Spiel der Wölfe - Patricia Briggs - E-Book

Spiel der Wölfe E-Book

Patricia Briggs

4,7
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mystery der Meisterklasse

Die Existenz der Werwölfe ist in gewissen Kreisen längst kein Geheimnis mehr, und so beschließt der Marrok, der mächtigste Werwolf Amerikas, ein Gipfeltreffen aller Alpha-Werwölfe zu veranstalten, um über die Zukunft der Rudel zu entscheiden. Als Gesandte schickt er seinen Sohn Charles und dessen Gefährtin Anna, die sich in Seattle nicht nur mit aufständischen Werwölfen konfrontiert sehen ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 453

Bewertungen
4,7 (18 Bewertungen)
13
5
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Anna und Charles, frisch verheiratet und noch nicht an die Tücken des täglichen Zusammenlebens gewöhnt, stehen vor einer großen Herausforderung: Charles’ Vater, der Marrok aller Werwölfe, plant, der Weltöffentlichkeit die Existenz der Gestaltwandler zu offenbaren. Zu diesem Zweck hat er eine Konferenz der führenden Wölfe Amerikas und Europas in Seattle einberufen, und Anna und Charles sollen den Marrok bei den Verhandlungen vertreten. Keine leichte Aufgabe, bedenkt man, dass dieser im europäischen Lager Feinde hat. Als Anna von einer Horde Vampire überfallen und die Gefährtin des britischen Alphas ermordet wird, ist den beiden schnell klar, dass zwischen den Anschlägen ein Zusammenhang besteht. Doch wer steckt dahinter? Anna und Charles setzen alles daran, den Täter zu überführen und geraten dabei in tödliche Gefahr …

Die Autorin

Patricia Briggs, Jahrgang 1965, wuchs in Montana auf und interessiert sich seit ihrer Kindheit für Phantastisches. So studierte sie neben Geschichte auch Deutsch, denn ihre große Liebe gilt Burgen und Märchen. Neben erfolgreichen und preisgekrönten Fantasy-Romanen wie Drachenzauber und Rabenzauber widmet sie sich ihrer Mystery-Saga um Mercy Thompson. Nach mehreren Umzügen lebt die Bestsellerautorin heute gemeinsam mit ihrer Familie in Washington State.

Die MERCY-THOMPSON-Serie

Erster Roman: Ruf des Mondes

Zweiter Roman: Bann des Blutes

Dritter Roman: Spur der Nacht

Vierter Roman: Zeit der Jäger

Fünfter Roman: Zeichen des Silbers

Die ALPHA & OMEGA-Serie

Erster Roman: Schatten des Wolfes

Zweiter Roman: Spiel der Wölfe

PATRICIA BRIGGS

SPIEL DER WÖLFE

Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

HUNTING GROUND

Deutsche Übersetzung von Vanessa Lamatsch

Deutsche Erstausgabe 10/2010

Redaktion: Stefanie Brösigke

Copyright © 2009 Hurog, Inc.

Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Karte: Andreas Hancock

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-03913-4

www.heyne-magische-bestseller.de

Für meine Heimmannschaft, die sich mit ›Macht euereigenes Essen‹ abfindet und sich von Tiefkühlpizza undBrei ernährt, damit ich das Buch fertig machen kann.Ich liebe euch alle:Michael, Collin, Amanda und Jordan

1

Sie beobachtete ihn aus ihrem Versteck, wie sie es schon zweimal zuvor getan hatte. Die ersten beiden Male hatte er Holz gehackt, aber heute, nach den für Mitte Dezember typischen schweren Schneefällen, räumte er den Bürgersteig frei. Heute war der Tag, an dem sie ihn sich schnappen würde.

Ihr Herz klopfte bis zum Hals, während sie beobachtete, wie er mit sorgfältig kontrollierter Aggression den Schnee schaufelte. Jede Bewegung der Schaufel verlief exakt parallel zur vorherigen Bahn. Und in seiner grimmigen Beherrschung sah sie seine schwelende Wut, die ausschließlich von seinem Willen zurückgehalten wurde– er ähnelte einer Rohrbombe.

