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VOM JÜDISCHEN HUMOR BIS ZUM WORTSPIEL: ROBERT SEDLACZEK FÜHLT DEM SPRACHWITZ AUF DEN ZAHN. DIE SPRACHE ALS WITZEMATERIAL! Sprachwitze gehören zu den intelligentesten Exemplaren in der VIELFÄLTIGEN WELT DER WITZE. Viele klassische Sprachwitze haben all das, was einen guten Witz ausmacht, aber sie sind mit einer ZUSÄTZLICHEN KOMPONENTE versehen: Sie schöpfen ihre Lachkraft nicht nur mit der Sprache, sondern zusätzlich auch aus der Sprache. Wir schmunzeln und lachen über absichtliche oder unabsichtliche MISSVERSTÄNDNISSE, über den unerwarteten DOPPELSINN von Wörtern, über das WÖRTLICHNEHMEN VON METAPHERN, über einen überraschenden BETONUNGSWECHSEL, schräge WORTMISCHUNGEN und vieles mehr. In BLONDINEN- ODER BURGENLÄNDERWITZEN, in den Witzen rund um GRAF BOBBY UND GRAF MIKOSCH und die FRAU POLLAK VON PARNEGG tauchen besonders viele Sprachwitze auf. Oft treffen in Witzen – und genauso im KABARETT – DER BLÖDE UND DER GESCHEITE aufeinander, aber wie sagte schon Karl Farkas? Manchmal stellt sich am Ende heraus, dass es genau umgekehrt ist. DER NÄCHSTE STREICH VOM ÖSTERREICHISCHEN SPRACHEXPERTEN UND WÖRTERBUCHPAPST ROBERT SEDLACZEK Anhand von MEHR ALS 500 BEISPIELEN analysiert Robert Sedlaczek, WIE SPRACHWITZE FUNKTIONIEREN und verfolgt eine ENTWICKLUNGSLINIE zurück: Von den DOPPELCONFÉRENCEN der 1950er und 1960er Jahre über die großen Kabarettisten der Zwischenkriegszeit und dem Jargonstück "DIE KLABRIASPARTIE" bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, wo aus den SCHWÄNKEN, ANEKDOTEN UND APHORISMEN jene Witze mit prononcierten Pointen entstanden, ÜBER DIE WIR HEUTE NOCH LACHEN. Auf der Suche nach den Wurzeln der Sprachwitze wendet er sich besonders dem JÜDISCHEN HUMOR zu. Robert Sedlaczek seziert MODERNE FLACHWITZE UND EWIG JUNGE JÜDISCHE WITZE, bringt Beispiele aus neuen Witzesammlungen und aus alten Kabarettprogrammen. Das ERSTE UMFASSENDE BUCH ÜBER SPRACHWITZE ist erheiternd und erhellend zugleich.
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Seitenzahl: 497
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Robert Sedlaczek
Sprachwitze
Die Formen. Die Techniken. Die jüdischen Wurzeln
Mit mehr alsv 500 Beispielen
Der Zeit ihre Witze! Kurze Witze mit einem Doppelklang als Pointe entsprechen unserer schnelllebigen Zeit. Sie werden nicht nur erzählt, sondern auch getextet, gemailt und gepostet. Nicht jeder kann über sie lachen, aber offensichtlich haben sie eine große Anhängerschaft.
Egal wie viel Curry du isst – Freddy ist Mercury.
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Wie nennt man einen Arbeiter, der morgen frei hat? – Morgan Freeman.
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Was passiert, wenn man Cola und Bier mischt? – Es kollabiert.
Es könnte sein, dass Sie jetzt „Auweh!“ schreien. Vielleicht fragen Sie sich auch: „Wo ist denn da der Witz?“
Ein Wesenselement aller Witze ist der Überraschungseffekt. Wenn die Pointe kommt, sind wir zunächst verblüfft. Dann entlädt sich die Verblüffung in einem Lachen, Lächeln oder Schmunzeln. Und dass diese Witze mit ihrer Pointe Verblüffung auslösen, wird niemand bestreiten.
Wir haben es hier mit einer neuen Art von Sprachwitzen zu tun. „Mehr Curry“ klingt genauso wie der Name des Sängers der Popgruppe Queen. Und der Name des Schauspielers Morgan Freeman wird wörtlich genommen und ins Deutsche übertragen. Das dritte Beispiel funktioniert ein wenig anders: Die Wörter Cola und Bier werden zusammengehängt, aus der Wortmischung entsteht ein Verb: kollabieren. Wer hätte gedacht, dass darin zwei Getränke stecken?
Inzwischen gibt es zahllose Witze dieser Art. Auf den Witzeseiten im Internet werden sie als Flachwitze kategorisiert, und die entsprechenden Sites werden häufiger besucht als so manche Seite mit alten, herkömmlichen Witzen.
Viele Flachwitze sind Scherzfragen. Dabei handelt es sich um ein unerratbares Rätsel, das auf Witzigkeit angelegt ist. Der Witzeerzähler stellt eine Frage, der Witzezuhörer sagt: „Weiß ich nicht.“ Dann folgt die Pointe.
Wie heißt das Reh mit dem Vornamen? – Erdäpfelpü!
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Was ergibt drei mal sieben? – Feinen Sand.
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Warum werden Eskimos so alt? – Weil sie nicht ins Gras beißen können.
Manchmal werden ganze Ketten von Flachwitzen gebildet. In diesem Fall sollte der letzte dieser Einzeiler besonders schräg sein.
Wie heißt ein brauner Bär? – Braunbär.
Wie heißt ein Bär mit einem Becher Eis in der Hand? – Eisbär.
Wie heißt ein roter Bär? – Himbär.
Und wie heißt ein Bär, der fliegen kann? – Hubschraubär.
Vermutlich werden Sie jetzt einwenden: Sind das nicht Kalauer? Die wissenschaftliche Witzeforschung ist sich darüber nicht einig. Ist Flachwitz ein anderes Wort für Kalauer oder der Ausdruck für etwas Neues? Die Kalauer-Experten in Kalau (= alte Bezeichnung für Calau), einem Ort in Brandenburg, wo diese Witze entstanden sein sollen, sind der Meinung, dass es seit Jahrzehnten keine neuen, echten Kalauer mehr gibt. Wenn man in Kalau den Kalauer für tot erklärt, dann muss schon etwas Wahres dran sein.
Außerdem ist Kalauer in Wirklichkeit eine Verballhornung des französischen Begriffs calembour(g) (= Wortspiel). Ein Zusammenhang zwischen dem Kalauer und dem Ort Kalau wurde erst in den 1860er Jahren hergestellt. Die Zeitschrift Kladderadatsch hat dabei kräftig mitgeholfen. Sie druckte Kalauer unter dem Titel Aus Kalau wird berichtet ab.
Unter calembour(g) versteht man in Frankreich ein Wortspiel, das sich auf die unterschiedliche Bedeutung zweier Wörter gründet, die gleich ausgesprochen werden – so definiert es beispielsweise das Wörterbuch Petite Larousse. Ein Beispiel sind die Ausdrücke „Veilchen“ und „Feilchen“ (= kleine Feile).
Der Häftling öffnet das Päckchen, das ihm seine Frau geschickt hat. „Ach, wie schön“, sagt er, „die ersten Feilchen!“
Nach dieser Definition wären alle anderen Witze keine klassischen Kalauer.
Viele Flachwitze leben einzig und allein vom Wortspiel. Ein zusätzlicher Sinn, eine Tendenz (siehe S. 24), lässt sich nur in ganz seltenen Fällen erkennen. Der Text dient lediglich dazu, mit der Sprache zu spielen.
Ich bin der Auffassung, dass die Flachwitze in die Fußstapfen der Kalauer getreten sind, und kann das auch belegen. Seit es das Internet gibt, wird die Häufigkeit von Wörtern im Rahmen des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache (DWDS) erhoben. Das Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stützt sich auf gigantische Textkorpora und ist beispielhaft. Ein paar Klicks – und auf der DWDS-Website sieht man, wann der Terminus Flachwitz entstanden ist: Ende der 1990er Jahre. Zwei Jahrzehnte später sind die Belege in die Höhe geschnellt. Gleichzeitig ist der Kalauer in der Statistik abgestürzt.
Für mich ist der Flachwitz eine neue Kategorie, und in diese fallen nicht nur die klassischen Kalauer. Viele Flachwitze haben einen anderen Bauplan, sie bedienen sich einer komplizierteren Technik.
Wie heißt der Bruder von Elvis? – Zwölvis.
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Warum wurde der Dimmer festgenommen? – Es bestand Verdunkelungsgefahr.
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Was ist die Lieblingsspeise von Piraten? – Kapern.
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Wie nennt man eine Demonstration von Veganern? – Gemüseauflauf!
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Was trinken Firmenchefs? – Leitungswasser.
Daneben gibt es auch noch die Methode, Wörter zu zerlegen und neu zusammenzusetzen:
Was ist das Gegenteil von Reformhaus? – Reh hinterm Haus.
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Kommt ein Pferd in das Blumengeschäft und fragt: „Ham-Sie-Ma-geritten?“
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Was sagt ein Gen, wenn es ein anderes trifft? – Halogen.
Manche Witze sind surrealistisch, es werden Geschichten erzählt, die zur Realität in krassem Widerspruch stehen.
Gehen zwei Penisse ins Kino. Sagt der eine zum anderen: „Hoffentlich ist es kein Porno, sonst müssen wir wieder stehen.“
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Kommt ein Neutron zur Disco. Sagt der Türsteher: „Tut mir leid, nur für geladene Gäste!“
Vielleicht schmunzeln wir in diesem Fall deshalb, weil Penisse und Neutronen eben nicht sprechen können und im Witz so reagieren, wie wenn sie Menschen wären.
Ein Vampir auf dem Fahrrad kommt in eine Polizeikontrolle. Polizist: „Haben Sie etwas getrunken?“ Vampir: „Nur zwei Radler.“
Flachwitze können die Wirklichkeit auch völlig auf den Kopf stellen.
