Sommersplitter Band 1 - 4 - Sissi Kaipurgay - E-Book

Sommersplitter Band 1 - 4 E-Book

Sissi Kaipurgay

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Beschreibung

Yutaka Der exotische Kerl hinterm Sparkassentresen hatte Damian sofort entflammt. Ein Jahr musste er werben, bis Yutaka ihn endlich erhörte. Leider erwies sich der Mann als eine Art Mogelpackung. Jedenfalls empfand er das so und war zunehmend frustrierter. Tom Lange hatte Tom zwischen den Geschlechtern geschwankt. Absolut überzeugt, wohin er tendierte, war er immer noch nicht, auch wenn es sich bei seinen letzten Liebhabern um Männer gehandelt hatte. Vielleicht suchte er die perfekte Mischung, vielleicht nach einem Phantom, vielleicht auch nach etwas ganz anderem. Manolo Seit einer Ewigkeit ist Manolo in seinen langjährigen Freund Paul verliebt. Als der sich scheiden lässt, keimt unweigerlich Hoffnung auf. Eigentlich dämlich, schließlich ist Paul konsequent hetero, aber Liebe macht eben blind. Der Schöne und das Biest Seit drei Monaten ist Moses unglücklich verliebt. Als ob das nicht Strafe genug wäre, ist der neue Mitbewohner in seiner WG ein ständiger Lärmquell. Unerwartet erhält er von seinem Kumpel Erich das Angebot, in dessen Wohnung unterzukriechen. Schlampe vs. Spaßbremse Das x-te Mal stand Urlaub in Dänemark an. Anfangs waren sie mit 15 oder mehr Personen gereist, doch im Laufe der Jahre waren viele Leute abgesprungen. Der harte Kern bestand aktuell aus sechs Personen: Janos und dessen Lover Michael, Frederik und Andi, seit 10 Jahren liiert und Nils und ihm. Allerdings hatte Nils vor kurzem telefonisch Schluss gemacht. Somit war er das fünfte Rad am Wagen. Eifersucht Adam und Timo pflegen ein rein sexuelles Verhältnis. Allerdings kommt es dann anders als erwartet. Hauptrollen: Ein eifersüchtiger und ein beharrlicher Mann. Nebenrolle: Ein kaputtes Kondom. Amnesie Sahin arbeitet als Programmierer bei der Altus AG, die Softwarelösungen für Mittelständler anbietet. Als ein neuer Kollege anfängt, verliebt er sich auf den ersten Blick. Gewissensbisse 1 Am Elbstrand lernt Andre einen hübschen Blonden kennen. Sein Herz ist schnell entflammt, doch leider kommt es anders als gedacht: Colin entpuppt sich als Reinfall. In seiner Wut tut er etwas Unüberlegtes, mit schrecklichen Konsequenzen. Gewissensbisse 2 Am Elbstrand hat Sascha einen heißen Typen kennengelernt, aber leider keinen Erfolg mit seiner Charmeoffensive gehabt. Bei einem Wiedersehen rechnet er sich erneut Chancen aus. Akuma findet Sascha schon heiß, aber er ist nun mal bereits vergeben. Trotzdem geht ihm der Typ nicht mehr aus dem Kopf.

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Inhaltsverzeichnis

Yutaka

1.

2.

3.

4.

5.

Tom

1.

2.

3.

4.

Manolo

1.

2.

3.

4.

5.

Epilog

Der Schöne und das Biest

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

Abspann

Schlampe vs. Spaßbremse

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Epilog- vier Wochen später

Eifersucht

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Epilog für Björn und Andi

Epilog 2 - Andi

Amnesie

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Epilog

Gewissensbisse 1

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11. Zwei Wochen später

Epilog - Sommer im folgenden Jahr

Gewissensbisse 2

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Epilog - drei Wochen später

Sommersplitter

Band 1 - 4

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

Text: Sissi Kaiserlos/Kaipurgay

Foto: shutterstock_111905381, Depositphotos_13283165_xl-2015

Coverdesign: Lars Rogmann

Korrektur: Aschure, dankeschön!

Kontakt: https://www.sissikaipurgay.de/

Sissi Kaiserlos/Kaipurgay

c/o Autorenservice Karin Rogmann

Kohlmeisenstieg 19

22399 Hamburg

Yutaka

Der exotische Kerl hinterm Sparkassentresen hatte Damian sofort entflammt. Ein Jahr musste er werben, bis Yutaka ihn endlich erhörte. Leider erwies sich der Mann als eine Art Mogelpackung. Jedenfalls empfand er das so und war zunehmend frustrierter.

1.

Die Außenalster war von unzähligen weißen Segeln bevölkert. Strahlender Sonnenschein und eine steife Brise hatten haufenweise Wassersportler angelockt.

Langsam schlenderte Damian den Alsterwanderweg entlang. Auch hier herrschte Hochbetrieb. Spaziergänger, Jogger und Fahrradfahrer sorgten für ein geregeltes Chaos. Er war daran gewöhnt und wich, völlig in Gedanken versunken, sämtlichen Hindernissen automatisch aus.

Bestimmt erschien Yutaka mal wieder auf die Minute pünktlich. Da Damian zu früh dran war, brauchte er also nicht hetzen. Das hatte er extra so eingerichtet, um seinen Entschluss gründlich zu überdenken. Schließlich war es ein endgültiger Schritt, nach dem es kein Zurück mehr geben würde.

Yutaka und er waren seit drei Monaten ein Paar. Fast ein Jahr hatte er zuvor den attraktiven Bankangestellten beknien müssen, bis der einem Treffen zustimmte. Sie gingen dreimal zusammen essen und landeten beim vierten Mal hinterher im Bett. Für Damian die Erfüllung eines lange gehegten Wunschtraumes.

Der allzeit freundliche und überaus korrekte Halbjapaner integrierte sich schnell in seinen Freundeskreis. Sie taten das, was man als Pärchen eben machte. Gemeinsame Unternehmungen, entweder zu zweit oder mit der Clique, gemütliche Abende auf der Couch und natürlich Bettsport. Alles könnte so schön sein, vor allem, weil seine Gefühle für Yutaka von einer Schwärmerei zu ernsthaftem Tiefgang geworden waren. Tja. Wenn das auf Gegenseitigkeit beruht hätte.

Damian erreichte ihre Bank. Das Holz war verwittert und der Blick auf die Alster von hohen Büschen verwehrt. Gleichzeitig boten diese Schutz vor Neugierigen. Hier hatten sie sich das erste Mal geküsst. Nicht wild und leidenschaftlich, sondern scheu und zurückhaltend. Der Kuss war eher eine zarte Berührung ihrer Münder gewesen, denn eine echte Liebkosung. Gemessen an Yutakas sonstigem zurückhaltenden Verhalten in der Öffentlichkeit, kam es jedoch einer Offenbarung gleich. Damals hatte Damian im siebten Himmel geschwebt, inzwischen war er gelandet. Vorsichtig ließ er sich auf dem splittrigen Untergrund nieder.

Niemand wusste von seiner innerlichen Zerrissenheit, nicht einmal sein guter Freund Tom. Es erschien ihm als falsch, Details seiner Beziehung mit anderen zu besprechen. Diesbezüglich hatte er sich Yutaka angepasst. Der redete niemals über persönliches, nicht mal mit ihm. Genau da lag die Krux. Sie konnten zwar plaudern, gemeinsam lachen, aber sobald es ans Eingemachte ging verschloss sich Yutaka, wie eine Muschel. Damian wusste, dass der Mann ihn mochte oder sogar sehr gern hatte, doch das war’s auch schon. Er kam einfach nicht über eine gewisse Grenze hinaus.

Langsam begannen seinen Nerven zu zittern. Die sorgsam zurechtgelegten Worte drohten zugunsten einer Tränenflut verloren zu gehen. Damian fischte sein Smartphone aus der Gesäßtasche, guckte aufs Display und im selben Moment fiel ein Schatten auf die Bank.

„Hi. Wartest du schon lange?“ Yutakas sanfte Stimme wühlte ihn noch mehr auf.

„Nö. Bin gerade erst angekommen“, log er, steckte das Handy wieder ein und sammelte seinen Verstand zusammen. „Setz dich.“

„Was ist los? Schlechten Tag gehabt?“

Ihr letztes Treffen lag rund 24 Stunden zurück. Wie immer, wenn Yutaka bei ihm übernachtete, stand jener sehr früh auf und verließ auf Zehenspitzen seine Wohnung. Angeblich, um ihn nicht zu stören und daheim die Klamotten zu wechseln. Mittlerweile hatte Damian den Verdacht, dass Yutaka lediglich morgendlichen Sex vermeiden wollte. Oder was auch immer. Im Grunde wusste er fast gar nichts über den Mann und dabei würde es, seiner Entscheidung zufolge, auch bleiben.

„Kann man wohl sagen. Das Scheiß-Ersatzteil war im Arsch und der Kunde ein Choleriker.“

„Armer Schatz.“ Auf typisch manierliche Weise setzte sich Yutaka neben ihn, die Anzughose leicht gerafft, damit keine Falten entstanden.

Es war Freitagnachmittag, Punkt vier. Damian hatte um eins Feierabend gemacht und trug Freizeitkluft, während Yutaka direkt von der Arbeit kam und dementsprechend im Dresscode erschienen war. Noch immer fand er den Kerl im Zweireiher scharf, noch immer schlug sein Herz viel zu schnell, wenn er in die Mandelaugen sah.

„Ich …“ Plötzlich war seine Kehle schrecklich eng. „Ich muss dir was sagen.“

„Ja?“ Alarmiert richtete sich Yutaka kerzengerade auf.

„Ich mach Schluss.“

Schweigen entstand. Solches, das man in Scheiben schneiden konnte. Damian hatte das Gefühl in einem Paralleluniversum zu sitzen, so still war es.

„Hast du einen anderen?“, kam schließlich ungewohnt dünn von Yutaka.

Wie befürchtet, hatten sich sämtliche Erklärungsversuche vom Acker gemacht. Es erschien ihm auch mit einem Mal unfair, irgendwelche Unzulänglichkeiten aufzulisten. Hätten sie vor zwei Monaten geredet, wäre das okay gewesen. Inzwischen war die Menge an Störfaktoren einfach zu groß geworden, als dass es lohnte, überhaupt damit anzufangen.