Während sie sich auf den Boden legte und flach atmete, damit er sie nicht entdeckte, überlegte sie, wie sie es angehen sollte. Von hinten, dachte sie, so schnell wie möglich, um ihm keine Zeit zum Reagieren zu lassen. Eine schnelle Bewegung und alles wäre vorbei– wenn sie nicht den Mut verlor, wie bei den ersten beiden Malen.

Sie wusste instinktiv, dass es heute passieren musste, dass sie keine vierte Gelegenheit bekommen würde. Er war wachsam und diszipliniert– und wenn er nicht so wütend gewesen wäre, hätten seine geschärften Sinne sie in ihrem Versteck im Schnee unter den Tannenbäumen am Rand des Vorgartens längst entdeckt.

Ihr Plan ließ sie vor Anspannung zittern. Ein Überfall von hinten. Feig und hinterhältig, aber es war der einzige Weg, ihn zu überwältigen. Und es musste passieren, weil es nur noch eine Frage der Zeit war, bevor er die Kontrolle verlor, die ihn momentan so sorgfältig den Bürgersteig schaufeln ließ, während der Wolf in ihm wütete. Und wenn er die Kontrolle verlor, würden Leute sterben.

Gefährlich. Er konnte so schnell sein. Wenn sie das verbockte, könnte er sie töten. Sie musste darauf vertrauen, dass ihre eigenen Werwolfreflexe dem gewachsen waren. Es musste sein.

Diese Erkenntnis gab ihr Kraft. Es würde heute passieren.

Charles hörte den SUV, sah aber nicht auf.

Er hatte sein Handy ausgeschaltet und die kühle Stimme seines Vaters in seinem Kopf so lange ignoriert, bis sie verschwand. Er hatte keine Nachbarn an der schneebedeckten Bergstraße– also war der SUV das nächste Zeichen für die Entschlossenheit seines Vaters, ihn zur Ordnung zu rufen.

»Hey, Chief.«

Es war der neue Wolf, Robert, der wegen seiner mangelnden Selbstdisziplin von seinem eigenen Alpha hierher ins Aspen-Creek-Rudel geschickt worden war. Manchmal konnte der Marrok helfen; in anderen Fällen konnte er nur hinterher aufwischen. Wenn Robert keine Beherrschung lernte, wäre es wahrscheinlich Charles’ Aufgabe, ihn aus dem Weg zu räumen. Wenn Robert nicht bald Manieren lernte, würde diese Aufgabe Charles bei weitem nicht so viele Gewissensbisse bereiten, wie sie eigentlich sollte.

Dass Bran ausgerechnet Robert schickte, um seine Nachricht zu überbringen, verriet Charles genau, wie wütend sein Dad war.

»Chief!« Der Mann machte sich nicht mal die Mühe, aus dem Auto auszusteigen. Es gab nicht viele Leute, denen Charles erlaubte, ihn anders zu nennen als bei seinem richtigen Namen, und dieser Welpe gehörte sicherlich nicht dazu.

Charles hörte auf zu schaufeln und schaute den anderen Wolf an, um ihm zu zeigen, mit wem er sich gerade anlegte. Das Grinsen verschwand vom Gesicht des Mannes und er senkte sofort den Blick. Die große Vene an seinem Hals pulsierte in plötzlicher Furcht.

Charles fühlte sich kleinlich. Und es störte ihn; er störte sich sowohl an seiner Kleinlichkeit als auch an der kochenden Wut, die sie auslöste. In ihm roch Bruder Wolf Roberts Schwäche und sie gefiel ihm. Der Stress, sich gegen den Marrok, seinen Alpha, aufzulehnen, hatte Bruder Wolf mit dem Wunsch nach Blut zurückgelassen. Roberts wäre genug.