Treffen sich zwei Bakterien. Fragt die eine: „Ich habe dich seit Wochen nicht gesehen, warst du krank?“ – „Ja“, antwortet die andere, „ich hatte Penizillin.“
Früher wurden Witze in Printmedien veröffentlicht und mündlich verbreitet. Heute werden Witze auch ins Netz gestellt und verlinkt. Einige funktionieren nur schriftlich, man kann sie ohne anschließende Erklärung nicht erzählen.
Wie heißt eine Schlange, die genau 3,14 Meter lang ist? – πton.
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Was macht ein Mathematiker auf dem Pissoir? – ππ.
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Welches Tier schreibt man mit nur einem Buchstaben? – Die Q.
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Achtung vor Twitter! – Warum? – Bei Gwitter darf man sich nicht unter Bäume stellen.
Hier geht es nicht nur darum, dass das englische Wort twitter – deutsch übrigens „Gezwitscher“ – und das deutsche Wort „G(e)witter“ ähnlich klingen – oder anders betrachtet, dass bei twitter eine verkürzte Form der Vorsilbe Ge- vorangestellt wird. Der Witz schöpft seine Kraft auch aus dem Umstand, dass wir mit der Pointe zu den datenschutzrechtlichen und gesellschaftspolitischen Problemen der sozialen Medien geleitet werden. Twitter wird mit einem Unwetter verglichen, vor dem man sich adäquat schützen sollte. Es hilft nicht, sich schnell unter einen Baum zu stellen.
Kalauer haben den Ruf, „wenig geistreiche“ Witze zu sein. Das sagt man auch den Flachwitzen nach. Eigentlich haben wir es mit „Aphorismen ohne Sinn“ zu tun. Wer Aphorismen liebt und in Flachwitzen einen Sinn sucht, muss zwangsläufig enttäuscht sein. Und manche Flachwitze sind wirklich schlecht.
Was ist braun und fährt die Piste herunter? – Ein Snowbrot.
Die Wörter „Brot“ und „Board“ sind klanglich weit voneinander entfernt, sodass eine gedankliche Verbindung schwer herzustellen ist. Aber vielleicht ist es ein Unsinnswitz, und es könnte sein, dass Sie gerade deshalb über diesen Einzeiler lachen.
Sigmund Freud bezeichnet in seinem Buch Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten die Kalauer als die „billigsten“ Witze, weil sie mit leichtester Mühe gemacht werden können (Freud, S. 60). Dies gilt auch für die Flachwitze. Sie haben einen Mitmacheffekt. Man fühlt sich animiert, neue Flachwitze zu erfinden und zu verbreiten.
Aber etwas anderes faszinierte Sigmund Freud ganz besonders: Der Erzähler eines Flachwitzes – und in gewisser Weise auch der Zuhörer – fühlt sich durch Regression in seine Kindheit zurückversetzt, in eine Zeit, in der noch keine Denk- und Realitätszwänge herrschten (Freud, S. 139–140). Es gebe eine „Lust am befreiten Unsinn“. Freud sah in diesen Witzen „eine große Erleichterung der psychischen Arbeit“, weil es ursprünglich jedem Menschen näherliegt, „sich an den Klang, statt an den Sinn zu halten“.
Interessant ist, dass Freud in großer Zahl Aphorismen analysiert und daneben nur einige Sprachwitze in Dialogform. Dies hängt damit zusammen, dass Anfang des 20. Jahrhunderts Witze mit prononcierten Pointen, wie wir sie heute kennen, erst im Entstehen waren. Auch Situationswitze gab es damals noch nicht. Das sind Witze mit einem Handlungsablauf, aus dem heraus sich die Pointe entwickelt. Aus diesen Witzen könnte man ein Video machen und auf YouTube publizieren.
Ein Radfahrer fährt Schlangenlinien genau vor der Straßenbahn. Der Straßenbahnfahrer flucht in sich hinein, schließlich lehnt er sich aus dem Seitenfenster und brüllt: „Du hirnloser Depp! Kannst du nicht woanders fahren?“ Darauf der Radfahrer grinsend: „Ich schon!“
Wortspiele und Sprachwitze auseinanderzuhalten, ist schwierig. Das von Freud zitierte Kunstwort famillionär – eine Wortmischung aus „familiär“ und „Millionär“ – ist auf sich allein gestellt ein schwer verständliches Wortspiel. Taucht famillionär aber in einem Kontext auf – in diesem Fall in einem Text Heinrich Heines, der den Besuch bei einem Rothschild darstellt – wird es zu einem Sprachwitz. Wir werden uns später damit ausführlich befassen (siehe S. 209).
Einfacher ist die Unterscheidung zwischen Witz und Humor. Witze sind Dialoge oder kurze Erzählungen, die den Zuhörer oder Leser mit einem überraschenden Ausgang zum Lachen bringen sollen – in einer abschließenden Pointe. Manche Witze haben überdies eine Zwischenpointe, bei der die Geschichte schon zu Ende sein könnte. Humor ist die Begabung eines Menschen, den Unzulänglichkeiten der Welt zu begegnen, die alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicke mit heiterer Gelassenheit zu ertragen: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Josef Joffe, Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit und Autor des Buches Mach dich nicht so klein, du bist nicht so groß, meinte einmal: „Der jüdische Witz ist gekennzeichnet durch Selbstironie, durch die Fähigkeit, über sich selber zu lachen, aber auch durch Galgenhumor.“ In diesen seltenen Fällen treten also Witz und Humor gepaart in Erscheinung. Im Verlauf des Buches werden Sie auf einige Beispiele stoßen (siehe S. 79 ff., 117 ff., 167 ff.).
Zurück zu den Flachwitzen, die heute omnipräsent sind. Einzeiler, bestehend aus Frage und Antwort oder aus einer Feststellung, werden oft auch in ein dazu passendes Foto oder Video gestellt und dann im Internet verbreitet. Diese Form von Flachwitz wird Meme genannt. Die originellsten von ihnen werden unzählige Male geteilt. Sie haben oftmals einen Bezug zu einem aktuellen Ereignis oder zu einem Film beziehungsweise einer TV-Serie.
Im Internet habe ich ein Porträt von Eddard „Ned“ Stark gefunden, dem Lord von Winterfell aus der TV-Serie Game of Thrones. In das Foto wurde ein mundartlicher Text montiert.
Ma foahrt neid oafoch ohne Keittn aufn Pötschn.
Das klingt wie die Warnung eines Steirers, den Pötschenpass an der oberösterreichisch-steirischen Grenze nicht ohne Ketten in Angriff zu nehmen, und ist zweifellos witzig – wenn es aus dem Mund des Lords von Winterfell kommt und gleichzeitig sein Bild zu sehen ist. Aufgrund des beschränkten Platzangebots sind die Texte immer Einzeiler – sie bestehen oft nur aus ein paar Wörtern.
Die Herkunft des Begriffs Meme (das Meme, Mehrzahl: die Memes) oder Mem (das Mem, Mehrzahl: die Meme) ist strittig. Oft wird der britische Evolutionsbiologe Clinton Richard Dawkins als Erfinder des Ausdrucks genannt. Zwar hat er 1976 analog zum englischen gene den Begriff meme verwendet, aber er war nicht der erste. Der Ausdruck Mem findet sich bereits in einem 1948 erschienenen Buch des österreichischen Physikers und Kybernetikers Heinz von Foerster. Jedenfalls wurde das Wort von der Online-Community aufgegriffen und dazu verwendet, eine neue Art von Bild-Text-Botschaft zu benennen.
Früher hat ein Mensch anderen Menschen einen Witz erzählt. Heute kann diese Form der Kommunikation auch im Dialog mit einer Maschine stattfinden. Der digitale Assistent von Amazon, genannt Alexa, ist zuhause ein Helferlein von frühmorgens bis spätabends. Gleiches leistet der Google Assistant, wenn man unterwegs ist. Mit beiden kann man Wetterberichte abhören, Abfahrts- und Ankunftszeiten von Zügen erfahren, sich mit jeder Art von Musik unterhalten lassen und vieles mehr. Das Gleiche leistet das Apple-Programm Siri. Man könnte diese Angebote mit dem Slogan „Sie suchen, wir finden!“ umschreiben.
Alexa, Google und Siri reagieren auch auf die Aufforderung: „Erzähle mir einen Witz!“ Nicht überraschend sind es kurze Witze, und viele davon weisen eine sprachliche Komponente auf.
Fragt die Lehrerin: „Franzi, warum heißt unsere Sprache auch Muttersprache?“ – „Weil Vati in ihr nicht zu Wort kommt.“
Einmal wollte ich den Assistenten von Google aufs Glatteis führen. Ich fragte ihn: „Bist du verliebt?“ Die Antwort war ein Sprachwitz mit Doppelsinn.
Ich glaube, ich werde für immer suchen. Das ist wahrscheinlich vorprogrammiert.
Ruud Klein, der Illustrator des wöchentlichen Leitartikels im Profil, verwendet Sprachwitze in seinen Zeichnungen. Einmal legte er einem Koch, der einen riesigen dampfenden Topf in seinen schon glühenden Händen hielt, folgenden Satz in den Mund:
Seit dem blöden Topftuchverbot verbrenn ich mir dauernd die Pfoten.
Ein andermal kommentiert er die Diskussion über die Zukunft der EU. Wir sehen einen alten Mann mit Bart, der in einem Fauteuil sitzt und sagt:
Europa? Ach so. Ich dachte die ganze Zeit, ihr wollt alle zu Opa …
Auch auf Hitradio Ö3 wird immer wieder sprachspielerisch gewitzelt. Im Sommer 2019 lief auf diesem Sender die Comedyserie Casa Chaos mit witzigen Dialogen aus einer Wohngemeinschaft. Einige Male wurde in Casa Chaos auch auf tagesaktuelle Ereignisse Bezug genommen, so auf den Dopingskandal unter Skilangläufern im Februar 2019.
Reini: Also diese Langlauf-Dopingskandale im ÖSV sind eh dauernd. Da kriegt der Name Schröcksnadel eine völlig neue Bedeutung.
