütliche Schreibecke und der kleine, liebevoll dekorierte Verkaufsbereich.
Am liebsten wäre Luca geradewegs durch die Scheibe gestiegen, um den herrlichen Bücherduft einzuatmen und sich vom Zauber der zwischen den Seiten ruhenden Briefe einhüllen zu lassen. Nie würde sie den märchenhaften Moment vergessen, in dem sie von dem besonderen Konzept der Rainbow-Hearts-Library erfahren hatte – davon, dass ihre Besucher alles, was ihnen auf der Seele brannte, niederschreiben und es anschließend in ihren Lieblingsromanen verstecken konnten. Sie war voller Vorfreude darauf, auch wieder ein paar Zeilen zu Papier zu bringen und sie der Bücherei anzuvertrauen.
Doch dafür würde später – und in den kommenden zwei Wochen – sicher noch genug Zeit sein.
Mit klimperndem Schlüsselbund winkte Katherine sie zur charakteristisch grünen Tür des Hauses, das sie letztes Jahr so unverhofft geerbt hatte.
Luca versuchte oft, sich vorzustellen, wie es für ihre beste Freundin gewesen war, hier zu stehen und zu realisieren, dass zu ebendiesem Haus auch die kleine Bücherei gehörte. Denn bis zu ihrem Treffen mit dem Nachlasstreuhänder hatte sie nichts von der Existenz der Rainbow-Hearts-Library geahnt.
Im Nachhinein, dachte Luca rührselig, war die überraschende Entdeckung dieses wunderbaren Ortes genau das gewesen, was Kate letztlich dazu bewogen hatte, das Erbe anzutreten.
»Hereinspaziert.«
Luca trat hinter Katherine in den schmalen Flur, der großzügig mit den Treibholz-Kreationen ihrer verstorbenen Tante Fiona bestückt war. Sie fand, dass es hier immer ein bisschen nach Wald und Meer roch – harzig und salzig zugleich. Eine ganz besondere Mischung, die ihr zuvor noch nirgendwo begegnet war. Heute allerdings gesellte sich noch eine andere, nussig-süße Note dazu.
Wieder reagierte Lucas Magen mit einem vernehmlichen Rumoren. Bis auf ein Sandwich am Flughafen hatte sie heute noch nichts gegessen.
»Nach dir«, sagte Katherine fröhlich und nickte in Richtung Küchentür.
Luca schlüpfte aus ihren Schuhen und ging, eine angenehm kribbelige Nervosität in der Brust, voran. Ob Ivy und Doran hier waren? Oder hatten sie Kate nur den Kuchen vorbeigebracht?
Die Antworten auf diese Fragen ließen nicht lange auf sich warten, denn die kleine Küche platzte aus allen Nähten. Nicht nur die fleißigen Bäcker selbst, sondern auch Roxanne, Brianna, Mrs Seymour und sogar Sophie waren gekommen, um Luca willkommen zu heißen. Sie alle saßen um den reich gedeckten Tisch, in dessen Mitte der größte Nusskuchen stand, den Luca je gesehen hatte.
Cadan war halb hinter der geöffneten Kühlschranktür verschwunden und tauchte schnell wieder auf, als er sie reinkommen hörte. Zuerst fiel sein Blick auf Katherine. Es lag so viel Wärme darin, dass Luca an sich halten musste, um keine entzückten Geräusche von sich zu geben. Seit der Fotograf – Mr Ireland, wie sie ihn damals getauft hatte – und ihre beste Freundin sich während Kates erstem Besuch in Howth zufällig auf den Klippen begegnet waren, hatte sie gehofft, dass aus den beiden ein Paar werden würde. Und nun führten sie tatsächlich schon seit einem guten Jahr eine Beziehung.
»Luca! Wie schön, dass du hier bist.« Nun sah Cadan sie an. Wieder dachte Luca, dass Kate mit ihm einen wirklich tollen Fang gemacht hatte. Nicht nur, dass er mit seinen außergewöhnlichen Bernsteinaugen, den dunklen Haaren und der muskulösen Statur gut aussah, er war zudem noch ausgesprochen charmant und ergänzte Kate auf eine beinahe märchenhafte Art und Weise. Es verging kein Tag, an dem Luca sich nicht für die beiden freute.
Ergriffen von den vielen strahlenden Gesichtern, die ihr entgegenblickten, legte sie sich eine Hand auf die Brust. »Es ist so toll, euch alle zu sehen.«
Im Gegensatz zu Kate, die im Englischen durch ihre irische Mutter schon immer sicher gewesen war, musste Luca stets erst eine kleine Hemmschwelle übertreten, bevor sie sich in der Fremdsprache verständigte. In der Regel dauerte es aber nicht lange, bis sie sich ihres Akzents nicht mehr allzu deutlich bewusst war und die Kommunikation sich natürlich anfühlte.
Luca umrundete den Tisch und umarmte jeden Einzelnen von ihnen: Sophie, Briannas hübsche Nichte, die im letzten Jahr für so viel Trubel zwischen Kate und Cadan gesorgt hatte, Brianna selbst, die ihr Make-up wieder einmal dem Ivys angepasst hatte, Doran, der heute einen festlichen senfgelben Leinenanzug trug, Roxanne, die sich ihre Stachelfrisur violett getönt hatte, Ivy, deren schwere Ohrringe in der Bewegung klimperten, Mrs Seymour mit ihrer angenehmen mütterlichen Aura und zuletzt Cadan, der in jeder Hand eine gekühlte Weißweinflasche hielt.
»Du solltest dich noch stärken, bevor es losgeht«, sagte Katherine kryptisch, als Luca sich setzte, und deutete auf den Kuchen. Doran machte sich sogleich daran, ihr ein Stück auf ihren Teller zu laden.
Irritiert hob sie die Brauen und sah ihre Freundin an, deren Lippen sich unter einem unschuldigen Grinsen kräuselten.