»Ich… äh.«

Charles sagte nichts. Der Narr sollte sich ruhig anstrengen. Er senkte seine Lider und beobachtete, wie der Mann sich noch ein wenig wand. Der Geruch seiner Angst gefiel Bruder Wolf– und verursachte Charles gleichzeitig leichte Übelkeit. Normalerweise waren er und Bruder Wolf mehr im Einklang– oder vielleicht war das eigentliche Problem, dass auch er jemanden töten wollte.

»Der Marrok möchte Sie sehen.«

Charles wartete eine volle Minute und wusste genau, wie lang diese Zeit dem Botenjungen seines Vaters erscheinen würde. »Ist das alles?«

»Ja, Sir.«

Dieses ›Sir‹ war etwas völlig anderes als ›Hey Chief‹.

»Sag ihm, dass ich komme, sobald mein Bürgersteig geräumt ist.« Und damit machte er sich wieder an die Arbeit.

Nach ein paar kratzenden Bewegungen seiner Schaufel hörte er, wie der SUV auf der engen Straße umdrehte. Das Hinterteil scherte aus, dann fanden die Räder Griff und der Wagen fuhr zurück zum Marrok. Zu schnell, weil Robert es so eilig hatte, wegzukommen. Bruder Wolf war mehr als zufrieden; Charles bemühte sich, es nicht zu sein. Charles wusste, dass er seinen Vater nicht auch noch herausfordern sollte, indem er sich seinen Befehlen widersetzte– besonders nicht vor einem Wolf, der Führung brauchte, wie es bei Robert der Fall war. Aber Charles brauchte die Zeit.

Er musste sich selbst besser unter Kontrolle haben, bevor er dem Marrok wieder gegenübertrat. Er brauchte absolute Kontrolle, die es ihm erlauben würde, seine Argumente logisch vorzubringen und somit zu erklären, warum der Marrok falsch lag– statt einfach mit ihm zu streiten, wie es bei den ersten vier Malen passiert war, als Charles mit ihm gesprochen hatte. Er wünschte sich, nicht zum ersten Mal, eine gewandtere Zunge. Seinem Bruder gelang es manchmal, die Meinung des Marrok zu ändern– ihm dagegen nie. Dieses Mal aber wusste Charles einfach, dass sein Vater Unrecht hatte.

Noch dazu hatte er sich jetzt in eine noch üblere Stimmung hineingesteigert.

Er konzentrierte sich auf den Schnee, holte einmal tief Luft– und etwas landete schwer auf seinen Schultern und warf ihn mit dem Gesicht nach unten in den Schnee. Scharfe Zähne und ein warmes Maul berührten seinen Nacken und verschwanden genauso schnell wieder wie das Gewicht, das ihn umgeworfen hatte.

Ohne sich zu bewegen, öffnete er die Augen ein wenig und warf aus dem Augenwinkel einen Blick auf den schwarzen Wolf mit den himmelblauen Augen, der ihn wachsam beäugte… mit einem Schwanz, der vorsichtig wedelte und Pfoten, die im Schnee tanzten. Die Krallen wurden in nervöser Aufregung ausgefahren und wieder eingezogen wie bei einer Katze.

Und als ob ein Schalter in Bruder Wolf umgelegt würde, verschwand plötzlich die kochende Wut, die seit einigen Wochen in Charles’ Bauch brodelte. Erleichtert ließ er seinen Kopf wieder in den Schnee fallen. Nur bei ihr, bei niemand anderem als ihr, kam Bruder Wolf so vollkommen zur Ruhe. Ein paar Wochen hatten nicht ausgereicht, dass er sich an dieses Wunder gewöhnen konnte– und auch nicht, um ihn in seiner Dummheit von dem Fehler abzubringen, sie nicht um Hilfe zu bitten.

Was natürlich der Grund dafür war, dass sie diesen Hinterhalt geplant hatte.

Wenn er wieder dazu in der Lage war, würde er ihr erklären, wie gefährlich es war, ihn ohne Vorwarnung anzugreifen. Obwohl Bruder Wolf anscheinend genau gewusst hatte, wer ihn da gerade ansprang: Schließlich hatte er zugelassen, dass sie zu Boden geworfen wurden.