Sarah: Geh Reini, der Skisport ist für Österreich ungemein wichtig. So was kannst echt ned sagen. Des is Spitzensport.
Reini: Ja, Spritzensport.
Auch manche Dialoge des Ö3-Callboys sind Sprachwitze. Als Beispiel möchte ich zwei Anrufe von Gernot Kulis verkürzt wiedergeben, einen bei der Wiener Städtischen Versicherung, einen bei einer Trafikantin.
Ö3-Callboy: Do is’ Mirko, Grieß Gott. Ich hobe Party. Wos kostet fier a Wochenende dreißig Stuck Stehtische.
Wiener Städtische: Ich weiß nicht, was Sie wollen.
Ö3-Callboy: Dreißig Stuck Stehtische. Ich habe schon alles eingekauft, Getränke, alles. Barhocker habe ich. Jetzt braucht er Stehtische.
Wiener Städtische: Stehtische?
Ö3-Callboy: Ich habe angerufen in Linz. Aber jetzt braucht er Wiener Stehtische.
Wiener Städtische: Ich kann Ihnen eine Versicherung anbieten für eine Veranstaltung.
Ö3-Callboy: Versicherung? Bitte ned! I’ pass auf … Auf Stehtische. Verspricht er.
Wiener Städtische: Wir haben aber keine Stehtische. Wo soi ma die hernehma?
Ö3-Callboy: Wieso? Ist dort nicht die „Wiener Stehtische“?
Wiener Städtische: Der Name: „Wiener Städtische Versicherung“! Aber Stehtische bekommen Sie bei uns keine!
(Kulis, Wiener Stehtische, CD, Track 10)
◊
Ö3-Callboy: Könnts ös ma zwanzig Rubbellose auf die Seit’n leg’n? Und zwoa ganz bestimmte. Mei’ Bua hat gsagt, es gibt’s neue Lose da im Herbst. Was habts da?
Trafikantin: Hennen-Rennen, Double Win, Fünfundzwanzig fette Jahre.
Ö3-Callboy: Herbstzeit-Lose hat ihm die Lehrerin gsagt.
Trafikantin: Herbstzeit-Lose? Des sagt ma goa nix.
Ö3-Callboy: Die soll’s jetzt geben – mit der Jahreszeit.
Trafikantin: Ich stehe grad vor die Lose …
Ö3-Callboy: Habts ös Brieflose?
Trafikantin: Ja, die hamma scho’.
Ö3-Callboy: Vielleicht liegen daneben die Herbstzeit-Lose …
Trafikantin: Na.
Ö3-Callboy: Habts ös Arbeits-Lose?
Trafikantin: Na, hamma aa ned … Wollen S’ mich jetzt verarschen?
Ö3-Callboy: Habts ös Tuberku?
Trafikantin: Was is’ das?
Ö3-Callboy: Tuberku-Lose. Aber mei’ Bua hat gsagt, er möcht’ unbedingt Herbstzeit-Lose.
Trafikantin: Was is’ mit Ihna? Wissen Sie was? Sie und Ihna Bua san Ahnungs-Lose!
(Kulis, Herbstzeit-Lose, gesendet auf Hitradio Ö3 am 19. 9. 2019)
Es ist erstaunlich, dass es Gernot Kulis immer wieder gelingt, bei anonymen Anrufen Dialoge zu produzieren, die reif fürs Kabarett wären. Dass er auf Verwechslungen wie „Stehtische“ und „Städtische“ baut oder zusammengesetzte Wörter wie „Herbstzeitlose“ falsch zerlegt, erweist ihn als Kenner der Witzetechniken.
Vielleicht wird es Ihnen beim Lesen dieses Buches so wie mir ergehen. Anfänglich konnte ich mit Flachwitzen nicht viel anfangen. Aber je länger ich mich damit beschäftigte, desto mehr faszinierten sie mich.
Daneben gibt es auch noch längere Sprachwitze, die ein Wortspiel enthalten oder durch Verwendung sprachlicher Mittel zustande kommen. Das halte ich übrigens für eine recht brauchbare Definition für den Terminus „Sprachwitz“.
Geht eine Katze ins Fitnessstudio. Fragt die Trainerin: „Was machst du denn hier?“ Darauf die Katze: „Mein Frauerl hat mir erzählt, dass man sich hier einen prima Muskelkater holen kann.“
Auf diesen intelligent konstruierten Dialog werde ich später zurückkommen (siehe S. 116), genauso auf den folgenden Witz, der von einem regionalen Sprachunterschied handelt (siehe S. 283 f.).
In Tirol. Ein Förster führt Urlauber aus dem hohen Norden durch den Wald. „Sagen Sie mal, Herr Förster, wie nennen Sie denn die Blaubeeren da?“ – „Schwarzbeeren.“ – „Die sind aber doch rot!“ – „Ja, weil s’ noch grün san.“
Sprachwitze und Wortspiele existieren in so gut wie allen Kulturen. Den Begriff calembour(g) im Französischen habe ich bereits erwähnt, im Englischen wird ein Wortspiel pun genannt. In den Theaterstücken und Sonetten von William Shakespeare finden sich viele puns, es sollen mehr als dreitausend sein. Hier ein oft zitiertes Beispiel aus Richard III.:
Now is the winter of our discontent made glorious summer by this son/sun of York.
Richard, der hier von sich spricht, ist ein Sohn des Hauses York. Shakespeare verwendet das Wortspiel zwischen den gleichklingenden Wörtern son (= Sohn) und sun (= Sonne), um einen Gegensatz zwischen Winter und Sommer herzustellen.
Vor allem die intelligenten Figuren in den Shakespeare’schen Stücken sind regelrechte punster:
Auf einem Friedhof fragt Hamlet einen Arbeiter, für wen er gerade ein Grab gräbt. Der Arbeiter, der in dem Grab steht, sagt: „Mine, Sir.“ Darauf Hamlet: „I think it be thine indeed, for thou liest in it.“
Hamlet nimmt die Neckerei des Friedhofsarbeiters auf und beschuldigt ihn, dass er lüge – wobei „liegen“ und „lügen“ im Englischen gleich klingen.
Von Shakespeare stammt auch ein Satz, der gerne fälschlich als Hinweis verstanden wird, dass unsere heutigen Witze kurz sein müssen. Es sagt nämlich der Schwätzer Polonius in Shakespeares Hamlet (II. Akt, 2. Szene):
Weil Kürze dann des Witzes Seele ist, / Weitschweifigkeit der Leib und äußre Zierat, / Fass’ ich mich kurz.
Puns waren nicht immer und nicht bei allen so beliebt. Für den Schriftsteller Samuel Johnson, Herausgeber einer epochalen Shakespeare-Ausgabe, stellten sie „the lowest form of humor“ dar. Die gegensätzlichen Beurteilungen reichen bis in die Gegenwart. So war beispielsweise Alfred Hitchcock ein begeisterter Anhänger von Wortspielen: „Puns are the highest form of literature.“ Andere haben ihm heftig widersprochen.
Friedrich Schiller lässt in Wallensteins Lager (8. Auftritt) den Kapuziner, der Abraham a Sancta Clara nachgebildet ist, in Klangwitzen und Wortspielen schwelgen.
Lässt sich nennen den Wallenstein, / Ja freilich ist er uns allen ein Stein / Des Anstoßes und Ärgernisses. / Kümmert sich mehr um den Krug als den Krieg, / Wetzt lieber den Schnabel als den Sabel, / Frisst den Ochsen lieber als den Oxenstirn’ / Der Rheinstrom ist geworden zu einem Peinstrom / Die Klöster sind ausgenommene Nester / Die Bistümer sind verwandelt in Wüsttümer, / Die Abteien und die Stifter / Sind nun Raubteien und Diebesklüfter / Und all die gesegneten deutschen Länder / Sind verkehrt worden in Elender.
Heinrich Böll legt in Die verlorene Ehre der Katharina Blum seiner Hauptfigur am Ende der Erzählung folgenden Satz in den Mund:
Dieser Kerl wollte bumsen – und ich dachte: Gut, jetzt bumst’s.
Dann fällt der sexuell aufdringliche Zeitungsschreiberling tödlich getroffen zu Boden. Böll hat also in die Schlüsselszene seiner Erzählung einen Sprachwitz eingebaut. Einige Kritiker meinten, ein derartiges Wortspiel wäre eines angesehenen Schriftstellers nicht würdig gewesen.
Wortspiele polarisieren, und sie sind so alt wie die Sprache selbst. Belege aus der Antike stammen aus Mesopotamien, aus Ägypten und aus China. Auch in den Hieroglyphen der Mayas sind Wortspiele zu finden.
Den ältesten belegten Witz verdanken wir der sumerischen Kultur Mesopotamiens. Er datiert aus der Zeit von etwa 1900 bis 1600 v. Chr., könnte aber bereits 2300 v. Chr. erzählt worden sein.
Was ist seit Urzeiten noch nie geschehen? – Eine junge Frau, die auf dem Schoß ihres Mannes nicht furzt.
Der zweitälteste Witz ist auf einer ägyptischen Papyrusrolle verzeichnet, diese wird mit 1600 v. Chr. datiert.
Wie kannst du einen gelangweilten Pharao aufheitern? – Du schickst ein Boot mit jungen Frauen, die nichts weiter als Fischernetze am Leib tragen, den Nil stromabwärts und drängst den Pharao, fischen zu gehen.
Der drittälteste Witz stammt aus der Zeit 1200 v. Chr., er wurde in Adab, Mesopotamien, aufgezeichnet. Der Ort liegt heute im Irak.
