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Die Northfolk-Ranch in Indiana gehört in dritter Generation Matthias Strauss und seiner Schwester Amalie. Es gibt dort Stammpersonal und solche Leute, die für eine Saison oder kürzer auf der Ranch arbeiten. Normalerweise ist natürlich kein Cowboy schwul, trotzdem finden sich in dieser von Männern dominierten Domäne immer wieder Ausnahmen. Cox – Mr. Stinkstiefel: Cox Sterling kehrte nach einem Jahr, in dem er woanders gearbeitet hatte, auf die Northfolk-Ranch zurück. Mittlerweile war sein Herz ein zweites Mal gebrochen. Ob es je wieder heilen würde, stand in den Sternen. ~ * ~ Das Greenhorn und der rastlose Cowboy: Josh hielt es nirgendwo lange aus. Auch die Northfolk-Ranch sah er als Interimslösung. Für ihn wäre eine Autowerkstatt mit integriertem Pferdestall der einzige Grund, um seine Zelte länger aufzuschlagen. Er konnte sich eben zwischen seinen beiden Steckenpferden nicht entscheiden. Eine besondere Aufgabe stellte dann seine Geduld auf eine harte Probe und seinen Freiheitsdrang infrage.
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Inhaltsverzeichnis
Cox – Mr. Stinkstiefel
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Epilog - zwei Monate später
Das Greenhorn und der rastlose Cowboy
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8.
Epilog - einige Monate später
West Gay Storys Vol. 2
Die Northfolk-Ranch gehört in dritter Generation Matthias Strauss und seiner Schwester Amalie. Zum Stammpersonal zählen Annegret, die über die Küche und den Hühnerstall wacht, Ford, hauptamtlich für die Landwirtschaft zuständig, Felix, eine Art Fitnessmanager für die Urlauber (außerdem Matthias‘ Partner), Hank, Vorarbeiter im Bereich der Rinderzucht sowie die Cowboys Liwanu, Dan und Jeremy. Bei den restlichen Mitarbeitern handelt es sich um Saisonpersonal beziehungsweise kurze Engagements.
***
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!
Text: Sissi Kaiserlos/Kaipurgay
Foto: Shutterstock, Depositphotos, IStock KI Bildgenerator
Coverdesign: Lars Rogmann
Korrektur: Aschure, dankeschön!
Kontakt: https://www.sissikaipurgay.de/
Sissi Kaiserlos/Kaipurgay
c/o Autorenservice Karin Rogmann
Kohlmeisenstieg 19
22399 Hamburg
Cox Sterling kehrte nach einem Jahr, in dem er woanders gearbeitet hatte, auf die Northfolk-Ranch zurück. Mittlerweile war sein Herz ein zweites Mal gebrochen. Ob es je wieder heilen würde, stand in den Sternen.
Von einer der anderen Terrassen schallte Lachen herüber, aus einem der offenstehenden Fenster erklang leise Musik. Cox lümmelte in einem Liegestuhl, eine Zeitschrift auf dem Schoß und ein Bier in der Hand. Es tat gut, wieder in gewohnten Gefilden zu sein. Er mochte die seidige Luft am Abend, herrlichen Sonnenuntergänge und entspannte Stimmung auf der Northfolk-Ranch.
Normalerweise schloss er sich gern den anderen Jungs an, wenn die auf einem der Freisitze zusammen herumlungerten, doch momentan war ihm nicht danach. Wie sagte seine Mutter immer so schön? Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Genauso war es ihm ergangen, als er vor einem Jahr wegen Liebeskummer die Ranch verließ und bei einer Viehzucht in Illinois anheuerte. Dort traf er Kurt, der ihn mit Versprechungen und gutem Sex einlullte, bis er erneut sein Herz verlor. Das Ganze währte kaum sechs Monate, da bot man seinem Lover eine attraktive Stelle in Texas an. Kurt zögerte keinen Moment und hatte ihn fallenlassen wie eine heiße Kartoffel.
Tja. Wie gewonnen, so zerronnen. Nun saß er da, schon wieder mit gebrochenem Herzen. Einziger Vorteil: Seine Gefühle für Matt, den Besitzer der Northfolk-Ranch, waren verpufft. Cox wünschte allerdings, das wäre auf anderem Weg geschehen.
Was ihn noch auf die Ranch zurückgezogen hatte: Cranberry, sein Wallach. Das Pferd gehörte nicht ihm, sondern war nur eine Leihgabe, aber sie kannten sich schon viele Jahre. Irgendwann, wenn er den elterlichen Betrieb übernahm, wollte er Cranberry bei Matt auslösen. Noch hatte er keine Ahnung, wann das sein würde. Er scheute davor zurück, in die – wie er es nannte – Einöde in der Nähe Monroes in Michigan umzusiedeln. Dort gab es nur Felder und alte Leute in der Nachbarschaft.