Die Kälte in seinem Gesicht fühlte sich gut an.

Das gefrorene Wasser quietschte unter ihren Pfoten und sie gab ein besorgtes Geräusch von sich, was für ihn der Beweis war, dass sie nicht bemerkt hatte, dass er sie angeschaut hatte. Ihre Nase war kalt, als sie sein Ohr berührte und er zwang sich dazu, nicht zu reagieren. Er stellte sich tot, und da sein Gesicht im Schnee verborgen war, konnte sie sein Lächeln nicht sehen.

Die kalte Nase zog sich zurück, und er wartete darauf, dass sie wieder in Reichweite kam. Seinen Körper hielt er entspannt und bewegungslos. Sie stupste ihn mit der Pfote an, und er ließ zu, dass sein Körper verschoben wurde– aber als sie ihn in den Hintern zwickte, konnte er nicht mehr anders, als mit einem scharfen Ausruf zusammenzuzucken.

Danach war es nutzlos, sich tot zu stellen, also rollte er sich herum und ging in die Hocke.

Sie floh schnell aus seiner Reichweite, drehte sich dann um und sah ihn an. Er wusste, dass sie aus seiner Miene nichts ablesen konnte. Er wusste es. Er hatte zu viel Übung darin, sein Gesicht ausdruckslos zu halten.

Aber sie sah etwas, das sie dazu brachte, ihre Vorderbeine zu strecken, den Vorderkörper halb nach unten zu senken und ihren Unterkiefer in einem wölfischen Grinsen hängen zu lassen– eine allgemeingültige Aufforderung zum Spielen. Er rollte sich nach vorne ab, und sie rannte mit einem aufgeregten Jaulen davon.

Sie tobten durch den gesamten Vorgarten, wobei sie seine sorgfältig gepflegte Einfahrt verwüsteten und den unberührten Schnee in ein Schlachtfeld aus Fuß- und Pfotenabdrücken verwandelten. Er blieb in menschlicher Gestalt, um die Chancen auszugleichen, weil Bruder Wolf dreißig bis vierzig Kilo schwerer war als sie, während er in menschlicher Gestalt fast dasselbe wog. Sie setzte dafür weder ihre Klauen noch ihre Zähne gegen ihn ein.

Er lachte über ihr gespielt grimmiges Knurren, als sie ihn zu Boden warf und sich auf seinen Bauch stürzte– lachte wieder, als sie ihre eisige Nase unter seinen Mantel und das Hemd schob und ihn damit schlimmer am Bauch kitzelte, als sie es mit ihren Fingern je gekonnt hätte.

Er achtete sorgfältig darauf, sie nie niederzudrücken, ihr nie wehzutun, nicht einmal aus Versehen. Dass sie dies hier riskierte, war ein Vertrauensbeweis, der ihm viel bedeutete– aber er ließ Bruder Wolf nie vergessen, dass sie sie noch nicht gut kannte und mehr Grund hatte als die meisten, das zu fürchten, was sie waren: männlich und dominant und Wolf.

Er hörte das Auto kommen. Er hätte ihr Spiel unterbrechen können, aber Bruder Wolf verspürte noch nicht den Wunsch, einen echten Kampf aufzunehmen. Also schnappte er sich ihren Hinterlauf und zog daran, während er sich gleichzeitig aus der Reichweite ihrer glänzenden Reißzähne rollte.

Und er ignorierte den schweren Geruch der Wut seines Vaters– ein Geruch, der plötzlich verschwand.

Anna war sich der Gegenwart seines Vaters nicht bewusst. Bran konnte das– mit dem Hintergrund verschmelzen, als wäre er einfach nur ein Mann und nicht der Marrok. Ihre gesamte Aufmerksamkeit war auf Charles gerichtet– und es machte Bruder Wolf stolz, dass in ihrer Aufmerksamkeit sogar der Marrok erst nach ihnen kam. Charles allerdings war besorgt, weil sie mit ihren untrainierten Wolfssinnen irgendwann vielleicht eine Gefahr übersehen würde, die sie umbringen konnte. Bruder Wolf war sich sicher, dass sie sie beschützen konnten. Er schüttelte Charles’ Sorge ab und zog ihn zurück in den Spaß am Spiel.