»Stärken wofür?«
Anstelle einer Antwort nickte Katherine Ivy zu, die einen Fetzen rosafarbenen Stoff unter dem Tisch hervorzog. Was Luca auf den ersten Blick für ein Geschirrtuch hielt, stellte sich bei näherem Hinsehen als Schärpe mit dem goldenen Aufdruck Bride to be heraus. Mit einem schalkhaften Funkeln in den schönen verschiedenfarbigen Augen überreichte sie Luca die Binde.
»Das ist doch nicht euer Ernst.« Amüsiert und resigniert zugleich nahm sie das unverwechselbare Indiz für einen Junggesellinnenabschied entgegen und wedelte damit in Katherines Richtung. »Ich hatte doch schon einen!«
»Ja, einen, bei dem ich wegen meiner blöden Erkältung nicht dabei sein konnte. Also gibt es noch einen zweiten.«
»Ja«, bekräftigte Roxanne, stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab und lehnte sich mit glitzernden Augen in Lucas Richtung, »und zwar mit uns alten Ladys.«
Ivy, Brianna und Mrs Seymour johlten zustimmend und erstickten jeden weiteren Protest damit im Keim.
Was für eine lustige Truppe sie doch abgeben würden!
»Keine Sorge, wir ziehen uns gleich zurück«, bemerkte Doran mit einem Zwinkern in Cadans Richtung.
»Ach, Quatsch, das müsst ihr doch nicht.«
Cadan warf die Hände in die Luft. »Brauch ist Brauch. Doran und ich machen heute unsere eigene Tour.«
»Puh. Na gut.«
Luca seufzte kapitulierend und band sich unter ausgelassenem Klatschen die Schärpe um. »Dann schätze ich, bin ich bereit für den Mädelsabend.«
»Steht dir hervorragend«, bemerkte Sophie grinsend.
Luca fing ihren Blick auf und lachte. Sie war heilfroh, dass Kate und die junge Irin, die ihr doch auf Anhieb sympathisch gewesen war, wieder zueinandergefunden hatten.
»Auf jeden Fall. Schmeichelt meiner Figur.« Sie sah an sich herunter. Hätte ich das gewusst, dachte sie, wäre ich nicht in ausgewaschenem T-Shirt und Jeans hergekommen und hätte mich wenigstens ein bisschen schick gemacht.
Im selben Moment trat Katherine hinter ihren Stuhl und legte Luca die Hände auf die Schultern. »Mein Kleiderschrank ist dein Kleiderschrank«, sagte sie beschwörend und stellte damit wieder einmal unter Beweis, dass Gedankenlesen unter besten Freundinnen etwas vollkommen Normales war.
»Na, Gott sei Dank. Dein Make-up auch?«
»Klar.«
»Perfekt. Das heißt, ich muss mich wenigstens nicht verkleiden?«, fragte Luca hoffnungsvoll.
In München hatte sie ein Einhornkostüm tragen müssen und einen Bauchladen umgeschnallt bekommen. Ein Outfit, das sie so schnell nicht wieder tragen wollte. Um nicht zu sagen, niemals.
Roxanne antwortete, indem sie ihrerseits etwas unter der Tischplatte hervorholte: ein plüschbesetztes Diadem.
»Nein. Nur ein klitzekleines bisschen.«
Sie stießen mit Lucas Lieblingswein, einem Sauvignon Blanc, an und aßen den Kuchen bis zum letzten Krümel auf.
Um 19 Uhr deutete Katherine an, dass es für Luca Zeit wäre, sich fertig zu machen. Was sie und die anderen sich für den Abend überlegt hatten, verrieten sie nicht – egal, wie sehr Luca sie auch löcherte.
Mit vor Neugier und Wein ganz warmen Wangen ging Luca über die Steintreppe nach oben und in Katherines Schlafzimmer.
Der kleine Raum mit der Dachschräge und dem verspiegelten Kleiderschrank war ebenso gemütlich wie der Rest des Hauses.
Erneut dachte Luca, was für einen Kontrast es doch zu Katherines Wohnung in München bildete. Überhaupt war das Leben hier so herrlich anders als in der Großstadt. So langsam. Entschleunigt, ohne dabei langweilig zu sein.
Ein sehnsuchtsvolles Ziehen meldete sich in ihrer Bauchgegend.
Es war nicht das erste Mal, dass sie es in Zusammenhang mit dem Küstendorf verspürte. Vor allem während der letzten Monate (besonders schlimm war es im Winter gewesen) hatte sie nachts oft wach gelegen und sich ausgemalt, wie es wäre, mit Adrian ebenfalls einen Neuanfang zu wagen. Nicht zwingend in einem anderen Land, wobei der Gedanke an Irland durchaus verlockend war, aber doch wenigstens in einer anderen Stadt. Für immer in München zu bleiben, würde bedeuten, sich niemals aus seiner Komfortzone herauszubewegen und auf wertvolle Erfahrungen zu verzichten.
Doch Adrian sah das anders. Er sah vieles anders. Luca stutzte. Apropos Adrian … Irritiert stellte sie fest, dass sie ihm seit ihrer Landung in Dublin gar nicht mehr geschrieben hatte. Schnell tippte sie eine Nachricht.
Bin gut bei Kate angekommen und starte gleich in meinen zweiten Junggesellinnenabschied. Ja, in den zweiten!! Verrückt, oder? Ich habe echt nichts geahnt. Melde mich später noch mal. Mach dir einen schönen Abend. Liebe dich!
Ein paar Sekunden lang fixierte sie die Statuszeile neben seinem Profilbild, doch Adrian kam nicht online, um die Nachricht zu lesen. Sicher war er beschäftigt.