Seine Eltern betrieben Getreide- und Gemüseanbau sowie eine Schnapsbrennerei. Letztere war fast lukrativer als das andere. Mit etwas Knowhow könnte man daraus ein richtig profitables Geschäft entwickeln. Cox hatte sich bereits damit beschäftigt, doch wie gesagt: Er war noch nicht soweit. Vielleicht mit vierzig, also in fünf Jahren, vielleicht eher. Wer wusste schon, was das Schicksal noch alles für ihn bereithielt?
Sein Aufenthalt auf der Northfolk-Ranch war vorläufig befristet. Seine vormalige Stelle hatte sein Nachfolger inne und es sah so aus, als ob Liwanu, so hieß der Typ, hier Wurzeln geschlagen hätte. Mittlerweile lebte der Mann sogar mit Hank, dem Vorarbeiter, in einem Haus in der Nähe. Insofern brauchte er sich auf Liwanus Platz keine Hoffnungen machen. Was das restliche Stammpersonal betraf, galt wohl das Gleiche.
Dennoch hatte Matt ihm in Aussicht gestellt, eventuell länger bleiben zu können. Ein Angebot, das er sehr schätzte, zumal er Hanks altes Appartement bewohnte. Eine Unterkunft mit einigen Vorzügen, wie dem Wannenbad, der blickgeschützten Terrasse und ruhiger Nachbarschaft. Links wohnte Annegret, rechts Jeremy, der sich meist bei den anderen Jungs aufhielt.
Cox leerte sein Glas und warf die Zeitschrift auf den Tisch. Nachdem er in seine Stiefel gestiegen war, verließ er das Haus und schlenderte in Richtung der Ställe. Aus einem der oberen Fenster des Haupthauses drang Kindergekreische. Wahrscheinlich mussten die beiden Kleinen gerade ins Bett.
Als Kinder hatten seine Schwester und er auch so rumkrakeelt, wenn’s in die Heia gehen sollte. Ach ja, Constanze. Mittlerweile lebte sie mit ihrem Gatten, einem Banker, in Los Angeles. Man sah sich nur noch selten. Sie wollte die elterliche Farm keinesfalls übernehmen und ging, mit der Kreditkarte ihres Ehemannes, bevorzugt shoppen. Constanze war ein kleines bisschen oberflächlich, doch er liebte sie trotzdem.
Im Stall empfing ihn eine friedliche Atmosphäre. Sanftes Schnauben, als er an den Boxen entlangschritt. Kurz hielt er bei Patty, die ihren Kopf über die Abtrennung reckte und gab ihr ein paar Krauleinheiten. Das gutmütige Mädchen bekam, seit Liwanu für das Gestüt zuständig war, endlich mehr Auslauf. Insofern und sicher auch in jederlei anderer Hinsicht, hatte Matt mit der Rothaut einen guten Griff getan. Der Typ war fleißig, verschwiegen und stets tiefenentspannt. Wahrscheinlich trug Hank erhebliche Mitschuld an letzterem. Der war ebenfalls erheblich besser gelaunt, als noch vor Liwanus Ankunft.
Apropos: Dass Hank auf Männer stand, hatte Cox irgendwie geahnt. Sein Gaydar funktionierte allerdings unzuverlässig, daher war er bisher unsicher gewesen. Im Grunde ging es ihn auch nichts an. Jeder durfte auf der Ranch nach seiner Fasson leben. Die meisten seiner Kollegen fuhren an den freien Tagen zu ihren Freunden oder Geliebten. Ihm war es egal, ob es sich dabei um Männlein oder Weiblein handelte.
Cranberry wartete schon, als er dessen Box erreichte. Sanft stupste der Wallach ihm gegen die Schulter. Anfangs hatte Cranberry ein wenig geschmollt, wie ein sitzengelassener Liebhaber. Verständlich. Inzwischen waren ein paar Wochen vergangen und sie wieder ein Herz und eine Seele.
„Na, mein Junge. Wahre Liebe gibt es nur zwischen Pferd und Mensch, nicht wahr?“ Er gab Cranberry den Apfel, den er vor seinem Aufbruch eingesteckt hatte.
Während der Wallach die Leckerei vernaschte, lehnte Cox an der Boxentür und ließ seine Gedanken schweifen. Auf der Farm seiner Eltern war genug Platz für ein Pferd, aber es handelte sich nun mal um Herdentiere. Es müsste also mindestens ein zweites her. Andere Möglichkeit: Den Wallach in einem Stall in der Nähe seines Elternhauses unterzustellen. Diese Lösung widerstrebte ihm. Er wollte Cranberry in seiner unmittelbaren Umgebung haben.