Er hörte, wie sein Vater seufzte und anfing, sich auszuziehen, als Anna losrannte und Charles sie um das gesamte Haus jagte. Sie benutzte die Bäume im hinteren Teil des Gartens als Hindernisse, um ihn abzuhängen, wenn er zu nahe kam. Ihre vier Pfoten mit Krallen gaben ihr mehr Bodenhaftung als seine Stiefel, und sie konnte schneller um Bäume laufen.

Letztendlich scheuchte er sie aus den Bäumen und sie raste wieder ums Haus, er dicht auf ihren Fersen. Sie bog um die Ecke und erstarrte beim Anblick seines Vaters, der in Wolfsgestalt auf sie wartete.

Charles konnte gerade noch verhindern, dass er sie umrannte wie ein Footballspieler, aber trotzdem zog er ihr die Füße unter dem Körper weg, als er ins Rutschen geriet.

Noch bevor er sicherstellen konnte, dass es ihr gutging, sprang ihn ein silbernes Geschoss an, und der gesamte Kampf veränderte sich plötzlich. Charles hatte überwiegend die Kontrolle über das Spiel gehabt, als es nur er und Anna gewesen waren, aber jetzt, mit seinem Vater, war er gezwungen, ernsthaft seine Muskeln, seine Geschwindigkeit und sein Hirn anzustrengen, um die beiden Wölfe, schwarz und silbern, davon abzuhalten, ihn Schnee fressen zu lassen.

Schließlich lag er flach auf dem Rücken, mit Anna auf seinen Beinen und den Reißzähnen seines Vaters in vorgetäuschter Drohung an seiner Kehle.

»Okay«, sagte er und entspannte kapitulierend seine Muskeln. »Okay. Ich gebe auf.«

Die Worte bedeuteten mehr als nur das Ende des Spiels. Er hatte es versucht. Aber letztendlich war das Wort des Alphas Gesetz. Was auch immer folgen würde, würde folgen. Also ergab er sich der Dominanz seines Vaters so leicht, als wäre er nur ein Welpe im Rudel.

Der Marrok hob den Kopf und stieg von Charles’ Brust. Er nieste und schüttelte sich Schnee aus dem Fell, während Charles sich aufsetzte und seine Beine unter Anna hervorzog.

»Danke«, sagte er zu ihr und sie schenkte ihm ein glückliches Grinsen. Er sammelte die Kleider von der Motorhaube des Autos seines Vaters und öffnete die Tür zum Haus. Anna sprang ins Wohnzimmer und trottete dann nach hinten ins Schlafzimmer. Er warf die Kleider seines Vaters ins Bad und schloss die Tür hinter der weißen Schwanzspitze, als dieser ihnen folgte.

Als sein Vater wieder erschien, das Gesicht gerötet von der Anstrengung der Verwandlung, seine haselnussbraunen Augen wieder menschlich, hatte Charles bereits heiße Schokolade und eine Suppe vorbereitet.

Er und sein Dad sahen sich nicht besonders ähnlich. Charles kam nach seiner Mutter, einer Salish-Indianerin, und Bran war durch und durch walisisch, mit seinem rötlich gelben Haar und dem ausdrucksstarken Gesicht, das gewöhnlich– wenn auch nicht im Moment– trügerisch ausgeglichen war. Momentan wirkte Bran trotz des Spielens nicht besonders glücklich.

Charles versuchte, nicht zu reden. Er hatte sowieso nichts zu sagen. Sein Großvater hatte ihm oft gesagt, dass er sich zu sehr bemühte, Bäume zu versetzen, um die ein weiserer Mann einfach herumgehen würde. Sein Großvater war ein Medizinmann gewesen und hatte gern in Metaphern gesprochen. Gewöhnlich hatte er Recht behalten.