„Ja“, nahm er den Rettungsanker an.

Schnell und schmerzlos sollte es sein. Da war eine Lüge hochwillkommen.

„Dann …“ Yutaka erhob sich steif. „Dann wünsche ich dir alles Gute.“

Mit dieser Ausgeburt an Kaltherzigkeit hatte er geschlafen? Fassungslos und zutiefst getroffen, glotzte er der sehr aufrecht davonschreitenden Gestalt hinterher. Einzig an dem steifen Gang konnte er erkennen, dass Yutaka zumindest so etwas wie Bedauern empfand, oder an dem berühmten Verlust von Stolz litt. Japanern wurde der ja nachgesagt.

Damian sackte nach vorn, legte seine Unterarme auf die Schenkel und ließ den Kopf hängen. Nun war es also vorbei. In seinem Inneren konnte er jedoch nur Schmerz fühlen, keinerlei Erleichterung. Mein Gott! Er hatte nicht einmal ansatzweise gekämpft, sondern gleich das Handtuch geschmissen. Na gut, die drei Monate voller Frust gaben ihm Recht … dennoch … Yutaka besaß so viele liebenswerte Eigenschaften, wie Fleiß, ständige Gelassenheit … Boah! Gerade die regte ihn auf! Selbst beim Sex verzog der sture Kerl kaum die Miene und Ekstase kannte der Typ nicht mal als Wort.

Seufzend vergrub Damian das Gesicht in seinen Händen. Er wurde ungerecht und hasste sich dafür. Yutaka war in eine andere Gesellschaft geboren worden, obwohl diese in Deutschland stattfand. Vom Vater streng erzogen, musste sich das Anderssein schrecklich anders anfühlen. Er rieb sich über die Stirn. Sein Wortschatz hatte offenbar unter der Trennung gelitten.

Obwohl nur ein paar Minuten vergangen waren, erschien ihm die Szene rundum völlig fremd. Hatte die Sonne bereits bei seiner Ankunft derart stechend vom Himmel geschienen? Waren ihm die fröhlichen Mienen der anderen auch schon so auf den Sack gegangen? Damian verließ den Ort, kehrte nach Hause zurück und zog sämtliche Gardinen zu.

Etliche Stunden später vibrierte sein Smartphone. Teilnahmslos sah er zu, wie das Gerät immer näher an den Rand des Couchtisches geriet. Kurz vorm Absturz griff er zu und erwartete, Yutakas Nummer zu sehen, doch stattdessen blinkte Toms Bild auf dem Display.

„Du hast einen Neuen?“, kam sein Freund gleich zur Sache.

„Wie kommst du darauf?“

„Yutaka hat angerufen und gefragt, wer es ist.“

„Das war eine Notlüge.“

Stille. Dann seufzte Tom. „Scheiße noch eins. Warum, zum Henker, redest du nicht vorher mit mir? Yutaka klang, als ob … Ich mach mir echt Sorgen. Er ist sonst so beherrscht.“

„Meinst du, er …?“ Die Vorstellung, dass sich sein Ex etwas antat, bohrte sich wie ein stumpfes Messer in seine Brust.

„Tu mir einen Gefallen und regle das mit ihm. Hab keine Lust, an deinem oder seinem Begräbnis teilzunehmen. Klar?“ Tom beendete die Verbindung.

Damian ließ seine Hand mit dem Smartphone sinken und starrte einen Augenblick ins Leere. Dann erwachte er zu hektischer Betriebsamkeit.

Natürlich nahm Yutaka seinen Anruf nicht entgegen. Auf dem Weg in den Flur, um in seine Sneakers zu schlüpfen, begann er eine Nachricht zu tippeln, was prompt zur Kollision mit dem Türrahmen führte. Leise fluchend rieb er über die schmerzende Stelle an seinem Oberarm. Zwei Dinge auf einmal zu tun war keines seiner Talente.

Als seine Füße in Schuhen steckten, lehnte er sich an die Garderobe und vollendete die SMS. „Ich bin unterwegs zu dir. Wenn du mir nicht öffnest, rufe ich die Polizei. D.“

Zu Yutakas Wohnung waren es nur zehn Minuten zu Fuß. Damian nutzte diese Zeit, um erneut mit Tom zu telefonieren.

„Ich bin auf dem Weg zu Yutaka.“

„Wollte ich dir auch geraten haben. Was ist denn überhaupt los? Ich dachte, du bist wunschlos glücklich“, brummelte sein Freund.

„Das ist kompliziert. Yutaka ist immer so … so zurückhaltend. Im Grunde hab ich keine Ahnung, was er in mir sieht.“

„Dann frag ihn doch.“ Typisch Tom!

„Du glaubst doch nicht, dass ich darauf eine ehrliche Antwort erhalten würde.“

„Hast du es denn schon mal probiert?“

„Nein. Es hätte eh keinen Sinn.“

„Weißt du was? Dir ist nicht zu helfen. Tschüss.“ Der blöde Kerl legte einfach auf.

„Arschloch“, murmelte Damian, stopfte das Smartphone in seine Hosentasche und bog in die Straße ein, in der Yutaka wohnte.

Zu beiden Seiten standen Häuser mit stuckverzierten Fassaden. Kastanien säumten die Gehwege, Blechkarossen den Straßenrand. Die dichten Kronen der Bäume ließen von der Abendsonne kaum etwas durchschimmern. Schätzungsweise war es inzwischen halb acht. Zuletzt hatte er nach Toms Anruf auf die Uhr gesehen, da war es sieben gewesen.

Auch nach dreimaligem Läuten passierte nichts. Er holte sein Handy wieder hervor, wählte Yutakas Nummer und – oh Wunder – jener ging ran.

„Ich will dich nicht sehen.“

„Lass mich rein. Ich rufe wirklich die Bullen, wenn du nicht endlich öffnest.“

„Du bist so ein … so ein verdammter Mistkerl!“ Weder fluchen noch Schimpfworte gehörten sonst zu Yutakas Repertoire. Ein Zeichen dafür, wie aufgewühlt er sein musste.

„Lass mich rein, bitte“, verlegte sich Damian aufs Betteln.

Plötzlich schnarrte der Türöffner. So überraschend und nur kurz, dass er nicht rechtzeitig reagieren konnte.

„Das ging zu schnell“, beschwerte er sich.

„Chance verpasst.“ Lachte Yutaka? Unglaublich!

„Bitte. Ich muss mich überzeugen, dass es dir gutgeht.“

„Wie soll es mir gutgehen, wenn … Ach, egal.“

Erneut erklang das Summen des Türöffners, diesmal lange genug, um ins Treppenhaus zu gelangen. Er merkte erst, als er vor Yutakas Wohnungstür stand, wie schnell sein Herz schlug und gepresst seine Atemzüge waren. Erinnerungen überfielen ihn. Die Wochenenden hatten sie meist bei Yutaka verbracht, schon weil dessen Heim größer und gemütlicher als seines war. In der geräumigen Küche hatten sie oft zusammen gekocht. Mit einem Mal entsann er sich etlicher kleiner Gesten, die unter seinem wachsenden Frust begraben gewesen waren: Eine zarte Berührung, ein winziges Lächeln, ein warmer Blick. Zum Schluss hin hatte er das nicht nur ignoriert, sondern sogar ablehnend darauf reagiert.

Überraschend sprang die Tür auf. Yutaka blitzte ihn böse an. „Ich will dein Mitleid nicht!“

„Zeig mir deine Handgelenke.“

„Glaubst du, ich bringe mich wegen einem Kotzbrocken wie dir um?“

„Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas zustößt.“

„Ach? Leck mich doch.“ Yutaka machte Anstalten die Tür zuzuwerfen.

Rasch verhinderte Damian das, indem er einen Fuß auf die Schwelle stellte. „Wir sollten reden.“

„Wozu?“

„Weil …“ Ihm blieb nichts anderes übrig, als seine Lüge zu enttarnen. „Ich hab keinen anderen. Das war nur eine Ausflucht. Inzwischen weiß ich, dass meine Entscheidung falsch war.“

„So?“ Yutaka fixierte ihn unter verärgert zusammengezogenen Augenbrauen. „Stell dir mal vor: Ich kann meine Gefühle nicht beliebig an und aus knipsen.“

„Das verlange ich auch gar nicht. Können wir uns trotzdem aussprechen?“

„Ich weiß nicht, ob ich hören will, was du zu sagen hast.“

„Liegt dir so wenig an uns?“

„Es gibt kein uns mehr.“ Schritte auf der Treppe ließen Yutaka aufhorchen. „Na gut. Komm rein und fass dich kurz.“

Als Damian in den geräumigen Flur trat, fiel ihm sofort der Schrein auf der Garderobe ins Auge. Wie so oft glomm ein Räucherstäbchen neben der geschnitzten Figur Buddhas. Exotischer Duft hing in der Luft. In einer kleinen Vase steckte eine einzelne Blüte.

Eine gigantische Woge Schuldbewusstsein überschwemmte ihn. Wie blind konnte man bloß sein? Er hatte in seinem Egoismus total ausgeblendet, dass er einen gehöriger Teil Verantwortung am Scheitern ihrer Beziehung trug. Schließlich war er mindestens ebenso wortkarg wie Yutaka gewesen.

Jener hatte in angemessener Entfernung Aufstellung bezogen und die Arme vor der Brust verschränkt. Die gewöhnlich akkurate Kleidung war einem noch nie gesehenen Schlabberlook gewichen. Zu einer abgetragenen Jogginghose trug Yutaka ein verwaschenes T-Shirt. Selbst bei ihren Filmabenden oder beim Kochen war sonst gepflegte Freizeitkleidung Usus. Also: Perfekt sitzende Jeans und Designer-T-Shirts.

„Nun spuck’s schon aus“, forderte Yutaka.

Sein Ex zeigte immer neue Facetten. Hatte sich Yutaka ihm zuliebe verstellt? Wo war der sanftmütige, stets gelassene Mann hin? Dieser hier hatte mit dem, den er kannte, kaum noch etwas gemein.