Seufzend widmete Luca sich wieder dem Grund, warum sie hochgekommen war, schob die linke Schranktür auf und ließ den Blick über Kleider, Oberteile und Hosen schweifen. Sie entschied sich für eine schlichte Kombination aus Jeansshorts und Tunika-Bluse, band sich die langen blonden Haare zu einem hohen Pferdeschwanz und wollte gerade ins Bad gehen, als sie die rechte Schranktür plötzlich magisch anzog.
Denn dahinter, eingepackt in einen Kleidersack, wartete ihr Hochzeitskleid seit einigen Monaten geduldig darauf, alle anwesenden Partygäste mit seinem Anblick zu verzaubern.
Einem plötzlichen Bedürfnis folgend, schob Luca auch diese Seite des Schranks auf.
Dort, ganz außen, neben einer beachtlichen Anzahl von Jacken, hing er, der Stoffbeutel mit so besonderem Inhalt – direkt über einem Schuhkarton mit champagnerfarbenen, nicht minder besonderen Pumps. Mit leicht geöffneten Lippen zog Luca den Reißverschluss des Sacks nach unten. Der darunterliegende Traum aus weißer Spitze entlockte ihr auch jetzt einen ungläubigen Laut des Staunens. Es klang wie ein Klischee, und doch war es wahr: In diesem Kleid, mit der engen Korsage, dem ausladenden Rock und den seidendünnen Ärmeln, die bis zum Ellbogen reichten, fühlte Luca sich wie die Märchenprinzessin, die sie als Kind immer hatte sein wollen.
Katherine und sie hatten es während Lucas Februar-Aufenthalts spontan in Dublin gekauft, nachdem sie Adrian, der nur ein Wochenende geblieben war, zum Flughafen gebracht hatten. Seither hing es bei Kate – es mit nach Hause zu nehmen, nur um es ein paar Monate später wieder in einen Koffer zu quetschen und herzutransportieren, hätte wenig Sinn gemacht, zumal Luca ohnehin vorhatte, sich am Tag der Tage bei ihrer besten Freundin fertig zu machen und umzuziehen. Sie wusste, dass ihre Mutter und ihre Schwiegermutter ihr immer noch übel nahmen, nicht beim Kleiderkauf dabei gewesen zu sein und das gute Stück bisher nur auf Fotos zu Gesicht bekommen zu haben, doch rückblickend war es ihr nur recht so. Luca liebte die beiden, doch jede konnte bereits für sich genommen sehr anstrengend sein. Trafen sie aufeinander – was sich am Tag der Hochzeit kaum würde vermeiden lassen –, waren sie kaum zu ertragen.
Doch daran wollte Luca jetzt nicht denken. Stattdessen stellte sie sich vor, die Hand immer noch auf dem strahlenden Saum des Kleides, wie sie in knapp zwei Wochen vor den Altar treten würde, den Stoff ihrer Schleppe über das uralte Gestein schleifend und mit dem blauen Blumenkranz in ihrem hellblonden Haar, der die Farbe ihrer Augen aufnahm.
Ob sie Adrian gefallen würde? Wie würde er reagieren, wenn er sie sah? Und was würde sie bei seinem Anblick empfinden?
Luca tastete in ihrem Herzen nach den großen Gefühlen, die sie aus Filmen, Büchern oder von den Erzählungen bereits verheirateter Freunde kannte. Doch so sehr sie sich auch bemühte, gerade wollte sich dieses wilde, unbändige Glück nicht finden lassen.
»Lu? Alles klar da oben?«
Luca zuckte zusammen. »Ja, komme sofort.« Sie zog den Reißverschluss wieder nach oben, strich den Kleidersack glatt und atmete ein paarmal tief ein und aus.
Alles war gut, ihre Empfindungen sicher normal. Drehten nicht viele Bräute kurz vor der Hochzeit noch einmal ein kleines bisschen durch?
Luca lächelte ihr Spiegelbild zurückhaltend an.
Wenn es so wäre, dann würde sie heute immerhin in Gesellschaft vieler lieber Menschen durchdrehen.
Der erste Stopp des Abends war der Cliff Walk.
Für den Weg dorthin stattete Roxanne jeden von ihnen mit einem Piccolo aus, dessen süßer Geschmack nach Erdbeeren und Vanille Luca angenehm auf der Zunge prickelte.
Auf den Klippen angekommen, lotste Katherine sie zu einem von Ginsterbüschen und Heidekraut gesäumten Aussichtsplatz.
Aus dem Rucksack, den sie dabeihatte, zauberte sie eine große Picknickdecke, selbst gemachten Likör, Wasser, eine Musikbox und ein paar beschriebene und mit Fotos beklebte Karten.
»Wir haben beschlossen, liebste Lu, dass du dir ab sofort jedes Getränk des Abends verdienen musst. Starten wir mit einem kleinen Quiz zu alten Zeiten. Frage Nummer 1: In wen waren wir in der zweiten Klasse so verliebt, dass wir zur Schulkrankenschwester gegangen sind und darum gebettelt haben, dass sie uns wieder gesund macht? War das a) Henrik oder b) Yannick?«
Es gab insgesamt sieben Fragen zu beantworten, von denen jede längst verstaubte Erinnerungen wiederbelebte. Lachend ließen Luca und Kate ihre Schulzeit Revue passieren – und unterhielten Ivy, Roxanne, Mrs Seymour, Brianna und Ivy prächtig mit ihren Anekdoten.
Unter einem rosa Himmel, der das Meer zu Füßen der Klippen in ein mystisches Licht tauchte, brachen sie schließlich zur zweiten Station auf: einer Hafenbar, die Cocktails zum Mitnehmen anbot.
Um ihren gewünschten Cocktail zu bekommen (eine verboten lecker klingende Kalorienbombe aus Sahne, Kokosnuss, Rum und Mango), musste Luca ihre Bestellung singend aufgeben.
Der Barkeeper, ein älterer Herr mit Vollbart, der wie der Inbegriff eines Seemanns aussah, war von ihrem Ständchen so angetan, dass er ihnen ein paar Tüten Salt-and-Vinegar-Chips und einen Gratisdrink spendierte.