Inzwischen hatte das Pferd den Apfel verspeist und schnüffelte an ihm herum, wohl in der Hoffnung, einen weiteren aufzuspüren. Lächelnd schob er die Schnauze weg, kraulte Cranberry ein bisschen und verabschiedete sich anschließend.
Als er durchs Stalltor ins Freie trat, stolperte er fast über ein Huhn, das gackernd davonstob. Verwundert sah er hinterher. Normalerweise war das Federvieh hinter Maschendraht untergebracht. Vielleicht handelte es sich um ein lebensmüdes Exemplar, auf der dringenden Suche nach einem Fressfeind ausgebüxt.
Gemächlich ging er zurück zum Nebengebäude, wobei er Ford, der gerade mit einem der Pickups vor den Garagen hielt, zuwinkte. Über die Jahre waren Annegret, Ford, Matt und Amalie mitsamt Anhang so etwas wie seine Familie geworden. Auch deshalb hatte es arg geschmerzt, die Ranch verlassen zu müssen. Dennoch bereute er die Entscheidung nicht, mal abgesehen von der Tatsache, vom Regen in die Traufe gekommen zu sein.
Zurück in seiner Wohnung, machte er es sich auf der Couch bequem. Noch ein wenig in die Glotze gucken, bevor‘s ins Bett ging. Am nächsten Tag traf ein neuer Cowboy ein, den Hank ihm zur Einarbeitung zugeteilt hatte. Ein Kelch, der von Stammmitarbeiter zu Stammmitarbeiter weitergereicht wurde. Obwohl er nur für die Saison eingestellt war, gehörte er leider weiterhin zum erlauchten Kreis. Zu gern hätte er diese unliebsame Aufgabe abgetreten, doch diesbezüglich kannte Hank kein Pardon.
Am folgenden Morgen fand als erstes ein Großeinsatz statt, um das ausgeflogene Federvieh einzufangen. Irgendjemand hatte die Tür zum Hühnerstall offenstehen lassen, durch die nach und nach die halbe Belegschaft geflüchtet war. Cox vermutete, dass die Kinder Schuld daran trugen.
Marsha und Jannis waren in einem Alter, in dem man alles Mögliche vergaß. Glenn schimpfte manchmal, es wäre ein Wunder, dass die Kinder überhaupt noch ihre Namen wüssten. Eine glatte Übertreibung, doch als Vater verzweifelte man bestimmt an solcher Schusseligkeit. Da neigte man eben zu solchen Ungerechtigkeiten.
Nachdem sie die meisten Hühner wieder in den Stall verfrachtet hatten, ging die Mannschaft zur Tagesordnung über. Cox blieb, wegen des Neuankömmlings, zusammen mit Liwanu im Stall zurück. Der Cowboy sollte im Laufe des Vormittags eintreffen, weshalb es sich nicht lohnte, auf die Weiden zu reiten.
Sie brachten die Ponys und zurückgelassenen Pferde auf die Koppel. Anschließend widmete sich Cox der Pflege des Zaumzeugs und der Sättel, während Liwanu die Boxen ausmistete. Letzterer war einsilbig, wie er es schon kannte. Cox störte sich nicht daran. Lieber so, als jemanden um sich haben, der ständig schwatzte. Es würde ihn zwar schon interessieren, wie Liwanu und Hank lebten, doch nachzufragen wäre indiskret.
Irgendwann, er hatte gerade die Sattelkammer fertig aufgeräumt, vibrierte sein Smartphone. Annegrets Nummer blinkte auf dem Display. Sie war Herrin über die Küche im Haupthaus und erfüllte zugleich den Job einer guten Seele.
„Ja?“, meldete er sich.
„Francisco ist eingetroffen“, gab sie zurück.
„Ich bin auf dem Weg.“ Er steckte das Gerät wieder ein und rief im Vorbeigehen Liwanu zu: „Bis später. Ich versorge erstmal das Frischfleisch.“
Liwanu schenkte ihm ein breites Grinsen. Na ja. Im Prinzip hingen Liwanus Mundwinkel ständig unterhalb der Ohrläppchen, selbst beim Ausmisten. Musste erfüllte Liebe schön sein.
Cox marschierte zum Haupthaus, erklomm die Veranda und ging in die Küche, wo ein südländischer Typ am Tisch saß. Nach seiner Einschätzung mexikanisches Blut. Dunkle Locken, Glutaugen, goldfarbene Haut.