„Ich dachte, wir passen nicht zueinander, aber das stimmt nicht. Wir haben einfach zu wenig kommuniziert.“

Plötzlich sackte Yutaka in sich zusammen, wie ein Ballon, dem die Luft ausging. Sämtliche Kraft schien aus dem schlanken Kerl zu weichen. Die Arme fielen runter, die böse Miene schwand, stattdessen spiegelte sich Trauer auf dem hübschen Antlitz.

„Du hast dich entschieden“, flüsterte Yutaka. „Es gibt kein zurück.“

„Ich will dich nicht aufgeben.“

„Glaubst du, ich lass mich noch mal von dir ködern? Du hast mich bitter enttäuscht.“

„Das tut mir leid. Wirklich. Verzeih mir. Bitte, lass uns einen neuen Versuch wagen.“

„Damit du mir in einer Woche wieder einen Tritt verpassen kannst?“ Müde schüttelte Yutaka den Kopf. „Weißt du überhaupt, wie’s mir die letzten Stunden ging? Ich hab sogar Tom angerufen, um rauszufinden, wie dein Neuer heißt. Ich! Wo ich so etwas doch zutiefst verabscheue.“

„Was bin ich eigentlich für dich? Warst du …“ Nervös fuhr sich Damian mit der Zungenspitze über die spröden Lippen. „Warst du je in mich verliebt?“

„Wie kannst du das fragen? Glaubst du, ich hab das alles gespielt? Denkst du echt, ich hab dir was vorgemacht und hinter deinem Rücken über dich gelacht? Ist es das, wofür du mich hältst? Einen miesen Hochstapler? Warst du deshalb in letzter Zeit so kühl zu mir?“ Mit jedem Wort sprach Yutaka lauter, ballte die Hände zu Fäusten und rückte näher. „Ich hab mir bei jedem Treffen vor Angst fast in die Hosen geschissen, dass genau das passiert, was du vorhin eiskalt durchgezogen hast. Und du fragst, ob ich je in dich verliebt war?“

Yutaka überwand die restliche Distanz mit einem Satz und begann, auf seine Brust einzuschlagen. Im ersten Moment war Damian zu überrascht, um reagieren zu können, dann fing er die Handgelenke des wesentlich schmaleren Mannes nahezu mühelos ein. Noch nie hatte er das sonst so beherrschte Gesicht derart aufgewühlt gesehen. Sämtliche Empfindungen lagen bloß. Instinktiv zog er Yutaka heran und schloss seine Arme wie Schraubstöcke um die schlanke Gestalt. Die Gegenwehr war nur schwach und erlahmte schnell.

„Das wusste ich nicht“, murmelte er, die Lippen an Yutakas Schläfe. „Wenn ich das geahnt hätte …“

Der sehnige Körper in seinen Armen zitterte unkontrolliert, machte ihm die Seelenpein bewusst, an der er schuld war. Ironischerweise musste er ausgerechnet jetzt an ihren Sex denken, an die vielen Male, bei denen er sich genau solche Reaktion gewünscht hatte. Allerdings durch Lust ausgelöst, nicht durch Schmerz. Aus Furcht, Yutaka zu sehr verletzt und für immer verloren zu haben, stiegen ihm Tränen in die Augen.

„Bitte sag, dass ich noch eine Chance bei dir habe“, brachte er mit bröckelnder Stimme hervor.

Es kam keine Antwort. Ein Tropfen rann über seine Wange, gefolgt von einem zweiten. Er versuchte dagegen an zu blinzeln, doch die Schleuse ließ sich nicht mehr schließen. Ein Beben lief durch seinen Brustkorb, als er stockend einatmete. Yutakas Schweigen konnte nur eines bedeuten: Ein Nein. Widerwillig lockerte er seine Umarmung, ganz loszulassen schaffte er nicht. Nur noch ein winziger Augenblick trügerischerer Nähe, bevor sich das Fallbeil endgültig zwischen sie senkte.

„Du weinst“, flüsterte Yutaka. „Männer weinen nicht.“

„Wer behauptet solchen Scheiß?“

„Ich kann dir keine Chance einräumen. Noch nicht. Bitte, versteh das.“

Das war ein klares Jein. Noch nie hatte sich Damian mehr über eine halbe Zusage gefreut.

2.

Yutakas Kindheit war geprägt von traditionellen Werten. Sein Vater hielt, obwohl fern der Heimat, streng an althergebrachten Grundsätzen fest. Von klein auf bekam er den japanischen Verhaltenskodex eingebläut. Begehrte er dagegen auf, bestand die Strafe in konsequenter Nichtachtung, musste er sich die Aufmerksamkeit seiner Eltern durch besonders sittsames Betragen mühsam zurückerobern.

Schulischer Erfolg war eine Selbstverständlichkeit. Zum Glück fiel ihm Lernen leicht, daher brachte er stets nur beste Noten mit nach Hause. Leider stempelte ihn das auch zum Streber ab. Sein fremdländisches Aussehen sowie die schmale Statur und angeborene Scheu machten ihn endgültig zum Außenseiter. Bis zu seiner Erkenntnis, dem eigenen Geschlecht zugeneigt zu sein, schloss er ab und zu oberflächliche Freundschaften mit Leidensgenossen. Danach kapselte er sich vollständig ab. Die Furcht vor Entdeckung war einfach zu groß. Er hatte auch so genug Spott zu ertragen.

Gleich nach dem Abitur begann er eine Ausbildung in der Bank, in der sein Vater im Vorstand saß. Viel lieber wäre er woanders untergekommen, besaß aber nicht den Mumm, sich gegen das getroffene Arrangement zu wehren. Wenig später kam heraus, dass er anders tickte. Versehentlich hatte er morgens vergessen, seine Farbmagazine zu verstecken. Ausgerechnet an jenem Tag beschloss seine Mutter, sämtliche Betten neu zu beziehen. Zwangsläufig fand sie die einschlägigen Wichsvorlagen, was zu einer abendlichen Familienkonferenz führte.

Entgegen seiner Befürchtung, nach dieser Entdeckung verstoßen zu werden, gingen seine Eltern überraschend tolerant mit seinem schwul sein um. Sein Vater verlangte lediglich absolute Diskretion. Das entsprach der japanischen Doppelmoral: Homosexualität war zwar weder verboten noch verpönt, dennoch lebte man sie besser im Verborgenen aus. Andernfalls galt man als Tunte und wurde von den meisten nicht ernstgenommen.

Erleichtert über diese unerwartet gutmütige Reaktion, nahm Yutaka die Forderung seines Vaters sehr ernst. Er verinnerlichte sie regelrecht. Entsprechend war sein bisheriges Sexualleben abgelaufen. Seine Erfahrungen beschränkten sich auf Affären mit verheirateten Männern, die genau wie er auf Geheimhaltung angewiesen waren. Selbst als seine Eltern vor zwei Jahren, bei Renteneintritt, nach Japan zogen, blieb er diesem Motto treu.

Einige Monate später fing Damian an, in der Bankfiliale aufzutauchen und an seinen Prinzipien zu rütteln. Anfangs hatte sich Yutaka mit Händen und Füßen gegen die Charmeoffensive gewehrt, doch schlussendlich kapituliert. Die Sehnsucht nach einer echten Beziehung mit ehrlichen Gefühlen war einfach zu groß geworden, außerdem hatte er sein Herz an Damian verloren. Dass diese Bastion eingenommen war, bedeutete jedoch nicht, dass er zugleich seine sämtlichen anderen Gewohnheiten abzulegen vermochte.

In den vergangenen Stunden hatte er viel gegrübelt. Er wollte unbedingt verstehen, warum der Mann, der nahezu ein Jahr hartnäckig um ihn geworben hatte, plötzlich so eine Kehrtwende hinlegte. Kritisch hatte Yutaka sein eigenes Verhalten analysiert und letztendlich eingesehen, wie befremdlich es auf Damian wirken musste. Seine frühmorgendliche Flucht unter dem Vorwand, daheim Klamotten zu tauschen. In Wahrheit fürchtete er, beim gemeinsamen Verlassen von Damians Wohnung gesehen zu werden. Das Schweigen über seine unrühmliche Kindheit, ein Streber ohne Freunde. Die konsequente Freundlichkeit, um kein Missfallen zu erwecken, so wie es ihm seine Eltern antrainiert hatten. Zu guter Letzt: Seine Passivität im Bett.

Yutakas bisherige Liebhaber hatten in ihm eine Art exotische Lustpuppe gesehen. Beim ersten war es seiner Unerfahrenheit geschuldet, dass er alles tatenlos über sich ergehen ließ. Danach fand er Gefallen daran, den Männern den aktiven Part zu überlassen und dabei seinen schwülstigen Träumen nachzuhängen. Im Grunde benutzte er seine Liebhaber, um seinen gedanklichen sexuellen Luftschlössern eine körperliche Komponenten beizufügen. Mit Damian war er genauso verfahren, allerdings unter erschwerten Bedingungen. Während die anderen ihn einfach durchgerammelt hatten, lenkte Damian ihn ständig mit Küssen und Fragen, ob es ihm gutgehe, ab.

Obwohl Yutaka einsah, in vielen Dingen missverständlich gehandelt zu haben, war er nicht bereit, dafür vor Damian zu Kreuze zu kriechen. Es gehörten schließlich zwei dazu, eine Beziehung zum Scheitern zu bringen. Außerdem war der Schlussstrich nicht von ihm ausgegangen, somit stand ihm die Rolle des Märtyrers zu.

Mittlerweile hatte sich Damian die Tränen weggewischt und war ein Stück zurückgewichen. Leicht verquollene Augen sahen ihn hoffnungsvoll an.

„Wieso hast du behauptet einen anderen zu haben?“, wollte er wissen.