Er reichte seinem Dad eine Tasse heiße Schokolade.

»Deine Frau hat mich gestern Abend angerufen.« Brans Stimme war schroff.

»Ah.« Das hatte er nicht gewusst. Anna musste es getan haben, während er draußen gewesen war und versucht hatte, vor seinem Frust wegzulaufen.

»Sie hat mir gesagt, dass ich nicht höre, was du zu sagen hast«, meinte sein Dad. »Daraufhin habe ich ihr gesagt, dass ich sehr deutlich gehört habe, dass ich ein Idiot sei, weil ich nach Seattle gehen will, um mich mit der europäischen Delegation zu treffen– so deutlich wie der Rest des Rudels auch.«

So bin ich. Immer taktvoll, dachte Charles und beschloss, dass es besser war, an seinem Kakao zu nippen, als etwas zu erwidern.

»Und ich habe ihn gefragt, ob du ihm gewöhnlich ohne guten Grund widersprichst«, sagte Anna und schob sich an Charles vorbei, wobei sie ihn kurz berührte. Sie trug seinen braunen Lieblingspullover. Er ging ihr bis zur Hälfte der Oberschenkel und begrub ihre zierliche Figur in kakaofarbener Wolle. Bruder Wolf mochte es, wenn sie ihre Kleidung trug.

Sie hätte aussehen sollen wie ein Flüchtling, aber irgendwie tat sie das nicht. Die Farbe ließ ihre Haut wie Porzellan erscheinen und brachte die zahlreichen Farbnuancen ihres hellbraunen Haares zur Geltung. Und sie betonte ihre Sommersprossen– die Charles liebte. Anna hopste auf den Tresen und schnurrte glücklich, als sie sich die Tasse Kakao schnappte, die Charles für sie gemacht hatte.

»Und dann hat sie aufgelegt«, sagte sein Vater verstimmt.

»Mmmm«, meinte Anna. Charles war sich nicht sicher, ob sie sich auf die heiße Schokolade oder auf seinen Vater bezog.

»Und sie hat sich geweigert abzunehmen, als ich zurückgerufen habe.« Sein Vater war nicht erfreut.

Du bist nicht so glücklich, dass jemand in der Gegend ist, der dir nicht sofort gehorcht, hm, alter Herr?, dachte Charles– genau in dem Moment, als sein Vater ihm in die Augen sah.

Brans plötzliches Lachen zeigte Charles, dass sein Dad nicht wirklich wütend war.

»Frustrierend«, bot Charles an.

»Er hat mich angeschrien«, erklärte Anna gleichmütig und tippte sich an die Stirn. Der Marrok konnte mit jedem seiner Wölfe von Geist zu Geist sprechen, obwohl er ihre Gedanken nicht lesen konnte, egal, wie sehr man den Eindruck hatte, als würde er genau das tun. Er war einfach nur verdammt gut darin, Leute zu lesen. »Ich habe ihn ignoriert, und schließlich ist er verschwunden.«

»Es macht keinen Spaß, jemanden zu bekämpfen, der nicht zurückkämpft«, sagte Charles.

»Ich wusste, dass er über das, was ich ihm gesagt habe, nachdenken muss, wenn er niemanden zum Streiten hat,« erklärte Anna selbstzufrieden. »Und sei es auch nur, um die richtigen Worte zu finden, mit denen er mich das nächste Mal, wenn er mit mir redet, zermalmt.«

Sie war noch kein Vierteljahrhundert alt, sie waren noch nicht einmal einen ganzen Monat Gefährten– und schon begann sie damit, alles so einzurichten, wie es ihr gefiel. Bruder Wolf war zufrieden mit der Gefährtin, die er für sie gefunden hatte.

Charles stellte seine Tasse ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wusste, dass er angsteinflößend wirkte, und das war auch seine Absicht. Aber als Anna sich ein Stück von ihm zurückzog, nur ein wenig, ließ er die Arme fallen, schob sich die Daumen in den Hosenbund und entspannte seine Schultern.