„Da bist du ja schon“, begrüßte ihn Annegret. „Das ist Francisco. Er bekommt das Appartement über deinem.“
„Hi. Ich bin Cox“, stellte er sich vor.
„Angenehm“, erwiderte Francisco. „Alle nennen mich Franky.“
„Okay. Mich nennen alle Cox.“ Für diesen Spruch bekam er von Annegret einen bösen Blick zugeworfen. „Dann komm mal mit.“
Francisco folgte ihm auf die Veranda, wo zwei riesige Rollkoffer und ein Rucksack standen. Cox nahm einen der Koffer, der Neuankömmling die beiden anderen Gepäckstücke. Auf dem Weg zum Nebengebäude quasselte Francisco wie ein Wasserfall. Wo er vorher gearbeitet hatte (eine Mastanlage in Kentucky) und wie schrecklich (überall Staub und Dreck) es dort gewesen war. Bla, bla, bla …
Als sie das Appartement betraten, wechselte Francisco zu der Schilderung der bisherigen Wohnsituation (Eng, ungemütlich und dreckig) und verfiel in Lobeshymnen, wie viel besser doch die neue Unterkunft wäre.
„Sag mal“, stoppte Cox genervt den Redefluss. „Kannst du auch mal die Klappe halten?“
Aus unschuldig aufgerissenen Augen sah Francisco ihn an. „Wieso? Rede ich zu viel?“
„Erkannt.“
„Sorry. Das mache ich immer, wenn ich nervös bin.“
„Dafür gibt es keinen Grund. Richte dich erstmal ein bisschen ein und dann komm rüber zu den Ställen.“
„Okay.“ Strahlend lächelte Francisco ihn an. „Bis gleich.“
Wortlos verließ Cox die Wohnung. Hoffentlich brauchte der Typ sehr lange zum Auspacken, sonst fielen ihm heute Abend die Ohren ab.
Zurück im Stall fragte er Liwanu: „Wie heißt eine Plaudertasche auf zwei Beinen?“
Er erntete damit hochgezogene Augenbrauen.
„Francisco, aber alle nennen ihn Franky.“
„Ach, du meinst den Neuen? Sei nicht so hart zu ihm. Es ist immer doof, irgendwo zu einer eingeschworenen Gemeinschaft dazu zu stoßen.“
„Ja, ja“, murmelte Cox, holte zwei Sättel sowie Zaumzeug aus der Kammer und brachte alles auf die Koppel.
Für Francisco war Perdita vorgesehen, eine schwarze Stute. Er sattelte das Mädchen, anschließend Cranberry. Wie üblich, musste er dem Neuen erst das Gelände zeigen. Missgelaunt kehrte er ins Gebäude zurück.
„Du hast nicht zufällig Lust auf einen Ausritt?“, wandte er sich an Liwanu, der gerade das Holz in einer Box ausbesserte. Es stand ihm natürlich nicht zu, seine Aufgabe zu delegieren, aber versuchen konnte man es ja mal.
„Nö.“
„Schade. Ich würde auch das Abäppeln der Koppel übernehmen.“
„Das musst du sowieso tun, wenn du nichts Besseres vorhast.“
Grummelnd schnappte er sich die Schubkarre mit Schaufel und Harke. Mit einem Mal wünschte er, dass der gute Francisco – mit Franky konnte er sich noch nicht so recht anfreunden – umgehend erschien.
Als würde seine Bitte erhört, tauchte jener wenig später auf. Er hatte gerade die ersten Äpfel aufgesammelt, als vom Zaun her „Hier bin ich“ ertönte. Erleichtert legte er die Gerätschaften zurück auf die Schubkarre und näherte sich der Umzäunung.
Francisco sah weiterhin aus, wie einem Hochglanzmagazin entsprungen: Schwarze Jeans und Stiefel, dazu ein rotes Hemd. Cox hatte gedacht, dass es sich um Reisekleidung handelte, da die Klamotten neu wirkten. Zusätzlich trug Francisco einen Sombrero, der an einem Band um den Hals hing. Es hätte ihn nicht gewundert, zu allem Überfluss auch noch Sporen an den Cowboystiefeln zu entdecken.
Zugegeben: Das Outfit stand Francisco gut, zugleich schlug Cox‘ Gaydar bei dem Anblick aus. Kein Hetero – bis auf Greenhorns – würde in solcher Montur zur Arbeit erscheinen. Andererseits erfüllten die Anwesenden die Schwulen-Quote dünn besiedelter Gebiete pro Quadratkilometer bereits mehr als genug. Dazu kannte Cox zwar keine genauen Zahlen, fand jedoch eine derartige Konzentration ungewöhnlich, wenn nicht sogar unmöglich.