Kichernd wie Teenager saßen sie wenig später nebeneinander auf der Hafenmauer, schlürften ihre Getränke, knabberten Chips und ließen ihre Beine über den seichten Wellen baumeln.
Weiter ging es in einem Pub, in dem Luca sich innerhalb eines festgelegten Zeitraums von zunächst fünf Minuten jeden Schluck ihres Weines und jeden Bissen ihres Essens erwürfeln musste. Nur, wenn sie eine Sechs würfelte, durfte sie zugreifen oder trinken. Alle anderen Zahlen bedeuteten, dass sie zu von Ivy und Brianna ausgewählten Songs tanzen musste (beide bedienten die Jukebox). Die Stimmung wurde immer ausgelassener, und bald schon war Luca nicht mehr die Einzige, die sich zur Musik bewegte. Lachend wirbelten sie über das Parkett, mal Arm in Arm, mal jede für sich, und schnitten zwischendurch Grimassen für Kates Handykamera.
Luca wusste nicht, wann sie sich zuletzt so frei und unbeschwert gefühlt hatte. Bei ihrem Junggesellinnenabschied in München war sie die ganze Zeit über irgendwie abwesend gewesen, hatte nicht im Moment gelebt. Hier war es anders. Hier konnte sie Sekunden, Minuten und Stunden ganz bewusst genießen.
Umso geknickter war Luca, als die Truppe sich langsam auflöste. Zuerst verabschiedete sich Mrs Seymour, dann Ivy und Brianna, und schließlich auch Roxanne und Sophie. Alle bedankten sich überschwänglich bei Luca für den tollen Abend – und sie tat es ihnen gleich. Niemals hätte sie damit gerechnet, von Menschen, die sie doch eigentlich kaum kannte, so großartige Stunden geschenkt zu bekommen.
»So«, Katherine hakte sich bei Luca unter, als sie hinaus in die laue Sommerluft traten. »Wie wär’s? Gehen wir noch auf einen Absacker ins Murphy’s?«
Luca pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. Sie trug noch immer Plüschdiadem und Schärpe und war sich inzwischen sicher, dass beide Accessoires wunderbare Andenken an diesen einzigartigen Abend sein würden. Ein Abend, der allem Anschein nach doch noch kein Ende nahm.
Sie fühlte sich wie elektrisiert. Zurückversetzt in die Jahre vor ihrer Beziehung mit Adrian, in denen sie noch regelmäßig mit Kate um die Häuser gezogen war.
»Wie könnte ich da Nein sagen?«
Luca kannte den Weg zum Murphy’s nicht, also ließ sie sich von Katherine führen.
Howth war bei Tag bereits zweifellos eine Schönheit, doch auch die Nacht stand dem Fischerdorf unverschämt gut. Die Promenade erstreckte sich in warmem Laternenlicht vor ihnen, das gen Klippen von beleuchteten Fenstern abgelöst wurde. Von hier aus, wo doch nur die schattigen Konturen der Steilküste zu sehen waren, sah es stellenweise ein wenig so aus, als würden die Lichter in der Luft schweben.
Nach wenigen Gehminuten erreichten sie den Pub – oder besser gesagt die Bar, denn das mit auffälliger Leuchtschrift versehene Gebäude besaß einen modernen jugendlichen Touch.
»Ich war noch nicht oft hier«, gestand Katherine, als sie hineingingen und auf eine Eckbank mit fliederfarbenen Polstern zusteuerten, »aber Sophie hat gesagt, dass sie hier am längsten geöffnet haben. In den meisten Pubs hier ist am Wochenende spätestens um Mitternacht Zapfenstreich. Aber auch nur, wenn die Hütte voll ist. Sonst früher.«
Im Murphy’s war die Hütte ganz und gar nicht voll, ein paar Besucher saßen aber doch noch mit gefüllten Gläsern an ihren Tischen. Aus den Deckenlautsprechern rieselte angenehme Musik, und hinter der hell beleuchteten Theke mixte ein Barkeeper gerade in beeindruckender Geschwindigkeit einen Cocktail.
Katherine schob Luca die Getränkekarte über den Tisch hinweg zu.
»Hier gibt es so ziemlich alles, was das Herz begehrt«, erklärte sie, als etwas hinter Luca ihre Aufmerksamkeit erregte. »Ach, guck mal einer an. Da hatte wohl jemand Sehnsucht.«
In Erwartung, Cadan und Doran zu sehen, drehte Luca sich um und folgte Katherines Blick. Doch der Mann, der dort an der Seite Cadans durch die Tür der Bar trat, war weder alt noch klein, sondern hochgewachsen, jung und gut aussehend. Sie erkannte ihn sofort.
Emilio.
Als Luca Kate im Februar besucht hatte, waren sie einander nur flüchtig begegnet, doch der Halbitaliener war ihr vor allem von ihrem Aufenthalt im letzten Jahr im Gedächtnis geblieben.
Damals war es ihm kaum gelungen, sein Interesse an ihr zu verbergen. Luca erinnerte sich lebhaft daran, wie seltsam es für sie gewesen war, von einem anderen Mann als ihrem langjährigen Freund voller Begehren angesehen zu werden.
Seltsam, aber auch aufregend. Nicht einmal ihrer besten Freundin hatte sie anvertraut, dass sie Emilios Aufmerksamkeit sogar ein wenig genossen hatte.
Auch jetzt spürte Luca ein kaum wahrnehmbares, verheißungsvolles Ziepen hinter dem Brustbein, das ihr sofort ein schlechtes Gewissen bescherte. Als ihr im selben Moment einfiel, dass sie sich nicht wie versprochen noch einmal bei Adrian gemeldet, sondern ihr Handy die ganze Zeit über unangetastet in ihrer Handtasche gelassen hatte, nahmen die Gewissensbisse noch weiter zu.