„Ich dachte, das ist weniger schmerzhaft, als dir irgendwelche Sachen vorzuwerfen.“

„Dir muss dringend geholfen werden.“

„So etwas Ähnliches hat Tom vorhin auch behauptet.“ Seufzend lehnte sich Damian an einen Türrahmen, die Hände in den Hosentaschen versenkt. „Darf ich bleiben oder möchtest du lieber allein sein?“

„Ehrlich gesagt könnte ich menschliche Nähe brauchen, allerdings nicht unbedingt deine.“

„Autsch! Musst du so deutlich werden?“

„Du hast gefragt.“

„Wäre es okay, wenn ich bleibe, mich aber in einem anderen Raum aufhalte?“

Yutaka zuckte die Achseln. „Okay. Aber mein Schlafzimmer ist tabu.“

„Oh Mann!“ Damian schüttelte den Kopf, ein zaghaftes Grinsen auf den Lippen. „Wer hätte gedacht, dass du so kratzbürstig sein kannst.“

„Langsam blättert die gute Erziehung von mir ab. Ich geh in die Küche, also hast du die Wahl zwischen Wohn- und Gästezimmer.“

„Kochst du was?“

„Mhm. Aber nur für mich.“ Es bereitete ihm diebische Freude, Damians Mundwinkel nach unten sinken zu sehen. „Kannst dir ja eine Pizza bestellen.“

Yutaka ging in die Küche, holte einen Sack Kartoffeln aus dem Kühlschrank und ein Messer aus einer Schublade. Während er die Knollen schälte überlegte er, was bloß in ihn gefahren war. So frech hatte er sich noch nie jemandem gegenüber benommen. Na gut, in Damians Clique war ihm das schon mal passiert. In Gesellschaft von Tom und den anderen fühlte er sich derart wohl, dass er nicht jedes Wort auf die Waagschale legte.

Er warf eine fertig geschälte Kartoffel in die Spüle und nahm die nächste. Plötzlich verkündete gedämpft ein akustisches Signal den Eingang einer SMS. Wahrscheinlich kam die von Tom. Als sie vorhin telefonierten, hatte jener total verdutzt geklungen und wollte nun bestimmt wissen, wie der Stand der Dinge war.

Yutaka griff nach einem Geschirrtuch, wischte seine Finger daran ab und huschte ins Schlafzimmer. Sein Smartphone lag auf dem Bett. Die Nachricht war jedoch nicht von Tom, sondern stammte von Damian.

„Ich repariere deine Klospülung, wenn du mir was von deinem Essen abgibst“, las er.

Was für ein Schlitzohr! Natürlich wäre er froh, wenn sich jemand des neuralgischen Punktes in seinem Bad annähme. Seit er den alten Spülkasten durch einen modernen Unterbau hatte austauschen lassen, war ständig was mit dem Teil. Etliche Male musste er das Ding schon reklamieren, doch immer wieder tauchten neue Probleme auf.

Nach kurzem Grübeln tippte Yutaka: „Spülung reparieren und Klo putzen.“

Am besten mit einer Zahnbürste, aber das ginge zu weit. Er schickte die SMS ab und nahm sein Handy mit in die Küche. Auf eine Antwort brauchte er nicht lange warten. Schon nach einigen Minuten summte das Gerät erneut.

„Okay. Aber dann möchte ich auch was zu trinken.“

Das war nur fair. Yutaka musste schmunzeln. Das Geplänkel mit Damian tat ihm gut.

„Übergabe in der Mitte des Flurs“, schrieb er zurück, schnappte sich ein Glas und eine Flasche Wasser und schlenderte zum Treffpunkt.

Zugleich erreichten sie die vereinbarte Stelle. Erstmals seit ungefähr drei Wochen begegnete er Damian ohne mulmiges Gefühl im Bauch, allerdings auch ohne verliebtes Herzklopfen. Das empfand er als Verlust. Die letzten Monate waren die schönsten seines Lebens gewesen, trotz der kleinen Spitzen, die Damian vor einiger Zeit anzubringen begonnen hatte.

„Ich brauche noch Werkzeug“, teilte jener ihm mit.

„Abstellkammer.“

„Ist hier Selbstbedienung?“

„Ich muss kochen.“

„Auch wieder wahr. Ich hab echt Hunger.“ Damian nahm ihm Flasche und Glas ab.

„Denk dran: Auch unterm Kloschüsselrand putzen.“ Mit dieser Ermahnung ließ er seinen Gast stehen und begab sich wieder in die Küche.

Geschickt schnitte er die Kartoffeln in hauchdünne Scheiben, goss Öl in eine Pfanne und wartete, bis die Hitze groß genug war, ehe er das vorbereitete Gemüse vorsichtig ins siedende Fett gleiten ließ. Anschließend schlug er vier Eier in eine weitere Pfanne.

Auf das Essen aufzupassen erforderte keine sonderliche Konzentration, daher irrten seine Gedanken davon. Wann immer es möglich war, hatte er seiner Mutter beim Kochen geholfen. Entgegen der ansonsten strikt japanisch angehauchten Riten, kam bei ihnen oft typisch deutsches auf den Tisch. Das Leibgericht seines Vaters waren Schmorkartoffeln.

Vor etwa fünf Monaten hatte er seine Eltern besucht. Zu dem Zeitpunkt waren anderthalb Jahre vergangen, in denen sich ihr Kontakt auf wenige Briefe beschränkte. Japan oder der Ruhestand hatte seine Eltern stark verändert. Beide wirkten zufriedener und gaben ihm den Freiraum, den er in seiner Kindheit dringend benötigt hätte. Am Ende des Urlaubes bat seine Mutter ihn in einem vertraulichen Gespräch, doch endlich nach seiner Fasson glücklich zu werden. Sie gab zu, nicht immer mit seines Vaters Ansichten konform gegangen zu sein und meinte, sie würde sich sehr freuen, wenn er beim nächsten Mal einen festen Partner mitbrächte.

Im Grunde hatte er schon vor seiner Reise entschieden, Damians Werben zu erhören. Die Bitte seiner Mutter gab den letzten Ausschlag. Blindlings war er in die attraktive Falle getappt und hatte dafür eine saftige Quittung bekommen. Dass nannte sich wohl Lehrgeld. Vielleicht war es sogar gut, dass sie in diese Lage geraten waren. Hätten sie so wie bisher weitergemacht, wären die Abstände zwischen ihren Treffen immer größer geworden, bis sie schließlich ganz einschliefen. In ihrer Situation gab es jedoch eine reelle Chance, wenigstens im Guten auseinanderzugehen oder sogar etwas Neues zu beginnen.

Er wendete die Kartoffeln ein zweites Mal, stellte den Herd ab und schob die Pfanne mit den Eiern von der heißen Platte. Die Abzugshaube ließ er noch einen Moment laufen, damit sie den restlichen Essensdunst aufsog. Nachdem er sie ausgestellt hatte, legte sich Stille über die Wohnung.

„Damian?“

„Treffen wir uns wieder am Checkpoint Charlie?“, kam als Antwort aus dem Wohnzimmer.

Es war noch da. Zwar in abgeschwächter Form, aber sein Herz schlug merklich schneller. Was Damian einst mit hartnäckigem Werben bewirkt hatte, tat nun dessen Zurückhaltung: Sie nahm ihn für den Mann ein.

„Ich bin doch kein Essenslieferant. Komm gefälligst her.“

„Okay. Ich hole mir meine Portion ab.“ Im nächsten Moment erschien Damian im Türrahmen. „Klopf, klopf.“

„Komm rein und setz dich.“ Er wedelte mit dem Pfannenwender in Richtung Tisch.

„Ich soll hier essen?“

„Was dagegen?“

„Nein. Ich dachte nur … egal.“ Damian ließ sich auf einem der Stühle nieder. „Es riecht nach Bratkartoffeln.“

„Schmorkartoffeln mit Spiegelei.“

„Lecker. Soll ich den Tisch decken?“

Wortlos holte Yutaka Teller aus dem Schrank und stellte sie auf den Tisch, gefolgt von Besteck. Anschließend nahm er die Pfanne vom Herd, verteilte die Kartoffeln und krönte die Portionen mit je zwei Spiegeleiern.

„Woher kannst du eigentlich so gut kochen?“, lockte Damian ihn nach einer Weile schweigenden Essens aus der Reserve.

„Hab ich doch schon mal erzählt. Meine Mutter hat mir das beigebracht.“

„Stimmt. Sicher hältst du mich jetzt für einen Ignoranten, der nicht mal zuhört. Und das, wo du doch eh kaum was sagst.“

„Das trifft den Nagel in etwa auf den Kopf.“ Grinsend spießte Yutaka ein paar Kartoffelscheiben auf und schob sie sich in den Mund. Plötzlich begriff er, warum er kein Blatt mehr vor den Mund nahm: Der schlimmste Fall war bereits eingetreten, als Damian mit ihm Schluss machte. Dementsprechend hatte er nichts mehr zu verlieren.

„Das hab ich wohl verdient“, brummelte Damian.

Darauf wusste er keine Erwiderung. Stumm widmete er sich seinem Essen. Noch vor einer Stunde war er appetitlos gewesen, nun verschlang er die Portion mit wahrem Heißhunger. Sein Gegenüber aß mit der gleichen Begeisterung und gab ab und zu ein genüssliches Stöhnen von sich.

Schließlich waren beide Teller leer. Damian lehnte sich zurück, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen.

„Hab ich dir schon gesagt, dass dein Schlabberlook total sexy ist?“

„Klappe. Wir sind geschiedene Leute, da geht dich mein Look einen Kehricht an.“

„Wollte es nur erwähnen.“

Yutaka schoss einen warnenden Blick auf den Blödmann ab, stand auf und räumte das Geschirr in die Spülmaschine. Anschließend ließ er Wasser in den Schnellkocher laufen.

„Soll ich wieder ins Wohnzimmer gehen?“, erkundigte sich Damian leise.

„Vielleicht erzählst du mir mal, was dich so sehr gestört hat, dass du mir das Herz rausreißen musstest.“ Härter als nötig knallte er das Kochgerät auf die Arbeitsfläche, stellte es an und wandte sich mit vor der Brust verschränkten Armen um. „Ich finde, um jemand derart zu verletzen, sollte schon etwas Gravierendes vorliegen.“

„Da kam einiges zusammen. Du hast nie freiwillig was von dir erzählt. Ich musste jede Kleinigkeit aus dir rauskitzeln und meist hast du ganz schnell dicht gemacht. Oft kam ich mir vor, als würde ich vor einer Mauer stehen. Sogar Streit bist du ausgewichen. Sobald ich meine Stimme erhoben habe, hast du mich mit irgendetwas besänftigt.“ Damian zuckte hilflos die Achseln. „Es ist schwer zu beschreiben. Ich fühlte mich, als wäre ich mit einer Art Phantom zusammen. Das war nur die Hülle von dir. Sogar beim Sex warst du irgendwo anders.“

Peinlich berührt lief Yutaka knallrot an. Das kam der Wahrheit verflixt nahe. Zum Glück finalisierte der Wasserkocher und bot ihm somit Gelegenheit, Damian den Rücken zuzukehren. Betont langsam nahm er zwei Becher aus dem Schrank, hängte je einen Teebeutel hinein und goss Wasser darüber.