Drei Ochsentreiber streiten darüber, wem ein neugeborenes Kalb gehört. Der König soll schlichten, er bittet eine Priesterin um Hilfe. Diese will auch die Ehefrauen der drei Männer in die Entscheidung einbeziehen …
Der Text ist leider nicht vollständig lesbar, die Pointe kann nur erraten werden, sie dürfte obszön gewesen sein. Paul McDonald, Professsor für kreatives Schreiben an der Universität Wolverhampton, der 2008 die zehn ältesten Witze für einen TV-Sender eruiert hat, konstatiert: „Allen gemeinsam ist ihr Bruch mit Tabus und eine gewisse Rebellion.“
Die älteste erhaltene Witzesammlung ist der Philogelos (Lachfreund), die darin enthaltenen Witze, 265 an der Zahl, sind in griechischer Sprache verfasst. Als Autoren werden zwei ansonst unbekannte Griechen namens Hierokles und Philagrios genannt. Die Zusammenstellung wird wohl erst nach der römischen Kaiserzeit abgeschlossen worden sein, weil die Tausendjahrfeier Roms im Jahr 248 n. Chr. erwähnt wird. Andere Witzsammlungen aus der Antike werden in diversen Quellen erwähnt, sind aber nicht erhalten.
Der Philogelos ist thematisch gegliedert. Es gibt Witze über unfähige Wahrsager und dümmliche Gelehrte, über Säufer, Witzbolde, Frauenhasser und Menschen mit starkem Mundgeruch. Einige Witze sind obszön, andere frauenfeindlich. Witze über Homosexualität sind in der Sammlung nicht enthalten, obwohl Geschlechtsverkehr unter Männern üblich war.
In zahlreichen Witzen ist die Hauptfigur eine dumme Person: ein Abderit, Kymenier oder Sidonier. Die Einwohner der griechischen Städte Abdera und Kymene sowie der hellenisierten ehemaligen Phönizierstadt Sidon waren die Ostfriesen der Antike. Oft wird der Dumme auch als Scholastikos bezeichnet, das entspricht nach dem heutigen Verständnis am ehesten einem zerstreuten Professor. Aber einen Scholastikos hat es in so gut wie jedem Beruf gegeben, und er konnte jung oder alt sein. „Er ist der Typ des Erz-Dummkopfs, des pedantischen, gar nicht unsympathischen ‚Denkers‘, der mit messerscharfer Logik schlussfolgert – nur eben völlig falsch, weil er in seiner Zerstreutheit, Beflissenheit oder vermeintlichen Geistesschärfe von allem Gebrauch macht, nur nicht vom gesunden Menschenverstand.“ (Weeber, S. 46)
Die dümmlichen Hauptfiguren im Philogelos sind austauschbar. Ein Witz, der als Abderiten-Witz gebracht wird, kommt später als Scholastikos-Witz noch einmal daher oder umgekehrt.
Kommt ein Mann zu einem Scholastikos und sagt: „Der Sklave, den du mir verkauft hast, ist gestorben.“ – „Bei den Göttern“, antwortet der, „solange er bei mir war, hat er nichts dergleichen getan.“ (Nr. 18)
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Ein Mann hänselt einen Witzbold: „Ich habe deine Frau umsonst gehabt.“ Darauf der Witzbold: „Es ist meine eheliche Pflicht, dieses Übel zu ertragen. Aber du? Wer zwingt dich?“ (Nr. 263)
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Ein junger Mann sagt zu seiner Frau: „Herrin, was tun wir? Wollen wir essen oder haben wir Sex?“. Darauf die Frau: „Wie du willst. Brot ist keins da.“ (Nr. 244)
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Ein Scholastikos will seinem Esel lehren, nicht zu fressen, und wirft ihm kein Futter vor. Als der Esel des Hungers stirbt, sagt der Scholastikos: „Wie schade! Als er gelernt hatte, nicht zu fressen, da ist er gestorben.“ (Nr. 9)
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Ein Scholastikos hat geträumt, er sei in einen Nagel getreten. Er verbindet sich deshalb den Fuß. Ein anderer Scholastikos fragt ihn, warum er das getan habe, und als er den Grund erfährt, sagt er: „Mit Recht werden wir für dumm gehalten. Warum gehst du auch ohne Schuhe ins Bett?“ (Nr. 15)
In diesem Witz wird die Dummheit des einen durch die Dummheit des anderen überboten. Wir werden auf diese Technik später zurückkommen (S. 79 ff.).
Ein Scholastikos hat eine Sklavin geschwängert. Nach der Geburt rät ihm sein Vater, er solle das Kind töten. Darauf der Scholastikos: „Begrab du erst deine Kinder, und dann rate mir, meines umzubringen!“ (Nr. 57)
Manchmal entpuppt sich der dumme Scholastikus als der Gescheite. Väter hatten das Recht, ihre Kinder zu töten. Der Scholastikos rebelliert gegen dieses Prinzip und gleichzeitig gegen seinen Vater.
Unfähige Wahrsager haben große Probleme, die Zukunft vorherzusagen. Aber sie können sich auf eine neue Sachlage prompt einstellen. Dadurch nehmen Witze eine überraschende Wendung.
Ein unfähiger Wahrsager stellt ein Horoskop für einen kleinen Buben auf. „Der wird einmal ein Rechtsanwalt“, sagt er, „dann Präfekt, dann Statthalter.“ Als das Kind wenig später stirbt, beschwert sich die Mutter beim Astrologen: „Er ist tot! Dabei sollte er doch Rechtsanwalt, Präfekt und Statthalter werden!“ – „Ich schwöre es bei seinem Andenken“, antwortet der Wahrsager, „wäre er am Leben geblieben, wäre alles genau so eingetreten!” (Nr. 202)
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Ein Mann kommt von einer langen Auslandsreise heim und fragt einen unfähigen Wahrsager, wie es seiner Familie geht. Da antwortet der Wahrsager: „Allen geht es gut, nur deinem Vater nicht.“ – „Aber mein Vater ist doch vor zehn Jahren verstorben!“ – Darauf der Wahrsager: „Du kannst doch gar nicht wissen, wer dein Vater ist.“ (Nr. 201)
Im Mittelpunkt des folgenden Selbstmörderwitzes steht wieder einmal ein Abderit und sein unlogisches Handeln:
Ein Abderit will sich erhängen, aber der Strick reißt und er schlägt sich ein Loch in den Kopf. Da lässt er sich ein Pflaster geben und legt es auf die Wunde. Dann geht er wieder hin und erhängt sich.
Ich habe den Philogelos nach Sprachwitzen durchsucht und einige gefunden. Meist basieren sie auf dem Doppelsinn eines Wortes oder einer Wendung.
Ein Abderit hat gehört, dass Zwiebeln und Bohnen Winde machen. Als auf einer Seefahrt eine Flaute eintritt, hängt er einen Sack mit Zwiebeln und Bohnen am Hinterteil des Schiffes auf. (Nr. 73)
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Ein Witzbold wird von einem geschwätzigen Friseur gefragt: „Wie darf ich die Haare schneiden?“ Darauf der Witzbold: „Schweigend!“ (Nr. 148)
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Kommt ein Mann zu einem schlecht gelaunten Arzt: „Herr Doktor, ich kann weder liegen noch stehen und auch nicht sitzen.“ Darauf der Arzt: „Dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig: Hängen Sie sich auf!“ (Nr. 183)
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Ein Witzbold trifft einen Zuhälter, der eine schwarze Prostituierte anbietet, und fragt ihn: „Was kostet die Nacht?“ (Nr. 151)
Hier wird der Gedanke „schwarz wie die Nacht“ weitergesponnen, wodurch ein Doppelsinn entsteht: Gemeint ist einerseits die Frau, andererseits die Dauer des Liebesdienstes.
Ein Mann mit stinkendem Atem fragt seine Frau: „Herrin, warum hasst du mich?“ Sie antwortet: „Weil du mich liebst.“ (Nr. 234)
Das in der Pointe auftauchende Verb hat neben „lieben“ noch einen zweiten Sinn: „küssen“.
Ein Abderit ist einem Mann einen Esel schuldig. Da er keinen hat, bittet er, stattdessen zwei Halbesel geben zu dürfen. (Nr. 127)
Ein Witzbold besucht ein Badehaus, da wollen sich zwei Männer von ihm den bronzenen Schaber leihen, der zum Entfernen des Öls vom Körper dient. Den einen kennt er nicht, den anderen kennt er als Dieb. Da sagt er: „Dir leihe ich ihn nicht, weil ich dich nichtkenne, und dir leihe ich ihn nicht, weil ich dich kenne.“ (Nr. 150)
In diesem Fall wird in der Pointe eine Wendung wiederholt und modifiziert.
Eine spezielle Kategorie sind Witze über Männer mit Mundgeruch. Einen davon haben Sie bereits gelesen, andere haben einen fäkalen Hintergrund.
Ein Mann mit stinkendem Atem begegnete einem Tauben und sagt: „Guten Tag!“ Der darauf: „Pfui!“ Da sagt der erste: „Was habe ich denn gesagt?“ Der Taube: „Du hast gepfurzt!“ (Nr. 233)
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Ein Mann mit stinkendem Atem kommt zu einem Arzt und sagt: „Sieh, Herr! Mein Zäpfchen hat sich gesenkt!“ Dabei macht er den Mund weit auf. Der Arzt wendet sich ab und sagt: „Nicht dein Zäpfchen hat sich gesenkt, dein Arschloch hat sich gehoben.“ (Nr. 235)
Derartige Ekelwitze sind Tabubrüche: Über Fäkales redet man nicht gern. Das muss auch damals so gewesen sein, sonst wären diese Dialoge keine Witze. Nach Freud besteht in der frühkindlichen Entwicklung eine Lust an den Vorgängen der Verdauung. Die normale Reaktion von Erwachsenen gegenüber den Exkrementen ist hingegen die des Ekels.
Womit ich das Buch Philogelos zumache und das Thema abschließe. Einige Witze erinnern mich an die Geschichten aus Schilda, also an die Schildbürgerstreiche, oder an die jüdischen Witze über die Einwohner von Chelm. Manche sind eher schwach, andere wirken modern und zeitlos, haben sogar ein Pendant in der Gegenwart.