»Ich schwör’s dir, ich wusste nicht, dass die zwei heute unterwegs sind«, raunte Katherine ihr zu. »Doran hat wahrscheinlich nicht so lange durchgehalten.«
Luca machte eine wegwerfende Handbewegung. »Alles gut, kein Problem.«
Sie hatte sich wieder Kate zugewandt, hörte hinter sich jedoch Schritte näher kommen. Und tatsächlich tauchten Cadan und Emilio gleich darauf an ihrem Tisch auf.
»Das ist ja mal eine Überraschung.« Cadan klopfte mit den Fingerknöcheln auf die glänzende Holzplatte.
»Ich hab dir noch geschrieben, Kate, um dich vorzuwarnen, dass wir hier sind. Für den Fall, dass ihr weiterhin unter euch sein wollt. Eigentlich hatten wir nämlich vorgehabt, zu Emilio nach Dublin zu fahren, aber irgendwie war uns dann doch nach dem Murphy’s zumute.«
»Also echt, Cay.« Emilio grinste. »Als würden die zwei auf unsere Gesellschaft verzichten wollen.«
Luca musterte ihn mit hochgezogenen Brauen. Er trug die schwarzen Haare ein wenig kürzer als das letzte Mal, der Rest aber hatte sich nicht verändert – weder die sturmgrauen Augen, die selbst im gedimmten Licht des Pubs bemerkenswert hell strahlten, noch die attraktiven Gesichtszüge oder das schiefe, irgendwie draufgängerische Lächeln auf seinen Lippen.
Auch seinem Kleidungsstil war er treu geblieben, obwohl er heute nicht aussah, als befände er sich auf direktem Weg in die Oper. Doch auch das eng an seinem muskulösen Oberkörper anliegende Hemd, das er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hatte, die an seinem Handgelenk aufblitzende Uhr und die dunkle Stoffhose unterstrichen seine Vorliebe für elegante Outfits.
Als er bemerkte, dass Luca ihn prüfend ansah, verwandelte er sein beinahe freches Grinsen in ein charmantes Lächeln.
»Entschuldigung, das war vielleicht etwas voreilig. Hallo, zukünftige Braut. Hi, Kate. Dürfen wir uns zu euch setzen?«
Luca tauschte einen Blick mit Katherine, aus dem sie eindeutig herauslas, dass ihre beste Freundin ihr die Entscheidung überließ.
»Äh. Klar.«
Sie rutschte auf ihrer Bank zur Seite, Katherine tat es ihr gleich.
»Erst mal hole ich uns aber ein paar Drinks«, verkündete Emilio, als Cadan sich neben seine Freundin setzte und sie küsste. »Bei einem Junggesellinnenabschied sollte niemand auf dem Trockenen sitzen. Irgendwelche Wünsche? Die Runde geht auf mich.«
Luca überlegte kurz, ob es besser wäre, angesichts dieser unvorhergesehenen Situation auf Wasser umzusteigen, entschied sich dann aber in einer fast trotzigen Reaktion für ein weiteres Glas Wein. Andernfalls, dachte sie unbehaglich, müsste sie sich eingestehen, dass Emilio ihr in irgendeiner Art und Weise gefährlich werden könnte – und das war ganz klar nicht der Fall.
Katherine blieb bei Gin, ihrem Getränk des Abends, und Cadan wählte ein Bier, das auch Emilio sich bestellte.
»Dann stoßen wir mal auf deine Hochzeit an, was?«, ließ der Halbitaliener verlauten, als alle ihr Getränk vor sich stehen hatten, und erhob feierlich sein Glas. Er hatte sich neben sie gesetzt und sah sie nun erwartungsvoll von der Seite an.
Luca rang sich ein Lächeln ab. Wieso in aller Welt klang es auch jetzt, aus Emilios Mund, so unbegreiflich, dass sie heiraten würde? Was war geschehen, seit sie am Nachmittag aus der Bahn gestiegen war?
Nichts, beantwortete sie sich ihre eigene Frage in Gedanken. Wenn du mal ganz tief in dich hineinhorchst, kannst du das alles schon eine ganze Weile nicht mehr greifen.
Vielleicht sprach der Wein aus ihr, doch im Grunde stimmte es: Als Adrian ihr vor zwei Jahren den Antrag gemacht hatte, war die Ehe noch so weit weg und der Ring an ihrem Finger nur ein harmloses Versprechen gewesen. Ein kleines Abenteuer, dessen Zauber jedoch stets nur unter der Oberfläche geschwelt hatte.
Vermutlich, weil Adrian, nüchtern, wie er war, ihr von Anfang an die Planung überlassen hatte. Und genau das war vielleicht das Problem gewesen. Ich habe mich allein gelassen gefühlt, dachte Luca und ließ unter der plötzlichen Erkenntnis die Schultern hängen. Wahrscheinlich war die Vorfreude jetzt deswegen so viel leiser, als sie sein sollte.
Das Klirren der Gläser, die gegen ihr eigenes stießen, beförderte sie wieder zurück in die Gegenwart.
»Hey, ist alles in Ordnung?«, fragte Emilio und musterte sie prüfend. Dabei glitt sein Blick immer wieder zu ihrem Verlobungsring. Schon im letzten Jahr hatte er ständig dorthin gesehen, als hoffte er, der Schmuck würde sich dadurch irgendwann in Luft auflösen.
»Klar.« Eilig zog sie ihre Hand zurück und ließ sie unter den Tisch gleiten. »Ich war nur kurz in Gedanken.«
»In Gedanken bei mir?«, scherzte Emilio und streifte seine eben noch unpassend ernste Miene mit einem Wippen seiner Augenbrauen wieder ab.
Luca verkniff sich ein Lachen und antwortete stattdessen mit einem Schnauben.
»Das hättest du wohl gern«, warf Kate ein.