„Ist da was dran, oder hab ich mich getäuscht?“, hakte Damian nach.

„Du warst auch nicht gerade gesprächig.“

„Stimmt.“ Diesem Eingeständnis folgte ein Stoßseufzer. „Das soll auch gar kein Vorwurf sein. Ich trage in jedem Fall Mitschuld.“

Yutaka brachte die Becher zum Tisch, stellte sie ab und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Er war ja selbst schon zu dem Schluss gelangt, dass sein Verhalten die Katastrophe ausgelöst hatte. Es nun von Damian bestätigt zu bekommen, fühlte sich schrecklich an. Wie ein Spiegel, in dem er ein Monster mit seiner Visage erblickte.

„Hör mal …“ Damian beugte sich weit über den Tisch. „Das heißt nicht, dass ich dich verabscheut habe oder so. Ich wollte einfach mehr Nähe. Ich war und bin immer noch in dich verliebt und sehne mich nach Vertrautheit. Nach Momenten, in denen wir uns so nah sind, dass die Grenzen verschwimmen. Mein Gott!“ Kopfschüttelnd richtete sich Damian wieder auf. „Was höre ich mich kitschig an.“

Genau dieser Kitsch war es, der das scheußliche Gefühl vertrieb, dafür einen Funken in Yutakas Unterbauch zündete. Woher kannte Damian seine Träume? Solchen Kram fantasierte er nämlich beim Sex. Sogar noch weitaus schlimmer, bis hin zu schwülstigen Liebesgeständnissen. Die Hitze kehrte in sein Gesicht zurück. Den Blick gesenkt, rührte er in seinem Tee herum.

„Was möchtest du denn von mir wissen?“, murmelte er.

„Alles. Jeden Gedanken, jeden Wunsch.“

„Das ist etwas happig.“

„Warst du immer so oder gibt es ein schlechtes Erlebnis, das dich dazu gemacht hat?“

„Wozu?“

„Na, zu so einem verschlossenen Menschen.“

„Meine Erziehung.“ Er sprang auf und besorgte ein Tellerchen, um die Teebeutel, die er aus ihren Bechern fischte, darauf abzulegen. „Mein Vater ist ein ziemlicher Despot. Er hat alles dafür getan, damit ich zu einem ordentlichen Japaner heranreife.“

„Hat er dich geschlagen?“

„Das brauchte er nie.“ Fragend schaute Damian ihn an. „Psychoterror ist viel effektiver.“

3.

Beim Zuhören wurde Damian zunehmend wütender auf den alten Nakamura. Es mochte ja sein, dass eine derartige Erziehung in Japan ein nützliches Mitglied der Gesellschaft erschuf. In einer Ellbogengesellschaft wie Deutschland hingegen war man damit aufgeschmissen. Na gut, das war ein bisschen ungerecht, schließlich hatte sich Yutaka zu einem tollen Mann gemausert, allerdings zu einem, der ein paar Pfund Selbstvertrauen gut vertragen könnte.

Mit jeder vergehenden Minute schämte er sich noch mehr für sein schäbiges Vorgehen. Im Geiste sah er Yutakas aufrechte Gestalt, wie jene nach seiner grässlichen Schlussmachansprache davonschritt. Er wünschte inständig, alles ungeschehen zu machen.

„In der Schule haben sie mich Schlitzauge, Reisfresser oder Klappergestell genannt. Na ja, immer noch besser als Schwuchtel. In der Stufe über mir war ein armer Kerl, der so dumm war sich zu outen. Mehr als einmal ist der mit dem Hintern im Papierkorb gelandet und ich will nicht wissen, was die noch mit dem angestellt haben“, beendete Yutaka den Bericht.

Im Grunde hatte er genau den verletzlichen und unsicheren Mann hinter der aalglatten Fassade vermutet, den Yutaka ihm nun offenbarte. In diesen war er verliebt, nicht in die höfliche Maske. Zugegeben, äußerlich hatte Yutaka einiges zu bieten, doch von einem schönen Gefäß ohne Inhalt wurde man eben nicht satt.

„Wie kann man deine hübschen Mandelaugen als Schlitzaugen bezeichnen?“, brummelte er. „Und deine Figur ist der Burner.“

„Du verachtest mich nicht?“

„Wofür?“

„Weil ich nie Freunde hatte und auch jetzt keine habe.“

„Das ist doch keine Charaktereigenschaft. Freunde sind Leute, die …“ Er kramte in seinem Gehirn nach einer eloquenten Erklärung, doch es wollte ihm keine einfallen. „Die man eher zufällig findet“, endete er lahm.

„Das sagt schon etwas über den Charakter eines Menschen aus. Ich bin uninteressant.“

„Du bist nur zurückhaltend, was ja wohl kein Wunder ist. Ich finde dich sehr interessant.“

„Du trägst anscheinend eine rosarote Brille.“

„Hätte ich die bloß vorhin aufgehabt“, murmelte Damian betrübt.

Ein Schatten fiel über Yutakas Gesicht. „Wohl wahr.“

Schweigend schlürften sie ihren Tee. Damian stellte sich vor, wie der kleine Yutaka wohl ausgesehen haben mochte. Vor seinem inneren Auge entstand das Bild eines niedlichen, pausbäckigen Jungen. Dicke Tränen kullerten über die rundlichen Wangen, nur weil die dämlichen Eltern ihren Sohn wegen irgendwelchem Kleinkram mit Missachtung straften. Wie konnte man bloß so herzlos sein? Das Bedürfnis, Yutaka in seine Arme zu ziehen und zu trösten, drohte ihn zu verschlingen. Er sollte besser abschwirren, um wettgemachtes Terrain nicht zu verlieren.

„Ich geh mal nach Hause.“ Er brachte seinen leeren Becher zur Spüle. „Darf ich dich morgen zum Essen einladen?“

„Ich hab gerade ein Déjà-vu.“ Yutaka bedachte ihn mit einem schiefen Grinsen.

„Kann ich dich unbesorgt alleinlassen oder soll ich lieber auf der Couch schlafen?“

„Geh nur. Ich werde mich weiterhin nicht umbringen, nur wegen eines Mistkerls wie dir.“

Vom Kotzbrocken zum Mistkerl aufgestiegen. Das ließ hoffen. „Also, morgen um eins beim Italiener an der Alster? Hinterher vielleicht ein kleiner Spaziergang?“

„Okay. Übrigens, danke für die Reparatur.“ Yutaka stand auf und geleitete ihn zur Tür.

„Danke für das Essen und dafür, dass du …“ Überwältigt von plötzlicher Rührung, musste er schwer schlucken, um den Kloß in seiner Kehle zurückzudrängen. „… dass du mir einen Hoffnungsschimmer gelassen hast.“

„Bis morgen“, erwiderte Yutaka, der ihm höflich die Tür aufhielt, in leicht ungeduldigem Tonfall.

„Schlaf gut“, wünschte Damian im Hinausgehen, durchquerte das Treppenhaus und trat ins Freie.

Ein paarmal atmete er tief durch, bevor er sich in Bewegung setzte. Jeder Schritt war ein Kampf gegen die unsichtbaren Fäden, die ihn beharrlich zurückzogen. Hätte er nachmittags besonnener gehandelt, wäre er jetzt nicht auf dem Weg in seine leere Wohnung, sondern auf dem in Yutakas Bett. Allerdings kühlte die Vorstellung, was ihn dort erwartete, sein Verlangen ziemlich ab. Er zweifelte an, dass sich, trotz ihres offenen Gesprächs, irgendetwas an dem alten Verhaltensmuster geändert hatte.

Wo kam bloß Yutakas merkwürdige Einstellung zum Sex her? Vielleicht ein erlittenes Trauma durch irgendeinen groben Kerl? Wohl kaum, sonst würde Yutaka den Akt eher ganz ablehnen, anstatt sich willig anzubieten. Damian versuchte, einen Zusammenhang zwischen der verkorksten Kindheit und dem substanzlosen Bettsport herzustellen, indem er nach Parallelen in seinem eigenen Leben fahndete.

Seine Mutter hatte ihn trotz Pille empfangen und die Schwangerschaft erst bemerkt, als es für eine Abtreibung schon zu spät war. So sehr sich seine Eltern auch bemühten, ihm ein schönes Heim zu bieten, schimmerte dieser Umstand immer wieder durch. Damian, der ungewollte Sohn, war und blieb ein Störfaktor.

Je älter er wurde, desto häufiger stritten seine Eltern. Wegen ihm war seine Mutter ein paar Jahre beruflich kürzer getreten und konnte danach an frühere Erfolge nicht wieder anknüpfen. Das machte sie unzufrieden, genau wie der mangelnde Ehrgeiz seines Vaters. Beides ließ sie sowohl an ihm, als auch an seinem Erzeuger aus.

Ohne ihre Nachbarn hätte er bestimmt einen weitaus größeren Dachschaden, als den vorhandenen, davongetragen. Er war mit deren Sohn Tom dick befreundet und jederzeit herzlich willkommen. Wenn’s daheim wieder mal krachte, fand er bei seinem Freund Trost und Unterschlupf.

Mit siebzehn stellte Damian fest, dem eigenen Geschlecht mehr als Mädchen zugeneigt zu sein. Heimlich beschaffte er Wichsvorlagen und sah sich im Internet einschlägige Seiten an. Bei einer solchen Gelegenheit ertappte ihn seine Mutter. Es folgten erbitterte Vorwürfe, dass sie ihr Leben für eine Schwuchtel versaut hätte. Sein Vater, wohl froh, endlich mal nicht im Mittelpunkt ihres Zornes zu stehen, schlug sich auf ihre Seite. Sie drohten ihn in ein Heim zu stecken, woraufhin er ein paar Habseligkeiten packte und zu Tom türmte.