Hirsch wird erzählt, dass seine Frau ihn mit seinem Teilhaber betrügt. Er will es nicht glauben. Dann beschließt er aber, eines Tages unerwartet heimzukommen – und findet tatsächlich seinen Kompagnon bei seiner Frau. Ungläubig schüttelt er den Kopf und sagt schließlich: „Ich muss – aber du?“ (Goldscheider, S. 28)
Ich habe aus dem Philogelos die besten Witze ausgesucht, das mag ein verzerrtes Bild bei der Beurteilung ihrer Qualität ergeben. Viele sind äußerst kurz, so kurz wie die heutigen Flachwitze. Die meisten Witze sind Dialoge „und die Pointe besteht (meist) in einem Ausspruch, viel weniger oft in einem Tun“, konstatiert der Altphilologe Andreas Thierfelder, der die Witze des Philogelos übersetzt und kommentiert hat (Thierfelder, S. 22). Gemeint ist: Situationswitze kommen im Philogelos nicht vor.
Zwar keine Sprachwitze, aber interessante Wortspiele sind in der Bibel zu finden, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Hier ein oft zitiertes Beispiel aus Matthäus 16,18:
Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.
Dass ein Wortspiel vorliegt, zeigt nicht nur der griechische Urtext, sondern auch der lateinische: „tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam …“ Petrus hieß mit einem Übernamen Kephas, und daraus wurde, ins Lateinische übersetzt, Petrus, was auf petra (= Felsen) deutet. (Gauger, 2006, S. 26–27)
In diesem Buch über Sprachwitze geht es schwerpunktmäßig um jene Witzekultur, die für Österreich typisch ist und zu einem Teil jüdische Wurzeln hat. Ein ähnliches Buch über die Sprachwitze bei Christian Morgenstern, Heinz Erhardt, Otto Waalkes und bei einigen anderen müsste noch geschrieben werden.
Vielleicht sollte ich hier gleich das Problem streifen, dass man Witze nicht erklären darf. Wenn jemand in einer Gesellschaft einen Witz erzählt und anschließend die Pointe erläutert, dann hat er sich als Witzeerzähler disqualifiziert. Wer ein Buch über Sprachwitze schreibt und die dahinterstehende Technik erläutert, muss also zwangsläufig gegen dieses eherne Gesetz des Witzeerzählens verstoßen. Anders geht es leider nicht. Die eine oder andere Erläuterung habe ich in den Anhang verschoben, dort finden Sie auch Quellenangaben und zusätzliche Informationen, die den Lesefluss stören würden.
Genauso unmöglich ist es, die Regeln der Political Correctness bei der Auswahl der Witze einzuhalten. Freud hat festgestellt, dass in Witzen häufig das zum Vorschein kommt, was üblicherweise unterdrückt wird, zum Beispiel infolge einer Hemmung, sexuelle oder aggressive Triebe auszuleben. Der Witz baut diese Hemmung kurzzeitig ab, dadurch entsteht ein Lustgewinn aus erspartem psychischem Aufwand (Freud, S. 132 ff.). Diese Auffassung wird auch als Entladungstheorie bezeichnet.
Freuds Buch Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten gilt nicht nur als Schlüsselwerk der Psychoanalyse, sondern auch der Witzeforschung. Für mich waren vor allem jene Kategorisierungen hilfreich, die den ersten Teil seines Buches ausmachen. Fachbegriffe wie Wortmischung, Mehrfachverwendung desselben Materials, Modifikation, Verschiebung, Unifizierung, Darstellung durchs Gegenteil und Aufsitzer gehen auf ihn zurück oder wurden von ihm popularisiert.
Freud unterscheidet zwischen Technik und Tendenz eines Witzes. Die Technik ist das Hauptthema meines Buches, aber die Tendenz spielt oft eine zusätzliche Rolle.
Freud stellt bei den Tendenzwitzen vier Kategorien auf:
obszöne, entblößende Witze,
aggressive (feindselige) Witze,
zynische Witze (kritische, blasphemische),
skeptische Witze.
Die Tendenz weckt Gefühle beim Zuhörer, sie ist „das Körnchen Salz“ oder „das Tröpfchen Adrenalin“, wie es Arthur Koestler formuliert (Koestler, S. 52). In obszönen Witzen geht es um Sexuelles, das gesellschaftlich tabuisiert ist, im Witz hingegen angesprochen wird – oft verklausuliert, verhüllend. Aggressive Witze richten sich gegen das Fremde oder gegen politische Gegner. Zynische Witze attackieren Grundsätze, die allgemein anerkannt sind. Zu dieser Gruppe gehören auch blasphemische Witze. In diesen werden religiöse Dogmen oder der Gottesglaube selbst angegriffen. Skeptische Witze zweifeln jede Form der Erkenntnis an, in Tierwitzen und Kinderwitzen lösen sie beim Zuhörer ein Gefühl der Rührung aus. Die meisten Flachwitze haben keine Tendenz.
Wieso können Seeräuber keinen Kreis fahren? – Weil sie π-raten.
Hier werden keine Gefühle angesprochen. Es geht einzig und allein darum, das Zeichen π zu verbalisieren und die Lösung „Piraten“ zu finden. Dass Seeräuber und Piraten ein und dasselbe sind, ergibt sich sofort. Wir lächeln über derartige Witze einzig und allein deshalb, weil sie uns überraschen, und der Zuhörer darf ein wenig stolz sein, dass er das Rätsel entschlüsselt hat.
Ich habe einen Hipster ins Bein geschossen – jetzt hopster.
Als Hipster bezeichnet man eine Person mit starkem Szenebewusstsein, womit eine Abgrenzung vom Mainstream signalisiert wird. Dies äußert sich in der Bekleidung: Flanellhemden, Hornbrillen, Schlauchschals, Röhrenjeans, Converse-Schuhe, Tätowierungen und Piercings, aber auch im Getränkekonsum: Hipster trinken Szenegetränke wie Club-Mate-Limonade. Sie verwenden Smartphones, Tablets und MacBooks.
Der Hipster ist in diesem Witz im wörtlichen Sinn eine Zielscheibe: Auf ihn wird geschossen. Nach der analytischen Methode Sigmund Freuds ist er auch im übertragenen Sinn eine Zielscheibe: Er ist neben dem Erzähler und dem Zuhörer jene dritte Person, gegen die sich die aggressive Tendenz des Witzes richtet. Wer vom Mainstream abweicht, wird bestraft.
Ich habe für dieses Buch sowohl alte als auch neue Witze ausgewählt, wobei die alten Witze meist Klassiker sind und bereits viele Jahre auf dem Buckel haben. Aber: Es gibt Witze, die muss man einfach kennen.
Besonders die älteren existieren oft in verschiedenen Versionen, und dann taucht die Frage auf: „Welche ist die bessere?“ Leidenschaftliche Witzeerzähler lassen in dieser Hinsicht keine Kompromisse gelten. Sie warten, bis die Pointe fertig ist, und sagen dann: „Nein, der Witz geht ganz anders!“ – und beginnen ihn neu zu erzählen.
Wenn man die äußerst umfangreiche wissenschaftliche Literatur über Witze und die Witzesammlungen durchsieht, fällt auf, dass einzelne Witze immer wieder in verschiedenen Abwandlungen auftauchen. Aber schon kleine Änderungen können einen Witz beschädigen oder völlig zerstören. In diesem Buch werden Sie einige Beispiele dafür finden.
Oft ist auch das subjektive Empfinden ganz entscheidend. Ich meine, dass sich Witze durch Kürze und Zielstrebigkeit auszeichnen sollen. Hans-Martin Gauger, ein langjähriger Professor für Romanistik an der Universität Freiburg im Breisgau und der einzige Wissenschafter, der sich in den letzten Jahrzehnten mit Sprachwitzen befasst hat, verlangt in seinem Buch Das ist bei uns nicht Ouzo von einem Witz folgende Eigenschaften: „Ein Witz sollte um des Hörers oder Lesers willen schnell sein Ziel erreichen. Andererseits muss alles – dann aber wiederum nur das – gesagt werden, was zur Realisierung der Pointe nötig ist. Es ist der Witz selbst, der Kürze will. Genauer: Nicht er selbst, sondern unser Bewusstsein von ihm. Metaphorisch aber ist es in der Tat ‚er selbst‘. Er will also möglichst schnell zur Pointe und – mit ihr und durch sie – zu der kleinen Explosion kommen, die das Lachen oder das Lächeln des Hörers sind.“ Gauger vertritt daher das Prinzip: „so lang wie nötig, so kurz wie möglich“, schränkt jedoch anschließend ein: „Zur nötigen Länge gehört aber auch (rien n’est simple) eine gewisse Farbigkeit, eine gewisse andeutend situierende Ausgestaltung, also durchaus nicht nur das rein logisch oder intellektuell Notwendige.“ (Gauger, 2006, S. 14–15)
„Witze, sind die kürzeste und präziseste Form erzählter Literatur“, meinte einmal Hellmuth Karasek, er war einer der vier Diskussionsteilnehmer des Literarischen Quartetts. Gute Witze unter Literatur einzureihen, wird nicht falsch sein – in einem gut erzählten Witz muss jedes Wort „sitzen“. Und manche Sprachwitze, die sich der Dialogform bedienen, sind eigentlich allerkürzeste Minidramen. Situationswitze sind allerkürzeste Kurzgeschichten.
Mit dem Satz „Nein, der Witz geht ganz anders“ könnte man auch die viel beachtete Polemik Friedrich Torbergs gegen Salcia Landmann und ihr 1960 im Schweizer Walter Verlag erschienenes Buch Der jüdische Witz überschreiben. Salcia Landmann, geboren in Żółkiew, damals Galizien, heute Ukraine, war die Tochter des Ehepaares Israel Passweg und Regina Passweg, geborene Gottesmann. Während des Ersten Weltkriegs übersiedelte sie mit ihrer Familie in die Schweiz nach St. Gallen. Sie promovierte in Philosophie und heiratete den Philosophen Michael Landmann. Ihre schriftstellerische Arbeit verstand sie als „stilles Requiem auf die untergegangene ostjüdische Kulturwelt“.
Das erinnert ein wenig an Friedrich Torbergs Bestreben, der jüdischen Kultur, die durch die Schoah vernichtet wurde, ein Denkmal zu setzen. Sein erfolgreichstes Buch, Die Tante Jolesch, trägt den Untertitel „Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten“.