Seine Stimme klang sanfter, als er vorgehabt hatte. »Bran zu manipulieren geht gewöhnlich nach hinten los«, meinte er zu ihr. »Ich empfehle, es bleibenzulassen.«

Aber sein Vater rieb sich den Mund und seufzte laut. »Also. Warum denkst du, es wäre so eine Katastrophe, wenn ich nach Seattle ginge?«

Charles drehte sich zu seinem Vater um, und sein Entschluss, nicht mehr mit ihm zu streiten, weil er sich für die Reise nach Seattle entschieden hatte, war fast vergessen. »Die Bestie kommt, und du fragst mich das?«

»Wer?«, fragte Anna.

»Jean Chastel, die Bestie von Gévaudan«, klärte Charles sie auf. »Er frisst seine Beute gerne– und seine Beute ist überwiegend menschlich.«

»Er hat damit aufgehört«, warf Bran kühl ein.

»Bitte«, blaffte Charles, »erzähl mir nichts, was du selbst nicht glaubst– das riecht verdächtig nach einer Lüge. Die Bestie wurde gezwungen, nicht mehr offen zu töten, aber ein Tiger legt seine Streifen nicht ab. Er macht es immer noch. Das weißt du genauso gut wie ich.« Er hätte noch auf andere Dinge hinweisen können– Jean mochte Menschenfleisch, je jünger, desto besser. Aber Anna hatte bereits erfahren müssen, was es bedeutete, wenn ein Wolf zum Monster wurde. Er wollte nicht derjenige sein, der ihr sagte, dass es auch noch schlimmere Ungeheuer gab als ihren früheren Alpha und seine Gefährtin. Sein Vater dagegen wusste, was Jean Chastel war.

Bran gestand ihm diesen Punkt zu. »Ja. Das ist fast sicher. Aber ich bin kein hilfloser Mensch, er wird mich nicht umbringen.« Er schaute Charles durch zusammengekniffene Augen an. »Und das weißt du auch. Also warum denkst du, dass es gefährlich sein wird?«

Er hatte Recht. Abgesehen von der Bestie hatte Charles trotzdem ein schlechtes Gefühl bei dem Gedanken, dass sein Vater nach Seattle fuhr. Die Bestie war nur die offensichtlichste Gefahr.

»Ich weiß es einfach«, sagte Charles schließlich. »Aber es ist deine Entscheidung.« Böse Vorahnungen führten bereits jetzt dazu, dass sein Magen sich verkrampfte.

»Du hast immer noch keinen logischen Grund genannt.«

»Nein.« Charles zwang seinen Körper dazu, die Niederlage zu akzeptieren. Er hielt die Augen auf den Boden gerichtet.

Sein Dad schaute aus dem kleinen Fenster auf die winterweißen Berge. »Deine Mutter hat das auch immer getan«, sagte er. »Sie hat eine Behauptung aufgestellt, ohne dafür eine Begründung zu haben, und ich sollte ihr einfach glauben.«

Anna schaute Bran mit gespannter Erwartung an.

Er lächelte sie an, dann hob er seine Tasse Richtung Berge. »Ich habe auf die harte Tour gelernt, dass sie meistens Recht hatte. Frustrierend ist noch nicht einmal annähernd das richtige Wort dafür.«

»Also«, meinte er und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Charles. »Sie sind bereits auf dem Weg, ich kann es nicht mehr absagen– und es muss getan werden. Wenn wir den Menschen mitteilen, dass wir unter ihnen leben, wird das die europäischen Werwölfe ebenso sehr betreffen wie uns, wenn nicht sogar noch mehr. Sie verdienen die Chance, angehört zu werden und von uns zu erfahren, warum wir diesen Weg gehen. Sie sollten es von mir hören, aber du wärst ein akzeptabler Ersatz. Trotzdem wird es einiges an Befremden auslösen, und damit wirst du umgehen müssen.«

Erleichterung erfüllte Charles mit einer Plötzlichkeit, die dafür sorgte, dass er sich kurz am Tresen abstützen musste, weil das allumfassende Gefühl von unabänderlichem, schrecklichem Unglück von ihm abfiel und ihn allein zurückließ. Charles schaute zu seiner Gefährtin.