„Ist was?“, erkundigte sich Francisco, was ihn daran erinnerte, dass er den Mann unhöflich angaffte.
„Du weißt aber schon, um welche Sorte Job es sich hier handelt, oder?“
„Klar. Sonst wäre ich ja wohl in Flipflops und Bermudashorts erschienen“, konterte Francisco.
Cox hörte ein ersticktes Prusten, was seine Aufmerksamkeit zum Stalltor lenkte. Dort stand Liwanu, offensichtlich amüsiert und hielt sich eine Hand vor den Mund.
„Dieser Ausbund an Fröhlichkeit ist übrigens Liwanu, hauptamtlich für die Hottehüs zuständig“, stellte er den Kollegen vor.
„Freut mich. Ich bin Francisco, aber alle nennen mich Franky.“
„Hi Franky. Willkommen auf der Northfolk-Ranch“, erwiderte Liwanu, winkte und verschwand wieder im Stallinneren.
„Der scheint nett zu sein“, stellte Francisco fest.
Nett, die kleine Schwester von Scheiße. Anscheinend war dieser Spruch bei Francisco noch nicht angekommen. Cox verkniff sich darüber aufzuklären, um keinen unnötigen Gesprächsstoff zu liefern und nickte zu den gesattelten Pferden. „Perdita, die schwarze Schönheit, ist für dich.“
„Klasse!“, freute sich Francisco und kletterte über den Zaun, obwohl dieser einen Meter weiter endete.
Der Typ war fast einen Kopf kleiner als Cox, dafür anscheinend mit einem doppelt so großen Ego ausgestattet. Breitbeinig, wie ein alter Haudegen, stiefelte Francisco auf die Stute zu, nahm sie am Zügel und schloss per Krauleinheiten Bekanntschaft. Perdita, nahezu ebenso gutmütig wie Patty, ließ den Mann gewähren. Sie spitzte sogar die Ohren und drehte sie in Franciscos Richtung. Na ja, schlechter Geschmack war keine Sünde.
Cox ging zu Cranberry, saß auf und wartete, bis Francisco ebenfalls aufgestiegen war. Er lenkte seinen Wallach von der Koppel und wandte sich in Richtung der Weiden. Mit einem Schulterblick versicherte er sich, dass Francisco ihm folgte, bevor er das Tempo etwas anzog. Umso schneller sie ritten, desto eher hatte er diesen Teil seiner Patenschaft erfüllt.
Francisco war von der Ranch begeistert. Wohlgenährte, zufriedene Rinder, saftige Weiden, gepflegtes Drumherum. Ganz anders als die Betriebe, bei denen er bisher gearbeitet hatte.
Saison für Saison war er weiter in den Norden gewandert. Über 1.200 Meilen hatte er auf diese Weise von San Antonio bis Indiana zurückgelegt. Ursprünglich war es, neben anderen Gründen, Abenteuerlust gewesen, die ihn antrieb. Raus aus dem miefigen Viertel, in dem er aufgewachsen war; die große, weite Welt sehen und interessante Menschen kennenlernen.
Inzwischen hatte er begriffen, dass sich zwar die Landschaft veränderte, es aber überall bornierte Leute gab. Insbesondere in den ländlichen Gegenden war ihm so mancher Trottel begegnet. Dagegen wirkten die Hirnis aus seiner Heimat teilweise wie geistige Koryphäen und das sollte schon was heißen.
Seine Eltern waren illegale Einwanderer, die sich mit unterbezahlten Jobs über Wasser hielten. Beide besaßen kaum Schulbildung, was das Geldverdienen erschwerte. Francisco war ihr einziger Sohn, aber bloß, weil seine Mutter nach ihm keine weiteren Kinder bekommen konnte. Ansonsten hätte seine Eltern garantiert eine ganze Fußballmannschaft gezeugt. Diesem Umstand verdankte er, von ihnen, natürlich nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten, verhätschelt worden zu sein.
Seine Kindheit verbrachte er in einer Souterrain-Wohnung. In den darüber liegenden Stockwerken wohnte eine wohlhabende Familie, für die seine Mutter den Haushalt führte. Später zogen sie in eine Mietskaserne, zwei Zimmer mit dünnen Wänden. Entsprechend früh war er aufgeklärt, da seine Eltern ein reges Liebesleben führten.