Im Oktober 1961 erschien in der Zeitschrift Der Monat jene Polemik Torbergs, die in der Folge hohe Wellen schlagen sollte. Ihr Titel: „Wai geschrien!“ oder Salcia Landmann ermordet den jüdischen Witz. Anmerkungen zu einem beunruhigenden Bestseller. Torbergs Aufsatz wurde seither oft in Auszügen zitiert, ich wollte den gesamten Artikel lesen. Also bestellte ich in der Nationalbibliothek den 14. Jahrgang der Berliner Zeitschrift und las in Heft 157 den durchaus vergnüglichen Beitrag. Anhand einiger Beispiele zeigt Torberg, wie Salcia Landmann die Witze ruiniert hat. Der folgende Witz über das Witzeerzählen selbst war bereits in den 1930er Jahren publiziert worden, in einem Buch, das im Titel nicht das Wort „Witze“, sondern den Ausdruck „Schwänke“ stehen hatte.
Ein Bauer lacht dreimal über einen Witz: das erste Mal, wenn man ihn erzählt, das zweite Mal, wenn man ihn erklärt, und das dritte Mal, wenn er ihn verstanden hat.
Ein Pachtherr lacht zweimal: das erste Mal, wenn man ihm den Witz erzählt, das zweite Mal, wenn man ihn erklärt. Verstehen wird er ihn nie.
Ein Büttel (= Polizist) lacht nur einmal: wenn man ihm den Witz erzählt; denn er verbietet dir, den Witz zu erklären, und verstehen wird er ihn deshalb nie.
Erzählst du den Witz einem Juden, so unterbricht er dich: „Ach, was, ein alter Witz!“ und er kann ihn dir besser erzählen.
(Joffe, S. 37, basierend auf Olsvanger, S. 3)
Das ist ein schöner Metawitz, ein Witz über den Witz beziehungsweise über das Witzeerzählen, und er hat einen subtilen Inhalt. Die beste Interpretation dieses Witzes habe ich in Josef Joffes empfehlenswertem Buch über den jüdischen Humor mit dem Titel Mach dich nicht so klein … gefunden. „Die Gojim, also die Christen, sind aus Sicht des Erzählers grundsätzlich nicht besonders helle“, schreibt der angesehene Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit, „aber der Landbesitzer und der Polizist, die Mächtigen, sind noch blöder als der Bauer, der in der Hierarchie nur knapp über dem Juden steht und deshalb schon fast ‚einer von uns‘ ist.“ Auf diese Weise „erhebt sich der Jude über seine Umwelt“. Für den osteuropäischen Schtetlbewohner, der selber fast nie Land besitzen durfte, „ist der Verpächter eine wirtschaftliche und der Polizist eine existenzielle Bedrohung, weil er eine willkürliche Staatsmacht vertritt. (…) Diesen Typen ihren geistigen Rückstand zu bescheinigen, bietet seelischen Trost in auswegloser Lage.“ Eine andere Interpretation könnte lauten: „Bleib auf dem Teppich. Du hast zwar die besseren Pointen, aber die haben die Macht.“ (Joffe, S. 37–38)
Landmann kannte die Quelle, aber sie veränderte den Schluss.
Erzählt man aber einem Juden einen Witz, so sagt er: „Den kenn’ ich schon!“ – und erzählt einen noch besseren. (Landmann, 1960, S. 510)
Dass Torberg diese Veränderungen sauer aufstießen, ist verständlich. „Nein! Nein! Erstens sagt er nichts, denn das würde bedeuten, dass er den Witz bis zum Ende anhört – er unterbricht ihn. Zweitens erzählt er nicht einen noch besseren, denn das würde bedeuten, dass er den ersten für gut hält – er hält ihn aber für schlecht. Und drittens erzählt er überhaupt keinen besseren, denn das würde bedeuten, dass er einen anderen erzählt – er erzählt aber den gleichen Witz anders, weil er überzeugt ist, ihn besser erzählen zu können.“ (Torberg, Wai, S. 49)
Ein Geschäftsmann kehrt von einer längeren Reise zurück und erfährt, dass in der Zwischenzeit einer seiner besten Freunde gestorben ist. Sogleich begibt er sich auf den Friedhof, um am Grab des Verstorbenen das Totengebet zu verrichten.
Hier ruht Samuel Kohn
Ein ehrlicher Mensch
Ein guter Kaufmann
lautet die Inschrift, die er auf dem Grabstein liest.
„Armer Sami“, murmelt er. „Mit zwei wildfremde Leut’ haben sie dich ins Grab gelegt.“ (Torberg, Wai, S. 49)
Ein großartiger Witz. Was hat Salcia Landmann daraus gemacht?
Eine Jüdin spaziert auf dem Friedhof umher und liest die Aufschriften auf den Grabsteinen. Sie liest unter anderem
Hier ruht Jossel Rosenblum, Kantor
Ein frommer Mann
Ein tugendhafter Mann
„Gott über die Welt“, ruft die Jüdin entsetzt, „drei Juden unter einem einzigen Stein.“ (Landmann, 1960, S. 214)
Torbergs Kommentar liest sich auch in diesem Fall amüsant: „… was soll damit gewonnen sein, dass Jossel Rosenblum Kantor ist? Seit wann werden auf den Grabsteinen die Ruf- oder Kosenamen der Beerdigten angegeben (Jossel statt Josef)? Seit wann ‚spazieren‘ Jüdinnen auf Friedhöfen? Und wer, vor allem, hat jemals von jüdischen Lippen den Ausruf ‚Gott über die Welt‘ gehört?“ (Torberg, Wai, S. 50)
Weil die von Torberg inkriminierten Witze im Original so großartig sind, noch ein drittes Beispiel, auf das ich in einem späteren Kapitel zurückkommen werde (siehe S. 245 f.).
„Ornstein, was ist los mit Ihnen?“, ruft aufgeregt ein Passant, der im Straßengewühl auf einen anderen zugetreten ist. Früher waren Sie groß – jetzt sind Sie klein. Früher waren Sie dick, jetzt sind Sie mager. Früher hatten Sie eine Glatze, jetzt haben Sie Haare. Früher …“ – „Aber ich heiße ja gar nicht Ornstein“, kann der Angeredete endlich unterbrechen. „Was?! Ornstein heißen Sie auch nicht mehr?“ (Torberg, Wai, S. 50)
Salcia Landmann lässt den Rufer seinen Text abspulen, nachdem er über den Irrtum informiert wurde.
„Hallo Ornstein!“ – „Ich heiße doch gar nicht Ornstein.“ – „Herr des Himmels! Wie kann sich ein Mensch nur so verändern. Die Figur ist verwandelt, die Haarfarbe, die Nase auch – und sogar der Name ist ein anderer geworden.“ (Landmann, 1960, S. 237)
Torberg kritisiert außerdem Fehler in Landmanns Buch, „über die sich nicht streiten lässt“: Falsche Sterbedate von Arthur Schnitzler und Henri Bergson, ein falsches Geburtsdatum von Sigmund Freud, der noch dazu, „man fasst es nicht (und nicht einmal Alfred Adler wird sich darüber freuen“, als „Individualpsychologe“ bezeichnet wird. (Torberg, Wai, S. 52) Hier der Landmann’sche Lapsus:
„Der Großteil wirklich guter Witze, die wir kennen, lässt sich leicht auf jüdischen Ursprung zurückverfolgen. Der Individualpsychologe Freud hat sich um diese Seite der Frage wenig gekümmert. Doch sind die meisten von ihm zitierten Witzbeispiele dem jüdischen Bereich entnommen. Auch dass er selber, der Analytiker des Witzes, Jude war, empfand er bestimmt nicht als Zufall.“ (Landmann, 1960, S. 33–34)
Dem streitbaren und brillant formulierenden Autor ist in vielen Punkten zuzustimmen: Salcia Landmann gibt Witze als jüdisch aus, die keine jüdischen Witze sind. „Einfach dadurch, dass man einen Popen oder einen Dorfpfarrer zum Rabbiner macht, werden russische, polnische oder böhmische Geschichten noch nicht jüdisch.“ (Torberg, Wai, S. 60) Salcia Landmann habe mit ihrer Sammlung den jüdischen Witz als solchen zur Unkenntlichkeit verstümmelt. „Sie hat ihn, wai geschrien, ermordet.“ (Torberg, Wai, S. 65) Torberg vermutet, dass „dieses schnöde Machwerk“ deshalb zu einem Bestseller werden konnte, weil es den Lesern „das Gefühl gibt, sie haben die Vergangenheit bewältigt und haben sich dabei auch noch gut unterhalten“. Obwohl es nicht ihre Absicht gewesen sei, habe sie dem Antisemitismus Vorschub geleistet. „Diese Unempfindlichkeit, die fundamentale Gefühl- und Instinktlosigkeit gegenüber allem, aber auch wirklich allem, was das Wesen des jüdischen Witzes ausmacht, musste zwangsläufig zum antisemitischen Effekt des Buches führen.“ (Torberg, Wai, S. 56)
Im Jahr 1971 erschien im Berliner Colloquium Verlag das Buch Der echte jüdische Witz. Der Autor, Jan Meyerowitz, geboren in Breslau, war in die USA emigriert und hatte sich als Komponist, Dirigent, Pianist einen Namen erworben. Meyerowitz teilte Torbergs Kritik, ja er verschärfte sie sogar. Die „Soziologie und Sammlung“ jüdischer Witze – so der Untertitel von Landmanns Buch – sei „der Aufgabe so ziemlich alles schuldig geblieben, und die weite Verbreitung des Buches ist ein großes, vielleicht unreparierbares Missgeschick. Wir würden gar nicht darüber reden, wenn es nicht eine solche historische Entgleisung wäre.“ Die einzige protestierende Stimme, jene Friedrich Torbergs, dürfte wirkungslos verhallt sein. „Auf viele Juden hat die ‚Soziologie und Sammlung‘ jedenfalls fast so abstoßend und schmerzlich gewirkt wie so manches in der Nazizeit Geschriebene …“ Salcia Landmann habe bei der Auswahl der Witze wenig Takt bewiesen. „Ihre besondere Vorliebe gehört anscheinend dem oft sehr unglücklich wirkenden Witz über die verschmutzten Gettos und der Einwohner und über jüdische Gaunereien.“ Viele dieser hässlich wirkenden Witze seien „echt“, also weder antisemitischer Herkunft noch unjüdisch, doch dürfen sie heute „keinesfalls ohne sorgfältige historische und psychologische Erklärung im Druck erscheinen“. (Meyerowitz, S. 13–15)
Meyerowitz spricht damit das Hauptproblem des Buches an. Der erste Teil mit dem Titel Einleitung enthält die historischen und psychologischen Erklärungen, der zweite Teil ist die Witzesammlung. Wer in dieser blättert, ohne die Einleitung gelesen zu haben, erfährt nichts über den Hintergrund. Meyerowitz hingegen hat einen durchgeschriebenen Text abgeliefert, in den die Witze als Belege eingebaut sind.