»Ja«, gab Emilio unverblümt zu, »allerdings.«
Luca spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. »Tja, da muss ich dich leider enttäuschen«, erwiderte sie und verzog den Mund in gespieltem Bedauern. Ehe Emilio zu einer Antwort ansetzen konnte, die seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen nicht von dem Flirtkurs abwich, den er eingeschlagen hatte, ergriff Cadan das Wort.
»Kate sagte, in den Flitterwochen geht es für Adrian und dich nach Kreta? Da wollte ich schon immer mal hin! Du musst unbedingt ein paar Bilder schicken. Vielleicht lässt deine beste Freundin sich ja auf diese Weise überzeugen, mal mit mir dorthin zu fliegen.«
Katherine knuffte ihn in die Seite. »Hey, ich habe beim Urlaubsziel auswürfeln ehrenhaft gewonnen! Zuerst ist Frankreich dran.«
Es folgte ein unterhaltsamer Schlagabtausch in Sachen Reiseziel-Planung für die nächsten Jahre, den Luca und Emilio grinsend verfolgten.
Als sie alle ihre Gläser geleert hatten, sorgte Kate für Nachschub. Cadan und Emilio zogen sich mit ihren Getränken an die Bar zurück, um ihnen noch ein wenig Zeit zu zweit zu gönnen.
»Ich hätte Lust auf einen Kurzen«, bemerkte Kate, nachdem sie eine Weile lachend in Erinnerungen geschwelgt hatten. »Was meinst du? Tequila Gold, wie in alten Zeiten?«
Luca verzog das Gesicht. »Bloß nicht. Aber für einen Erdbeer-Limes wäre ich zu haben.«
Kate machte Anstalten aufzustehen und an die Bar zu gehen, doch Luca kam ihr zuvor. »Bleib sitzen. Die weltbeste Trauzeugin darf sich ausnahmsweise auch mal bedienen lassen.« Zwinkernd ging sie zum Tresen, an dem Cadan und Emilio nach wie vor lehnten. Beide waren so in ein Gespräch vertieft, dass sie nicht einmal bemerkten, wie Luca sich neben sie stellte.
»Du kannst mir doch nicht erzählen, dass Katherine das nicht sieht!«, hörte sie Emilio sagen, der ihr den Rücken zugewandt hatte. Neugierig neigte Luca den Kopf.
»Was meinst du?«
»Wann immer das Thema Hochzeit aufkommt, macht ihre beste Freundin ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Da stimmt doch was nicht. Ich meine, ich kenne sie kaum, aber mir kann keiner erzählen, dass sie glücklich ist. Und es wundert mich wirklich, dass das keinem von euch auffällt.«
Luca ließ die Hand, mit der sie gerade den Barkeeper hatte herbeiwinken wollen, langsam wieder sinken. Emilios Worte, deutlich über die Musik erhaben, bohrten sich wie kleine Pfeilspitzen in ihren Brustkorb.
Fahrig zupfte sie den Ausschnitt ihrer Tunika zurecht. Obwohl die Schärpe einen Großteil ihres Dekolletés verdeckte, fühlte sie sich plötzlich unverhältnismäßig nackt. Nicht nur körperlich, sondern vor allem seelisch. Als könnte Emilio geradewegs durch sie hindurchsehen, bis tief in ihr Innerstes. Dorthin, wo die Schatten zu Hause waren.
Sie schluckte die Tränen hinunter, die als salziger Kloß in ihrer Kehle steckten, und begrüßte die Wut, die dahinter wartete, mit offenen Armen. Wie konnte dieser Mann, der sie doch überhaupt nicht kannte, sich herausnehmen, aus dem Nichts solche Behauptungen aufzustellen? Einfach nur, weil es ihm gerade in den Kram passte und er eine Rechtfertigung dafür suchte, eine vergebene Frau anzubaggern?
Räuspernd tippte sie ihm auf die Schulter – und stellte mit grimmiger Zufriedenheit fest, dass ihm die Gesichtszüge entgleisten, als er sich umdrehte.
»Luca! Hör mal, das war …«
»… absolut unangebracht? Da gebe ich dir recht.« Sie reckte das Kinn. »Ich glaube, wir sollten bald alle nach Hause gehen, bevor Emilios Bier ihm weiterhin so einen Unsinn zuflüstert.«
Als sie die Bar etwa eine halbe Stunde später verließen, war die Stimmung angespannt. Emilio, offensichtlich zerknirscht, vermied es, Luca anzusehen. Eine knappe Verabschiedung murmelnd, verschwand er die Straße hinunter. Auch Cadan wirkte befangen, doch ihr Groll galt nicht ihm. Immerhin konnte er nichts dafür, dass sein Kumpel sich zum Hobbypsychologen aufgespielt hatte. Kate machte keinen Hehl daraus, dass sie Lucas Ärger über Emilios Verhalten teilte. Dennoch hatte sie bei einem schnellen Vier-Augen-Toiletten-Gespräch sichergehen wollen, dass Emilio mit seiner Unterstellung auch tatsächlich falschlag. Nicht, weil sie ihm eine besonders gute Beobachtungsgabe bescheinigte, sondern weil sie sich als beste Freundin in der Pflicht sah, einer solchen Aussage auf den Grund zu gehen. Ganz gleich, wie viel am Ende dran war.
»Hätte ich gewusst, dass er mit solchen Unterstellungen um die Ecke kommt, hätte ich euch rückwärts wieder aus der Tür geschoben«, eröffnete sie Cadan, der zustimmend grunzte.
»Sorry, Luca. Wirklich. Wir wollten euch ganz bestimmt nicht den Abend verderben.«
»Ach, Quatsch! Das habt ihr nicht. Ein bisschen Männerdrama gehört dazu. Das hat uns schon Hollywood gelehrt.« Luca lachte leise – nicht weil ihr unbedingt danach zumute war, sondern weil sie die aufgeladene Stimmung schnell wieder entschärfen wollte.