»Mein Großvater hätte dich geliebt«, sagte er heiser. »Er hätte dich ›Sie, die Bäume aus seinem Pfad schafft‹ genannt.«

Anna wirkte verloren, aber sein Vater lachte. Er hatte den alten Mann auch gekannt.

»Er hat mich ›Er, der gegen Bäume laufen muss‹ gerufen«, erklärte Charles, und in einem Anfall von Ehrlichkeit, das dem Bedürfnis entsprang, seine Gefährtin wissen zu lassen, wer er war, fuhr er fort: »oder manchmal auch ›Laufender Adler‹.«

»›Laufender Adler‹?« Anna dachte darüber nach und runzelte die Stirn. »Was ist so schlimm daran?«

»Zu dumm zum Fliegen«, murmelte sein Vater mit einem Lächeln. »Der alte Mann hatte eine bösartige Zunge– hinterhältig und schlau–, so dass man an seiner Beleidigung so lange zu knabbern hatte, bis die nächste kam.« Er legte den Kopf schief. »Aber damals warst du um einiges jünger– und ich bin nicht so unbeweglich wie ein Baum. Du würdest dich also besser fühlen, wenn du…«

Anna räusperte sich demonstrativ.

Sein Dad lächelte sie an. »Wenn stattdessen du und Anna geht?«

»Ja.« Charles hielt inne, weil da noch etwas anderes war, aber das Haus war zu sehr mit modernen Dingen angefüllt, als dass die Geister deutlich mit ihm hätten sprechen können. Normalerweise war das gut. Wenn sie zu sehr drängten, zog er sich manchmal in sein Büro zurück, wo die Computer und anderen elektronischen Geräte sie völlig fernhielten. Trotzdem, ein Teil von ihm konnte jetzt, wo sein Vater sich entschlossen hatte, nicht zu gehen, leichter atmen. »Nicht sicher, aber besser. Wann sollen wir in Seattle sein?«

2

Ich liebe Seattle.« Krissy schlang die Arme um ihren Oberkörper und drehte sich begeistert um die eigene Achse. Sie sah mit einem geübten Kleine-Mädchen-Grinsen auf, und ihr Liebhaber lächelte auf sie herunter.

Er streckte die Hand aus und schob ihr eine goldene Locke hinter das Ohr. »Sollen wir hierherziehen, Prinzessin? Ich könnte uns eine Wohnung mit Blick auf das Meer kaufen.«

Sie dachte darüber nach, schüttelte aber schließlich den Kopf. »Ich würde New York vermissen, das weißt du doch. Man kann nirgends so shoppen wie in New York.«

»In Ordnung«, sagte er, seine Stimme ein nachgiebiges Knurren. »Aber wir können gerne ab und zu zum Spielen hierherkommen, wenn du Lust hast.«

Krissy legte den Kopf nach hinten und fing den Regen mit dem Mund auf, ein schnelles Schnappen wie das einer Fledermaus, die einen Käfer aus der Luft fängt. »Können wir jetzt spielen?«

»Die Arbeit kommt vor dem Spiel«, sagte Hannah, die Spielverderberin. Sie war vor Krissy Ivans Gespielin gewesen. Krissy hatte ihren Platz in seinem Bett und seinem Herzen eingenommen, und das stank Hannah ziemlich.

»Ivan«, bettelte Krissy und legte ihre Hände auf seine Brust und zog dann seinen Kopf zu sich herunter, so dass sie seine Lippen lecken konnte. »Können wir nicht spielen gehen? Wir müssen doch heute Abend nicht arbeiten, oder?«

Er ließ zu, dass sie ihn küsste, und als er seinen Kopf wieder hob, glühten seine Augen. »Hannah, bring die anderen in unser Hotel und kontaktiere unseren Auftraggeber. Krissy und ich werden in ein paar Stunden nachkommen.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!