Salcia Landmann hat als Reaktion auf ihr Buch unzählige Witze von Juden aus aller Welt geschickt bekommen. Im Jahr 1972 veröffentlichte sie einen Ergänzungsband. Im Vorwort wies sie darauf hin, dass ihr erstes Buch über den jüdischen Witz mit Begeisterung aufgenommen worden sei. „Mit dem wachsenden Erfolg des Buches, es liegt heute in verschiedenen Ausgaben in über 500.000 Exemplaren vor, kamen natürlich auch Angriffe. Etliche aus den ehemaligen jüdischen ‚Witzezentren‘ – also Wien, Berlin etc. – aus der Feder jüdischer Kollegen. Sie übersahen unter anderm, dass es hierfür ziemlich solider Kenntnisse der jüdischen Geistestradition bedarf.“ Was Torberg als Problem des Buches ansah, definiert sie als seine Stärke. „Man empfand es als einen Schritt zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschen und Juden. Man war erleichtert, nach den fürchterlichen Vorgängen der Nazizeit endlich auch wieder anders als nur mit Schreck und Gram an die Juden Europas denken zu dürfen.“ (Landmann, 1972, S. 7) Ihr ging es darum, möglichst viele Witze zu sammeln und für die Nachwelt zu dokumentieren; sie veröffentlichte im Anhang ihrer späteren Bücher Listen der „Spender von Witzen“.
In einem entscheidenden Punkt geht Torbergs Kritik ins Leere. Er klassifiziert die kurzen Sprachwitze in der Landmann’schen Sammlung als „die ödesten Kalauer“ (Torberg, Wai, S. 56). Auch die „Schirm-Scharm“-Witze, auf die ich später zurückkommen werde (siehe S. 98, S. 203), missfallen ihm.
Torberg hat diese Sprachwitze nicht gemocht und als witzlos abgetan, das ist sein gutes Recht. Aber er hat übersehen, dass sie spezifisch jüdisch sind und in einem Buch über den jüdischen Witz nicht fehlen dürfen. Armin Berg, den Torberg geschätzt und immer wieder lobend erwähnt hat, trug genau solche Witze unter dem Jubel des Publikums vor.
Torberg hatte sich schon Mitte der 1970er Jahre einem verwandten Thema gewidmet, den Anekdoten aus dem jüdischen Milieu. Sein Buch Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten sollte ein ebenso großer Bestseller wie Salcia Landmanns Witzesammlung werden, wobei sich auch Torberg einige Schlampigkeitsfehler zuschulden kommen ließ.
Für mein Buch Die Tante Jolesch und ihre Zeit studierte ich in der Handschriftensammlung der Nationalbibliothek den Briefwechsel Torbergs mit Zeitgenossen. Gewissenhafte Leser seines Anekdotenbandes wiesen ihn auf zahlreiche Irrtümer hin (Sedlaczek/Mayr, S. 161). Verglichen mit jenen Böcken, die Salcia Landmann geschossen hat – wir erinnern uns: sie verwechselte Sigmund Freud mit Alfred Adler –, waren Torbergs Fehler grosso modo weniger gravierend. Schlimm ist jedoch ein falsch wiedergegebenes Karl-Kraus-Zitat, das eigentlich ein Sprachwitz ist. Zu finden in der Fackel, Nr. 381–383, 19. 9. 1913, S. 71. Im Original lautet es:
Einen Brief absenden heißt in Österreich einen Brief aufgeben.
Friedrich Torberg macht daraus:
Einen Brief befördern, heißt in Österreich einen Brief aufgeben. (Torberg, Tante Jolesch, S. 172)
Nicht die Post gibt Briefe auf, sondern der Absender. „Ich beknirsche mich ganz besonders wegen des falschen Kraus-Zitats; das hätte mir nicht passieren dürfen“, antwortete Torberg dem Leserbriefschreiber. (Torberg, zitiert in Sedlaczek/Mayr, S. 163) – und versäumte es in der Folge, das Zitat in den Nachauflagen zu korrigieren. Auch in der heutigen Taschenbuchausgabe findet sich das entstellte Kraus-Zitat – und der 2. Wiener Gemeindebezirk, „der fast ausschließlich von Juden bewohnt war“, wird in dem Buch fälschlich „Leopoldstraße“ genannt – statt richtig: „Leopoldstadt“. (Torberg, Tante Jolesch, S. 40) Das ändert aber nichts an meiner Einschätzung, dass Die Tante Jolesch ein geniales und zugleich vergnügliches Buch ist.
Für unser Thema nicht uninteressant ist der Einwand eines Leserbriefschreibers gegen die Pointe der folgenden Anekdote. Ich reduziere sie auf den Kern.
In Wien gab es vor 1938 zwei beliebte koschere Restaurants, das Neugröschl und das Tonello. Eines Tages bestellt ein Gast im Tonello zu früher Stunde ein Scholet. Als der Kellner aus der Küche kommt und bedauert, dass das Scholet noch nicht fertig sei, ruft der enttäuschte Gast: „Was? Halb eins und noch kein Scholet? Bei Neugröschl wird schon gerülpst!“ (Torberg, Tante Jolesch, S. 69)
Der Leserbriefschreiber wandte ein, dass der Gast im Tonello nicht das Wort rülpsen verwendet habe. Der Ausspruch sei anders verbürgt: „Bei Neugröschl prallen sie schon.“ Torberg rechtfertigte sich in seiner Antwort an den Leserbriefschreiber damit, dass er aus Gründen der sogenannten „guten Manieren“ den Ausspruch des Gastes absichtlich falsch zitiert habe, „weil in diesem Zusammenhang der von mir verwendete Ausdruck die gleichen Dienste tut wie der originale. Hier wird keine Korrektur erfolgen.“ (Torberg, zitiert in Sedlaczek/Mayr, S. 157)
Schon Jahre vor dem Erscheinen der Tante Jolesch erzählte Fritz Muliar die Geschichte als Witz – sie ist zu finden auf Preiser Records und im Buch Das Beste aus meiner jüdischen Witze- und Anekdotensammlung.
(…) Dort beim Tonello kommt herein um dreiviertel zwelf ein Mensch. Elegant, groiße Erscheinung, schmeißt den Hut auf dem Haken und schreit: „Kellner! Eine Bohnensuppe!“ – „Verzeihen Se, es is dreiviertel zwelf, die Bohnensuppe is nich fertig.“ – „Wos“, sogt er, „nich fertig!? Beim Neugröschl prallen se schon!“ (Muliar, S. 20)
Salcia Landmann bringt den Witz ebenfalls, aber sie siedelt ihn nicht in Wien an, sondern „in zwei koscheren Restaurants, Ascher und Milowicz“. Ihre Pointe lautet: „Bei Ascher grebezzn (= aufstoßen) sie schon.“ (Landmann, 2007, S. 222–223) Ohne die Einwände gegen Torbergs Version zu kennen, ist sie also in diesem einen Punkt einer Meinung mit ihm.
In einer Neuausgabe ihrer jüdischen Witzesammlung verzichtet Salcia Landmann bei einem anderen „Tscholent“-Witz hingegen nicht auf die Pointe mit dem volkstümlichen Ausdruck für Flatulenz.
Schmul musste sich einer Magenoperation unterziehen. Nachher schreibt ihm der Professor eine strenge Diät auf. Schmul möchte aber auf den herrlichen, fetten Tscholent nur ungern verzichten. Der Professor bleibt jedoch unerbittlich.
Schmul geht zu einem zweiten Arzt. Der lässt sich genau beschreiben, was Tscholent ist – und er verbietet ihn ebenfalls.
Da geht Schmul zu seinem jüdischen Hausarzt und klagt ihm sein Leid. Ein Jude wird doch Verständnis haben für seinen Kummer? „Iss Tscholent so viel du willst!“, sagt der Hausarzt. „Bloß: prallen wirst du schon im Himmel.“
(Landmann, 2010, S. 425–426; 2007, S. 220–221)
Witze haben üblicherweise keinen Urheber, keinen Autor. Im Reich der Witze gibt es kein Privateigentum. Witze werden in Umlauf gebracht und weitergereicht, sie kursieren und zirkulieren. Dabei werden sie adaptiert, verbessert, manchmal auch verschlechtert. Auch die erstmalige schriftliche Fixierung ist in der Regel nicht die Geburtsstunde eines Witzes. Außerdem werden Witze oft von einem Genre in ein anderes verschoben: Aus einem Burgenländerwitz wird ein Blondinenwitz, aus einem Frau-Pollak-von-Parnegg-Witz ein Graf-Bobby-Witz usw. Wenn ich in der Folge aus einer Sammlung zitiere, werde ich mir daher dann und wann das Recht herausnehmen, den Text geringfügig zu verändern.