Katherine seufzte. »Trotzdem ist das irgendwie ein doofer Abschluss. Du solltest dich nicht ärgern müssen.«
»Tu ich auch nicht«, widersprach Luca und rückte ihr Diadem zurecht, ehe sie sich, wie Kate bereits auf dem Hinweg bei ihr, bei ihrer Freundin unterhakte.
»Wenn du das sagst … Dann bringen wir die Plüschprinzessin mal ins Hotel.«
Gesagt, getan: Cadan und Katherine begleiteten Luca bis vor die Türen des Seashell.
»Und du willst heute Nacht wirklich nicht bei mir bleiben?«, fragte Katherine und schob schmollend eine Unterlippe vor, als sie Luca zum Abschied umarmte.
»Ich hab doch all meine Sachen hier. Außerdem komme ich ja morgen schon zum Katerfrühstück. Das heißt, wenn es euch nichts ausmacht.«
»Soll das ein Witz sein? Meine Tür steht dir immer offen.«
»Vor allem, wenn du Brötchen mitbringst«, ergänzte Cadan zwinkernd.
Luca lachte. Dieses Mal war es ein echtes Lachen.
Aus dem locker geplanten Frühstück wurde ein spätes Mittagessen.
Luca schlief bis weit in den Tag hinein, und auch Katherine und Cadan hatten ihre Wecker verschlafen. Als sie bei Fish & Chips in Fionas kleiner Bauernküche zusammensaßen (Luca hatte drei Portionen aus einem der Hafenrestaurants mitgenommen), war ihnen allen der vergangene Abend anzumerken. Sie gähnten mehr, als dass sie redeten, doch diese erschöpfte, hin und wieder durch einen witzigen Kommentar unterbrochene Stille hatte etwas durchaus Gemütliches. Als Cadan sich irgendwann nach Hause verabschiedete, um ein paar Vorkehrungen für seinen morgigen Fototermin zu treffen, gingen Kate und Luca mit zwei bis zum Rand gefüllten Gläsern Eistee rüber in die Rainbow-Hearts-Library und machten es sich in der Schreibecke bequem.
»Das habe ich wirklich vermisst.« Luca schlug die Beine übereinander, nahm einen Schluck des angenehm kühlen Getränks, in dem zwei herzförmige Eiswürfel geräuschvoll gegeneinander klimperten.
Katherines Mundwinkel wanderten in die Höhe. »Die Kopfschmerzen am Tag danach?«
Luca lachte. »Nein, die nun wirklich nicht. Ich meine das hier«, sie nickte in Richtung der Regale, die sich unter der Last der Bücher bogen. »Dieses friedliche Gefühl. Das habe ich nirgendwo sonst.«
»Ja, ich weiß, was du meinst. So geht es mir selbst nach einem Jahr noch.«
Luca lehnte sich zurück und ließ den Blick über die auf dem Tisch zwischen ihnen ausgebreiteten Utensilien wandern: Briefpapier, Umschläge und Kugelschreiber mit regenbogenfarbenen Herzen darauf. Als sie im letzten Jahr an einem von Katherines Schreibabenden teilgenommen hatte, hatte sie selbst einen der Bogen beschrieben. Ob ihr Brief, den sie damals an eine zukünftige Version ihres Selbst adressiert und in Weit wie das Meer versteckt hatte, schon von jemandem gefunden worden war? Bestimmt. Immerhin erfreuten sich die Romane von Nicholas Sparks großer Beliebtheit.
Ihre beste Freundin räusperte sich leise. »Hör mal, Lu. Was Emilio da gestern gesagt hat … Darüber, dass wir alle einfach nicht merken, dass es dir nicht gut geht …«
Luca unterdrückte ein Stöhnen. Sie wusste, dass ihre beste Freundin es nur gut meinte, doch im Augenblick wollte sie wirklich nicht darüber reden.
»Kate, bitte nicht schon wieder. Es ist alles in Ordnung. Emilio hat einfach nur zu tief ins Glas geschaut, so wie wir alle gestern..«
»Ja, bestimmt.« Katherine rutschte unruhig in ihrem Sessel hin und her. »Ich wollte dir jedenfalls nur noch mal sagen, auch wenn du das sowieso schon weißt, dass du mir alles erzählen kannst. Wenn dich irgendwas belastet, egal, was es ist und für wie unwichtig du es hältst, kannst du mit mir darüber reden.«
Luca löste sich vom Anblick des Briefpapiers und zwang sich, Katherine in die Augen zu sehen.
»Es ist nichts. Wirklich, ich bin einfach nur aufgeregt. Mehr nicht.«
Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass es stimmte. Trotzdem fühlten sich ihre Worte wie eine Lüge an.
***
Der Montag brachte schwere Regenwolken nach Howth. Dickbauchig und grau hingen sie über der Küste und trotzten sogar dem auffrischenden Wind, der vergeblich versuchte, sie zu vertreiben.
Luca schaffte es dennoch im Trockenen zur Bücherei. Sie hatte vor, Kate ein paar Stunden lang zur Hand zu gehen, ehe sie in Mrs Seymours Laden vorbeischauen und dort schon einmal einen Brautstrauß in Auftrag geben wollte. Danach würde sie die Konditorei aufsuchen, mit der sie schon von München aus bezüglich ihrer Torte telefoniert hatte, und anschließend für ein paar weitere Besorgungen nach Dublin fahren.
Ein voller Terminplan, der Luca jedoch gerade recht war. Alles war besser, als sich mit den wirren Gedanken auseinanderzusetzen, die seit ihrer Ankunft im Fischerdorf durch ihren Kopf spukten.
Aus dem Himmel drang ein unheilvolles Grollen, als Luca die Bücherei betrat und das Türglöckchen zum Bimmeln brachte.