Viele Jahre lief alles ziemlich gut. Er hatte einige Freunde, kam in der Schule einigermaßen mit und wurde zu Hause mit Liebe überschüttet. Dann schlug die Pubertät zu: Zum einen mit heftiger Akne, zum anderen mit hormongesteuerten seelischen Erkenntnissen: Er fand heraus, dass ihn Jungs mehr als Mädchen interessierten. Das führte zu Heimlichtuereien daheim und außerhalb ständiger Angst vor Entdeckung.
Mit der typischen Intoleranz aller Jugendlichen, stempelte man ihn als Pickelfresse ab. Francisco, eh klein von Statur und sportlich untalentiert, wurde zum Außenseiter. Seine fröhliche Natur schlug in Schüchternheit um, da sich seine Freunde von ihm abwandten und den beliebteren Mitschülern anschlossen. Hätte man rausgefunden, dass er schwul war, wäre sein Schicksal als Prügelknabe endgültig besiegelt gewesen.
Mit Ach und Krach absolvierte er seinen Schulabschluss auf der Junior High. Dieser fiel zusammen mit seinem unfreiwilligen Outing, da seine Mutter die Wichsvorlagen unter seiner Matratze gefunden hatte. Von dem Tag an sprach sein Vater kein Wort mehr mit ihm. Das gab den Ausschlag: Er packte seine Sachen und nahm den erstbesten Job auf einer Farm in der Umgebung an.
Seitdem hatte er reiten und viel über Ackerbau und Viehzucht gelernt. Außerdem, dass man als Schwuchtel in der Nahrungskette noch unter mexikanischen Einwanderern stand. Insofern war er doppelt gestraft, da er zu beiden Bevölkerungsgruppen gehörte.
Im Laufe der Jahre hatte er sich, um zu überleben, ein dickes Fell zugelegt. Leider handelte es sich nur um eine Fassade. Sein Kern blieb der kleine, verletzliche Francisco, während er anderen gegenüber den Sonnyboy mimte. Seine Akne verschwand und hinterließ keine Narben, zumindest keine äußerlichen.
Insgeheim hatte er immer daran geglaubt, eines Tages mit viel Geld nach Hause zurückzukehren und auf diese Weise seinen Vater auszusöhnen. Dazu war es nie gekommen. Die große Kohle blieb aus und seine Mutter starb vor vier Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalls, woraufhin sein Vater nach Texas zurückkehrte. Das erfuhr er nur, weil sein letzter Brief an sie in die Hände eines Nachbarn geriet, der so freundlich war ihn darüber zu informieren. Ansonsten hätte er sich lange gewundert, wieso die regelmäßige Post seiner Mutter ausblieb. Sein Alter hatte ihn nicht mal zur Beerdigung eingeladen.
Diese Ereignisse lösten bei ihm einen Konsumrausch aus. Anstatt seine paar Kröten weiter zu horten, begann er sie mit vollen Händen auszugeben. Er schaffte sich sein erstes Auto an, kaufte schicke Klamotten und allerlei Ramsch. Letzteres stellte er schnell wieder ein, doch bei seinem Outfit machte er weiterhin keinerlei Abstriche. Witziger Weise stimmte der Spruch, dass Kleider Leute machten. Man fing an ihn zu beachten und er sammelte mehr sexuelle Erfahrung, als in all der Zeit davor. Seine Klamotten nannte er im Geiste spaßeshalber seine Rüstung. Ohne sie war er ein Niemand, mit ihnen der strahlende Knappe. Zum Ritter reichte es leider trotzdem nicht.
Zurück zur Northfolk-Ranch: Eine schicke Unterkunft, nette Leute, gepflegte Pferde … und ein griesgrämiger Cowboy, der ihm das Gelände zeigte. Cox war aber bisher der einzige Wermutstropfen, daher ertrug er das mit Fassung. Auf sein Geplapper reagierte der Typ die meiste Zeit gar nicht oder mal mit flapsigen Sprüchen. Dennoch redete er weiter und weiter. Eine Art Zwangshandlung, die er sich irgendwann angewöhnt hatte. So bemerkte niemand, dass er im Grunde verunsichert war.
Cox ratterte die Fakten des Unternehmens runter. Vieles ging an Francisco vorbei, weil er zu aufgeregt war, um richtig zuzuhören. Außerdem kannte er den überwiegenden Teil schon aus dem Internet. Soundso viele Bungalows für Feriengäste, rund 1.000 Rinder, von denen in regelmäßigen Abständen ein Viertel in die Verwertung gingen. Felder mit Hafer, ein paar Hühner und es war geplant, in absehbarer Zeit Reitunterricht anzubieten. Der Anbau, der neben dem Pferdestall entstand, war für Theorie und Hygieneräume bestimmt.