Des Öfteren werde ich aus Salcia Landmanns Büchern zitieren. Diese liegen aktuell in zwei Ausgaben vor: einer Hardcoverausgabe Der jüdische Witz. Soziologie und Sammlung, lieferbar bei Patmos, und einer dtv-Taschenbuchausgabe Jüdische Witze. Der Klassiker von Salcia Landmann. In der neuen Hardcoverausgabe, erstmals 2010 erschienen, wurden die von Torberg aufgezeigten Fehler ausgebessert. Die Taschenbuchausgabe, erschienen 2007, enthält eine Kurzfassung der Einleitung und die besten Witze aus der ursprünglichen Hardcoverausgabe. Die Witze sind weiterhin nach Themenschwerpunkten geordnet, beim Kapitel Medizin und Hygiene gibt es zu Beginn den Hinweis: „Über den Wert der Hygienewitze vgl. Einleitung S. 60.“ Dort liest man unter anderem: „Ohne Zweifel sind die Badewitze nicht jüdischen, sondern antisemitischen Ursprungs. Aber die Bereitschaft der Juden zur Selbstkritik bringt es leicht mit sich, dass sie auch den unberechtigten Spott der Feinde in ihre Selbstverspottung einbauen.“
Die seinerzeit berechtigten Einwände von Torberg und Meyerowitz sind somit für den heutigen Buchkäufer nicht relevant. Beiden Witzebüchern von Salcia Landmann, dem Hardcover wie dem Taschenbuch, ist der große Erfolg zu gönnen. Das Buch von Jan Meyerowitz ist leider vergriffen. In Internetantiquariaten, zum Beispiel bei eurobuch.com, ist es aber erhältlich.
Andere wichtige Quellen waren für mich fünf kleine Bücher mit jüdischen Witzen. Sie sind unter dem Namen Avrom Reitzer um 1900 zunächst in Preßburg bei A. Akalay und dann bei J. Deubler’s in Wien erschienen. Im Titel findet sich oft das Wort „Lozelech“, im Untertitel „… für ünsere Leut’“. Es waren also Witze, die von Juden gesammelt wurden und für Juden bestimmt waren. Damals sprach man noch nicht von „Witzen“, erst in späteren Auflagen taucht das Wort am Cover auf.
Diese „Lozelech-Bücher“ waren hart gebunden und hatten jeweils hundertzwölf Seiten Umfang. Sie dürften reißenden Absatz gefunden haben. In der Buchhandelswerbung von J. Deubler’s wird der Bestsellercharakter der Titel hervorgestrichen. Den Buchhändlern wird empfohlen, sie in den Auslagen zu platzieren, um gute Umsätze zu machen.
Nicht weniger wichtig waren für mich Heinrich Eisenbach’s Anekdoten, gesammelt und vorgetragen in der Budapester Orpheumsgesellschaft in Wien – so lautete der Titel von vierundzwanzig kleinen Büchern, die ab dem Jahr 1905 innerhalb kurzer Abstände in der k. k. Universitätsbuchhandlung Georg Szelinski erschienen. Eisenbach war Schauspieler, Sänger, Komiker, Filmschauspieler und zwanzig Jahre lang Direktor der Budapester Orpheumgesellschaft in Wien. Jedes Büchlein mit kartoniertem Umschlag hatte sechzehn Seiten Umfang und kostete vierzig Heller – nach heutiger Währung wären das 2,60 Euro. Es waren nicht Anekdoten, sondern Witze mit Pointen. Da der Begriff „Witze“ noch nicht populär war, entschloss man sich, den Inhalt der Bücher als „Anekdoten“ zu bezeichnen. Die kleinen Bücher fanden reißenden Absatz. Als sie in zweiter Auflage erschienen, wurden sie sogar in die kaiserlich-königliche Hofbibliothek aufgenommen.
In den Büchern von Avrom Reitzer, vermutlich ein Pseudonym, und von Heinrich Eisenbach habe ich viele ursprüngliche und urtümliche Fassungen von Witzen entdeckt, die später bei Sigmund Freud, bei Salcia Landmann und anderen Autoren auftauchten – und noch heute erzählt werden. Die über hundert Jahre alten Bücher wurden bisher kaum beachtet, obwohl sie authentisch sind und einen Blick auf die Frühphase der Witzekultur freigeben.
Da Salcia Landmanns Bücher so erfolgreich waren, entschloss sich der Schweizer Walter-Verlag ein ähnliches Projekt mit dem Titel „Der klerikale Witz“ in Angriff zu nehmen. Das Buch erschien 1970, Herausgeber war Hans Bemmann, ein in der Nähe von Leipzig geborener Sohn eines evangelischen Pfarrers. In den 1950er Jahren arbeitete er als Lektor beim Österreichischen Borromäuswerk, mit dem Roman Stein und Flöte gelang ihm später auch ein literarischer Durchbruch. Der österreichische Kulturhistoriker und Linkskatholik Friedrich Heer stellte eine essayistische Einleitung zur Verfügung. Das Buch enthält jene Witze, „die sich häufig entzünden an den Auseinandersetzungen und Zwangslagen eines im Widerspruch zur übrigen Welt stehenden Berufes und Standes, an der Diskrepanz zwischen den Forderungen des Glaubens und der Unzulänglichkeit des Menschen“, so der Klappentext. Das Buch erzielte mehrere Auflagen, auch im Taschenbuch, ist heute allerdings vergriffen.
Im Nachlass Friedrich Heers, das im Literaturarchiv der Nationalbibliothek aufbewahrt wird, findet sich eine Erstausgabe von Salcia Landmanns Buch. Friedrich Heer hat vor Abfassung des Esssays sowohl die Einleitung als auch die Witzesammlung gewissenhaft studiert und einzelnen Zeilen unterstrichen, um sie später leichter zu finden.
Es ist erstaunlich, wie sich manche Witze im Laufe der Zeit verändert haben. Deshalb finden Sie da und dort die Fundstellen vermerkt. Dies dient dazu, Entwicklungsstränge sichtbar zu machen und historische Witze aus ihrem Kontext heraus zu verstehen.
Gleich zu Beginn meiner Sammeltätigkeit hat sich herausgestellt, dass Sprachwitze in bestimmten Witzetypen besonders häufig vorkommen. Es sind dies Burgenländerwitze, Blondinenwitze, Graf-Bobby-Witze und Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze. Sie haben auch noch etwas anderes gemeinsam: Es sind Witze mit einem interessanten historischen Hintergrund – und im Mittelpunkt steht jeweils eine dümmliche Figur.
Beschäftigt man sich dann noch mit dem jüdischen Einfluss auf die Entwicklung von Sprachwitzen, gelangt man unversehens zu den No-na-Witzen und zu den Schüttelreimen. Letztere sind zwar nicht von Juden erfunden, aber von diesen begeistert aufgenommen und kultiviert worden.
Unter „Witz“ verstehen wir „eine (prägnant formulierte) kurze Geschichte, die mit einer unerwarteten Wendung, einem überraschenden Effekt, einer Pointe am Ende zum Lachen reizt.“ So lautet die Definition im Deutschen Universalwörterbuch des Duden (7. Auflage). Der „Sprachwitz“ ist offensichtlich so alt wie die Sprache selbst, aber Witze mit prononcierten Pointen als ein Massenphänomen gibt es erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Das Wort „Witz“ ist eine Abstraktbildung zu „wissen“ und bedeutete ursprünglich „Wissen, Verstand, Klugheit“, wie noch im Wort „Mutterwitz“ erkennbar ist. Seit dem 17. Jahrhunder nahm das Wort unter Einfluss des französischen esprit die Bedeutung „Geist, geistvolle Art, Scharfsinn“ an. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstand man unter Witz auch eine kurze Geschichte oder einen Dialog mit einer überraschenden Pointe, die zum Lachen anregt.
Das deutsche Wort „Witz“ hat also zwei Bedeutungen. Im Englischen werden diese durch das Wortpaar wit und joke abgedeckt. Nur wenn wir im Deutschen die Mehrzahl verwenden und von „Witzen“ sprechen, ist klar, dass jokes gemeint sind.
Bei der Übersetzung des Titels von Sigmund Freuds Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten ins Englische wird manchmal jokes und manchmal wit verwendet. Freud analysiert viele Aphorismen, die man nicht unter jokes im klassischen Sinn einordnen kann, aber wie Witze funktionieren.
Jeder hat sie schon gehört und vielleicht nur verstohlen darüber gelacht; die Burgenländerwitze sind ein Teil der Ethnowitze, in denen eine Gruppe von Menschen – in diesem Fall die Einwohner eines Bundeslandes – auf die Schaufel genommen wird. Burgenländerwitze sind, wie weithin bekannt ist, ein Import aus Deutschland und eine Analogie zu den Ostfriesenwitzen.
Warum nehmen Ostfriesen ein Messer mit ans Meer? – Um damit in See zu stechen.
Da es im Burgenland kein Meer gibt, wird dieser Witz kurzerhand an den Neusiedler See verlegt. Aus „die See“ wird „der See“.
Ähnliche Witze gibt es auch über die Einwohner anderer Bundesländer. Oft werden Burgenländerwitze einfach auf andere Bundesländer übertragen. Nur wenige Witze sind spezifisch für ein bestimmtes Bundesland und nicht austauschbar.
Wie bringen die Kärntner ihren Kindern Deutsch bei? – Sie werfen sie in den Wörthersee.
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Was ist der Unterschied zwischen einem intelligenten Tiroler und dem Ötzi? – Den Ötzi hat man schon gefunden.
Der Typus des Ostfriesenwitzes entstand nach einer Lesart gegen Ende der 1960er Jahre in Deutschland. Das Gymnasium in Westerstede im Ammerland, einer Nachbarregion Ostfrieslands, wurde und wird auch von ostfriesischen Schülern besucht. Wie bei vielen benachbarten Regionen gibt es zwischen den Bevölkerungen Ostfrieslands und des Ammerlands häufig Sticheleien und Neckereien. Die Schüler des besagten Gymnasiums veröffentlichten in ihrer Schülerzeitung eine Serie namens Aus Forschung und Lehre. In dieser wurde der sogenannte „Homo ostfrisiensis“ als unbeholfen und dumm karikiert.
Lutz Röhrich, ein langjähriger Professor für deutsche Philologie und Volkskunde an der Universität Freiburg im Breisgau und Autor des Lexikons der sprichwörtlichen Redensarten