Dessen Eltern versuchten am nächsten Tag zu schlichten, stießen jedoch auf eine verhärtete Front. Man einigte sich dahingehend, dass er bei den Nachbarn bleiben durfte, unter der Voraussetzung, seinen Erzeugern nie wieder unter die Augen zu treten. Obwohl Damian von seinen Eltern einiges gewohnt war, traf ihn diese hartherzige Maßnahme bis ins Mark. Er hatte wenigstens auf eine spätere Versöhnung gehofft.

Seine Kindheit war also auch nicht gerade rosig verlaufen. Auswirkungen auf sein Sexualleben konnte er lediglich dahingehend feststellen, dass ihm einmalige Ficks zuwider waren. Er strebte stets etwas Dauerhaftes an und nahm dafür lieber lange Trockenzeiten in Kauf, als von seinem Pfad abzuweichen. Wahrscheinlich war das der kleine Junge in ihm, der sich nach bedingungsloser Liebe sehnte.

Damian blieb stehen. Er war doch glatt, total in Gedanken versunken, an seiner Haustür vorbeigelatscht. Wo war noch der rote Faden? Ach ja. Ließ sich Yutakas Kindheitstrauma mit seinem vergleichen? Oberflächlich schon, hatten sie doch beide eine verstörende Form von Elternliebe erfahren. Für eine nähere Analyse fehlte ihm leider die nötige Fachkompetenz. Nur sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass Yutakas Bettverhalten unmöglich eine Folge der verkackten Erziehung sein konnte. Als Konsequenz käme eher ein ausgeprägtes Anlehnungsbedürfnis infrage. Davon war Yutaka so weit entfernt, wie der Mars von der Erde.

Wenig später lag er im Bett und starrte die Decke an. Eigentlich war es für einen Freitagabend viel zu früh zum Schlafengehen, aber die Ereignisse steckten ihm in den Knochen, wie ein ausgeprägter Muskelkater. Weiterhin spukte Yutakas, an einen Roboter erinnernde, Art Sex zu betreiben in seinem Kopf herum. Bei ihrem ersten Mal hatte er dafür Verlegenheit verantwortlich gemacht. Wie schon so oft, ließ er die Szene Revue passieren.

Nach ihrem vierten Abendessen waren sie in seinem Schlafzimmer gelandet. Zuvor hatten sie im Flur ein bisschen geknutscht, entsprechend scharf war Damian, dabei auch ein bisschen nervös. Unspektakulär, ihm den Rücken zugewandt, zog sich Yutaka aus. Flink folgte er diesem Beispiel, seinen Blick auf den sexy Arsch geheftet, von dem er seit einer Ewigkeit fantasierte. Yutaka ging zum Bett, ließ sich bäuchlings darauf fallen und spreizte die Beine. Dieser Einladung konnte er unmöglich widerstehen. Zeit für ein bisschen Vorbereitung nahm er sich noch, dann gab’s kein Halten mehr.

Trotz all seiner Bemühungen gab Yutaka keinen Mucks von sich. Lediglich wachsende Körperspannung wies darauf hin, es nicht mit einer lebensechten Puppe zu tun zu haben. Erst beim Finale drang ein ersticktes Stöhnen an sein Ohr, während sein Schwanz von melkenden Darmwänden zum Abspritzen gezwungen wurde. Im Rausch ihrer ersten Vereinigung gefangen, erlebte Damian seinen Orgasmus als äußerst erfüllend. Hinterher schmiegte sich Yutaka in seine Arme und schlief schnell ein.

Auch die folgenden Male liefen nach diesem Muster ab. Irgendwann war Damian die Sache leid. Er zwang Yutaka zum frontalen Beischlaf. Der erhoffte Effekt blieb jedoch aus. Zwar konnte er Yutaka endlich dabei ansehen, aber der kniff beharrlich die Augen zu und erwiderte seine Küsse nur abwesend. Wann immer er leise nachfragte, ob es Yutaka gutgehe, bekam er ein geseufztes ‚Klar‘ zur Antwort.

Damian wachte auf und war im ersten Moment verwirrt. Anscheinend war er übers Grübeln nahtlos eingeschlafen. Gähnend drehte er sich auf die andere Seite und betrachtete das leere Kissen. Was würde er dafür geben, dort einen schwarzen Schopf zu sehen. An den vergangenen Wochenenden hatte er sich morgens genüsslich an Yutakas schlafwarmen Körper geschmiegt, um noch ein bisschen zu dösen. Er vermisste den inzwischen vertrauten exotischen Duft. Ach, einfach alles.

Nach einem Blick aufs Ziffernblatt seines Weckers, kuschelte er sich tiefer ins Kissen und zog seine Decke bis unters Kinn. Es war erst sieben, also noch reichlich Zeit, um ein bisschen zu träumen. Damian rief sich seine Lieblingsfantasie vor Augen: Yutaka, nackt und erregt, das dunkle Geschlecht mit der Faust umschlossen. Dieses Bild würde er leider niemals real zu Gesicht bekommen. Selbst wenn sie es schafften, ihre Beziehung zu kitten, galt das wahrscheinlich nur für den Teil außerhalb des Bettes.

In der letzten Nacht hatte er lange hin und her überlegt und schließlich beschlossen, Sex auszuklammern. Weitaus wichtiger war, dass es ansonsten funktionierte. Er brauchte die enge Bindung an einen geliebten Partner und war mittlerweile überzeugt, in Yutaka den Richtigen gefunden zu haben. Was den Rest betraf … nun, wozu besaß er zwei gesunde Hände?

Genau die kamen jetzt zum Einsatz, wobei er sich Yutakas lustvoll verzogene Miene vorstellte. Begehrlich auf ihn gerichtete Mandelaugen, in denen leidenschaftliches Feuer loderte. Yutakas schmale Hand, aus der in steigendem Tempo eine glänzende Eichel auftauchte und wieder verschwand. Diese Fiktion trieb ihn rasend schnell zum Höhepunkt, womit sie in einem Sternenregen verpuffte. Danach überkam ihn ein schales Gefühl, wie immer, wenn er selbst Hand anlegte und anschließend allein in seinem Bett lag. Ein paarmal hatte er, während Yutaka noch schlief, heimlich gewichst und sich hinterher an den Süßen gekuschelt. Das war zwar nur ein gestohlener Moment, aber wahnsinnig schön gewesen.

Stechender Durst trieb ihn aus dem Bett. In der Küche trank Damian ein Glas Wasser, setzte die Kaffeemaschine in Betrieb und schlurfte ins Bad. Unter der lauwarmen Dusche unterzog er sich der üblichen Prozedur. Die Stoppeln in seinen Achselhöhlen und im Schambereich fielen dem Rasierer zum Opfer, dann schäumte er seinen Körper verschwenderisch mit duftendem Duschgel ein. Nachdem er sich abgespült und in seinen flauschigen Bademantel gehüllt hatte, betrachtete er kritisch den Kerl im Spiegel. Sein Kinn war von einem Bartschatten bedeckt, was einen sexy Rahmen für seine vollen Lippen abgab. Bisher hatte er sich, aus Rücksicht auf Yutaka, stets glatt rasiert. Da seine Hoffnung auf Küsse gen Null ging, verzichtete er diesmal darauf.

Mittlerweile war der Kaffee durchgelaufen. Mit einem Becher des schwarzen Gebräus nahm Damian am Küchentisch Platz. Auf dem Display seines Smartphones, das er auf dem Weg aus seiner Jackentasche gefischt hatte, blinkten zwei ungelesene Nachrichten. Beide stammten von Tom und waren in der vergangenen Nacht abgesetzt worden.

„Was ist denn nun? Habt ihr geredet?“, lautete die erste SMS und die zweite: „Dein Schweigen werte ich mal als ja. Nachti.“

Er wusste, dass Tom trotzdem einen Anruf von ihm erwartete. Sie hatten in den vergangenen Wochen kaum ein Wort unter vier Augen gewechselt. Zum einen waren sie stets mit mehreren unterwegs gewesen, zum anderen war er völlig auf Yutaka konzentriert. Dabei hatte er ihre Freundschaft vernachlässigt, wie meist, wenn er in einer frischen Beziehung steckte. Andersherum war’s genauso, daher spürte er keinerlei Schuldkomplexe. Sie standen sich auch so nahe, ohne ständig aufeinander hocken zu müssen.

Damian aktivierte die Rückruffunktion, wenngleich das zu so früher Stunde gemein war. Tom gehörte zur Fraktion der Langschläfer und ließ sich nur ungern vor zwölf stören. In diesem Fall hielt er sein Vorgehen jedoch für gerechtfertigt, schließlich lag es durchaus im Bereich des Möglichen, dass sich sein Freund Sorgen machte.

„Alles klar bei dir?“, brummelte eine schlafheisere Stimme.

„Morgähn. Yutaka ist wohlauf. Wir treffen uns nachher zum Mittagessen.“

„Das klingt doch gut. Allerdings frage ich mich, wieso du nicht mit mir geredet hast, bevor du solchen Scheiß verbockst.“

„Ich war mir sicher, das Richtige zu tun.“

Tom schnaubte verächtlich. „Indem du dem Kleinen eine Lüge auftischst?“

„Das war nicht geplant. Er hat sie mir gewissermaßen impliziert.“

„Nun schieb die Schuld nicht auf Yutaka!“

„Das wollte ich gar nicht. Es erschien mir nur unfair, einen Kübel Unzufriedenheit über ihm auszuschütten. Da hab ich lieber zu einer Notlüge gegriffen.“

„Sehr erwachsen“, spottete Tom. „Dann erzähl mir doch mal, was sich der arme Kerl alles an Verfehlungen geleistet hat, dass du solch drastischen Schritt tust.“

Im Nachhinein kamen Damian sämtliche Begründungen lächerlich vor, was sich noch verstärkte, als er sie seinem Freund berichtete. Er hätte vorher mit Tom reden sollen, dann wäre das Unglück wahrscheinlich gar nicht geschehen. Über Yutakas verklemmtes Gebaren im Bett schwieg er, um dessen Privatsphäre zu wahren. Damian würde zwar gern die Meinung seines Freundes dazu einholen, aber das käme einem Vertrauensmissbrauch gleich. Insbesondere, da Yutaka einem Kulturkreis angehörte, in dem solches Verhalten als absolut verdammenswert galt.