Francisco sah sich die Tiere auf den Weiden mit wachsendem Enthusiasmus an. Was für ein Unterschied zu den lethargischen Viechern, die ihm in seiner beruflichen Laufbahn begegnet waren. Man spürte förmlich, welch loyaler Geist über dem ganzen Unternehmen hing.
„Ich zeige dir jetzt noch die Weiden mit den Neuankömmlingen. Letzte Woche kam eine frische Fuhre Milchkälber an. Das sagt dir ja bestimmt was“, gab Cox bekannt.
„Klar. Ich war mal in einem Betrieb, der auf diese armen Tierchen spezialisiert ist. Ich hab ihr Jammern bis in die Unterkunft gehört. Es war grauenvoll. So schnell es ging, hab ich woanders hin gewechselt. Na ja … schnell …“ Francisco seufzte. „Drei Monate hat es gedauert, bis ich was anderes hatte. Die längsten meines Lebens.“
„Die letzte Stunde ist auch die längste meines Lebens“, brummelte Cox halblaut, eventuell nur für die eigenen Ohren bestimmt, wendete und lenkte den Wallach in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Francisco veranlasste Perdita ebenfalls zu einer Umkehr. Während er Cox hinterherritt, schnitt er Grimassen und führte einen inneren Monolog: ‚Möchte mal wissen, ob deine Eier so hart sind, wie du dich aufführst. Falls ja, bestehen sie aus Granit. Eingebildeter Arsch. Apropos: Geiler Hintern. Wenn du wüsstest, dass … würdest du mich wahrscheinlich noch weniger beachten. Dann geht nämlich den meisten der Arsch auf Grundeis vor Sorge, ich könnte mich daran vergreifen. Ich, der böse Homo. Warte bloß ab, bis wir uns mal im Dunkeln begegnen…‘
„Mir ist gerade eingefallen …“, unterbrach ihn Cox mit Schulterblick. „Es ist gleich Mittagspause. Wir reiten zurück und danach zu den Kälbern.“
Hoffentlich hatte er rechtzeitig wieder eine freundliche Miene aufgesetzt. Anscheinend war das gelungen, denn Cox wandte sich ohne eine Regung wieder nach vorn. Andererseits würde der Typ wohl nicht mal zucken, wenn Francisco ihm die Zunge rausstreckte. Etwas, wozu er unbändige Lust verspürte.
Zurück am Stall trafen sie auf einen Haufen Cowboys, die gerade ihre Pferde versorgten oder plaudernd am Zaun standen. Er folgte Cox‘ Beispiel, führte Perdita auf die Koppel, nahm ihr Sattel und Zaumzeug ab und brachte es in den Stall. Dabei warf man ihm von allen Seiten Begrüßungen entgegen, wie: „Hi, du bist wohl der Neue. Ich bin Jeremy.“ Oder: „Holla, ein waschechter Mex-Man. Willkommen. Ich bin Kirk.“
So gut es ging versuchte er, sich die Namen einzuprägen, was aber bei der Menge unmöglich war. Als er zur Koppel zurückkehrte, trat ein großer Mann auf ihn zu.
„Willkommen auf der Northfolk-Ranch. Ich bin Hank, der Vorarbeiter. Wenn was ist, kannst du dich an mich wenden. Die anderen wirst du schon im Laufe der Zeit kennenlernen. Es lohnt nicht, dich jetzt mit den ganzen Namen zu überhäufen.“
Dankbar lächelte er Hank an. „Alles klar.“
Inmitten seiner neuen Kollegen ging er zu den Nebengebäuden, wobei man ihn zu einer abendlichen Zusammenkunft auf einer der Terrassen einlud. So kameradschaftlich war er selten, oder eher noch nie, empfangen worden. Nur allzu gern nahm er die Einladung an und begab sich frohen Mutes in seine Bleibe.
Erst als er eine Konserve öffnete fiel ihm auf, dass sich Cox abseits der anderen gehalten hatte. Vielleicht war dessen Missmut gar nicht persönlicher Natur, sondern eine Art Weltanschauung. Es gab ja viele dieser Stinkstiefel, die anderen den Dreck unter den Nägeln neideten.
Dieser Gedanke munterte ihn noch mehr auf. Obwohl er das niemals offen zugeben würde, hatte ihn der Ausritt mit Mr. Stinkstiefel – wie er Cox ab sofort nannte – ganz schön niedergedrückt. Er beschloss, dem Typen mit Nachsicht zu begegnen. Das war die beste Art, mit solchen Leuten auszukommen.