»Da hast du aber kein besonders schönes Wetter mitgebracht«, begrüßte Kate sie tadelnd. Sie lehnte hinter der Theke und blätterte in einer Zeitung, ihre schlanke Gestalt in gedimmtes, irgendwie herbstliches Licht getaucht. Nun, da Sommer und Sonne sich eine Pause gönnten, hatte sie die Deckenbeleuchtung einschalten müssen.
»Nein, ich übe noch. Aktuell ist mein Verhältnis zu Petrus eher schlecht. Ich hoffe, das ändert sich bis zum Zwanzigsten«
»Das hoffe ich auch. Kaffee?«
»Kaffee.«
Luca schälte sich aus der leichten Regenjacke, die sie vorsichtshalber angezogen hatte, und gesellte sich zu Katherine an die Theke, wo bereits eine Thermoskanne und zwei Tassen bereitstanden. Von ihrem letzten Aufenthalt wusste Luca, dass in der Regel etwa eine halbe Stunde verging, bis nach Öffnung die ersten Leser eintrafen. Luca mochte diese unaufgeregte, entspannte Mentalität, die von den Einwohnern Howths auf die Touristen abzufärben schien.
»Wie hast du geschlafen?«, erkundigte sich Katherine, während sie ihre Tassen füllte. Begierig atmete Luca den aromatischen Kaffeeduft ein.
»Wie ein Baby«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Und du?«
Zu Hause hatte sie oft Schlafprobleme, doch in Howth schlummerte sie stets tief und fest. Vermutlich war es die salzige, frische Meeresluft, die sie abends so angenehm müde werden ließ.
»Geht so. Cadan hat sich ziemlich breit gemacht.« Kates Hand wanderte zum obersten Knopf ihrer Bluse. Abwesend drehte sie daran. »Allerdings hat er sich heute Morgen auch noch ziemlich überzeugend dafür entschuldigt.«
Luca prustete in ihren Kaffee. »Danke für die Info.«
»Immer wieder gerne. Das musste ich noch schnell loswerden, bevor Doran gleich zu uns stößt.«
Der alte Mann hatte sich am gestrigen Abend noch für den heutigen Vormittag angekündigt, um bei Kaffee, Keksen, guter Lektüre und leidenschaftlicher Kundenberatung ein wenig Zeit mit ihnen zu verbringen. Seit jeher gehörte er zum Inventar der Rainbow-Hearts-Library. Schon zu Fionas Zeiten war er täglich ein- und ausgegangen und hatte sich an ihrer Seite rührend um Leser und Briefeschreiber gekümmert. Diese Tradition führte er nun an Kates Seite fort, wenn seine Besuche laut ihr während der vergangenen Wochen wohl auch etwas abgenommen hatten.
»Ach ja, und Lu?«
»Ja?«
»Du hast Post.«
»Ähm … okay?« Verwirrt sah Luca sich nach einem Brief oder einem Paket um, doch außer Kates Zeitung, ihren dampfenden Tassen und der Thermoskanne konnte sie auf der Theke nichts entdecken.
»Nicht hier. Da.« Katherine deutete in Richtung Tür. Nicht minder irritiert folgte Luca ihrem ausgestreckten Zeigefinger.
Am Schaufenster hing, von außen mit einem Stück Tesafilm befestigt, ein großer weißer Umschlag, der ihr beim Hereinkommen gar nicht aufgefallen war und auf dem tatsächlich ihr Name geschrieben stand. Sie runzelte die Stirn.
»Was soll das denn? Noch so ein Hochzeits-Gag von dir? Ich hoffe doch, das ist keine Einladung zu Junggesellinnenabschied Nummer drei?«
Einen Moment lang sah Katherine ertappt aus, dass Luca sich schon in ihrer Befürchtung bestätigt fühlte, doch dann hob sie beschwichtigend die Hände.
»Keine Sorge, mit mir hat das nichts zu tun. Es ist nur so, dass … dass Emilio heute in aller Herrgottsfrühe hier war und mich gebeten hat, das hängen zu lassen, bis du es siehst.«
Luca blähte die Wangen auf und ließ geräuschvoll die Luft daraus entweichen. Sie hatte das Emilio-Thema als abgehakt betrachtet. Offenbar war der Halbitaliener da anderer Meinung.
»Und das sagst du mir nicht gleich?«
Kate setzte ein unschuldiges Lächeln auf. »Ich wollte dich erst mal ankommen lassen. Und außerdem hatte ich die Hoffnung, dass es vielleicht doch noch anfängt zu schütten. Dann wäre das Ganze ja sowieso erledigt gewesen.«
»Hmpf.« Widerwillen breitete sich in ihr aus. Wieso sollte sie dieses Spielchen mitspielen? Emilio hatte sich falsch verhalten. Wenn er sich dafür entschuldigen wollte, konnte er das persönlich tun.
Andererseits …
Ja, andererseits war da auch diese brennende Neugier, deren Flammen bereits viel zu hoch züngelten, als dass Luca ihnen noch mit Vernunft beikommen könnte.
»Ich kann verstehen, wenn du ihn einfach hängen lässt«, warf Katherine ein und pustete in ihre Tasse. »Also, sowohl Emilio als auch den Brief.«
»Du kennst mich«, murmelte Luca resigniert, »ich muss so oder so nachsehen.«
Während sie rausging und den Umschlag von der Scheibe löste, kam sie sich ein wenig albern vor. Als würde sie an einer Schnitzeljagd teilnehmen, ohne zu wissen, was es eigentlich zu gewinnen gab. Dennoch riss sie das Kuvert ungeduldig auf, kaum dass sie es in den Händen hielt. Das darin enthaltene Papier auseinanderfaltend, ging sie zurück in die Bücherei. Gerade rechtzeitig, wie sich herausstellte, denn hinter ihr sprenkelten nun die ersten Tropfen den hellen Gehsteig dunkel.
Den Blick auf Emilios Zeilen gesenkt, ging Luca ein paar Schritte in die Rainbow-Hearts-Library hinein und blieb dann stehen, um zu lesen:
Liebe Luca,