„Hm“, machte Tom, nachdem er geendet hatte. „In meinen Ohren klingt das nach Lappalien. Tu mir einen Gefallen: Versau es nicht wieder und falls du jemand zum Reden brauchst: Ruf. Mich. An!“

„Jawohl!“

„Wunderbar. Ich hau mich wieder hin. War erst um fünf im Bett. Tschüssi.“

„Nachti.“ Schmunzelnd beendete Damian die Verbindung.

Mit Tom zu sprechen hatte ihm gutgetan. Da, wo er sich hilflos in irgendwelchen Gedankenknäueln verstrickte, legte sein Freund erfrischende Rationalität an den Tag. Vielleicht lag’s an ihren Jobs: Er wusste mit Kabeln umzugehen und brachte auf Schiffen sowohl Funkgeräte als auch Radaranlagen in Null-komma-nix zum Laufen. Tom hingegen arbeitete in einem Pfandhaus und musste jeden Tag Wertgegenstände und die Ehrlichkeit von deren Besitzern einschätzen. Das führte unweigerlich dazu, Dinge aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten.

In den vergangenen Jahren hatte er manchmal überlegt, ob vielleicht Tom der Eine war. Sie vertrauten einander blind, außerdem war sein Freund beidseitig orientiert. In letzter Zeit hatte sich sogar herauskristallisiert, dass Tom eher dem eigenen Geschlecht zugeneigt war. Die drei letzten Verflossenen waren Männer. Leider fehlte für eine Beziehung etwas Entscheidendes: Er war kein Stück in Tom verliebt, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Wahrscheinlich würden sie beide an Langeweile sterben, wenn sie sich zu einer rational begründeten Partnerschaft zusammentaten.

Zur verabredeten Zeit stand Damian vor dem italienischen Restaurant an der Alster. Dreimal hatte er sich vorher umgezogen und letztendlich doch noch rasiert. Die Sonne strahlte vom Himmel, ab und zu von einer Wolke verdeckt. Eine leichte Brise sorgte für zusätzliche Abkühlung, so dass er über seine Entscheidung froh war, eine dünne Lederjacke übergestreift zu haben.

Mit jeder verrinnenden Minute stieg Damians Nervosität. Abwechselnd schielte er aufs Display seines Smartphones und scannte die Umgebung. Immer, wenn er einen schwarzen Schopf entdeckte, begann sein Herz wild zu pumpen. Genauso groß war die Enttäuschung, darunter ein fremdes Gesicht zu erblicken.

Um viertel nach eins verlor er die Geduld, wählte Yutakas Nummer und presste das Handy an sein Ohr. Gefasst auf eine Absage, begab er sich in den weniger frequentierten Bereich seitlich des Gebäudes. Er war emotional derart aufgewühlt, dass er selbst Tränen nicht ausschließen konnte. Dabei brauchte er keine Zuschauer.

Nach dem dritten Freizeichen erklang Yutakas atemlose Stimme: „Bin gleich da.“

Vor Erleichterung wurden seine Knie ganz weich. Damian lehnte sich gegen die kalte Mauer, holte tief Luft und erwiderte leise: „Ich freu mich.“

4.

Bis zuletzt hatte Yutaka gezögert, ob er zu ihrem Treffen gehen sollte. Vielleicht war Damian über Nacht doch noch zu dem Schluss gekommen, es mit einem Versager zu tun zu haben und verpasste ihm den nächsten Arschtritt. Solch ein Schlag besäße vernichtende Kraft, bedeutete die Ablehnung seines wahren Ichs. Er könnte nie wieder jemandem vertrauen und wäre zu einem Leben in Einsamkeit verdammt.

Als er sich schließlich dazu durchrang, seinen Ängsten Paroli zu bieten, war er flink in ein Ausgehoutfit geschlüpft und aufgebrochen.

Mit langen Schritten hastete er den Gehweg runter. Hinter der nächsten Kurve warf er einen Blick auf die Uhr, die auf einer hohen Säule am Straßenrand stand. Dank seines langen Zögerns war er bereits jetzt um einige Minuten verspätet. Yutaka hasste das. Stehenbleiben und Damian anrufen, um Bescheid zu geben, hätte kostbare Sekunden gekostet. Lieber lief er schneller, damit er wenigstens das akademische Viertel einhielt.

Rund hundert Meter vorm Ziel vibrierte sein Smartphone. Ohne langsamer zu werden, fischte er das Gerät aus seiner Hosentasche, sah Damians Namen blinken und nahm das Gespräch an.

„Bin gleich da“, stieß er abgehetzt hervor.

Nach einem vernehmlichen Einatmen antwortete Damian: „Ich freu mich.“

Das klang vielversprechend. Yutaka merkte, wie seine furchtsame Anspannung nachließ. Er steckte das Handy wieder ein und legte den Rest des Weges gemächlicher zurück. Damian geriet in Sichtweite. Der sonst eher nachlässig gekleidete Mann trug heute schwarze Jeans, dazu ein Hemd in der gleichen Farbe und eine ebenfalls dunkle Lederjacke.

Je näher er Damian kam, desto aufgeregter klopfte sein Herz. Blaue Augen guckten ihm mit offen gezeigter Zuneigung entgegen. Anders als beim Anschmachten am Bankschalter, bei dem sich Damians Blick meist in tiefere Gefilde verirrt hatte, lag nun der Fokus ausschließlich auf seinem Gesicht. Keine Spur von Vorwurf über sein Zuspätkommen war erkennbar, dennoch fühlte er sich zu einer Entschuldigung bemüßigt.

„Tut mir leid. Mir kam ein Telefonat dazwischen“, log er, in höfliche Traditionen zurückfallend.

„Aus Japan? Deine Eltern?“

Yutaka gab sich innerlich einen Ruck. Es war zwar nur eine Notlüge, aber selbst die stellte ihr Treffen von Anfang an unter einen schlechten Stern.

„Ehrlich gesagt hab ich überlegt, ob ich herkommen soll. Nach gestern … Ich hatte Angst, dass du mich nur herbestellt hast, um …“ Er ließ seinen Satz unbeendet und zuckte die Achseln.

Betroffenheit spiegelte sich auf Damians Miene. „Das traust du mir zu?“

„Diese Frage kannst du dir nach deinem Auftritt von gestern wohl selbst beantworten. Gehen wir rein? Ich hab Hunger.“

Während sie auf ihr bestelltes Essen warteten, schwieg Damian und machte einen nachdenklichen Eindruck. Mittlerweile bereute Yutaka seine harsche Bemerkung und hätte sie am liebsten zurückgenommen. Bedrückt spielte er mit seinem Besteck, den Blick aufs Tischtuch gesenkt. Die Situation erinnerte stark an die vielen Male, bei denen seine Eltern ihn wie Luft behandelt hatten.

Schließlich hielt er die belastende Stimmung nicht länger aus. „Ich war unnötig grob. Tut mir …“

Damian unterbrach ihn mit einer abwehrenden Handbewegung. „Du hast vollkommen Recht. An deiner Stelle würde es mir genauso gehen. Ich frage mich nur, wie ich dein Vertrauen gewinnen kann und ob das überhaupt geht.“

„Tu mir einen großen Gefallen und schließ mich nicht aus, sondern sag, was dir im Kopf herumschwirrt. Ich hab sonst ein Déjà-vu mit meiner Kindheit.“

„Oh Mann! Ich bin echt ein Stoffel.“ Schuldbewusst sah Damian ihn an. „Daran hab ich ja gar nicht mehr gedacht. Wenn ich das noch mal mache, tritt mir einfach gegens Schienbein.“

„Okay. Ich nehme dich beim Wort.“

„Wir müssen neu lernen miteinander umzugehen. Es kommt mir vor, als säße ich einem ganz anderen Mann gegenüber.“

Dem konnte Yutaka nur zustimmen. Auf ihn wirkte Damian ebenfalls etwas fremd, allerdings im positiven Sinne. Vermutlich hatten sie beide in den vergangenen Monaten eine Maske getragen. Der neue Damian war weitaus authentischer und offener als der alte und gefiel ihm mit jeder Sekunde besser.

Er suchte Damians Blick, wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, da traf es ihn, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Gebannt starrte er in die blauen Augen und wurde rasend schnell in einem sinnlichen Strudel abwärts zogen. Gänsehaut breitete sich auf seinem ganzen Körper aus, im Schritt begann es mächtig zu jucken und in seinem Bauch tanzten Schmetterlinge Polka. Solch heftiges Begehren hatte er noch nie empfunden, nicht mal in seinen wildesten Sexfantasien.

„Forelle für den Herrn“, zerstörte der unversehens auftauchende Ober den Moment. „Und einmal Penne nach Art des Hauses.“

Nacheinander stellte der Kellner die Teller vor ihnen ab, deutete einen Diener an und huschte wieder davon. Leicht benommen senkte Yutaka den Blick auf seine Portion. Was war eben bloß in ihn gefahren? Andere Frage: Hatte Damian das Gleiche gespürt?

„Guten Appetit“, murmelte jener.

„Ähm. Ja. Wünsch ich … wünsch ich dir auch“, gab er stammelnd zurück.

Verstohlen beobachtete er sein Gegenüber, der mit ruhiger Hand die Forelle zu filetieren begann. Bewundernswert. Er traute sich nicht mal mit seinen zitternden Fingern die Gabel anzufassen, aus Sorge, sie quer durchs Lokal zu schleudern. Konzentriert atmete er ein paarmal tief ein und aus. Das half, seine aufgewühlten Nerven zu beruhigen. Yutaka griff nach dem Besteck und stocherte ein bisschen auf seinem Teller herum.

„Schmeckt’s dir nicht?“, erkundigte sich Damian.

„Doch.“ Flink stopfte er sich ein paar Penne in den Mund.