Nachdem er seine Mahlzeit – einen Bohneneintopf – verspeist hatte, schlürfte er, gemütlich auf die Couch gefläzt, einen Becher Kaffee. Seine neue Behausung war wirklich klasse. Die Möbel wirkten zwar benutzt, doch kein Vergleich zu dem gammligen Kram in seinen vorherigen Unterkünften. Bei vielen hatte er den Eindruck gehabt, in einem Sperrmülllager zu wohnen, das er sich auch noch mit anderen teilen musste.
Überhaupt waren die Sammelunterkünfte der größte Horror gewesen. Der Gestank von Schweißfüßen, schmutziger Wäsche und das Schnarchen aus vielen Kehlen war ein fester Bestandteil seiner Alpträume. Wahrscheinlich würde er diese Erinnerungen niemals abschütteln. Natürlich kein Vergleich zu dem, was ihm sonst alles hätte passieren können, wie sexuelle Übergriffe und dergleichen. Davon war er im Großen und Ganzen verschont geblieben. Die paar Male, die er um des Friedens willen hingehalten hatte, hielten sich im Rahmen.
Er leerte seinen Becher, spülte das Geschirr ab und stellte es zum Trocknen in das Abtropfgestell, das er in einem der Schränke gefunden hatte. Die Küchenzeile war ziemlich gut ausgestattet. Kein Sammelsurium aus alten Teilen, sondern ordentliche, einfache Gerätschaften. Wirklich schade, dass sein Aufenthalt auf eine Saison begrenzt war. Na ja, man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben. Vielleicht ergab sich noch irgendein Umstand, der ihn mit Freuden an das Ende dieses Jobs denken ließ. Beispielsweise ein zweiter Cox.
Die anderen Jungs hatten gesagt, dass die Mittagspause ungefähr anderthalb Stunden dauerte. Es war zwar erst eine vergangen, dennoch stieg Francisco in seine Stiefel, schnappte sich seinen Hut und verließ das Gebäude.
Gemächlich ging er an den Garagen, vor denen ein paar Pickups parkten, vorbei, umrundete das Haupthaus und steuerte die Ställe an. An dem ersten klebte ein Hühnerfreigehege, in dem sich hinter Maschendraht etliche Federviecher herumtrieben. Annegret hatte ihm erzählt, dass die Vögel zu ihrem Aufgabengebiet gehörten. Ein Glück. Franciscos Respekt vor Hühnern war groß, seit er mal Bekanntschaft mit einem ihrer spitzen Schnäbel geschlossen hatte.
Der Pferdestall war leer. Francisco spähte nur kurz hinein und wanderte weiter, zu dem Anbau, der zwischen Koppel und Stallwand entstand. Bislang war es nur ein Betonfundament, aus dem sich Stützpfeiler erhoben. Offenbar hatten Hank und Liwanu die Baustelle als Mittagsdomizil erkoren, denn die beiden saßen auf Stühlen an einem Tisch, auf dem sich eine Thermoskanne nebst Essensresten befand.
„Hi“, grüßte er die beiden. „Wie gemütlich.“
„Nicht wahr?“ Grinsend wies Hank auf einen freien Stuhl. „Setz dich gern dazu. Kaffee gefällig?“
„Danke, nein. Ich hatte schon einen“, lehnte er ab und nahm vorsichtig auf dem etwas wacklig wirkenden Sitzmöbel Platz. „Eigentlich eine gute Idee, hier draußen Pause zu machen.“
„Eher aus der Not geboren. Wir haben keine Lust, jedes Mal nach Hause zu fahren“, erwiderte Hank.
„Ach? Wohnt ihr in der Nähe?“
„Am Lake Maxinkuckee. Das ist nur ein paar Meilen von hier.“
„Beneidenswert. Ich mag die Gegend.“
„Wo kommst du denn her?“, wollte Liwanu wissen.
„Ursprünglich aus San Antonio.“
„Oha! Da bist du ja genauso weit rumgekommen wie ich“, stellte Liwanu fest. „Ich stamme auch aus Texas.“
„Dann könnten wir ja Blutsbrüderschaft schließen“, witzelte Francisco.
Liwanu winkte ab. „Ne, lass mal. Ich kippe um, wenn ich auch nur einen Tropfen davon sehe.“
„Darf ich fragen, welchem Stamm du angehörst?“
„Keinem. Mein Vater war zwar Cherokee, aber ich hab ihn nie kennengelernt. Vielleicht grabe ich irgendwann mal nach meinen Wurzeln. Wer weiß?“, erwiderte Liwanu, schnappte sich eine Weintraube und richtete den Blick in die Ferne.
Damit schien das Gespräch beendet. Da auch Hank keinerlei Anstalten machte, die Unterhaltung neu zu beleben, hielt Francisco den Mund. Das konnte er, wenn er sich wohl fühlte, sogar sehr gut.