„Ich hab überlegt, ob wir hiernach eine Alsterrundfahrt machen. Was hältst du davon?“

„Mhm. Nette Idee“, stimmte er kauend zu.

„So richtig begeistert hörst du dich aber nicht an“, fand Damian.

„Mir gefällt der Vorschlag wirklich. War zuletzt als Kind auf einem Alsterdampfer.“

„Na, das klingt doch schon besser.“ Offenbar zufriedengestellt, widmete sich sein Gegenüber wieder dem Fisch.

Allmählich kehrte Yutakas Appetit zurück. Mit jedem Bissen schwand die Erinnerung an seinen wollüstigen Anfall mehr und war, als er seine Portion verspeist hatte, nur noch ein vager Schatten.

„Willst du auch einen Espresso?“ Damian war kurz vor ihm fertig geworden und winkte bereits den Ober herbei.

„Gern. Außerdem möchte ich dich einladen.“

„Kommt nicht infrage“, lehnte Damian ab und bat, an den Kellner gewandt, der vor ihrem Tisch aufgetaucht war: „Zwei Espresso und die Rechnung, bitte.“

Wenig später schlenderten sie zum Jungfernstieg, wo Menschenmassen auf dem Anleger herumwuselten. Sie waren gezwungen, sich hintereinander durch die Menge zu schlängeln. Endlich an einem der Dampfer angekommen, löste Damian zwei Tickets und bugsierte ihn auf das wartende Schiff.

Im Innenraum waren bereits alle Bänke belegt, dafür hielt sich im Heck lediglich ein Pärchen auf. Kaum hatten sie Platz genommen, teilte der Kapitän über Lautsprecher mit, dass der Dampfer nun ablegen würde.

Den folgenden Ausführungen des Guides lauschte Yutaka, von Damians Nähe ziemlich abgelenkt, nur mit halbem Ohr. Ab und zu berührten sich zufällig ihre Schultern, wenn einer von ihnen eine andere Sitzposition einnahm. Der Fahrtwind zerzauste Damians Haare, was dem attraktiven Mann etwas Lausbübisches verlieh. Yutaka wurde bei diesem Anblick die Brust ganz eng.

Neidisch schielte er zu dem Pärchen, das ungehemmt knutschte. Es war unfair, dass Heteros in der Öffentlichkeit sowas durften. Täten Damian und er das Gleiche, zögen sie wahrscheinlich sofort die empörte Aufmerksamkeit der gesamten Passagiere auf sich.

„Du guckst so komisch“, flüsterte Damian in sein Ohr.

Der warme Atem in seiner empfindlichen Ohrmuschel bescherte ihm Erpelpelle. „Wie meinst du das?“

„So, als ob du mich gern küssen würdest.“

„Einbildung.“

„Lügner.“ Grinsend zwinkerte Damian ihm zu.

„Na gut. Ich hab mit dem Gedanken gespielt.“

„Das freut mich.“ Heimlich streichelte Damian seine Hand, nur ganz kurz, doch es reichte, um sein Herz zu berühren.

„Sag mal … machen wir nach dieser Fahrt noch was zusammen, oder hast du was anderes vor?“

„Du kannst frei über mich verfügen.“

„Ein Spaziergang, danach Abendessen bei mir?“, schlug Yutaka vor.

„Und im Anschluss auf deiner Couch einen Actionfilm gucken“, stimmte Damian zu.

Auf der Mattscheibe explodierten mehrere Wagen, ohrenbetäubendes Krachen drang aus den Boxen. Damian hatte sich vorgebeugt, die Unterarme auf den Schenkeln abgelegt und verfolgte das Geschehen mit sichtbarer Begeisterung. Normalerweise konnte Yutaka solchen Filmen auch etwas abgewinnen und war anfangs aufmerksam gewesen, doch inzwischen schweiften seine Gedanken ständig ab.

Vorhin, beim Spazierengehen, hatte Damian über seine Eltern gesprochen. Im Grunde trug der Mann ähnliche Narben wie er. Yutaka empfand sie sogar noch als weitaus schlimmer als die eigenen. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie sehr Damian unter der Ablehnung gelitten hatte. Schlechte Eltern waren immer noch besser als keine. Das hatte er mal irgendwo gehört, verstand es aber erst jetzt.

Welche Rolle Tom in Damians Leben spielte, war ihm ebenfalls vorher nicht bekannt gewesen. Ohne den Freund und dessen Eltern, wäre die Sache bestimmt in einem Fiasko geendet. Vielleicht wäre Damian auf der Straße gelandet, irgendwelchen Drogen verfallen und inzwischen ein Wrack. Er war überaus dankbar dafür, dass stattdessen neben ihm ein seelisch stabiler Mann saß. Damian hatte sich innerhalb der letzten 24 Stunden zu einem wichtigen Teil seines Lebens gemausert. Na gut, auch schon davor, aber mittlerweile war das Band zwischen ihnen weitaus enger geworden. Echte Nähe war entstanden, gegen die ihr Verhältnis der letzten Monate an den Aufenthalt in einer Eiswüste erinnerte.

„Langweilt dich der Film?“, wollte Damian plötzlich wissen.

„Ich bin nur ein bisschen erschöpft.“ Die viele frische Luft hatte ihn tatsächlich ganz schön ausgelaugt.

„Der Streifen ist gleich vorbei. Danach lass ich dich in Ruhe.“

„Du kannst auf der Couch schlafen, wenn du magst.“

„Wirklich?“ Überrascht riss Damian die Augen auf.

„Dann könnten wir morgen zusammen frühstücken.“

„Das gefällt mir.“ Lächelnd richtete Damian die Aufmerksamkeit zurück auf den Bildschirm.

Dort fand ein fulminantes Finale mit mindestens zehn brennenden Autos statt, natürlich begleitet von entsprechendem Lärm. Den Faden der Handlung hatte Yutaka verloren, doch bei solchen Machwerken ging’s eh nur um Effekthascherei. Am Ende siegte das Gute, was wollte man mehr?

„Ich hol schon mal Bettzeug.“

Sein Gast, völlig von der Mattscheibe gefesselt, nickte lediglich. Im Schlafzimmer holte er ein Laken aus dem Schrank, raffte Kissen und Decke zusammen und schleppte alles zur Couch. Abwesend rückte Damian ein Stück beiseite, damit er den Kram ablegen konnte. In der Glotze küsste der Held den weiblichen Gegenpart vor der Kulisse eines gigantischen Feuers, dann fing der Abspann an zu laufen. Gähnend reckte Damian die Arme über den Kopf, wobei das T-Shirt hochrutschte und einen Streifen Haut freigab. Eine unschuldige Geste, dennoch total erotisch. In Yutaka löste sie widerstreitende Empfindungen aus. Einerseits sehnte er sich nach mehr Intimität, andererseits fürchtete er sie.

„Damian? Musst du aufs Klo? Ich möchte nämlich duschen.“

Treuherzig blinzelte Damian zu ihm hoch. „Darf ich auch? Ich meine, nach dir?“

„Klar.“

„Schön. Dann geh ich mal eben pissen.“ Sein Gast stemmte sich hoch, strich im Vorbeigehen leicht über seinen Arm und verschwand im Bad.

Mit schwerem Herzen blieb er zurück. Sein Geheimnis türmte sich immer mehr zu einem gigantischen Massiv. Je länger er es verschwieg, desto unüberwindlicher würde es sein und unweigerlich zu neuen Problemen führen. Den ganzen Tag hatte er mit sich gekämpft, mehrfach Anläufe unternommen und letztendlich doch feige den Schwanz eingekniffen. Yutaka verstand sich selbst nicht. Spätestens wenn Damian Sex wollte, kam es eh ans Tageslicht. Ihm war klar, dass sie nicht mehr auf die alte Weise miteinander verkehren konnten. Dazu hatte sich zu viel zwischen ihnen geändert.

Er kehrte ins Schlafzimmer zurück, ließ die Jalousien runter und zog sich bis auf seine Shorts aus. Bestrumpfte Füße tappten an der angelehnten Tür vorbei.

„Du kannst jetzt“, erklang Damians Stimme.

Das riesige Shirt, in dem er nachts schlief, im Arm verließ er den Raum. Im Flur hing noch der Duft der Räucherstäbchen, obwohl die bereits von einer Weile verglommen waren. Rasch schlüpfte er ins Bad und drückte die Tür ins Schloss.

Rund eine Viertelstunde später lag er im Bett. Unmittelbar nach ihm war Damian ins Badezimmer gegangen. Gedämpft hörte Yutaka Wasser plätschern. Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild eines von glitzernden Tropfen überzogenen Körpers auf. Ein paarmal war er praktisch über den frisch geduschten Damian gestolpert, wenn er morgens schlaftrunken ins Bad gewankt war, um seine volle Blase zu leeren. Es hatte nur wenige solche Momente gegeben, da er sie konsequent zu meiden versuchte.

Im Rückblick grenzte es an ein Wunder, dass Damian nicht eher Schluss gemacht hatte. An dessen Stelle hätte er den verklemmten Idioten Yutaka schon weitaus eher in die Wüste geschickt.

5.

Damian hatte es sich in Shorts und T-Shirt auf der Couch bequem gemacht und zappte durchs Fernsehprogramm. Alle Sender boten gähnende Langeweile. Ihm fiel die angebrochene Flasche Rotwein ein, die er vorhin, beim Abendbrot, auf der Fensterbank entdeckt hatte. Yutaka benutzte das Zeug nur zum Kochen, bevorzugt edle Tropfen, was in seinen Augen eine grausame Verschwendung darstellte. Solcher Wein gehörte pur genossen.

Auf leisen Sohlen schlich er in die Küche, schnappte sich die Flasche und ein Glas. Im Flur blieb er vor Yutakas Schlafzimmertür stehen. Darunter konnte er einen Lichtschimmer erkennen, jedoch keinen Mucks hören. Vielleicht las Yutaka noch ein bisschen. Ständig lag ein Buch auf dessen Nachtschrank, zumeist irgendwelche Biografien.

Zurück im Wohnzimmer stellte Damian seine Beute auf den Couchtisch. Im Schneidersitz ließ er sich auf dem Bettzeug nieder, füllte das Glas und probierte einen Schluck. Der schwere Rote mundete vorzüglich.